Ein halbes Jahrzehnt liegt zwischen der Erzählung „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ von 1786 und Friedrich Schillers intensiven philosophischen Studien der Jahre 1791-95. Doch schon in dieser frühen Erzählung - wie auch in dem weitere fünf Jahre zurückliegenden Drama „Die Räuber“ - steht das Interesse Schillers an dem Verhältnis von sittlicher Ordnung und der moralischen Zerrissenheit des Einzelnen im Mittelpunkt. Seine Protagonisten sind in Anlage und Verhalten extrem und oft zwischen dem moralischen Druck der Vernunft und ihren natürlichen, sinnlichen Trieben hin- und hergerissen.
So auch der Räuber und Mörder Christian Wolf im „Verbrecher“. Dass dieser Text mehr als eine Kriminalgeschichte ist, vielmehr auch ein frühes Zeugnis seiner Auffassung vom Erhabenen und damit seiner Schönheitslehre, gilt es mit dieser Arbeit zu zeigen.
Um die Darstellung des erhabenen Verbrechers in „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ vor Augen zu führen, ist es notwendig, einen Blick auf die später entstandene Schiller´sche Philosophie des Erhabenen zu werfen. Die ethisch-ästhetische Doppelanlage dieses Begriffs macht es wiederum notwendig, zuvor kurz auf das Verhältnis von Ethik und Ästhetik im Werke Schillers einzugehen.
Im Weiteren steht die Entwicklung von Christian Wolf als „Verbrecher aus verlorener Ehre“ im Mittelpunkt. Sein moralischer Abstieg, sein Ehr- und ldentitätsverlust sowie seine Wandlung, seine selbstbestimmte Auslieferung und damit seine moralische „Erhebung“ werden hier beschrieben. Dabei lassen sich Parallelen und Unterschiede in der Figurengestattung des Karl Moor, aber auch des Franz Moor, in den „Räubern“ feststellen.
Dass Schiller nicht als Kriminal-Psychologe oder Berichterstatter auftritt, sondern selbst in einer Kriminalerzählung als Erzähler mit einem sowohl dramatischen als auch philosophischen Konzept arbeitet, gilt es im darauffolgenden Kapitel zu erläutern. Die Prosaform ist notwendig, um dieses Konzept deutlicher herauszustellen, da Schiller erzählerisch distanzierter auftreten kann, als es im Drama - mit der Festlegung auf den Dialog möglich ist.
Abschließend wird die Figur des „erhabenen Verbrechers“, wie sie Schiller in seiner Dichtung immer wieder verwendete und variierte, behandelt und in den Zusammenhang seiner späteren philosophischen Überlegungen gestellt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Zusammenhang von Ethik und Ästhetik
3 Das Erhabene
4 „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“
4.1 Der Verbrecher Christian Wolf
4.2 Der Erzähler Friedrich Schiller
5 Der erhabene Verbrecher
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
7.1 Primärtexte:
7.2 Sekundärtexte:
1 Einleitung
Ein halbes Jahrzehnt liegt zwischen der Erzählung „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ von 1786 und Friedrich Schillers intensiven philosophischen Studien der Jahre 1791-95. Doch schon in dieser frühen Erzählung - wie auch in dem weitere fünf Jahre zurückliegenden Drama „Die Räuber“ - steht das Interesse Schillers an dem Verhältnis von sittlicher Ordnung und der moralischen Zerrissenheit des Einzelnen im Mittelpunkt. Seine Protagonisten sind in Anlage und Verhalten extrem und oft zwischen dem moralischen Druck der Vernunft und ihren natürlichen, sinnlichen Trieben hin- und hergerissen.
So auch der Räuber und Mörder Christian Wolf im „Verbrecher“. Dass dieser Text mehr als eine Kriminalgeschichte ist, vielmehr auch ein frühes Zeugnis seiner Auffassung vom Erhabenen und damit seiner Schönheitslehre, gilt es mit dieser Arbeit zu zeigen.
Um die Darstellung des erhabenen Verbrechers in „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ vor Augen zu führen, ist es notwendig, einen Blick auf die später entstandene Schiller´sche Philosophie des Erhabenen zu werfen. Die ethisch-ästhetische Doppelanlage dieses Begriffs macht es wiederum notwendig, zuvor kurz auf das Verhältnis von Ethik und Ästhetik im Werke Schillers einzugehen.
Im Weiteren steht die Entwicklung von Christian Wolf als „Verbrecher aus verlorener Ehre“ im Mittelpunkt. Sein moralischer Abstieg, sein Ehr- und ldentitätsverlust sowie seine Wandlung, seine selbstbestimmte Auslieferung und damit seine moralische „Erhebung“ werden hier beschrieben. Dabei lassen sich Parallelen und Unterschiede in der Figurengestattung des Karl Moor, aber auch des Franz Moor, in den „Räubern“ feststellen.
Dass Schiller nicht als Kriminal-Psychologe oder Berichterstatter auftritt, sondern selbst in einer Kriminalerzählung als Erzähler mit einem sowohl dramatischen als auch philosophischen Konzept arbeitet, gilt es im darauffolgenden Kapitel zu erläutern. Die Prosaform ist notwendig, um dieses Konzept deutlicher herauszustellen, da Schiller erzählerisch distanzierter auftreten kann, als es im Drama - mit der Festlegung auf den Dialog möglich ist.
Abschließend wird die Figur des „erhabenen Verbrechers“, wie sie Schiller in seiner Dichtung immer wieder verwendete und variierte, behandelt und in den Zusammenhang seiner späteren philosophischen Überlegungen gestellt.
2 Der Zusammenhang von Ethik und Ästhetik
Das Verhältnis von Ethik und Ästhetik ist der Kern wie auch die Kernproblematik im philosophischen Werk Friedrich Schillers. Alle seine ästhetischen Schriften handeln direkt oder indirekt immer von der sittlichen Schönheit und sind damit auch Beiträge zu einer Ethik. Schillers Denken ist in erster Linie von Immanuel Kant beeinflusst. Auch in dessen „Kritik der praktischen Vernunft“ und der „Kritik der Urteilskraft“ sind Sittliches und Sinnliches eng miteinander verbunden.[1] Dass beide sie aber auch strikt getrennt haften, zeigt die Komplexität dieses Verhältnisses, das im Folgenden kurz ausgeführt wird.
Für eine konkrete Verbindung des Ästhetischen und Ethischen bei Schiller steht sein Begriff der „schönen Seele“: „In einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren...“.[2] Schiffers Ziel bei der Entwicklung des Gedankens von der schönen Seele in der frühen philosophischen Schrift „Anmut und Würde“ von 1793 ist es, zwei sich oft widersprechende Anlagen im Menschen miteinander zu versöhnen: das Gefühl und die Vernunft, oder anders gesagt, die Neigung und die Pflicht. Für ihn sollte der Mensch in der Lage sein, diese beiden mühelos zu vereinbaren und „der Stimme des Triebes“ nicht ewig misstrauen zu müssen, so „daß er gezwungen ist, ihn [den Trieb] jedesmal erst vor dem Grundsatze der Moral abzuhören.“ [3] Das Ideal sieht für Schiller so aus, dass der sittliche Mensch seinen Affekten „die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf“.[4] Motiviert ist dieser Gedanke aus der Abgrenzung gegenüber Immanuel Kant, der Sinnlichkeit und Vernunft, Neigung und Pflicht strikt getrennt sehen wollte.[5]
Schiller beginnt seine Ausführungen in „Anmut und Würde“ mit ästhetischen Beispielen über die Anmut antiker Figuren, Architektur sowie Natur und gelangt dann mehr und mehr zu moralischen Betrachtungen. In dieser Schrift - wie auch in der Schrift „Über das Erhabene“, um die es besonders im 2. Kapitel geht - zeigt sich exemplarisch die enge Verbindung von Ethik und Ästhetik wie sie oben beschrieben wurde.[6]
Es soll jedoch sogleich betont werden: weder Kant noch Schiffer wollten Moral und Schönheit zusammenfallen lassen - ganz im Gegenteil. Karl Vorländer zufolge sei Schiller Kant bezüglich des ethischen Rigorismus treu geblieben.[7] Das heisst, das trotz des Zusammenfallens von Sittlichem und Sinnlichem im Schönen das Sittliche vom Sinnlichen letztlich unbeeinflusst bleiben muss[8]. Schiller übernehme diese strikte Trennung von Kant, weil er dessen wissenschaftliche, präzise Argumentation und so das Auseinanderhalten der philosophischen Begriffe und Bereiche beibehalten wolle.[9]
Als zweiten Grund für die betonte Trennung von Ästhetik und Ethik könnte man noch anfügen, dass Schiller der Kunst nicht ihre Freiheit und damit ihre Wirkung nehmen will: »Nur indem sie ihre höchste ästhetische Wirkung erfüllt, wird sie einen wohltätigen Einfluß auf die Sittlichkeit haben; aber nur indem sie ihre völlige Freiheit ausübt, kann sie ihre höchste ästhetische Wirkung erfüllen.“[10] An anderer Stelle erklärt er, dass der Mensch in ästhetischen Urteilen nicht an sittlichen Fragen, sondern ausschließlich an der Freiheit interessiert sei.[11] Denn man „verwirre die Grenzen“, wenn man einen moralischen Zweck in ästhetischen Dingen fordere. Einerseits wäre so die Freiheit der Phantasie durch moralische Gesetzmäßigkeit gefesselt und andererseits die Notwendigkeit der Vernunft bezüglich der Moral durch die Willkür der Einbildungskraft zerstört.[12]
Der wesentliche Unterschied zwischen ethischen und ästhetischen Urteilen ist also der, dass bei ersteren die Vernunft und bei letzteren die Einbildungskraft herrscht. Der Mensch spürt Schiller zufolge - und hier wieder auch mit Kant - bei moralischen Urteilen den Druck der Vernunft, die ihm ethisches Denken und Verhalten auferlegt. Bei ästhetischen Urteilen hingegen regiert die Einbildungskraft, die nicht bestimmt wie etwas sein sollte, sondern sich vorstellt, wie etwas sein könnte und den Menschen sich ungleich freier fühlen lässt.[13]
Das Schöne ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit dem Guten. Der ästhetische Zustand ist ein Übergang, der den Menschen darauf vorbereitet, dass Vernunft und Gesetze sowie die moralische Freiheit ihm natürlich erscheinen.[14] Diesen Gedanken führt Schiller dann 1795 in »Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ aus. Anders ausgedrückt: der schöne Gegenstand ist nur ein Symbol der Freiheit, das Schöne ist kein Produkt der praktischen Vernunft, sondern „nur“ das Analogon.[15] „Beachtet man diese Trennungslinie, so kann man getrost zugeben, daß Schiller in all seinen ästhetischen Schriften bemüht war, Freiheit und Schönheit, Vernunft und Sinnlichkeit in eine möglichst enge Beziehung zu setzen.“[16]
Im Folgenden wird nun das Analogie-Verhältnis von Sittlichkeit und Schönheit vorausgesetzt, wenn von der sittlichen Schönheit oder nur der Schönheit gesprochen wird. Etwas komplexer verhält es sich jedoch mit dem Erhabenen als einem Teil der Schiller´schen Ästhetik, das für die Erzählung „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ eine größere Rolle spielt als das Schöne.
3 Das Erhabene
Der Begriff des Erhabenen - wie er in der europäischen Philosophie aufgefasst wird - hat seine Wurzeln im 17. Jahrhundert.[17] Die größte Bedeutung kommt ihm dann im Werke Kants zu, dessen Gedanken Schiller nicht wesentlich erweitert hat. Klaus L. Berghahn sieht Schillers Leistung darin, dass dieser Kants Lehre auf die dramatische Kunst überträgt.[18] Hier geht es darum, kurz herauszustellen, was das Besondere der Schiller‘schen Auffassung des Erhabenen ist. Obwohl Schiller das Erhabene als Basis für seine Dramentheorie ansah, lassen sich seine Gedanken ohne weiteres auch auf die Prosa übertragen.
[...]
[1] Vgl. Vorländer, S. 85. Dieser weist diesbezüglich darauf hin, dass Schiller in Bezug auf
Methode und Systematik der Entwicklung des Erhabenen nichts wesentlich Neues, über Kant
Hinausreichendes geschaffen habe. Vgl. dazu S. 89
[2] Über Anmut und Würde, S. 111. Schiller wurde hier besonders von Winkelmann und dessen Antikeideal vom Menschen als gleichzeitig schöner und edler Gestalt (,‚edle Einfalt, stille Größe“) beeinflusst.
[3] Ebd., S. 110
[4] Ebd.
[5] Nachwort von Käte Hamburger in: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, S. 135
[6] Käte Hamburger stellt in ihrem Nachwort zur „ästhetischen Erziehung“ die in der Philosophie häufige Verknüpfung der Idee der Schönheit mit der Idee des moralischen Menschen heraus. Vgl. dazu S. 131f.
[7] Vgl. Vorländer, S. 53 ff.
[8] Schiller erklärt dies u.a. im 23. Brief der „ästhetischen Erziehung des Menschen“: „Es ist ausdrücklich bewiesen worden, daß die Schönheit kein Resultat weder für den Verstand noch den Willen gebe, daß sie sich in kein Geschäft des Denkens noch des Entschließens mische...“ (S. 93)
[9] Vgl. Vorländer, S. 70 ff.
[10] Schiller: Vergnügen an tragischen Gegenständen. In: Vom Pathetischen und Erhabenen, S. 16.
[11] Vg. Schiller: Über das Pathetische. In: Vom Pathetischen und Erhabenen, S. 81.
[12] Vgl. ebd., S. 82: Man dürfe die Einbildungskraft nicht aus ihrem Gebiet verdrängen, denn dann würde man sie „entweder... ganz unterjochen müssen, und dann ist es um alle ästhetische Wirkung geschehen; oder sie wird mit der Vernunft ihre Herrschaft teilen, und dann wird für Moralität wohl nicht viel gewonnen sein.“
viel gewonnen sein.“
[13] Vgl. Schiller: Über das Pathetische, S. 80
[14] Vgl. Nachwort von Käte Hamburger in: Über die ästhetische Erziehung, S. 140
[15] Vgl. Nachwort von Klaus L. Berghahn in: Über Anmut und Würde, S. 170. Diesen Schönheitsbegriff entwickelt Schiller gemäß der Kant´schen Definition: „Das Schöne ist das Symbol des Sittlich-Guten.“ Kritik der Urteilskraft, § 59, S. 297.
[16] Ebd.
[17] Vgl. Nachwort von Berghahn in: Vom Pathetischen und Erhabenen, S. 136
[18] Vgl. ebd., S. 138
- Quote paper
- Silja Maehl (Author), 2004, Der erhabene Verbrecher - Friedrich Schillers Erzählung "Der Verbrecher aus verlorener Ehre", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91050
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