Hayden White, 1928 geboren, ist emeritierter Professor der Vergleichenden Literatur an der Stanford University und gehört zu den gegenwärtig einflussreichsten Theoretikern der Geschichtsschreibung. White war als Gastprofessor an verschiedenen Universitäten in den USA, Italien und Polen tätig und ist gewähltes Mitglied der American Philosophical Society und der American Academy of Arts and Sciences. Seine Spezialgebiete sind die moderne europäische Kulturgeschichte, Philosophie der Geschichte, Literaturtheorie und Sozialtheorie. Sein besonderes Interesse gilt der Inszenierung von Geschichte in außerwissenschaftlichen Genres, wie in der Belletristik, in philosophischen und religiösen Texten und im Spielfilm, wobei er kritisiert, dass die Historiker es bisher nicht geschafft hätten, die Medien innovativ für die Präsentation von Geschichte einzusetzen. Dies sei aber im fortgeschrittenen Medienzeitalter mehr als erforderlich, da gerade die klassische Postmoderne sich dafür prädestiniere selbstreflektive, zugängliche, fragmentarische und provisorische Geschichtsbilder zu produzieren.
Um den Forschungsansatz von Hayden White nachzuvollziehen, sollen mannigfaltige Quellen des Autors konsultiert werden. So also nicht nur der in der „Fiktion des Faktischen“ enthaltene Aufsatz „Der historische Text als literarisches Kunstwerk“, sondern auch „Metahistory“ sowie die kürzlich publizierte Aufsatzsammlung „Figural Realism: Studies in the Mimesis Effect“ , die nochmals und nachdrücklich zeigt, wie sehr White die Frage nach ‚der Geschichte‘ im Medienzeitalter umhertreibt: „Anhand sehr unterschiedlicher Beispiele umkreist er hier wiederum das ‚modernistische Ereignis‘ und die Möglichkeiten einer spezifisch ‚modernen‘ Geschichtsdarstellung: vom verstörenden ‚mix-matching of fiction and faction‘ in Oliver Stones Kennedy-Film ‚JFK‘ über die weltweit zu sehende Live-Sendung der Explosion der Raumfähre Challenger als neuartige historische Quelle bis hin zur Schwierigkeit, den Holocaust zu repräsentieren.“
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. ‚Vormoderne‘ Geschichtsschreibung
III. Frye und Collingwood
IV. 'narrative turn'
V. Metahistory
VI. White und Ricoeur
VII. Resümee
VIII. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Hayden White, 1928 geboren, ist emeritierter Professor der Vergleichenden Literatur an der Stanford University und gehört zu den gegenwärtig einflussreichsten Theoretikern der Geschichtsschreibung. White war als Gastprofessor an verschiedenen Universitäten in den USA, Italien und Polen tätig und ist gewähltes Mitglied der American Philosophical Society und der American Academy of Arts and Sciences. Seine Spezialgebiete sind die moderne europäische Kulturgeschichte, Philosophie der Geschichte, Literaturtheorie und Sozialtheorie. Sein besonderes Interesse gilt der Inszenierung von Geschichte in außerwissenschaftlichen Genres, wie in der Belletristik, in philosophischen und religiösen Texten und im Spielfilm, wobei er kritisiert, dass die Historiker es bisher nicht geschafft hätten, die Medien innovativ für die Präsentation von Geschichte einzusetzen. Dies sei aber im fortgeschrittenen Medienzeitalter mehr als erforderlich, da gerade die klassische Postmoderne sich dafür prädestiniere selbstreflektive, zugängliche, fragmentarische und provisorische Geschichtsbilder zu produzieren.
Um den Forschungsansatz von Hayden White nachzuvollziehen, sollen mannigfaltige Quellen des Autors konsultiert werden. So also nicht nur der in der „Fiktion des Faktischen“[1] enthaltene Aufsatz „Der historische Text als literarisches Kunstwerk“, sondern auch „Metahistory“[2] sowie die kürzlich publizierte Aufsatzsammlung „Figural Realism: Studies in the Mimesis Effect“[3], die nochmals und nachdrücklich zeigt, wie sehr White die Frage nach ‚der Geschichte‘ im Medienzeitalter umhertreibt: „Anhand sehr unterschiedlicher Beispiele umkreist er hier wiederum das ‚modernistische Ereignis‘ und die Möglichkeiten einer spezifisch ‚modernen‘ Geschichtsdarstellung: vom verstörenden ‚mix-matching of fiction and faction‘ in Oliver Stones Kennedy-Film ‚JFK‘ über die weltweit zu sehende Live-Sendung der Explosion der Raumfähre Challenger als neuartige historische Quelle bis hin zur Schwierigkeit, den Holocaust zu repräsentieren.“[4]
II. ‚Vormoderne‘ Geschichtsschreibung
Die Historiographie hatte sich, seitdem sie im späten 18. Jahrhundert zur Wissenschaft wurde, stets gedrängt gefühlt, die geschichtliche Erzählung als reine fiktionale Konstruktion gering zu schätzen.[5] Dies kam durch die rigorose Trennung zwischen sich professionalisierender - und das heißt: sich nicht mehr 'ästhetisch', sondern quellenempirisch gebender - Geschichtswissenschaft und dem Literatursystem. So haben die modernen Geschichtstheorien vieles unkritisch vom klassischen Historismus übernommen, so z.B. die Annahme, dass zentrale Institutionen wie Nation und Ökonomie die Wirbelsäule der Geschichte bilden und, dass die Geschichtswissenschaft sich an ihnen orientieren könne; es gehörte dazu auch die damit verlinkte Annahme, dass diese Institutionen sich einem kohärenten Geschichtsverlauf beiordnen lassen, der gradlinig zur westlich-modernen Welt hinführe. Als nun die Geschichtsschreiber nach dem 1. Weltkrieg nicht fähig waren, Auskünfte über die Fragen nach dem ‚Warum‘ zu geben, als sie keine Apologie auffinden konnten, warum sie die Gesellschaft nicht eher über den bevorstehenden Weltenbrand gemahnt hatten, verlor die Geschichtsvorstellung ihre positivistische Konnotation: Joycens Stephen Dedalus referierte eine populäre Überzeugung, als er die Geschichte als einen Alpdruck bezeichnete, aus dem der abendländische Mensch erwachen müsse, wenn die Menschheit gerettet werden und ihr gedient sein solle.[6] Die Frage war nun also nicht mehr: „(...) wie die Vergangenheit erforscht werden sollte, als vielmehr, ob sie überhaupt Gegenstand des Studiums sein sollte.“[7] Und wenn doch – wem sollte sie zugeordnet werden: Der Kunst oder der Wissenschaft? Seitens der Wissenschaft wurde ihr ein methodischer Metzgergang vorgehalten, von Seiten der Kunst dagegen ein Manko an Sensibilität. In dieser fundamentalen Identitätskrise wies White darauf hin: ,,(...), dass es die aufgegebene Last des heutigen Historikers ist, die Würde des historischen Studiums auf einer Grundlage wiederherzustellen, die es in Übereinstimmung bringt mit den Zielen und Intentionen der intellektuellen Gesellschaft insgesamt, d.h. die Geschichtswissenschaft so zu transformieren, dass es dem Historiker möglich wird, ausdrücklich an der Befreiung der Gegenwart von der Last der Geschichte mitzuwirken.“[8]
III. Frye und Collingwood
Das Hauptproblem der geschichtswissenschaftlichen Methode ist immer, dass jede Geschichte ein Element der Interpretation besitzt, zum einen, weil der Historiker ja grundsätzlich zwischen Daten auswählen muss (Selektion) und zum Anderen, weil er zwischen den Quellen Lücken schließen muss (Konstruktion), um verständlich zu bleiben – und Selektion wie Konstruktion sind immer auch subjektiv.
Inwiefern können Geschichtsdarstellungen also ‚wissenschaftlich‘ sein?
Eine Antwort darauf zu geben ist nahezu unmöglich, denn eine Person, die sich in diesem Genre auskennt, also selber forscht, wäre nicht objektiv, dagegen besäße eine Person, die nicht auf diesem Gebiet forscht, eventuell nicht ausreichend Hintergrundwissen.[9] Zu diesem Zweck wurde die Metahistorie entwickelt; um also hinter die Voraussetzungen zu kommen, die die Grundlagen dieser Forschungsdisziplin sind – wobei es folgendes zu ergründen ist:[10]
1. die Struktur eines spezifischen Bewusstseins
2. der erkenntnistheoretische Status historischer Erklärungen
3. die Formen historischer Darstellung
Besonders interessant ist die Frage nach der adäquaten historischen Darstellung - was sind ihre Grundlagen und wie wichtig sind sie für ein gesichertes Wissen der Realität besonders im Bezug zu den Humanwissenschaften; d.h. ist eine historische Erzählung ein sprachliches Kunstwerk oder ein wissenschaftlicher Beitrag. Behauptet man, eine historische Erzählung beinhalte grundsätzlich auch ein ‚mythisches‘ Element, so stößt man auf Seiten der Puristen unter den Historikern, wie auch auf Seiten der Literaturtheoretiker auf Widerstand, beide nämlich plädieren für eine klare Teilung von Fiktion und Geschichte.
Zur Verdeutlichung dieser Diskussion zitiert White Northrop Frye, der sagt, der Historiker verfahre induktiv, indem er seine Fakten sammle und versuche, keine anderen formbestimmenden Schemata zu verwenden, als diejenigen, „(…) die er in den Fakten selbst sieht oder ehrlich überzeugt ist, in ihnen zu sehen.“[11] Er gehe, fährt Frye fort, nicht von einer einigenden Form aus, wie der Dichter, sondern arbeite darauf hin.
[...]
[1] Vgl. White, H.: Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Stuttgart 1991.
[2] Vgl. White, H.: Metahistory : Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt am Main 1991.
[3] Vgl. White, H.: Figural Realism. Studies in the Mimesis Effect. Baltimore 1999.
[4] Siehe Huber, J.: Geschichte als Literatur. In: heureka! 3/99 S. 34-36. S.34.
[5] Siehe ebda. S.34 : „So wie heute Hollywood Geschichtsbilder prägt, tat das im 19. Jahrhundert der historische Roman - ‚Waverly‘ von Sir Walter Scott war damals ein Bestseller in ganz Europa. Aber die Historiker, allen voran Leopold Ranke, der Patron der deutschen Geschichtsschreibung, waren besorgt über die Vermischung von Faktum und Fiktion.“
[6] Siehe White: „Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen“. S.40.
[7] Siehe ebda. S.48.
[8] Siehe ebda. S.51.
[9] Vgl. ebda: S.101.
[10] Vgl. ebda.
[11] Siehe ebda. S.102.
- Arbeit zitieren
- David Liebelt (Autor:in), 2007, Hayden White - Geschichte als Erzählung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90576
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