Gegenstand dieser Arbeit soll die Ortsnamenpolitik in dem heute in Polen gelegenen Gebiet Posen sein, in welchem als „Raum nationaler Konfrontation“ im Wechsel zwischen deutschen und polnischen Machthabern seit 1815 viermal Ortsnamen geändert wurden. Dabei geht es um die Ideologien und deren Durchführung seitens der Herrschenden, sowie den Vergleich untereinander mit der Frage, ob die jeweils gesetzten Ziele erreicht wurden. Betrachtet werden daher weniger die konkreten Namenwechsel oder die Benutzung der Namen durch die Bevölkerung, sondern ihre Festsetzung seitens der Herrschenden.
Eine besondere Bedeutung erhält die im Titel erwähnte Idee der ‚onomastischen Waffe’, deren Anwendungsmöglichkeiten im Posener Gebiet herausgearbeitet und bewertet werden. Einen Schwerpunkt nimmt in diesem Zusammenhang die Analyse der deutschen Besatzer ein, da hier vermutet wird, dass sie, ausgehend von Geschichte und Bevölkerung, die eigentlichen ‚Fremden’ in der Region waren und wahrscheinlich nicht auf eine eigene Ortsnamenlandschaft zurückgreifen konnten. Wie und warum sie trotzdem eine schaffen wollten, soll diese Arbeit darstellen.
Ausgehend von einer Arbeitsdefinition zu Ortsnamen und ihren Wechseln, wird die Ortsnamenpolitik Preußens, Polens nach 1918, der Nationalsozialisten und Polens nach 1945 im Gebiet um Posen vorgestellt. Um auf umfangreicheres Material polnischer Ortsnamenpolitik zurückzugreifen, werden für die Zeit ab 1945 die Ereignisse auf den neupolnischen West- und Nordgebiete betrachtet, auch wenn Posen nicht zu diesen gehörte. Den Einzelausarbeitungen vorangestellt, erfolgt jeweils eine geschichtliche, politische und geographische Einordnung, was besonders aus dem Grund von Bedeutung ist, da es sich nicht jeweils um ein deckungsgleiches Gebiet handelt, jedoch bei allen die Stadt Posen den Mittelpunkt der politischen und gesellschaftlichen Kräfte bildet. Im Vergleichskapitel werden Zielstellungen, Durchführung und Kriterien neuer Ortsnamen zwischen den Machthabern verglichen und anhand eines kleinen Namenkorpus des Kreises Schrimm an Beispielen festgemacht. Der Begriff der onomastischen Waffe wird im Schlussteil wieder aufgegriffen, in welchem die in der Einleitung aufgeworfenen Fragen beantwortet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ortsnamen und die onomastische Waffe
2.1 Ortsnamen und Ortsnamenwechsel
2.2 Die onomastische Waffe
3. Die Provinz Posen zwischen 1815 und 1918
3.1 Die polnische Frage
3.2 Ortsnamenpolitik in Posen
4. Die Woiwodschaft Poznań zwischen 1918 und 1939
4.1 Der neue polnische Staat
4.2 Ortsnamenpolitik
5. Das Reichsgau Wartheland von 1939 bis 1945
5.1 Die nationalsozialistische Siedlungspolitik
5.2 Ortsnamenpolitik im Reichsgau Wartheland
6. Polnische Ortsnamenänderungen nach 1945
6.1 Die polnische Westverschiebung
6.2 Ortsnamenpolitik in den ‚wiedergewonnenen Gebieten’
7. Ortsnamenwechsel im Vergleich
7.1 Vergleich der Machthaber
7.2 Änderungen im Kreis Schrimm
8. Zusammenfassung
Anhang:
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Wenn sich die politische Grenze zwischen zwei gleichartigen Kulturen verschiebt, wenn Leute, die eine fremde Sprache sprechen, die Macht in einem Gebiet übernehmen, oder wenn in einem Lande eine revolutionäre Machtveränderung stattfindet, führt dieses häufig onomastische Konsequenzen mit sich.“[1] Darin zeigt sich der politische Wille, die Geschichte und Identität der eingenommenen Kulturlandschaft auszumerzen und etwas Neues zu erschaffen, was seitens der Ortsnamen durch die strukturelle Anpassung an „die Sprache der fremden Machthaber“ geschieht.[2] Identität sei dabei verstanden als Vorstellung, wer man ist und wohin man gehört, was gerade bei der Neubesiedlung mit der eigenen Bevölkerung eine große Rolle spielt.
Gegenstand dieser Arbeit soll die Ortsnamenpolitik in dem heute in Polen gelegenen Gebiet Posen sein, in welchem als „Raum nationaler Konfrontation“ im Wechsel zwischen deutschen und polnischen Machthabern seit 1815 viermal Ortsnamen geändert wurden.[3] Dabei geht es um die Ideologien und deren Durchführung seitens der Herrschenden, sowie den Vergleich untereinander mit der Frage, ob die jeweils gesetzten Ziele erreicht wurden. Betrachtet werden daher weniger die konkreten Namenwechsel oder die Benutzung der Namen durch die Bevölkerung, sondern ihre Festsetzung seitens der Herrschenden.[4]
Eine besondere Bedeutung erhält die im Titel erwähnte Idee der ‚onomastischen Waffe’, deren Anwendungsmöglichkeiten im Posener Gebiet herausgearbeitet und bewertet werden. Einen Schwerpunkt nimmt in diesem Zusammenhang die Analyse der deutschen Besatzer ein, da hier vermutet wird, dass sie, ausgehend von Geschichte und Bevölkerung, die eigentlichen ‚Fremden’ in der Region waren und wahrscheinlich nicht auf eine eigene Ortsnamenlandschaft zurückgreifen konnten. Wie und warum sie trotzdem eine schaffen wollten, soll diese Arbeit darstellen.
Wie sich bei der Recherche zu dieser Arbeit herausstellte, gibt es wenige Ausarbeitungen, die Ortsnamenwechsel als eigenständigen Prozess darstellen. Vielmehr werden sie als eine notwendige Randerscheinung einer Besatzung mit Siedlungs- und Sprachpolitik charakterisiert.[5] Die vorliegende Ausarbeitung kann zwar ebenfalls keine abschließende Untersuchung und Analyse liefern, eröffnet jedoch den Problemkreis und bietet Anhaltspunkte für weiterführende Forschung. Eine Besonderheit dahingegen ist der Vergleichsteil, welcher Machthaber zu verschiedenen Zeitpunkten nebeneinander stellt und versucht, Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Die Relevanz des Themas für die heutige Zeit, ergibt sich daraus, dass sich die Wirkung vergangener Ortsnamenwechsel bis heute aufzeigen lässt, wenn deutsche Landsmannschaften die unter den Nationalsozialisten eingeführten Namen benutzen und damit den Erfolg der politisch gewollten Suggestion eines deutschen Siedlungsgebietes bestätigen.[6]
Ausgehend von einer Arbeitsdefinition zu Ortsnamen und ihren Wechseln, wird die Ortsnamenpolitik Preußens, Polens nach 1918, der Nationalsozialisten und Polens nach 1945 im Gebiet um Posen vorgestellt. Um auf umfangreicheres Material polnischer Ortsnamenpolitik zurückzugreifen, werden für die Zeit ab 1945 die Ereignisse auf den neupolnischen West- und Nordgebiete betrachtet, auch wenn Posen nicht zu diesen gehörte. Den Einzelausarbeitungen vorangestellt, erfolgt jeweils eine geschichtliche, politische und geographische Einordnung, was besonders aus dem Grund von Bedeutung ist, da es sich nicht jeweils um ein deckungsgleiches Gebiet handelt, jedoch bei allen die Stadt Posen den Mittelpunkt der politischen und gesellschaftlichen Kräfte bildet. Im Vergleichskapitel werden Zielstellungen, Durchführung und Kriterien neuer Ortsnamen zwischen den Machthabern verglichen und anhand eines kleinen Namenkorpus des Kreises Schrimm an Beispielen festgemacht. Der Begriff der onomastischen Waffe wird im Schlussteil wieder aufgegriffen, in welchem die in der Einleitung aufgeworfenen Fragen beantwortet werden.
2. Ortsnamen und die onomastische Waffe
2.1 Ortsnamen und Ortsnamenwechsel
Ortsnamen bzw. Siedlungsnamen sind nach Rymut (1987) Eigennamen von selbstständigen Ortschaften und erfüllen eine Individualisierungsfunktion, womit es möglich ist, sie voneinander zu unterscheiden.[7] Neben diesem funktionalen Aspekt gibt es auch einen sozialen, der besagt, dass Siedlungsnamen an einen bestimmten Ort, an eine bestimmte Zeit und an die Menschen gebunden sind, welche den Namen geben, überliefern und benutzen.[8]
Ogden und Richards Modell des semiotischen Dreiecks auf die hier behandelte Thematik angewandt, sagt aus, dass der Ortsname (Symbol) nicht direkt mit der Siedlung (Referent) verbunden ist, sondern erst über die menschengegebenen Assoziationsfelder (Gedanken) und die Benutzung der Bezeichnung ein Konzept für den Ort entsteht, welches durch den Ortsnamen hervorgerufen wird.[9] Diese wertgeladenen Assoziationsfelder um Ortsnamen werden laut Benson (1986) Teil der Heimat eines Menschen und damit Teil seiner Identität.[10]
Dass Ortsnamen nichts Festes sind, ergibt sich bereits daraus, dass sie als Teil des Lexikons der Sprache nahezu denselben Änderungsgesetzen folgen und sich z. B. ihrer Nachbarschaft anpassen, indem sie Analogien oder Nachahmungen bilden.[11] Grundsätzlich liegt ein Ortsnamenwechsel vor, bei „Aufgabe (auch Verlust) eines alten und Annahme bzw. Verleihung eines neuen Namens“, wobei daran nach Neuß (1986), ausgehend von dem Begriff ‚Wechsel’, drei Bedingungen geknüpft sind: Ortsnamenwechsel sind Handlung und Vorgang, sie erfolgen nacheinander und der Ort an sich muss weiterbestehen.[12] Dabei ist für diese Arbeit unerheblich, ob noch eine formale oder inhaltliche Beziehung oder Ähnlichkeit zwischen altem und neuem Namen besteht.[13] Veränderungen der Siedlungsstruktur, wegfallende Doppel- oder Mehrnamigkeiten oder die Bildung von Kontaktnamen stellen dagegen keine Ortsnamenwechsel dar.[14]
Wie sich am semiotischen Dreieck erkennen lässt, betreffen Änderungen von Ortsnamen nicht allein deren sprachlichen Ausdruck, sondern die Assoziationsfelder des Menschen und damit verbunden dessen Verhältnis zum Ort selbst. Ein direkter Einfluss auf die materiell existierende Siedlung besteht nicht.[15] An dieser Stelle sei auf die verwirrende Bezeichnung von Ortsnamen als ‚deutsch’ oder ‚polnisch’ hingewiesen. Damit sei nicht direkt der sprachliche Ausdruck der Namen bestimmt, sondern der sie verändernde Machthaber. Ein ‚deutscher’ Ortsname kann also durchaus dem polnischen Sprachgebrauch näher sein, als dem deutschen. Änderungen von Namen definieren sich im Folgenden daher nicht automatisch durch die Anpassung an die eigene Sprache, sondern durch die offizielle Festsetzung eines in jeglicher Form anderen Namens.
2.2 Die onomastische Waffe
Ortsnamen und Politik
Änderungen von Siedlungsnamen geschehen nicht von selbst, sondern unterliegen den sie benutzenden Menschen und bestimmten Anlässen. Sie werden nicht nur durch eine Umgestaltung der Siedlungsstruktur und zur Differenzierung verändert, sondern auch auf Veranlassung einer politischen und gesellschaftlichen Autorität, basierend auf einer Verschiebung von Herrschaftsmacht innerhalb eines Landes oder wenn eine gleichartige Kultur, mit einer fremden Sprache, ein Gebiet übernimmt.[16] Wenn hier weitreichende Änderungen auftreten, so deutet es darauf hin, dass die Ortsnamenpolitik der politischen Führung die Namen in den Dienst des Staates stellt, um ihre eigenen Interessen zu fördern. Neue Namenlandschaften symbolisieren dabei den Willen, „die Vergangenheit auszumerzen und etwas Neues zu schaffen“, ganz im Sinne der verfolgten Herrschaftsausübung.[17] Die Nationalsozialisten erwähnen in diesem Zusammenhang auch die Außenwirkung von ‚fremden’ Ortsnamen, welche gegenüber Außenstehenden suggerieren können, dass es sich nicht um das Land der Herrschenden handelt und somit an deren Legitimation zweifeln lässt.[18] Werden nun Ortsnamen zwecks dieser Symbolwirkung geändert, so ergibt sich aus den vorangestellten Ausarbeitungen, dass solche Wechsel auch gezielt oder unbewusst auf die Identität (oder ‚Heimatlichkeit’ wie bei Musioł) der Bevölkerung einwirken.[19]
In Verbindung mit dieser Arbeit sei auf die Begriffe ‚Germanisierung’ und ‚Eindeutschung’ hingewiesen. Sie bedeuten synonym sowohl „der deutschen Sprache angleichen, anpassen“ als auch „(von deutscher Seite) annektieren“.[20] Dabei wird die enge Verbindung zwischen der Annektion eines Gebietes und der sprachlichen Anpassungen von Ortsnamen deutlich. Da die mit solchen Aneignungen verbundenen Ortsnamenwechsel dem Willen der Bevölkerung entgegenstehen, ist es nicht verwunderlich, wenn mit den Abhängigkeitsverhältnissen auch die aufgezwungenen Ortsnamen wieder verschwinden. Solch eine Wiederbelebung alter Namen enthält laut Benson (1986) „nationalromantische und nationalistische Züge“, wobei offen bleibt, inwieweit diese die Form neuer ‚alter’ Ortsnamen beeinflussen.[21]
Ortsnamen als Waffe
Da Ortsnamenwechsel nicht den Ort im materiellen Sinne, sondern die Assoziationsfelder der Menschen betreffen, sind politisch motivierte Änderungen nicht auf die territoriale, sondern auf die geistige Aneignung eines Gebietes gerichtet. Hierbei kann es sich um einen konstruktiven oder einen destruktiven Prozess handeln, denn Änderungen können die Identitäten bestärken oder schwächen, je nachdem, ob der Schwerpunkt der Wechsel auf der Ablösung oder der Einführung von Ortsnamen liegt. In der nationalsozialistischen Literatur werden die Namen in den annektierten Gebieten damit zur Waffe im ‚Volkstumskampf’[22] und zur Waffe der fremden Ortsnamen, welche die deutsche Sprache ‚bedrohen’ können und daher ‚bekämpft’ werden müssen.[23]
Der Begriff der ‚onomastischen Waffe’ ist aus Berings (1990) Analyse der nationalsozialistischen Namenpolemik gegenüber dem preußischen Innenminister Albert Grzesinski entnommen[24]. Seine Person wird von den Nationalsozialisten mittels semantischer Destruktion seines Namens angegriffen, wogegen dieser einen regen (juristischen) Abwehrkampf führt, was Bering (1990) zu der Aussage bringt, dass die onomastische Waffe vom preußischen Innenminister für „gefährlich und massenwirksam [...] gehalten wurde“. Durch die Namenpolemik wurde nämlich nicht nur „die Legitimität, die Unantastbarkeit und die Würde“ des Innenministers, sondern auch der Weimarer Republik angegriffen.[25] Dem Gedanken Berings entsprechend sei für die onomastische Waffe in Posen vermutet, dass mit der Destruktion der ‚fremden’ Siedlungsnamen nicht nur die Menschen als geistige Namenträger betroffen sind, sondern ebenso die Legitimation der vorherigen Herrschaft angegriffen wird, um eine eigene zu installieren.
Zusammenfassung
Ortsnamen unterscheiden in ihrer funktionalen Bedeutung eigenständige Siedlungen voneinander und verbinden in ihrer sozialen Definition den sprachlichen Ausdruck mit dem realen Ort mittels der menschlichen Assoziationen. Menschen können Ortsnamen benutzen und weitergeben, jedoch auch verändern. Dabei wirkt sich ein Ortsnamenwechsel nicht auf die Ortschaft selbst, sondern über die mit dem Namen verbundenen Assoziationen auf dessen Bevölkerung aus. Mit diesem Hintergrund werden Ortsnamen auch politisch motiviert geändert, gerade wenn ein neuer Machthaber hervortritt und die Aneignung des Gebietes mit der sprachlichen Aneignung der Ortsnamen untermauert. Neben diese konstruktive Schaffung einer neuen Realität tritt gleichzeitig der destruktive Prozess der Veränderung der vorherigen Geschichte und Zerstörung der alten Identität des Gebietes und der Bevölkerung mittels der onomastischen Waffe.
3. Die Provinz Posen zwischen 1815 und 1918
3.1 Die polnische Frage
Mit der Aufteilung der polnischen Gebiete zwischen Russland, Österreich und Preußen 1772, 1793 und 1795 verschwand Polen als Staat und die polnische Frage entstand.[26] Sie bezeichnete dabei „die Gesamtheit dessen, was mit dieser geteilten Nation, mit ihren sozialen wie auch politischen Belangen zu tun hatte.“[27] Der Durchzug der napoleonischen Truppen zu Beginn des 19. Jahrhunderts machte eine erneute Neuordnung auf dem Wiener Kongress nötig, wobei den Polen freier Handel und weitreichende Privilegien zur Repräsentation zugesichert wurden. Das geteilte Polen gehörte nun zu 82 Prozent unter der Bezeichnung ‚Königreich Polen’ zu Russland, 10 Prozent fielen an Österreich und nur 8 Prozent gingen an Preußen. Die Inhalte der Wiener Schlussakte von 1815 galten im Prinzip bis zur ihrer Revidierung durch die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg.[28] Schwerpunkt der polnischen Frage war die Verwaltung der jeweiligen Minderheiten. Preußen unterschied sich von den anderen Teilungsmächten anfangs durch das ständige Ringen um die Loyalität der polnischen Bürger, den Versuch, die Polen im Austausch kultureller Autonomie in den Staat zu integrieren und das Problem des Zusammenlebens einer starken eigenen Minderheit mit den Einheimischen.[29]
Durch den Wiener Kongress erhielt Preußen den westlichen Teil des napoleonischen Herzogtums Warschau mit Posen, Gnesen und Thorn, aus welchem das ‚Großherzogtum Posen’ gebildet wurde.[30] Das Gebiet grenzte an Schlesien im Süden, Brandenburg im Westen, Westpreußen im Norden und Russland im Osten, war 28.940 qm groß, umfasste knapp 2,1 Mio. Einwohner und war in die Regierungsbezirke Posen und Bromberg geteilt.[31] Bis 1848 galt offiziell die Bezeichnung ‚Großherzogtum Posen’, welche 1851 in ‚Provinz Posen’ geändert wurde.[32] Der inoffiziell genutzte Name ‚Preußischpolen’ bezeichnete eigentlich alle ehemals polnischen, jetzt preußischen Gebiete, wurde aber aufgrund der starken Präsenz der Polen in der Provinz Posen bald nur hierfür verwendet.[33]
Mit rund 800.000 deutschsprachigen Einwohnern wies Posen den höchsten Anteil an ‚Deutschen’ unter allen preußischen Provinzen auf.[34] Sie waren besonders im Westen und stärker in den Städten als auf dem Lande vertreten.[35] Bereits seit dem 13. Jahrhundert wurden sie als Siedler von Herzögen und Bischöfen zur Entwicklung der Wirtschaft in das dünn besiedelte Polen geholt und es entstanden Dörfer und Großstädte nach deutschem Recht, wenn dort vorwiegend Deutsche wohnten, was besonders im Westen aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit häufig der Fall war.[36] Die Siedler kamen nicht nur als Bauern und Handwerker, sondern waren nach Schwarz (1950) auch ‚Kulturträger’, da sie „ihr altes Deutschland nach dem Osten“ trugen, indem sie zum Beispiel neu entstehenden Dörfern Namen aus ihrer Heimat oder modische Bezeichnungen gaben.[37] Die frühe mittelalterliche Besiedlung und eine später infolge der Reformation stattfindende Kolonisation waren jedoch bis zur Machtübernahme Preußens „die einzigen, sehr diskontinuierlichen Zeugnisse deutschen Einflusses“ in Posen und sollen hier nicht weiter behandelt werden.[38]
Die Provinz Posen war gekennzeichnet durch das Mit- bzw. Nebeneinander von Polen, Juden und Deutschen und „das Entstehen moderner Nationalismen“.[39] Das anfängliche Zusammenleben zwischen Deutschen und Polen war spätestens nach der Reichsgründung 1871 mit dem Konzept der Nationalstaaten nicht mehr vereinbar.[40] Die anfänglichen Konflikte zwischen Polen und preußischer Verwaltung entstanden nun zwischen Bürgern beiden Nationen, wobei sich von deutscher Seite eher die erst nach 1815 zugewanderten statt die bereits vorher ansässigen Siedler involviert sahen.[41] Damit „entwickelte sich [Posen] im 19. Jahrhundert zum ‚Hauptkrisenherd’ zwischen Deutschen und Polen.“[42]
3.2 Ortsnamenpolitik in Posen
Das Problem der Namengebung in der preußischen Provinz Posen spiegelt sich bereits in deren Bezeichnung als ‚Großherzogtum’, ‚Provinz’ oder ‚Ostmark’ wieder. Ein übergreifender und stabiler Name für das Gebiet konnte laut Serrier (2005) nicht gefunden werden, da jede der Bevölkerungsgruppen die sprachlichen Praktiken der anderen als Grenze der eigenen Sprache erfuhr und den deutschen Machthabern die nötige Identifizierung mit Posen fehlte um sich durchzusetzen.[43]
Friedliche Koexistenz
Mit Beginn der Teilungszeit glichen Russland, Österreich und Preußen die gewonnenen Gebiete ihrem eigenen innenpolitischen System an. Preußen richtete eine straffe Verwaltung ein, besetzte diese mit deutschen Beamten und holte für den Wirtschaftsaufbau eigene Siedler nach Posen. Durch die Gleichberechtigung der polnischen Sprache gegenüber der deutschen und der Gründung polnischer Schulen sollten die Polen für den Staat gewonnen werden.[44]
Der polenfreundliche Kurs endete 1848 mit dem am deutschen Militär und der Bevölkerung gescheiterten Versuch Posener Polen, die Staatsorganisation selbst in die Hand zu nehmen. Die Aufnahme der Stadt Posen in den Deutschen Bund verschärfte die Situation und mit der gescheiterten polnischen Erhebung von 1863 kam es endgültig zum „unüberwindbaren Interessensgegensatz“.[45] Nun wurde laut Serrier (2005) deutlich, dass die deutsche und polnische Frage „nur auf Kosten der anderen gelöst werden konnte.“[46]
Für diese erste Phase des deutsch-polnischen Zusammenlebens finden sich in der Literatur keine Hinweise auf Ortsnamenänderungen, wodurch ein breiter Änderungsprozess ausgeschlossen werden kann. Dies basiert wahrscheinlich auf der anfänglichen Gleichberechtigung der Sprachen und auf dem noch in einer Orientierungsphase steckenden Nationalitätenkampf.
Bismarcks Kulturkampf und preußische Ansiedlungspolitik
Der 1871 ausbrechende Kulturkampf Bismarcks leitete eine Epoche der antipolnischen Sprach- und Religionspolitik ein. Während sie sich in Posen anfangs gegen Klerus und Adel richtete, wurde 1873 Deutsch mit Ausnahme des Faches ‚Katholische Religion’ alleinige Schulsprache, drei Jahre später alleinige Behörden-, im folgenden Jahr Gerichtssprache.[47] Ebenfalls seit den 70er Jahren kam es aufgrund der mangelnden Förderung einer Industrialisierung der vorwiegend agrarischen Ostgebiete durch das Deutsche Reich zu einer ‚Ostflucht’ besonders junger deutscher Bauern und Landarbeiter. Die Großbauern holten sich nun polnische Arbeiter aus Kongresspolen und Galizien, wodurch der Anteil der deutschen Bevölkerung zusätzlich gemindert wurde.[48] Die Umkehr der West-Ost-Migration in eine Ost-West-Migration führte zu einer ideellen Stärkung der polnischen Bevölkerung, welche mit dem politisch dominierenden preußischen Staat um die Macht rang.[49] Um diesen Kampf für sich zu entscheiden, wies 1885 die preußische Regierung 30.000 österreichische und russische Staatsbürger mit polnischer und jüdischer Herkunft aus. Ein weiterer Versuch, die Zahl der Deutschen zu erhöhen, war die Gründung der Ansiedlungskommission 1886, welche polnische Güter aufkaufen und in deutsche Hand geben sollte. Ihre Arbeit scheiterte letztendlich an der Selbstorganisation der Polen, die ihr Land mit vergleichbaren Mitteln zu schützen verstanden.[50]
[...]
[1] Benson (1986: 102)
[2] Benson (1986: 102); Hartenstein (1998: 228)
[3] Serrier (2005: 13); Boysen (1998: 106)
[4] Es wird demnach nicht analysiert, ob z. B. die polnische Bevölkerung Pozna ń und die deutsche ausschließlich Posen sagte, sondern wie der jeweilige Ort offiziell hieß. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Ortsnamen kursiv angegeben werden, soweit sie nicht Bestandteil einer Gebietsbezeichnung sind: z.B. die Provinz Posen und die Stadt Posen.
[5] Dies betrifft ebenso die zeitgenössischen Arbeiten. Die Wartheland-Bibliographie von 1943 führt daher eine recht überschaubare Anzahl an Ausarbeitungen zur Namenkunde im Warthegau auf.
[6] Bömelburg/ Musial (2000: 70)
[7] Rymut (1987: 7f.)
[8] Benson (1986: 97) bezieht sich auf die schwedische Sichtweise des Begriffes ‚Ortsname’, welche alle Bezeichnungen von geographischen Orten mit einbezieht. In diesem Fall soll jedoch der ‚Ortsname’ nur für Siedlungen gelten.
[9] Pelz (2002: 45f.)
[10] Benson (1986: 98)
[11] Benson (1986: 98); Schwarz (1950: 14)
Das kann sowohl die lexikalische, als auch die geographische Nachbarschaft sein.
[12] Neuß (1986: 327, 329ff.)
[13] Im Gegensatz dazu Laur (1986: 132), welcher unter Ortsnamenwechsel im eigentlichen Sinne die Ablösung eines alten Namens durch einen „der Form und der Bedeutung nach“ völlig neuen Namen versteht.
[14] Neuß (1986: 331); Laur (1986: 132); Eichler/ Walther (1986: 148f.)
Unter Veränderungen der Siedlungsstruktur fallen Zusammenlegungen oder Auflösungen von Ortschaften. Doppel- oder Mehrnamigkeit tritt in Kontaktgebieten auf, in denen mehrere Bevölkerungsgruppen (friedlich) neben- bzw. miteinander leben. Jede Gruppe nutzt dabei eigene (offizielle) Namen.
[15] Benson (1986: 98)
[16] Eichler/ Walther (1986: 149); Benson (1986: 102)
[17] Benson (1986: 100ff.)
Dass Namen nicht erst in der Moderne Macht ausdrücken, zeigt Schwarz (1950: 40f.) anhand der Burgnamen im Mittelalter: „Die entstehenden Burgen haben vom Adel besondere Namen erhalten und eine solche Überlegenheit entfaltet, daß sie die Namen der älteren Ortschaften verdrängen konnten. Die sich in bestimmten, durch die Moden bedingten Bahnen bewegende Namengebung der Herren gewinnt über die des Volkes die Oberhand.“
[18] Thiel (1941: 21): Fremde Ortsnamen „wecken die Begehrlichkeit der Nachbarn und werden von ihnen für ihre Zwecke ausgenutzt.“
[19] Musioł (1936: 9). Wie Musioł (1936) in Schlesien beobachtete, tritt das Heimatgefühl auch auf, wenn die Namen nicht aus dem eigenen Sprachgebrauch kommen, ihre Lautformen diesem jedoch nicht widersprechen. Um Namen als die eigenen aufzufassen reicht es aus, sich an sie zu gewöhnen. Wenn versucht wird, die fremden Namen mittels der eigenen Sprache zu erklären, spricht man von ‚Volksetymologien’, auf welche hier jedoch nicht eingegangen werden soll.
[20] Duden (2000: Schlagworte ‚eindeutschen’ und ‚germanisieren’)
[21] Benson (1986: 103f.)
[22] Kraft (1944a: 6)
[23] Thiel (1941: 20)
[24] Bering (1990: 25ff.): Grzesinski galt als Verfechter der Verfassung und erklärter Feind der Nationalsozialisten.
Schärfer wäre in dieser Arbeit der Begriff ‚toponymische Waffe’, da die Toponymik als Ortsnamenkunde von der Onomastik als Namenkunde eingeschlossen wird. Um die weitreichenden Möglichkeiten aller Namen als Waffen zu verdeutlichen, sei jedoch diese Ungenauigkeit bewusst übernommen. Definitionen siehe Duden: Fremdwörterbuch (2005: 730 und 1044).
[25] Bering (1990: 51, 53)
[26] Meyer (1990: 51ff.)
[27] Serrier (2005: 27)
[28] Meyer (1990: 58f.); Serrier (2005: 3)
[29] Serrier (2005: 27ff.) unterscheidet zwischen einem politischen und einem sozialen Aspekt beim Zusammenleben. Letzterer war „zu einem Zeitpunkt, wo das Paradigma der ethnisch definierten ‚Nation’ aufkam“, das kompliziertere Unterfangen.
[30] Meyer (1990: 59)
[31] Hubatsch (1975: 1ff.)
Auf den Bezirk Posen entfielen 27 Landkreise, ein Stadtkreis und knapp 1,3 Mio. Einwohner, auf Bromberg 13 Landkreise, ein Stadtkreis und über 760.000 Einwohner. Hubatsch (1975: 3)
[32] Hubatsch (1975: 5f.)
[33] Serrier (2005: 8): Die ‚starke polnische Präsenz’ zeichnete sich dadurch aus, dass 39 Prozent der preußischen Polen im Posener Gebiet lebten.
[34] Hubatsch (1975: 3)
Laut Serrier (2005: 24f.) muss dabei berücksichtigt werden, dass die Bevölkerungsstatistiken von der Muttersprache ausgingen und dadurch verfälscht wurden, dass sich die Mehrzahl der zweisprachigen Polen aufgrund beruflicher Vorteile als ‚Deutsche’ meldete.
[35] Serrier (2005: 25f.)
[36] Meyer (1990: 11f.)
[37] Schwarz (1950: 192)
Ein Zeugnis für die Arbeit der Deutschen sind nach Schwarz (1950: 192 bzw. 199ff.) zum Beispiel Namen auf - werder oder Hauländer, auf welche später noch näher eingegangen wird.
[38] Serrier (2005: 8)
[39] Serrier (2005: 3)
[40] Serrier (2005: 11f.)
Ein Problem bestand von vornherein in der Abgrenzung zwischen Polen und Preußen. War es nun ‚preußisch Polen’ oder ‚polnisch Preußen’? Serrier (2005: 23) schlägt zwei Konzepte vor: ‚Polnisch Preußen’ definiert sich demnach über die polnische Sprache und das Nationalgefühl, ‚preußisch Polen’ definiert sich als das vom Wiener Kongress zu Preußen geschlagene ehemalige polnische Gebiet.
[41] Serrier (2005: 52ff.)
[42] Serrier (2005: 8)
Laut Serrier (2005: 59ff) gab es noch friedliche Koexistenzen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen in kleineren Ortschaften.
[43] Serrier (2005: 274)
Zum Begriff der ‘Ostmark’ und seiner politischen Funktion siehe Serrier (2005: 270-274).
[44] Meyer (1990: 57, 60)
Die Polen stellten 1815 immerhin einen Anteil von 2/3 der Bevölkerung im Großherzogtum.
„Die politische Loyalität der neuen Untertanen genügte, die kulturelle und nationale Verwandlung von Polen in Deutsche war dazu nicht erforderlich.“ Serrier (2005: 29)
[45] Meyer (1990: 64f.); Serrier (2005: 34)
[46] Serrier (2005: 32)
[47] Meyer (1990: 71f.)
Einen Überblick über die preußischen Germanisierungsmaßnahmen bietet Fuhrmann, Rainer: Polen: Handbuch. Geschichte, Politik, Wirtschaft. Vollst. überarb. u. erg. Neuausg. Hannover 1990: 69.
[48] Boysen (1998: 108f.): Dieser eigentlich von deutscher Seite ausgelöste Prozess wurde in Preußen als Verdrängung der Deutschen durch die Polen ausgelegt.
[49] Serrier (2005: 12)
[50] Meyer (1990: 71f.)
Maßgeblich an der sogenannten ‚Inneren Kolonisation’ beteiligt, war die ‚Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation’. Ihr Mitglied Erich Keup definierte ‚Innere Kolonisation’ als „durch planmäßige Schaffung neuer Siedlungen erstrebte Verdichtung der Bevölkerung im heimischen Machtbereich“. Ziel ist laut Keup, das eigene Volk in ein besseres Verhältnis gegenüber dem fremden zu stellen, ggf. auf dessen Kosten. Baier (1980: 44f.) nach Keup, Erich: Innere Kolonisation. Berlin 1918: 1.
- Arbeit zitieren
- Thomas Maier (Autor:in), 2006, Die onomastische Waffe in Posen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91435
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