Alessandro Manzonis I Promessi Sposi, im Deutschen hauptsächlich veröffentlicht als "Die
Verlobten", ist nicht nur einer der bekanntesten und berühmtesten italienischen Romane,
sondern auch einer der bedeutendsten.
Er ist dabei nicht nur aus literaturwissenschaftlicher Hinsicht interessant, sondern bietet als
historischer Roman zugleich kulturhistorische Informationen und ist im Rahmen von
Manzonis Wirken in der "Questione della lingua" zudem das Zeugnis seiner
sprachtheoretischen Ansichten.
Vorliegende Arbeit, die in Folge der Vorbereitung zu einer Staatsexamensprüfung
entstand, versucht genau diese Mehrdimensionalität zu untersuchen und zu unterstreichen,
wobei im ersten Teil ein kulturhistorischer Überblick zur politischen Situation in Italien
nach dem Wiener Kongress gegeben und die Gattung des Romans an sich beleuchtet
werden, da der nun langsam an Bedeutung gewinnende Roman mehr und mehr Einfluss
auch auf den politischen Einigungsprozess, "risorgimento", nehmen wird. Dabei spielt
insbesondere der Historische Roman ein wichtige Rolle, weswegen im Anschluss auf die
Autorenintention und die Geschichtsauffassung Manzonis eingegangen werden soll und
die Geschichte des historischen Romans von Sir Walter Scott bis Manzoni kurz dargestellt
wird. Im zweiten Teil steht nun der Roman an sich im Mittelpunkt, seine wohl einzigartige
über zwei Jahrzehnte andauernde Entstehungsgeschichte, die Hauptpersonen sowie
wichtige literarische Techniken und die Darstellung der historischen Wirklichkeit, womit
der Bogen zum kulturhistorischen Kontext wieder geschlossen wird.
1 Einleitung
Alessandro Manzonis I Promessi Sposi, im Deutschen hauptsächlich veröffentlicht als Die
Verlobten, ist nicht nur einer der bekanntesten und berühmtesten italienischen Romane,
sondern auch einer der bedeutendsten.
Er ist dabei nicht nur aus literaturwissenschaftlicher Hinsicht interessant, sondern bietet als
historischer Roman zugleich kulturhistorische Informationen und ist im Rahmen von
Manzonis Wirken in der Questione della lingua zudem das Zeugnis seiner
sprachtheoretischen Ansichten.
Vorliegende Arbeit, die in Folge der Vorbereitung zu einer Staatsexamensprüfung
entstand, versucht genau diese Mehrdimensionalität zu untersuchen und zu unterstreichen,
wobei im ersten Teil ein kulturhistorischer Überblick zur politischen Situation in Italien
nach dem Wiener Kongress gegeben und die Gattung des Romans an sich beleuchtet
werden, da der nun langsam an Bedeutung gewinnende Roman mehr und mehr Einfluss
auch auf den politischen Einigungsprozess, risorgimento, nehmen wird. Dabei spielt
insbesondere der Historische Roman ein wichtige Rolle, weswegen im Anschluss auf die
Autorenintention und die Geschichtsauffassung Manzonis eingegangen werden soll und
die Geschichte des historischen Romans von Sir Walter Scott bis Manzoni kurz dargestellt
wird. Im zweiten Teil steht nun der Roman an sich im Mittelpunkt, seine wohl einzigartige
über zwei Jahrzehnte andauernde Entstehungsgeschichte, die Hauptpersonen sowie
wichtige literarische Techniken und die Darstellung der historischen Wirklichkeit, womit
der Bogen zum kulturhistorischen Kontext wieder geschlossen wird.
2 Kulturhistorischer Kontext
2.1 Die Situation in Italien nach dem Wiener Kongress
Das Italien nach 1815 ist von zwei Begriffen besonders geprägt: Restauration und
Risorgimento. Die Veränderungen, die in anderen europäischen Staaten stattfanden, kamen
in Italien nur mit großer Verzögerung an. So hatte beispielsweise die industrielle
Revolution in Italien so noch nicht stattgefunden, Italien blieb ein Agrarland, der Einstieg
Italiens in den europäischen Kapitalismus erfolgte nur zaghaft. Ebenso gingen die sozialen
Veränderungen nur allmählich voran, Italien wurde nur sehr langsam zu einem
bürgerlichen Land, immerhin aber gingen die Privilegien des Adels zurück, es verbreitete
sich nach und nach ein Einheitsbewusstsein und es entwickelte sich eine Kluft zwischen
dem Volk und den Intellektuellen, die die europäische Entwicklung verstärkt an und wahr
nahmen.
Ebenso gab es einen Bruch in der Zunft der Schriftsteller, die nun vermehrt aus
bürgerlicher Abstammung kamen und oftmals gezwungen waren, parallel zur Tätigkeit als
Schreiber, einen nichtliterarischen Beruf auszuüben, sei es beispielsweise Übersetzer,
Lehrer, Verleger oder Journalist. Alessandro Manzoni hingegen war adliger Abstammung,
ein Graf, und Enkel des Aufklärers Beccaria, zudem Großgrundbesitzer der seine Güter
persönlich verwaltete. Auch hatte Manzoni eine klassische Bildung genossen.
Durch die zunehmende Anzahl an Literaten und das wachsende Interesse des sich
herausbildenden Bürgertums an der Literatur, entstand eine neue Leserschaft, eine
Literaturindustrie, ja eine Kulturindustrie. Literatur wurde mit den Jahren zu einem
Instrument staatsbürgerlicher und politischer Einflussnahme und wollte sich an das ganze
Volk wenden. Auch Manzoni machte deutlich, dass er für die breite Mittelschicht
schreiben will, eine Schicht zwischen Gebildeten und Ungebildeten. Ein Problem dabei
war jedoch die Sprache, denn auch die Literatur musste sich öffnen, zur Sprache der Oberund
Unterschicht hin, zu jener neu entstehenden Leserschaft, aber es gab in Italien ja keine
einheitliche gesprochene Sprache und auch über die zu verwendende Literatursprache gab
es unterschiedliche Auffassungen. Klar war dabei nur der enge Zusammenhang zwischen
einheitlicher Sprache und dem Weg zur nationalen Einheit, was aber zuerst erreicht werden
musste, darüber stritten Intellektuelle und Literaten: Soll das Volk über Sprache und Stil
richten, oder ist eine Einheit der Sprache Voraussetzung für die Einheit des Volkes?
Bedeutend für die intellektuellen Debatten im sich verändernden Italien war die 1818 in
Mailand entstandene Zeitschrift Il Concilliatore. Sprachwissenschaftlich gesehen, gab es
vereinfacht dargestellt primär zwei unterschiedliche Standpunkte. Die Klassizisten um
Monti und Perticari plädierten für das geschriebene Florentinische, die Puristen wollten die
Idealsprache der Tre Corone (Dante, Boccaccio, Petrarka) wiederbeleben. Manzoni stand
quasi dazwischen, wollte er doch das Fiorentino Colto, also das gesprochene Italienisch
der Florentiner Oberschicht, zur Sprache erheben. Er setzte sich also nicht wie Perticari für
das Fiorentino Letterario, sondern als Einziger für das Fiorentino Parlato ein.
Vorbild für ihn war Paris und die dortige Stellung des Französischen. 1805, kurz nach der
Trennung seiner Eltern, hielt sich Manzoni mit einer Mutter in Paris auf, wo auch seine
Freundschaft mit Claude Fauriel entstand. Er kam hier zur Erkenntnis, das Italienische sei
eine tote Sprache: „Lo stato dell’Italia divisa in frammenti ha posta tanta distanza tra la
lingua parlata e quella scritta che può dirsi dunque lingua morta.“1 In seiner Bewunderung
für das Französische, die ja auch in seinen Oden an Napoleon (unter anderem Il 5 maggio)
deutlich wird, wollte er, dass das Italienische genauso universal sei, „vivo e agevole per
tutti per qualsiasi bisogno dell’espressione comune.“2
2.2 Der Roman als bürgerliches Epos
Einhergehend mit denen im vorangestellten Kapitel bereits skizzierten Veränderungen im
italienischen Gesellschaftssystem und den neuen Anforderungen an die Literatur, gab es
auch eine Umwälzung des literarischen Gattungssystems. Immer mehr trat der Roman als
Genre in den Vordergrund. Die erzählende Dichtung lief der Poesie, dem Epos und der
Tragödie buchstäblich den Rang ab. Der Roman galt nunmehr als Verbreiter und
Vermittler von Kultur für die Mehrheit des Volkes. Ein neues Konsumverhalten der breiten
Masse unterstützte diese Entwicklung. Als Hauptuntergattung diente dabei der historische
Roman.
Aber warum erweckten gerade Romane mit historischem Sujet das Interesse der neuen
Leserschaft? Die Französische Revolution und die Revolutionskriege waren ebenso wie
Napoleons Feldzüge Ereignisse, die von der Masse getragen wurden und in die ganze
Völker verwickelt waren. Napoleon hatte mit seinen Massenheeren Geschichte zum
1 Zitiert nach Migliorini, B. (1987), S. 548.
2 Vgl. Vitale, M. (1992), S. 214.
Erlebnis aller gemacht. Die Menschen machten zahlreiche neue Erfahrungen, lernten und
entdeckten die Bedeutung und den Stellenwert von Geschichte und waren deshalb sehr
empfänglich. Zudem lebten nationale Gefühle wieder auf, das entstehende Bürgertum
wandte sich zur Erforschung und Erzählung der eigenen Vergangenheit hin, zur Suche
nach den eigenen Wesenzügen. Der historische Roman diente so als ideales Modell, als
Medium politischer Identitätsstiftung, eben insbesondere für die neue Leserschaft.
Was macht nun genau einen historischen Roman aus? Der Dichter will hier keine
historischen Fakten feststellen, kontrollieren oder mit anderen in Zusammenhang setzen,
sondern benötigt lediglich eine möglichst authentische Darstellung historischer
Persönlichkeiten und Begebenheiten für seine Erzählung. Die Distanz zur
Geschichtsschreibung entsteht durch den Verzicht auf Wissenschaftlichkeit.
Kulturliterarisch gesehen, diente nach Hinz der historische Roman quasi der historischen
Legitimierung des Dritten Standes, der durch die Französische Revolution soeben die
Herrschaft ergriffen hatte und nun im historischen Roman Rechtfertigung darüber ablegt,
dass es zurecht revolutionär an die Macht gekommen ist und eigentlich ja schon immer das
der Geschichte zugrunde liegende Substrat gewesen zu sein.3 Die Romantik prädestinierte
den historischen Roman insbesondere durch das romantische Bedürfnis nach Schilderung
abenteuerlicher Erlebnisse, die nun nicht mehr in einer fiktiven Welt, sondern in
historischer Ferne gesucht wurden.
Die Geschichte des historischen Romans begann 1814 durch Sir Walter Scotts Waverley.
Es erfolgte eine intensive Rezeption in ganz Europa.4 Scott, der etwa dreißig historische
Romane schrieb, galt somit als großes Vorbild hinsichtlich ästhetischer Eigenheit und
Erzählmodell. Er schrieb über Leben und Schicksale aus England zur Zeit der
Auseinandersetzungen zwischen angelsächsischer Bevölkerung und normannischer
Eroberung und schuf so ein auf genauen Studien beruhendes kulturhistorisches Bild an
historisch nebensächlichen oder gar erfundenen Ereignissen. Schon Scott nutzte die
Geschichte stets als Spiegel der Gegenwart, für öffentliche Angelegenheiten, Gedanken
und Bräuche. Hauptfiguren bei Scott sind in der Regel „mittelmäßige“ oder „mittlere“
Helden, da sie zu keinem herausragenden Heldentum befähigt sind und sozial gesehen der
Mittelklasse angehören. Der Protagonist ist ein durchschnittlicher Gentleman, ein niemals
3 Vgl. Hinz, M. (1993), S. 73.
4 Erste Vorläufer des historischen Romans gab es jedoch schon im 17./18. Jahrhundert, sogar die Bearbeitung
antiker Geschichten und Mythen im Mittelalter kann als Vorläufer angesehen werden.
heldenhafter Held. Bei Manzoni hingegen entstammen die Protagonisten der ländlichen
Unterschicht, auch war Scott kein Romantiker, gleich war beiden nur die historische
Thematik. Laut Georg Lukács überragt Manzoni Scott sogar noch in der Vielfältigkeit und
Tiefe der Charakterisierungen und im Ausschöpfen aller persönlich-seelischen
Möglichkeiten aus großen tragischen Konstellationen.
Manzoni und Scott trafen sich sogar persönlich, in Mailand, Manzoni bezeichnete sich
später als Schüler Scotts, wobei dieser erwiderte, dass in diesem Fall das Werk Manzonis
sein bestes sei.
1821 erschien eine Sammlung von Scott Romanen, 1823 folgte bereits der erste
italienische historische Roman. Das Jahr 1827 gilt hierbei als Durchbruch des historischen
Romans in Italien: vier derartige Romane erschienen, zwei davon mit großem Erfolg: La
battaglia di Benevento von Guerrazzi und I Promessi Sposi von Manzoni. Neben
Begeisterung riefen sie aber auch Kritik hevor, Ugo Foscolo betitelte sie als für ein nicht
gebildetes Publikum verfasst. Weitestgehend erfuhr der romanzo storico Befürwortung
durch Kritiker wie Bazzoni oder Tommaseo. Später, mit Giuseppe Mazzini, wurde er auch
als propagandistisches Mittel genutzt. Die Themen in Italien wurden aus Zeitaltern
übernommen, in denen man am ehesten Keime für ein zukünftiges italienisches Volk zu
finden glaubte. So enthält der italienische historische Roman, wie ja auch die Promessi
Sposi, meist patriotische Themen, in unserem Fall liegt der ausgehende Ursprungskonflikt
bei Don Rodrigo, einem Spanier. Zudem sind die Themen meist melodramatisch, wie das
Verfolgen einer weiblichen Unschuldsfigur (im Roman Lucia) oder das Aussetzen eines
unproblematischen Glückszustandes durch von außen kommende Einwirkungen.
Moralische Legitimation erhält der historische Roman erst durch die verschiedenen
Fassungen von Manzonis Schrift Del Romanzo Storico (1831-45).
3 Manzonis Geschichtsauffassung und seine Autorenintention
Manzoni war der Meinung, dass die traditionelle Geschichtsschreibung die Geschichte der
Besiegten und Unterdrückten stets außer Acht gelassen hatte und stattdessen die
Geschichte der Sieger und des herrschenden Volkes geschrieben hatte. Er geht nun dazu
bewusst auf Distanz, indem er Menschen aus der Volksmasse mehr Aufmerksamkeit
schenkt, wie er es ja auch im Vorwort, dem Paratext, manifestiert, eine „Geschichte von
unten“ schreiben zu wollen.
Manzoni unterscheidet dabei zwischen Herrschenden und unterworfenem Volk und
übernahm so die Zwei-Völkertheorie von Augustin Thierry, den er während eines
Parisaufenthaltes 1819/20 kennen lernte, und die zum einen nahe legt, das Leben einfacher
Menschen als eine Kette von Leiden darzustellen, die als Folge der Fremdherrschaft
angesehen werden kann. Zum anderen verweist Thierrys Theorie darauf, dass Eroberer und
Unterworfene nie zu einem einheitlichen Volk werden, eine Theorie, die Manzoni sich
schon in seinen früheren Werken Adelchi und Il Conte di Carmagnola anwendet und die er
explizit in den Discorsi sopra la storia longobardica erwähnt. Auch in der Einleitung zu
Fermo e Lucia macht Manzoni seine Nähe zu Thierry deutlich.
Auch sah Manzoni die Geschichte als zu ernste Angelegenheit an, als dass sie ein Dichter
manipulieren dürfe. Erlaubt sei lediglich eine Vervollständigung der Geschichte, ein
Freilegen der historischen und menschlichen Wahrheiten. Er wollte den Ereignissen die
Dimension der „Dichtung“ hinzufügen und entwickelte so eine Technik aus echter
Geschichte und echter Poetik, also das Projizieren der Fakten und Effekte äußerer
Einflüsse auf die menschliche Seele. Ein Fakt, der ihn in seinen theoretischen Schriften
besonders beschäftigte. Sein Roman ist so eine Mischung aus Geschichte und Erfindung,
ein Einarbeiten fiktiver Personen in einen historischen Hintergrund, dies aber in strenger
Übereinstimmung mit den Besonderheiten der historischen Epoche. So schrieb er 1821 an
Fauriel über sein Konzept der Darstellung der Gesellschaft so nah an der Wirklichkeit, dass
man tatsächlich denken könne, hier würde eine wahre Geschichte ans Licht gebracht:
Pour vous indiquer brièvement mon idée principale sur les romans historiques, […] je les conçois
comme une représentation d’un état donné de la société par le moyen de faits et de caractères si
semblables à la réalité, qu’on puisse les croire une histoire véritable.5
Um dies zu erreichen, betrieb Manzoni ein ausführliches Quellenstudium, las 1821 die
Mailänder Geschichte von Ripamonti und einen Band über Wirtschaft von Gioia. Von dem
einen nahm er den Impuls für die Geschichte, vom anderen die Sinnlosigkeit der Gesetze.
Weitere wichtige Quellen waren De Peste von Ripamonti, auch De Pestilentia des
Kardinals Borromeo, Manzonis eigene Vorarbeit in den Discorsi sopra alcuni punti della
storia longobardica in Italia, aber auch eine Schrift von Rivola Vita del cardinale
Federico Borromeo und Tadino, der ja selbst als historische Persönlichkeit im Roman
5 Zitiert nach Lizium, K. (1993), S. 1.
vorkommt. Manzoni verzichtet fast gänzlich auf Erfindung und greift vielmehr auf die
Geschichte als einzige und unerschöpfliche Quelle zurück und konnte so seiner Vorliebe
für die Rekonstruktion der Vergangenheit einfacher Leute nachkommen.
Er betrachtet ein historisches Schicksal seiner Protagonisten in der Lombardei um 1630,
das Grundmuster ist dabei die Trennung eines Liebespaares, das sich nach einer Reihe
abenteuerlicher Verwicklungen wieder vereint, eines der ältesten literarischen Themen, das
schon auf den hellenistischen Liebesroman zurückgeht. Programmatisch ist sein Werk an
den historischen Roman Walter Scotts angelehnt (insbesondere Ivanhoe). Manzoni
rekonstruiert dabei als Beobachter, Historiker und Philosoph.
Grundthema ist jedoch nicht die konkrete historische Krise der nationalen Geschichte (im
Vergleich zu Scott rücken historisch bedeutende Ereignisse noch weiter in den
Hintergrund), sondern eher die Krisenhaftigkeit des ganzen Lebens des italienischen
Volkes durch Kleinstaaterei und Fremdherrschaft. So steht die Erzählung eines privaten
Schicksals vor dem Hintergrund des Schicksals eines Landes, eines Volkes. Das Schicksal
der Protagonisten Renzo und Lucia ist eine regionale Geschichte, deren Bedeutung für
ganz Italien eher marginal ist, steht aber dennoch exemplarisch für ganz Italien und wächst
zur Tragöde des ganzen italienischen Volkes im Zustand der nationalen Erniedrigung und
Zerstückelung. Durch die Veranschaulichung der Bedeutung der Grenze, der
Fremdherrschaft und der Mechanismen politischer Willensbildung in der Stadt, wird der
Roman auch als Risorgimento Roman lesbar. Nicht umsonst stellte Giusti später fest: „Ein
kleiner Roman, in dem von Verlobten die Rede ist, wird zum Epos eines unterdrückten
Volkes und seiner Unterdrücker.“6 Diese Verknüpfung von kleinem und großem Schicksal
ist gleichsam innovativer Aspekt des Werkes.
Dabei kehrt Manzoni bisherige Kriterien und Werte um, er stellt Autoritätspersonen zur
Schau, deren moralische Armseligkeit und Egoismus, ihre Überheblichkeit und ihr
Hochmut werden verurteilt. Manzoni zeigt keinerlei Verständnis dafür, wie sie ihre Macht
ausüben, lässt weder Staatsräson noch andere Rechtfertigungen gelten. Er macht den
Mächtigen den Prozess für ihre Taten und Irrtümer.
6 Vgl. Petronio, G. (1993), S. 331.
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