Im Rahmen dieser Arbeit wird gezeigt, dass die Beschäftigung mit mittelhochdeutscher Literatur insbesondere im Zusammenhang mit den Methoden "Lyrik hören" und "Lyrik hörbar machen" durchaus fruchtbar sein kann und in der Schule ihren berechtigten Platz hat. Es wird der Frage nachgegangen, wieso Lyrik im Unterricht überhaupt akustisch präsentiert werden soll. Hierbei werden auch Ziele des Lehrplans genannt, die dadurch erreicht werden können und verschiedene Unterrichtsideen präsentiert. Daraufhin wird begründet, warum sich dabei der Einsatz von mittelalterlichen Gedichten ganz besonders anbietet - insbesondere die Affinität zwischen mittelalterlicher Dichtung und moderner Musik wird hier verdeutlicht. Anschließend wird ein konkreter Unterrichtsvorschlag für die Oberstufe am Gymnasium vorgestellt. Dabei wird in der Sachanalyse zunächst geklärt, worum es sich bei Gedichten überhaupt handelt. Als Beispiele werden dann der Text „Es fuegt sich“ (auch "Lebensballade" oder "Kl18" gemäß der Edition von Klein genannt) von Oswald von Wolkenstein (~1377-1455) und eine moderne Adaption dieses Liedes von der Band No Trouble At All untersucht. An die fachwissenschaftliche Analyse der mittelhochdeutschen und der neuen Fassung schließen sich eine didaktische Untersuchung des Gegenstandes sowie eine Lernzielanalyse an. Die pädagogisch-psychologische Einschätzung der Schüler der 13. Klasse und das Erläutern einer Unterrichtsskizze sowie des erarbeiteten Arbeitsmaterials zusammen mit weiteren Ideen runden den Unterrichtsvorschlag ab. Zum Schluss wird noch einmal zusammenfassend aufgezeigt, dass die mittelalterlichen Texte und Stoffe in der Schule durchaus nützlich sind und aufgrund der Wahlmöglichkeiten, die der Lehrplan bietet, häufiger als nur in der siebten Jahrgangsstufe, wie im G8 vorgesehen, eingesetzt werden können.
Neben einem ausführlichen Literaturverzeichnis befinden sich im Anhang der Arbeit beide Primärtexte sowie alle für die Umsetzung des Unterrichtsvorschlags notwendigen Materialien.
Inhaltsverzeichnis
1. Mittelalterliche Texte und Stoffe im Unterricht
1.1. Mittelalterliche Literatur im Lehrplan des Gymnasiums
1.2. Ziele der Arbeit
2. Lyrik hören und hörbar machen
2.1. Lyrik hören
2.2. Lyrik hörbar machen
2.3. Wieso gerade mittelhochdeutsche Lyrik?
3. Unterrichtsvorschlag
3.1. Fachwissenschaftliche Analyse
3.1.1. Definition und Funktionen von Gedichten
3.1.2. Oswald von Wolkenstein: „Es fuegt sich“
3.1.3. Die Adaption von „Es fuegt sich“ durch No Trouble At All
3.2. Didaktische Analyse der Texte
3.3. Lernzielanalyse
3.4. Pädagogisch-psychologische Einschätzung
3.5. Unterrichtsplan
3.6. Weiterführende Unterrichtsvorschläge
4. Schlussbemerkungen
Literatur- und Medienverzeichnis
Gedruckte Literatur
Online-Ressourcen und Hörmedien
Bildnachweise
Anhang
Anlage 1: Oswald von Wolkenstein: „Es fuegt sich“
Anlage 2: No Trouble At All: „Es fugt sich“
Anlage 3: Unterrichtsskizze
Anlage 4: Arbeitsblatt 1
Anlage 5: Arbeitsblatt 2
1. Mittelalterliche Texte und Stoffe im Unterricht
1.1. Mittelalterliche Literatur im Lehrplan des Gymnasiums
„Das Mittelalter ist eine höchst bedeutsame Epoche in unserer (deutschen und europäischen) Kultur- und Literaturgeschichte.“[1] – so lautet der erste Satz der Erläuterungen zum Hauptseminar „Mittelalterliche Texte und Stoffe im Unterricht“. Dass das Mittelalter im gegenwärtigen Kulturleben tatsächlich präsent ist, zeigen nicht nur die vielen Ausstellungen mit mittelalterlichen Themen, sondern auch die zahlreichen mittelalterlichen Stadtfeste und Märkte sowie Musiker, Handwerker und Händler, die bei solchen Festivitäten inszenieren, was sie für mittelalterliches Leben halten.[2] Das rege Mittelalterinteresse drückt sich auch in literarischen Verarbeitungen mittelalterlicher Stoffe durch zeitgenössische Autoren aus.[3] Neben der so vermittelten Kulturtradition ist aber die Literatur des Mittelalters selbst „integraler Bestandteil der deutschen Literaturgeschichte.“[4] Doch dieser hohe Stellenwert des Mittelalters und seiner Literatur außerhalb der Schule findet in den Lehrplänen keine Resonanz, selbst am Gymnasium nicht. Für das Gymnasium in Bayern gelten derzeit zwei verschiedene Lehrpläne. Die zehnte Klasse sowie die Oberstufe werden noch nach dem auslaufenden G9-Lehrplan unterrichtet, für die fünfte bis neunte Jahrgangsstufe gilt bereits der G8-Lehrplan.[5] Der neue Lehrplan sieht nur in der siebten Klasse die Beschäftigung mit mittelalterlicher Literatur im Fach Deutsch vor: „Vertrautwerden mit Stoffen des Mittelalters [--> G 7.1], auch in jugendgemäßer Bearbeitung: Lesen und Verstehen ausgewählter Texte, z. B. zu den Themen Erziehung, Frau, Heldentum, Liebe“[6]. Im G9-Lehrplan war auch in der achten Klasse die Beschäftigung mit der Literatur des Mittelalters angedacht und Bereiche daraus wurden sogar zum Grundwissen gezählt.[7] Der G9-Lehrplan fordert des Weiteren explizit im Grundkurs der 13. Jahrgangsstufe (hier momentan ja noch gültig) „Lyrik im Epochen- und Motivvergleich vom Mittelalter bis zur Gegenwart“[8] bzw. im Leistungskurs „Lyrik in Epochen- und Motivvergleichen vom Mittelalter über Barock und Neuzeit bis zur Gegenwart“[9] zu behandeln sowie den „Parzival“ als Ganzschrift zu lesen, wohingegen im momentanen Lehrplanentwurf für die Oberstufe des G8 die mittelalterliche Literatur keine Erwähnung mehr findet.[10]
1.2. Ziele der Arbeit
Dass die Beschäftigung mit mittelhochdeutscher Literatur aber durchaus fruchtbar sein kann und in der Schule ihren berechtigten Platz hat, soll im Rahmen dieser Hausarbeit insbesondere im Zusammenhang mit den Methoden „Lyrik hören“ und „Lyrik hörbar machen“[11] gezeigt werden. Es wird der Frage nachgegangen, wieso Lyrik im Unterricht überhaupt akustisch präsentiert werden soll. Hierbei werden auch Ziele des Lehrplans genannt, die dadurch erreicht werden können und verschiedene Unterrichtsideen präsentiert. Daraufhin wird begründet, warum sich dabei der Einsatz von mittelalterlichen Gedichten ganz besonders anbietet. Anschließend wird ein konkreter Unterrichtsvorschlag für die Oberstufe am Gymnasium vorgestellt. Dabei wird in der Sachanalyse zunächst geklärt, worum es sich bei Gedichten überhaupt handelt. Als Beispiele werden dann der Text „Es fuegt sich“ von Oswald von Wolkenstein und eine moderne Adaption dieses Liedes vorgestellt. An die fachwissenschaftliche Analyse der mittelhochdeutschen und der neuen Fassung schließen sich eine didaktische Untersuchung des Gegenstandes sowie eine Lernzielanalyse an. Die pädagogisch-psychologische Einschätzung der Schüler[12] der 13. Klasse und das Erläutern einer Unterrichtsskizze sowie des erarbeiteten Arbeitsmaterials zusammen mit weiteren Ideen runden den Unterrichtsvorschlag ab. Zum Schluss wird noch einmal zusammenfassend aufgezeigt, dass die mittelalterlichen Texte und Stoffe in der Schule durchaus nützlich sind und aufgrund der Wahlmöglichkeiten, die der Lehrplan bietet, häufiger als nur in der siebten Jahrgangsstufe, wie im G8 vorgesehen, eingesetzt werden können.
2. Lyrik hören und hörbar machen
2.1. Lyrik hören
Literatur mit den Ohren aufzunehmen, hat viele Vorteile. Beispielsweise ist durch das Vortragen von Texten oder Vorspielen einer Aufnahme die Faszination der menschlichen Stimme nutzbar, die sog. „Magie der Sprache“. Hören kann des Weiteren leichter sein als Lesen. Denn wenn ein Text akustisch eingespielt wird, können Stimmführung, Untermalung mit Musik und/oder Geräuschen sowie ein Vortrag mit verteilten Rollen das Verständnis erleichtern. So ist es möglich, Schüler, die nicht gerne lesen, vermehrt einzubeziehen. Gerade bei diesen kann dadurch auch Freude an literarischen Texten geweckt werden. Wenn etwas leichter verstanden wird, kann eine größere Aufgeschlossenheit für das Thema des Unterrichts erreicht werden; das ist umso nötiger, je fremder den Schülern der Stoff ist. Insbesondere die Untermalung mit Musik und Geräuschen kann eine Atmosphäre schaffen, die den Zugang zum Inhalt erleichtert. Dies regt den Zuhörer zu kognitiver und motivationaler Aktivität an, d. h. er stellt sich Fragen, z. B. ob Vortrag und Prosodie stimmig sind. Der Zuhörer ist aufgefordert, Sinnzusammenhänge zu konstruieren und das Langzeitgedächtnis hierfür zu bemühen. Nicht zuletzt sei noch darauf verwiesen, dass bereits die ursprüngliche Wortbedeutung von „Lyrik“ als „Zur Leier-Begleitung Gesungenes“[13] geradezu einen akustischen Einsatz von Lyrik im Unterricht fordert und die Schüler aus ihrer Lebenswelt den gesungenen Gedichtvortrag bestens kennen, weil sich auch die meisten modernen Lieder reimen und häufig über weitere Spezifika eines lyrischen Textes verfügen. Mit der Arbeit an akustisch präsentierter Lyrik kann auch Schülern entgegen gekommen werden, die auditive Lerntypen sind.
Damit diese Chancen, die das Hören von Lyrik bietet, optimal genutzt werden können, ist auf die Qualität des Hörmediums zu achten, insbesondere auf die für das Verständnis geleisteten Hilfestellungen. Geräusche dienen nur dann als Verständnishilfe, wenn sie den Schülern bekannt sind. Der Klang unbekannter Musikinstrumente kann ebenfalls leicht zu nicht gewollter Verwirrung führen. Hören ist unter Umständen anstrengender und ermüdender als Lesen, weil ständig der Laut- und Redefluss des/der Vortragenden vom Zuhörer segmentiert werden muss. Besonders schwierig ist das, wenn viele unbekannte Wörter im Text vorkommen. Deshalb ist die Rezeptionsfähigkeit der Schüler im Verhältnis zur geforderten Zuhördauer sowie zur Vortragsgeschwindigkeit zu beachten. Außerdem muss man sich darüber im Klaren sein, dass das Präsentieren eines Textes als Hörmedium den Schülern evtl. die Möglichkeit nimmt, im eigenen Tempo zu lesen, einzelne Textpassagen mehrmals zu lesen und Tonfall sowie Akzentuierung des Textvortrags selbst, nach der eigenen Interpretation des Textes, zu bestimmen.
Die momentan gültigen Lehrpläne für das Gymnasium kennen mehrere Ziele, die direkt oder indirekt mit dem Hören zusammenhängen und die durch den akustischen Einsatz von Lyrik erreicht werden können. Schon im Fachprofil Deutsch wird im G8-Lehrplan festgeschrieben, dass die Schüler im Rahmen des Deutschunterrichts begreifen sollen,
„dass mündliche Kommunikation das bewusste und konzentrierte Zuhören ebenso erfordert wie das Einhalten von Regeln. Vorlesen, Vortragen und Gestalten sind besonders geeignet, Sprachbewusstsein zu erzeugen, die Bedeutung und Wirkung von Sprache erfahrbar zu machen, Imaginationsfähigkeit auszubilden sowie die inhaltliche und motivliche wie die sprachlich-ästhetische Qualität von Literatur zu erfassen.“[14]
Im Rahmen der Hörerziehung kann durch den akustischen Einsatz von Lyrik die Fähigkeit, aktiv, selektiv und sinnkonstituierend akustische Reize wahrzunehmen, geschult werden. Gerade auch die Imaginationsfähigkeit wird dadurch gefördert, weil Hören andere Bilder im Kopf entstehen lässt als Lesen. So können sich Lesen und Hören gegenseitig positiv bedingen. Das gilt insbesondere, wenn die Schüler sich mit dem Verhältnis von vorgelesener und selbst gelesener Literatur auseinandersetzen und/oder selbst gesprochene Literatur produzieren (vgl. Punkt 2.2.). Weiter heißt es im Fachprofil, dass Aufgeschlossenheit für Literatur bei den Schülern erreicht werden soll. Da der Zugang über Hören oft einfacher ist, bietet sich hierfür ebenfalls der akustische Einsatz von Lyrik an. Im G8 gehört es außerdem bereits in der Unterstufe zum Grundwissen, dass die Schüler Gehörtes mündlich wiedergeben können sollen. Folglich empfiehlt es sich, auch hier die erste Begegnung mit einem lyrischen Text rein akustisch ablaufen zu lassen. In der 10. Jahrgangsstufe des G8 ist des Weiteren im aktuellen Lehrplanentwurf vorgesehen, dass das Zuhören geschult werden soll. Die Schüler sollen über das Gehörte Rückmeldungen geben, dazu einen Fragenkatalog entwickeln sowie gezielt und differenziert Fragen stellen. Daneben wird durch den akustischen Einsatz von Lyrik allgemein ein Einblick in die Klangqualität von Sprache geleistet, was zur ästhetischen Bildung beitragen kann, die bereits im Vorwort des G8-Lehrplans proklamiert wird:
„Die ästhetische Bildung, die das Gymnasium vermittelt, ermöglicht es den Heranwachsenden, durch differenziertes Wahrnehmen, Erleben und Gestalten Zugänge zu künstlerischen Leistungen zu entwickeln, die das Leben und die eigene Persönlichkeit bereichern. Sie hilft den jungen Menschen auch, sich der Bedeutung von Stil und Form für die persönliche Lebensgestaltung bewusst zu werden.“[15]
Letztendlich sollten die Schüler bei der Untersuchung von gehörter Lyrik also stets auch befähigt werden, die gehörte(n) Version(en) zu bewerten und ihre Bewertung möglichst rational zu begründen (obwohl v. a. Musik immer auch subjektive Geschmacksfrage bleiben wird). Je vielfältiger das Angebot an Hörfassungen ist, desto mehr wird den Schülern klar, dass sich das Verständnis und die Interpretation eines Textes in dessen akustischer Umsetzung manifestieren[16] und dass lyrische Gedichte sehr vieldeutig sind. Mit dieser Vieldeutigkeit muss der Schüler umzugehen lernen.[17]
Wie nun Lyrik konkret akustisch im Unterricht eingesetzt wird, hängt von den gewählten Zielen, der Klassensituation und vielem mehr ab. Man kann z. B. verschiedene Ebenen untersuchen, darunter Darstellung und Inhalt. Des Weiteren kann auch die Ebene der beim Publikum angestrebten Wirkung unter die Lupe genommen werden, also was wohl die Intention des Autors bzw. des Interpreten war und wie das Stück auf einen selbst wirkt. Außerdem bietet es sich an, die Ebene der Gegenstandsangemessenheit der akustischen Umsetzung zu analysieren: Ist die Musik dem Inhalt/Thema angemessen? Lyrik im Unterricht als gehörtes Medium einzusetzen, ist in verschiedenen Sozialformen realisierbar. Der Lehrer kann das Abspielen der Aufnahme zentral gestalten, beispielsweise indem er eine CD oder Kassette in einen tragbaren CD- oder Kassettenspieler einlegt. Wenn die Schule über ein Sprachlabor verfügt, kann das Hören der Aufnahme auch dort erfolgen, entweder mit oder ohne Kopfhörer. Es besteht auch die Möglichkeit, das Hören des Stückes bzw. der Stücke als Einzel- oder Stationenarbeit am Computer mit Kopfhörern per Powerpoint-Präsentation oder Lernsoftware zu konzipieren. Hierdurch kann der Nachteil ausgeglichen werden, dass die Schüler beim Vorspielen eines Liedes von Kassette oder CD durch den Lehrer nicht ihrem eigenen Zuhör- und Verständnistempo folgen können. So ist es möglich, bestimmte Stellen ein zweites Mal zu hören und Pausen zu machen. Speziell durch die Kopfhörer werden alle anderen Geräusche der Umwelt, die störend auf die Rezeption wirken könnten, ausgespart. Folglich kann man sich besser auf das Gehörte konzentrieren und das Rezeptionsvermögen steigt.
2.2. Lyrik hörbar machen
Lyrik kann von Schülern nicht nur durch vorgefertigte Aufnahmen hörend rezipiert werden, sondern sie können solche auch selbst produzieren. So kann die Neigung speziell junger Menschen genutzt und gefördert werden, mit Sprache zu experimentieren. Wenn Schüler versuchen, sich selbst lyrisch zu artikulieren, können sie erfahren, wie sich Kreativität gerade innerhalb vorgegebener Regeln entfalten kann. Strophen vorzutragen, lässt die Schüler erkennen, dass sich die Interpretation eines Textes in dessen akustischer Umsetzung äußert und dass eine bestimmte Vortragsweise gewisse Annahmen und Wirkungen im Publikum zur Folge hat. Das Aussprechen eines Textes fördert des Weiteren das Fremdverstehen und die Empathiefähigkeit. Außerdem regt schon allein das Entwickeln von Ideen für eine akustische Umsetzung eines lyrischen Textes die Imaginationsfähigkeit stark an. Lyrik hörbar zu machen kann auch bedeuten, einen lyrischen Text zu vertonen; hier können insbesondere Schüler mit musischen Talenten angesprochen werden.
Bei dieser Art des handlungs- und produktionsorientierten Umgangs mit Texten ist immer zu beachten, dass es Schüler gibt, die eine mehr oder weniger große Scheu davor haben, vor ihre Klasse zu treten oder sich auch nur laut zu äußern. Diese werden für das Produzieren von Höraufnahmen von Lyrik mit ihrer eigenen Stimme nur schwer zu aktivieren sein. Außerdem brauchen Rezitieren und mimisches sowie gestisches Sich Ausdrücken Übung. So ist auch nicht jeder Schüler musisch begabt oder verfügt über eine angenehme Vorlesestimme. Dennoch sollte man klar sehen, dass von Schülern nicht erwartet wird, perfekte Ergebnisse abzuliefern. Vielmehr geht es darum, wie Spinner es treffend beschreibt, „sich (...) im Rahmen der eigenen Möglichkeiten künstlerisch, musikalisch und literarisch zu beschäftigen.“[18]
Im Lehrplan des G8 wird zum Fachprofil des Faches Deutsch ausgeführt, dass die Schüler lernen sollen, Sprache als gestaltbares Medium zu verstehen. Indem die Schüler Lyrik hörbar machen, kann dieses Ziel erreicht werden. In der siebten Jahrgangsstufe ist dann das Vortragen selbst Gegenstand des Unterrichts. Denn zur Schulung der rhetorischen Fähigkeiten der Schüler sollen immer wieder Übungen zum Sprechen eingeflochten werden, beispielsweise zu Artikulation und Sprachtempo; gesonderte Aufmerksamkeit soll dabei auch der Körpersprache geschenkt werden. Insgesamt soll in der Unterstufe sinnbetontes, interpretierendes und gestaltendes Vorlesen und Vortragen geübt werden. Auch hier kann das akustische Experimentieren mit lyrischen Texten hilfreich sein. Im noch gültigen G9-Lehrplan heißt es für die Oberstufe, dass die Schüler sowohl sinn- und formgerechtes Vortragen bzw. Vortragen als auch das freie und gestaltende Vortragen literarischer Texte lernen sollen. Dazu gehören das Wissen und Anwenden von Bedingungen und Mitteln sach- und hörergerechten sowie wirkungsvollen Vortragens in Bezug auf Referate. Auch hier kann es sinnvoll sein, diese Fähigkeiten durch den eher spielerischen Umgang mit Lyrik zu trainieren.
Die konkrete Umsetzung im Unterricht kann fast immer mit der einfachen Rezitation des Textes beginnen und bis hin zum Üben eines kunstvollen Vortrags gehen. Hierbei kann der Fokus auf die Wirkung, die beim Publikum hervorgerufen werden soll, oder auf den Anlass, zu dem der Text geschrieben wurde, gelegt werden. Das Erproben von Sprechvarianten sowie vielleicht vorsätzliche akustische Textverfremdung durch übertriebenes Skandieren oder Verschleifen der Verse können dies unterstützen. Die Rezitation kann des Weiteren ein- oder mehrstimmig erfolgen. Schließlich kann man die sprachliche Darbietung des Gedichts erweitern durch szenisches Darstellen. Der vortragende Schüler selbst kann die gesprochenen Worte durch Mimik und Gestik unterstreichen oder andere Schüler spielen parallel bzw. im Anschluss an die Rezitationssequenz den Inhalt nach. Bei Letzterem wäre es möglich, dass der zuvor in Gedichtform präsentierte Text in Prosasprache oder sogar umgangssprachlich im Dialekt von den Schülern formuliert wird. Neben der szenischen Darstellung gibt es die Möglichkeit, die Rezitation durch Musik und/oder Geräusche zu untermalen. In Zusammenarbeit mit dem Musiklehrer könnte das Spielen einer möglicherweise bekannten oder erfundenen Melodie auf verschiedenen Instrumenten eingeübt werden. Aber auch selbst gewählte, andere Melodien und/oder Geräusche oder Zusammenschnitte aus diesen eignen sich als Hintergrund. Um die Phantasie der Schüler bestmöglich zu fördern, darf bei diesen Vorhaben den Schülern noch keine Hörfassung bekannt sein. Wurde dagegen den Schülern bereits eine Aufnahme präsentiert, können die Schüler, nach der Klärung des Inhalts, den Text durch Schreiben einer eigenen Strophe fortsetzen. Des Weiteren ist szenisches Darstellen auch nach der Begegnung mit dem Hörtext produktiv, wenn die Schüler sich überlegen müssen, wie sie das Gehörte pantomimisch umsetzen würden. Es gibt auch noch die Möglichkeit, verschiedene Hör-Collagen zu erstellen. Die Schüler können dabei auf ihr Vorwissen über den Inhalt des Gedichts und die Textgattung selbst zurückgreifen. Man kann ihnen aber auch Informationen in Form eines Sachtextes oder nur einzelne Stichworte vorlegen, die eingearbeitet werden sollen. Diese Collagen können aus Zusammenschnitten des professionell vorgelesenen oder vorgesungenen Textes und einer selbst gesprochenen/gesungenen Fassung bestehen. Möchte man das Spektrum ausweiten, können in die Collage mehrere Texte desselben Autors eingebunden werden. Die Collage kann auch zu einer bestimmten Lyrikgattung erstellt werden. Alle Ergebnisse dieses produktiven und handlungsorientierten Umgangs mit Lyrik könnten in Form von Podcasts[19] auf einer Internetseite zur Verfügung gestellt werden als Ton- oder Videoaufzeichnungen. Dieses Präsentieren der Ergebnisse ermöglicht es, dass sie ihren einsehbaren Stellenwert im Unterrichtszusammenhang erhalten und das nicht nur im Rahmen der Klasse selbst, wie es z. B. durch Vorspielen der eigenen Vertonung vor den Klassenkammeraden geschieht, sondern auch in der Öffentlichkeit. In welchen Sozialformen dies alles umgesetzt wird, hängt von den jeweiligen Aufgaben ab. Häufig dürfte sich Gruppenarbeit anbieten. Aber auch als Hausaufgabe wäre es denkbar, den Schülern aufzugeben, Versuche lyrischer Selbstartikulation vorzunehmen. Damit hätten die Schüler einen gewissen Übungsvorsprung und könnten selbstbewusster ihre akustische Interpretation des Textes hervorbringen.[20]
[...]
[1] Erläuterungen zu den Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2007 (Online-Ressource, im Folgenden abgekürzt als OR), 33.
[2] Vgl. Jentzsch (1998), 3.
[3] Vgl. Karg (1998), 10.
[4] Kern (2001), 29.
[5] Vgl. Lehrplanverzeichnis (OR), 1, 6.
[6] Lehrplan G8, Jahrgangsstufe 7 (OR).
[7] Vgl. Lehrplan G9, Deutsch (OR), 22/323.
[8] ebenda, 49/350.
[9] ebenda, 58/359.
[10] Vgl. Lehrplan G8, Seminarstufe (OR).
[11] Ich beziehe mich dabei insbesondere auf die Ausführungen von Müller (2004), 6-13.
[12] Der Kürze und Lesbarkeit halber ist im Text von „Lehrern“ und „Schülern“ die Rede. Dass das Kollegium eines Gymnasiums in der Regel aus Frauen und Männern, die Schülerschaft aus Mädchen und Jungen besteht, wurde überall mit bedacht.
[13] Hassenstein (1998), 625.
[14] Lehrplan G8, Fachprofil Deutsch (OR).
[15] Lehrplan G8, Vorbemerkungen (OR).
[16] Jede Vertonung eines Gedichts bedeutet bereits Interpretation und ist mit Problemen behaftet, z. B. wenn der musikalische Rhythmus nicht identisch ist mit dem sprachlichen Rhythmus oder dem Versschema. Vgl. Schäfer (1987), 205, 208.
[17] Vgl. hierzu auch die Lernziele, die Hassenstein (1998), 639, allgemein für den Lyrikunterricht aufstellt.
[18] Spinner (1999), 35.
[19] Vgl. Podcasting im Unterricht (OR).
[20] Die Verfasserin ist sich bewusst, dass häufig das Auswendiglernen eines Gedichtes als Hausaufgabe gegeben wird und dann das Aufsagen zur Leistungsbeurteilung genutzt wird. Doch dieses ist hier nicht gemeint, sondern der Versuch, den Schülern Gelegenheit zu geben, sich mit einem Gedicht ohne Druck vertraut zu machen und so ein unkontrolliertes sich Einbringen in die Ästhetik und Ausdrucksstärke eines lyrischen Textes zu ermöglichen. Vgl. hierzu auch die von Hassenstein (1999), 643f., allgemein aufgeführten Probleme bei der Bewertung von Leistungen im Lyrikunterricht.
- Arbeit zitieren
- Tanja Wagner (Autor:in), 2008, Akustischer Einsatz mittelalterlicher Lyrik im Deutschunterricht am Beispiel der modernen Version eines Lieds von Oswald von Wolkenstein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91634
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