Diese Arbeit geht auf Zusammenhänge zwischen dem historischen Zarathustra (der zur besseren Unterscheidung mit seinem persischen Namen 'Zardusht' bezeichnet wird) und dem Zarathustra in Friedrich Nietzsches Werk "Also Sprach Zarathustra" ein.
Dabei werden Merkmale, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bilden, herausgehoben und gleichzeitig im Grudnsatz erklärt und interpretiert. Die Themen umfassen die Biographie beider Gestalten, den Gedanken von der Ewigen Wiederkunft, den Übermenschen, die Herangehensweise an und die Begründung der Moral, die Symbolik hinsichtlich des Honigopfers, Adler und Schlange und weitere wichtige Dinge. Nur der Willen zur Macht wurde nicht behandelt, da es keinen Grund zur Annahme gibt, dass er aus einer historischen Vorlage ausgearbeitet oder von ihr inspiriert wurde.
Somit ist diese Hausarbeit einerseits sehr für Vergleiche mit dem historischen Vorbild für Zarathustra geeignet, da unter anderem auch umfassende Forschungsliteratur dazu benutzt wurde. Andererseits werden auch die oben genannten Leitgedanken von "Also Sprach Zarathustra" in möglichst kurzer und präziser Form interpretiert und erklärt, womit diese Hausarbeit einen Teil zum allgemeinen Verständnis des Zarathustra leistet. Aufgrund dieses Sachverhalts ist eine Lektüre von Nietzsches "Also Sprach Zarathustra" nicht für das Verständnis der Hausarbeit notwendig. Inhaltlich führt die Arbeit jedoch weiter in die Hintergründe des Werks ein.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlegende Differenzen und Gemeinsamkeiten in der Denkweise Zardushts und Zarathustras
2.1 Biographie
2.2 Moralischer Dualismus und Zusammenführung der Gegensätze
2.3 Der Übermensch
2.4 Das ewige Leben nach dem Tod und der Gedanke der Ewigen Wiederkunft
2.5 Weitere Übereinstimmungen und Symbolik
3 Plausibilität der ideengeschichtlichen Entwicklung
4 Quellenangaben
1 Einleitung
Im letzten Jahrhundert ist Vieles über Friedrich Nietzsche und noch mehr über seine Werke geschrieben worden. Sie faszinierten, stießen ab oder taten beides zusammen – doch wer sie gelesen hat weiß, dass sie einen nicht gleichgültig lassen. Das vielleicht bekannteste Werk dieses einzigartigen Philosophen ist wohl die Erzählung – man möchte sie beinahe Offenbarung nennen – „Also Sprach Zarathustra“. Neben den unzähligen Interpretationsversuchen stellen sich immer wieder mehrere Fragen zu diesem Werk. Eine davon lautet: Wer ist eigentlich dieser Zarathustra, den man unwillkürlich auf eine Stufe mit den großen Propheten und Religionsstiftern der Weltgeschichte stellt?
Die Frage lässt sich schnell, aber doch nie genau oder endgültig beantworten. Zarathustra ist eine Kunstfigur, die in einer an den Stil der Bibel erinnernden Erzählung die Grundzüge einer Philosophie verkündet, die nichts weniger sein will als eine neue Religion. Sie soll die alten Werte, Weltanschauungen und Illusionen in einer Welle der Lebensbejahung hinfort spülen, die den Menschen tänzerisch und in „dionysischer Weisheit“ das Glück und Leid der Welt ertragen lassen, ohne daran zugrunde zu gehen.
Wessen Lehren sind es jedoch, die in dem Werk verkündet werden? Während sich auch dazu bereits viele Autoren Gedanken gemacht haben, scheint es plausibel zu sein, Zarathustra nicht mit Nietzsche gleich zu setzen. Wenn man jedoch einen Schritt weiter geht, so stellt sich die Frage, ob dieser Zarathustra identisch ist mit seinem antiken Namensgeber, dem persischen Zardusht. Gewissheit kann man hier nicht erwarten. In dieser Arbeit möchte ich jedoch eine Methode anwenden, die uns zeigen kann, ob und in wie fern es plausibel wäre, dass Nietzsches Figur als identisch mit dem Protagonisten der Avesta aus vorchristlichen Zeiten gedacht werden kann. Hierzu werde ich untersuchen, wie sinnvoll die Übergänge von dem Gedanken einer Religion, welche die Moral erst metaphysisch gemacht hat, über die griechisch-christliche Moral-Tradition zu einer neuen Philosophie des Lebens sind, die sich im Geiste des „wahrhaftigsten“ aller Denker vollziehen sollen. Deshalb wird zuerst die Herausstellung grundlegender Differenzen und Gemeinsamkeiten in der Denkweise beider Figuren eine zentrale Rolle einnehmen. Dort stellt sich auch die Frage, wo Nietzsche vom Bild der iranischen Geisteswelt, wie er es hatte, in den Arbeiten zu „Also Sprach Zarathustra“ beeinflusst worden ist. Danach muss die intellektuelle und moralische Entwicklung zwischen beiden Weltanschauungen dahingehend überprüft werden, ob sie in der vorgefundenen beziehungsweise interpretierten Form ohne allzu große Anstrengungen nachvollziehbar erscheint.
2 Grundlegende Differenzen und Gemeinsamkeiten in der Denkweise Zardushts und Zarathustras
Wie bereits angekündigt möchte ich zuerst die Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen dem historischen Zarathustra und der Figur bei Friedrich Nietzsche herausstellen. Unter ‚Denkweise’ wie ich sie in der Überschrift verstehe, sind die Konstruktion und Funktionsweise der Religion einerseits und die wesentlichen Merkmale der lebensbejahenden Philosophie andererseits gemeint. Vor allem extreme und gegensätzliche Veränderungen im Weltbild sind zur Untersuchung geeignet, da man in solchen Fällen eher davon ausgehen kann, dass Nietzsche sie bewusst als Gegensatz formuliert hat. Um einen klare Unterscheidung zum Zarathustra bei Nietzsche zu gewährleisten, werde ich dessen historischen Namensgeber mit dem persischen Namen Zardusht bezeichnen. Weiterhin werde ich die Ansichten Zardushts und die des Zoroastrismus als in ihrer Weltanschauung übereinstimmend verwenden, auch wenn es in dieser Religion verschiedene Schulen gibt und sie sich natürlich von ihren Anfängen bis in heutige Zeit verändert hat. Ich stütze mich zum Vergleich beider Figuren hauptsächlich auf die (ältere) Avesta als grundlegende religiöse Schrift des Zoroastrismus, in der die ursprünglichen Gedanken Zardushts am klarsten zu finden sind. Ich habe im Laufe meiner Recherchen keine Anhaltspunkte gefunden, die eine Entwicklung dieses Willens zur Macht aus der Avesta oder dem Zoroastrismus plausibel machen würden, weshalb er hier nicht behandelt wird.
2.1 Biographie
Zuerst vergleiche ich die (leider nur spärlichen) Angaben zum Leben Zardushts und Zarathustras, wobei die Einordnung in die Historie hier keine Rolle spielen soll. Zardusht wurde wahrscheinlich bereits als Kind auf den Beruf des Priesters hin erzogen und ausgebildet.[1] Als dreißigjähriger, praktizierender Priester offenbart sich ihm während eines traditionellen religiösen Festes einer der sieben Wohltätigen Unsterblichen, die der Zoroastrismus kennt.[2] Von ihm wird Zardusht zu den anderen Unsterblichen geleitet. Ahura Mazda, das Höchste dieser personifizierten Welt-Prinzipien (er steht für die Weisheit, die als in der Welt wirkend wahrgenommen wird), verlangt von Zardusht, die neuen Lehre zu verbreiten. Diese finden jedoch in zehn Jahren keine Anhänger (außer seinem Cousin) und bleiben somit unerhört. Dieser erste Lebensabschnitt ähnelt der Konzeption Zarathustras: Dieser verlässt seine Heimat mit 30 Jahren, um in die Einsamkeit der Berge zu gehen und dort zu leben.[3] Doch nach zehn Jahren „verwandelte sich sein Herz“[4] und er hält ein Zwiegespräch mit der Sonne, nach welchem er hinab zu den Menschen steigt, um ihnen seine Lehren zu bringen. Ihm ist jedoch ebenfalls kein Erfolg beschieden, denn die Leute verstehen ihn nicht und verspotten ihn – sein erster Jünger wird ein Toter.[5]
Bereits hier zeigen sich Parallelen: Zardusht begegnet in seiner Vision einem der Unsterblichen, mit dem er redet und der in Gewänder gehüllt ist, die so stark wie die Sonne strahlen.[6] Zarathustra redet mit der Sonne selbst und personifiziert sie; das Gespräch findet an einem Wendepunkt seines Lebens statt, wie es die Vision Zardushts ebenfalls tut. Beide sind erfolglos und haben nur einen Anhänger. Die Unterschiede liegen im Detail: Zwar spricht Zarathustra zur Sonne, doch nennt er sie „Gestirn“[7], spricht herablassend mit ihr und mythologisiert sie nicht. Er stellt sich mit ihr auf eine Stufe, identifiziert sich mit ihr als Schenkender, der jemanden braucht, der seine Geschenke annimmt. Zardushts Vision ist jedoch die eines personifizierten transzendenten Prinzips, mit dem er zwar reden und das er sehen kann, das jedoch in dessen außerweltlichen Existenz nicht für ihn erfassbar ist und hierarchisch über ihm steht. Dies wird auch dadurch verdeutlicht, dass Ahura Mazda seine Dienste verlangen kann und Zardusht dieser Aufforderung Folge leistet.
Die Jahre, die Zardusht mit der erfolglosen Predigt verbringt, sind für ihn teilweise lebensgefährlich, da ihm vor allem die alten Priester feindselig gesinnt sind – so verlässt er den Ort, an dem er lehrte, und predigt seinen Glauben in einem anderen Land.[8] Dort erreicht er mit seinen Lehren sogar die Königsfamilie, die zum neuen Glauben konvertiert, und lässt er sich dort nieder um eine Familie zu gründen. Seine drei Frauen gebären ihm drei Söhne und drei Töchter. Zarathustra muss sich ebenfalls vor der Feindseligkeit der Menschen in Acht nehmen, wie es ihm der Possenreißer nahe legt.[9] Mit dem toten Seiltänzer, den er in einem hohlen Baum ablegt, begräbt er gleichzeitig seine Hoffnung, die letzten Menschen von seiner Lehre zu überzeugen. Er zieht weiter und kommt in die Stadt ‚Die bunte Kuh’[10], in der seine Lehren Anhänger finden und in der er einige Zeit bleibt. Doch er fasst den Entschluss, auch diesen Ort wieder zu verlassen, seine Jünger zurückzulassen und seinen Weg allein fortzusetzen.[11]
Obwohl sich beide Figuren der Feindschaft in den Orten ausgesetzt finden, in denen sie zuerst ihre Lehren verbreiten wollen, wählt Nietzsche für Zarathustra einen neuen Weg, nachdem dieser wie Zardusht endlich Jünger gefunden hat. Während Zardusht in seiner neuen Heimat bleibt, möchte Zarathustra nicht, dass ihm seine Jünger nur aus ihrem Glauben heraus folgen. Sie sollen sich selbst finden – und dies sollen sie ohne ihn tun.[12] Es ist keine Prüfung ihres Glaubens, wie es bei einem Propheten oder Prediger der Fall wäre, sondern Zarathustra sieht, dass sie sich gegen die Autorität seiner Gedanken wehren müssen, um einen Weg zu einem selbstbestimmten Denken zu finden. In diesem Zusammenhang spricht er auch von seiner sich verändernden Liebe, die er und seinen Jüngern entgegen bringt. Diese Liebe verändert sich dadurch, dass er die Jünger durch die Entwicklung ihrer Denkweise zuerst gleichberechtigt als seine Freunden ansehen kann, diese dann aber sogar die Möglichkeit haben, zu seinen Brüdern im Geiste werden zu können (also annähernd in den gleichen Bahnen denken zu können wie er). Hierbei ist zu beachten, dass es sehr auf den Kontext ankommt, in dem Zarathustra die Worte ‚Freunde’ und ‚Brüder’ verwendet, und er sie oftmals nicht im Sinne einer gedanklichen Verwandtschaft meinen kann – denn dies würde voraussetzen, dass sie nicht mehr seine Jünger wären und deshalb auch nicht mehr an ihn als Autorität glauben.
2.2 Moralischer Dualismus und Zusammenführung der Gegensätze
Der moralische Dualismus im Zoroastrismus ist ein zentrales Merkmal dieser Religion. Als Erstes muss man bemerken, dass das prinzipielle Wesen der sieben Wohltätigen Untersterblichen und Ahrimans innerhalb der Avesta einer Veränderung unterworfen ist: Während die ältere Avesta (vor allem die Zardusht zugerechneten Gathas) die Unsterblichen und Ahriman als Verkörperung der Prinzipien ansieht, die dem Kosmos zugrunde liegen, spricht die jüngere Avesta von diesen Verkörperungen als Göttern.[13] Es ist wahrscheinlich, dass Nietzsche nach der Kommentar-Lektüre von J. F. Kleuker zur Zend-Avesta – der bei Hermerding in Auszügen abgedruckt ist – die widerstreitenden Entitäten ebenfalls als Prinzipien und weniger als Götter verstand.[14]
[...]
[1] Boyce, Mary: „A History of Zoroastrianism“, S.183-186., E. J. Brill, Leiden / New York / Købnhavn / Köln 1989.
[2] Für eine Kurzübersicht siehe: Stausberg, Michael: „Zarathustra und seine Religion“, S.41, Verlag C.H.Beck, München 2005.
[3] Colli, Giorgio / Montinari, Mazzino (Hg.): „Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden“, Bd.4, S.11, München / Berlin / New York 1980.
[4] Ebd..
[5] Ebd., S.14-21.
[6] Boyce, S.185.
[7] KSA, Bd.4, S.11.
[8] Boyce, S.186-188.
[9] KSA, Bd.4, S.23.
[10] Der Name ‚Die bunte Kuh’ ist angelehnt an die Überlieferung von Buddha, der in einer gleichnamigen Stadt eine seiner bekanntesten Reden hielt. (Gotama Buddha (überliefert): „Dígha Nikáya 22. Mahásatipatthána Sutta“).
[11] KSA, Bd.4, S.31 und 97-103.
[12] Ebd. S.101-102.
[13] Hermerding, Siegfried: „Der Einfluss der iranischen Geisteswelt auf die Philosophie von Friedrich Nietzsche“, S.33, Dissertation an der Universität Hannover, 1984.
[14] Ebd., S.31-34.
- Quote paper
- Daniel Förster (Author), 2008, Die geistig-moralische Entwicklung des historischen Zarathustra bis zu seiner Neuerschaffung durch Nietzsche, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90139
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