Theodor Storm wird gewöhnlich nicht mit Moderne und Modernitätserfahrungen in Verbindung gebracht. In der Tat wird die Moderne jedoch in zahlreichen Novellen Storms thematisiert. Die krisenartigen Erfahrungen der Moderne, die mit dem Übergang zu einer neuen Gesellschaftsordnung gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Erscheinung treten, ziehen sich wie ein roter Faden insbesondere durch das Spätwerk Storms ab Ende der 1870er Jahre. Im Vergleich zu Storms Frühwerk fließen nun zunehmend Themenkomplexe in sein Werk ein, die eigentlich späteren literarischen Epochen wie dem Naturalismus, Symbolismus oder Expressionismus vorbehalten sind. Auch auf sprachlicher Ebene deutet Storms Novellistik durchaus auf die Literatur der Jahrhundertwende voraus. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Storm moderner ist, als ihm zugestanden wird, und dass er moderne Entwicklungen in der Gesellschaft, die uns auch im 21. Jahrhundert noch betreffen, geradezu instinktiv vorwegnimmt. Anhand der Novellen Carsten Curator, Zur Wald- und Wasserfreude, Hans und Heinz Kirch, Der Herr Etatsrat und Ein Doppelgaenger wird gezeigt, wie die kritischen Themen der Jahrhundertwende, etwa Kapitalismus und soziale Frage, Vererbung und Naturwissenschaften, Alkoholismus und Krankheiten, das Werk eines Autors ausmachen, dem zu Unrecht das Stigma eines Heimat- und Familiendichters anhaftet. Im Gegenteil wird gezeigt, dass Storm druchaus als Wegbereiter der Moderne und der modernen Literatur gelten kann.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I Zielstellung der Arbeit
- II Vorgehensweise
- 1. Das 19. Jahrhundert und die Moderne – historischer Hintergrund
- 1.1. Die Moderne
- 1.2. Historischer Hintergrund
- 1.2.1. Die industrielle Revolution
- 1.2.2. Der Kapitalismus
- 1.2.3. Die Wissenschaften
- 1.2.4. Die Krise des bürgerlichen Selbstverständnisses
- 1.2.5. Die Philosophie
- 1.2.6. Der Aufstieg Preußens
- 1.2.7. Die Soziologie
- 1.2.8. Die Literatur
- 2. Theodor Storm
- 2.1. Biographischer Hintergrund
- 2.2. Die Novellen Storms
- 3. Krisensymptome der Moderne in Storms Novellistik
- 3.1. „Ein jeder Mensch bringt sein Leben fertig mit sich auf die Welt“ – Carsten Curator (1878) und die Macht der Vererbung
- 3.1.1. Entstehungshintergrund
- 3.1.2. Von alten Werten und neuen Zweifeln - Die Krise des Bürgers zwischen Tradition und Moderne
- 3.1.3. Verfall einer Familie – Der gescheiterte Patriarch
- 3.1.4. Heinrich Carstens als Repräsentant der Moderne
- 3.1.5. Die Frage nach Schuld und Verantwortung
- 3.1.6. Abschlussbetrachtung
- 3.2.,,Er wollte zeigen, was aus diesem Erdenfleck zu machen sei“ – Kapitalismus und neue Wirtschaftsformen in Zur Wald- und Wasserfreude (1878)
- 3.2.1. Das Diktat der Bewegung
- 3.2.2. Spekulation und Materialismus als destruktive Kräfte
- 3.3.,,Trink einmal, das vertreibt die Grillen!“ – Der Herr Etatsrat (1881) und die bürgerliche Gesellschaft in der Groteske
- 3.3.1. Der Bildungsbürger als Bestie
- 3.3.2. Der Exzess als Antwort auf eine grausame Gesellschaft
- 3.4.,,Da galt es auch für ihn noch eine Stufe höher aufzurücken“ – Gesellschaftlicher Aufstieg als bürgerliches Diktat in Hans und Heinz Kirch (1882)
- 3.4.1. Rastloses Streben als moderne Manie
- 3.4.2. Die Niederlage der Menschlichkeit in einer unmenschlichen Welt
- 3.4.3. Abschlussbetrachtung
- 3.5. „Der lieben Mitwelt zur Hetzjagd überlassen“ – Ein Doppelgänger (1886) und der Persönlichkeitsverlust in einer grausamen Gesellschaft
- 3.5.1. Der Außenseiter in der Raubtiergesellschaft
- 3.5.2. Kleine Leute und bürgerliche Gesellschaft – Liebe und Moral in unterschiedlichen sozialen Schichten
- 3.5.3. Eine Absage an die Humanität
- 4. Die Grenzen des poetischen Realismus - Storms späte Novellen als Vorläufer des Naturalismus und der literarischen Moderne
- 4.1. Themenkomplexe
- 4.2. Ästhetik und Stil, narrative Strategien
- 5. Zusammenfassung und Ausblick
- 5.1. „Die Unzulänglichkeit der Zeit“ – Raubtiergesellschaft, Isolation und Bindungsverlust
- 5.2. Modernität und Aktualität
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die späten Novellen Theodor Storms und stellt deren Relevanz für die Erforschung von bürgerlichen Krisenerfahrungen an der Schwelle zur Moderne heraus. Der Fokus liegt auf der Analyse von Storms Spätwerk ab Ende der 1870er Jahre, in dem Themenkomplexe aufgegriffen werden, die typischerweise späteren literarischen Epochen zugeordnet werden. Die Arbeit zeigt auf, wie Storms Novellen die Auswirkungen der Moderne auf das bürgerliche Selbstverständnis widerspiegeln und die psychologischen und sozialen Folgen von Umbrüchen in Politik, Technik, Wirtschaft und Gesellschaft beleuchten. Die Arbeit beleuchtet folgende Schwerpunkte:- Die Auswirkungen der industriellen Revolution und des Kapitalismus auf die bürgerliche Gesellschaft
- Die Krise des bürgerlichen Selbstverständnisses und die Suche nach neuen Orientierungen
- Die Rolle der Vererbung und des Unterbewusstseins in der Gestaltung des menschlichen Charakters
- Die Auswirkungen von gesellschaftlichem Aufstieg und der Verdrängung traditioneller Werte
- Die Rolle des Außenseiters in der modernen Gesellschaft und die Ambivalenz zwischen Liebe und Moral in unterschiedlichen sozialen Schichten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Zielsetzung der Arbeit dar, die in der Untersuchung der späten Novellen Theodor Storms liegt. Das Ziel ist es, zu belegen, dass Storms Novellen eine moderne Perspektive einnehmen und aktuelle Themen wie gesellschaftliche Umbrüche und die Krise des bürgerlichen Selbstverständnisses aufgreifen. Das erste Kapitel beleuchtet den historischen Hintergrund der Moderne im 19. Jahrhundert. Es werden die wichtigsten Einflussfaktoren wie die industrielle Revolution, der Kapitalismus, die Wissenschaften und die Philosophie beleuchtet. Der Fokus liegt auf den Veränderungen, die die bürgerliche Gesellschaft erfährt und die zu einer Krise des Selbstverständnisses führen. Im zweiten Kapitel wird der Fokus auf Theodor Storm und seinen biographischen Hintergrund gelegt. Es werden seine Novellen in ihrer Gesamtheit betrachtet, bevor die Arbeit sich auf die späten Werke konzentriert. Das dritte Kapitel stellt die wichtigsten Krisensymptome der Moderne in Storms Novellistik vor. Es werden fünf Novellen von Storm ausführlich analysiert: "Carsten Curator" (1878), "Zur Wald- und Wasserfreude" (1878), "Der Herr Etatsrat" (1881), "Hans und Heinz Kirch" (1882) und "Ein Doppelgänger" (1886). Jedes Kapitel analysiert die Novelle im Kontext der Moderne und untersucht die Darstellung von Themen wie gesellschaftliche Umbrüche, die Krise des bürgerlichen Selbstverständnisses und die Auswirkungen der neuen Wirtschaftsformen. Das vierte Kapitel untersucht die Grenzen des poetischen Realismus in Storms Spätwerk. Es zeigt, wie die späten Novellen auf den Naturalismus und die literarische Moderne vorausweisen und neue narrative Strategien verwenden. Das fünfte Kapitel fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen und bietet einen Ausblick auf die Bedeutung von Storms Spätwerk für die heutige Zeit. Es wird deutlich gemacht, dass die Themen, die Storm in seinen Novellen behandelt, auch heute noch relevant sind und die Aktualität seiner Werke unterstreichen.Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die späten Novellen Theodor Storms und untersucht die Darstellung bürgerlicher Krisenerfahrungen an der Schwelle zur Moderne. Die Arbeit analysiert die Auswirkungen der industriellen Revolution, des Kapitalismus, der Wissenschaften und der Philosophie auf die bürgerliche Gesellschaft und beleuchtet die Themen Vererbung, Unterbewusstsein, gesellschaftlicher Aufstieg, Außenseiter, Raubtiergesellschaft, Liebe und Moral in verschiedenen sozialen Schichten. Die Arbeit zeigt, wie Storms Novellen die Grenzen des poetischen Realismus überschreiten und auf den Naturalismus und die literarische Moderne vorausweisen.- Citation du texte
- Nathalie Klepper (Auteur), 2007, Die späten Novellen Theodor Storms , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90924