Indien – Land der Gegensätze und Paradebeispiel für Armut, Polarisierung, Ungleichheit und Kinderarbeit. So erheben auch der Film „Die verlorene Brieftasche. Lost and Found“ sowie die beigefügten Unterrichtsmaterialien den Anspruch, die Problematik der Kinderarbeit zu thematisieren und die Schülerinnen und Schüler zu einer Auseinandersetzung mit dieser Problematik anzuregen. Aber ist Kinderarbeit das Hauptthema des Films? Wird nicht vielmehr die Überheblichkeit der Erwachsenen gegenüber den Kindern in den Vordergrund gestellt? Warum also beziehen sich die Unterrichtsvorschläge hauptsächlich auf Kinderarbeit und nicht auf das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. zwischen der armen und der reichen Bevölkerungsschicht? Die vorliegende Hausarbeit analysiert die von der Fachstelle „Filme für eine Welt“ (Hrsg.) erstellten Unterrichtsvorschläge und hinterfragt ihre Anwendbarkeit für den Geographieunterricht. Zudem werden Alternativvorschläge entwickelt, die gegebenenfalls besser geeignet sind, den Schülerinnen und Schülern das Hauptanliegen sowie weitere Themen des Films zu vermitteln.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Filmbeschreibung
3. Armut in Indien
4. Filmeinsatz im Geographieunterricht
5. Unterrichtsaufgaben
5.1 Kurzbeschreibung der Aufgaben
5.1.1 Einführung
5.1.2 Visionieren
5.1.3 Erste Eindrücke sammeln
5.1.4 Rollenspiel
5.1.5 Auswertung Rollenspiel
5.1.6 Hintergrundwissen erarbeiten
5.2 Bewertung der Aufgaben
5.2.1 Bewertungskriterien
5.2.2 Bewertung auf Grundlage der entwickelten Kriterien
6. Alternative Unterrichtsaufgaben
6.1 Einführung
6.2 Filmbetrachtung
6.3 Unterbrechung des Films
6.4 Brainwriting
6.5 Übertragung auf die eigene Kindheit - Hausaufgaben
6.6 Weitere Themen
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Anmerkung der Autorin
Anhang
1. Einleitung
Indien – Land der Gegensätze und Paradebeispiel für Armut, Polarisierung, Ungleichheit und Kinderarbeit. So erheben auch der Film „Die verlorene Brieftasche. Lost and Found“ sowie die beigefügten Unterrichtsmaterialien den Anspruch, die Problematik der Kinderarbeit zu thematisieren und die Schülerinnen und Schüler zu einer Auseinandersetzung mit dieser Problematik anzuregen. Aber ist Kinderarbeit das Hauptthema des Films? Wird nicht vielmehr die Überheblichkeit der Erwachsenen gegenüber den Kindern in den Vordergrund gestellt? Warum also beziehen sich die Unterrichtsvorschläge hauptsächlich auf Kinderarbeit und nicht auf das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. zwischen der armen und der reichen Bevölkerungsschicht? Die vorliegende Hausarbeit analysiert die von der Fachstelle „Filme für eine Welt“ (Hrsg.) erstellten Unterrichtsvorschläge und hinterfragt ihre Anwendbarkeit für den Geographieunterricht. Zudem werden Alternativvorschläge entwickelt, die gegebenenfalls besser geeignet sind, den Schülerinnen und Schülern das Hauptanliegen sowie weitere Themen des Films zu vermitteln.
2. Filmbeschreibung
Die Hauptperson des Films „Die verlorene Brieftasche – Lost and Found“ ist Munna, ein Junge, der durch Schuhe putzen etwas zum Familieneinkommen beiträgt. Nachdem er einem, in einer Limousine vorgefahrenem, Kunden die Schuhe geputzt hat, fällt ihm die von diesem reichen Mann verlorene Brieftasche vor seinem Arbeitsplatz auf. Ein anderer Junge, der ebenso Geld durch Schuhputzen verdient, rät ihm ab, die Brieftasche zurückzubringen, da er dann wohl als Dieb verleumdet werden würde. Dessen ungeachtet entscheidet sich Munna dazu, die Geldbörse seinem rechtmäßigen Besitzer zu überbringen. Auf der Suche nach dem reichen Mann wird ihm von Seiten der Erwachsenen viel Misstrauen entgegengebracht. So wird er stets herablassend behandelt und, wie der andere Junge schon vermutete, auch kritisch beäugt. Auf seinem Abenteuer trifft er unter anderem auf den Pförtner des Hauses, in dem der Brieftaschenbesitzer wohnt, dessen Haushälterin, einen korrupten Polizisten, der augenscheinlich das Portmonee selbst behalten will, einen Gauner, der beabsichtigt, ihm das Geld abzunehmen, sowie auf zwei Mörder, in dessen Kofferraum sich eine Leiche befindet. Sogar im Elternhaus wird ihm Faulheit unterstellt, da er an diesem Arbeitstag zu wenig Geld verdient hat. Lediglich seine Mutter nimmt ihn vor seinem Vater, wenn auch eher halbherzig, in Schutz. Am darauf folgenden Tag trifft Munna erneut auf den reichen Mann. Aufgrund seiner schlechten Erfahrungen mit der Erwachsenenwelt verneint er jedoch die Frage, ob er die Brieftasche gefunden habe. Nun verhält sich Munna in gleicher Weise wie sein, ebenfalls Schuhe putzender, Freund, der ihm anfangs abgeraten hat, die Fundsache zurückzubringen.
Zusammenfassend zeigt der Film, dass ein armer Junge in einem Dritte-Welt-Land gegenüber den Erwachsenen aller Schichten mit Vorurteilen und Desinteresse zu kämpfen hat. Die herablassenden Verhaltensweisen der Erwachsenen stehen jedoch nicht im direkten Zusammenhang mit dem Thema Kinderarbeit, was im Laufe der vorliegenden Arbeit noch deutlicher hervorgehoben wird. Zudem werden in den einzelnen Filmsequenzen weitere, in Indien vorherrschende, Probleme wie Korruption, Kriminalität und Armut thematisiert.
3. Armut in Indien
Der vorgestellte Film bzw. vor allem die beigefügten Materialien für den Unterricht thematisieren unter anderem die Armut breiter Bevölkerungsschichten sowie die Kinderarbeit in Indien. Im Folgenden werden einige Grundlagen zu dieser Thematik gegeben, um die anschließend erörterten Aufgabenstellungen sowie die entwickelten Alternativaufgaben in einen fachlichen Rahmen zu setzen. Zudem wird ein Einblick auf die anderen in dem Film thematisierten Problembereiche gegeben, um mögliche Potenziale zur Weiterarbeit im Unterricht zu erschließen.
Indien wird seit Ende des 20. Jahrhunderts weltweit als ernstzunehmender Wettbewerber unter anderem auf dem IT-Markt gesehen. Wirtschaftswachstumsraten von etwa sechs Prozent konnten in den letzten Jahren vornehmlich aufgrund der Konzentration auf diese Branche erreicht werden. Indien setzt auf „brain power“ um auf dem Weltmarkt zu bestehen, was Zahlen wie über drei Millionen Hochschulabsolventen und weitere über 250.000 ausgebildete Computerexperten jährlich eindrucksvoll untermauern (vgl. Bohle 2004, S. 3). Demgegenüber steht die Schilderung Wamsers (2005, S. 33), dass Büroangestellte trotz, für indische Verhältnisse, guter Bezahlung beispielsweise in Mumbai in Marginalsiedlungen „hausen“ müssen. Entgegen der, vor allem auch in den Medien beschriebenen, inzwischen immer positiveren Entwicklungen Indiens, hat das Land nach wie vor mit zum Teil dramatischen Armutsproblemen zu kämpfen. Besonders problematisch erscheint hierbei die prekäre Wohnungsmarktsituation, insbesondere in den Großstädten. Aufgrund der starken Land-Stadt-Migration stoßen Megastädte wie Mumbai unter anderem in Sachen Wohnraum an ihre Grenzen. Folge dessen sind weit verbreitete Marginalsiedlungen mit schlechter struktureller Ausstattung: oftmals fehlen Strom- und Wasseranschlüsse, befestigte Straßen etc.. Diese behelfsmäßigen Unterkünfte werden zudem nicht selten durch so genannte „Slum Lords“ beherrscht, die von den Bewohnern Schutzgelder bzw. unrechtmäßige Mieten einfordern (Wamser 2005, S. 32 f.). Anders als vermutet lebt in den Squattersiedlungen der indischen Großstädte aber nicht nur die Bevölkerung der Unterschicht. Durch die „starke Nachfrage nach günstigem Wohnraum steigen die Preise in diesem Segment weiter“ (Dittrich 2003, S. 42). Aus dem Grund weichen inzwischen immer mehr Zugehörige der unteren Mittelschicht in die Marginalsiedlungen aus. Die ursprünglichen Bewohner hingegen werden in die, vom Stadtzentrum und somit auch vom Arbeitsmarkt weit entfernten, Slums verdrängt, in denen sich die infrastrukturelle Situation noch dramatischer ausgestaltet: Analphabetismus, Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch, Hunger und (Infektions-)Krankheiten sind alltägliche Probleme, mit denen die Slumbewohner zu kämpfen haben (Dittrich 2003, S. 42 f.). Ausgeprägte Einkommensdisparitäten sind in Indien also nicht nur im Stadt-Land-Vergleich anzutreffen sondern auch in den, teilweise in hohem Grade entwickelten und fortschrittlichen, Großstädten präsent (Bronger 1996, S. 105 f.). Die vom Arbeitsmarkt abgedrängten und meist in den Marginalsiedlungen lebenden Bevölkerungsschichten sichern ihre Existenz durch Bettlerei oder Arbeiten im informellen Sektor. Neben den Hindernissen in diesem Arbeitsmarktsegment, wie zum Beispiel hoher Konkurrenz, gestaltet sich auch das Leben im Alter als schwierig. Programme zur Sozialen Absicherung (à Stichwort Pensionszahlungen und ähnliches) greifen bei dieser Gruppe nicht oder nur in sehr geringem Maße (vgl. dazu Weber 1995, S. 170 f.). In diesem Faktum ist auch mit ein Grund für die hohe Geburtenrate Indiens zu sehen: neben dem religiösen Motiv, dass Kinder im Hinduismus als höchster Segen gelten, stellen sie unabkömmliche Arbeitskräfte für das Leben und die Altersvorsorge der Eltern dar. An dem Kinderreichtum vor allem ärmerer Bevölkerungsschichten wird sich zukünftig wohl erst dann etwas ändern, wenn eine gesetzliche Alterversorgung für die gesamte Bevölkerung eingeführt wird (Domrös 2004, S. 35). Kinder in Indien arbeiten hauptsächlich, „um den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sichern“ (Liebel 2005, S. 41). Die Angaben zu den arbeitenden Kindern differieren oft stark. So geht die indische Regierung von etwa 20 Millionen Kinderarbeitern, die Gewerkschaft der arbeitenden Kinder in Karnataka/ Indien hingegen von 100 Millionen aus (vgl. Liebel 2001, S. 314). Graner (2002, S. 21 f.) weist zudem darauf hin, dass die lokalen NGO´s oft dazu tendieren, die Fakten zu der Anzahl der Kinderarbeiter sowie zum durchschnittlichen Alter der Beschäftigungsaufnahme zu überhöhen. Neben dem humanitären Interesse für diese Dramatisierung der Zahlen sollte aber auch das (wirtschaftliche) Eigeninteresse dieser Organisationen nicht ausgeblendet werden, denn: „je größer die Missstände sind, desto größer ist der von ihnen zu organisierende und damit auch der (von Außen) zu finanzierende Handlungszwang“ (Graner 2002, S. 22).
4. Filmeinsatz im Geographieunterricht
Der Einsatz verschiedener Medien gestaltet den (Geographie-)Unterricht abwechslungsreich und kann ihn für die Schülerinnen und Schüler interessanter machen. Ein, in den letzten Jahren immer häufiger eingesetztes, Medium ist der Film. Filme dienen dabei als Ersatz für die Realbegegnung sowie zur Veranschaulichung dynamischer Prozesse und raumrelevanter Strukturen (Lenz 2004, S. 43). Man unterscheidet bei Filmen für den Unterricht in Lern- bzw. Wissensfilme und (narrative) Spielfilme (Beuscher u. a. 2005, S. 51). Der Unterschied zwischen beiden Filmarten liegt darin, dass ein Lernfilm oft erheblich zusammenhanglosere Szenen beinhaltet als ein narrativer Spielfilm. Untersuchungen haben ergeben, dass solche Wissensfilme im Vergleich zu Spielfilmen zu einer relativ schlechteren Rekonstruktionsleistung und einer „inkohärenteren Gedächtnisrepräsentation“ bei den Schülerinnen und Schülern führen (ebd. S. 54). Spielfilme haben Sachfilmen gegenüber den Vorteil, dass die handelnden Hauptdarsteller des Films dazu beitragen, inhaltliche Schlussfolgerungen besser zu ziehen (ebd. S. 55). Auch beim hier betrachteten Film „Die verlorene Brieftasche – Lost and Found“ handelt es sich um einen narrativen Spielfilm. Die Erinnerungsleistung der Schülerrinnen und Schüler an einzelne Filmsequenzen ist durch den Einsatz eines solchen Filmtyps größer als beispielsweise einem Lernfilm mit ähnlichen Inhalten.
5. Unterrichtsaufgaben
Im Folgenden werden die dem Film beigefügten Unterrichtsaufgaben zunächst beschrieben und anschließend im Hinblick auf ihre Unterrichtstauglichkeit bzw. ihre Eignung in Bezug auf den Film bewertet. Dabei wird auch Augenmerk darauf gelegt, ob sie im Rahmen der PISA-Diskussion Bestand haben oder diesbezüglich Mängel aufweisen. Auf die Analyse des Aufgabenteils „weiterführende Ideen“ wird in dieser Hausarbeit verzichtet.
5.1 Kurzbeschreibung der Aufgaben
Nachfolgend werden die einzelnen vorgeschlagenen Methoden - ohne Wertung - kurz beschrieben, um die sich daran anschließenden Analyse und Bewertung besser nachvollziehen zu können. Die Beschreibung orientiert sich dabei an der in Anhang 1 abgebildeten Tabelle zur didaktischen Umsetzung.
5.1.1 Einführung
Vor Abspielen des Films wird dieser der Klasse durch die Lehrperson angekündigt und Indien geographisch eingeordnet. Zudem erfolgt das Zusammentragen von Vorwissen durch die Klasse oder die Lehrerin bzw. den Lehrer. Welches Vorwissen dabei genau abgefragt werden soll, wird nicht näher thematisiert. Für diese Einführung ist ein Zeitraum von circa 10 Minuten angesetzt.
5.1.2 Visionieren
Der Film wird nach der kurzen Einführung ohne Unterbrechung angesehen. Der Einsatz von Beobachtungsaufträgen soll die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler steigern. Vorgeschlagene Beobachtungsaufträge sind:
- Wie Verhalten sich die Erwachsenen gegenüber Munna?
- Woran bemerkst du, dass der Film in Indien spielt?
- Wie werden Arm und Reich unterschieden?
- Wie ist die Kameraführung bei den Verfolgungsjagden, wo ist die Kamera?
- Wie unterstützt die Musik die Filmhandlung?
[...]
- Arbeit zitieren
- Franziska Noltenius (Autor:in), 2007, "Lost and Found" – eine kritische Analyse der Unterrichtsaufgaben zu einem Film für den Geographieunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90867
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