Mit den Sherlock-Holmes-Geschichten Arthur Conan Doyles erreicht die Gattung der Detektivgeschichte ihren ersten Höhepunkt . In der modernen Literaturkritik wird Doyle einstimmig zum Begründer der modernen Detektivgeschichte ernannt. Poe verfasste jedoch schon lange vor Doyle zwei Kurzgeschichten, die sich, wenn auch mit Einschränkungen, der Gattung der Detektivgeschichte zuweisen lassen. Doyle sah Poes Detektiv Dupin als Vorbild und ließ auf dieser Figur den Charakter des Sherlock Holmes basieren. Auch in vielen anderen Punkten lehnt er sich an die Geschichten von Poe an, wie zum Beispiel in der Wahl des Schauplatzes, der auf die Räumlichkeiten des Detektivs und des Tatorts begrenzt ist oder der Watson-Figur, „ein miterlebender, bewundernder und einfältiger Freund des Detektivs, dessen eingeschränkte Sicht auf die Ereignisse der Ermittlung in optimaler Weise der dem Leser zugewiesenen Position im Rätselspiel entspricht.“
Doch in einem besonders wichtigen Punkt unterscheidet sich Doyles Art zu schreiben von Poes. Doyle wählte nämlich einen anderen Fokus als Poe, woraus eine andere Art der Leserlenkung und Spannungserzeugung resultiert. In der vorliegenden Arbeit sollen die sich unterscheidenden Endzwecke der ersten beiden Autoren von Detektivliteratur erarbeitet werden und die Unterschiede in Leserlenkung und Spannungserzeugung anhand zweier Kurzgeschichtenpaare untersucht werden.
Inhalt
Einleitung
2.0 „The Murders in the Rue Morgue“ (1841) und „The Adventure of the Speckled Band“ (1891)
3.0 „The Purloined Letter“ und „A Scandal in Bohemia“
4.0 Schlussbetrachtung
Bibliografie
Einleitung
Mit den Sherlock-Holmes-Geschichten Arthur Conan Doyles erreicht die Gattung der Detektivgeschichte ihren ersten Höhepunkt[1]. In der modernen Literaturkritik wird Doyle einstimmig zum Begründer der modernen Detektivgeschichte ernannt. Poe verfasste jedoch schon lange vor Doyle zwei Kurzgeschichten, die sich, wenn auch mit Einschränkungen, der Gattung der Detektivgeschichte zuweisen lassen. Doyle sah Poes Detektiv Dupin als Vorbild und ließ auf dieser Figur den Charakter des Sherlock Holmes basieren. Auch in vielen anderen Punkten lehnt er sich an die Geschichten von Poe an, wie zum Beispiel in der Wahl des Schauplatzes, der auf die Räumlichkeiten des Detektivs und des Tatorts begrenzt ist oder der Watson-Figur, „ein miterlebender, bewundernder und einfältiger Freund des Detektivs, dessen eingeschränkte Sicht auf die Ereignisse der Ermittlung in optimaler Weise der dem Leser zugewiesenen Position im Rätselspiel entspricht.“[2]
Doch in einem besonders wichtigen Punkt unterscheidet sich Doyles Art zu schreiben von Poes. Doyle wählte nämlich einen anderen Fokus als Poe, woraus eine andere Art der Leserlenkung und Spannungserzeugung resultiert. In der vorliegenden Arbeit sollen die sich unterscheidenden Endzwecke der ersten beiden Autoren von Detektivliteratur erarbeitet werden und die Unterschiede in Leserlenkung und Spannungserzeugung anhand zweier Kurzgeschichtenpaare untersucht werden.
2.0 „The Murders in the Rue Morgue“ (1841) und
„The Adventure of the Speckled Band“ (1891)
Mit „The Murders in the Rue Morgue“ von Edgar Allan Poe entsteht 1841 die erste Detektivgeschichte überhaupt. Wie schon erwähnt, lässt sie sich aber noch nicht vollkommen als moderne Detektivgeschichte klassifizieren. Arthur Conan Doyle, der Poe als sein Vorbild im Schreiben von Detektivgeschichten angibt, verfasst 1891 „The Adventure of the Speckled Band“. Die Art Doyles, Detektivgeschichten zu verfassen, setzt die Maßstäbe für eine moderne Detektivgeschichte.
Die beiden für den Vergleich gewählten Geschichten, haben inhaltliche Ähnlichkeiten, weisen jedoch auch gravierende Unterschiede auf. Diese Unterschiede herrschen vor allem im Bereich der Spannungerzeugung vor und sollen im Folgenden dargestellt werden.
Sowohl bei Poe als auch bei Doyle wird die Geschichte von einem Ich-Erzähler erzählt, der ein enger Vertrauter des Detektivs und eine handelnde Person in der jeweiligen Geschichte ist. Er ist indirekt an der Auflösung des Falles beteiligt, hinkt den Denkvorgängen des Detektivs jedoch immer hinterher. Durch den starken Kontrast von Erzähler und Protagonist wird die außergewöhnliche geistige Begabung des letzteren hervorgehoben. Der Erzähler ist dagegen eine Durchschnittsfigur. Die so genannte Watson-Figur fungiert somit als Vermittler zwischen Protagonist und Leser, der sich in den meisten Fällen eher mit dem normaleren Watson als mit dem Detektiv identifizieren kann. „Nicht nur als vertrauenswürdiger Erzähler, sondern auch als handelnde Figur entspricht Watson eher dem Lesepublikum als dem Exzentriker Holmes“[3]. Die Watson-Figur beider Autoren stellt einen wichtigen Bezugspunkt für den Leser dar, wenn auch in unterschiedlicher Weise.
Bei Poe scheint Dupin im Gegensatz zu Holmes nicht nur aus Beobachtungen zu deduzieren, sondern bei ihm scheint noch etwas mehr, fast etwas Übernatürliches, mitzuwirken, denn er „liest“ sogar die Gedanken seines Freundes. „How was it possible you should know I was thinking of --?“[4]
Durch die Watson-Figur wird die außergewöhnliche Fähigkeit des Detektivs nochmals stark hervorgehoben. Die Watson-Figur bei Doyle dagegen mindert den Abstand zwischen Leser und Detektiv. Holmes’ Technik kann nämlich jeder erlernen, und zwar einfach indem er seinen Beobachtungssinn schärft. Dies wird immer wieder deutlich, wenn Holmes seine Gedankengänge erklärt und si-e für Watson und den Leser eindeutig nachvollziehbar sind.
„When I hear you give your reasons,“ I remarked, „the thing always appears to me to be so ridiculously simple that I could easily do it myself, though at each successive instance of your reasoning I am baffled, until you explain your process. And yet I believe that my eyes are as good as yours.” - “Quite so,” he answered, lighting a cigarette, and throwing himself down into an arm-chair. “You see, but you do not observe (meine Markierung).”[5]
Zu Beginn von “The Murders in the Rue Morgue” als auch von “The Adventure of the Speckled Band” wird zunächst eine charakterliche Beschreibung der beiden Detektive gegeben. Hierbei ist auffällig, dass Dupin nie als solcher bezeichnet wird. Der Mordfall wird in beiden Geschichten nach einer Einleitung ausführlich dargestellt. Dadurch entstehen sowohl in der Dupin- als auch in der Holmes-Geschichte Fragen, durch deren Beantwortung der Fall geklärt werden kann. Diese Fragen sind für die Geschichten insofern wichtig, als „dass Spannung aus offenen Fragen nach dem Fortgang einer Geschichte resultiert.“[6]
In beiden Fällen handelt es sich um einen Todesfall, bei dem sich das Opfer in einem von innen verschlossenen Raum befand. Die Räumlichkeiten des Tatorts werden sowohl bei Poe als auch bei Doyle detailgetreu wiedergegeben.
Die erste und wohl wichtigste offene Frage beider Geschichten ist also, wie der Täter in das Zimmer der Opfer gekommen ist.
Eine ebenso offene Frage ist die Frage nach den Geräuschen am Tatort. Bei Poe sind die vielen Zeugen sich nicht darüber einig, welche Sprache die zweite Stimme am Tatort sprach. Hierbei ist auffällig, dass jeder der zwölf Zeugen eine Sprache angibt, die er weder spricht, noch je gehört hat. Die Zeugin bei Doyle berichtet von einem Pfeifen und einem metallischen Geräusch, das kurz vor dem Tod ihrer Schwester zu hören war. Mit der Erwähnung der Geräusche geben sowohl Poe als auch Doyle ihren Lesern eine bestimmte Richtungsweisung, indem sie ihn dazu animieren, über die Geräusche und ihren Ursprung nachzudenken. Die Hinweise sind jedoch so gewählt, dass der Leser nicht die Möglichkeit hat, in die richtige Richtung zu denken. Bei dieser Vorgehensweise bedienen sich beide Autoren eines der Mittel der Spannungserzeugung, die bei Peter Wenzel beschrieben werden.
Besonders wichtig unter diesen sind die Irreführung des Lesers, d.h. das gezielte Legen einer Fehlspur, im Englischen auch red herring genannt, und die so genannte Äquivokation, eine „Mischung von Irreführung und Wahrheit“ in ein und derselben Äußerung.[7]
Dies ist bei Poe der Fall, indem die Stimme des Orang-Utan als Menschenstimme gedeutet wird, und auch bei Doyle werden die Geräusche falschen Ursprüngen zugeordnet.
Während es bei Poe mehrere Zeugenaussagen gibt, kann der Detektiv bei Doyle sich nur auf die Aussage der Schwester der Getöteten berufen. Hier werden auch schon Verdächtigungen geäußert, wobei wieder falsche Spuren gelegt werden. Zum einen wird der Stiefvater des Opfers als sehr gewaltbereit beschrieben, was Holmes auch bei einer persönlichen Begegnung mit ihm erfahren kann. Da das Opfer aber scheinbar unter keinerlei Anwendung von Gewalt starb, wird dieser Verdacht schnell wieder vom Leser verworfen. Ebenso in Verdacht stehen die Zigeuner, die auf dem Gelände der Familie wohnen. Hierbei spielt die Zweideutigkeit der Wörter „the speckled band“, die das Opfer kurz vor ihrem Tod geäußert hat, eine große Rolle.
Bei Poe werden indes keine konkreten Verdächtigungen geäußert. Es wird zwar jemand von der Polizei festgenommen, der sich aber schnell als unschuldig entpuppt. Mit diesem Vorgehen verstößt Poe nach Wenzel gegen eine Regel der Spannungserzeugung, denn eine „wichtige Voraussetzung ist, dass es auf die offenen Fragen nur eine begrenzte Zahl von möglichen Antworten gibt“[8].
[...]
[1] Vgl. Sven Strasen, Peter Wenzel, „Die Detektivgeschichte im 19. und im frühen 20. Jahrhundert“, in: Geschichte der englischen Kurzgeschichte, Arno Löffler, Eberhard Späth (Hrsg.), A. Francke Verlag, Tübingen, 2005, 85
[2] Ebd., 90.
[3] Paul G. Buchloh, Jens P. Becker, Der Detektivroman, Studien zur Geschichte und Form der englischen und amerikanischen Detektivliteratur, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1973, 65.
[4] Edgar Allan Poe, „The Murders in the Rue Morgue“, in: Kopiervorlagen “Englische Kurzgeschichten”, Peter Nover (Hrsg.), Sommersemester 2006, 319.
[5] Arthur Conan Doyle, „A Scandal in Bohemia“, in: The Annotated Sherlock Holmes, Vol. I, William S. Baring-Goud (Hrsg.), Clarkson N. Potter, New York, 349
[6] Peter Wenzel, „Spannung in der Literatur: Grundformen, Ebenen, Phasen“, in: Spannung, Studien zur englischsprachigen Literatur, Für Ulrich Suerbaum zum 75. Geburtstag, Raimund Borgmeier, Peter Wenzel (Hrsg.), Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2001, 23.
[7] Ebd., 29.
[8] Ebd., 23.
- Arbeit zitieren
- Rina Werle (Autor:in), 2006, Leserlenkung und Spannungserzeugung in ausgewählten Kurzgeschichten von Edgar Allan Poe und Arthur Conan Doyle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91253
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