Diese Arbeit beleuchtet aktuelle Entwicklungen der Obdach- und Wohnungslosigkeit in Europa, auch im Kontext der Fluchtmigration 2015. Weiterhin wird Bezug zur europäischen Menschenrechtskonvention und anderen Konventionen genommen und aktuelle Gerichtsurteile zu Obdach- und Wohnungslosigkeit in Europa und vor dem EuGH betrachtet.
Der Datenbestand für eine EU-weite Beurteilung und Untersuchung von Obdach- & Wohnungslosigkeit ist selbst laut Europäischer Kommission nicht umfassend genug. Das Armutsnetzwerk International nennt für das Jahr 2009 eine Zahl von ca. 410 000 Menschen in ganz Europa, welche ohne eigenes Obdach nächteweise in Notunterkünften verbringe. Verschiedene Definitionen von Wohnungs- und Obdachlosigkeit, die Frage nach der Einbeziehung von Menschen, welche in Notunterkünften (auch wie Frauenhäusern) wohnen ist nicht abschließend geklärt. Zwar existiert seit 2007 die im Rahmen der ETHOS-Klassifikation vorgenommene Typisierung von Kategorien, welche Arten von Wohnungslosigkeit existieren, eine Umsetzung dieser Kategorien auf nationaler Ebene innerhalb der europäischen Staaten ist noch nicht abgeschlossen.
Und so kann selbst die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), eine internationale Organisation mit 36 Mitgliedsstaaten, nur auf die Schätzungsdaten von Hilfsvereinen wie der BAG W zurückgreifen um Daten zu Obdachlosigkeit im internationalen Vergleich zusammenzustellen. Schnell ist ersichtlich, dass gar eine internationale Übersicht kaum gelingt, da für viele Staaten Daten zu Obdachlosigkeit nicht erhoben werden. Dass eine solche Übersicht nicht einmal für den europäischen Raum vollumfänglich erstellt werden kann, scheint kaum nachvollziehbar im Kontext der Deklaration des europäischen Parlaments von 2008 zur Beendigung der Obdachlosigkeit und einer EU-Strategie zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit von 2010.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Ausgangslage
2. Definitionen
a. Obdachlosigkeit
b. Wohnungslosigkeit
3. europ äische Entwicklung
4. Obdach- & Wohnungslosigkeit im Kontext von Fluchtmigration
5. die europ äische Menschenrechtskonvention (EMRK)
a. Protokoll 4
b. Protokoll 12
6. weitere Konventionen
a. europäische Sozialcharta
b. Gewalt gegen Frauen
7. der Europ äische Gerichtshof
8. F älle des EuGH zu Wohnungs- & Obdachlosigkeit
9. aktuelle Gerichtsurteile zu Wohnungs- & Obdachlosigkeit
10. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Ausgangslage
Die Zahl der Menschen in prekären Lebens- & Wohnsituationen in Deutschland und Europa ist in den vergangenen Jahren gestiegen 1 und das trotz stets steigender Verbesserung der wirtschaftlichen Situation innerhalb der EU als auch in der Euro-Zone 2. Laut einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) von November 2017 liegt allein der Anstieg der Menschen ohne Wohnung in Deutschland zwischen den Jahren 2014 und 2016 bei 150%. Mit einer Steigerung um weiter 40% in den Jahren 2017 und 2018 leben nun geschätzt ca. 1,2 Millionen wohnungslose Menschen in dem Land mit dem mit Abstand höchsten Bruttoinlandsprodukt der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union3. Die Schätzung der Obdachlosenzahlen bezieht seit dem Jahr 2016 zwar auch die Zahl von anerkannten Geflüchteten ein welche als wohnungslos gelten, diese würden für das Jahr auf eine Höhe von 440.000 Menschen geschätzt. Doch „ Auch ohne Berücksichtigung der Wohnungslosigkeit von Flüchtlingen müssen wir leider davon ausgehen, dass der Anstieg der Wohnungslosenzahlen zwischen 2015 und 2016 unseren früheren Prognosen entsprochen hat. Die Zuwanderung hat die Gesamtsituation dramatisch verschärft, ist aber keinesfalls alleinige Ursache der neuen Wohnungsnot “, so Thomas Specht, Geschäftsführer der BAG W 4.
Der Datenbestand für eine EU-weite Beurteilung und Untersuchung von Obdach- & Wohnungslosigkeit ist selbst laut Europäischer Kommission nicht umfassend genug (vgl. 1). Das Armutsnetzwerk International nennt für das Jahr 2009 eine Zahl von ca. 410 000 Menschen in ganz Europa, welche ohne eigenes Obdach nächteweise in Notunterkünften verbringe. Verschiedene Definitionen von Wohnungs- und Obdachlosigkeit, die Frage nach der Einbeziehung von Menschen, welche in Notunterkünften (auch wie Frauenhäusern) wohnen ist nicht abschließend geklärt. Zwar existiert seit 2007 die im Rahmen der ETHOS-Klassifikation vorgenommene Typisierung von Kategorien, welche Arten von Wohnungslosigkeit existieren, eine Umsetzung dieser Kategorien auf nationaler Ebene innerhalb der europäischen Staaten ist noch nicht abgeschlossen. Und so kann selbst die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), eine internationale Organisation mit 36 Mitgliedsstaaten, nur auf die Schätzungsdaten von Hilfsvereinen wie der BAG W zurückgreifen um Daten zu Obdachlosigkeit im internationalen Vergleich zusammenzustellen 5. Schnell ist ersichtlich, dass gar eine internationale Übersicht kaum gelingt, da für viele Staaten Daten zu Obdachlosigkeit nicht erhoben werden.
Dass eine solche Übersicht nicht einmal für den europäischen Raum vollumfänglich erstellt werden kann scheint kaum nachvollziehbar im Kontext der Deklaration des europäischen Parlaments von 2008 zur Beendigung der Obdachlosigkeit und einer EU-Strategie zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit von 2010 6.
Laut verschiedener Forschungsübersichten existieren hierfür verschiedene Gründe. So ist laut einer Studie der Europäischen Kommission auch das Thema Flucht und Migration für eine steigende Wohnungs- & Obdachlosenquote anzuführen 7. Laut dem „final report“ der „Study on Mobility, Migration and Destitution in the European Union“ verändere sich dadurch auch das Profil der obdachlosen Bevölkerung, „ auch junge Menschen und Kinder, Migranten, Roma und andere benachteiligte Minderheiten, Frauen und Familien sind zunehmend von Obdachlosigkeit bedroht.“
Es stellt sich die Frage, weshalb das international bestehende gesellschaftliche Problem der Obdachlosigkeit nicht im vollen Umfang durch die entsprechenden nationalen und internationalen Organe bearbeitet wird. Um diese Frage beantworten zu können wird in dieser Arbeit nach einem ersten Blick auf die unterschiedlichen Definitionen der Begrifflichkeiten ein aktueller Status von Obdachlosigkeit im internationalen Vergleich versucht zu erstellen. Im weiteren Verlauf wird die Entwicklungskomponente der Fluchtmigration in den Kontext eingewoben. Erst dann steigt die Arbeit in den theoretischen Komplex der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Konventionen des Europarats ein um sich folgend expliziten Fällen des EuGH zu widmen. Nach dem Blick auf internationale Gerichtsurteile zum Thema Obdachlosigkeit werden alle erarbeiteten Daten zu einer Zusammenfassung zum aktuellen Stand zusammengefasst. Nach diesem kann ein Urteil über die eingangs gestellte Frage gefällt werden. Diese wird sich im Spannungsfeld nationaler Sozialpolitik, kommunaler Wohnungswirtschaft und persönlicher Problemlage bewegen, welche im jeweiligen sozialräumlichen und nationalen Kontext wiederum mit völlig eigenen Herausforderungen zu kämpfen hat. Eine generelle Übersicht zum Thema Obdach- und Wohnungslosigkeit in Europa in Bezug auf die verschiedenen Ebenen von Gesetzgebung ist also das Ziel dieser Arbeit eben auch, um den steigenden Anforderungen von Sozialer Arbeit mit neuen Ideen gerecht zu werden.
2. Definitionen
Da, wie in eingangs beschrieben, in den verschiedenen Ländern innerhalb und außerhalb des europäischen Kontinents der Blick auf das Thema Obdachlosigkeit verschieden ist, sollen nun zuerst die Begrifflichkeiten an sich betrachtet werden. Eine einheitliche Definition für Obdachdachlosigkeit existiert nicht. Welche verschiedenen Definitionen gibt es, welche werden in welchem Kontext genutzt in welchem Rahmen wurden Definitionen erstellt? In manchen Ländern existieren auch mehrere Definitionen, mitunter eine zur Datenerhebung und eine andere, welche im Kontext politischer Maßnahmen zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit gebraucht wird (vgl. 5 ). Diese Fragen werden beantwortet für die Begriffe Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit um folgend den genauen Unterschied zwischen beiden zu erläutern.
a. Obdachlosigkeit
In Deutschland existiert keine einheitliche und verbindliche Definition des Begriffes Obdachlosigkeit. Im wissenschaftlichen Diskurs wird der Begriff mitunter auch unklar von Wohnungslosigkeit abgegrenzt oder gar gegenseitig eingesetzt (vgl. Häußermann, 2000, S. 189). Auf den Onlineangeboten der BAG W werden ausschließlich Definitionen des Begriffes Wohnungslosigkeit angeboten, die die Begrifflichkeit der Obdachlosigkeit beinhaltet. Laut eines Beitrages von Volker Busch-Geertseema für die Internetpräsenz der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) wird der Begriff der Obdachlosigkeit in den der Wohnungslosigkeit inkludiert als spezielle Form derer, welche nicht institutionell mit einer vorrübergehenden Wohnung versorgt werden. Hier wird der spezielle Begriff der Straßenobdachlosen genutzt, um diesen von weiteren Formen der Wohnungslosigkeit abzugrenzen, bei denen im Rahmen von Ordnungsrecht oder durch Kostenübernahme durch Mindestsicherungssysteme eine Versorgung mit Wohnraum gewährleistet ist.
Weiterhin wird in der genannten Quelle der OECD eine für Deutschland geltende Definition zur Sammlung von statistischen Daten angegeben welche Menschen in Obdachlosigkeit beschreibt als „ Personen, die keinen Rechtsanspruch haben eine Wohnung zu bewohnen, entweder als Mieter oder Eigentümer oder durch eine Erlaubnis vom Eigentümer “. Die österreichische Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe definiert Obdachlosigkeit wie folgt 8: „ Als obdachlos gelten Menschen, die auf der Straße leben, an öffentlichen Plätzen wohnen, ohne eine Unterkunft, die sich in Verschlägen, Parks oder unter Brücken etc. aufhalten. Obdachlos sind aber auch Menschen in Notunterkünften, die keinen festen Wohnsitz haben und in Wärmestuben, Notschlafstellen oder anderen niederschwelligen Einrichtungen übernachten. “ Die Abgrenzung zur Wohnungslosigkeit erfolgt hier über die zeitliche Begrenzung der geregelten Unterbringung, welche bei der Wohnungslosigkeit zum Beispiel in Übergangswohnheimen, Asyleinrichtungen aber auch Übergangswohnungen geregelt ist. Auch die Diakonie als großer kirchlicher Träger sieht in Obdachlosigkeit den Zustand an, „ keinen festen Wohnsitz und keine Unterkunft “ zu haben 9. Obdachlose übernachten also im öffentlichen Raum ohne die Nutzung von z.B. Notunterkünften.
b. Wohnungslosigkeit
Auf europäischer Ebene haben sich in vielen Ländern die in 2005 veröffentlichte Definition des europäischen Dachverbands der Wohnungslosenhilfe (FEANTSA) durchgesetzt. Diese erstellte die europäische Typologie für Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und prekäre Wohnversorgung (ETHOS) 10 nach der Einteilung wohnungsloser Menschen nach ihrer Wohnsituation. Hierbei wird mit dem Verständnis gearbeitet, dass es drei Grundpfeiler gibt, die wohnen an sich erst ermöglicht: die physische Ausübung von wohnen durch Eigentum oder Miete, die soziale Ausübung von Privatrecht und Beziehungspflege sowie die rechtliche Ausübung von Rechtstiteln. Diese drei Kategorien werden nach der ETHOS-Typologie in 13 operationale Kategorien aufgeteilt, die einem jeweiligen Wohnstatus entsprechen. So entsprechen die operationalen Kategorien 1 (obdachlose Menschen) und 2 (Menschen in Notunterkünften) den Hauptkategorien Obdachlosigkeit, bei der eine Übernachtung im öffentlichen Raum (1) oder in Notschlafstellen und Wärmestuben (2) gegeben ist. Die institutionelle Niederschwelligkeit grenzt sich in der ersten Hauptkategorie zur zweiten ab. Bei dieser die operativen Kategorien 3-7 beinhaltenden Wohnungslosigkeit übernachten Menschen in Übergangswohnheimen, Asylunterkünften, Frauenhäusern, Gefängnissen und Strafanstalten bis hin zu Langzeitwohnheimen. Auch die ambulante Wohnbetreuung in Einzelwohnungen (z.B. im Konzept des „ housing first “) entspricht der Hauptkategorie „ wohnungslos “. In der folgenden Hauptkategorie „ungesichertes Wohnen“ werden drei weitere operationale Kategorien in den Bereichen „temporäres Wohnen bei Freunden, Bekannten oder Familie“, „ Wohnungslosigkeit durch Gerichtsbeschluss “ und „ von Gewalt bedrohter Wohnraum “ untergliedert. Die vierte Hauptkategorie „ ungenügendes Wohnen “ beinhaltet drei weitere operationale Kategorien, bei denen Menschen in Wohnprovisorien, ungeeigneten oder überfüllten Räumen wohnen.
Eine weitere Definition, welche Wohnungslosigkeit beinhaltet, nutzt die BAG W mit der Begrifflichkeit des Wohnungsnotfalls 11. Eine Person, welche wohnungslos ist oder von Wohnungslosigkeit bedroht, wird als Wohnungsnotfall definiert. Zusätzlich werden unzumutbare Wohnverhältnisse ebenfalls in die Definition des Wohnungsnotfalls eingebracht. Weiterhin werden die Kategorien „ wohnungslos “ und „ von Wohnungslosigkeit bedroht “ weiter erläutert und untergliedert. Der Definition der BAG W nach sind wohnungslose Personen in drei Sektoren betroffen. Innerhalb eines ordnungsrechtlichen Sektors sind Personen von Wohnungslosigkeit betroffen, wenn sie ohne Mietverträge wohnen, „d.h. lediglich mit Nutzungsverträgen in Wohnraum eingewiesen oder in Notunterkünften untergebracht werden“. Innerhalb des zweiten „ sozialhilferechtlichen Sektors “ gelten nach der Definition Menschen als wohnungslos, wenn sie ohne Mietvertrag untergebracht sind und die Mietkosten nach SGBXII oder SGBII übernommen werden. Auch gilt die Definition für Menschen, welche sich in Heimen, Anstalten, Notübernachtungen, Asylen oder Frauenhäusern aufhalten, weil keine Wohnung zur Verfügung steht. Selbst Menschen, welche aus gleichem Grund als Selbstzahler in Billigpensionen leben oder bei Verwandten, Freunden und Bekannten vorübergehend unterkommen, werden genauso als wohnungslos angesehen. Die jedoch offensichtlichste Form von Wohnungslosigkeit sind Menschen, welche ohne jede Unterkunft sind und im öffentlichen Raum nächtigen.
Der dritte Sektor, dem „ Zuwanderungssektor “, werden Menschen zugeordnet, welche als Aussiedler gelten, noch keinen Mietwohnraum finden konnten und in Aussiedlerunterkünften wohnen. Wichtig ist in diesem Fall eine Klärung des Begriffes „ Aussiedler “, es handelt sich auch wenn du den Begriff „ Zuwanderungssektor “ impliziert nicht ausschließlich um Zuwanderer sondern in diesem Fall ausschließlich um „ deutsche Volkszugehörige “, welche nach dem Ende des zweiten Weltkrieges außerhalb der alten Reichsgrenzen im Osten Europas lebten. „Unter bestimmten Voraussetzungen sind sie berechtigt, als Aussiedler (seit einer Gesetzesänderung 1993 "Spätaussiedler") nach Deutschland einzureisen. Sie erhalten die deutsche Staatsbürgerschaft und können verschiedene Integrationshilfen in Anspruch zu nehmen.12 “ Innerhalb der Wohnungsnotfalldefinition des BAG W folgt ein weiterer Absatz, welcher zusätzlich zum „ Zuwanderungssektor “ eingefügt wurde: „Anerkannte Asylbewerber in Notunterkünften zählen im Sinne der Definition zwar zu den Wohnungsnotfällen, werden aber bei den Wohnungslosenzahlen im engeren Sinne nicht berücksichtigt.“ Diese Auslegung ist interessant und lässt sich zumindest in verschiedene Richtungen diskutieren bei dem Wissen, dass nach einer positiven (und selbst zum Teil nach negativen) Entscheidung der Entscheiderstelle innerhalb des BAMF zu einem speziellen Asylantrag die Zuweisung der Asyl beantragenden Person zu kommunalem Wohnraum angezeigt ist, da der Aufenthalt in den Erstunterkünften dann nicht mehr über das Asylbewerberleistungsgesetz gedeckt ist. Dies bestätigt auch ein Unterkunftsverwalter einer Großstadt in Mitteldeutschland: „Die meisten Menschen zu der Zeit kamen aus Syrien hierher und aus Eritrea, die Anerkennungsquote lag deutlich über 50%, das bedeutete, diese Menschen waren für uns generell gesehen erst einmal von Obdachlosigkeit bedroht, denn wir mussten sie eigentlich auf die Straße setzen, also wurde die Obdachlosensatzung der Stadt erweitert“ (MA11.11.2017.1, 2017, S. 2, Z.86). Die gängige Praxis in den Kommunen ist also eine andere. In Verbindung mit einer desolaten Situation des Sozialen Wohnungsmarktes in vielen Teilen der Bundesrepublik13, welcher, ob Finanzierung der Wohnkosten durch SGBII, in nahezu allen Fällen bei Zuweisung in kommunale Wohnungen der erste Zufluchtsort in privaten Mietraum ist, kann es vor allem in Großstädten viele Monate dauern, eine entsprechende Wohnung zu finden. Hinzu kommt bei Familien mit Zuzugshintergrund Asyl eine mitunter nicht durchschnittlich gelagerte personelle Zusammenstellung von Familie: Eltern mit mehr als 3 Kindern haben in Berlin mit einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von unter 70qm14 nicht viel Auswahl. Weiterhin zu klären wäre der Ausschluss von nicht anerkannten Asylbewerbern, welche aufgrund verschiedener Regelungen oftmals ebenfalls in Deutschland verbleiben 15 und ebenfalls auf (sozialen) Wohnraum angewiesen sind.
Trotz nicht-Vorhandenseins einer offiziellen Definition zum Thema, zum Beispiel von Seiten des BMAS, nutzt dieses die Definition der BAG W, so auch im aktuellen Armuts- & Reichtumsbericht des Bundesministeriums16. Hier werden ab dem Jahr 2016 Geflüchtete gesondert ausgewiesen, die anerkannt oder geduldet und wohnungslos im Sinne der Wohnungsnotfalldefinition sind.
3. europäische Entwicklung
Innerhalb der vergangenen Jahre hat sich das Thema „Wohnungslosigkeit“ auf der Liste der politischen Prioritäten der EU immer weiter in den Vordergrund gedrängt. Erstmal wurden auf politisch-strategischer Ebene „Armut und sozialer Ausgrenzung“ durch die Europäische Union mit der Aufnahme der Paragrafen §§136 und 137 in den „Verträgen von Amsterdam“ in die Gesetzgebung aufgenommen. Diese wurden 1997 und 2009 mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags erneuert und begründen sich auf den „ Römischen Verträgen “ von 1957. Auf einer Tagung des Europäischen Rates im Jahr 2000 in Nizza wurde erstmals ein Aktionsplan gegen „Ausgrenzung“ beschlossen, welcher das Ziel hatte, „Armut“ bis zum Jahr 2010 innerhalb der EU zu beseitigen. Der erste Schritt dazu sollte der erstmals veröffentlichte „ Social Inclusion Report “ darstellen, welcher sich aus Berichten der Mitgliedstaaten, verschiedener NROs und anderer Sozialpartner zusammensetzt. Schon zu diesem Zeitpunkt wird die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung in ein strategisches Dreieck von nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Verbesserung des sozialen Zusammenhalts eingebunden.
Weiterhin verabschiedete 2008 das Europäische Parlament eine schriftliche Erklärung17 zur Beendigung von „ street homlessness “, also der Wohnungslosigkeit in der Menschen ohne jegliche Unterkunft leben. In dieser Erklärung wird beschrieben, dass bereits 2005 die Bekämpfung von Obdachlosigkeit durch den Rat "Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz" als eine Priorität festgelegt wurde. Auch wird Obdachlosigkeit im Rahmen des Aspekts der "aktiven Einbeziehung" im Kontext der Strategie der Europäischen Union betreffend den Sozialschutz und die Integration als vorrangig zu bekämpfendes Phänomen eingestuft. Weiterhin wird durch das Europäische Parlament beschrieben, dass „ der Zugang zu angemessenem Wohnraum ein grundlegendes Menschenrecht ist und der Zugang zu einer Bleibe oft der erste Schritt hin zu geeigneten und dauerhaften Wohnmöglichkeiten für Menschen ist, die von extremer Armut und Ausgrenzung betroffen sind “. Auf diese Aussagen wird in dieser Arbeit sicher noch mehrmals Bezug genommen werden.
Im weiteren Verlauf wird in der Deklaration darauf hingewiesen, „ dass in jedem Winter überall in der Europäischen Union Menschen erfrieren, weil es nicht genug Notunterkünfte und mobile Dienste gibt “ und „ dass Obdachlosigkeit die sichtbarste Form von Wohnungslosigkeit ist, die nur als Teil einer umfassenden, ganzheitlichen Strategie wirksam bekämpft werden kann “. In diesem Sinne fordert nachfolgend das Europäische Parlament den Rat der EU-Staaten auf, „ sich darauf zu einigen, dass EU-weit der Obdachlosigkeit bis zum Jahre 2015 ein Ende gemacht wird “. Weiterhin fordert das Parlament die Europäische Kommission auf, „ eine EU-Rahmendefinition von Obdachlosigkeit auszuarbeiten, vergleichbare und zuverlässige statistische Daten zu erheben und jährlich über die neuesten Maßnahmen und Fortschritte in den Mitgliedstaaten zur Beendigung der Obdachlosigkeit zu berichten “. Die Mitgliedsstaaten der EU werden durch das europäische Parlament mit Nachdruck aufgefordert, „"Notpläne für den Winter" als Teil einer umfassenden Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit auszuarbeiten “.
Wie nach heutigem Stand zu beobachten ist, schein Obdachlosigkeit EU-weit bislang nicht „ ein Ende gemacht “, jedoch existieren Entwicklungen, welche im Folgenden betrachtet werden sollen.
In einem gemeinsamen Bericht der Europäischen Kommission und der europäischen Plattform für Sozialschutz und soziale Eingliederung 18 wurde im Jahr 2009 festgestellt, wie dringend erforderlich „ nachhaltige Arbeit zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit als äußerst schwerwiegende Form der Ausgrenzung “ ist. Diesem Bericht liegt der schon genannte „ final joint inclusion report “ mit der Ausgabe des Jahres 2003 zugrunde, welcher beschreibt, dass bereits im Jahr 2001 Risikofaktoren festgestellt wurden, die mit Armut und sozialer Ausgrenzung in Zusammenhang gebracht wurden (vgl. Rat der Europäischen Union, 2004, S. 35). Zu diesen zählen neben vielen anderen auch „ unzureichende Wohnverhältnisse und Wohnungslosigkeit, Zuwanderung “. Das Netzwerk unabhängiger Experten für soziale Eingliederung wurde mit der Analyse der "sozialen und wirtschaftlichen Inklusion von Obdachlosen" und des "Zugangs zu angemessenem Wohnraum" in den Mitgliedstaaten beauftragt, und der daraus resultierende Synthesebericht legte 15 Vorschläge vor, um die wichtigsten Hindernisse für Fortschritte zu überwinden auf nationaler und EU-Ebene bei der Bekämpfung von Obdachlosigkeit und Ausgrenzung von Wohnungen.
Ein im Jahr 2007 von der Europäischen Kommission veröffentlichte Bericht über die "soziale Situation in der Europäischen Union" 19 enthält ein Kapitel über "Wohnen und soziale Eingliederung". Es zeigt, dass die Europäer heute mehr Geld für Wohnkosten ausgeben als noch vor zehn Jahren (+4%), während die Hypothekarverschuldung EU-weit stark zugenommen hat. Im Durchschnitt geben die Europäer ein Fünftel ihres verfügbaren Einkommens für die Unterkunft aus. Miet- und Hypothekenzahlungen machen nur 30% der gesamten Wohnkosten in der EU aus, während die übrigen 70% für Reparaturen, Wartung und Energie bezahlt werden. Nach der Privatisierung der Häuser besitzen die meisten Menschen, die in Ländern der mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten leben eigene Wohnungen und die Kosten für Reparaturen, Wartung und Treibstoff machen etwa 90% der gesamten Wohnkosten aus. Der Bericht befasst sich ebenfalls mit der Wohnqualität und stellt fest, dass viele der Einzelberichte aus europäischen Ländern davon berichten, dass es viele Wohnungen mit niedrigem Standard gibt und dass vor allem Menschen mit geringem Einkommen diverse Problemlagen in Bezug auf Wohnraum haben.
Auch wurde die Wahrnehmung von Obdachlosigkeit untersucht und in drei Abschnitte eingeteilt (vgl. Eurobarometer. Armut und soziale Ausgrenzung . Special Eurobarometer, Nr. 321., 2007, S. 22 ff.). In der ersten Kategorie, der “Verfügbarkeit von vernünftigem Wohnraum zu angemessenen Preisen “ geben durchschnittlich 67% der befragten Europäer an, dass es „ ziemlich schwierig “ und „ sehr schwierig “ sei, vernünftigen Wohnraum zu angemessenen Preisen in direkter Nachbarschaft zu erhalten. Interessant ist dabei die Verteilung der Einschätzung auf die verschiedenen europäischen Länder, so liegen Tschechien und Zypern mit 89% vor Malta und der Slowakei (jeweils 86%) auf den ersten Rängen weit vor dem Durschnitt, die skandinavischen Staaten Schweden (58%), Finnland (51%) und Dänemark (49%) liegen auf den vorderen Plätzen derjenigen Ländern, in denen die befragte Meinung weniger ausgeprägt ist. Den ersten Platz dieser Skala belegt jedoch, und das scheint im Sinne der in den vergangenen Jahren in Deutschland stets gewachsenen Kritik an der Entwicklung von sozialem Wohnungsbau, Gentrifizierung und Wohnungsmarktanpassung ein wichtiger Fakt, die Bundesrepublik Deutschland mit 45% Bestätigung derjenigen Aussagen, die es als „ ziemlich schwierig “ und „ sehr schwierig “ ansehen, vernünftigen Wohnraum zu einem angemessenen Preis zu erhalten.
Weiterhin werden Daten ausgewertet zur Frage, ob Obdachlosigkeit direkt sichtbar in der Nachbarschaft der befragten Person ist. Hierbei „ ist mindestens die Hälfte der Befragten der Überzeugung, dass Obdachlosigkeit in ihrer Wohngegend nicht existiert. Nur etwas mehr als ein Viertel (26%) schätzen, dass es wenige obdachlose Menschen in ihrer Wohngegend gibt und 19% gehen davon aus, dass es einige Obdachlose gibt “ (vgl. Eurobarometer. Armut und soziale Ausgrenzung . Special Eurobarometer, Nr. 321., 2007, S. 31 ff.). Weiterhin zeigen die Daten, dass 73% der Befragten der Meinung ist, dass Obdachlosigkeit in ihrem Land in den vergangenen drei Jahren zugenommen hat, allerdings gilt dies auch nur bei 30% für die konkrete Wohngegend. In Frankreich (90%), Ungarn (89%), der Slowakei (86%), Spanien (85%), Lettland (84%) und Schweden (81%) hat die große Mehrheit den Eindruck, dass die Obdachlosigkeit in ihrem Land in den letzten drei Jahren angestiegen ist.
Viele weitere Ergebnisse werden innerhalb der Auswertung der Studie präsentiert und alle zielen letztlich auf die Frage, wie Armut entsteht und sich manifestiert. Die demnach als hauptsächliche Gründe gewerteten Aussagen, warum Menschen obdachlos werden („ Sie verlieren ihren Job und finden keine neue Anstellung “, EU27: 51%; „ Sie können ihre Miete nicht bezahlen “, EU27: 41%; „ Sie sind überschuldet “, EU27: 40%; „ Sie leiden unter einer Abhängigkeit “, EU27: 39%), bieten jedoch Handlungsmöglichkeiten selbst auf kommunaler Ebene. Und so stellt sich in der Folge die Frage, welche konkreten Sozialprogramme in Europa etabliert werden, um die Ursachen für Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu beseitigen. Dass dies notwendig ist, zeigt eine weitere untersuchte Fragestellung: „ Unter allen soziodemografischen Gruppen ist die Auffassung weit verbreitet, dass die Obdachlosigkeit in den EU-Ländern zugenommen hat “ ist eine vor dem Hintergrund der steten Bemühungen europäischer Politik wichtige Aussage, die viele der erarbeiteten Ergebnisse des Berichts zusammenfasst. Diese Aussage spiegelt einerseits die gefühlte Wahrheit der Menschen in Europa wieder und es muss sich natürlich die Frage gestellt werden, ob diese auch realen Daten entspricht. Dennoch scheint es, als sei eine Entwicklung in Gange, und das im gesamten europäischen Raum, welche selbst durch die steten Versuche sozialpolitischer Einwirkungen auf europäischer und nachfolgend auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene nicht nur nicht bearbeitet und verändert, sondern sogar nicht aufzuhalten ist.
Ein weiterer zu erwähnender Bericht folgt im Jahr 2010 zum Thema „ Sozialschutz und soziale Eingliederung “20. In diesem werden die Mitgliedsstaaten der EU aufgefordert, konkrete und integrierte Strategien zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit zu entwickeln. Der Bericht beinhaltet des Weiteren Anleitungen, wie dies erfolgen kann: „ Um die Ausgrenzung und Obdachlosigkeit in den Griff zu bekommen sind integrierte Maßnahmen erforderlich, die finanzielle Hilfe für Einzelpersonen kombinieren mit der wirksamen Regulierung hochwertiger sozialer Dienste einschlie ßlich der Wohnungs-, Beschäftigungs-, Gesundheits- und Sozialdienste. Mehr Aufmerksam muss auf die Qualitätsstandards von sozialen Dienstleistungen gelegt werden und auf die speziellen Hindernisse, welche Obdachlose daran hindert, diese in Anspruch zu nehmen “ (Europäische Kommission und Rat, 2010, S. 10 ff.). In diesem Bericht wird besonders die Bedeutung der Anfälligkeit von Wohnraum in der damals aktuellen und sogenannten Wirtschaftskrise hervorgehoben. Wenn einerseits Wohnraum unsicherer getragen werden kann (Stichwort Hypothekenrückzahlung) und auf der anderen Seite ein erhöhter Bedarf bei der Unterstützung bei Wohnkosten für soziales Wohnen entsteht, offenbart sich ein Blick auf multikomplexe gesellschaftliche Problemlagen, die vor allem in Bezug auf obdachlose Menschen dringend politisch gelöst werden müssen. Hierbei spielen mentale und körperliche Krankheiten und deren individuelle und gesellschaftliche Bewältigung ebenso eine Rolle wie die Bewältigung von Kinderarmut, von Armut in der Rente und das auch in Bezug auf eine alternde Gesellschaft. Welches Hauptaugenmerk dabei die Autoren des „ Joint Report on Social Protection and Social Inclusion 2010 “ haben, liest sich am Ende der Präambel heraus: „ Auf der Grundlage der Lehren aus der Krise und der zehnjährigen Strategie von Lissabon müssen nachhaltiges Wachstum sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen, sozialer Zusammenhalt und sozialer Zusammenhalt gefördert werden systematische Bewertung des Fortschritts sozialer Ergebnisse, einschlie ßlich der Gleichstellung der Geschlechter “ (Europäische Kommission und Rat, 2010, S. 9). Der primär arbeitsmarktbezogene Kontext lässt sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit immer wieder aufgreifen und spiegelt sich auch in der Autorenbezeichnung wieder: „ European Commission Directorate General for Employment, Social Affairs and Equal Opportunities “. Den „ Joint Report “ aufnehmend und zusammenfassend beschreibt Susanne Fitzpatrick von der Heriot-Watt University (GB) in einem Extrakt von 2010 vier Hauptstrategien, durch diese die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, konkret zu handeln. So wird Präventionsarbeit als die kostengünstigste Möglichkeit gesehen, Obdachlosigkeit zu verhindern. Neben der Bereitstellung von Krisenunterkünften und einer nachfolgenden Unterstützung wird die Umsetzung des „ housing-first “-Ansatz inklusive einer sozialen Betreuung gefordert als konkrete Methodik, welche durch Soziale Arbeit angewandt wird (vgl. Susanne Fitzpatrick, 2010, S. 2). Neben der sozialen Situationsbeschreibung innerhalb der EU27-Staaten (alle Mitgliedsstaaten bis einschließlich Juni 2013) der Ebenen Armut, Arbeitslosigkeit, Rente, dem Gesundheitssystem und sozialen Sicherungssystemen in Bezug auf die sogenannte Wirtschaftskrise werden in diesem Bericht auch konkrete Aussagen zur politischen und sozialen Situation der damals 27 Mitgliedsstaaten gemacht. Diese unterscheiden sich je nach Blick in das entsprechende Mitgliedsland sehr. Dennoch gibt es Aussagen, welche sich wiederholen. So lassen sich beispielsweise in den Länderberichte aus Belgien, Bulgarien, Tschechien und Deutschland keine konkreten und validierten statistischen Daten zum Thema Wohnungslosigkeit finden. Und selbst die Aussage „ there is no official definition “ in Bezug auf Wohnungslosigkeit findet sich in den Länderberichten von Bulgarien, Griechenland, Portugal, Rumänien und Italien.
Dass es auch andere Vorgehensweisen gibt, ist am Beispiel Dänemark aufzuzeigen. Hier gibt es nicht nur eine nationale Strategie in Bezug auf Wohnungslosigkeit, auch beinhaltet diese eine offizielle Statistik und demnach auch klare Definitionen, welche sich an das ETHOS-System anlehnen. Konkret für Deutschland wird im Bericht beschrieben, dass die Zahlen der geschätzt Wohnungslosen seit dem Jahr 1998 stetig sinken, die Ausführungen sind an eine Pressemitteilung der BAG W angelehnt und durch verschiedene Daten des Armuts- und Reichtumsberichts21 der Bundesregierung ergänzt. „ Angesichts der entspannten Lage auf dem Wohnungsmarkt und des effektiv funktionierenden Sozialschutzsystems bezweifelt die Regierung, dass Obdachlosigkeit im Allgemeinen durch einen Mangel an erschwinglichem Wohnraum erkl ärt werden kann “ (Europäische Kommission und Rat, 2010, S. 209). Wieder aufgegriffen werden aktuelle Zahlen, Forderungen und Konzepte im Synthesebericht zum Peer View-Treffen vom November 2013 in Kopenhagen 22, in dem Fitzpatrick dieses Anwendungsbeispiel aus der Praxis ebenfalls erläutert. Beim Peer-View wurden Ergebnisse aus dem dänischen „ housing-first “-Experiment beschrieben und mit Vertretenden aus 11 EU-Mitgliedsstaaten geteilt. Das im September 2014 veröffentlichte Dokument beinhaltet Ausführungen zu nachhaltigen Konzepten zur Vermeidung von Obdachlosigkeit, welche durch die politischen Instrumente des Gastgeberlandes Dänemark als auch der Peer-Länder und deren Erfahrungen inhaltlich gefüllt werden. Weiterhin findet sich ein Beitrag zur geplanten Peer-Review im Jahr 2020 und dem Sozialinvestitionspaket.
Im Bericht werden zusammenfassend wichtige Erkenntnisse des dänischen „ housing-first “Experiments beschrieben, welche für andere Staaten interessant sein können. So wird der Ansatz als überaus wirksam betrachtet, um vor allem Menschen mit diversem Unterstützungsbedarf aus akuter Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit in eine stabile Unterkunftssituation zu begleiten. Es wurde im Experiment eine Wohnstabilität von ca. 90% festgestellt, wobei die individuellen Unterkünfte voneinander unabhängige Wohnungen waren, welche von Sozialarbeiter*innen intensiv unterstützend besucht wurden. Nur bei einer kleinen Minderheit, bei der diese Unterstützungsform nicht ausreichend ist, würden Wohnungen in einer gesonderten Wohnanlage sinnvoll sein. Generell würde eine „ aufsuchende Intensivbetreuung (mit gleitender Unterstützung) “ in den Fällen mit dem schwersten Hilfebedarf die beste Wirkung zeigen (Suzanne Fitzpatrick, 2014, S. 7). Gleichsam darf aber nicht übersehen werden, „ dass „Housing First“ in einer Kombination aus Wohnraumversorgung und Unterstützung zwar überzeugende Erfolge für einen dauerhaften Ausstieg aus Obdachlosigkeit aufzuweisen hat, damit aber im Leben von Menschen mit einer langen Vergangenheit in Obdachlosigkeit und Marginalisierung nicht alle Probleme gelöst sind. In den allermeisten Fällen bedarf es umfassenderer Interventionen und Hilfsmaßnahmen, um die soziale Integration und Lebensqualität der Betroffenen zu fördern.“ Der Erfahrungsaustausch zu dieser Form von Wohnungslosenhilfe auf europäischer Ebene wurde angestoßen, um die Wiederholung von Fehlern auf der Ebene einzelner Staaten zu verhindern, die beispielsweise bei der institutionellen Obdachlosenhilfe in nord- und mitteleuropäischen Ländern gemacht wurden. Weiterhin soll dem Trend der Jugendobdachlosigkeit entgegengetreten werden, der im Wesentlichen durch eine wohnraumverteuernde und sozialleistungsreduzierende „ Wirtschaftskrise “ entstünde. Hierbei sei die „ unsichtbare “ Obdachlosigkeit ein großes Problem, bei der vor allem junge Menschen bei Familienangehörigen oder Freunden „ auf der Couch “ schlafen würden. Diese Klientengruppe gilt als besonders schwer durch Unterstützungsangebote erreichbar.
Das hier beschriebene Programm „Peer Review im Bereich Sozialschutz und soziale Eingliederung“ ist im Bereich eines europäischen Gemeinschaftsprogramms für Beschäftigung und soziale Solidarität (PROGRESS23 ) angesiedelt. Die Förderung eines Austausches von Methoden und Inhalten im Bereich Sozialschutz und soziale Eingliederung werden dabei ebenso umgesetzt wie diverse weitere Veranstaltungen. Die Arbeitsschwerpunkte des Programms liegen im arbeitspolitischen Bereich, so ist die europäische Beschäftigungsstrategie eines der zentralen Tätigkeitsfelder des Projekts.
Weitere zu erwähnende Initiativen auf EU-Ebene neben der erwähnten ETHOS-Typologie und der in 2006 und 2007 umgesetzten „ Studie zur Messung von Obdachlosigkeit in der Europäischen Union “ sind das Projekt „ Housing First Europe “ (HFE), welches von 2011 bis 2013 durch das europäische PROGRESS-Programm gefördert wurde. Daraus hervor gegangen ist eine Internetpräsenz, dem „ Housing First Europe HUB 24 “ welche im Juli 2016 auch durch Unterstützung durch FEANTSA-Förderung entstand. Neben einer konzeptionellen Übersicht können hier verschiedene Forschungsergebnisse abgerufen werden. Zudem werden Bildungsangebote für Mitarbeitende von Trägern, welche „ housing first “ umsetzen wollen, angeboten.
4. Obdach- & Wohnungslosigkeit im Kontext von Fluchtmigration
Nach geschätzten Informationen der BAG W betrug im Jahr 2016 die Zahl von wohnungslosen anerkannten Geflüchteten etwa 440.000. Diese Gruppe von Menschen, welche innerhalb der Erstaufnahme im Asylverfahren in Landeseinrichtungen wohnhaft unterkamen, konnte nach der Aufnahme des Verfahrens in kommunalen Notunterkünften einziehen und dort bis zu der Anerkennung ihres Status bleiben. Aufgrund von mangelndem Wohnraum in deutschen Kommunen, was konkret bezahlbare, also entsprechend der Vorgaben nach SGBII zu übernehmende Mietkosten (entsprechend der Größe der Bedarfsgemeinschaft) bedeutete, verblieben viele Geflüchtete in den kommunalen Einrichtungen, welche nach der Anerkennung nicht mehr finanziell gefördert wurden. Laut BAG W stellte diese „ zusätzliche Gruppe Wohnungsloser, die im Regelfall weiterhin in den Gemeinschaftsunterkünften geduldet wird, (.) also ca. 50 % aller Wohnungslosen in Deutschland. Wohnungslose Flüchtlinge sind sowohl Nachfragende in den Behelfsunterkünften als auch auf dem Wohnungsmarkt.“ Neben durch Fluchtmigration im Rahmen von Asylsuche begründeter Obdach- und Wohnungslosigkeit spielt eine weitere, erst in den vergangenen Jahren stetig gewachsene Problemlage eine wichtige Rolle: Menschen aus Osteuropa, welche im Zuge der EU-Osterweiterung in den Jahren 2004 bis 2007 erstmals die Möglichkeit erhielten, die Freizügigkeit von Arbeitnehmern nach Artikel 4525 des im Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankerter Grundsatz zu nutzen, machen mittlerweile einen großen Prozentsatz der von Obdachlosen genutzten Angebote aus. So ist für Studierende der Evangelischen Hochschule in Berlin klar: „ Etwa zwei Drittel aller ausländischen Obdachlosen in Berlin kommen aus Osteuropa “ (Eßlinger, Jeske, & Krin, o. J.). Da es auch in der Bundeshauptstadt keine offiziellen Zahlen gibt, untersuchten die Studierenden die Thematik selbstständig und kamen bei der Auswertung der Daten zu einzelnen Notunterkünften zu interessanten Ergebnissen. So zeigt sich, dass die derzeit fünf häufigsten Herkunftsländer Polen, Rumänien, Bulgarien, Lettland und Litauen sind. Es gäbe zwar Unterschiede in der Verteilung der Herkunft in den einzelnen Notunterkünften, die Hauptaussage stehe aber selbst für die Senatsverwaltung fest26.
In der einzigen, durch ein deutsches Bundesland beauftragten Studie zur Obdachlosenstatistik in Hamburg wurde im Jahr 2009 ein Anteil von 26,6% obdachloser Menschen mit nichtdeutscher Herkunft festgestellt.27 Im Vergleich zu der im Jahr 2002 durchgeführten Studie habe sich der „Gesamtanteil der nichtdeutschen Obdachlosen von 17,0 % auf jetzt 26,6 % stark erhöht“ (vgl. Freie und Hansestadt Hamburg, 2009, S. 33). „ Der Anteil ausländischer Bürger(innen) an der Gesamtbevölkerung der Stadt Hamburg betrug zum Stichtag 31.12.2007 14,8 %, so dass die ausländischen Menschen unter den Obdachlosen im Vergleich zur Gesamtbev ölkerung deutlich überrepräsentiert sind.“ Zudem wird klar: “Dieses Ergebnis deckt sich mit den Beobachtungen zahlreicher Einrichtungen in Hamburg, nach denen sich vor allem der Anteil von Klient(inn)en aus den neuen EU-Ländern Osteuropas erhöht habe. “ Auch sei festgestellt worden, dass ausländische Befragte deutlich jünger und zum großen Teil männlich sei. Auch lässt sich in dieser Studie klar feststellen, dass Obdachlose mit nichtdeutscher Herkunft eine deutlich schlechtere Aussicht haben, durch staatliche Hilfen unterstützt zu werden. So gaben 54,4% der Befragten deutscher Nationalität an, dass eine ALGII-Leistung ihr wichtigstes Einkommen darstellt. Bei nichtdeutsche Befragten lag die Häufigkeit bei lediglich 20,2%. Zudem sind Befragte deutscher Herkunft lediglich zu 10,6% ohne Einkommen, bei den befragten nichtdeutscher Herkunft liegt die Häufigkeit mit 37% deutlich darüber. Auf bundesdeutscher Ebene wurde sich schließlich im November 2017 mit dem Thema nichtdeutscher Obdachloser beschäftigt, allerdings im Kontext der Prüfung der Ausreisepflicht. Die Fragestellung, welche Möglichkeiten der Abschiebung für Drittstaatsangehörige oder Unionsbürgern bestehen, wurde in einer Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes erörtert.28 Demnach wird eine mögliche Ausweisung nach §45 AufenthG nicht allein durch die Obdachlosigkeit an sich möglich. Selbst „ aggressives Verhalten “ welche Instanz diese auch feststellen mag, „wird nicht als Tatbestandsmerkmal nach §45 AufenthG normiert“. Grundsätzlich geregelt ist die Freizügigkeitsberechtigung in Deutschland nach §2 Abs. 2 FreizüG/EU 29, demnach dürfen sich Unionsbürger zum Zwecke der Arbeitssuche, der Ausübung von selbstständiger oder versicherungspflichtiger Arbeit oder einer Berufsbildung freizügig in Deutschland aufhalten. Entsprechend Nr. 1a des Gesetzes beträgt der Zeitraum zur Arbeitssuche 6 Monate, danach dürfen sich Arbeitssuchende nur weiter in Deutschland aufhalten, wenn ihnen ein konkreter Arbeitsplatz in Aussicht steht. Zudem ist in den Kontext hervorzuheben, dass nach §4 FreizüG/EU Unionsbürger dann generell Freizügigkeit genießen, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Nach einem Zeitraum von 5 Jahren berechtigtem Aufenthalt wandelt sich das Aufenthaltsrecht in Daueraufenthaltsrecht (§4a FreizüG/EU) um. Auf europäischer Ebene wird im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) im Artikel 20 mit der Einführung der Unionsbürgerschaft das Recht festgeschrieben, sich „sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten“ (§20 Abs.2a ff AEUV). Zu weiteren gesetzlichen und durch Gerichtsverfahren erlangte Regelungen im Kontext der Freizügigkeitsregelungen folgen Ausführungen im Punkt 7 dieser Arbeit.
5. die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
Der am 4.November 1950 in Rom durch die damaligen Mitglieder Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Schweden, Türkei und dem vereinigten Königreich Großbritannien („ Londoner Zehnmächtepakt “) des Europarats zur Unterzeichnung aufgelegte Völkerrechtsvertrag besteht derzeit aus 59 Artikeln und ist in verschiedene Abschnitte untergliedert. Die Ratifizierung des Vertrags bedurfte dann je nach Bearbeitungszeitraum nationaler Gesetzgebung sowie dem Hinzufügen von Vorbehalten, Erklärung (Abweichungen), dem Hinzufügen erweiterter territorialer Anwendungsgebiete, Mitteilungen oder Einwänden einem Zeitraum zwischen 4 Monaten (Vereinigtes Königreich) und 24 Jahren (Frankreich, Griechenland). Im Laufe der Zeit hat sich die Bereitschaft zur Unterzeichnung und Ratifizierung zu einer festen Bedingung für den Beitritt für Staaten entwickelt, die dem Europarat angehören wollen. Dieser hat die Aufgabe, „einen engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen“ (Satzung des Europarates, Artikel 1) und sieht sich als Hüter der Menschenrechte in Europa. Dem Europarat gehören 47 Mitgliedsstaaten an, darunter 28 Mitglieder der Europäischen Union. Der Europarat ist auch ein Arbeitsgremium für Debatten über allgemeine europäische Fragen und möchte den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt verwirklichen. Er ist institutionell nicht mit der Europäischen Union verbunden und auch nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat, welcher das Gremium der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union darstellt. Dennoch trägt er interessanterweise die Flagge der Europäischen Union und nutzt auch deren Hymne. Die letzten die Konvention SEV Nr. 5 ratifizierten Staaten sind Serbien und Montenegro im Jahr 2004.
Innerhalb der Konvention ist ein internationaler Kontrollmechanismus integriert, welcher die Auslegung der Konvention unabhängig von dem innerstaatlichen Recht des jeweils betroffenen Staates ausübt. Um die miteinander eingegangenen Verpflichtungen der Vertragsparteien zu wahren, wurde der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht (HUDOC) in Straßburg eingerichtet. Dieser ist zuständig für Anfragen von Staaten und Personen und kann auch auf Ersuchen des Ministerkomitees des Europarats Gutachten zur Auslegung der Konvention und ihren verschiedenen Protokollen abgeben. Durch die Ratifizierung der Konvention und ihrer Protokolle sind die 49 Staaten in einem Rechtsstreit an die Urteile des Gerichtshofes gebunden und müssen entsprechende Maßnahmen ergreifen, um die Urteile national umzusetzen. Das schon genannte Ministerkomitee ist dabei zuständig für die Überwachung der Umsetzung der Urteile.
Im Abschnitt „ Rechte und Grundfreiheiten “ (Artikel 2-18) werden allen in der Hoheitsgewalt der ratifizierten Staaten zugehörigen Personen unveräußerliche Freiheitsrechte zugesichert. Diese direkt nach Ende des zweiten Weltkrieges erarbeitete und heute von 47 verschiedeneren Ländern ratifizierte Vertrag beinhaltet neben den Grundrechten und Grundfreiheiten (Recht auf Leben, Verbot der Folter, Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit, Recht auf Freiheit und Sicherheit, Recht auf einen gerechten Prozess, keine Bestrafung ohne Gesetz, Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Recht auf Ehe, Recht auf wirksame Beschwerde und Verbot der Diskriminierung) eine Menge von Zusatzprotokollen, durch die weitere Rechte gesichert werden.
In den Zusatzprotokollen wurden immer wieder Ergänzungen vorgenommen, um ursprünglich nicht berücksichtigte Bürgerrechte unter den Schutz der Konvention zu stellen und gleichzeitig auch Zuständigkeiten und Verfahren immer wieder neu zu regeln. So wurden insbesondere Abläufe am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte immer wieder überarbeitet und aufgewertet. So wurde bereits 1952 das erste Zusatzprotokoll hinzugefügt, da sich die ursprünglichen Vertragspartner nicht über die drei darin beschriebenen Rechte einigen konnten. Die hierin beschriebenen Rechte auf Achtung des Eigentums, das Recht auf Bildung sowie das Recht auf freie und geheime Wahlen wurden separat besprochen und dann, noch vor Inkrafttreten der EMRK dem Vertragswerk hinzugefügt. Insgesamt wurden bis zum Oktober 2014 die EMRK um weitere 16 Protokolle erweitert. Dabei werden in den Protokollen 2, 3, 5, 8, 9, 10, 11, 14, 15 und 16 Neuerungen und Erweiterungen bezüglich der Arbeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und deren Organe eingeführt. Die stete Weiterentwicklung der Vertragstexte der Konvention führte auch dazu, dass einige Protokolle durch neuere aufgehoben wurden. Neue, der ursprünglichen Konvention hinzugefügte Rechte wurden in den Protokollen 4, 6, 7, 12 und 13 verankert.
Eine aufgrund des Kontexts von Obdach- und Wohnungslosigkeit inhaltlich relevante Neuerung stellen die Protokoll 4 (September 1963) und 12 (November 2000) dar, auf welches im Folgenden näher eingegangen werden wird.
a. Protokoll 4
Nach der ersten Erweiterung der EMRK durch zusätzliche Rechte im März 1952 folgten im Jahr 1963 gleich drei Zusatzprotokolle. Die Protokolle 2 und 3 erweiterten erstmals die Verfahrensweisen in der Arbeitsweise des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ließen zudem Individual zu. In Erweiterung zu diesen Protokollen wurde im September 1963 auch erstmals eine inhaltliche Ausweitung der EMRK durch das Hinzufügen von 6 weiteren Rechten durchgeführt. Die Unterzeichnung des „ Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind “30 erweitert die EMRK durch die folgenden Rechte: das Verbot der Schuldhaft, das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnsitzes, die Ausreisefreiheit und das Recht auf Wiedereinreise in den Staat, dessen Staatsangehörigkeit jemand hat (Heimkehrrecht), sowie das Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger und das Verbot der Kollektivausweisung ausländischer oder staatenloser Personen. Hierbei sind im Kontext der Diskussion um Obdach- und Wohnungslosigkeit von EU-Bürgern vor allem die Artikel 2,3,4 und 6 zu erläutern. Mit der Feststellung des Rechts auf „ Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnsitzes “ (Art.2 Protokoll Nr. 4 EMRK) wird das Bürgerrecht auf Freizügigkeit im Gebiet eines Staates festgelegt, in dem sich eine Person rechtmäßig aufhält. Zudem besteht das Recht auf die freie Wahl des Wohnsitzes. Der Artikel 2 Prototoll Nr. 4 EMRK geht dabei über die Gewährleistung der im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland festgelegten Grundrechte hinaus. Diese gelten lediglich für Bundesbürger, entsprechend des Grundsatzes der Geltung der
Menschenrechtskonvention gilt die mit Art. 2 festgelegte Freizügigkeit auch für fremde Staatsangehörige sowie für staatenlose Menschen. Alleinige Grundvoraussetzung hierfür ist die benannte Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes im Hoheitsgebiet des betreffenden Staates. Dies schließt also eine illegale Einreise sowie der Nichteinhaltung von Auflagen bezüglich der Einreiseerlaubnis aus, selbst durch ein gegebenes Durchreiserecht lässt ein dauerhafter Aufenthalt nicht ableiten 31. Zudem sind die Freizügigkeit und das Recht zur freien Wohnsitzwahl immer auch den lokalen Gesetzgebungen unterworfen, insofern die durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Auch sind Einschränkungen dieses Menschenrechtes zulässig bei erforderlichen Anlässen wie der Aufrechterhaltung von Sicherheit, Ordnung und Moral, aus Gründen des öffentlichen Gesundheitsschutzes, zur Verhütung von Straftaten und zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit. Gleichzeitig werden aber in Artikel 2 Absätze 3 und 4 des Protokolls Nr. 4 Grenzen festgelegt, die mögliche Einschränkungen durch nationales Rechts begrenzen.
b. Protokoll 12
Das etwa 6 Jahre nach dem 11. Zusatzprotokoll, welches umfangreiche Veränderungen im organisatorischen Ablauf des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte umsetzte, verabschiedete “Protokoll Nr. 12 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über das Diskriminierungsverbot” erweitert das in Artikel 14 EMRK enthaltene Gleichbehandlungsgebot. Demnach wird jedwede Diskriminierung, egal aus welchem Grund, nun nicht mehr nur in Bezug auf die diskriminierungsfreie Ausübung der in der Konvention garantierten Menschenrechte und Grundfreiheiten untersagt. Die im Jahr 2000 in Rom verabschiedete Neuerung der EMRM durch das 12. Protokoll führt ein allgemeines Diskriminierungsverbot ein. Konkret wird ein Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts, von Rasse und Hautfarbe, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, einer politischen Anschauung, der Nationalität, der sozialen Herkunft oder des Vermögens, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit oder aufgrund der Geburt oder eines Standesrechts geltend gemacht 32. Die Aufzählung gilt dabei „insbesondere“ und nicht abschließend und ist lediglich durch §16 EMRK eingeschränkt, welcher die politische Betätigung ausländischer Mitbürger regelt. Somit ist, hier im Kontext der rechtlichen Fragen zu Obdach- und Wohnungslosigkeit wichtig, auch die Diskriminierungsfreiheit von Menschen (EU-Bürgern sowie Nicht-EU-Bürgern sowie Staatenlose) vor jeglichen Behörden gesichert. Vor allem im späteren Diskussionskontext der in Deutschland geltenden behördlichen Meldepflicht ergeben sich vor allem für obdach- und wohnungslose Menschen starke Einschränkungen im Hilfesystem, die oftmals die akute Bedarfslage zementieren. So sind Grundleistungen wie das ALGII oftmals nur durch hilfebegleitete Ausnahmen für obdachlose Menschen zu beantragen. So liegt beispielsweise die Häufigkeit der durch staatliche Leistungen unterstützten Obdachlosen in der Studie aus Hamburg bei lediglich bei 52,3% (vgl. Freie und Hansestadt Hamburg, 2009, S. 36). Dass diese Möglichkeit besteht liegt wohl zum Teil auch am Fakt, dass Deutschland eines von 27 Ländern ist, die dieses Protokoll noch nicht ratifiziert haben. Selbst eine entsprechende Gesetzesvorlage zur Integration des Protokolls in nationales Recht ist noch nicht erarbeitet.
6. weitere Konventionen
Wenn Staaten miteinander Verträge, Abkommen oder Übereinkommen treffen, werden diese Konventionen genannt und durch die entsprechende internationale Regierungsorganisation überwacht. Neben der EMRK bestehen viele weitere bilaterale oder multilaterale Konventionen. Im Kontext dieser Arbeit sollen weitere, in Bezug auf Wohnungs- und Obdachlosigkeit rechtlich relevante Konventionen des Europarats aufgezählt und untersucht werden.
a. europäische Sozialcharta
Die Europäische Sozialcharta (ESC, SEV Nr. 35) 33, vom Europarat initiiert und 1961 in Turin von den Mitgliedsstaaten beschlossen, ist ein multilaterales völkerrechtlich verbindliches Abkommen, welches der Bevölkerung der Unterzeichnerstaaten umfangreiche soziale Rechte garantiert. Die ursprüngliche Fassung wurde im Jahr 1991 überarbeitet (revidierte Europäische Sozialcharta, RESC) und als SEV Nr. 163 am 01.Juli 1999 in Kraft gesetzt. Wie die vorhergehenden Protokolle gilt sie für alle Menschen, die sich rechtmäßig in einem der Unterzeichnerstaaten aufhält sowie für geflüchtete Menschen, welche im Sinne der UN-Konvention von 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention, GFK) gelten. In dieser Charta wurden insgesamt 19 soziale Rechte festgelegt, welche außerhalb der allgemeinen Menschenrechte stehen und als „ bindende Sozialrechte “ bezeichnet werden. Die unterzeichnenden Staaten müssen dabei mindestens zehn der insgesamt 19 Artikel der Charta anerkennen, darunter mindestens fünf der sieben als besonders wichtig angesehene Rechte und Freiheiten: das Recht auf Arbeit, das Vereinigungsrecht, das Recht auf Kollektivverhandlungen, das Recht auf soziale Sicherheit, das Recht auf soziale Fürsorge, das Recht auf gesetzlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz der Familie sowie das Recht der Wanderarbeiter und ihre Familien auf Schutz und Beistand. In der überarbeiteten (revidierten) Fassung von 1999 34 nehmen die Unterzeichnerregierungen des Europarats Bezug auf die ursprüngliche Fassung und erweitern diese um eine Aufzählung von 31 Rechten und Grundsätzen, deren Ausübung durch alle Menschen, die sich in den Unterzeichnerstaaten legal aufhalten, gewährleistet sein soll. In Bezug auf die zu untersuchende Obdach- und Wohnungslosigkeit spielen in der revidierten Fassung die folgenden Grundsätze eine wichtige Rolle.
Grundsatz 11 lautet: „ Jedermann hat das Recht, alle Maßnahmen in Anspruch zu nehmen, die es ihm ermöglichen, sich des besten Gesundheitszustands zu erfreuen, den er erreichen kann. “ (§11 RESC, SEV Nr. 163) was eine umfangreiche Behandlung von körperlicher, seelischer und geistiger Leiden beinhaltet. Umgesetzt wird dieser Paragraf in Deutschland zum Beispiel durch eine Krankenversicherungspflicht. Von dieser ausgeschlossen sind Menschen, welche einerseits kein Einkommen, anderseits keine Leistungen einer Grundsicherung erhalten und dementsprechend nicht zum Beispiel über das Jobcenter krankenversichert sind. Die Hilfemöglichkeit für diese Menschen beinhaltet dann in vielen Fällen eine lange Prozedur von Antragswegen, bis die konkrete Umsetzung von Hilfe möglich ist.
Das in §12 RESC, SEV Nr. 163 festgelegte Recht auf Soziale Sicherheit für alle Arbeitnehmer und ihre Angehörigen ist ein ebenso wichtiger Grundsatz in Bezug auf Obdach- und Wohnungslosigkeit, ist doch ein nicht unwesentlicher Teil von Menschen deutscher und nichtdeutscher Staatsangehörigkeit trotz eines Arbeitseinkommens obdachlos (vgl. Freie und Hansestadt Hamburg, 2009, S. 46 f). Der in Deutschland größte geschaffene europäische Niedriglohnsektor mit Jobs, die oftmals nicht ausreichen, um individuelle oder familiäre soziale Verhältnisse zu sichern, hat daran einen großen Anteil und fordert die sozialen Sicherungssysteme. So steigt der Anteil der erwerbstätigen Leistungsbezieher nach SGBII seit Jahren an (vgl. Himsel, Eggs, Bruckmeier, Trappmann, & Walwei, 2013, S. 2), und damit der Anteil der abhängig Beschäftigten, der geringfügig Beschäftigen als auch der Anteil der Selbstständigen. Der Anteil derjenigen, die sich durch ein Arbeitseinkommen ohne weitere Unterstützung finanziell tragen können, nimmt also stetig ab, was im direkten Gegensatz zum Recht auf Soziale Sicherheit steht, welcher in §12 RESC festgelegt ist. Der im nachfolgenden Artikel 13 beschriebene Grundsatz, „ Jedermann hat das Recht auf Fürsorge, wenn er keine ausreichenden Mittel hat. “ nimmt ebenfalls Bezug auf die Unterstützung derjenigen, die durch fehlende oder nicht ausreichende Lohneinnahmen Sozialleistungen erhalten. Interessant ist auch hier, dass das Recht für alle Menschen gilt und nicht nur für diejenigen, welche eine Postadresse vorweisen können. Dies ist oftmals der Grund, warum Menschen ohne Obdach keine Sozialleistungen erhalten und durch Angebote von freien Trägern unterstützt werden müssen, um Sozialleistungen einfordern zu können. Inhaltlich bezieht ist auch klar ein Bezug zu §14 RESC zu ziehen welcher festlegt, „ Jedermann hat das Recht, soziale Dienste in Anspruch zu nehmen. “ In „ Jedermann “ sind EU-Bürger*innen und ihre Familien inkludiert, sodass es keinen Unterschied im Anbieten Sozialer Dienste (z.B. Jugendamt, Sozialamt, Gesundheitsamt etc.) geben darf, aus welchem Herkunftsland ein Mensch kommt. Im folgenden Artikel 15 RESC heißt es: „ Jeder behinderte Mensch hat das Recht auf Eigenständigkeit, soziale Eingliederung und Teilhabe am Leben der Gemeinschaft. “ Dementsprechend folgt, dass Menschen mit Suchtproblematiken, welche eine seelische Form von Behinderung ist, das Recht auf soziale Eingliederung und eine dementsprechende Hilfe Sozialer Dienste haben. Dies gilt natürlich auf für die Kinder von Menschen in schweren Lebenslagen. So legt §17 RESC fest: „ Kinder und Jugendliche haben das Recht auf angemessenen sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz “. Dementsprechend sind auch Kinder und Jugendliche, welche obdachlos sind, in jeglicher Form durch Hilfeleistungen zu unterstützen. Weiterführend gilt dies auch für Menschen aus dem europäischen Ausland, welche durch die Freizügigkeit auf der Suche nach Lohnarbeit sind. In §19 RESC ist festgelegt: „Wanderarbeitnehmer, die Staatsangehörige einer Vertragspartei sind, und ihre Familien haben das Recht auf Schutz und Beistand im Hoheitsgebiet jeder anderen Vertragspartei“, dementsprechend müssten alle Rechte im Bereich der Sozialen Sicherungsysteme nicht nur für Bundesbürger, sondern auch für alle anderen EU-Bürger gelten.
Dass Obdach- & Wohnungslosigkeit auch ein Thema von Alter und Armut ist, zeigt auch die schon beschriebene Hamburger Wohnungslosenstudie. In dieser ist ersichtlich, dass der Anteil der über 40-jährigen, welche in Obdachlosenhilfeeinrichtungen befragt wurden, deutlich größer ist, als der Anteil von Menschen, deren Alter weniger als 40 Jahre ist. Da das Thema Altersarmut auch in Deutschland seit längerem diskutiert wird ist es umso wichtiger, dass die RESC auch in Deutschland ratifiziert wird, denn das ist bis heute nicht geschehen. So würde auch §23 („ Alle älteren Menschen haben das Recht auf sozialen Schutz “) dazu beitragen, dass ältere Menschen aus den verschiedenen Gründen einen Schutz vor Obdach- und Wohnungslosigkeit erfahren würden. Dies schließt sich auch im §30 („Jedermann hat das Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung“) sowie in §31 („Jedermann hat das Recht auf Wohnung“). Die Unterstützungsmöglichkeiten kommunaler Sozialer Dienste sowie durch öffentliche Gelder finanzierte Freie Träger für Menschen in Wohnungs- und Obdachlosigkeit sind in Deutschland noch längst nicht voll ausgeschöpft. So sind Ansätze wie „ housing first “, welche wie beschrieben seit Anfang der 2000-er im EU-Raum umgesetzt werden sollen, in Deutschland noch nahezu kaum vorhanden. Lediglich in aufwändigen Antragsverfahren gibt es die Möglichkeit, EU-Fördergelder zu beantragen. Auf Landes- oder kommunaler Ebene gibt es dafür kaum Möglichkeit, zumal diese Ebenen bei der Umsetzung neuer Ideen gern auf die Subsidiarität verlassen.
Wie auch bei der EMRK existiert eine Monitoringfunktion, in diesem Fall sind die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, dem hierfür zuständigen Ausschuss des Europarats einen jährlichen Bericht vorzulegen, der über die in der Sozialcharta festgelegten umzusetzenden Maßnahmen informiert. Wenn die Umsetzungen des jeweiligen Landes den Forderungen der Charta entsprechen, veröffentlicht ein Ausschuss die Entscheidung, welche Maßnahmen noch umzusetzen sind. Durch Einzelpersonen sind die in der Sozialcharta garantierten Rechte und Freiheiten nicht eingeklagt werden, seit 1995 existiert allerdings ein Zusatzprotokoll welches es Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen und verschiedenen NGO´s erlaubt, Klage beim Europäischen Ausschuss für soziale Rechte des Europarats einzureichen. b. Gewalt gegen Frauen Da sich der Anteil von Frauen, die obdach- oder wohnungslos werden, in den vergangenen Jahren stetig ansteigt, wie auch in der Hamburger Obdachlosenstudie zu sehen (vgl. Freie und Hansestadt Hamburg, 2009, S. 29) und Gewalt an Frauen dazu führen kann, dass sie in Frauenhäusern unterkommen und damit ebenfalls als obdachlos gelten ist es sinnvoll, auch die Konvention des Europarats im „ Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt (SEV-Nr. 210) “35 zu betrachten. Diese anlässlich der 121. Ministerkonferenz des Europarats im Mai 2011 in Istanbul zur Unterzeichnung aufgelegte Konvention trat 2014 in Kraft und beinhaltet neben verschiedenen Definitionen, Grundrechten und Verpflichtungserklärungen auch Maßnahmen, welche in den Unterzeichnerstaaten umgesetzt werden sollen. In §8 ist beispielsweise beschrieben, dass die Vertragsparteien angemessene finanzielle und personelle Mittel zur Verfügung stellen sollen, um Programme zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen umzusetzen. Dass diese Umsetzung in Deutschland noch ein langer weg ist, sieht auch der Verein Frauenhauskoordinierung e.V., welcher in Deutschland Frauenhäuser und Fachberatungsstellen unterstützt. In einer Stellungnahme36 zur Ratifizierung der Istanbul-Konvention wird deutlich, welche Schritte weiterhin notwendig sind, um die Ratifizierung umzusetzen. So sieht der Verein FHK „ die Notwendigkeit, dass zur Erfüllung der Anforderungen der Konvention weitere, auch gesetzliche, Schritte erforderlich sind. FHK fordert insbesondere eine vorbehaltlose Ratifizierung der Istanbul-Konvention “ (Frauenhauskoordinierung e.V., 2017). Auch fehlt es dem FHK an „ einer nachhaltigen und wirkungsorientierten Umsetzung des Kapitel II-Ineinandergreifende politische Maßnahmen [und Datenerhebung], insbesondere Artikel 7, 10 und 11;Kapitel III -Prävention, insbesondere Artikel 15; Kapitel IV -Schutz und Unterstützung, insbesondere Artikel 18, 22 und 23; Kapitel V –Materielles Recht insbesondere Artikel 31 sowie Kapitel VII –Migration und Asyl “. In dieser Stellungnahme wird mehrfach ein fehlendes nachhaltiges Finanzierungskonzept auf allen Ebenen politischen Handelns beanstandet. Um diese Finanzierungslücke langfristig zu schließen, bietet die Istanbulkonvention ein Monitoringsystem namens GREVIO (Group of experts on action against violence against women and domestic violence) an. Dieses überprüft die im Abkommen vereinbarte Umsetzung von Maßnahmen und führt Evaluationen durch. Hierbei lässt GREVIO den unterzeichnenden Mitgliedsstaaten Fragebögen zukommen (leider nicht den Frauenhäusern und deren Dachorganisationen), auf dessen Grundlage Berichte erstellt werden, wie die vereinbarten Maßnahmen umgesetzt werden.
7. der Europäische Gerichtshof
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat seinen Sitz in Luxemburg und ist das oberste rechtssprechende Organ der Europäischen Union. Das 1952 geschaffene Organ hat zur Aufgabe, über die auf europäischer Ebene getroffenen Verträge zu wachen und die sich daraus ergebenen Verpflichtungen der Vertragspartner zu überwachen. In Zusammenhang mit den Gerichten aller Mitgliedsstaaten wacht es über die einheitliche Anwendung und Auslegung des gesamten Unionsrechts. Der Gerichtshof besteht aus zwei verschiedenen Gerichten, einerseits dem Gerichtshof sowie dem Gericht, welches 1988 errichtet wurde.
Der Gerichtshof besteht aus 28 Richtern und 11 Generalanwälten, diese werden von den Regierungen der Mitgliedsstaaten in gegenseitigem Einvernehmen für einen Zeitraum von 6 Jahren ernannt. Für Klagen der Europäischen Kommission oder anderer Organe der EU oder durch Mitgliedsstaaten, welche nicht gegen die Kommission gerichtet sind, ist der EuGH allein zuständig. Gerichtsurteile des EuGH dienen dazu, den vorlegenden nationalen Gerichten eine Entscheidung zu ermöglichen, auch sind nur die einzelnen anfragenden Gerichte rechtlich an das Urteil gebunden. Da faktisch aber das EuGH für alle Mitgliedsstaaten europäisches Recht auslegt, gelten Urteile des EuGH in der Regel rückwirkend für alle Mitgliedsstaaten und deren Vorschriften.
Eine wichtige Entscheidung des EuGH, welche das Recht innerhalb er EU entscheidend veränderte, ist zum Beispiel die Francovich-Entscheidung (EuGH, C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, 5357ff.) vom 19. November 1991, wonach dem einzelnen Bürger bei Verletzung des Unionsrechtes Anspruch auf Ersatz zustehe, wenn dem Einzelnen durch den staatlichen Verstoß ein Schaden entstanden ist.
Dementsprechend ist es sinnvoll, sich einzelne Fälle des EuGH in Bezug auf das Thema Obdach- und Wohnungslosigkeit genauer anzuschauen und zu erörtern, welche Folgen sich dadurch für Menschen in Deutschland und Europa anschließen. Hat das EuGH auch in diesen Fällen eine Wirkung auf die Gesetzgebung oder gibt es Fälle, in denen nur Auswirkungen auf einen Einzelfall entstehen?
8. Fälle des EuGH zu Wohnungs- & Obdachlosigkeit
Im ersten zu betrachtenden Fall klagte eine geflüchtete Familie mit minderjährigen Kindern vor einem belgischen Gericht eine menschenwürdige Unterbringung ein 37. Die in Belgien zuständige Förderalagentur hatte der Familie einen Aufnahmeplatz verweigert und an einen kommunalen Träger des Sozialen Dienstes verwiesen. Da auch dort keine Unterkunft angeboten werden konnte, versuchte es die Familie auf dem freien Wohnungsmarkt. Da die Mieten ohne Hilfeleistungen nicht tragbar waren, stellte die Familie einen Antrag auf staatliche Unterstützung, welcher aber mit der Begründung abgelehnt wurde, dass die vom Staat bereitgestellten Aufnahmestrukturen zuständig seien. Hiergegen klagte die Familie und die belgische Justiz verurteilte die Förderalagentur daraufhin zu einer Zahlung von 3.000,00 € für die drei Monate, in der die Familie nicht durch die Förderalagentur untergebracht wurde. Diese klagte dann wiederum bei der nächsthöheren Instanz, welche dich nachfolgend an das EuGH wandte. Im Februar 2014 wurde hier ein Urteil in der Rechtssache C-79/13 gefällt. Dieses entschied, dass die Versorgung von Asylsuchenden nicht allein durch Sachmittel (Bereitstellung einer Unterkunft) sondern auch durch Geldmittel gewährleistet sein müsse. Dadurch müsse die Familie in die Lage versetzt werden, eine entsprechend ihrer Situation passende Hilfeleistung zu erhalten. Zudem dürften, das betonte das EuGH, Kinder während eines Asylverfahrens nicht von den Eltern getrennt werden. Eine Unterstützung müsse zudem bereits ab der Asylantragstellung gewährleistet werden, eine Vollauslastung der Aufnahmeplätze für Asylsuchende rechtfertige eine Abweisung der Familie nicht. Da es in Ländern wie Italien, Bulgarien oder Ungarn häufig zu katastrophalen Bedingungen in der Unterbringung von Asylsuchenden kommt, hat dieses Urteil wichtige Auswirkungen auf viele europäische Länder. Ob es dadurch zu einer Aufhebung der Dublin3-Verordnung kommt, sollte es für weitergereiste Asylsuchende in einem Land keine adäquaten Unterbringungsmöglichkeiten geben, bleibt abzuwarten.
Ein weiteres, aktuelles Urteil des EuGH bestätigt das Recht auf Anspruch von Kindergeld für eine Familie, welche im EU-Ausland lebt und derzeit keiner Beschäftigung nachgehe. Die im Fall C-322/17 38 beschriebene Situation, dass ein rumänischer Bürger in Irland nach mehreren Jahren Arbeit diese verlor und dann kein Kindergeld mehr für seine in Rumänien lebenden Kinder bekam, wurde mit dem Urteil geschlossen, dass für den Bezug von Kindergeld die beantragende Person keiner Beschäftigung nachgehen müsse. Zudem müssen die Kinder, für die das Kindergeld beantragt würde, nicht ebenfalls im Ausland leben, ihnen stünde das Kindergeld auch zu, wenn sie im Heimatland leben würden. Dieses Urteil wird in Zukunft weitreichende Folgend für die Beantragung von Kindergeld im Europäischen Ausland haben. Nach Rückgabe des Urteils an die irische Justiz müsse diese nun klären, welches Land für die Zahlung des Kindergeldes zuständig sei. Für Arbeitssuchende aus den östlichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dürfte dieses Urteil einen weiteren Anreiz darstellen, die Freizügigkeit als Unionsbürger zu nutzen und als Wanderarbeiter in verschiedenen Ländern zu arbeiten. Die Sicherung von Sozialleistungen wie dem Kindergeld durch das EuGH biete zugezogenen Familien mehr Sicherheit zur Finanzierung von Unterkunft. Bei einem weiteren Fall befasst sich das EuGH mit der in Deutschland für Personen mit subsidiärem Schutz geltenden Wohnsitzauflage. Gegen diese hatten syrische Staatsangehörige geklagt, welche in den Jahren 1999 und 2001 nach Deutschland gekommen waren und Asyl beantragt hatte. Nach der Gewährung von subsidiärem Schutz wurde ihnen, zur besseren Verteilung der sozialen Lasten für die Kommunen, eine Wohnsitzauflage verordnet. Diese gilt für alle Personen mit Aufenthaltserlaubnis mit dem entsprechenden Schutz, die soziale Leistungen beantragt haben. Mit seinem Urteil bestätigte das EuGH, dass eine unterschiedliche Behandlung von Personen mit verschiedenem Schutzstatus nicht gerechtfertigt ist. Zudem wurde festgestellt, dass in allen Mitgliedsstaaten Menschen mit subsidiärem Schutz das Recht zugesprochen bekommen, sich frei im Unionsland zu bewegen und ihren Wohnsitz frei zu wählen. Dieses Recht würde auch außerhalb vom Status der Beziehung sozialer Leistungen für alle Menschen gelten.
Dieses Urteil 39, welches im Folgenden vom Bundesverwaltungsgericht zu prüfen ist, bietet Menschen mit verschiedenem Schutzstatus die Möglichkeit, aus ihrer oftmals beengten kommunalen Unterbringung in Asyl- oder Obdachlosenunterkünften auch durch einen Umzug in eine andere Kommune zu entkommen. Da die Wohnungsmarktlage auch im ländlichen Bereich oftmals prekär ist und kaum Möglichkeiten für Zugezogene bietet, kann die Aufhebung der Wohnsitzauflage individuelle Möglichkeiten bieten, aus dem Status der Wohnungslosigkeit im Sinne der Nutzung einer kommunal gestellten Unterkunft zu entfliehen. Auch ein Fall aus dem Jahr 2013, in dem eine heilbare oder unheilbare Krankheit, welche eine physische, geistige oder psychische Einschränkung mit sich bringt, als Behinderung gleichgestellt wird, kann weiterführend für Hilfeleistungen im Bereich der Obdach- und Wohnungslosenhilfe für Veränderungen hilfreich sein. Entsprechend der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung oder Beruf wurde im allgemeinen Rahmen der Bekämpfung von Diskriminierung ein Urteil40 gefällt, welches die im dänischen Arbeitsrecht verankerte „ verkürzte Kündigungsfrist “ negierte. Zwei Arbeitnehmerinnen hatten gegen die Entlassung mit verkürzten Kündigungsfristen geklagt, da bei ihnen nach der obigen Definition eine Behinderung vorläge. Statt einer Kündigung hätte der Arbeitgeber beiden eine Arbeitszeitverkürzung anbieten müssen. Im Kontext von Obdach- und Wohnungslosigkeit ist zu hinterfragen, bei wie vielen Fällen von Entlassungen aufgrund von Krankheiten, welche physische, geistige oder psychische Einschränkungen mit sich bringen, sich bei den betroffenen eine nicht mehr zu tragende Situation ausbildet, die dann tatsächlich in Obdach- oder Wohnungslosigkeit mündet. Haben nicht auch Arbeitgeber eine Verantwortung gegenüber ihren Angestellten, müsste entstehende Krankheiten, welche Einschränkungen mit sich bringen, nicht auch schon vor einer drohenden Entlassung durch den Arbeitgeber berücksichtigt und durch ein Hilfesystem bearbeitet werden?
9. aktuelle Gerichtsurteile zu Wohnungs- & Obdachlosigkeit
Neben den beschriebenen Urteilen aus EU-Ebene sollen an dieser Stelle weitere, ergänzende Urteile von Gerichten auf den verschiedenen Ebenen im Kontext von Obdach- und Wohnungslosigkeit beschrieben werden. Diese sollen aufzeigen, wie klar Urteile Sachverhalte aufzeigen und wie unklar diese innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt werden.
So beschreibt der Beschluss vom 08.01.2013 mit dem Aktenzeichen „ A7K 3929/12 “ am Verwaltungsgericht Stuttgart der Klage eines Antragstellers gegen die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge enthaltene Abschiebungsverordnung nach Italien, da nach der aktuellen Auskunftslage ernsthaft zu befürchten ist, dass für Asylbewerber aufgrund systematischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien die Möglichkeit besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgeliefert zu sein. Entsprechend des Urteils gehe dies davon aus, dass Italien seine Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfülle. Dementsprechend müsse man Klagenden alle Rechtmittel in Deutschland einräumen-Interessant ist hier der Fakt, dass ein deutsches Gericht einem Mitgliedsland der EU offen bescheinigt, verschiedene Konventionen nicht einzuhalten und dementsprechend die eigene Gerichtsbarkeit zu verändern.
In einem anderen Gerichtsurteil vom Verwaltungsgericht Oldenburg mit dem Aktenzeichen „ 7B3696/12 “ aus dem Jahr 2012 klagte eine Familie mit einem Kind mit Behinderung gegen die Zwangsräumung aus einem ursprünglich der Familie gehörenden Wohnhaus, welches durch eine Zwangsversteigerung zustande kam. Gegen den Termin der Zwangsräumung legte die Familie Klage ein, da ihr aufgrund der dann drohenden Obdachlosigkeit nur die Notübernachtung in einer Obdachlosenunterkunft drohe. Hier seien die Voraussetzungen für beide Kinder nicht gegeben, die Breite der Türen würde nicht ausreichen um mit einem Rollstuhl hindurchzufahren, die Ausbildung der beiden Kinder würde leiden, generell wäre die Familie von sozialen Kontakten abgeschnitten. Die Familie beantrage demnach eine Unterstützung in Form von der Wiedereinweisung in den gemeinsamen Wohnraum. Der Antrag wurde durch das Verwaltungsgericht abgelehnt. In der Begründung heißt es, dass eine Notunterkunft ausschließlich einer polizeilichen Zweckerfüllung diene, den Bedrohten ein Dach über dem Kopf, also ein Obdach zu verschaffen, welches vor Obdachlosigkeit schütze. Dabei sei der notdürftige Wohnraum nur von vorrübergehender Art und Weise und stelle keinen Ersatzwohnraum dar. Gewisse Nachteile und Mängel hätten die in die Notunterkunft eingewiesenen zu akzeptieren. Auch im Fall „ 7B3428/12 “ desselben Gerichts wird beschrieben, dass ein 85-jähriger, inzwischen gebrechlicher Mann nach dem Obdachlosenrecht kein Anrecht auf eine barrierefreie Nutzung einer Dusche habe. Es stellt sich die Frage, ab wann die Sozialen Hilfen einer Kommune einzugreifen haben und den Schutz einer Familie zu gewährleisten haben. Dass es in beiden Fällen zur Einweisung in eine Obdachlosenunterkunft kommen muss zeigt, wie viele weitere Beispiele auch, wie wenig ausreichend Hilfen zur Unterstützung von Obdachlosen und von Obdachlosigkeit bedrohter Menschen und Familien (gefördert) sind. Dass selbst Menschen mit Einschränkungen wie der Nutzung eines Rollstuhls oder aufgrund gehobenen Alters derartige Nachteile und Mängel auf sich nehmen müssen, zeigt die unzureichende Hilfe auch im Bereich der Prävention von Obdachlosigkeit. Dass selbst die kommunalen Angebote für von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffene Menschen mit deutlichem Hilfsbedarf nicht ausreichend sind, zeigt der Beschluss vom 16.07.2012 des Verwaltungsgerichts Osnabrück mit dem Aktenzeichen „ 6 B 57/12 “. In diesem Fall wurde einer Rentnerin mit einer Rente in Höhe von 622,98€ netto ein monatliches Nutzungsendgeld für eine Obdachlosenunterkunft in Höhe von 183,28€ festgelegt, und das für eine Wohnfläche von 20,15 Quadratmeter. Da die Rentnerin diese Kosten nicht zahlen wollte und die kommunale Verwaltung, die für die Unterkunft zuständig war, auch um ob gesetzliche geregelter Pfändungsfreigrenzen im Wissen darum war, den zu erlangenden Betrag nicht einfordern zu können, verließ die Rentnerin die Obdachlosenunterkunft. Nach einer Zeit des Aufenthaltes bei ihrem Sohn beantragte sie wenig später wieder die Gewährung der Unterkunft da sei einen Schlafplatz benötige. Dieser sollte ihr dann erst wieder dauerhaft möglich sein, wenn sie einen Teilbetrag ihrer Schulden in Höhe von 43,88€ bezahlt hätte. Im weiterführenden Verlauf des Verfahrens lässt sich klar aufzeigen, dass die multiplen Problemstellungen der Rentnerin immer deutlichere Ausmaße bis hin zum Haftaufenthalt nach sich gezogen haben. Entsprechende weiterführende Hilfsangebote wie eine Einzelfallhilfe, psychosoziale Betreuung oder die von der Europäischen Union geforderten „ housing first “-Ansätze wären auch in diesem Fall eine deutlich größere Hilfe im Gegensatz zur lediglich selbstfinanzierten Unterbringung.
10. Zusammenfassung
Den auf europäischer Ebene erreichten Bemühungen zur Eindämmung großer sozialer Ungleichheit und damit einhergehend den Bedrohungen von Obdach- und Wohnungslosigkeit steht eine immer größer werdende Anzahl von Menschen gegenüber, die aus den vielfältigsten Gründen von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Die in vielen Ländern der Europäischen Union nicht vorhandenen Zahlen zur Obdachlosigkeit oder Wohnungslosigkeit stehen die Bemühungen vieler Sozialer Träger gegenüber, die selbstständig mit Hilfe von Fördermitteln Projekte starten, um der Lage gerecht zu werden und soziale Angebote zu etablieren. Dennoch gibt es trotz der weitreichenden Konventionen auf EU-Ebene immer mehr gesellschaftlichen Druck aufgrund von steigenden Mieten, wachsendem Niedriglohnsektor sowie einer steten Minimalfinanzierung für den sozialen Bereich, begonnen von nicht bedarfsgerechten Notunterkünften für Geflüchtete und Obdachlose über kaum finanzierte Frauenhäuser bis hin zu Hilfesystemen, die in den seltensten Fällen die Bedarfe der Menschen sieht und einfach starr agiert. Die an einer Hand abzählbaren Housing-First-Projekte in Deutschland sind nicht kommunal gefördert, in den wenigsten Fällen übernehmen Sozialämter weiterentwickelte Ideen, ein Großteil der Hilfeleistung wird über die Subsidiarität an freie Träger abgegeben, welche unzureichend finanziert einem stets wachsenden Bedarf an Hilfeleistung gegenüber steht. Nicht erst durch die Fluchtmigration ab 2013 steigt der Bedarf an Hilfe für die Hilfe, im stets durch „ fehlende Mittel “ steigenden Konkurrenzdruck im Sozialen Hilfesystem wird die Hilfe oftmals selbst zum Problem und Ehrenamt übernimmt. Um Obdach- und Wohnungslosigkeit in Europa zu beenden, bedarf es offensichtlich noch einer höheren Instanz. Vielleicht findet sich diese in jedem einzelnen von uns wieder wenn es in nicht ganz 3 Monaten zum nächsten wichtigen Ereignis auf europäischer Ebene kommt. Bei dieser kommenden Europawahl wird sich entscheiden, in welche Richtung sie die Völker Europa entwickeln wollen. Wollen sie sich abschotten, von Angst gedrängt, die Türe vor dem Nachbarn verschließen und diesen arglistig beäugen, oder wollen sie sich annähern und eigene Ängste überwinden, um schließlich beieinander zu stehen, anders und dennoch gleich unter Gleichen.
Literaturverzeichnis
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- Quote paper
- Ralf Dounz-Weigt (Author), 2019, Obdach- und Wohnungslosigkeit in Europa. Europäische Gesetzgebung im Kontext der Menschenrechtskonvention, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/901654
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