„Kennt Brüssel einen Gott?“ (Waschinski, 2007, S. 61)
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben am 29. Oktober 2004 den „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ (VVE) in Rom unterzeichnet. Dabei hat der Streit um die Frage der Aufnahme religiöser Elemente in den Vertrag, dem Verfassungsprojekt eine mediale Aufmerksamkeit gebracht, die sonst für Europaangelegenheiten eher untypisch ist. (Kopetz, 2005, S. 12) Bis zuletzt war dabei „die Gretchenfrage, wie es der Kontinent mit der Religion hielte“, (Luf, Potz & Schinkele, 2002, S. 353) sowohl im Verfassungskonvent, als auch auf den Regierungskonferenzen umstritten. Es musste eine Einigung gefunden werden, ob ein direkter Gottesbezug, ein Verweis auf die christlichen Wurzeln oder gar keine Erwähnung religiöser Wurzeln, Einzug in die Verfassung halten solle...
In der Arbeitl soll die dynamische Entwicklung der Forderung nach einem Gottesbezug in der EU-Verfassung aufgezeigt werden...
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung ins Thema
2. Etappen des Religionsrechts in Europa
3. Vorbereitung der Europäischen Verfassung
4. Grundlagen religiöser Bezüge
5. Exkurs: Bedeutung und Wirkung von Präambeln
6. Die Standpunkte einiger Akteure hinsichtlich eines religiösen Bezuges in der Präambel des Vertrages über eine Verfassung für Europa
7. Ursachen für die Positionierung einzelner Staaten in der Präambeldebatte
8. Schlußbetrachtung
Abkürzungsverzeichnis
Literatur
1. Einführung ins Thema
„Kennt Brüssel einen Gott?“ (Waschinski, 2007, S. 61)
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben am 29. Oktober 2004 den „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ (VVE) in Rom unterzeichnet. Dabei hat der Streit um die Frage der Aufnahme religiöser Elemente in den Vertrag, dem Verfassungsprojekt eine mediale Aufmerksamkeit gebracht, die sonst für Europaangelegenheiten eher untypisch ist. (Kopetz, 2005, S. 12) Bis zuletzt war dabei „die Gretchenfrage, wie es der Kontinent mit der Religion hielte“, (Luf, Potz & Schinkele, 2002, S. 353) sowohl im Verfassungskonvent, als auch auf den Regierungskonferenzen umstritten. Es musste eine Einigung gefunden werden, ob ein direkter Gottesbezug, ein Verweis auf die christlichen Wurzeln oder gar keine Erwähnung religiöser Wurzeln, Einzug in die Verfassung halten solle. (Riedel, 2005, S. 676)
Das Ergebnis der mehrjährigen Diskussion auf nationaler sowie supranationaler Ebene war folgender, dem VVE vorangestellten, Teil der Präambel:
„SCHÖPFEND aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit entwickelt haben, […]“[1] (CIG 87/2/04 Rev 2, Präambel)
Im folgenden Teil soll die dynamische Entwicklung der Forderung nach einem Gottesbezug in der EU-Verfassung aufgezeigt werden. Als erstes wird kurz dargelegt, wie Religionsrecht, -freiheit und -pflichten Einzug in die europäischen Verträge gehalten haben. Dabei soll deutlich werden, dass die Frage nach einem Gottesbezug nicht erst in der Diskussion über den VVE ein Streitpunkt war.
Hiernach soll der Verlauf der Auseinandersetzungen um die religiösen Bezüge in der EU-Verfassung vorgestellt werden. Es werden die Pro und Contra Positionen der einzelnen stimmberechtigten Staaten sowie anderer Institutionen (vor allem der Kirchen) aufgezeigt. Dabei soll untersucht werden, warum sich welche Staaten Für oder Gegen einen Gottesbezug im VVE aussprachen.
Eingeschoben ist ein Exkurs über die Wirkung und die rechtliche Verbindlichkeit von Präambeln. Untersucht werden soll, ob und welche Bedeutung ein Gottesbezug oder ein Verweis auf die christlichen Wurzeln in der Präambel des VVE gehabt hätte.
Abschließend wird die Entwicklung zusammengefasst und ein Ausblick auf die Zukunft Europas, unter Berücksichtigung des möglichen Beitritts der Türkei, gegeben.
2. Etappen des Religionsrechts in Europa
Die Etablierung eines Religionsrechtes auf europäischer Ebene ist verhältnismäßig spät in Angriff genommen. Dies wird verständlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die Geschichte der europäischen Einigung anfangs vor allem als wirtschaftlicher Prozess konzipiert wurde. Mit dem Vertrag über eine Europäische Union vom 7. Februar 1992, wurden erste Strukturen eines europäischen Religionsrechts sichtbar. Religionsfreiheit, „die Verpflichtung der Union zu Neutralität in weltanschaulichen Fragen, zu Toleranz gegenüber unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen [und] zur Gleichbehandlung von Religionsgemeinschaften“ (Robbers, 2003, S. 148) wurden als Gemeinschaftsrecht festgeschrieben. Dabei greift Artikel 6 des EU-Vertrages auf die Grundrechte zurück, die bereits seit 1950 im Artikel 9 der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) gewährleistet sind (Waschinksi, 2007, S. 44):
„Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens-, und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben.“ (EMRK, Art. 9)
Einen Durchbruch für das Religionsrecht auf Europaebene war die Unterzeichnung des Vertrages von Amsterdam am 2. Oktober 1997 von den Staats- und Regierungschefs, der im Mai 1999 in Kraft trat. Hierin werden Elemente eines europäischen Religionsrechts erstmals im Vertragswerk selbst (also auf der Ebene des Primärrechts) etabliert und nicht nur am Rand von Rechtstexten und Urteilen des Europäischen Gerichtshofes erwähnt. (Heinig, 2004, S. 171) Zudem wurde auf der Regierungskonferenz ein erster Schritt zu einem europäischen Staatskirchenrecht unternommen, indem die Erklärung Nr. 11 als Anlage zum Vertragswerk, verabschiedet wurde. (Leinemann, 2004, S. 186) Diese sogenannte „Amsterdamer Kirchenerklärung“ geht vor allem auf den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl zurück, der eine Festschreibung der kirchlichen Rechte im europäischen Vertragswerk erreichen wollte und lautet:
„Die Europäische Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und lässt ihn unangetastet. Ebenso achtet die Union den Status von weltanschaulichen und nichtkonfessionellen Organisationen.“ (Häberle, 2006, S. 521)
Mittels dieser Formulierung wird Kirche und Religion zugestanden, wichtige Faktoren und kritische Partner für die Europäische Union und deren Integrationsprozess darzustellen. Da die Kirchenerklärung, aufgrund des Widerstandes Frankreichs, nur eine begleitende Äußerung und nicht im Vertragswerk selbst festgeschrieben wurde, ist deren Rechtsnatur nicht ganz deutlich. Die herrschende Auffassung ist jedoch, dass eine Erklärung zu Verträgen einen Bestandteil des Vertragsumfeldes darstellt und so „bei der Auslegung des Primärrechts heranzuziehen ist und die Union politisch bindet.“ (Heinig, 2004, S. 171)
Ein nächster großer Sprung zu einem europäischen Religionsrecht war die Proklamierung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union am 7. Dezember 2000 in Nizza. Hierin wird in Bezug auf den bereits vorgestellten Artikel 9 EMRK, die Religionsfreiheit in Artikel 10 als individuelles Recht garantiert. (Robbers, 2003, S. 154) Während der Beratung zur Grundrechtecharta war die Frage nach einem ausdrücklichen Bezug auf das religiöse Erbe Europas heftig umstritten. Einvernehmen bestand nur darüber, der Charta eine Präambel voran zu stellen.
Ob in dieser jedoch auf christlich-abendländische Traditionen verwiesen werden sollte, war lange Streitpunkt. Dies lehnte vor allem der französische Premierminister Lionel Jospin mit dem Hinweis der seit 1905 bestehenden laizistischen Tradition seines Landes und der Gefahr eines Ausschlusses „der Universalität der Grundrechte vor religiösen Bezügen in der Präambel“, ab. (Riedel, 2005, S. 679) Da man sich trotz langer Verhandlungen auf keinen gemeinsamen Standpunkt einigen konnte, kam es zu dem seltsamen Kompromiss, dass in der deutschen Präambelversion der Grundrechtecharta von einem „geistig-religiösen Erbe“ Europas gesprochen wird, während die englische („spiritual heritage“) und französische Version („patrimoine spirituel“) lediglich auf ein „spirituelles Erbe“ Bezug nehmen. (Goerlich, 2004, S. 38) Hier wird einmal mehr ein Phänomen des europäischen Rechts deutlich, wie in den einzelnen Staaten aufgrund ihrer jeweiligen historischen Erfahrungen mit Religion, unterschiedliche Akzentuierungen unterschiedliche Bedeutungshorizonte entwickeln. Trotzdem ist die Grundrechtecharta religionsrechtlich und kulturell, zusammen mit der zugesicherten Religionsfreiheit bedeutsam, begründet sie damit doch ein „religiöses und weltanschauliches Neutralitätsgebot für die Europäische Union“. (Robbers, 2003, S. 157)
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[1] Da die Präambel im Wortlaut derer des am 13.12.2007 unterzeichneten „Vertrages von Lissabon“ gleicht, wird hier nur auf die Diskussion zur Verabschiedung des VVE eingegangen.
- Quote paper
- Mathias Dittrich (Author), 2008, Abriss der Debatte um die Aufnahme religiöser Bezüge in die Präambel des Europäischen Verfassungsvertrages, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91551
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