Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, ob die Erziehung und Betreuung in einer Kinderkrippe den Bedürfnissen eines Kleinkindes entspricht und eine gesunde Entwicklung ermöglicht.
Nach der Schaffung von Grundlagen, besonders hinsichtlich der aktuellen Situation in Deutschland, werden verschiedene wissenschaftliche Bereiche bezüglich des Themas beleuchtet und am Ende jeweils mit einem Resümee abgeschlossen. Jede eigene Abhandlung und jedes Resümee zeigen verschiedene schwerwiegende Risiken einer Krippenerziehung auf, da diese Art der Erziehung und Betreuung den Bedürfnissen des Kleinkindes in den wichtigsten Bereichen nicht gerecht wird.
Nach diesem Block werden zur Veranschaulichung verschiedene Konzeptionen vor- und gegenübergestellt.
Das Ergebnis ist, dass eine optimale Erziehung von Kleinkindern nur in der Familie gewährleistet werden kann, wofür jedoch einige Bedingungen erfüllt sein müssen. In bestimmten problematischen Fällen kann eine Fremdbetreuung dennoch die bessere, aber nicht optimale Lösung sein.
Die Schlussfolgerung dieser Arbeit ist, dass die Familien aufgrund der derzeitigen Lage verstärkt familienpolitisch und gesellschaftlich unterstützt werden müssen, aber nicht durch die Verlagerung des Kindes in eine Fremdbetreuung. Maßnahmen müssen die Familie als Einheit sehen und dementsprechend fördern, um dem Wohl des Kindes gerecht zu werden.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
1. Einleitung
1.1. Motivation zum Thema
1.2. Aktualität des Themas
1.3. Zielsetzung und Aufbau
2. Zu den Grundlagen der Erziehung in Krippen
2.1. Zum Verständnis - Worterklärungen
2.1.1. Erziehung
2.1.2. Frühkindliche Erziehung
2.1.3. Außerfamiliäre/ außerfamiliale Erziehung
2.1.4. Innerfamiliale Erziehung/ Familienerziehung
2.1.5. Frühpädagogik
2.1.6. Kindertageseinrichtung und Kinderkrippe
2.2. Geschichte der Kleinkindpädagogik
2.2.1. Die Entwicklung bis 1900
2.2.2. Veränderungen ab 1900
2.2.3. Entwicklungen seit 1960
2.2.3.1. Die antiautoritäre Kinderladen-Bewegung
2.2.3.2. Strukturelle Veränderungen in den Krippen
2.3. Aktuelle Entwicklungen
2.3.1. Die moderne Kindheit
2.3.2. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft
2.3.3. Die „vaterlose Gesellschaft“
2.3.4. Die aktuelle Familienpolitik
2.3.5. Gründe für die Entscheidung zur Krippenbetreuung
2.3.6. Studien zur Thematik Kleinkindererziehung und Familie
2.3.6.1. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung junger Eltern
2.3.6.2. ifo Projekt
2.3.6.3. Ergebnisse des Arnold Bergstraesser Instituts Freiburg
2.3.6.4. Ergebnisse der Zeitschrift „ELTERN“ und „ELTERN for family“
2.3.6.5. Emnid Studie: Wie Mütter in Deutschland wirklich sind
2.4. Zur Situation von Kleinkindern
2.4.1. Ergebnisse des „Zwölften Kinder- und Jugendberichtes“ hinsichtlich der Kleinkindpädagogik mit kritischer Hinterfragung
2.4.1.1. Grundlegendes
2.4.1.2. Bildungsprozesse in den ersten Jahren
2.4.1.3. Leistungen und Veränderungsmöglichkeiten der Bildungswelten
2.4.1.4. Kritische Hinterfragung
2.4.2. Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan (BEP)
2.4.2.1. Menschenbild und Grundsätze des BEP
2.4.2.2. Basiskompetenzen
2.4.2.3. Themenübergreifende und themenbezogeneZiele
2.4.2.4. Schlüsselprozesse für Erziehungsqualität
2.4.2.5. Kritik am BEP hinsichtlich der Kinderkrippen
2.4.3. Rechtliche Grundlagen
2.4.3.1. Artikel 6 des Grundgesetzes
2.4.3.2. Neue Bundesgesetze: TAG und KICK
2.4.3.3. Das Bayerische Kinderbildungs- und –betreuungsgesetz (BayKiBiG)
3. Human- und Sozialwissenschaftliche Ergebnisse
3.1. Familiensoziologie nach Rene König
3.1.1. Definition der Familie
3.1.2. Das Verhältnis von Familie und Wirtschaft
3.1.3. Die Bedeutung der Kontinuität in der Familie
3.1.4. Der Desintegrationsprozess
3.1.5. Die sozial-kulturelle Persönlichkeit
3.1.6. Resümee und Schlussfolgerungen
3.2. Hirnforschung und Neurobiologie nach Lise Eliot
3.2.1. Das Gehirn: Gene und Umwelt
3.2.2. Körperkontakte
3.2.3. Die Sinnesorgane
3.2.3.1. Der Geruchsinn
3.2.3.2. Das Sehen
3.2.3.3. Das Hören
3.2.4. Motorik
3.2.5. Soziale und emotionale Entwicklung
3.2.5.1. Grundlagen
3.2.5.2. Entwicklung des limbischen Systems
3.2.5.3. Temperament und Persönlichkeit
3.2.5.4. Das Sozialleben
3.2.5.5. Emotionales Lernen
3.2.5.6. Die Bedeutung der Mutter-Kind-Bindung
3.2.5.7. Die Objektpermanenz
3.2.5.8. Außerfamiliäre Betreuung
3.2.5.9. Soziale und emotionale Deprivation
3.2.6. Gedächtnis
3.2.6.1. Das präexplizite Gedächtnis
3.2.6.2. Das explizite Gedächtnis
3.2.7. Sprache
3.2.7.1. Die Sprachentwicklung
3.2.7.2. Die Rolle der Erfahrung
3.2.8. Die Intelligenz
3.2.8.1. Die Entwicklung der Intelligenz
3.2.8.2. Gene und Milieu
3.2.9. Resümee und Schlussfolgerungen
3.2.9.1. Entwicklungsbedingungen
3.2.9.2. Die Eltern-Kind-Bindung
3.2.9.3. Die Folgen bei Trennung
3.2.9.4. Die Bedeutung des Stillens
3.2.9.5. Die kognitive Entwicklung
3.2.9.6. Sozial benachteiligte Kinder
3.3. Psychologie
3.3.1. Die Entwicklungspsychologie des Kleinkindes nach Hellgard Rauh
3.3.1.1. Frühe Kindheit als Lebensabschnitt
3.3.1.2. Erstes Stadium (bis sechs Monate)
3.3.1.3. Zweites Stadium (sechs bis acht Monate)
3.3.1.4. Drittes Stadium (acht bis zehn Monate)
3.3.1.5. Viertes Stadium (zehn bis zwölf Monate)
3.3.1.6. Fünftes Stadium (bis drei Jahre)
3.3.1.7. Resümee und Schlussfolgerungen
3.3.2. Die Mutter-Kind-Beziehung nach Rene Spitz
3.3.2.1. Die besondere Beziehung zwischen Mutter und Kind
3.3.2.2. Auswirkungen der Beziehung auf die Entwicklung des Kindes
3.3.2.3. Geschädigte Mutter-Kind-Beziehung und ihre Folgen
3.3.2.4. Resümee und Schlussfolgerungen
3.3.3. Die Bindungsforschung nach John Bowlby
3.3.3.1. Die Rolle der Familie
3.3.3.2. Seelische Gesundheit
3.3.3.3. Die „Mutterentbehrung“
3.3.3.4. Schäden der Deprivation
3.3.3.5. Beobachtungen an Kleinkindern in Heimen
3.3.3.6. Retrospektive Untersuchungen
3.3.3.7. Außerfamiliäre Erziehung
3.3.3.8. Resümee und Schlussfolgerungen
3.3.4. Die Antriebslehre nach Christa Meves (Kinder- und Jugendpsychotherapeutin)
3.3.4.1. Kinderpsychologie und Ethologie
3.3.4.2. Die Theorie der Instinkthandlung
3.3.4.3. Der Nahrungstrieb und seine Störungen
3.3.4.4. Der Bindungstrieb und seine Störungen
3.3.4.5. Der Selbstbehauptungstrieb und seine Störungen
3.3.4.6. Der seelische gesunde und der kranke Lebensaufbau
3.3.4.7. Pädagogische Konsequenzen
3.3.4.8. Resümee und Schlussfolgerungen
3.3.5. Die Persönlichkeitsentwicklung nach Erik Erikson
3.3.5.1. Gesundes Wachsen
3.3.5.2. Urvertrauen und Urmisstrauen
3.3.5.3. Autonomie
3.3.5.4. Resümee und Schlussfolgerungen
3.3.6. Das Grundbedürfnis des Kindes nach beständigen Beziehungen aus kinderpsychiatrischer Sicht nach T.B. Brazelton und S.I. Greenspan
3.3.6.1. Konstante Beziehungen
3.3.6.2. Beziehungen in Krippen und Tagesstätten
3.3.6.3. Empfehlungen
3.3.6.4. Resümee und Schlussfolgerungen
3.3.7. Psychoanalytische Erkenntnisse hinsichtlich der Bedeutung des Vaters nach Horst Petri
3.3.7.1. Die Triangulierungsphase
3.3.7.2. Die Folgen der Vaterentbehrung
3.3.7.3. Resümee und Schlussfolgerungen
3.3.8. Kleinkinderziehung und seelische Gesundheit nach Horst Schetelig (Psychologe)
3.3.8.1. Die Bedeutung der Bindungsfähigkeit
3.3.8.2. Folgen der Fremdbetreuung
3.3.8.3. Die Bedeutung der Mutter für die seelische Gesundheit des Kindes
3.3.8.4. Erforderliche Maßnahmen
3.3.8.5. Resümee und Schlussfolgerungen
3.4. Die Bedeutung der Familie nach Herman Nohl
3.4.1. Die Individualpädagogik
3.4.2. Die Familie als Vorbild
3.4.3. Die angemessene Betreuung des Kleinkindes
3.4.4. Resümee und Schlussfolgerungen
3.5. Krippenforschung
3.5.1. Krippen in der DDR
3.5.1.1. Allgemeine Informationen
3.5.1.2. Eine Untersuchung von Karl Zwiener
3.5.1.3. Nachteile frühkindlicher Kollektiverziehung
3.5.1.4. Resümee und Schlussfolgerungen
3.5.2. Ergebnisse der internationalen Krippenforschung
3.5.2.1. Erkrankungen der Kleinkinder
3.5.2.2. Kognitive Entwicklung
3.5.2.3. Sozial-emotionale Entwicklung
3.5.2.4. Die Mutter-Kind-Bindung
3.5.2.5. Resümee und Schlussfolgerungen
3.5.3. Erkenntnisse nach Hans-Joachim Laewen (Krippenbefür-worter)
3.5.3.1. Über das Für und Wider außerfamiliärer Kinderbetreuung
3.5.3.2. Das Lernen in den beiden ersten Lebensjahren
3.5.3.3. Die Bedeutung der Eingewöhnung
3.5.3.4. Weitere Ergebnisse
3.5.3.5. Resümee und Schlussfolgerungen
3.5.4. Merkmale einer qualifizierten institutionellen Betreuung
3.5.4.1. Hygienische Grundvoraussetzung
3.5.4.2. Beteuer-Kind-Relation
3.5.4.3. Größe der Einrichtung
3.5.4.4. Stabilität der Betreuung
3.5.4.5. Vielfalt an Anregungen
3.5.4.6. Aus- und Fortbildung der Erzieherinnen
3.5.4.7. Kooperation Krippe und Elternhaus
3.5.4.8. Resümee und Schlussfolgerungen
3.6. Säuglingsforschung hinsichtlich der Bedeutung des Stillens
3.6.1. Zusammensetzung der Muttermilch und ihre Wirkung
3.6.2. Stillen und Mutter-Kind-Bindung
3.6.3. Stillen und Intelligenzentwicklung
3.6.4. Suchtprophylaxe
3.6.5. Resümee und Schlussfolgerungen
3.7. Sozialökologie nach Urie Bronfenbrenner
3.7.1. Übersichtserhebung
3.7.2. Weitere Studien
3.7.3. Resümee und Schlussfolgerungen
3.8. Kinderheilkunde nach Johannes Pechstein
3.8.1. Die Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung
3.8.2. Die Sozialentwicklung des Kindes
3.8.3. Wohl des Kindes
3.8.4. Resümee
4. Verschiedene Konzeptionen der Kleinkind-erziehung
4.1. Die pädagogische Rahmenkonzeption für Kinderkrippen der Landeshauptstadt München
4.1.1. Pädagogische Grundsätze
4.1.2. Lebensraum Kinderkrippe
4.1.3. Bildung und Lernerfahrungen
4.1.4. Gestaltung der Übergänge
4.1.5. Förderung der Resilienz
4.1.6. Sprachentwicklung
4.1.7. Dokumentation der Lernprozesse der Kinder
4.1.8. Die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
4.2. Die qualifizierte Tagespflege
4.2.1. Definition und Allgemeines
4.2.2. Qualitätsmerkmale
4.2.3. Eingewöhnungsphase nach Joachim Bensel
4.2.4. Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung
4.3. Alternative Ideen
4.3.1. Mutterschaft als Beruf
4.3.1.1. Grundlegendes
4.3.1.2. Begründung des Konzeptes
4.3.1.3. Aufbau des Konzeptes
4.3.1.4. Die Auswirkungen
4.3.2. Das Familiennetzwerk e.V.
4.3.2.1. Allgemeines
4.3.2.2. Leitlinien
4.3.2.3. Ziele des Familiennetzwerkes
4.3.2.4. Forderungen
4.4. Vergleich Familienbetreuung – Tagesmutter – Krippe
4.4.1. Betreuungsform
4.4.2. Beziehungen
4.4.3. Entwicklungsförderungen
4.4.4. Soziale Kontakte zu Gleichaltrigen
4.4.5. Risiken
4.4.6. Chancen
5. Stellungnahme und Ausblick
5.1. Stellungnahme
5.2. Ausblick
5.3. Schlusswort
Literaturverzeichnis:
Anhang
Zusammenfassung
„Das Kind in der Krippe – Untersuchung der frühen institutionellen und außerfamiliären Betreuung und Erziehung von Säuglingen und Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren.“
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, ob die Erziehung und Betreuung in einer Kinderkrippe den Bedürfnissen eines Kleinkindes entspricht und eine gesunde Entwicklung ermöglicht.
Nach der Schaffung von Grundlagen, besonders hinsichtlich der aktuellen Situation in Deutschland, werden verschiedene wissenschaftliche Bereiche bezüglich des Themas beleuchtet und am Ende jeweils mit einem Resümee abgeschlossen. Jede eigene Abhandlung und jedes Resümee zeigen verschiedene schwerwiegende Risiken einer Krippenerziehung auf, da diese Art der Erziehung und Betreuung den Bedürfnissen des Kleinkindes in den wichtigsten Bereichen nicht gerecht wird.
Nach diesem Block werden zur Veranschaulichung verschiedene Konzeptionen vor- und gegenübergestellt.
Das Ergebnis ist, dass eine optimale Erziehung von Kleinkindern nur in der Familie gewährleistet werden kann, wofür jedoch einige Bedingungen erfüllt sein müssen. In bestimmten problematischen Fällen kann eine Fremdbetreuung dennoch die bessere, aber nicht optimale Lösung sein.
Die Schlussfolgerung dieser Arbeit ist, dass die Familien aufgrund der derzeitigen Lage verstärkt familienpolitisch und gesellschaftlich unterstützt werden müssen, aber nicht durch die Verlagerung des Kindes in eine Fremdbetreuung. Maßnahmen müssen die Familie als Einheit sehen und dementsprechend fördern, um dem Wohl des Kindes gerecht zu werden.
1. Einleitung
1.1. Motivation zum Thema
Schon seit einigen Jahren beschäftige ich mich aus persönlichem Interesse mit dem Thema Familie, Kindererziehung und Bedeutung der Mutter in der Erziehung. Durch die Beschäftigung mit entsprechender Literatur schuf ich mir eine Grundlage hinsichtlich dieser Themen. Aufgrund des besonderen Interesses für die Entwicklungsphase des Kleinkindes wählte ich vor ca. einem Jahr das Thema: „Das Kind in der Krippe – Untersuchung der frühen institutionellen und außerfamiliären Betreuung und Erziehung von Säuglingen und Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren“. Dieses Thema bot mir die Möglichkeit, mich mit verschiedenen Ansätzen der Kleinkinderziehung auseinanderzusetzen und diese in Beziehung zu setzen.
1.2. Aktualität des Themas
Was ich damals nicht wissen konnte, war, wie aktuell dieses Thema für Deutschland werden würde. Durch die Ankündigung der Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, die Krippenplätze massiv auszubauen, um ein familienfreundliches Klima zu schaffen, wurde in den Medien, aber auch in der Gesellschaft eine große Diskussion in Gang gesetzt, inwieweit die jeweilige Erziehung von Kleinkindern für deren Entwicklung förderlich bzw. schädlich ist. Verschiedenste Argumentationsansätze prallen hierbei aufeinander, sowie diverse wissenschaftliche Studien, die zum Teil gegensätzliche Tatsachen belegen. Diese Diskussion hat mein Interesse verstärkt, mir tiefere Einblicke verschafft und meine Diplomarbeit stark bereichert.
1.3. Zielsetzung und Aufbau
Das Ziel meiner Diplomarbeit ist es, das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen und zu fragen, was in den ersten drei Jahre für das Kleinkind tatsächlich von Nöten ist und ob eine Erziehung in einer Krippe den Bedürfnissen eines Kindes in diesem Alter entspricht.
Die Arbeit ist dabei wie folgt aufgebaut: zunächst wird des Verständnisses wegen, und um das Thema einzubetten, eine Grundlage geschaffen. Verschiedene Begrifflichkeiten werden geklärt, die Geschichte der Kinderkrippen und die aktuelle Situation werden erläutert, zudem werden empirische Befunde herangezogen. Der zweite Block behandelt der Reihe nach verschiedene wissenschaftliche Richtungen und Ansätze, wobei nach jeder größeren Einheit ein Resümee und eine Schlussfolgerung gezogen werden. Dies soll verstärkt den Bezug zum Thema halten und am Ende als Grundlage der Stellungnahme dienen. In dritten Block werden verschiedene Konzeptionen der Kleinkinderziehung behandelt, die dem Leser hinsichtlich des Themas ein ganzheitliches Bild verschaffen sollen. Am Ende stehen die Stellungnahme, die das Ergebnis enthält und der Ausblick.
Da in den Kinderkrippen ausschließlich Frauen beschäftigt sind, werde ich keine geschlechterspezifischen Bezeichnungen des Personals verwenden.
2. Zu den Grundlagen der Erziehung in Krippen
2.1. Zum Verständnis - Worterklärungen
2.1.1. Erziehung
„Erziehung“ ist ein Grundbegriff der Pädagogik, der sowohl deskriptiv, analytisch und normativ verwendet wird. Erziehung „umfaßt zunächst alle planmäßigen Einwirkungen von außen und innen (Selbstreflexion), die den Menschen darin unterstützen sollen, seine Kräfte und Potentiale zu entfalten oder seine Eigenschaften, Haltungen und Einstellungen zu verändern“ (Stimmer 2000, S. 194). „Erziehung“ bezieht sich zum einen auf die Individuation, also auf das individuelle Wachsen und Entwickeln. Zum andern bezieht sie sich auf die soziale Dimension, also auf die Eingliederung des Menschen in die Gesellschaft. Erziehung „meint sowohl Ausbildung und Wissensvermittlung als auch Charakter- und Willensbildung“ (ebd.) Der Mensch ist auf Erziehung angewiesen, da die in ihn wohnenden Eigenschaften von Geburt an gefördert werden müssen und er sich nicht durch einen inneren Reifeprozess eigenständig entwickeln kann. Das jeweilige Menschenbild der Gesellschaft prägt verschiedene Erziehungskonzepte und Erziehungsstile aus (vgl. ebd.).
2.1.2. Frühkindliche Erziehung
Die frühkindliche Erziehung ist ein Teil der Pädagogik, der sich auf die ganze Erziehung des Kindes während seiner ersten drei Lebensjahre bezieht. Ein besonderes Augenmerk liegt bei dieser Teilwissenschaft auf den entwicklungspsychologischen Aspekten und den frühen Prozessen der Sozialisation. Die Erkenntnisse bilden die Grundlage für Konzepte der Beratung und Betreuung von Kleinkindern und ihren Familien (vgl. Stimmer 2000, S. 251).
2.1.3. Außerfamiliäre/ außerfamiliale Erziehung
Die beiden Begriffe „außerfamiliäre“ und „außerfamiliale Erziehung“ werden synonym verwendet und bezeichnen eine Erziehung von Kindern die, meist zusätzlich zur Familienerziehung, außerhalb der Familie stattfindet. Sie umfassen die Erziehung von Kindern in allen sozialpädagogischen Einrichtungen. Im Kontext des Themas bedeutet „außerfamiliäre/ außerfamiliale Erziehung“ sowohl Erziehung in Kinderkrippen und Krabbelstuben als auch die in einer Kindertagespflegestelle.
2.1.4. Innerfamiliale Erziehung/ Familienerziehung
Auch „innerfamiliale Erziehung“ und „Familienerziehung“ können synonym gebraucht werden. Sie bezeichnen eine Erziehung von Kindern im Kontext der Familie. Generell schließen diese Begriffe ein Hinzuziehen von öffentlichen Betreuungsangeboten nicht aus. In der Abhandlung werden sie aber als Begriffe verwendet, die eine alleinige und ausschließliche Erziehung von Kleinkindern in der Familie bzw. durch die Eltern bezeichnen.
2.1.5. Frühpädagogik
Die „Frühpädagogik“ wird auch „Kleinkindpädagogik“ genannt und ist eine Fachrichtung der Erziehungswissenschaften, die sich mit der Altersgruppe der unter 6-jährigen, der Elternschaft sowie den davon betroffenen Institutionen (z.B. Kinderkrippe, Kindergarten, Vorschule) befasst.
2.1.6. Kindertageseinrichtung und Kinderkrippe
Der Begriff Kindertageseinrichtung wird mit der Bezeichnung „Kindertagesstätte“ synonym verwendet. Er ist ein „Oberbegriff für familienergänzende und familienunterstützende sozialpädagogische Einrichtungen zur regelmäßigen Tages- oder Teilzeitbetreuung von Kindern (vgl. Stimmer 2000, S. 370). Unter Kindertageseinrichtungen fallen alle Institutionen wie Kinderkrippen, Krabbelstuben, Kindergärten, Horte und Kindertagesheime. In der folgenden Abhandlung wird dieser Begriff im Sinn von Kinderkrippen verwendet.
Die „Kinderkrippe“ wird auch mit dem Begriff Krabbelstube bezeichnet und gehört zu der Gruppe der Kindertageseinrichtungen. Diese Einrichtungen nehmen Kinder bis zum Alter von drei Jahren auf (Hugoth 2002, S. 592).
2.2. Geschichte der Kleinkindpädagogik
2.2.1. Die Entwicklung bis 1900
Durch das Einsetzen der Industrialisierung und durch den Ausbau des Fabriksystems waren Mütter und Väter gezwungen, 12 bis 16 Stunden am Tag außer Haus zu arbeiten. Die Arbeit des Vaters reichte für den Lebensunterhalt der Familie nicht aus, so dass auch die Mutter durch außerhäusliche Erwerbstätigkeit dazu beitragen musste. Kinder und besonders Kleinkinder bedeuteten für die Familie eine große Belastung, da sie einerseits ernährt andererseits auch betreut und erzogen werden mussten. Die Zeit, die die Mutter zu Hause verbrachte, fiel als bezahlte Arbeitszeit aus. Ging die Mutter einem Beruf nach bedeutete dies, dass das Kind oder die Kinder zu Hause verwahrlosten. Das führte zu großem seelischen Leid und zu einer beträchtlichen Säuglingssterblichkeit, da die Mütter nach ihrer Arbeit kaum die Kraft hatten, sich ausreichend um ihre Kinder zu kümmern. Was die Baby- und Kindernahrung anbelangte, herrschte ein großes Defizit bei den Müttern. Dies führte zu verschiedenen Kinderkrankheiten, Koliken und Schmerzen. Diese Zustände wurden bald nicht länger hingenommen und so entstanden gesellschaftliche Einrichtungen, die versuchten, der Vernachlässigung und der Verwahrlosung Einhalt zu gebieten.
Ende 18. Und Anfang 19. Jahrhundert wurden die Vorläufer der Krippen geschaffen. 1779 schon wurde eine so genannte „‘Aufbewahrungsanstalt‘„ (BELLER 1995, S. 915) von Pfarrer Oberlin gebaut, in der Säuglinge und Kleinkinder bis zum 4. Lebensjahr tageweise betreut wurden. 1802 gründete Fürstin Lippe in Detmold eine Anstalt für Säuglinge, die zur Zeit der Ernte benutzt werden konnte. Einige Jahre später rief Wadzeck in Berlin eine Einrichtung ins Leben, in der bis zu 12 Kinder zwischen 9 Monaten und zwei Jahren beaufsichtigt wurden, deren Mütter erwerbstätig sein mussten (vgl. ebd., S. 915).
Der Bau dieser Anstalten hatte folgende Gründe: einen bevölkerungspolitischen (die Kindersterblichkeit sollte reduziert werden), einen ökonomischen (die Arbeitskraft der Mutter sollte erhalten bleiben, da sie für den Produktionsprozess nicht entbehrlich war) und einen moralischen (die Kinder sollten sittlich und entsprechend ihrer Schichtzugehörigkeit aufgezogen werden). Dazu kam die Idee der Mütterbildung: Die Leiterin der Krippe, der zuständige Arzt und die Aufsichtspersonen versuchten deshalb ihre Kenntnisse über Pflege und Ernährung den Müttern weiterzuvermitteln.
Kinder reicher Eltern traf man in solchen Anstalten nicht an. Sie wurden zu Hause besser erzogen und sollten durch den Umgang mit Kindern der Unterschicht nicht verdorben werden. Die Krippe wurde als ein Notbehelf angesehen und ihr Schwerpunkt lag nicht auf pädagogischer, sondern auf pflegerischer Arbeit. Die Kinder wurden zu Beginn des Tages mit Kleidern der Anstalt versorgt, gewaschen und gekämmt. Ein Arzt war dabei für die hygienischen Maßnahmen verantwortlich. Krippe und Familie waren dadurch in zwei klar getrennte Welten geteilt. Diese strikte Trennung war aus damaliger Sicht notwendig, da man die Arbeiterfamilien nicht in der Lage wähnte, sich adäquat um ihre Kinder zu kümmern. Trotzdem wurde den Müttern empfohlen, ihr Kind möglichst viel bei sich zu behalten, da dies für die beste Entwicklung ihres Kindes sinnvoll wäre (vgl. ebd., S. 916).
Räumlich waren die Krippen in Häusern untergebracht, die auch anderweitig genutzt wurden. Die Ausstattung war karg, einerseits fehlte das Geld, andererseits wollte man in den Kindern aus ärmlichen Verhältnissen keine zu großen Erwartungen wecken.
Empfohlen wurden in der Krippe drei Räumlichkeiten, eine für die Säuglinge, eine für die Krabbelkinder und eine für die Kinder, die laufen konnten. Diese Konzeption der altershomogenen Gruppen hat sich bis zum Ende des 20. Jahrhunderts erhalten.
Weitere Richtlinien waren:
„ein Warteraum für die Mütter, eine Kleiderablage, ein Badezimmer, (...), ein Schlafraum, ein Zimmer zum Stillen, ein Isolierzimmer, eine Küche, eine Waschküche, einen Raum für einen Spind und Wirtschaftssachen oder Keller,
einen Raum für die Verwaltung, ein überdeckter Außenraum und ein Garten„
(ebd., S.917).
Bis heute ist die Raumverteilung ähnlich, auch wenn sich die Innenausstattung
wesentlich geändert hat.
Verwaltet wurde die Krippe von Ärzten, die für die medizinische Versorgung verantwortlich waren, von Frauen, die für die Aufsicht zuständig waren und von Männern, die als Direktoren fungierten. Für die direkte Betreuung waren so genannte „Kindeswärterinnen oder Kindesmägde“ (ebd., S. 917) zuständig. Sie besaßen keine angemessene Ausbildung, hatten die Mutterfigur als pädagogisches Modell und wurden streng überwacht, da man einen schlechten Einfluss auf die Kinder befürchtete. Der niedrige berufliche Status des Krippenpersonals hat sich fast bis in unsere heutige Zeit erhalten.
Bereits im 19. Jahrhundert gab es Ansätze für Reformen hinsichtlich der Frühpädagogik. Auch wenn es lange Zeit nur Ansätze blieben und die Ideen nicht umgesetzt wurden, so werden sie in der heutigen Zeit beachtet. Die Ansätze stammen von Pestalozzi und Fröbel aus Deutschland, Owen aus England und Fourrier aus Frankreich.
Johann Heinrich Pestalozzi (1748-1827) ist hinsichtlich der Frühpädagogik der bedeutendste Pionier, doch kann er als Reformer der Krippenpädagogik nicht angeführt werden, weil er im Lernprozess des Kindes die Mutter als die zentrale Person sieht. Sie sollte seinen Ansichten nach in den ersten Lebensjahren die alleinige Erzieherin des Kindes sein (vgl. ebd., S.918).
Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782-1851) versuchte die Vorstellungen Pestalozzis in Deutschland zu verbreiten. Wie für Pestalozzi, so waren auch für Fröbel die Ausbildung der Mütter und die Bedeutung der frühesten Erziehung entscheidend. Er schuf eine strukturierte Ausbildung für Kindergärtnerinnen und versuchte eine gute Kooperation zwischen Kindergarten, Familie und Öffentlichkeit herzustellen. Fröbels pädagogische Arbeit bezog sich aber hauptsächlich auf Kinder im Kindergartenalter, so dass auch er nicht direkt zu den Reformern der Krippenpädagogik gezählt werden kann. Seine zentrale Forderung, den Kindern in ihrer Persönlichkeit Achtung entgegenzubringen, lässt sich auch auf die Säuglinge übertragen. Für die Kinderkrippen wurden diese Denkansätze nicht umgesetzt, schon gar nicht die Idee der Ausbildung für die Erzieherinnen in den Krippen: Erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden pädagogisch ausgebildete Erzieherinnen zusätzlich zu oder anstelle von Kinderkrankenschwestern und Kinderpflegerinnen in deutschen Kinderkrippen eingestellt (vgl. ebd., S. 918).
Die beiden Sozialisten Owen und Charles Fourrier vertraten hinsichtlich der Krippenpädagogik für ihre Zeit ungewöhnliche Ansichten. Owen (1771-1858) war ein Vorreiter der Erziehung von Kleinkindern in der Gruppe. Owen war der Ansicht, dass die Gruppenerfahrung für Kleinkinder außerhalb der eigenen Familie die positive soziale Interaktion zwischen den Kindern besser fördern würde, als Eltern dies zu tun in der Lage wären. Im Rahmen einer Gemeinschaft, die ohne Belohnung und Bestrafung arbeiten würde, würden die Kinder ihren Egoismus überwinden, der den Menschen zu Eigen ist. Außerdem zog er altersgemischte Gruppen vor, da er der Ansicht war, dass dadurch die positiven Eigenschaften der Kinder im Umgang miteinander verbessert werden könnten. Charles Fourrier vertrat dieselbe Meinung: durch die Gruppenerfahrung würde eine "harmonische Pädagogik" erzielt werden. Nach Fourrier wären ältere Kinder in jeder Altersstufe die besten und die natürlichen Erzieher für jüngere Kinder. Das Vorbild der älteren Kinder sollte als motivationssteigernder Faktor in der Erziehung der Jüngeren fungieren.
Diese pädagogischen Anstöße der beiden Sozialisten wurden erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts umgesetzt (vgl. ebd., S. 919).
2.2.2. Veränderungen ab 1900
Ab 1900 stieg die Notwendigkeit der Kinderkrippen an. Immer mehr Frauen konnten eine derartige Einrichtung nicht mehr entbehren, da ihre Erwerbstätigkeit ihnen nicht erlaubte, sich eigenhändig um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern. Durch diese Einrichtungen wurde auch der Säuglingssterblichkeit immer mehr Einhalt geboten. Die ansteigenden Zahlen der Kinderkrippen sprechen für sich: "Während die Zahl der Krippen in Deutschland von 1831 bis 1890 auf 45 anwuchs, stieg die Zahl bis 1910 auf 148 Krippen" (Beller 1995, S. 919).
1910 forderte die "Bayerische Zentrale für Säuglingsschutz" vom Krippenwesen drei Punkte:
- erstens sollte ein ausreichend ausgebildetes Personal in den Krippen zur Verfügung stehen
- zweitens sollten einer Pflegerin nicht mehr als sechs Kinder anvertraut werden
- und drittens wurde die Arbeit der Krippenbetreuerinnen definiert: für hauswirtschaftliche Tätigkeiten hatte ein gesondertes Personal eingestellt zuwerden.
Obwohl der pädagogische Aspekt vernachlässigt wurde, diente die Schulung des Krippenpersonals (Kinderpflegerinnen und Säuglinsschwestern) hinsichtlich der Säuglingspflege einer besseren Qualität der Krippen. Erst 1989 wurde aber die Forderung nach einem speziellen hauswirtschaftlichen Personal tatsächlich umgesetzt. Der Schlüssel eins zu sechs in der Betreuung trifft bis heute in vielen Fällen nicht zu (vgl. ebd., S. 919).
Strukturelle Veränderungen gab es bis 1933 nicht, jedoch gab es wieder einige pädagogische Reformbewegungen in der Kleinkindpädagogik. In den zwanziger Jahren zum Beispiel wurde versucht, psychoanalytische Erkenntnisse in die Pädagogik miteinfließen zu lassen. Erziehung, so war die Vorstellung einiger Persönlichkeiten, unter anderen auch Freud, sollte durch die gewonnenen Erkenntnisse der Psychoanalyse bereichert werden.
2.2.3. Entwicklungen seit 1960
2.2.3.1. Die antiautoritäre Kinderladen-Bewegung
Einige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die pädagogischen Reformen der Weimarer Zeit wieder aktuell. Durch die Kinderladenbewegung wurden weitere Neuerungen erzielt: Die „Kinderläden“ entstanden durch die Studentenbewegung, die antiautoritär geprägt war, ungefähr am Ende der 60er Jahre. Sie sahen sich als Gegenerziehungsmodelle zu den konfessionellen und staatlichen Kindergärten (vgl. EHRHARDT 2002, S. 542).
Kinder sollten von den „Erziehungszwängen“ (Beller 1995, S. 922) der Eltern und Erzieher entlastet werden, ein antiautoritärer Erziehungsstil wurde angestrebt, Kinder sollten sich in ihrer Erziehung mehr einbringen dürfen und von den Erziehern wurde verlangt, sich, was ihre Persönlichkeit betrifft, selbst zu erziehen. Zudem hatte man die Absicht die hierarchischen Strukturen aufzulösen, die Kleinstkinderziehung sollte Teil des Gemeindelebens werden und eine gute Kooperation zwischen Eltern und Erziehern wurde jetzt als Qualitätsmerkmal angesehen: die unterschiedlichen Erfahrungswelten sollten berücksichtigt werden.
Durch die “Kinderladenbewegung“ wurde auch die grundlegende Einstellung zur Kinderkrippe indirekt beeinflusst. Es wurde von nun an die Meinung vertreten, dass Krippen nicht unbedingt nur eine Notlösung sein müssen, sondern dass sie einen wertvollen Beitrag zur Erziehung des Kleinstkindes leisten würden. Die Gruppenerfahrung würde hinsichtlich der psychosozialen Entwicklung des Kindes einen wichtigen Beitrag leisten.
1977 ließ der Kindertagesstätten-Entwicklungsplan von Berlin West verlauten, dass Kinder als hochsensible Persönlichkeiten schon von Beginn an mit ihrer Umwelt in eine rege Beziehung treten. Ziel der Krippenbetreuung sei es demnach die Kinder auf ihrem Weg der eigenständigen und selbstbestimmten Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung zu begleiten und zu fördern. Neben dem Ziel des eigenen Findens von Problemlösestrategien wurde beabsichtigt, dass die Kinder lernen sollten, dass Bezugspersonen Interessen und Vorlieben fördern und dass sie Emotionen und Aktivitäten ernst nehmen (vgl. ebd., S. 923).
1986 betonte der Siebte Jugendbericht, dass Krippenbetreuung von Kindern unter drei Jahren, nicht als eine Notlösung angesehen werden darf:
„Vielmehr wird die Tagesbetreuung von Kindern unter dem Aspekt der Vereinbarung von Familie und Beruf betrachtet und als Möglichkeit gesehen, Kleinstkindern familienübergreifende Erfahrungen zu bieten. Das Zusammenleben in der Gruppe soll den Kindern soziale Erfahrungen ermöglichen und selbstbestimmtes Aushandeln von Regeln gestatten. In der Gruppe sollen Kinder mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Entwicklungsstufen integriert werden. Das Erziehungskonzept der Einrichtung soll die Schwerpunkte Bildung, Betreuung und Förderung der
Kinder vereinen“ (ebd., S. 922f).
Diese Forderungen implizierten eine qualifiziertere Ausbildung des Personals. Dabei war zu beobachten, dass die Zahlen des rein pflegerischen Personals stark rückläufig waren, die Zahl der pädagogisch ausgebildeten Fachkräfte stark zunahm. Dies hing mit der Tatsache zusammen, dass der Schwerpunkt vom pflegerischen Bereich auf einen pädagogischen verlagert wurde.
Es wurde danach gestrebt, die Gruppengröße zu verringern, um dem einzelnen Kind mehr Zuneigung und emotionale Wärme, und damit emotionale Sicherheit bieten zu können. Bestrebungen, die bis heute nicht umgesetzt sind. Die Einrichtung der Räume wurde damals so verändert, dass sie dem Kind altersgemäße Anreize boten und in ihnen Platz zum Erforschen der Umwelt war.
Die Aktivitäten des Kindes sollten von nun an sprachlich begleitet werden. Zudem wurde eine verstärkte Eltern-Krippe-Kooperation angestrebt. Fortbildungen sollten Erzieherinnen auf die soziokulturellen Unterschiede der Kinder vorbereiten.
Alle diese Angebote hatten zum Ziel, die Chancenungleichheit der Kinder abzubauen (vgl. ebd., S. 923).
2.2.3.2. Strukturelle Veränderungen in den Krippen
Im ganzen Bundesgebiet gab es, wie heute, keinen einheitlichen Personalschlüssel: er variiert zwischen zwei Fachkräften pro 15 Kinder und zwei Fachkräfte für acht Kinder. Letzterer wäre das Maximum im Betreuer-Kind-Verhältnis. Auch die Öffnungszeiten unterschieden sich stark. Diese waren und sind abhängig von den Einrichtungen. Die Betreuungszeit liegt zwischen vier und zwölf Stunden. Es wurden auch so genannte „Springerkräfte“ eingestellt, um die Qualität der Krippen zu sichern. Diese sollten in den Fällen wie Fortbildung, Urlaub und Krankheit eingesetzt werden, ansonsten wurde ein Rückfall auf die rein pflegerische Hilfe befürchtet.
War in vergangenen Zeiten der Schwerpunkt der Aufgaben der Leitung auf dem Gebiet der Aufsicht, Verwaltung und Organisation, so wurde auch dieser in den 70er Jahren verlagert, sowohl in inhaltlicher als auch in struktureller Hinsicht:
„Inhaltlich rückten die Unterstützung und Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit, die Förderung der Zusammenarbeit im Erzieherkollektiv und in Elternausschüssen sowie Abstimmung mit pädagogischen Sachbearbeitern und Praxisberatern in den Vordergrund.“
(Beller 1995, S. 924).
Es wurde auch vermehrt über eine Beschäftigung von Teilzeitkräften, besonders in den Randzeiten, wie früher Morgen und Abend, nachgedacht (vgl. ebd., S. 924), was einen Wechsel der Bezugspersonen erhöhen und die emotionale Sicherheit vermehrt gefährden würde.
2.3. Aktuelle Entwicklungen
2.3.1. Die moderne Kindheit
Wie jede andere Lebensphase wird auch die Kindheit durch aktuelle gesellschaftliche Strukturen geprägt: im Mittelpunkt steht hier besonders die Veränderung der familialen Lebensformen durch die Auflösung der Familie. Die Folge dieser Entwicklungstendenzen sind
„Verunsicherungspotentiale und Überforderungstendenzen bei den Eltern sowie Tendenzen der Vereinsamung oder ‚Entkindlichung‘ von Kindern, unter anderem infolge der zurückgehenden Geburtenzahlen und Heiratsquoten sowie der steigenden Scheidungs- und
Wiederverheiratungsquoten“ (Engelbert 1995, S. 20).
Heute stellt das Kind für seine Eltern keinen materiellen Wert mehr dar, so wie es früher zum Teil der Fall war (als eine Art Rentenversicherung). Vielmehr kostet ein Kind in unserer Gesellschaft: Geld, Zeit und Mühen. Dennoch sind sie für viele Erwachsene sehr wertvoll, weshalb sich trotz vieler Schwierigkeiten dennoch einige für Kinder entscheiden. Denn Kinder vermitteln ihren Eltern Sinn und Lebensfreude. Besonders in der jetzigen Gesellschaft, in welcher die Beziehungen zwischen Mann und Frau sehr brüchig geworden sind, bietet das Kind die Möglichkeit einer konstanten Beziehung. Die Gefahr dabei besteht, Kinder als reine emotionale Bedürfnisbefriedigung zu sehen und zu behandeln, und sie nicht um ihrer selbst willen anzunehmen und zu lieben. Kinder werden heute desöfteren für die Erwartungen ihrer Eltern funktionalisiert und damit werden die Kinder überfordert (vgl. ebd., S. 23). In unserer Leitungsgesellschaft ist der Wunsch nach einem perfekten, leistungsfähigen und handsamen Kind groß. Alle vor- und nachgeburtlichen Diagnosen und Kontrollen mitsamt den sich daraus ergebenen Handlungskonsequenzen (zum Beispiel Abtreibung behinderter Kinder) belegen dieses weit verbreitete Phänomen. Werden die aktuellen Lebensbedürfnisse den übermäßigen Förderungen der Entwicklung des Kindes geopfert, wird das Kind in seiner Entwicklung eingeengt.
Durch die Auflösung der Familie wird eine „Entkindlichung“ (ebd., S. 23) des Kindes bewirkt. Diese Auflösung der Familie wird durch folgende Faktoren bewirkt: veränderte Familienrollen, dadurch Schwierigkeiten in der Partnerschaft, dadurch steigende Scheidungsquote bzw. eine rückläufige Bereitschaft zu Heiraten (vgl. ebd., S. 25). Durch die unsicheren und wenig konstanten Beziehungen erleben viele Kinder daher Verunsicherung und Überforderung.
Da knapp die Hälfte der heutigen Kleinkinder ohne Geschwister aufwächst – Tendenz steigend – kann man auch in diesem Zusammenhang von einer Entkindlichung sprechen und von einer Reduktion von sozialen Kontakten.
Die gesellschaftlichen Wandlungen hinsichtlich Geschlechterrollen und Familienkonstellationen und die sich daraus ergebenen Spannungen durch Schwierigkeiten in der Partnerschaft und durch die Berufstätigkeit vieler Mütter gehen auch an den Kleinkindern nicht spurlos vorüber. Das Konfliktpotenzial und der Stresspegel im Familienalltag steigen spürbar (vgl. ebd., S. 26).
Obgleich ein relativ großer Anteil von Kindern unter drei Jahren bei seinen leiblichen und verheirateten Eltern aufwächst, so steigt dennoch die Zahl der Kinder, die aufgrund neuer Partnerschaften ihrer Eltern, „wechselnde familiale Beziehungskontexte erleben“ (ebd., S. 26). Die Lebenswelt der Kinder wird dadurch differenzierter und auch schwieriger. Konstant bleibt jedoch in den meisten Fällen die Lebensgemeinschaft von Frauen mit ihren leiblichen Kindern (vgl. ebd., S. 27).
Der Familienalltag wird auch dann belastet, wenn die Mutter zugunsten ihres Kleinkindes auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet, denn das Haushaltsnettoeinkommen reduziert sich zum einen durch das Kind und zum anderen entfällt ein Einkommen. Durch das Kind bzw. durch mehrere Kinder ist eine Familie finanziell benachteiligt und somit auch das Kind selbst. Die finanziellen Engpässe können Stress und Vernachlässigung in der Familie begünstigen. Auch die Wohnsituation von Kleinkindern ist oftmals bedenklich. Die räumlichen Bedingungen sind oft unzureichend und verschärfen noch das Phänomen der „Verinselung“ (ebd., S. 36), d.h. dass
„sich aufgrund fortschreitender allgemeiner räumlicher Differenzierung und Spezialisierung immer mehr eigens für Kinder reservierte und ausgestattete
Räume, d.h. ‚Inseln‘ herausbilden“ (ebd., S. 29).
Die Vereinsamung von Kindern und die damit verbundenen fehlenden sozialen Kontakte liegen also nicht nur im Mangel an Geschwistern begründet, sondern auch in nicht kindgerechten Strukturen.
2.3.2. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft
In Deutschland haben die Frauen in unserer heutigen Zeit alle Möglichkeiten offen. Sie haben die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Ausbildungswegen, Berufen, Lebensarten und Lebensstilen. Karriere, Unabhängigkeit und berufliche Selbstverwirklichung sind durch die Emanzipation möglich, trotz der Tatsache, dass die Arbeitswelt immer noch zum größten Teil männlich geprägt ist.
Durch die Emanzipation begannen sich auch die Geschlechterrollen zu wandeln. Dies hat Auswirkungen sowohl auf die Ehen und Partnerschaften als auch auf die Familien. Denn die Rollenkonstellationen passen nun nicht mehr problemlos zueinander. Zudem lässt sich die Frau nicht mehr nur durch die Familienrolle definieren (vgl. Engelbert 1995, S. 24f). Daraus resultieren verbunden mit einer Verunsicherung der Männer bezüglich ihrer Rollen Unsicherheiten, Spannungen und Problemen in Ehe und Familie. Ansprüche und Anforderungen an den Partner, die oft nicht zu realisieren sind, bewirken Konflikte. Diese Spannungen führen zu einer frühen Auflösung der Ehen bzw. werden Ehen aus Furcht vor den beschriebenen Problemen zunehmend nicht mehr geschlossen. Die rückläufige Bereitschaft zur Heirat und die steigende Scheidungsquote müssen also in diesem Zusammenhang gesehen werden (ebd., S. 25). Ehe und Familie in traditionellen Sinn nehmen daher verstärkt ab, die Zahl der Scheidungen und der Scheidungsweisen nimmt zu. Die traditionelle Familie verliert an Bedeutung und ihre Zahl nimmt beständig ab. Patchworkfamilien, Alleinerziehende und Singlefrauen mit Kindern, die bewusst auf den Erzeuger verzichten, prägen unsere Gesellschaft (vgl. Herman, S. 27).
Der Rollenwechsel begünstigt auch eine Verdrängung der Weiblichkeit, was den Wunsch der Frauen nach Ehe und Familie immer mehr zurückdrängt (ebd., S. 84). Die Bereitschaft der Frauen nimmt folglich ab, sich länger zu binden und sich für Kinder zu entscheiden (vgl. Herman 2005, S. 11f). Die Verantwortung für Kinder mit allen vorhersehbaren Problemen zu übernehmen, verliert zunehmend an Reiz (vgl. Engelbert 1995, S. 25). Ermöglicht wird diese Einstellung, keine Verantwortung übernehmen zu wollen, durch die Abtreibungserleichterungen (vgl. Meves 2003, S. 91). Besonders bei Akademikerinnen lässt sich dieses Phänomen beobachten. Vielfach wird dazu die Meinung vertreten, dass fehlende Kinderbetreuung, mangelnde Teilzeitangebote und zu wenig Erziehungsgeld dafür verantwortlich zu machen sind. Die Folgen daraus sind Kinderlosigkeit. Diese wird in Deutschland im demographischen Wandel sichtbar.
Da sich die Frau also auch in anderen Bereichen als der Familie betätigen möchte, wird entweder auf ein Familienleben verzichtet oder es wird eine Doppel- bis Dreifachbelastung in Kauf genommen (vgl. Engelbert 1995, S. 25). Um diese Belastung zu verringern, wird nun eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert.
Wird die Verantwortung für ein Kind und eine Familie übernommen, hat die Frau einen ständigen „Balanceakt“ (Engelbert 1995, S. 25) zu vollziehen. Viele Frauen versuchen diesen Spagat zwischen Beruf und Familie zu meistern. Manchen gelingt es, viele Frauen fühlen sich überfordert: denn zum einen soll das Wohl des Kindes gesichert sein und zum anderen sollen sie ihr eigenes Leben verwirklichen (vgl. Engelbert 1995, S. 25). Aber das Modell der berufstätigen Frau und Mutter gilt als das große Ideal unserer Gesellschaft: die „Supermutter“ (Herman 2005, S.52). Doch die Frau, die zugibt, dass sie damit überfordert ist, gilt als gesellschaftliche Versagerin.
Ob überfordert oder nicht, viele Frauen haben nicht die Wahl, ob sie sich ausschließlich der Familie widmen oder ob sie zusätzlich arbeiten gehen möchten, denn die wirtschaftlichen Gründe sprechen oft zwingend für die Berufstätigkeit. Eine wirkliche Wahlfreiheit hat die Frau in unserer Gesellschaft folglich nicht. Trotz der Emanzipation unterliegt sie wieder gesellschaftlichen Zwängen (vgl., ebd., S.24). Neben den Karrierefrauen gibt es also auch eine große Zahl von Frauen, die die Selbstverwirklichung als Tarnung für wirtschaftliche Zwangslagen verwenden, und die nicht unbedingt dem „Ich-Zeitgeist“ (ebd., S.49) folgen:
„Es gibt Millionen anderer Frauen, die keine Gelegenheit auslassen, von Selbstverwirklichung zu sprechen, weil sie sich schämen, den wahren Grund für ihre Berufstätigkeit zu nennen: Existenzangst, unmäßig gesteigerter Lebensstandard, Verschuldung. ... Die gesellschaftlich anerkannte Ideologie der Selbstverwirklichung erleichtert es, diese Umstände zu verschleiern, zu verschweigen, dass der Lebensstandard teuer erkauft ist – mit der
Abwesenheit der Mutter, die sich in ihrer Doppelrolle aufreibt“ (ebd., S.50).
Das Gegenmodell zur „Supermutter“ ist die „Nur-Hausfrau und Mutter“. Dieses Modell ist gesellschaftlich nicht anerkannt (vgl. Meves 2003, S. 91), ja sie wird sogar abgelehnt, diskriminiert und die Arbeit zählt für die Gesellschaft nicht (vgl. Herman 2005, S. 20f). Diese Haltung zeigt sich schon in der Tabuisierung des Wortes Mutter. So wurde zum Beispiel in einem UNO-Text das Wort Mutter durchgehend mit „Frauen während der Zeit der Kindererziehung“ umschrieben. Begründet wird dies durch die Auffassung der Delegierten, dass sich eine Frau „grundsätzlich als diskriminiert empfinden müsse, wenn man sie als ‚Mutter‘ kennzeichnet“ (Meves 2003, S.84).
Wie in unserer Gesellschaft generell, sind „ichbezogene Lebensentwürfe“ (Herman 2005, S.269) von Frauen akzeptiert. Unverständnis und wenig Anerkennung erhält eine Frau, die ihr Lebensglück allein in einer Ehe und in einer Familie sucht:
„Sie gilt als rückständig, beschränkt, fantasielos und oftmals auch als berechnend, weil man ihr unterstellt, sie wolle nur versorgt werden. Dass sie aber damit selbstlose und gesellschaftlich wertvolle Arbeit leistet, auch wenn kein großes Büro und keine beeindruckende Gehaltsabrechnung das
dokumentieren, auf diese Idee kommt kaum jemand“ (ebd., S.26).
Die „Nur-Hausfrauen und Mütter“ werden also immer mehr diffamiert, und es wird ihnen Faulheit vorgeworfen, da sie nicht in der Lage seien, das Familieneinkommen zu erhöhen. Verwunderung und Unverständnis, ja sogar Ablehnung müssen all diejenigen Frauen ertragen, die sich mit ihrer ganzen Kraft um Partnerschaft, Kindererziehung und Haushalt bemühen.
Die Erwartungshaltung der Gesellschaft an die deutschen Frauen ist die Selbstverwirklichung und die Unabhängigkeit. Diese an sich guten Werte haben aber auch ihre negative Seite, denn der „Gradmesser für die Selbstverwirklichung ist die Bestätigung von außen, die die Selbstbestätigung zur Folge hat“ (ebd., S.34). Dass bedeutet, dass viele Frauen die Anerkennung von Außen brauchen, um das Gefühl zu haben, sie verwirklichen sich selbst. Die Gefahr dabei ist, seinen Wert ausschließlich über die Anerkennung durch die Gesellschaft zu definieren.
Viele Frauen haben dabei das Lebensmodell der Frauenbewegung verinnerlicht: „Setz deine Interessen durch, verwirkliche dein Selbst, tue das ohne Rücksicht auf diejenigen, die dich dabei stören könnten oder sich sogar an dich binden wollen“ (ebd., S.39).
Eva Herman beschreibt die Lage der Frauen weiter:
„Aus der Idee der Selbstverwirklichung ... ist längst eine Waffe geworden, denn für viele Frauen bedeutet sie: Verwirkliche dich trotz anderer Menschen, entwickle dich gegen den Widerstand derer, die dich als Frau sehen. Und ohne dass wir es bemerkt haben, meinen wir immer häufiger Egoismus, wenn wir von Selbstverwirklichung sprechen. Liebe, Aufopferung, Mitgefühl,
Gemeinschaftssinn, all das ist damit nicht gemeint“ (ebd., S.39).
All die äußeren Zwänge, die sich die Frauen im Namen der Selbstverwirklichung selbst auferlegen, sprechen gegen Selbstbestimmung.
Für die Entwicklung des Kindes kann als Schlussfolgerung gezogen werden:
Das Kind, besonders das Kleinkind, leidet unter den vielfachen Belastungen, denen sich eine Mutter bewusst oder gezwungenermaßen aus gesellschaftlichen oder finanziellen Gründen unterzieht.
2.3.3. Die „vaterlose Gesellschaft“
Um die Situation der heutigen Kleinkinder ganzheitlich zu erfassen, ist es notwendig auch einen Blick auf die Rolle und die Bedeutung der Väter zu werfen. Da der Begriff „vaterlose Gesellschaft“ schon vor knapp 100 Jahren in Deutschland aufgetaucht ist und seitdem einen ständigen Bedeutungswechsel erfahren hat, entsprechend der jeweiligen Entwicklungsphase der Gesellschaft, und da er auch an Aktualität nicht verloren hat, soll zur Situationsbeschreibung der heutigen Väter darauf eingegangen werden.
1919 bedeutete dieser von einem Schüler Freuds propagandistisch verwendeter Begriff eine radikale Kritik der damaligen Vaterbilder. 1963 veröffentlichte Alexander Mitscherlich das Buch „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“ und kehrte damit die Bedeutung des Begriffs um. Er beklagt darin die Folgen der „Vaterlosigkeit“ durch die außerhäusliche Erwerbstätigkeit auf die Psyche der Kinder:
„Durch Arbeitsteilung, Abwesenheit und die fortschreitende Anonymisierung der Arbeitswelt verliere der Vater zunehmend an Macht, Ansehen und Autorität vor seinen Kindern, wodurch deren zur Ich- und Über-Ich-Entwicklung notwendige Identifizierungsmöglichkeiten einschneidend
behindert würden“ (Petri 1999, S. 16).
Dem ist entgegenzusetzen, dass auch bei mangelnder Präsenz die Väter in verschiedenen Begegnungen für die Kinder erfahrbar werden und von ihnen als Vaterbilder verinnerlicht werden. Diese als gut oder schlecht empfundenen und verinnerlichten Vaterbilder beeinflussen die seelische Entwicklung ihrer Kinder und prägen damit auch deren Schicksal.
In der 68er Bewegung plädierten die Studenten nicht für eine vaterlose, aber für eine antiautoritäre Gesellschaft mit von falscher Autorität befreiten männlichen und väterlichen Leitbildern. Es setzte ein Umdenken ein und stark veränderte Vaterbilder und ein neues Rollenverständnis war die Folge.
Die einsetzende Frauenbewegung, die um Gleichberechtigung in allen gesellschaftlichen Bereichen kämpfte, bewirkte die Auflösung der patriarchalen Ordnung mit. Doch dies war kein harmonischer Prozess. Besonders die radikal-feministischen Frauen griffen die Männerwelt an: die Gräben zwischen Männern und Frauen vertieften sich. Nicht die gesellschaftlichen Bedingungen der „Vaterlosigkeit“ standen mehr im Blickfeld, sondern die persönliche Schuld der Väter:
„Die Wortführerinnen der Emanzipation wurden nicht müde, einer ganzen Frauengeneration die Unzulänglichkeiten von Vätern einzuimpfen: Verantwortungslosigkeit, Desinteresse, Abwesenheit und Paschaverhalten waren noch die milderen Zuschreibungen. Sie wurden einerseits als Gefühlsanalphabeten und Muttersöhnchen verhöhnt, andererseits als alte Patriarchen verachtet. Sie kümmerten sich nicht um Kinderpflege, Erziehung und Haushalt. Kurz, es gäbe sie gar nicht die Väter. Die ‚Vaterlose Gesellschaft‘ wurde ... zum Schlag-Wort. Sein Paradox bestand darin, daß es Väter bis zur Lächerlichkeit verunglimpfte und gleichzeitig um ihre größere
Verfügbarkeit in der Familie warb“ (ebd., S.18).
Bis in unsere heutige Zeit leiden die Kinder unter dieser Entwertung der Väter. 1998 trat dann das neue Kindschaftsrecht in Kraft, das dem Kind das Sorge- und Umgangsrecht beider Elternteile rechtlich zusicherte. Kurz darauf erschien das Buch „Die vaterlose Gesellschaft“ von Matthias Matussek, das sich gegen sorgeberechtigte Mütter wendet, die unter dem Einfluss der feministischen Väterverachtung die Kinder von ihren Vätern fernhalten. War es zunächst Ziel der Frauenbewegung mehr väterliche Präsenz einzufordern, wendet sich heute das Blatt: einige Frauen setzen sich für die Abschaffung der Väter ein. Dies zeigt sich nicht nur in Gesten, sondern in der konkreten Lebensplanung ohne Erzeuger ihrer Kinder (vgl. ebd., S.20).
Doch muss die Lage aus allen Blickwinkeln betrachtet werden und nicht die Frauen allein verschulden die Vaterlosigkeit vieler Kinder. Statistiken gehen von ungefähr einer Million Scheidungsväter aus. 60 % dieser Männer haben früher oder später keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern. Bekannt ist jedoch nicht,
„wie viele von den rund 600 000 Vätern aus Verantwortungslosigkeit den Kontakt abbrechen, wie viele ihre Ausstoßung durch Verweigerung der Unterhaltszahlungen, aus Desinteresse oder aus Gefühlsrohheit selbst verschulden, wie viele durch weite Ortswechsel die Beziehung zu den Kindern nicht aufrechterhalten können, wie viele aufgeben, um die Kinder im Scheidungskampf zu schonen, oder schließlich, wie groß der Anteil der Väter ist, der vor den Besuchsschikanen der Mütter oder menschlich ungerechten
Gerichtsentscheidungen resigniert“ (ebd., S.21).
Was als Resümee aus dieser Darstellung gezogen werden kann, ist, dass viele Kinder, auch schon als Kleinkinder, entweder ihren Vater aus den verschiedenen eben erwähnten Gründen kaum oder in sehr konfliktreichen Beziehungen erleben. Dass hierbei die Tendenz steigend ist, zeigt die zunehmende Zahl der alleinerziehenden Mütter.
2.3.4. Die aktuelle Familienpolitik
Die von Ursula von der Leyen als Bundesfamilienministerin der CDU angestrebte Familienpolitik möchte folgendes erreichen: „Mehr Kinder in die Familien und mehr Familie in die Gesellschaft“ (Bundesministerium für Familie (a) 2007). Denn die Familie ist Leistungsträger und als kleinste soziale Einheit die soziale Mitte der Gesellschaft. Die Leistungsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Familien soll durch die Politik gestärkt werden, denn Aufgabe der Politik ist es, positive Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Menschen brauchen, wenn sie Verantwortung für Kinder und Familie übernehmen wollen. Dabei möchte sich die Familienpolitik an den Lebensrealitäten, an den Lebensentwürfen der Frauen und Männer orientieren und am Wohl der Kinder. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll dabei ein wichtiges Prinzip darstellen. Denn die Frage lautet, ob die jetzigen Rahmenbedingungen für Frauen und Männer so sind, dass sie überhaupt Kinder haben wollen (vgl. ebd.). Der Staat möchte daher Bedingungen schaffen, die es ermöglichen, dass die Bürger ihre Wünsche nach einer Familie realisieren können, ohne unter den Entscheidungsdruck zu geraten, Familie oder berufliche Karriere.
Zudem möchte die Familienpolitik Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung und Fähigkeit stärken und Kinder bestmöglich fördern, denn die Herkunft eines Kindes soll nicht über seine Bildungs- und Lebenschancen entscheiden (vgl. ebd.).
Als Vorbild für die Familienpolitik gelten die Nachbarländer, in welchen mehr Kinder geboren werden, die Familienarmut und die Arbeitslosigkeit geringer und das Wirtschaftswachstum höher ist. Dies möchte auch Ursula von der Leyen erreichen und zwar durch
„ein wirksames Ineinandergreifen abgestimmter Maßnahmen in den Bereichen Infrastruktur, Zeit und Geld (...) Also ein abgestimmtes Bündel von Maßnahmen, angefangen beim Ausbau der Kindertagesbetreuung über gezielte finanzielle Unterstützung bis hin zu einer verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Unternehmen, das Familien mehr Zeit
verschafft“ (Bundesministerium für Familie (c) 2007).
Damit sich junge Frauen und Männer für Kinder entscheiden, sollen Familien gezielt finanziell unterstützt werden. Hinsichtlich einer Alterssicherung und den möglichen Folgen einer Trennung bzw. Scheidung ist es zudem wichtig und sinnvoll, dass jeder Ehepartner eigenständig beruflich verankert ist. Diese berufliche Verankerung war bisher durch das zeitweise Ausscheiden aus dem Arbeitsleben wegen der Betreuung eines Kindes oft nicht möglich. Zusätzlich waren dadurch finanzielle Einbußen begründet. Die finanzielle Unterstützung sieht folgendermaßen aus (vgl. Bundesministerium für Familie (d) 2007):
1. Elterngeld: Das Elterngeld orientiert sich am Erwerbseinkommen des Partners, der in Elternzeit geht. Das Elterngeld wird für ein Jahr gezahlt, daher verliert der Partner bei Wiedereinstieg in den Beruf nicht den Anschluss. Die wirtschaftliche Selbständigkeit der Familie soll dadurch gefördert werden. Frauen und Männer können die Elternzeit damit individuell gestalten und besonders die Väter bekommen die Möglichkeit, sich gleichermaßen an der Erziehung des Kindes zu beteiligen.
2. Kinderzuschlag: dadurch soll die materielle Kinderarmut bekämpft werden. Der Kinderzuschlag soll den geringverdienenden Familien helfen, deren Einkommen zwar den Bedarf der Eltern deckt, aber nicht denjenigen der Kinder.
3. Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten: diese Regelung soll zu einer finanziellen Entlastung der Familien und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen. Die steuerliche Absetzbarkeit soll eine zunehmende Inanspruchnahme der Dienstleitungen zur Kinderbetreuung bewirken.
Ein besonderer Schwerpunkt der Familienpolitik liegt auf dem Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen (vgl. Bundesministerium für Familie (e) 2007). Die Grundlage bildet dafür das TAG, das Tagesbetreuungsausbaugesetz:
- Bis 2010 werden 230.000 zusätzliche Plätze in Kindergärten, Krippen und in der Tagespflege bereitgestellt
- Die Qualität der Betreuung wird verbessert und dadurch die frühe Förderung der Kinder
- Die Tagespflege wird ausgebaut und durch Qualifizierungsmaßnahmen aufgewertet, dadurch erhöht sich die Wahlfreiheit der Eltern zwischen verschiedenen Betreuungsmöglichkeiten.
Das Ziel des Ausbaus ist es, ein bedarfsgerechtes, zeitlich flexibles, bezahlbares und vielfältiges Angebot für alle Altersgruppen zu schaffen. Der hohe Versorgungsgrad in Ostdeutschland soll dabei erhalten bleiben und betriebliche Kinderbetreuung gefördert werden. Durch den Ausbau der Tagespflege werden neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen. Die Qualifizierung der Tagespflegepersonen wird durch Mittel aus dem Europäischen Sozialfond bestritten (vgl. ebd.).
2.3.5. Gründe für die Entscheidung zur Krippenbetreuung
Gründe für Eltern, ihr Kind in eine Krippe zu geben sind zum einen Überforderung in der Erziehung des Kindes. Zum anderen können Schwierigkeiten in der Rolle als Mutter Frauen zu diesem Schritt bewegen:
„So mag beispielsweise eine Mutter ihr Kleinkind zur Betreuung in eine Tageseinrichtung geben, weil sie aversive Erfahrungen mit ihrem Kind macht oder eine negative Einstellung zu ihrer Rolle als Mutter hat oder weil sie mit der Empfindlichkeit und Reizbarkeit ihres Kindes nicht zurechtkommt (Beller
1995, S.111).
In den meisten Fällen jedoch wird die Tageseinrichtung als Alternative zur Familienerziehung gewählt, um wieder in den Beruf bzw. die Ausbildung einsteigen zu können. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann somit für beide Elternteile realisiert werden. Besonders für Alleinerziehende ist es zudem bisher oft die einzige Möglichkeit, die Betreuung ihrer Kinder zu gewährleisten.
Auch das Erlernen sozialer Kompetenz ist ein Grund für die Krippenbetreuung:
„Es gibt eine ebenso große Anzahl von Müttern, die aus ökonomischen Gründen oder infolge ihrer positiven Einstellung zur eigenen Berufstätigkeit oder aus hoher Wertschätzung früher sozialer Erfahrungen ihres Kindes heraus ihr Kind in eine Krippe geben“ (Beller 1995, S. 111).
2.3.6. Studien zur Thematik Kleinkindererziehung und Familie
2.3.6.1. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung junger Eltern
Das Bundesfamilienministerium hat im März 2005 noch in der Legislaturperiode der Bundesfamilienministerin Renate Schmidt die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung junger Eltern veröffentlicht. Die Untersuchung wurde von „ forsa.“ durchgeführt. Befragt wurden 1001 Mütter und Väter mit Kindern zwischen 0 und 10 Jahren im Haushalt. Hier nun die Ergebnisse (vgl. Bundesministerium für Familie (b)2007)
- Der Aussage „Es gibt zu wenig Betreuungsangebote für unter 3-Jährige“ stimmten nur knapp mehr als die Hälfte der Befragten zu, nämlich 53%. 47 % stimmten demnach dieser Aussage nicht zu, obwohl nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes 2004 auf 100 Kinder in Westdeutschland nur 2,7 Plätze in Kindertageseinrichtungen kamen. Betrachtete man nur die Altersgruppe der 18 bis 29-Jährigen Eltern, stimmten 59 % dieser Aussage zu.
- Nach den Ergebnissen des DIHK-Kita-Checks von 2005 haben etwa 5 % der Kindertageseinrichtungen nach 18 Uhr und 1 % am Samstag geöffnet. Ein Drittel der Einrichtungen bietet individuelle Betreuungszeiten an. Auf die Frage, ob längere und flexiblere Öffnungs- und Betreuungszeiten wünschenswert wären, antworteten 60 % der Befragten mit ja. Die Gruppe der berufstätigen alleinerziehenden Befragten antwortete zu 71 % mit ja, die Gruppe der 18 bis 29-Jährigen stimmte mit 67 % zu, die Gruppe der Mütter mit 64 % und die der Väter mit 55%.
- Obwohl in den neuen Bundesländern 98 % der Krippen- und Kindergartenplätze mit Ganztagesangeboten verbunden sind, entsprechen auch dort die Öffnungszeiten nicht dem Bedarf der Eltern. 47 % der Befragten aus Ostdeutschland wünschen sich längere und flexiblere Öffnungszeiten, dagegen 62 % der Westdeutschen.
- 53 % der Befragten finden es sehr wichtig, dass sich die Unternehmen und die Arbeitgeber für eine gute Kinderbetreuung engagieren, 37 % halten dies für wichtig und 10 % für unwichtig. Und viele Unternehmen engagieren sich schon. Begründet wird dies auch mit betriebswirtschaftlichen Interessen. Die Spitzenverbände der Wirtschaft bewerten diese Maßnahmen als „wachstumsfördernd“.
Die Bestrebungen der Familienpolitik, Betreuungsangebote auszubauen, entsprechen den Bedürfnissen von nur ca. der Hälfte der Familien. Die andere Hälfte der Familien, die keinen Ausbau wünschen, werden folglich von der Familienpolitik in ihren Bedürfnissen nicht berücksichtigt.
2.3.6.2. ifo Projekt
Das ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V. München hat im Auftrag der Robert Bosch Stiftung die Auswirkungen familienpolitischer Instrumente auf die Fertilität untersucht, und dabei ausgewählte Länder international miteinander verglichen. Das Projekt lief in der Zeit von Januar 2005 bis Mai 2005 (vgl. Institut für Wirtschaftsforschung 2007).
Zur Fragestellung: Viele Länder versuchen durch familienpolitische Maßnahmen die finanzielle Lage der Familien zu verbessern. Möglicherweise werden durch diese Unterstützungsleistungen das generative Verhalten beeinflusst. Es wurde daher untersucht, ob dieser Einfluss empirisch evident ist. Er wurden dabei die Länder Deutschland, Frankreich, Schweden und das Vereinigte Königreich ausgewählt.
Die empirischen Studien zeigen, dass in allen Ländern die finanziellen Instrumente einen statistisch bedeutsamen Einfluss auf das Geburtenverhalten der Bevölkerung haben. Finanzielle Instrumente sind unter anderen zum Beispiel Kindergeld, Erziehungsgeld und Kinderfreibeträge. Trotzdem ist die Wirksamkeit dieser Maßnahmen begrenzt: werden die familienpolitischen Leistungen um 1 % des Bruttoinlandsproduktes erhöht, steigt die Fertilitätsrate aller Wahrscheinlichkeit nach um ca. 0,2 Kinder pro gebärfähige Frau.
Es wurde dabei auch die Wirkung vorhandener Kinderbetreuungsangebote auf die Fertilität untersucht. Es kam dabei zu folgendem Ergebnis:
„Der empirische Nachweis einer signifikanten Wirkung des öffentlichen oder privaten externen Kinderbetreuungsangebots auf die Fertilität konnte bisher
nicht in überzeugender Weise erbracht werden“ (ebd.).
Die Bestrebungen der Familienpolitik, durch einen Ausbau von Betreuungsangeboten die Geburtenzahlen zu erhöhen, werden sich folglich nicht realisieren. Familienbezogene Geldleistungen dagegen würden einen leichten Anstieg bewirken, was bedeutet, dass die Familienpolitik ihren Schwerpunkt anders setzen müsste, um dem demographischen Wandel entgegenwirken zu können.
2.3.6.3. Ergebnisse des Arnold Bergstraesser Instituts Freiburg
Im Herbst 2005 wurde in Freiburg eine Umfrage zur Familie und zur Einschätzung des Kinderbetreuungsangebots durchgeführt. Die Ergebnisse wurden vom Arnold-Bergstraesser Institut ausgewertet. Befragt wurden 485 Haushalte mit insgesamt 969 Kindern. Diese Umfrage ist zwar auf die Stadt Freiburg beschränkt, kann jedoch trotzdem für die familienpolitische Diskussion von Bedeutung sein.
Im Folgenden werden nur die wichtigsten Ergebnisse dargestellt (vgl. Familiennetzwerk (a) 2007):
- Bei der Frage nach der wichtigsten Betreuungsperson der Kinder kam es bei Mehrfachnennung zu folgendem Ergebnis: mehr als 90 % gaben die Mutter als wichtigste Betreuungsperson an, 50 % den Vater und 20 % die Großmutter
- Die wichtigste Betreuungsinstitution war für 70 % der Kindergarten, für 20 % die Kindertagesstätte
- „Befragt, wie sie ihre Kinder bei freier Wahl und finanzieller Unabhängigkeit am liebsten betreut sähen, erklären mehr als 80 % durch Eltern und Familie, 10 % durch die Kindertagesstätte und 5 % durch die Tagesmutter“ (ebd.)
Diese Umfrage verdeutlicht, dass die Mehrheit der Eltern ihr Kind zu Hause erziehen möchte, eine Tatsache, der sich die Familienpolitik nicht verschließen darf.
2.3.6.4. Ergebnisse der Zeitschrift „ELTERN“ und „ELTERN for family“
Unter dem Titel „Mehr Kinder. Mehr Leben.“ wurde in der zehnten Ausgabe von 2004 der Zeitschriften ELTERN und ELTERN for family die Ergebnisse einer Eltern- und Heftbefragung, die Britta Pohl durchgeführt hatte, veröffentlicht (vgl. Familiennetzwerk (g) 2007). Der Titel der Umfrage lautete: „Hauptwünsche an den Staat und das berufliche und private Umfeld“. Der Auftrag an die Eltern bei der Heftbefragung lautete: „Wenn Sie sich vom Staat und ihrem beruflichen und privaten Umfeld etwas wünschen könnten, was wäre das? Bitte kreuzen Sie nur die Punkte an, die Sie sich persönlich am meisten wünschen.“
Die Ergebnisse sind in Prozent angegeben (vgl. ebd.):
- 70 % wünschen sich günstigere Preise für Familien
- 66 % wünschen sich mehr gesellschaftliche Anerkennung für die Erziehung von Kindern
- 56 % wünschen sich ein kinderfreundliches Klima in der Gesellschaft
- 55 % mehr finanzielle Unterstützung vom Staat
- 50 % ein höheres gesellschaftliches Ansehen für Familien
- 40 % mehr Sicherheit für Kinder
- 39 % kostengünstigere Kinderbetreuungsplätze
- 38 % qualitativ bessere Kinderbetreuung
- 38 % mehr großen und bezahlbaren Wohnraum für Familien
- 37 % mehr Teilzeitarbeitsplätze
- 36 % flexiblere Arbeitszeiten
- 28 % mehr Ganztagsschulen
- 25 % mehr Kinderbetreuungsplätze
- 20 % mehr Kinderspielplätze
Auffällig ist, dass ein Mehr an Kinderbetreuungsangeboten nur von einem Viertel der befragten Eltern gewünscht wird. Im Gegensatz dazu die Ergebnisse der Bundesregierung, in welchen die Hälfte der befragten Eltern ein Mehr wünschen. Der Unterschied dieser Ergebnisse ist eklatant.
2.3.6.5. Emnid Studie: Wie Mütter in Deutschland wirklich sind
Anlässlich des Muttertages stellte Emnid 2006 1000 Müttern zwischen 18 und 60 Jahren in Deutschland zehn Fragen zu ihrer Lebenssituation. Die neue Umfrage fand im Auftrag der wellcome gGmbH unter der Geschäftsführerin Rose Volz-Schmidt statt:
Die für das zu bearbeitende Thema entscheidende Ergebnisse sind (vgl. Familiennetzwerk (f) 2007):
- 55 % der Mütter sind der Meinung, dass Mütter bis zum Kindergartenalter zu Hause bleiben sollen; sie stellen die eigene Berufstätigkeit hinter das Wohl ihrer Kinder zurück
- 63 % der jungen Mütter sind derselben Meinung
- 27 % der Mütter sind für eine gemeinsame Elternzeit
- 6 % sind generell gegen eine Berufstätigkeit der Mütter
- die größte Alltagsbelastung sind für Mütter Geldsorgen (33 %), danach kommen Haushalt (22 %) und Kinderbetreuung (15 %)
Die Ergebnisse fasst Rose Volz-Schmidt folgendermaßen zusammen:
„Wer eine mütterfreundliche Familienpolitik will, muss sehr viel differenzierter über Förderungsmaßnahmen nachdenken als das bisher in der Diskussion erkennbar ist“ (ebd.).
2.4. Zur Situation von Kleinkindern
2.4.1. Ergebnisse des „Zwölften Kinder- und Jugendberichtes“ hinsichtlich der Kleinkindpädagogik mit kritischer Hinterfragung
2.4.1.1. Grundlegendes
Der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht hat die „Bildung, Betreuung und Erziehung vor und neben der Schule“ zum Thema. Im Auftrag der Bundesregierung wurde er durch eine Kommission von Fachleuten unter dem Vorsitz des DJI (Deutsches Jugendinstitut)-Direktors Prof. Dr. Thomas Rauschenbach erstellt. Im August 2005 wurde er veröffentlicht (vgl. DJI 2007).
Eines der Leitmotive des Berichtes ist „Bildung von Anfang an“, damit wird die Bildungsfrage in den ersten Lebensjahren in dem Mittelpunkt gerückt. Ziel dieser Bildung ist die Lebenskompetenz. Da die Familie als Bildungswelt zunehmend unsicher wird, muss die Kindertagesbetreuung umso vermehrt die Bedeutung der Bildung berücksichtigen (vgl. 12. Kinder- und Jugendbericht 2006, S. 28).
Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebote müssen daher so gestaltet werden, dass ein Aufwachsen in einer Kooperation von privater und öffentlicher Erziehung, von Familie und Kindertagesbetreuung qualifiziert möglich ist (vgl. ebd.), so der Bericht.
2.4.1.2. Bildungsprozesse in den ersten Jahren
Die frühen Entwicklungs- und Bildungsprozesse sind durch folgende Voraussetzungen charakterisiert (vgl. 12. Kinder- und Jugendbericht 2006, S. 33):
- Entwicklung ist ein dynamischer Interaktionsprozess zwischen den Genen und den sozialen Erfahrungen, die ein Kind macht
- Aufgabe des Kindes ist es in seiner Entwicklung gutes Maß an Selbstregulation zu erwerben. Wird die Regulationsfähigkeit (die Fähigkeit, sich selbst regulieren zu können) überschritten, sind Störungen die Folge
- „Der Entwicklungs- und Bildungsverlauf des Kleinkindes ist in hohem Maße von fürsorglichen, pflegenden und betreuenden Beziehungen in verlässlichen, emotional sicheren und beschützenden Settings zu wenigen erwachsenen Bezugspersonen abhängig“ (ebd.)
- Das Kind braucht eine Umgebung mit vielen Anregungen, um sich mit seiner Welt auseinandersetzen zu lernen
- „...spätestens ab dem dritten Lebensjahr, bedürfen Kinder neuer, den familialen Rahmen erweiternde und ergänzende Bildungsgelegenheiten. Die Familie bietet zwar den Boden für elementare ... Bildungsprozesse des Kindes, jedoch sind unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen ihre Möglichkeiten, Kindern die Teilhabe an der komplexen, pluralistischen und einem schnellen Wandel unterworfenen Gesellschaft zu ermöglichen, eingeschränkt“ (ebd.).
Der 12. Kinder- und Jugendbericht fordert daher: die Verantwortung für die Entwicklung des Kindes muss sowohl von den Eltern als auch von der Gesellschaft getragen werden. Die Schlussfolgerung, die der Bericht zieht ist, dass die Gesellschaft folgenden Auftrag hat: die Qualität der Bildungswelt Familie und die der Tagespflege und der Kindertageseinrichtungen zu verbessern.
Konkret sind dabei zwei Aspekte zu beachten:
Erstens muss die Familie als grundlegende Bildungswelt anerkannt werden. „Sie ist der wichtigste Ort, die Bereitschaft und Fähigkeit zu lebenslangem Lernen bei den Kindern anzulegen“ (ebd., S. 34). Doch entstehen hier auch Bildungsdifferenzen durch Defizite in der Familie, die lebenslang wirksam sind. Die Leistungsfähigkeit der Familie muss also gesellschaftlich gefördert werden.
Zweitens benötigen Kinder, so der Bericht, neben der Familie schon in frühester Kindheit zusätzliche Bildungsangebote. Ihr Wert für die Entwicklung des Kindes muss in der Öffentlichkeit vermehrt vermittelt werden. Möglichst viele Familien sollen derartige Angebote, wie Mutter-Kindgruppen/ Elterngruppen und Kinderbetreuungsangebote in Anspruch nehmen. Für eine gute Erziehung in Betreuungseinrichtungen ist dabei die Qualität entscheidend, diese muss laufend verbessert werden (vgl. ebd.).
2.4.1.3. Leistungen und Veränderungsmöglichkeiten der Bildungswelten
Zunächst zu den Leistungen der Familie: in der Familie erwirbt das Kind grundlegende Kompetenzen, die sich durch sein ganzes Leben ziehen. Damit hat die Familie den stärksten Einfluss auf die Entwicklung und die Bildung des Kindes. Beeinträchtigungen erleidet das Kind in der Familie, wenn die notwendigen Ressourcen nicht gegeben sind. Auch mangelnde Kommunikation wirkt sich in der Familie negativ aus. Doch Familien mit mangelnden Ressourcen sind nicht automatisch für schlechtere Bildungsbedingungen verantwortlich. Durch die Ermöglichung von Zugängen zu anderen, familienunabhängigen Lernwelten können diese Defizite ausgeglichen werden, so der Bericht (vgl. 12. Kinder- und Jugendbericht 2006, S. 36).
Um die Leistungen der Familie entsprechend honorieren zu können, sind finanzielle Unterstützungen notwendig. Sie sollen einen Ausgleich für Einkommensausfälle darstellen. Infrastrukturen für Familie sollten zudem verbessert werden, sowie die Zugänge zu Familienbildungseinrichtungen. Programme der Selbsthilfe müssten aktiviert werden.
Die öffentliche Kindertagesbetreuung leisten zum einen Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder. Im Gegensatz zu den institutionellen Angeboten, sind die Angebote der Tagespflege sehr flexibel zu handhaben. Doch wenn die frühkindliche Bildung zufrieden stellend umgesetzt werden soll, muss sich die Qualität der Betreuung konstant verbessern. In der Diskussion stehen in diesem Zusammenhang eine verbesserte Erzieherinnenausbildung, verbesserte Prozess- und Strukturqualität, Einrichtungskonzeptionen und Rahmenpläne (vgl. ebd., S. 37).
Der Bericht geht in diesem Kontext aber auch auf Risikofaktoren der institutionellen Betreuung ein: bei einer frühen Betreuung erhöht sich für die Kinder das Risiko deutlich, infektionsbedingt zu erkranken.
„Ein zentraler Risikofaktor ist die Betreuung von Kindern auf engstem Raum (crowding). Vor diesem Hintergrund dürfte bei sehr jungen Kindern eine Tagespflegebetreuung alleine oder in einer Kleingruppe eine Alternative darstellen“ (ebd., S. 38).
2.4.1.4. Kritische Hinterfragung
Die Risiken, die eine öffentliche Erziehung mit sich bringen kann, werden in dem Bericht zu wenig berücksichtigt. Es wird angedeutet, dass Infektionen verstärkt auftreten können, jedoch werden psychische Risiken der öffentlichen Erziehung nicht erwähnt. Auch qualitativhochwertige Kinderkrippen sind nicht in der Lage, den seelischen Bedürfnissen eines Kleinkindes gerecht zu werden. Das ist besonders deshalb ein schwerwiegendes Risiko, da eine gesunde seelische Entwicklung auf der Grundlage einer Hauptbezugsperson die Voraussetzung für einen guten Entwicklungs- und Bildungsprozess ist, was ja das Hauptanliegen des Berichtes ist.
Die theoretischen Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung werden erwähnt, jedoch sind diese Voraussetzungen auch bei bester Qualität der Krippen nicht durchführbar: ein verlässliches und emotional sicheres Setting ist nicht umsetzbar, da natürliche Fluktuation und Arbeitszeiten eine große Zahl von Betreuungspersonen bewirken, und damit Unsicherheit für das Kind. Die erwähnte Regulationsfähigkeit des Kindes wird somit schnell überschritten und führt, wie angeführt, zu Störungen.
Fraglich ist auch, weshalb der Einfluss der Familie, der der stärkste hinsichtlich der Entwicklung und Bildung für das Kind ist, durch eine öffentliche Erziehung in den ersten Jahren behindert werden soll, anstatt ihn durch aufsuchende Maßnahmen zu fördern.
2.4.2. Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan (BEP)
Der Bildungs- und Erziehungsplan gilt für alle Tageseinrichtungen für Kinder bis zur Einschulung. Nach §1 und §2 des Bayerischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes (BayKiBiG) gehören dazu Kinderkrippen, Kindergärten und integrative Kindertageseinrichtungen. Durch den Plan soll das pädagogische Personal einen Orientierungsrahmen für die Umsetzung der Bildungs- und Erziehungsziele erhalten, die in der Ausführungsverordnung des BayKiBiG (BayKiBiGV) festgelegt wurden. Die Hauptaussage des Planes ist, dass jedes Kind von Geburt an ein Recht auf Bildung hat. Begründet wird dieses Recht so: „Bildung von Anfang an ist im Interesse der Kinder, aber auch der Gesellschaft. Bildung ist der Schlüssel zum Lebenserfolg. Von ihr hängen die Zukunftschancen des Landes ab“ (BEP 2006, S. 17).
2.4.2.1. Menschenbild und Grundsätze des BEP
Der neugeborene Mensch kommt als „kompetenter Säugling“ (BEP 2006, S. 23) zur Welt, das heißt, er gestaltet seine Bildung und Entwicklung von Geburt an aktiv mit. Dabei unterscheiden sich die Kinder in Persönlichkeit und Individualität. Zudem haben Kinder Rechte:
„insbesondere ein Recht auf bestmögliche Bildung von Anfang an; ihre Persönlichkeit, Begabung und geistig-körperlichen Fähigkeiten voll zur
Entfaltung zu bringen, ist oberstes Ziel ihrer Bildung“ (ebd., S. 23).
Im Bildungs- und Erziehungsprozess wird Bildung als lebenslanger Prozess folgendermaßen verstanden:
„Bildung im Kindesalter gestaltet sich als sozialer Prozess, an dem sich Kinder und Erwachsene aktiv beteiligen. Nur in gemeinsamer Interaktion, im kommunikativen Austausch und im ko-konstruktiven Prozess findet Bildung, nicht zuletzt als Sinnkonstruktion, statt. So verstanden sind Bildungsprozesse eingebettet in den sozialen und kulturellen Kontext, in dem sie jeweils
geschehen“ (ebd., S. 24).
Die Ziele der Bildung sind ganzheitlich und betreffen folgende Dimensionen: die Persönliche, die Interaktionale, die Kulturelle, die Wissens- und die Partizipatorische Dimension. Die verfolgten Leitziele werden so formuliert (vgl. ebd., S. 26f):
- Stärkung kindlicher Autonomie und sozialer Mitverantwortung
- Stärkung lernmethodischer Kompetenzen
- Stärkung des kompetenten Umgangs mit Veränderungen und Belastungen
Bildung soll dabei im Dienst der kindlichen Entwicklung stehen: deshalb gilt auch das Prinzip der Entwicklungsangemessenheit der Bildung.
Bildung und Erziehung lassen sich in diesem Verständnis kaum mehr klar differenzieren, da die traditionellen Domänen von Erziehung heute Gegenstand der Bildung ist. Das Spielen und das Lernen soll dabei auf die Weise verknüpft werden, dass sie eine Einheit bilden (vgl. ebd., S. 28ff).
2.4.2.2. Basiskompetenzen
Die wichtigste theoretische Grundlage ist in diesem Zusammenhang die Selbstbestimmungstheorie, die davon ausgeht, dass der Mensch drei grundlegende Bedürfnisse hat: das nach sozialer Eingebundenheit, nach Autonomie und das nach Kompetenzerleben. Es sollen daher in den Einrichtungen personale, soziale, lernmethodische Kompetenzen und Reslilienz entwickelt werden (vgl. BEP 2006, S. 55ff).
2.4.2.3. Themenübergreifende und themenbezogeneZiele
Die Themenübergreifenden Ziele sind (vgl. BEP 2006, 97f):
- Gestaltung der Übergänge des Kindes und Gewährung einer Konsistenz im Bildungsverlauf
- Einführung altersgemischter Gruppen
- Geschlechtssensible Erziehung
- Interkulturelle Erziehung
- Berücksichtigung von Kindern mit Entwicklungsrisiken
- Berücksichtigung von hochbegabten Kindern
Die themenbezogenen Ziele sind (vgl. ebd., S. 173f):
- Vermittlung von Werten und Religiosität
- Konfliktfähigkeit, soziale Kompetenzen und Umgang mit Emotionen
- Sprach- und Kommunikationsfähigkeit
- Bildung hinsichtlich Informations- und Kommunikationstechnik und Medien
- Mathematische, naturwissenschaftliche und technische Bildung
- Umweltbildung
- Förderung von Ästhetik, Kultur und Kunst
- Musikalische Früherziehung
- Bewegung, Sport, Rhythmik und Tanz
- Gesundes Leben
2.4.2.4. Schlüsselprozesse für Erziehungsqualität
Im Mittelpunkt steht hier die Partizipation sowohl der Eltern als auch der Kinder. Die dabei geltenden Prinzipien sind Demokratie, Partnerschaft und Kooperation (vgl. Pädagogische Rahmenkonzeption 2006, S. 22). Auf die Erziehungs- und der Bildungspartnerschaft wird besonders Wert gelegt.
2.4.2.5. Kritik am BEP hinsichtlich der Kinderkrippen
Es war eines der Hauptanliegen, Kinder unter drei Jahren mehr in den Blick zu nehmen, dennoch wurde der Plan ohne Altersangaben angefertigt. Damit sollte eine flexiblere Ausgestaltung der Ziele erreicht werden. Die Leitgedanken wurden so formuliert, dass das Kind ab der Geburt berücksichtigt wurde (vgl. BEP 2006, S. 52).
Dennoch wird kritisiert, dass dieses Hauptanliegen nicht realisiert wurde:
„Trotz der umfassenden Ausarbeitung des BEPs fehlen Vertiefungen zur Spezifik der pädagogischen Arbeit mit Kindern unter drei Jahren. Obwohl der altersübergreifende Ansatz in der pädagogischen Arbeit mit Kindern bis zum sechsten Lebensjahr als sinnvoll erachtet und sehr begrüßt wird, ist es bei der Umsetzung des BEP’s notwendig, die Altersgruppe der bis zu dreijährigen
Kinder zu differenzieren“ (Pädagogische Rahmenkonzeption 2006, S. 23).
Des Weiteren wurden die Bildungs- und Erziehungsziele für die Altersstufe der bis zu Dreijährigen als zu abstrakt und als nicht umsetzbar beurteilt. Und
die angeführten Beispiele als nicht realisierbar (vgl. ebd.).
Der BEP kann daher nicht als geeignete Grundlage für die Krippenpädagogik verwendet werden.
Zudem hat ein Kleinkind nicht nur ein Recht auf Bildung, sondern auch auf seelische Gesundheit, was die Fähigkeit zur Bildung erst möglich macht.
2.4.3. Rechtliche Grundlagen
2.4.3.1. Artikel 6 des Grundgesetzes
Das Grundgesetz stellt die Ehe und die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Gemeinschaft. Dieser Schutz dient auch dem Wohl des Kind, das in der Familie aufwächst:
„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“ (Artikel 6 (1)).
Im zweiten Absatz heißt es:
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die
staatliche Gemeinschaft“ (Artikel 6 (2)).
Damit macht der Gesetzgeber klar, dass die Hauptverantwortung bezüglich der Erziehung des Kindes in den Händen der Eltern liegt. Der Staat wacht aber über ihre Ausführung. Das Recht der Eltern und ihre Pflicht ist es, Entscheidungen zu treffen, die dem Wohl des Kindes dienen.
„Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“ (Artikel 6 (4)). Damit betont der Gesetzgeber die besondere Bedeutung der Mutter im Erziehungsprozess: Aufgabe der Gemeinschaft ist es, sie zu schützen und für ihr Wohl zu sorgen.
Die Familienpolitik muss es daher ermöglichen, dass auch weiterhin die Hauptverantwortung bezüglich der Kindererziehung bei den Eltern bleiben kann ohne dadurch einen gesellschaftliche Nachteil zu erleiden.
2.4.3.2. Neue Bundesgesetze: TAG und KICK
Die rechtliche Grundlage der Kinderkrippen, Kindertageseinrichtungen und der Tagespflege ist das achte Sozialgesetzbuch (SGB VIII): §22 bis §26. Mit dem Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung (TAG) vom 1. Januar 2005 ergab sich eine neue rechtliche Lage: die § 22 bis 24a und § 69 und § 74 SGB VIII werden ersetzt bzw. ergänzt.
Neuregelungen betreffen zum einen eine Gleichstellung von Tageseinrichtungen und Kindertagespflege, zum anderen die Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren. Diese sollen qualitätsorientiert und bedarfsgerecht ausgebaut werden (vgl. Pädagogische Rahmenkonzeption 2006, S. 18). Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind damit gesetzlich verpflichtet, ein Angebot der Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren zu stellen, das auf den jeweiligen Bedarf eingestellt ist.
Der Bedarf wird dabei konkretisiert:
„Für Kinder im Alter unter drei Jahren sind mindestens Plätze in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege vorzuhalten, wenn
1. die Erziehungsberechtigten oder, falls das Kind nur mit einem Erziehungsberechtigten zusammenlebt, diese Person einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in der Schulausbildung oder Hochschulausbildung befinden oder an Maßnahmen zur Eingliederung in die Arbeit im Sinne der Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt teilnehmen oder
2. ohne diese Leistung eine ihrem Wohl entsprechende Förderung nicht
gewährleistet ist ...“ (§ 24 (3) TAG).
Durch die Aufwertung der Tagespflege und damit verbundenen Qualifizierungsmaßnahmen, erhalten die Eltern zwei gleichwertige Möglichkeiten der Betreuung. Im Rahmen dieser Neuregelung wurde auch festgelegt, dass bis 2010 rund 230 000 neue Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen werden. Etwas mehr als ein Drittel davon in der Tagespflege (vgl. Pädagogische Rahmenkonzeption 2006, S. 18). Ein rechtlicher Anspruch wurde aber für Kinder unter drei Jahren nicht verankert. Verantwortlich für den Ausbau sind die Gemeinden.
Neu ist auch, dass im § 22 die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Ziel der Tagesbetreuung festgelegt ist:
„Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege sollen... den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander
vereinbaren zu können“ (§ 22 (2) TAG).
Am 1. Oktober 2005 wurde durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK) das TAG fortgeführt und die Neuerungen des SGB VIII vervollständigt.
[...]
- Arbeit zitieren
- Brigitta Brunner (Autor:in), 2007, „Das Kind in der Krippe“. Frühe institutionelle und außerfamiliäre Betreuung und Erziehung von Säuglingen und Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91632
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