Die Arbeit befasst sich mit der Thematik des Nichtentzugsdelirs bei älteren, multimorbiden und nicht-beatmeten Patienten im Bereich der kardiochirurgischen Intensivstation. Die Themenfelder Alkoholdelir, beatmete Patienten sowie Patienten unter 60 Jahren werden nicht in die Betrachtung einbezogen.
Der Autor gibt einführend einen Überblick über den theoretischen Hintergrund der Thematik. Hierbei werden die Besonderheiten einer Herzoperation bei älteren, multimorbiden Patienten und die Rahmenbedingungen auf einer Intensivstation näher beleuchtet. Nachfolgend wird das Phänomen des Delirs in seiner Ätiologie, Klassifikation und Epidemiologie betrachtet sowie ausgewählte Instrumente zur Früherkennung des Delirs erläutert. Diesen Ausführungen folgend, wird das methodische Vorgehen zur Erstellung der Arbeit beschrieben. Ferner werden die Ergebnisse der Literaturrecherche zur Beantwortung der Fragestellung vorgestellt und bewertet.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund
3 Methodik
4 Ergebnisse
5 Diskussion
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
8 Anhang
Zusammenfassung
Problembeschreibung: Das postoperative Delir bei älteren, multimorbiden Patienten stellt ein häufiges Krankheitsbild auf einer Intensivstation dar. Insbesondere kardiochirurgische Patienten zeichnen sich durch eine hohe postoperative Delirinzidenz aus. Die Entwicklung eines Delirs ist mit einer vielfach erhöhten Mortalität und mit immensen Behandlungskosten für das Gesundheitssystem verbunden. Maßnahmen der nichtmedikamentösen Delirprävention gewinnen aufgrund einer Zunahme an vulnerablen Intensivpatienten an Bedeutung, werden aber nur unzureichend in der klinischen Praxis umgesetzt.
Fragestellung: Im Rahmen dieser Arbeit soll aufgezeigt werden, welche nichtmedikamentösen Präventionsmaßnahmen der Entwicklung eines Delirs bei älteren, multimorbiden Patienten auf der kardiochirurgischen Intensivstation entgegenwirken können.
Methodik: Durch eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken PubMed, CINAHL, Thieme und Springer Link sowie einer Handsuche, konnten eine Studie und eine Übersichtsarbeit als relevant identifiziert und zur Beantwortung der Fragestellung in die Arbeit inkludiert werden.
Die Literatursuche fand im Zeitraum Juli bis Ende September 2017 statt und beschränkte sich auf einen Publikationszeitraum von 10 Jahren. Es wurde deutsche und englischsprachige Literatur eingeschlossen.
Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass bei konsequenter Anwendung von nichtmedikamentösen Interventionsprogrammen die postoperative Delirinzidenz bei kardiochirurgischen Patienten reduziert werden kann.
Schlussfolgerung: Der gegenwärtige Forschungsstand zur nichtmedikamentösen Prävention des postoperativen Delirs bei kardiochirurgischen Patienten ist als unzureichend einzuschätzen. Es besteht auf diesem Gebiet noch weiterer Forschungsbedarf.
Eine regelmäßige Schulung und Sensibilisierung des Personals zur Thematik ist obligat. Nichtmedikamentöse Interventionsprogramme sind evidenzbasiert und sollten in die Behandlung aller intensivpflichtigen Patienten einfließen.
Schlagwörter: Delir, ITS, Ältere, postoperativ, Herzchirurgie, nichtmedikamentöse Prävention
Genderhinweis: Alle personenbezogenen Beziehungen sind geschlechtsneutral.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
„Nun lag ich auf der kardiochirurgischen Intensivstation in meinem Bett. Im Nebenzimmer feierten sie eine Party, als gäbe es kein Morgen! Ich wusste, dass das nicht sein konnte. Aber ich wollte da trotzdem hin!“. […]. „Leider durfte ich gestern nicht zur Party im Nebenzimmer. Die Schwestern und Pfleger hatten was dagegen. Heute erzählen sie mir, dass ich sehr, sehr oft aufstehen wollte um mitzumachen. Dann haben sie mich festgebunden. Ich wurde wütend! Heute ist die Party vorbei. Ich fühle mich trotzdem, als hätte ich gefeiert. Ich kann mich nicht konzentrieren. Sätze, die mir mitgeteilt werden, kann ich nicht umsetzen. Die Satzenden bekomme ich nicht mit. Bin ich dement? Ich bin müde und dann wieder unruhig. Welchen Tag haben wir heute?“ (Sniatecki 2016, S. 276).
Patienten, die nach einer schweren Erkrankung auf einer Intensivstation behandelt wurden berichten mitunter, dass sie „ihren Körper ganz anders als sonst erlebt hätten, zum Beispiel schwebend oder verteilt im Raum. Oder sie wähnten sich an einem ganz anderen Ort“ (DGAI o. J, S. 20-21). „Sie fühlten sich hilflos und unfähig zu kommunizieren“ (ÖGGG 2013, S. 3).
Auch Erinnerungen aus dem vergangenen Leben können sich mit gegenwärtigen Wahrnehmungen vermischen (DGAI o. J., S. 20-21). Dieser Zustand, der aus Sicht der betroffenen Patienten und deren Angehörigen eine beängstigende und sehr belastende Situation darstellt, wird als Delir bezeichnet (Krotsetis; Nydahl 2014, S. 199). Das Delir ist mit einer Störung des Bewusstseins sowie Veränderungen der kognitiven Funktion verbunden und stellt das häufigste akut auftretende psychische Krankheitsbild auf einer Intensivstation dar. Die Wahrscheinlichkeit, ein Delir zu entwickeln ist insbesondere bei älteren, multimorbiden und kritisch kranken Patienten hoch. Im Bereich der Intensivtherapie werden Inzidenzraten von 20-80 % beschrieben (Zoremba 2015, S. 320). Über 50 % der kardiochirurgischen Patienten erleiden postoperativ ein Delir (ÖGGG 2013, S. 47).
Trotz zahlreicher Instrumente zur Diagnostik des Delirs, wird dieses in der klinischen Praxis häufig nicht erkannt. Notwendige Therapiemaßnahmen erfolgen zu spät oder bewegen sich vornehmlich im pharmakologischen Bereich (Haussmann et. al 2015, S. 536). Das Phänomen des Delirs wurde in der Vergangenheit oft verharmlost und in seiner Inzidenz und Prognose deutlich unterschätzt (Zoremba 2015, S. 320).
Je länger eine Delirepisode unbehandelt besteht, umso gravierender sind die Folgen für die betroffenen Patienten. Neben einer längeren Krankenhausverweildauer und einer vielfach erhöhten Mortalität, belasten zusätzlich hohe Behandlungskosten das Gesundheitssystem (ÖGGG 2013, S. 4-5).
„Ein Delir bedeutet ein signifikant hohes Risiko während einer Hospitalisierungsdauer Komplikationen zu erleiden und zu sterben“ (ebd., S. 4).
Im weiteren Verlauf besteht die Gefahr einer Verschlechterung der körperlichen und kognitiven Konstitution, wodurch die Wahrscheinlichkeit für eine Einweisung in ein Pflegeheim steigt (ebd., S. 4-5).
Aufgrund des demographischen Wandels, welcher sich durch eine zunehmend alternde Gesellschaft auszeichnet, wird zukünftig ein erhöhter Bedarf und Einsatz intensivmedizinischer Versorgung, auch bei älteren und hochaltrigen Menschen, vermutet (Schmitz et. al 2013, S. 20-21). Im Hinblick auf die veränderte Altersstruktur und den damit verbundenen Risiken ein Delir zu entwickeln, gewinnen Maßnahmen der Delirprävention und -therapie zunehmend an Bedeutung (Haussmann et. al 2015, S. 534). Mehrere Studien belegen, dass sich durch konsequente Anwendung von nichtmedikamentösen Präventionsmaßnahmen die Inzidenz des Delirs um etwa 30-40 % reduzieren lässt (Kersten et. al 2016, S. 16; Haussmann et. al 2015, S. 534).
Die vorliegende Bachelorarbeit befasst sich mit der Thematik des Nichtentzugsdelirs bei älteren, multimorbiden und nichtbeatmeten Patienten im Bereich der kardiochirurgischen Intensivstation. Die Themenfelder Alkoholdelir, beatmete Patienten sowie Patienten unter 60 Jahren werden nicht in die Betrachtung einbezogen.
Die Arbeit gibt einführend einen Überblick über den theoretischen Hintergrund der Thematik. Hierbei werden u. a. die Besonderheiten einer Herzoperation bei älteren, multimorbiden Patienten und die Rahmenbedingungen auf einer Intensivstation näher beleuchtet. Nachfolgend wird das Phänomen des Delirs in seiner Ätiologie, Klassifikation und Epidemiologie betrachtet sowie ausgewählte Instrumente zur Früherkennung des Delirs erläutert. Diesen Ausführungen folgend, wird das methodische Vorgehen zur Erstellung der Arbeit beschrieben. Ferner werden die Ergebnisse der Literaturrecherche zur Beantwortung der Fragestellung vorgestellt und bewertet. Abschließend wird eine zusammenfassende Betrachtung des Themas im Fazit vorgenommen.
1.1 Zielstellung der Arbeit
Ziel der Bearbeitung ist es, im Rahmen einer nationalen und internationalen Literaturrecherche, nichtmedikamentöse Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung des postoperativen Delirs bei älteren, multimorbiden Patienten im Setting der kardiochirurgischen Intensivstation aufzuzeigen. Da die Autorin in ihrer täglichen Arbeit auf einer kardiochirurgischen Intensivstation sehr häufig mit dem Auftreten und den Folgen des Delirs bei älteren Patienten konfrontiert wird, ist es für sie von besonderem Interesse, relevante Präventionsmaßnahmen in ihren Arbeitsbereich implementieren zu können.
1.2 Fragestellung
In dieser Arbeit wird folgende zentrale Fragestellung aufgegriffen:
Welche nichtmedikamentösen Präventionsmaßnahmen können der Entstehung eines postoperativen Delirs bei älteren, multimorbiden Patienten auf der kardiochirurgischen Intensivstation entgegenwirken?
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Der multimorbide Patient in der kardiochirurgischen Intensivpflege
Die gesundheitliche Lage älterer, multimorbider Patienten zeichnet sich durch das gleichzeitige Auftreten mehrerer Erkrankungen aus. Diese verlaufen meist chronisch, beeinflussen sich wechselseitig und sind mit multiplen Funktionseinschränkungen verbunden. „Für die Betroffenen resultiert hieraus ein hohes Risiko, auftretende Fehlfunktionen von Organsystemen nicht mehr kompensieren zu können“ (RKI 2017, o. S.). Die Multimorbidität bei älteren Menschen ist mit einer ausgeprägten Beeinträchtigung der Autonomie und Lebensqualität verbunden und kann einen erhöhten Behandlungsbedarf zur Folge haben (ebd. 2017, o. S.). „Die Prävalenz der Multimorbidität bei über 60-jährigen beträgt 55-98 %“ (Savaskan 2012, S. 1633-1634). Des Weiteren wird speziell für dieses Patientenklientel ein hohes Risiko für die Entwicklung eines Delirs beschrieben (ebd., S. 1633). Savaskan identifiziert in seiner Studie eine erhöhte postoperative Delirinzidenz bei älteren, multimorbiden und kognitiv eingeschränkten, kardiochirurgischen Patienten (Gernhardt et al. 2017, S. 277). Ein Zusammenhang zwischen herzchirurgischen Eingriffen und einer erhöhten postoperativen Delirinzidenz wird nach derzeitiger Forschungslage vermutet. In der Literatur werden diesbezüglich verschiedene delirauslösende Faktoren beschrieben. Neben einer im Vorfeld bestehenden Multimorbidität werden die Art und Dauer der Herzoperation, der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine, der Verlust der zerebralen Autoregulation sowie die Aortenklemmzeit als potentielle Risikofaktoren für die postoperative Entwicklung eines Delirs benannt (Bartels 2016, S. 43-44).
2.1.1 Die Umgebung Intensivstation
Eine Intensivstation ist ein hochgradig technisiertes und spezialisiertes Umfeld mit Überwachungsmonitoren, Beatmungsgeräten, Infusionsgeräten, Hämodialysegeräten und vielen anderen Apparaturen zur Diagnostik und Therapie. Es stellt hohe Anforderungen an die Anpassungsfähigkeiten von Patienten, ihren Angehörigen und den Mitarbeitern. Die Behandlung auf einer Intensivstation verfolgt das Ziel, schwer kranken Patienten durch ein hohes Maß an qualitativer Versorgung, schnellstmöglich zu ihrer Genesung zu verhelfen (Miller et al. 2002, S. 127, S. 194).
Das Erleben einer Intensivtherapie ist für viele Patienten eine außergewöhnliche Situation, welche mit Hoffnung, „Vertrauen auf lebensrettende Hilfe“ (Monke 2007, S. 9), aber auch mit Angst, Unsicherheit und Leid verbunden ist (ebd., S. 9). Die ungewohnte Umgebung, die vielen fremden Personen sowie die Überwachungsgeräte haben häufig einen bedrohlich wirkenden Charakter. Die Einschränkung der Motilität aufgrund von Überwachungskabeln und -geräten, notwendige invasive Maßnahmen, z. B. die Anlage von Drainagen oder Punktionen, aber auch fehlende kognitive Anreize während des Intensivaufenthalts, stellen eine große psychische Belastung für die betroffenen Patienten dar. Infolge eines häufig erhöhten Lärmpegels im Intensivpflegebereich werden notwendige Ruhe- und Erholungsphasen sowie die Konzentrationsfähigkeit des Patienten massiv eingeschränkt. „Hauptlärmquellen sind das Personal (Gespräche, Rufen, Lachen, Radios), die Arbeitsgeräusche ([…] Aufreißen von Kartons, […]), […] und die für den Patienten nicht interpretierbaren, oft zusätzlich als beunruhigend empfundenen, akustischen Alarme“ (Teufert et al. 2015, S. 22-23). Diese und weitere Stressfaktoren, wie unangenehme Pflegemaßnahmen, Schmerzen oder ein fehlender Tag-Nacht-Rhythmus, können im Verlauf der Behandlung das Risiko für eine Delirentwicklung erhöhen (ebd., S. 22; Monke 2007, S. 8-9). Die Rahmenbedingungen auf den Intensivstationen unterschiedlicher Fachbereiche sind hinsichtlich ihrer Gegebenheiten, d. h. bedienungsintensive Ausstattung der Überwachungsgeräte, Lärm, Hektik sowie die stetige Gefahr lebensbedrohlicher Notfallsituationen, als vergleichbar anzusehen (Söllner et al. 2013, S. 84).
2.2 Prävention
„Mit Prävention ist die Erwartung verbunden, durch gezielte Maßnahmen die Krankheitslast in der Bevölkerung zu verringern. Dabei umfasst Prävention alle Aktivitäten, die mit dem Ziel durchgeführt werden, Erkrankungen zu vermeiden, zu verzögern oder weniger wahrscheinlich zu machen“ (RKI 2017, o. S.).
Es wird zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention unterschieden. Primärprävention setzt an noch bevor eine Krankheit entsteht, Sekundärprävention soll das Frühstadium einer Erkrankung durch z. B. Frühdiagnostik verhindern und „Tertiärprävention konzentriert sich nach einem Krankheitsereignis auf die Wiederherstellung der Gesundheit“ (BMFG 2017, o. S.).
Im Rahmen dieser Arbeit werden ausschließlich nichtmedikamentöse Maßnahmen der Primär- und Sekundärprävention zur Vermeidung des postoperativen Delirs aufgezeigt. Maßnahmen der Tertiärprävention sowie der medikamentösen Delirprävention werden nicht in die Betrachtung einbezogen.
2.3 Das Delir
2.3.1 Definition des Begriffes „Delir“
Die Beschreibung deliranter Zustände lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Schon Hippokrates von Kos beobachtete Verwirrtheitszustände bei akut auftretenden schweren Krankheiten und beschrieb deren prognostisch ungünstige Auswirkungen (Hewer et al. 2016, S. 13). „…bei akutem Fieber, Lungenentzündung, Meningitis (Phrenitis) und akuten Kopfschmerzen beobachte ich, dass die Patienten mit den Händen in der Luft umherfuchteln, auf der Bettdecke Flusen zupfen und Spreu von der Wand pflücken. Alle diese Zeichen sind ungünstig, im Grunde tödlich.“ (Stuch; Scheunemann 2016, S. 267).
Das Delir, welches als akuter Verwirrtheitszustand definiert ist, geht mit einer Störung der Aufmerksamkeit, des Bewusstseins sowie Veränderungen in der Wahrnehmung einher und ist durch einen fluktuierenden Verlauf gekennzeichnet.
Der Begriff „Delir“ leitet sich aus dem lateinischen „delirare“ ab und bedeutet „wahnsinnig sein“ oder „de lira ire“ „aus der Spur geraten“ (Baumgartner; Hafner 2016, S. 21). Das Delir stellt die häufigste psychische Erkrankung bei älteren Menschen und vor allem bei Hochaltrigen dar (ÖGGG 2013, S. 3). Menschen jenseits des 60. Lebensjahres sind daher besonders gefährdet, ein Delir zu erleiden (Baumgartner; Hafner 2016, S. 21). In der Literatur werden neben einem hohen Lebensalter und der dadurch bedingten Zunahme an Multimorbidität auch das Vorliegen einer Demenz als zentrale Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirs beschrieben (Hewer et al. 2016, S. 11). Ferner ist eine Delirepisode mit vielfach negativen Auswirkungen für den Betroffenen assoziiert. In diesem Kontext werden von Baumgartner und Hafner eine mehrfach erhöhte Sterberate und Morbidität sowie die Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten benannt (Baumgartner; Hafner 2016, S. 21).
2.3.2 Diagnose und Klassifikationssysteme des Delirs
Ein Delir wird primär in der klinischen Praxis diagnostiziert. „Unumgänglich sind die genaue Exploration und Beobachtung des Patienten sowie die Statuserhebung“ (ÖGGG 2013, S. 13). Um eine konsequente Diagnostik durchführen zu können ist es notwendig, wichtige Symptome, z. B. den akuten Beginn des Delirs frühzeitig zu erkennen. In diesem Zusammenhang spielt die Einbindung der Angehörigen und des Pflegepersonals eine zentrale Rolle und liefert oftmals erste wichtige Hinweise.
Für die Diagnostik wegweisende Anzeichen sind:
- Unfähigkeit, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten,
- Verlust kognitiver Fähigkeiten, vordergründig Gedächtnisstörungen und situative Desorientiertheit,
- Umweltreize werden nur noch eingeschränkt wahrgenommen, Reaktionen auf selbige sind unangemessen,
- Unvermögen, klar und kohärent zu denken (ebd., S. 13).
„Der Erkennungsgrad des Delirs ist im allgemeinen sehr niedrig: Bis zu 60 Prozent der Fälle werden von Ärzten, bis zu 40 Prozent der Fälle von Pflegepersonen nicht erkannt“ (ebd., S. 13).
Zur medizinischen Diagnostik des Delirs stehen zwei Klassifikationssysteme zu Verfügung:
- das DSM-5 - das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen der APA, aktuell in der fünften Ausführung vorliegend,
- die ICD-10 - die internationale Klassifikation psychischer Störungen der WHO, welche in der zehnten Ausführung vorliegt (Baumgartner, Hafner S. 23).
Nachfolgend werden die einzelnen Klassifikationssysteme detaillierter dargestellt.
2.3.2.1 DSM-5
Die nachfolgend zusammengefassten DSM-5 Kriterien A bis E beschreiben die Hauptmerkmale eines Delirs. Die Erfüllung aller fünf Kriterien ist Voraussetzung für die Diagnosestellung des Delirs.
Kriterium A
Aufmerksamkeitsstörungen, d. h. eingeschränkte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu richten, aufrechtzuerhalten und zu verlagern, reduzierte Umgebungsorientierung.
Kriterium B
Die Störung entwickelt sich während einer kurzen Zeitspanne (innerhalb weniger Stunden oder Tage), Veränderung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit, tendenziell fluktuiert der Schweregrad im Tagesverlauf.
Kriterium C
Kognitive Störungen, d. h. insbesondere Gedächtnisstörungen, Desorientiertheit, Sprachstörungen, Wahrnehmungsstörungen, Einschränkungen der visuell-räumlichen Fähigkeiten liegen vor.
Kriterium D
Die Störungsbilder der Kriterien A und C können nicht durch andere im Vorfeld bestandene oder sich im Verlauf herausgebildete neurokognitive Störungen erklärt werden. Sie stehen nicht im Zusammenhang mit einem schwer reduzierten Aktivitätsniveau, wie bei einem Koma.
Kriterium E
Es ergeben sich Hinweise aus der klinischen Untersuchung, der Anamnese oder aus Laborbefunden, dass die Störung direkte Folge einer somatischen Erkrankung, eines Substanzentzugs, einer Substanzintoxikation, z. B. durch Suchtmittel oder Medikamente, einer Toxinwirkung oder die Folge multipler Ursachen ist (Hewer et al. 2016, S. 41-43).
2.3.2.2 ICD-10
Die ICD 10 ordnet das Delir nach seiner Ätiologie zwei verschiedenen Kapiteln zu:
- „Kapitel F0 - organische psychische Störungen,
- Kapitel F1 - Störungen durch psychotrope Substanzen“ (ebd., S. 24).
Nach ICD-10 Kapitel F05 - „Delir nicht durch Alkohol oder sonstige psychotrope Substanzen bedingt“ (ebd., S. 24), wird das Delir wie folgt definiert:
„Ein ätiologisch unspezifisches hirnorganisches Syndrom, das charakterisiert ist durch gleichzeitig bestehende Störungen des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Psychomotorik, der Emotionalität und des Schlaf-Wach-Rhythmus. Die Dauer ist sehr unterschiedlich und der Schweregrad reicht von leicht bis zu sehr schwer.“ (Monke 2015, o. S.).
Die diagnostischen Kriterien der ICD-10 beschreiben ein umfassenderes Syndrom als die der DSM-5 (Hewer et al. 2016, S. 43). Neben den übereinstimmenden Hauptkriterien Störungen der Aufmerksamkeit, der Kognition, akuter Beginn und tageszeitliche Fluktuation werden in der ICD-10 noch weitere Merkmale vorausgesetzt. Zur Diagnosestellung des Delirs müssen demzufolge auch Beeinträchtigungen in den Bereichen Schlaf-Wach-Rhythmus, Psychomotorik und affektive Störungen vorliegen (Baumgartner; Hafner 2017 S. 24; Hewer et al. 2016, S. 43). Hewer et al. bewerten diese Kriterien als unspezifische psychiatrische Symptome und stellen deren Aussagekraft in Frage. Demnach belegen Studien, dass bei Anwendung der vielfältigeren ICD-10 Kriterien im Vergleich zur DSM-5 weniger Delirien diagnostiziert werden. Die Klassifikation mittels ICD-10, ist somit als strengeres und restriktiveres Verfahren anzusehen (ebd. S. 24; S. 43).
2.3.3 Differenzialdiagnose Delir, Depression und Demenz
„Die Differentialdiagnostik der drei „D“ s der Alterspsychiatrie (Demenz, Delir, Depression) ist essentiell, gestaltet sich aber oft schwierig“ (Frühwald et al. 2015, S. 60). Frühwald et al. begründen die Schwierigkeit der Differenzierung insbesondere durch fehlende Informationen über den aktuellen kognitiven Zustand des Patienten, begleitende Komorbiditäten sowie untypische Symptomverläufe.
2.3.3.1 Delir und Demenz
Ein vorbestehendes kognitives Defizit, z. B. Demenz, stellt eines der größten Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirs im Alter dar. „Demenzpatienten weisen ein etwa dreifach erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Delirs während der stationären Behandlung auf […]“ (ÖGGG 2016, S. 21). „In einer Untersuchung konnte bei mehr als 40 % der Delirpatienten das Vorliegen einer Demenz festgestellt werden […]“ (ebd., S. 20). In späteren Stadien der Demenz kommt erschwerend hinzu, dass Schmerzen, physische Beschwerden oder emotionaler Stress bei diesen Patienten vielfach übersehen werden. Aufgrund dessen kann eine fehlende oder inadäquate Behandlung der Demenzpatienten zur Entstehung eines Delirs beitragen.
Oft sind Delir und Demenz in ihrer Darstellung, nicht sicher zu erkennen und können erst im Verlauf voneinander differenziert werden. Das Auftreten eines Delirs ist mit einer weiteren Verschlechterung der kognitiven Funktion verbunden.
2.3.3.2 Delir und Depression
Depressive Patienten haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko, ein Delir zu entwickeln. Bei Auftreten einer Delirepisode wird für dieses Patientenklientel hinsichtlich funktioneller Einschränkungen, Einweisung in ein Pflegeheim und Mortalität eine schlechtere Prognose vermutet (Popp 2017, S. 33-35).
2.3.4 Formen und Symptome des Delirs
Je nach Ausprägung der psychomotorischen Manifestation werden drei Subtypen des Delirs unterschieden:
- das hyperaktive Delir,
- das hypoaktive Delir,
- die Mischform.
Das hyperaktive Delir
Mit einem Auftreten von 5 % ist das hyperaktive Delir die am seltensten vorkommende Form. Charakteristisch fallen die Patienten durch Unruhe, Agitiertheit, aggressives Verhalten und Ungeduld begleitet von Euphorie, Angst und Halluzinationen auf. Das Erscheinungsbild des hyperaktiven Delirs wird in der klinischen Praxis schnell erkannt und hat dadurch eine deutlich bessere Prognose hinsichtlich der Mortalität (Stuch; Scheunemann 2016, S. 269; Baumgartner; Hafner 2017, S. 27; Kersten; Reith 2015, S. 14).
Das hypoaktive Delir
Das hypoaktive Delir tritt insbesondere bei älteren Patienten auf und ist u. a. durch eine reduzierte Aktivität, Apathie und Somnolenz gekennzeichnet. Oft bestehen begleitend Halluzinationen und Desorientiertheit, welche aber erst durch Befragung der Betroffenen auffällig werden.
Die hypoaktive Form ist im klinischen Alltag sehr präsent, wird aber durch ihre unauffällige Symptomatik oftmals übersehen. Demzufolge werden betroffene Patienten häufig nicht behandelt (Stuch; Scheunemann 2016, S. 269; Baumgartner; Hafner 2017, S. 27).
„In einer Studie von Liptzin und Levkoff et al. zeigten 43,5 % von 614 erfassten Patienten ein hypoaktives Delir“ (Stuch; Scheunemann 2016; S. 269). Ca. 95 % der kardiochirurgischen Patienten weisen ein hypoaktives Delir auf (Bartels et al. 2016, S. 40). Auch wenn das hypoaktive Delir rechtzeitig erkannt und therapiert wird, hat diese Delirgruppe die schlechteste Prognose (Baumgartner; Hafner 2017, S. 27).
Die Mischform
Das gemischte Delir ist mit 55 % am häufigsten in der klinischen Praxis vertreten. Hierbei können hypo- und hyperaktive Symptome abwechselnd auftreten (Stuch; Scheunemann 2016, S. 269; Baumgartner; Hafner 2017, S. 27).
2.3.5 Ätiologie und Risikofaktoren
2.3.5.1 Ätiologie
Die Entwicklung eines Delirs resultiert meist aus der Interaktion verschiedener Prozesse, seltener ist ein primär auslösender Faktor festzustellen. Gewöhnlich entsteht es im Rahmen von akut auftretenden somatischen Erkrankungen, durch pharmakologische Wirkungen, Nebenwirkungen oder durch Störfaktoren aus der Umgebung (Frühwald et al. 2015, S. 56). „Je älter der Patient, desto wahrscheinlicher ist eine multifaktorielle Genese“ (ÖGGG 2018, S. 6).
Besonders gefährdet ist:
- wer allein lebt und sozial isoliert ist,
- wer die Umgebung bei Nacht oder Dunkelheit verkennt,
- wer plötzlich seine täglichen Gewohnheiten ändern muss,
- wer ein physisches oder psychisches Trauma erlitten hat,
- wer angsterfüllt ist, von fremden Personen behandelt wird und die ungewohnte Fülle an Informationen nur schwer verarbeiten kann (Frühwald et al. 2015, S. 56).
2.3.5.2 Risikofaktoren
„Das Schwellenkonzept stellt dar, dass für die Entstehung eines Delirs das Verhältnis von Prädisposition (Vulnerabilität) und Noxe eine erhebliche Rolle spielt“ (ebd., S. 56). Bei einer hohen Vulnerabilität reicht meist schon eine geringe Noxe aus, um ein Delir zu triggern und umgekehrt. Inouye et al. schlägt in seinen Studien eine Gliederung nach auslösenden und prädisponierenden Risikofaktoren vor. Diese werden in der nachfolgenden tabellarischen Übersicht (Tabelle 1) detailliert dargestellt.
Tabelle 1: Ursachengefüge des Delirs (ÖGGG 2013, S. 7)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.3.6 Pathophysiologie
Die Pathophysiologie des Delirs ist komplex und noch unzureichend geklärt. In mehreren Publikationen werden Veränderungen des zerebralen Neurotransmittersystems, Stress und Entzündungsreaktionen als auslösende Mechanismen für die Entstehung eines Delirs beschrieben (ÖGGG 2013, S. 8; Haussmann et al., S. 535; Popp 2017, S. 31). „Komplexe und vielfach unaufgeklärte Interaktionen zwischen cholinergen, dopaminergen, serotonergen und noradrenergen Systemen dürften auch eine Rolle spielen“ (ÖGGG 2013, S. 8). Die zentralen Neurotransmitter Acetylcholin und Dopamin sind insbesondere für kognitive Funktionen, Aufmerksamkeit und den Schlaf-Wach-Rhythmus bedeutsam. Ein reduzierter Hirnmetabolismus, z. B. durch Hypoxie, kann zu einer verminderten Freisetzung von Acetylcholin oder zu einer gesteigerten Synthese von Dopamin führen und demzufolge ein Delir triggern.
Der Prozess des Alterns an sich, geht ebenfalls mit einer verminderten Acetylcholinreserve einher. Zusätzlich können bestimmte delirogen wirkende Pharmaka die Transmittersysteme beeinträchtigen (Frühwald et al. 2015, S. 57). Ferner wird in der Literatur u. a. ein Zusammenhang zwischen dem Vorliegen chronischer Entzündungen, Störungen des Elektrolythaushalts, hohem Lebensalter und der Entstehung eines Delirs vermutet (Popp 2017, S. 33).
2.3.7 Die Epidemiologie
Die Epidemiologie ist definiert als: „Wissenschaft, die sich vor allem mit der Verbreitung und Verteilung von Krankheiten, ihren Ursachen und ihren Folgen in der Bevölkerung befasst“ (Gbe- bund 2017, o. S.). Die wesentlichsten Größen der Epidemiologie dienen der Quantifikation der Prävalenz und Inzidenz (Kohlmann o. J., S. 1-2).
„Unter Inzidenz wird die Häufigkeit des (Neu-) Auftretens von Krankheitsfällen oder von anderen gesundheitsbezogenen Ereignissen in einer definierten Zeitperiode verstanden. Die Prävalenz beschreibt im Unterschied dazu die Häufigkeit des Vorliegens bestimmter Krankheitsfälle zu einem gegebenen Zeitpunkt oder während einer längeren Zeitperiode“ (ebd., S. 1-2).
Die Prävalenz des Delirs nimmt mit steigendem Lebensalter deutlich zu. Seine Häufigkeit ist insbesondere vom Behandlungssetting, Patientenklientel und deren Risiko- sowie delirauslösenden Faktoren abhängig.
Popp gibt basierend auf einer Studie Prävalenzraten in der Allgemeinbevölkerung zwischen 1,8% in der Gruppe der über 65-jährigen und 10,1 % in der Altersgruppe der über 85-Jährigen an (Popp 2017, S. 37). „Zweiundzwanzig Prozent der zu Hause lebenden älteren Menschen mit Demenz zeigen Delir-Symptome“ (ebd., S. 37). Bei Aufnahme in die Akutversorgung sind etwa 11-25 % der Patienten über 65 Jahren delirant, weitere 30 % entwickeln während des Krankenhausaufenthalts ein Delir. Patienten mit Alzheimer-Erkrankung weisen während einer stationären Behandlung eine Prävalenz von 56 % auf.
Die Wahrscheinlichkeit, nach einem chirurgischen Eingriff ein Delir zu erleiden ist besonders für ältere Menschen hoch. In diesem Kontext spielen verschiedene Faktoren, wie z. B. der Operationstyp, die Narkoseform und die Weiterbehandlung eine ausschlaggebende Rolle. Nach Hüftgelenksersatzoperationen erleiden bis zu 65 % der Patienten postoperativ ein Delir. Auch nach kardiochirurgischen Eingriffen stellt das Delir mit einem Auftreten von 50 % die häufigste Komplikation dar.
Die Bonner Universitätsklinik berichtet, dass ca. 31 % der über 50-jährigen kardiochirurgischen Patienten während der intensivmedizinischen Behandlung ein Delir entwickeln. Ursächlich waren neben einem höheren Lebensalter, verminderter kognitiver Funktion und zusätzlicher Komorbiditäten auch die Dauer der Operation, der Einsatz der HLM sowie nachgewiesene Entzündungsreaktionen.
Mehrere Publikationen benennen Inzidenzraten von 20-80 % bei Intensivpatienten, wobei nichtbeatmete Patienten eine deutlich niedrigere Inzidenz aufweisen als beatmete Patienten (Kersten; Reith 2016, S. 14; Schubert et al. 2010, S. 317; Zoremba 2015, S. 320; Bartels 2016, S. 39).
2.3.7.1 Prognose und Auswirkungen
Die Entstehung eines Delirs innerhalb einer stationären Behandlung ist folglich mit einem Anstieg der Komplikationsraten verbunden. Insbesondere werden eine erhöhte Sturzneigung, der Einsatz von FEM, Immobilisation, durch bspw. Blasendauerkatheter, sowie eine steigende Gefahr an krankenhausassoziierten Infektionen beschrieben. Über 50 % der Delirpatienten, welche sich poststationär in einer Rehabilitationseinrichtung befanden, mussten wieder in die Akutversorgung zurückverlegt werden. Bei 73 % der Betroffenen schloss sich eine anschließende Betreuung im Pflegeheim an (Hewer et al., S. 49).
„25 % der Delirpatienten verstarben innerhalb von sechs Monaten, während bei den Patienten ohne Delir nur 5,7 % verstarben. […] Langzeitstudien berichten gar von 85 % Demenzentwicklung oder Tod innerhalb von zwei Jahren […] im Kontext einer operativ versorgten Hüftfraktur, bzw. einer 40fach erhöhten Demenz-, 6fach erhöhten Institutionalisierungs- und 1,7fach erhöhten Mortalitätswahrscheinlichkeit (Odds Ratio) innerhalb von 38 Monaten“ (ebd., S. 49).
Delirante Zustände verlängern erfahrungsgemäß den Krankenhausaufenthalt. Demnach sind vor allem geriatrische Patienten, Intensivpflichtige und Apoplexpatienten betroffen. Die Aufenthaltsdauer ist allerdings multifaktoriell bedingt und kann nicht immer mit dem Delir selbst in Zusammenhang gebracht werden.
Die Auswirkungen des Delirs sind schwerwiegend. Hewer et al. gibt Mortalitätsraten von 22-70% bei Delirpatienten im stationären Setting an. Das Risiko, nach einer Krankenhausbehandlung zu versterben, ist bei den Betroffenen um 50 % gegenüber nichtdeliranten Patienten erhöht. In diesem Zusammenhang wird eine 1-Jahres-Mortalität von etwa 40 % beschrieben. Ferner besteht ein bis zu zwei Jahren erhöhtes Mortalitätsrisiko nach einem Delirereignis. Ca. 30 % der Patienten müssen aufgrund von dauerhafter Verschlechterung der physischen und kognitiven Funktionen in einem Pflegeheim weiterbetreut werden. Im weiteren Verlauf entwickeln über 60 % der Patienten eine Demenz, d. h. es besteht ein 12-fach erhöhtes Risiko gegenüber gesunden Menschen (Hewer et al. 2017, S. 49-50; ÖGGG 2013, S. 4-5). „Ein Großteil der Patienten leidet auch Jahre nach einem postoperativen Delir noch an einer PTBS“ (Bartels 2016, S. 42; Teufert et al. 2015, S. 23). Aufgrund der längeren Krankenhausverweildauer und deren möglichen Komplikationen ergeben sich erhebliche Mehrbelastungen für das Gesundheitssystem. Darüber hinaus wird ein immenser volkswirtschaftlicher Schaden durch die Zunahme an Pflegebedürftigkeit beschrieben (Hewer et al. 2017, S. 50).
Valide Daten hinsichtlich der verursachten Kosten des Delirs existieren in Deutschland kaum (ÖGGG 2013, S. 5). In den USA wurden in einer Hochrechnung, „Mehrbelastungen für das Gesundheitssystem in Höhe von mehr als 152 Milliarden Euro pro Jahr angenommen“ (ebd., S. 5; Bartels 2016, S. 39).
Die im Vorfeld genannten Komplikationen und Folgen machen die Bedeutung einer frühzeitigen Delirerkennung und -behandlung, speziell im Alter deutlich. Aufgrund der gravierenden Auswirkungen gewinnen präventive Maßnahmen zur Vermeidung des Delirs zunehmend an Bedeutung.
Wird ein Delir frühzeitig erkannt und behandelt, lassen sich ca. 40 % der Fälle vermeiden (Hewer et al. 2017, S. 49-50; ÖGGG 2013, S. 4-5). „Unbehandelt hat es hohe Sterberaten - ähnlich wie beim Myokardinfarkt oder Sepsis“ (ÖGGG 2013; S. 4).
2.4 Delirmonitoring
Aufgrund der im Vorfeld genannten negativen Auswirkungen für den Patienten und das Gesundheitssystem, ist die Einführung eines Delirmanagements von erheblicher klinischer Bedeutung. In den aktuellen S3-Leitlinien „Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin“ (Bartels 2016, S. 40) empfiehlt die AWMF das „regelmäßige, engmaschige Screening mit einem validierten Messinstrument […]“ (Weiß et al. 2015, S. 517-518; Bartels 2016, S. 40). Demnach soll im Kontext einer Intensivtherapie mindestens 8-stündlich ein Delirscreening mittels wirksamen Messverfahren erfolgen. Des Weiteren wird eine systematische Beurteilung von Analgesie und Sedierungsgrad beim Intensivpatienten empfohlen. Die aktuelle S3-Leitlinie wurde 2015 publiziert und von Vertretern aus 17 Fachgesellschaften genehmigt. Sie ist: „weltweit die umfangreichste evidenz- und konsensusbasierte Leitlinie zu diesem Themenkomplex“ (Müller et al. 2015; S. 698). Neben umfassenden Empfehlungen zur Behandlung bestimmter Patientengruppen, unterstützt sie bei der lokalen Implementierung wesentlicher Inhalte (ebd.; S. 698). „Der intensivmedizinisch behandelte Patient soll wach, aufmerksam, schmerz-, angst- und delirfrei sein, um an seiner Behandlung und Genesung aktiv teilnehmen zu können“ (DAS-S3-Leitlinie 2015, S. 3-4).
Zur Detektion des Delirs im Intensivbereich stehen verschiedene Screening- und Assessmentinstrumente zur Verfügung. Auf Empfehlung der S3-Guidelines werden nachfolgend nur die Wesentlichsten vorgestellt (Weiß et al. 2015, S. 518).
2.4.1 Screeninginstrumente
Bevor auf einzelne Screeninginstrumente ausführlicher eingegangen wird, soll der Begriff „Screening“ betrachtet werden. Schimböck bezieht sich in seiner Publikation auf eine Definition von Bartholomeyczik et al., Screening wird demnach wie folgt beschrieben:
„[…] die vorläufige Identifizierung eines Gesundheitsproblems oder eines Risikos durch den Einsatz von Tests oder anderen Prozeduren, die schnell und einfach angewendet werden können. Die Ergebnisse eines Screenings bedürfen immer einer weiteren, diagnostischen Untersuchung, z. B. mit Hilfe von Assessmentinstrumenten oder anderen diagnostischen Verfahren“ (Schimböck 2016, S. 22-23, zitiert nach Bartholomeyczik et al. 2008, S. 100).
2.4.1.1 Intensive Care Delirium Screening Checklist (ICDSC)
Die ICDSC (s. Tab. 2 im Anhang 1) wurde in Kanada speziell für Intensivpatienten entwickelt und basiert auf Beobachtungen und Fragen. Es werden acht verschiedene Kriterien beurteilt (Hasemann et al. 2017, S. 114-115). Diese sind ausschließlich mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten. Folgende Merkmale werden erfasst:
- Störungen des Bewusstseins,
- Störungen der Aufmerksamkeit,
- Desorientiertheit,
- Halluzinationen,
- Psychomotorische Erregung,
- Störungen des Schlaf-/Wachrhythmus,
- unangemessenes Sprachverhalten und Stimmungslage,
- wechselnde Symptomatik.
Es ergeben sich Summenwerte von null bis acht Punkten. Ab einem Wert von vier Punkten befindet sich ein Patient im Delir (Bartels 2016, S. 41). Aufgrund der leichten und schnellen Handhabung lässt sich die ICDSC gut in den Pflegealltag integrieren (Scheunemann; Stuch 2016, S. 270-271). In einer Studie zeigten sich eine Sensitivität von 89 % und eine Spezifität von 57 % (Bartels et al. 2016, S. 40). Die Spezifität könnte durch gleichzeitige Anwendung der CAM-ICU gesteigert werden (Hasemann et al. 2017, S. 115).
2.4.2 Assessmentinstrumente
„Mit dem Begriff „Assessment“ ist ein multidisziplinärer, diagnostischer Prozess gemeint, mit dem die gesundheitliche Situation von Patientinnen und Patienten gründlich erfasst und bewertet wird, damit Interventionen sinnvoll geplant, durchgeführt und in ihrem Verlauf evaluiert werden können“ (Prochaska 2015, S. 34).
2.4.2.1 Confusion Assessment Method for the Intensiv Care Unit (CAM-ICU)
Die CAM-ICU (s. Abb. 1 im Anhang 4) wurde speziell für Intensivpatienten und für „die Anwendung durch das Pflegepersonal“ (Scheunemann; Stuch 2016, S. 270), auf Basis der CAM in den USA entwickelt. Der Vorteil der CAM-ICU besteht darin, dass auch Patienten deren Kommunikation, z. B. aufgrund von Intubation nur nonverbal erfolgen kann, getestet werden können. Um ein Assessment mittels CAM-ICU durchzuführen, muss begleitend die Sedierungstiefe des Patienten ermittelt werden. Integraler Bestandteil der CAM-ICU ist daher die Richmond Agitation-Sedation Scale (RASS), auf welche im Verlauf der Arbeit noch näher eingegangen wird.
„Die CAM-ICU ist das in Studien im Intensivpflegebereich am häufigsten verwendete Instrument und wird auch als Goldstandard bezeichnet“ (Scheunemann; Stuch 2016, S. 270-271).
Die CAM-ICU detektiert das Delir beim Intensivpatienten anhand folgender Symptome:
- Tiefe der Sedierung (RASS),
- akuter Beginn und fluktuierender Verlauf,
- Störung der Aufmerksamkeit,
- Störungen des Bewusstseins,
- unorganisiertes Denkvermögen (Bartels 2016, S. 40; Lütz et al. 2010, S. 108-109).
Das Assessment mittels CAM-ICU beinhaltet konkrete Untersuchungsverfahren und Fragestellungen und verlangt einen direkten Patientenkontakt. Die Überprüfung der Aufmerksamkeit des Patienten erfolgt durch aufeinanderfolgend gesprochene Buchstaben, z. B. ANANASBAUM. Hierbei wird der Patient aufgefordert, nur bei Nennung des Buchstabens „A“ die Hand der Pflegefachkraft zu drücken, nicht bei anderen Buchstaben. Mehrere Fehler zeigen eine Störung der Aufmerksamkeit an. Die Beurteilung des Denkvermögens wird über Verständnisfragen („Schwimmt ein Stein auf dem Wasser?“) geprüft (Hasemann et al. 2017, S. 104-114).
Der Test beansprucht durchschnittlich 50 Sekunden und liefert ein dichotomes Ergebnis, Delir „ja“ oder „nein“. Für einen zuverlässigen Einsatz ist eine Schulung der Ärzte und Pflegekräfte obligat (ebd., S. 113-114; Bartels 2016, S. 40). In der Literatur wird eine Sensivität von 88-92 % und eine Spezifität von 96-100 % beschrieben (Hasemann 2017, S. 114; Scheunemann; Stuch 2016, S. 270-271; Bartels 2016, S. 40).
2.4.3 Sedierungsscores
Die S3-Leitlinie empfiehlt, bei jedem intensivmedizinisch betreuten Patienten mindestens aller acht Stunden die Sedierungstiefe mit einem validen und reliablen Messinstrument zu ermittelt. Des Weiteren soll einmal am Tag ein individuelles Sedierungsziel festgelegt und dokumentiert werden. „Es hat sich gezeigt, dass eine nicht indizierte Sedierung von intensivpflichtigen Patienten, die mit einem Verlust der Kontaktfähigkeit (RASS ≥ -2) einhergeht, mit einer erhöhten Delirinzidenz verbunden ist“ (Kersten, A. et al. 2016, S. 16). In der Literatur werden verschiedene Sedierungsscores beschrieben. Im Anschluss wird die oft als „Goldstandard“ bezeichnete „Richmond Agitation - Sedation Scale“ vorgestellt.
2.4.3.1 Richmond Agitation-Sedation Scale (RASS)
Mithilfe der RASS (s. Tab. 3 im Anhang 1) können verschiedene Zustände, z. B. Unruhe, Agitation und Sedierungstiefe des Patienten ermittelt werden. Die Skala der RASS reicht von -5 bis +4. Durch die positiven Zahlen findet eine Bewertung von Unruhe und Agitation statt, die negativen Zahlen schätzen die Sedierungstiefe ein. Zur Anwendung der CAM-ICU und der ICDSC wird ein RASS-Wert zwischen ≥ -3 bis +4 benötigt (Scheunemann; Stuch 2016, S. 271-273).
2.4.4 Schmerzscores
Das Erleben von Schmerzen löst aus Sicht der Intensivpatienten den größten Stress aus. Häufig wird das Schmerzniveau der intensivmedizinisch behandelten Patienten deutlich unterschätzt. „[…] bedarfsadaptierte Analgesie, z. B. im Rahmen von Interventionen auf Intensivstationen, erfolgt teilweise in weniger als 25 % der Fälle. In einer Studie […] erhöhte die Unterversorgung von Schmerzen […] das Risiko für die Entwicklung eines Delirs um das 9-fache“ (Scheunemann; Stuch 2016, S. 272).
Infolge dessen müssen validierte Schmerzscores eingesetzt werden, um die Schmerzstärke der Patienten zu ermitteln und intervenieren zu können. Es stehen validierte Selbst- und Fremdeinschätzungsinstrumente zur Verfügung (ebd.; Müller et al. 2015, S. 699-700).
2.4.4.1 Numerische Ratingskala-Visualisiert (NRS-V)
Die numerische Ratingsskala (s. Abb. 2 im Anhang 4) wird für Patienten empfohlen, welche ihre Schmerzstärke selbst einschätzen können. Die NRS ist ein Instrument mit zehn Schmerzstufen. NRS Werte von eins bis vier werden als leichte Schmerzen, Werte von fünf bis sechs als mittelstark und sieben bis zehn als starke Schmerzen eingestuft. Ab einem NRS-Wert von vier besteht laut S3-Leitlinie Handlungsbedarf, wobei das individuelle Schmerzempfinden des Patienten berücksichtigt werden soll. Die Schmerzskala weißt die höchste Validität und Reliabilität auf und ist anderen Schmerzskalen vorzuziehen (DAS-S3-Leitlinie 2015, S. 18).
2.4.4.2 Behavioural Pain Scale für nichtbeatmete Patienten (BPS-NI)
Die BPS-NI (s. Tab. 4 im Anhang 1) ist eine Fremdeinschätzungsskala für nichtintubierte, nichtbeatmete Patienten. Sie findet Anwendung bei Patienten, welche aufgrund von Vigilanzstörungen, z. B. eines Delirs, nicht in der Lage sind, ihre Schmerzintensität selbständig einzuschätzen. Die Schmerzeinschätzung erfolgt auf Basis von Beobachtungen durch das Pflegepersonal. Die Bewertung erfolgt über schmerzassoziierte Laute des Patienten sowie über subjektive Kriterien wie Blutdruckanstieg, Anstieg der Herz- und Atemfrequenz oder gesteigerter Tränenfluss (ebd., S. 19).
3 Methodik
Im folgenden Teil der Arbeit wird die methodische Vorgehensweise zur Beantwortung der Fragestellung detailliert dargestellt. Ziel der Arbeit war es, zur Thematik: „Das postoperative Delir bei älteren Patienten auf der kardiochirurgischen Intensivstation - Möglichkeiten der nichtmedikamentösen Delirprävention“, eine systematische Literaturrecherche durchzuführen.
3.1 Ein- und Ausschlusskriterien
Um die zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten zur Thematik „Delir“ auf die Fragestellung zu fokussieren, wurden im Vorfeld der Recherche, Ein- und Ausschlusskriterien festgelegt. Diese werden nachfolgend in der tabellarischen Übersicht abgebildet (Tabelle 5).
Tabelle 5: Ein- und Ausschlusskriterien der Literaturrecherche
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
An dieser Stelle werden die in Tabelle 5 beschriebenen Kriterien näher erläutert.
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