Marxistisches Framework des Anthropozän. Ansätze zur Erfassung und Erklärung

Mit uns die Sintflut?


Thèse de Bachelor, 2017

54 Pages, Note: 1,3


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Extrait


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Das Anthropozän: Mensch gegen Erdsystem?
1.1. Begriffsklärung
1.2. Die Erdsystemwissenschaft als Grundlage des Anthropozän
1.3. Naturwissenschaftliche Sicht auf das Anthropozän

2. Gesellschaft im Anthropozän – Anthropozän als Diskurs
2.1. Sozialwissenschaftliche Annäherung
2.1. environmental discourses als Mittel der Konzeptionalisierung des Antrhopozän
2.2 Prometheanischer Diskurs: Natur als störende Einschränkung
2.2. Limits & Survival Diskurs: Natur als zu respektierende Schranke
2.3. Diskurse ökologischer Nachhaltigkeit
2.4. Zwischenfazit zum Anthropozän aus sozialwissenschaftlicher Sicht

3. Grundlagen eines marxistischen Ansatzes
3.1. Streitpunkt des Marxschen Naturbegriffes
3.2. Methodisch und theoretische Abgrenzungen
3.3. Der holistische Charakter einer marxistischen Soziologie der Ökologie

4. Natur und Ökonomie
4.1. Vorbemerkung
4.2. Doppelcharakter und immanenter Widerspruch der Ware
4.3. Die Verwertung: Der Widerspruch von unendlicher Zirkulation und endlicher Natur
4.4. Erzeugung von Mehrwert in der Produktion: Naturzerstörung als Resultat des subsumierten Arbeitsprozesses
4.5. Vergrößerung des Mehrwerts: Zwang der Naturnutzung
4.5. Zwischenfazit zum Konnex Natur-Ökonomie

6. Natur und Gesellschaft
6.1. Vorbemerkung
6.2. Die Stoffwechsel-Riss-Theorie
6.2. Ökologischer Imperialismus oder Akkumulationsregime?
6.3. Das Anthropozän in marxistischer Theorie: Der globale Riss und seine Grenzen
6.4. Der Wert-Fetisch: Subjektive Handlungsrahmen des Mensch-Natur Verhältnis
6.5. Theoretische Divergenzen: Vom Anthropozän ins Kapitalozän?

7. Schluss und Resümee

Literaturverzeichnis

0. Einleitung

"Après moi le déluge!“: Nach mir die Sintflut! Mit diesen Worten charakterisiert Marx im ersten Band des Kapitals die gleichgültige Position von Fabrikeigentümern gegenüber den sozialen Folgen ihres Wirtschaftens (MEW 23: 285). Der ökologische Bezug des Zitates ist höchstes eine Konnotation, es bezieht sich vollständig auf die sozio-ökonomischen Phänomene in Form einer dahinsiechenden Schicht von Lohnarbeitern, die der sich entfaltende Kapitalismus des 19. Jahrhunderts hervorbrachte. Dabei erscheint das mythische Bild einer Sintflut heute jedoch aktueller denn je. Die Gefahr, dass in Konsequenz eines sich erwärmenden Erdklimas erhebliche Teile bewohnten Landes von einem steigendem Meeresspiegel 'geschluckt' werden, ist eines der plastischeren Szenarien, die in Konsequenz eines sich veränderten Klimas drohen (Vgl. Foster et al. 2010: 424f.) Der Grad menschlichen Einflusses auf ökologische Prozesse hat sich in wenigen Jahren dermaßen verschärft, dass von einer neuen Qualität der Einwirkung gesprochen werden kann:

“The human imprint on the global environment has now become so large and active that it rivals some of the great forces of Nature in its impact on the functioning of the Earth system.” (Steffen et al. 2011a: 842).

Diese Entwicklung findet ihre Zuspitzung im Begriff des 'Anthropozän', des menschengeprägten Erdzeitalters, der ohne Übertreibung als konzeptioneller 'shooting star' bezeichnet werden kann. Wer die gegenwärtige ökologische Lage verstehen will, so die Aussage, muss das Anthropozän in seiner Gesamtheit verstehen. Spannend ist dabei, dass das Konzept des Anthropozän sich nicht, wie noch im Detail gezeigt werden soll, auf naturwissenschaftliche Phänomene beschränkt, sondern auch sozio-ökonomische Prozesse mit einbezieht. 'Avec nous, le déluge!' -- mit uns die Sintflut! -- erscheint als das dem Anthropozän zeitgemäße Update des Marx-Zitats.

Bliebe es dabei, wäre der Bezug auf Marx sicher etwas bemüht. Dagegen ist zu betonen, dass im Titel nicht ohne Hintergedanken dies als Frage und nicht Aussage in der ersten Person Plural formuliert wurde. Ebenso wie die Naturnotwendigkeit dieser 'Sintflut' kritisch zu hinterfragen ist, ist noch offen, von welchem 'wir' im Falle des Anthropozän überhaupt gesprochen werden kann: Kann dieses 'wir' im Sinne der Menschheit als singulärem Akteur verstanden werden? In dieser Arbeit soll zur Beantwortung dieser Fragen auf die Theoriebildung marxistischer Sozialwissenschaftlicher zurückgegriffen werden, die aus den ökologischen Aspekten der Marxschen Theorie Ansätze zur Erfassung und Erklärung des Anthropozän erarbeiten. Die erste Leistung dieser Arbeit soll daher eine pointierte Darstellung dieser theoretischen Ansätze sein. Da es noch verfrüht scheint, hier von einer theoretischen 'Schule' zu sprechen, müssen neben den gemeinsamen Grundlagen dieser Ansätze ihre theoretischen Differenzen oder Gemeinsamkeiten herausgestellt und in einen produktiven Dialog gesetzt werden. Dabei bleibt die leitende Frage dieser Arbeit, welche Ansatzpunkauete hieraus für ein marxistisches Framework des Anthropozän entwickelt werden können.

Neben den Arbeiten von Karl Marx und Friedrich Engels1, dienen dabei als theoretische Eckpunkte The Ecological Rift. Capitalism's War On The Earth von John Bellamy Foster, Brett Clark und Richard York (2010) sowie Kapitalistische Naturverhältnisse: Ursachen von Naturzerstörung – Begründungen einer Postwachstumsökonomie von Anthanasios Karathanassis (2015). Neben diesen beiden zentralen Werken zu nennen sind des Weiteren Elmar Altvater (2013 & 2015), Jason Moore (v.A. 2011, 2014 & 2015) sowie Ian Angus (2016). Relevant für die Erschließung des Anthropozän-Begriffs auf seinem gegenwärtigem Diskussionsstand sind vor Allem die Arbeiten von Will Steffen et al. (2011a, 2011b & 2015).

Im Verlauf der Arbeit wird im ersten Abschnitt der Begriff des Anthropozän von seiner naturwissenschaftlichen Seite, sowie im Bezug auf gesellschaftlich relevante Diskurse, entwickelt werden. Darauf folgt im zweiten Abschnitt eine Schärfung des marxistischen Ansatzes um ihn in seinen theoretischen und methodischen Besonderheiten von anderen sozialwissenschaftlichen Stoßrichtungen abzugrenzen. Hier wird darüber hinaus ein marxistischer Begriff von 'Natur' entwickelt. Ausgehend von diesen Feststellungen kann dann die theoretische Rahmung im Bezug auf die beiden groben Themenfelder der Verknüpfung von Ökonomie und Natur im dritten Abschnitt sowie Gesellschaft und Natur im vierten Abschnitt entwickelt werden. Der abschließende fünfte Abschnitt stellt ein Resümee dar, sowie den Versuch, mit dem entwickelten theoretischen Ansatz die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Mit uns die Sintflut?

1. Das Anthropozän: Mensch gegen Erdsystem?

1.1. Begriffsklärung

Zum Verständnis des Begriffs des Anthropozän ist es zunächst notwendig, sich dessen naturwissenschaftliche Betrachtung und seine Entstehungsgeschichte zu vergegenwärtigen. Der Anspruch dieser Arbeit kann dabei nicht sein, die Diskussion um das Anthropozän in ihrer gesamten naturwissenschaftlichen Komplexität zu würdigen. Stattdessen sollen die prinzipiellen begrifflichen Kategorien eingeführt und erläutert werden, die für die weitere Auseinandersetzung mit marxistischen Ansätzen relevant sind.

Wiewohl der Begriff bereits in den Arbeiten des sowjetischen Geologen Aleksei Pavlov 1922 zur Beschreibung einer neuen, menschengeprägten geochronologischen Epoche verwendet wurde (Vgl. Foster 2016b), fand er in seiner modernen Bedeutung erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch die Arbeit von Paul Crutzen vermehrte Aufmerksamkeit (Crutzen & Stoermer 2000, Crutzen 2002). Wie das vom griechischen kainos (neu/kürzlich) 2 abgeleitete Suffiix '- zän' kenntlich macht, soll das Anthropozän als geologische Zeitepoche in die erdgeschichtliche Gliederung aufgenommen werden. Als Mittel der Abgrenzung von Epochen dienen in der Geologie Ablagerungen in Sedimentschichten in Form von Fossilien oder anderen stratigrafischen Markern (Gradstein et al. 2012). Das hervorstechende Merkmal des Holozän ist eine relative Stabilität der Klimabedingungen, was u.a. als Bedingung für die Entstehung stabiler Agrar-Gesellschaften und damit der menschlichen Zivilisation überhaupt gewertet wird (Steffen et al 2011b: 747). Das Anthropozän würde, insofern sich diese Epochenbezeichnung durchsetzt, das Holozän nicht ersetzen, sondern dessen Ende an einem Zeitpunkt in den letzten zweihundert Jahren markieren und als gegenwärtige Epoche ablösen. Wie der namentliche Bezug auf den Menschen, anthropos, im Präfix verdeutlicht, soll in diesem Begriff die Rolle des Menschen im Bezug auf die geologische Epoche betont werden. Die neue Epochenbezeichnung soll jedoch nicht einfach einen quantitativ wachsenden Einfluss des Menschen auf die Umwelt an sich betonen, sondern die neue Qualität dieser anthropogenen Einflüsse unterstreichen:

„[…] the Anthropocene is not defined by the broadening impact of humans on the environment, but by active human interference in the processes tht govern the geological evolution of the planet.“ (Hamilton 2014: 3)

Als anthropogene Veränderungen sind im weitesten Sinne Umweltveränderungen zu verstehen, die auf menschlichen Einfluss zurückzuführen sind. Am bekanntesten ist sicherlich der Begriff des Klimawandels, worunter Veränderungen der die Erdtemperatur regulierenden Prozesse zu verstehen sind und über dessen anthropogene Ursachen wissenschaftlicher Konsens besteht (Vgl. IPCC 2014). In der naturwissenschaftlichen Debatte müssen die Argumente für das Anthropozän also stratigrafisch relevant darlegen können, inwieweit anthropogene Einflüsse wesentlich zu Veränderungen der Klimabedingungen des Holozän beigetragen haben.

1.2. Die Erdsystemwissenschaft als Grundlage des Anthropozän

Paul Crutzens Argumentation für das Anthropozän basiert auf Erkenntnissen der Erdsystemwissenschaft, deren holistischer Ansatz unter anderem aus den Bereichen der Ökologie, Chemie, Klimaforschung aber auch der Sozialwissenschaft schöpft (Angus 2016: 29). Die Erdsystemwissenschaft fasst die Gesamtheit der Erde als ein System verbundener sozialer und natürlicher Prozesse auf, die jeweils aufeinander einwirken und damit wechselseitig ihre Zustände beeinflussen. Das heißt, keiner dieser Prozesse ist bloß Empfänger von Inputs: Alle Prozesse, seien sie nun physikalischer, biochemischer oder ökologischer Art, sind wesentliche Bestandteile des Gesamtsystems (Vgl. Steffen et al 2004). Eine zentrale Bedeutung kommt dabei dem Begriff der Wechselwirkung zu: Das Erdsystem ist kein in sich stabiles Verhältnis, ebenso wenig wie die einzelnen Untersysteme in sich stabil sind. Stattdessen stehen sie in sich gegenseitig regulierenden Zusammenhängen, wodurch ein sogenanntes Fließgleichgewicht besteht. Dies bedeutet, dass externe Zuflüsse von Energie oder Materie von den Elementen des jeweiligen Systems zu einem gewissen Grad aufgefangen und mittels negativer Rückkopplung, der Abgabe des Überschusses, ausgeglichen werden können3. Von positiver Rückkoppelung wird hingegen gesprochen, wenn der Zufluss nicht ausgeglichen werden kann, sondern die erhöhte Zufuhr weitere Zufuhr auf sich erhöhender Stufenleiter bedingt. Reicht dabei die Potenz des Ökosystems, also seine Fähigkeit zum Ausgleich dieser Einflüsse, nicht mehr aus, hat dies den Zusammenbruch des Fließgleichgewichts und damit des ganzen Systems zur Folge (Karathanassis 2015: 26–31). Diese abstrakten Prinzipien gelten im erdsystemischen Ansatz, wie im folgenden noch verdeutlicht werden soll, sowohl für das einzelne Ökosystem als auch für das Gesamtsystem der Erde. Festzuhalten ist, dass positive Rückkoppelungen das entscheidende Kriterium für die Instabilität eines Systems sind. Ebenso sind sie Teil der natürlichen Prozesse von Ökosystemen und dem Erdsystem als Solchem und nicht notwendig auf anthropogene Ursachen zurückzuführen. Gleichzeitig stellen anthropogene Eingriffe jeder Art, sowohl in der Form von Entnahme als auch der Abgabe von Stoffen (in der Form von Abfall und Schadstoffen), Eingriffe in den Stoffwechsel dieser Systeme dar, die, wenn unausgeglichen, ein Zusammenbrechen des Fließgleichgewichts zur Folge haben können (Karathanassis 2015: 56). Ein weiteres wichtiges Merkmal des Erdsystems ist, dass dieses kein vollständig offenes System ist. Während bei den meisten Ökosystemen sowohl Materie als auch Energie von außen zugeführt werden, ist die vorhandene Materie des Erdsystems, in Anbetracht ihrer jeweiligen Regenerationsfähigkeit, endlich (Vgl. Karathanassis 2015: 31ff.). Dies hat ökonomische und damit gesellschaftliche Relevanz, da die von der Sonne gelieferte externe Energie ein 'Budget' definiert, das vor Allem durch die Nutzung gespeicherter Sonnenenergie in Form fossiler Rohstoffe überwunden wird4. Wie die sogenannten 'peak'-Szenarien5 aber verdeutlichen, ist die Erschöpfung dieser Rohstoffe eine reale Gefahr. So wird etwa das bekannte Szenario des 'peak oil' nach aktuellen Schätzungen auf den Zeitraum zwischen 2009, ist also möglicherweise bereits erfolgt, und 2035 datiert, wobei die Nachfrage nach Öl weiterhin steigt (Steffen et al 2011a: 854). Dies hat auch einen Anstieg von Fördermethoden zur Folge, die zuvor als unwirtschaftlich angesehen wurde, obwohl das Verhältnis zwischen gewonnener und für die Förderung aufgewandter Energie immer negativer wird (Karathanassis 2015: 70)6.

Als wesentliches Herausstellungsmerkmal der Erdsystemwissenschaft lässt sich an dieser Stelle einführen, dass sozial-ökonomische Prozesse und ihre anthropogenen Einflüsse nicht mehr als externe Einwirkungen auf ein bestehendes Natursystem verstanden werden, sondern als integrale Teilprozesse der Gesamtheit des Erdsystems:

„Human beings, their societies and activities are an integral component of the Earth System, and are not an outside force perturbing an otherwise natural system. There are many modes of natural variability and instabilities within the System as well as an anthropogenically driven changes. By definition, both types of variability are part of the dynamics of the Earth System. They are often impossible to separate completely and they interact in complex and sometimes mutually reinforcing ways.“ (Oldfield & Steffen 2004: 7)

Auf dieser Grundlage eines erdsystemischen Verständnisses konnte der moderne Begriff des Anthropozän erst entwickelt werden, um die Rolle menschlicher Einflüsse auf das Erdsystem zum Ausdruck zu bringen (Hamilton & Grinevald 2015). Am Beispiel des sg. 'Ozonloch' lässt sich erdsystemisch betrachtet darstellen, wie ein sozial-ökonomischer Prozess – weltweiter Verkauf und Nutzung von FCKW-Gasen – Einfluss auf einen ökologischen Prozess nimmt – Erosion der schützenden Ozonschicht – und dabei nicht lokal begrenzt bleibt, sondern unmittelbar Auswirkungen auf planetarem Niveau hat (Vgl. Karathanassis 2015: 84ff. & Angus 2016: 78ff.).

1.3. Naturwissenschaftliche Sicht auf das Anthropozän

Nun handelt es sich bei dem Ozonloch nur um ein einzelnes Beispiel und könnte für sich alleine keinen neuen Epochenbegriff rechtfertigen. Für die Klärung der 'epochemachenden' Relevanz weiterer menschlicher Einflüsse sind zwei weitere Begriffe der Erdsystemwissenschaft von Bedeutung, die sg. tipping points sowie planetary boundaries. Erstere beschreiben das Moment fortgesetztem Einwirken das Überschreiten bestimmter Schwellenwerte und damit einen qualitativen Umschlag erdsystemischer Bedingungen, der sowohl abrupt als auch allmählich erfolgen kann, in jedem Fall aber irreversibel ist (Angus 2016, 63–66). Als planetary boundaries wurden neun ökologische Prozesse als Grenzen definiert, innerhalb derer noch von dem Erhalt der Bedingungen des Holozän ausgegangen werden kann (Rockström et al 2009a & 2009b)7. Diese Grenzen sind nicht als isoliert voneinander zu verstehen, sondern das Überschreiten einer Grenze hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Toleranzzonen einer anderen (Rockström 2009a: 474). Dass die Überschreitung dieser Grenzen einerseits das Verlassen der klimatischen Bedingungen des Holozän bedeuten würde und dieser Umschwung andererseits durch anthropogene Einflüsse bedingt ist, spricht für die Verfechter des Anthropozän für eine Neubenennung der gegenwärtigen Epoche, die als solche einen „anthropogenen Bruch8 “ in der Geschichte des Planeten darstellt (Hamilton & Grinevald, 2015). Kritiker wenden dagegen ein, wiewohl der anthropogene Einfluss unbestreitbar ist, die stratigraphischen Kriterien für eine neue erdgeschichtliche Einheit, insbesondere in Form einer globalen Signatur9, trotz dessen nicht erfüllt sind (Hoffmann 2017).

Ebenso ist die genaue Datierung des Beginns dieser Epoche noch Streitgegenstand, wobei zwischen den Befürwortern eines „frühen“ und eines „kürzlichen“10 Anthropozän unterschieden werden kann. Erstere bieten mehrere Zeitpunkte der menschlichen Einwirkung auf den Planeten als Startpunkte des Anthropozän an: Der früheste Vorschlag ist dabei die „neolithische Revolution“ vor etwa 10-8000 Jahren, die den Beginn längerfristiger Agrikultur darstellt und durch die erhöhte Produktion von Kohlenstoffdioxid und Methan eine neue Eiszeit verhindert habe und insofern von anthropogener Relevanz sein soll (Ruddiman 2013). Für Steffen et al. ist diese Hypothese wissenschaftlich wenig plausibel (Steffen et al. 2011a: 847) und Angus (2016) argumentiert weiterhin, dass alle Vorschläge einer frühen Datierung, etwa auch auf die Entdeckung Amerikas ab 1610 (Lewis & Maslin 2015), das zentrale Kriterium für die Qualifikation einer neuen Epoche nicht erfüllen, da sie für sich genommen zwar qualitative Veränderungen des Naturverhältnisses, aber keinen „epochemachenden“ Bruch mit der Holozän darstellen (Angus 2016: 53). Hamilton und Grinevald wenden sich ebenfalls gegen eine frühe Datierung, da diese das Anthropozän zu einer graduellen Wandlung umdeuten und so ihre „Plötzlichkeit, Schwere, Dauer und Unumkehrbarkeit“11 missdeuten würde.

Stattdessen deuten die Befürworter eines 'kürzlichen' Anthropozän auf die besondere Entwicklung erdsystemisch relevanter Indikatoren12 durch menschlichen Einfluss ab 1950, die in der Geschichte bis dato ohne Vergleich sind und sich auf den entsprechenden Graphen, die den Zeitraum zwischen 1750 und 2010 abdecken, mehrfach als „Hockey-Schläger“-Anstieg ausdrücken und die von Rockström et al. definierten Grenzen verlassen (Steffen et al. 2015a). Ein weiteres wichtiges Argument für eine Datierung ab Mitte des 20. Jahrhunderts sind sogenannte 'technofossils', d.h. Ablagerungen moderner künstlicher Stoffe als Mineralien und Steine in Sedimentschichten (Waters et al. 2016). Aufgrund des rapiden Anstiegs der Indikatoren ab der Mitte des 20. Jahrhunderts wird auch von einer 'großen Beschleunigung' (Steffen et al 2011b) gesprochen, die die vorhergehenden anthropogenen Einflüsse weitestgehend in den Schatten stellt:

„In little over two generations – or a single lifetime – humanity (or until very recently a small fraction of it) has become a planetary-scale geological force. Hitherto human activities were insignificant compared with the biophysical Earth System, and the two could operate independently. However, it is now impossible to view one as a separate from another […] We are now living in a no-analogue world.“. (Steffen et al. 2015a: 94)

Soweit sind, in aller notwendigen Abstraktheit und Vereinfachung, die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Anthropozän dargestellt. Angus betont, dass die klimawissenschaftliche Debatte mehr als nur ein Streit um einen „Trendbegriff“ ist: „[...]formally approving the Anthropocene is not like applying a faddish label to a current trend[...]“ (Angus 2016: 49). Der Dreh- und Angelpunkt ist, ob der menschliche Einfluss auf das Ökosystem von derartiger Qualität ist, dass er eine stratigraphisch nachweisbare Änderung in der Klimaepoche bedeutet und daher einen neuen Epochenbegriff benötigt: Dass dieser Einfluss in erheblichem Maße besteht, ist nicht Gegenstand des Streits. Aber auch wenn die offizielle Anerkennung durch die Internationale Kommission für Stratigraphie noch nicht erfolgt ist, zeugt für ihre Fürsprecher bereits der Umstand, dass diese Anerkennung in Erwägung gezogen wird, von der Gewichtigkeit der naturwissenschaftlichen Argumente für eine neue Epoche. Ungeachtet dessen, verweist der Begriff des Anthropozän auf die besondere gesellschaftliche Bedeutung der modernen Entwicklungen von Klima und Erdsystem. So erkennen seine Kritiker an, dass auch wenn der Begriff des Anthropozän stratigraphisch „nichts taugt“ er doch „gesellschaftspolitisch relevant“ sei (Hoffmann 2017: 4). Der Begriff des Anthropozän reduziert sich also nicht auf eine zeitlich-naturwissenschaftliche Ebene sondern ist auf einer sozial-ökologischen Verbindungslinie untrennbar mit gesellschaftlichen Aspekten verknüpft13. Demnach ist der Begriff auch für eine sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung fruchtbar, sofern der noch offene naturwissenschaftliche Streit nicht ignoriert wird. Zusammenfassend kann an dieser Stelle das 'Anthropozän' als eine globale Veränderung der erd-systemischen Bedingungen durch eine eine Koppelung ökologischer und sozio-ökonomischer Prozesse verstanden werden, deren historischer Fixpunkt die 'große Beschleunigung' darstellt.

2. Gesellschaft im Anthropozän – Anthropozän als Diskurs

2.1. Sozialwissenschaftliche Annäherung

Soweit nun die naturwissenschaftliche Seite des Anthropozän erläutert wurde, stellt sich nun die Frage nach seiner sozialwissenschaftlichen Erfassung. Wie Angus betont, lässt sich das Anthropozän nur als sozio-ökologisches Phänomen verstehen, das für eine maßgebliche qualitative Veränderung in der Beziehung zwischen menschlicher Gesellschaft und der umgebenden Umwelt steht (Angus 2016: 109). Das heißt, ohne einen Begriff sozialer Prozesse, sowohl im Einfluss auf das Anthropozän als auch in Reaktion auf sie, kann es nicht vollständig erfasst werden. Erste Überlegungen dazu werden bereits von Steffen et al. angestellt, indem sie den erdsystemischen Indikatoren der 'großen Beschleunigung' sozio-ökonomische Entwicklungen14 im gleichen Zeitraum gegenüber stellen (Steffen et al. 2015a: 84). Diesen Graphen ist ebenfalls ein rapider Anstieg ab 1950 zu entnehmen, den Steffen et al. auf die Durchsetzung globaler sozio-ökonomischer Systeme wie einem internationalem Kreditmarkt oder weltweiter Vernetzung zurückführen (Steffen et al. 2011b: 740–741, Steffen et al. 2015: 93–94). In Reflexion auf Kritik an den ursprünglichen Graphen von 2004, die die menschliche Bevölkerung weltweit als singuläre Einheit behandelten, wurden in der Überarbeitung 2015 des Weiteren bevölkerungsmäßige Unterschiede gesondert gewürdigt, getrennt nach OECD15 - und BRICS16 -Staaten, sowie sich entwickelnden Ländern (Steffen et al. 2015: 86). In der Auswertung wird betont, dass sowohl die Vorzüge der 'großen Beschleunigung' als auch Ursache und Wirkung anthropogener Einflüsse nicht gleichmäßig über den Globus verteilt sind: Während sich 74% des BIPs auf die OECD-Staaten, und damit 18% der Weltbevölkerung, konzentriert, sind diese für 80% der weltweiten Emissionen seit 1751 sind verantwortlich. Die Bewohner der BRICS- und sich entwickelnder Staaten sind stattdessen vor Allem von den negativen Folgen eines sich verändernden Erdsystems besonders betroffen (Steffen et al, 2011b: 746, Steffen et al, 2015: 91). Dazu bemerkt Angus (2016) kritisch, dass diese Differenzierung zwar bereits einen notwendigen Schritt darstelle, aber immer noch eine zu allgemeine Darstellung der das Anthropozän durchziehenden Ungleichheiten darstelle (Angus 2016: 47). Er argumentiert stattdessen für eine Erfassung des Anthropozän durch einen Fokus auf die primären ökonomischen Bedingungen der modernen Gesellschaft (Angus 2016: 110). Bevor dieser theoretische Pfad aber im Detail gewürdigt wird, ist es sinnvoll zunächst eine allgemeinere Konzeptionalisierung des Anthropozän durch die Betrachtung ökologisch relevanter Diskurse vorzunehmen.

2.1. environmental discourses als Mittel der Konzeptionalisierung des Antrhopozän

Auch wenn diese Arbeit sich keiner diskursanalystischen Methode bedient, eignen sich die von Paul Dryzek (2013) entwickelten environmental discourses 17 sehr gut, um einen allgemeinen Begriff über die Art und Weise wie ‚Umwelt‘ in der modernen Gesellschaft verhandelt wird zu gewinnen. Unter 'Diskurs' ist der gedankliche Rahmen verstehen, innerhalb dessen sich Akteure, seien sie Individuen oder Institutionen, auf die vorliegenden, in diesem Fall ökologischen, Probleme beziehen. Gleichzeitig stecken die gesellschaftlich dominanten Diskurse die Rahmenbedingungen für die Auseinandersetzung mit diesen Themen ab, was zumeist durch soziale, politische oder ökonomische Machtstrukturen bedingt ist (McNeill 2013: 217)18. Für Dryzek sind Diskurse primär schematische Darstellungen, die in der Realität so eindeutig nicht vorzufinden sind. Vielmehr sind sie als Mittel zu verstehen, sich die Stoßrichtung bestimmter gesellschaftlicher Bewegungen zu vergegenwärtigen. In Abgrenzung zu Foucault betont Dryzek, dass er eine „schwächere“ Auffassung von Diskursen hat, insofern diese nicht allumfassend die Handlungen von Individuen bestimmen. Zwar können einzelne Diskurse dominieren, schließen dadurch aber nicht die Möglichkeit paralleler alternativer Diskurse und offener Konflikte aus (Dryzek 2013: 22). Gemäß dieser Definition finden environmental discourses nicht bloß ‚im‘ Anthropozän (als erdgeschichtliche Epoche) statt, sondern das Anthropozän (als sozial-ökologische Verknüpfung) ist selbst diskursives Produkt miteinander konkurrierender oder sich wechselseitig ergänzender Diskurse.

2.2 Prometheanischer Diskurs: Natur als störende Einschränkung

Der erste diesbezüglich relevante Diskurs wird von Dryzek als „promethean“ bezeichnet (Dryzek 2013: 52–72). Namentlich angelehnt an die Figur des Prometheus aus der griechischen Mythologie, der den Menschen das Feuer bringt und sie dadurch von ihrer Abhängigkeit von den Göttern emanzipiert, ist dieser Diskurs von einem absoluten Optimismus bezüglich menschlicher Leistungsfähigkeit und technologischer Möglichkeiten dominiert. Ökologische Grenzen werden hierin entweder abgestritten oder als künstlich-soziale definiert, die es mittels neuer Technologie zu überwinden gilt. Eine prinzipielle Endlichkeit von Rohstoffen wird nicht anerkannt, da jeder Mangel die Suche nach neuen Quellen oder Alternativen bedingt und somit jede quantitative Begrenzung fortwährend überwunden würde. Natur ist radikal externalisiert: Umwelt ist 'äußeres', vom Menschen getrenntes, dass es es in erster Linie zu organisieren, zu kontrollieren und als Schranke zu überwinden gilt (Vgl. Moore 2014). Dryzek ordnet diesen Diskurs einem klassischen kapitalistischem Verständnis von Gesellschaft zu, in dem die moderne Vergesellschaftung eine Entsprechung des natürlichen Menschencharakter darstellt, der in erster Linie als auf den Eigenvorteil bedachter homo econonmicus agiert. Klassische 'Prometheaner' wie der Wirtschaftswissenschaftlicher Julian Simon sind daher auch Verfechter markt-orientierter Lösungen für ökologische Fragen, während moderne 'Prometheaner' sich verstärkt für staatliche Regelungen aussprechen. Ein prometheanisches Naturverständnis ist einem erdsystemwissenschaftlichen Begriff des Anthropozän inkompatibel, da dieser ein systemisches Verständnis von menschlicher Gesellschaft und Umwelt unterstellt. Der prometheanische Diskurs kennt dagegen nur das Primat menschlichen Fortschritts und das technokratische Management der Natur. Laut Dryzek gelangte der prometheantische Diskurse in den USA vor Allem unter der Präsidentschaft von Reagan und Bush zu besonderer gesellschaftlicher Relevanz, da hier klassische prometheanische Positionen die politischen Institutionen besetzten19. Für Dryzek stellt der sich im Kontext des Prometheanismus entwickelnde organisierte „Klima-Skeptizismus“ eine Form extremen Postmodernismus dar, dem es in erster Linie darum bestellt ist, einen prinzipiellen Zweifel an Wahrheit an sich zu hegen, als tatsächlich gegenüber einem Sachverhalt skeptisch zu sein: „There is no reason, no truth – only a fight between political positions[...]“ (Dryzek 2013: 69)20.

2.2. Limits & Survival Diskurs: Natur als zu respektierende Schranke

Dem prometheanischem fundamental entgegen steht ein Diskurs, den Dryzek als „limits & survival“ fasst (Dryzek 2013: 27–50). Anders als im prometheanischen Verständnis erscheinen Natur und Umweltbedingungen als absolute Deckelung menschlicher Entwicklung und nicht als Schranke, die es zu überwinden gilt. Konsequenterweise verweist Dryzek auch auf den Ökonom Thomas Malthus als 'Urheber' dieses Diskurses, der im 19. Jahrhundert dafür argumentierte, dass sich notwendig eine absolute Überbevölkerung ergeben muss. In der modernen Adaption taucht dieser Gedanke meist im Bezug auf den menschlichen Konsum beziehungsweise Bedürfnisse auf, dessen exponentielles Wachstum im Widerspruch zur endlichen Belastbarkeit der Umwelt stehe. In beiden Fällen wird die weltweite Bevölkerung in erster Linie als einheitliche Masse verstanden, deren ungezügelte Ausdehnung – sei es durch Zuwachs oder steigenden Konsum – eine Gefahr für den Fortbestand der Umwelt darstelle. Während der prometheanische Diskurs ein Lob des erfindungsreichen Individuums darstellt, das sich aus der Masse abhebt, stützt der limits & survival Diskurs sich primär auf die Notwendigkeit der Kontrolle der Masse durch Experten oder Regierungen. Ökonomie wird dagegen im weitesten Sinne nicht thematisiert, beziehungsweise erscheint sie nur als Verlängerung menschlichen Handelns. Zu Popularität außerhalb ökologischer Bewegungen gelangte dieser Diskurs vor Allem durch den Club of Rome, einem exklusivem Zusammenschluss von Experten aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft, und dessen Publikation The Limits to Growth (1972). Auch die moderne Erdsystemwissenschaft ordnet Dryzek diesem Diskurs zu, wobei er den Unterschied zwischen planetaren Grenzen als „Warnzonen“ und einem Postulat absoluter Limits anerkennt. Nichtsdestotrotz stünden die Grenzen des Erdsystems für ein ähnliches Bild wie die absoluten Maßstäbe zuvor, insbesondere unterstützt durch das von den tipping points gezeichnete Szenario. Die Figur des Anthropozän wird von Dryzek ebenfalls hier verortet, wobei es den grundlegenden Gedanken der Limits um die maßgebliche anthropogene Beeinflussung der inneren Bedingungen des Erdsystems ergänzt.

2.3. Diskurse ökologischer Nachhaltigkeit

Dies erscheint in Anbetracht der bereits erwähnten Ausführungen von Steffen et al diskussionswürdig. Die menschliche Gesellschaft wird hier nicht als eine amorphe Masse definiert, sondern es besteht ein Bewusstsein für die Verschiedenheit von Umwelteinflüssen in Umgang und Ursache (Steffen et al. 2015a). Planetare und ökologische Grenzen werden zwar als 'Warnung' verstanden, aber nicht derart absolut gesetzt, wie limits & survival es suggeriert. Die Möglichkeit des geo-engineering, d.h. die künstliche Beeinflussung ökologischer Systeme um deren Aufnahme- oder Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, wird offen diskutiert (Steffen et al 2011a: 858, Steffen et al 2011b: 752). Demnach scheint mir die aktuelle naturwissenschaftliche Debatte um das Anthropozän nicht eindeutig dem limits & survival Diskurs zugehörig. Als naheliegender erscheint es mir dagegen, sie an einer Schnittstelle zu weiteren von Dryzek beschriebenen Diskursen zu verordnen. Diese sind unter dem Überbegriff der Nachhaltigkeit zusammengefasst, wobei Dryzek hier zwischen einem Diskurs des „Green Growth“ (Dryzek 2013: 147ff.) sowie der „Ecological Modernization“21 (Dryzek 2013: 165ff.) unterscheidet. Innerhalb beider werden die Grenzen der Belastbarkeit von Umwelt zwar anerkannt aber nicht für unvereinbar mit einem prinzipiellem Fortgang menschlicher Entwicklung im Allgemeinen aber auch ökonomischen Wachstum im Konkretem erklärt. Besonderes Augenmerk liegt hier auf die bereits aufgeführte Potenz ökologischer Systeme, also deren Fähigkeit äußere Einflüsse bis zu einem gewissen Grad mittels negativer Rückkoppelung auszugleichen. Insofern wirtschaftliche Prozesse unter Augenmerk dieser Potenz stattfinden würden, wären sie als 'nachhaltig' zu qualifizieren. Die Nachhaltigkeits-Diskurse anerkennen ökologische Grenzen daher als 'dehnbar'. Bezüglich der Popularität dieser Diskurse bemerkt Dryzek, dass sie im Zuge des 21. Jahrhundert immer mehr Anerkennung außerhalb wissenschaftlich-ökologischer Zirkel findet, dort aber mal zu mal in den bestehenden Diskurs des Primats einer Markt-Ökonomie integriert wird. Es gilt der Imperativ, Nachhaltigkeit rentabel zu machen. Wachstum wird als nicht notwendig umweltschädlich verstanden, sondern es gilt, durch moderne Technologie und Ausnutzung von Markt-Mechanismen dessen positive Seiten (Fortschritt, Wohlstand etc.) von den negativen zu trennen und somit die Möglichkeit wirtschaftlichen Wachstums zu erhalten. Insofern stellen auch die Nachhaltigkeits-Diskurse keinen Bruch mit der gegenwärtigen sozial-ökonomischen Struktur dar, setzt sich aber anders als der prometheanische Diskurs daran, sie zu im Hinblick ökologischer Notwendigkeiten zu trans- oder refomieren. Der wesentliche Unterschied zwischen den unter dem Überbegriffs der Nachhaltigkeit ausgeführten Diskursen liegt darin, wie weitreichend diese Reformen angegangen werden sollen. Während bei 'Green Growth' der Gedanke eine graduelle Entwicklung durch Nutzung bestehender Markt-Mechanismen vorherrscht, dominiert in 'Ecological Modernization' der Anspruch einer bewussten Rekonfiguration sozial-ökonomischer Prozesse. Diese öko-modernistischen Prinzipien sind auch wiederzuerkennen in dem von Steffen et al dargestelltem Gesellschaftsmodel einer „planetary stewardship“ (Vgl. Steffen et al 2011b: 749 ff.) Das dort entworfene Gesellschaftsmodell ist sich einerseits der planetaren Grenzen beziehungsweise der erdsystemischen Notwendigkeiten bewusst, gleichzeitig bleiben die grundlegenden ökonomischen Prozesse unkommentiert. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass diese sich gemäß der dargestellten Richtlinien reformierbar sind.

[...]


1 Zitiert als MEW.

2 Vgl. Angus 2016: 231 zu etymologischen Details des Wortes 'Anthropozän'.

3 A. Karathanassis führt als Beispiel das Ökosystem Wiese auf: Bis zu einem gewissen Schwellenwert bedingt ein erhöhter Zufuhr an Wasser ein Steigen der Biomasse, wodurch die vermehrte Menge an Gras wieder einen Rückgang des Wassers bedingt (Karathanassis 2015: 27).

4 Vgl. IPCC 2014, Karathanassis 2014: 57ff. & Angus 2016: 89ff. bzgl. der ökologischen Folgen der Nutzung fossiler Brennstoffe, insbes. in Form eines Anstiegs der Erdtemperatur.

5 Diese markieren den Zeitpunkt, an dem die maximale Fördermenge einer endlichen Ressource überschritten wird und von dort aus nur noch ein Rückgang der Fördermenge möglich ist.

6 'Peak'-Szenarien sind auf alle ökonomisch genutzten Rohstoffe anwendbar: So wird beispielsweise davon ausgegangen, dass 'peak fish', d.h. die maximale Fördermenge von wildem Fisch, noch vor 'peak phosphor' und 'peak oil' droht (Steffen et al 2011a: 850).

7 In der aktuellsten Fassung fallen darunter neben dem bereits beschriebenem Verlust an stratosphärischem Ozon und dem fortschreitendem Klimawandel, Veränderung der Land-Struktur (Nutzung von Waldflächen für Agrarkultur), Veränderungen in der Integrität der Biosphäre (Artenvielfalt), die Stickstoff- und Phosphor-Kreisläufe der Verbrauch von Frischwasser, Versauerung der Meere, und Aerosol Konzentration in der Atmosphäre (Vgl. Steffen et al. 2015b), wovon sich die ersten vier bereits in den kritischen Zonen befinden (Angus 2016: 76).

8 "The Anthropozän is a new anthropogenic rift in the natural history of planet Earth rather than the further development of an anthropocentric biosphere" (Hamilton & Grinevald 2015: 67)

9 "Die Richtlinien der Stratigrafie verlangen eine globale Signatur in Form von klaren biotischen, sedimentären, geochemischen oder magnetostratigrafischen Indikatoren" (Hoffmann 2017: 4).

10 "[...] the starting dates under serious consideration fall into two broad groups that can be labelled Early and Recent, depending on whether the proposed starting date is in the distant past, or relatively close to the present." (Angus 2016, 52, Hervorhebung i.O.)

11 "This [eine frühere Datierung des Anthropozän] misconstrues the suddenness, severity, duration and irreversibility of the Anthropozän[...]" (Hamilton & Grinevald 2015: 66–67)

12 "[...] atmospheric composition, strastopheric ozone, the climate system, the water and nitrogen cycles, marine ecosystems, land systems, tropical forests and terrestrial biosphere degradation. Other good candidates could be found [...] but our aim is to show general, long-term trends at a broad systemic level." (Steffen et al. 2015a: 83)

13 "Our future has become entangled with that of the Earth's geological evolution." (Hamilton 2014: 5)

14 Population, Real GDP, Foreign direct investment, Urban population, Primary energy use, Fertilizer consumption, Large dams, Water use, Paper production, Transportation, Telecommunication, International Tourism (Steffen et al. 2015a: 84)

15 Die Organisation for Economic Co-operation and Development umfasst 35 Mitgliedsländer, vor Allem aus Europa und Nord-Amerika.

16 Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, die alle keine Mitglieder der OECD sind.

17 Ich benutze im Folgenden die englische Formulierung, da sich 'environmental' sowohl mit "ökologisch" als auch "umweltpolitisch" übersetzen lässt, aber keine der beiden Übersetzungen in diesem Kontext eindeutig der anderen vorzuziehen ist.

18 Wie McNeill salopp bemerkt: "you know a discourse when it hits you". (ebd.)

19 Auch eine Betrachtung der aktuellen US-Regierung unter Donald Trump zeigt Parallelen zu einem prometheanischen Diskurs. So wurde die Environmental Protection Agency mit dem 'Klima-Skeptiker' Scott Pruit besetzt (Halper 2017), Klimaschutzgesetze der Obama-Era zu Gunsten ökonomischer Interessen rückgängig gemacht (Eilperin & Mufson 2017) und der Favorit für die Rolle des wissenschaftlichen Beraters ist ein entschiedener Kritiker der Klimaforschung (Devlin 2017).

20 Analog hierzu entwickelt Latour (2015), wie organisierte Klimakritiker wissenschaftliches Vokabular als 'Waffen' in einem politischem Diskurs handhaben.

21 Dieser Diskurs ist weiter gefasst als die ökomodernistische Stoßrichtung in der Sozialwissenschaften, auch wenn diese hier verortet werden können. Diese werden in Abschnitt 3.2. noch ein mal explizit thematisiert.

Fin de l'extrait de 54 pages

Résumé des informations

Titre
Marxistisches Framework des Anthropozän. Ansätze zur Erfassung und Erklärung
Sous-titre
Mit uns die Sintflut?
Université
University of Hamburg
Note
1,3
Auteur
Année
2017
Pages
54
N° de catalogue
V900943
ISBN (ebook)
9783346210630
ISBN (Livre)
9783346210647
Langue
allemand
Mots clés
Anthropozän, Umweltsoziologie, Marxismus, Klimawandel, Erdsystemwissenschaft
Citation du texte
Markus Bassermann (Auteur), 2017, Marxistisches Framework des Anthropozän. Ansätze zur Erfassung und Erklärung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/900943

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