Pädagogisches Eingreifen in deviantes Handeln von Jugendlichen gehört schon lange in den Aufgabenbereich der sozialen Arbeit. Die Diskussion bezüglich der Gewaltbereitschaft von Jugendlichen wurde Mitte der 80er Jahre zunächst auf einer politologischen und soziologischen Basis geführt. Seit Anfang der 90er Jahre rückte das Thema „Jugend und Gewalt“, vorwiegend aufgrund von Übergriffen rechtsorientierter Jugendlicher, verstärkt in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Daraufhin breitete sich die Diskussion um Ursachen und möglichen Umgang mit jugendlicher Gewalt explosionsartig in den Bereichen der Sozialpädagogik und der Pädagogik aus (vgl. Stickelmann 1996, S. 22).
Seither ist, sicher nicht zuletzt durch die umfassende und zum Teil skandalisierende Berichterstattung der Medien, der Eindruck erweckt worden, dass ein sowohl qualitativer, als auch quantitativer Anstieg von Jugendgewalt zu verzeichnen sei. Es wird in diesem Zusammenhang von einer „Verrohung“ der Jugend gesprochen und von unterschiedlichsten Seiten auf eine Lösung für dieses Problem gedrungen (vgl. Cladder-Micus/Kohaus 1996, S. 101). Zu Entstehung und Ursprung von Jugendgewalt wurden verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt und in Fachkreisen diverse Denkansätze und Lösungsvorschläge diskutiert.
Unser Interesse an dem oben genannten Thema entspringt der immer wieder aktuellen Diskussion über „gewalttätige Jugendliche“, die beispielsweise durch Erpressungen in der Schule, Zerstörung öffentlichen Eigentums oder rechtsgesinnte Angriffe auf ausländische Mitbürger auffallen. In diesem Zusammenhang wird bisweilen der Ruf nach einer Kinder- und Jugendarbeit laut, die sich um „diese“ Jugendlichen und deren Eingliederung in die gesellschaftlichen Normen kümmern soll und muss. Die Fragestellung, der wir in unserer Arbeit nachgehen, ergibt sich aus diesem Ruf nach Disziplinierung der Jugendlichen. Wir fragen nach den Möglichkeiten der Kinder- und Jugendarbeit im Umgang mit gewaltbereiten Jugendlichen und möchten herausfinden, wie diese sich dabei im Spannungsfeld von sozialer Disziplinierung und ihrem Anspruch, sich an den Bedürfnissen und Interessen der Kinder und Jugendlichen zu orientieren, positioniert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kinder und Jugendarbeit – eine Begriffserklärung
2.1 Rechtliche Grundlagen
2.2. Aufgaben und Ziele von Jugendarbeit
3. Was heißt eigentlich „Jugend“? – die Jugendphase gestern und heute
3.1 Definitionen der Jugendphase
3.1.1 Altersorientierte Definition
3.1.2 Traditionelle Definition
3.1.3 Entwicklungspsychologische Definition
3.2 Aufgaben und Strukturmerkmale der Jugendphase
4. Wandel der Jugendphase und gesellschaftliche Hintergründe
4.1 Veränderungen im Bildungswesen
4.2 Veränderungen in der Freizeit
4.3 Veränderungen in der Familie
4.4 Veränderungen in der Arbeitsgesellschaft
4.5 Herausforderungen für die Jugendlichen
5. Gewalterfahrungen als Sozialisationsfaktoren
5.1 Verschiedene Formen von Gewalt
5.2 Gewalterfahrungen in Sozialisationsinstanzen
6. Theorien zur Entstehung von Gewaltbereitschaft nach W. Heitmeyer und F.J. Krafeld
6.1 Die Anomie- Theorie nach Wilhelm Heitmeyer
6.2 Der Erklärungsansatz zur Entstehung von Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen nach Franz Josef Krafeld
6.3 Gegenüberstellung der beiden Ansätze
7. Möglichkeiten der Jugendarbeit im Umgang mit gewaltbereiten Jugendlichen
7.1. Akzeptierende Jugendarbeit
7.1.1. Definition von akzeptierender Jugendarbeit
7.1.2 Ziele pädagogischen Handelns
7.1.3 Zielgruppe von akzeptierender Pädagogik
7.1.4 Handlungsansätze der akzeptierender Jugendarbeit
7.1.5 Methoden der akzeptierenden Jugendarbeit
7.1.6 Grenzsetzung in der akzeptierenden Jugendarbeit
7.1.7 Perspektive
7.2. Konfrontative Pädagogik
7.2.1 Definition von konfrontativer Pädagogik
7.2.2 Arbeitsweisen in der konfrontativen Pädagogik
7.2.3 Zum Erziehungsstil konfrontativer Pädagogik
7.2.4 Ziele pädagogischen Handelns
7.2.5 Zielgruppe der konfrontativen Pädagogik
7.2.6 Methoden der konfrontativen Pädagogik
7.2.7 Perspektive
8. Gegenüberstellung von akzeptierender Jugendarbeit und konfrontativer Jugendarbeit
8.1 Kritik an akzeptierender Jugendarbeit
8.2. Kritik an konfrontativer Jugendarbeit
9. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Pädagogisches Eingreifen in deviantes Handeln von Jugendlichen gehört schon lange in den Aufgabenbereich der sozialen Arbeit. Die Diskussion bezüglich der Gewaltbereitschaft von Jugendlichen wurde Mitte der 80er Jahre zunächst auf einer politologischen und soziologischen Basis geführt. Seit Anfang der 90er Jahre rückte das Thema „Jugend und Gewalt“, vorwiegend aufgrund von Übergriffen rechtsorientierter Jugendlicher, verstärkt in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Daraufhin breitete sich die Diskussion um Ursachen und möglichen Umgang mit jugendlicher Gewalt explosionsartig in den Bereichen der Sozialpädagogik und der Pädagogik aus (vgl. Stickelmann 1996, S. 22).
Seither ist, sicher nicht zuletzt durch die umfassende und zum Teil skandalisierende Berichterstattung der Medien, der Eindruck erweckt worden, dass ein sowohl qualitativer, als auch quantitativer Anstieg von Jugendgewalt zu verzeichnen sei. Es wird in diesem Zusammenhang von einer „Verrohung“ der Jugend gesprochen und von unterschiedlichsten Seiten auf eine Lösung für dieses Problem gedrungen (vgl. Cladder-Micus/Kohaus 1996, S. 101). Zu Entstehung und Ursprung von Jugendgewalt wurden verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt und in Fachkreisen diverse Denkansätze und Lösungsvorschläge diskutiert.
Unser Interesse an dem oben genannten Thema entspringt der immer wieder aktuellen Diskussion über „gewalttätige Jugendliche“, die beispielsweise durch Erpressungen in der Schule, Zerstörung öffentlichen Eigentums oder rechtsgesinnte Angriffe auf ausländische Mitbürger auffallen. In diesem Zusammenhang wird bisweilen der Ruf nach einer Kinder- und Jugendarbeit laut, die sich um „diese“ Jugendlichen und deren Eingliederung in die gesellschaftlichen Normen kümmern soll und muss. Die Fragestellung, der wir in unserer Arbeit nachgehen, ergibt sich aus diesem Ruf nach Disziplinierung der Jugendlichen. Wir fragen nach den Möglichkeiten der Kinder- und Jugendarbeit im Umgang mit gewaltbereiten Jugendlichen und möchten herausfinden, wie diese sich dabei im Spannungsfeld von sozialer Disziplinierung und ihrem Anspruch, sich an den Bedürfnissen und Interessen der Kinder und Jugendlichen zu orientieren, positioniert.
Um uns der Beantwortung dieser Frage zu nähern, beschreiben wir zunächst in Kapitel 2 die inhaltlichen und gesetzlichen Grundlagen der Kinder- und Jugendarbeit. Wir beschäftigen uns dann mit der Frage wer „die“ Jugendlichen sind, in dem wir uns ansehen, was die Jugendphase für einen Menschen bedeutet und wie diese sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Um uns dem schwer zu definierenden Begriff der Jugendgewalt anzunähern, gehen wir in Kapitel 5 auf verschiedene Formen von Gewalt ein, um dann zu beschreiben, wie Jugendliche mit diesen in Kontakt kommen. Durch die darauf folgende Darstellung zweier Erklärungsansätze zur Gewaltbereitschaft von Jugendlichen (nach Heitmeyer und Krafeld) versuchen wir einen Einblick in die Entstehungsbedingungen von Jugendgewalt zu gewinnen. In dem wir schließlich die oben genannten Ansätze einander gegenüberstellen, erhoffen wir uns Ausblicke auf die mögliche Bandbreite einer Beurteilung von Jugendgewalt.
In Kapitel 7 beschäftigen wir uns mit den sozialpädagogischen Antworten der Kinder- und Jugendarbeit auf die dargestellte Problematik, indem wir zwei unterschiedliche Konzepte für den Umgang mit gewaltbereiten Jugendlichen erläutern. Anschließend stellen wir die akzeptierende Jugendarbeit der konfrontative Pädagogik gegenüber, um Gemeinsamkeiten und Differenzen heraus zu arbeiten. Kapitel 9 ist der Schlussbetrachtung gewidmet, in der wir die gewonnen Erkenntnisse zur Beantwortung unserer Frage zusammenzufügen um eine Einschätzung der vorgefundenen Möglichkeiten abgeben zu können. Dazu fragen wir nach den Ansprüchen der Kinder- und Jugendarbeit im Umgang mit ihrem Klientel und stellen diese den vorher beschriebenen Konzepten gegenüber.
2. Kinder und Jugendarbeit – eine Begriffserklärung
Die Kinder und Jugendarbeit ist ein Handlungsfeld der Jugendhilfe.
1972 gab es vier Erklärungsversuche zu Jugendarbeit von Giesecke, Müller, Mollenhauer und Kentler. Müller (1972) definiert Jugendarbeit als Teil einer allgemeinen gesellschaftlichen Erziehung, welche durch eine institutionelle Offenheit und Freiwilligkeit geprägt ist (vgl. Müller 1972, S.35 f.). Für Kentler (1972) bedeutet Jugendarbeit „Bildung in Freiheit zur Freiheit“ (Kentler 1972, S. 49). Sie soll die jungen Menschen im Alltag begleiten und die Kritikfähigkeit der jungen Erwachsenen schulen. Er versteht Jugendarbeit als engagierte, kritische Institution der Aufklärung (vgl. Kentler 1972, S. 49 f.). Giesecke beschrieb Kinder- und Jugendarbeit 1972 als „pädagogische Provinz“ (Giesecke 1972, S. 144), denn sie bietet dem Jugendlichen einen gewissen Schonraum zum Experimentieren (vgl. Giesecke 1972, S. 144 f.). Mollenhauer (1972) betont, dass in der Jugendarbeit soziale Beweglichkeit der Institutionen, getragen von Herrschaftsarmut, vorhanden sein muss. Den Jugendlichen soll Kritikfähigkeit vermittelt werden, um dadurch ihre Demokratiefähigkeit zu verbessern (vgl. Mollenhauer 1972, S. 91 f.).
Bei den vier Theorien zur Jugendarbeit finden sich Überschneidungen. Freiwilligkeit und Offenheit sind bei allen als die Grundlagen von Kinder und Jugendarbeit beschrieben. Jeder der Autoren benennt außerdem den Anspruch der Kinder- und Jugendarbeit, die jungen Menschen in ihrer Entwicklung zu selbstbestimmten Individuen zu unterstützen und ihre demokratischen Sichtweisen zu fördern.
Auch für Sturzenhecker (2000) stehen in der Kinder- und Jugendarbeit die Stärken von Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt. Jugendarbeit greift Risiken im Leben der jungen Menschen auf und mischt sich in deren abweichendes Verhalten ein. Jugendarbeit will Kindern und Jugendlichen ermöglichen, eigene Erfahrungen zu machen und unterstützt sie dabei, die eigenen Stärken zu entdecken und sich durchzusetzen (vgl. Sturzenhecker 2000, S. 14 ff.).
Die Kinder und Jugendarbeit beruht auf der freiwilligen Beteiligung und dem Engagement von Kindern und Jugendlichen und ihr Arbeitsfeld ist außerhalb von Schule und Arbeit verortet (vgl. Thole 2000, S. 24). Sie ist gefordert, sich den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Gegebenheiten anzupassen und stellt zugleich einen öffentlichen Ort mit alternativen Angeboten und Erfahrungen dar (vgl. Fachlexikon S. 509). Kinder und Jugendarbeit wird von öffentlichen Trägern organisiert, d.h. von Kommunen und Kreisen, von staatlichen Institutionen oder von Wohlfahrtsverbänden, Initiativen und Jugendverbänden. Sie hat eigene soziale Orte, wie z.B. Jugendgruppen, Jugendzentren, Ferienreisen usw.( vgl. Fachlexikon S. 509; Thole 2000, S. 24).
Gestaltet werden die Angebote von Sozialpädagogen und von ehrenamtlichen Mitarbeitern, welche unentgeltlich arbeiten und in der Regel nicht sozialpädagogisch ausgebildet sind. In der Kinder und Jugendarbeit haben die Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit sich weiter zu bilden. Dies hat jedoch keinen schulischen Charakter, sondern ist eher in freizeit- und erholungsorientierte Angebote integriert. Mit Hilfe der Kinder und Jugendarbeit wird die soziale Integration der jungen Menschen gefördert und deren Kompetenzen werden gestärkt (vgl. Thole 2000, S. 24).
Dazu gehören:
- Selbständigkeit, Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl
- Aufbau eines Wertesystems
- Eigenverantwortlichkeit
- Kommunikationsfähigkeit
- Kooperationsfähigkeit
- Konfliktfähigkeit
- Einfühlungsvermögen
- Verantwortungsbewusstsein
Kinder und Jugendarbeit ist geprägt durch Freiwilligkeit, Partizipation, Flexibilität im Handeln, Herrschaftsarmut, Leistungsverzicht (vgl. Ev. Jugend Essen 1998, S. 6).
2.1 Rechtliche Grundlagen
Die rechtliche Grundlage der Kinder- und Jugendarbeit ist im SGB VIII verankert.
Nach § 1 SGB VIII ist das oberste Ziel der Jugendhilfe und damit auch der Jugendarbeit, die persönliche und soziale Entwicklung junger Menschen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu fördern. Der § 11 gibt der Kinder und Jugendarbeit den Status eines eigenständigen Leistungsbereiches innerhalb der Jugendhilfe.
Die Forderungen des § 11 KJHG an die Kinder- und Jugendarbeit sind folgende:
- Förderung gesellschaftlicher und politischer Partizipation der Kinder und Jugendlichen
- Anknüpfen an Interessen und Bedürfnissen junger Menschen
- Pluralität der Trägerstruktur
- Vielfalt in der Angebotsstruktur
Die Jugendarbeit hat ihre Schwerpunkte in außerschulischer (politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer) Bildung. Des weiteren in Sport und Geselligkeit, arbeitswelt-, schul-, und familienbezogenem Umfeld, internationaler Jugendarbeit, Kinder- und Jugenderholung und Jugendberatung (vgl. SGB VIII, § 11).
Die Jugendarbeit der freien Träger ist nach § 12 SGB VIII staatlich zu unterstützen (vgl. SGB VIII, § 12).
2.2. Aufgaben und Ziele von Jugendarbeit
Die Angebote der Jugendarbeit bedeuten für die Jugendlichen ein Sozialisationsfeld, welches geprägt ist, durch Freiwilligkeit, Partizipation, Flexibilität im Handeln, Herrschaftsarmut und Leistungsverzicht. Die Jugendarbeit geht auf die Interessen und Bedürfnisse der jungen Erwachsenen ein und begleitet sie in ihren Lebenswelten und ihrem Alltag und kann so an der Schwelle zwischen Freizeit und Alltag unterstützend wirken (vgl. Kentler 1972, S.49 f.; Fachlexikon 2000, S. 509).
Den jungen Erwachsenen soll ein Schonraum gegeben werden, indem sie experimentieren können (vgl. Giesecke 1972, S. 144 f.).
Weiterhin, so betont Müller, hat die Jugendarbeit das Handlungspotential der Jugendlichen zu vergrößern, damit sie sich im gesellschaftlichen Leben engagieren können, mit dem Ziel, Sicherheit und Selbstbewusstsein zu entwickeln (vgl. Müller 1972, S. 35 f.). Sturzenhecker (2000) betont, dass die Jugendarbeit die Kinder und Jugendlichen als eigenständige Persönlichkeiten wahrnimmt und mit ihnen übt, ihre Selbstverantwortung zu stärken (vgl. Sturzenhecker 2000, S. 14 ff.).
Weiterhin, so Kentler (1972), soll Jugendarbeit den jungen Menschen im Denken anleiten und üben (vgl. Kentler 1972, S. 49 f.). Mollenhauer (1972) sieht das Ziel der Kinder- und Jugendarbeit darin, dass diese die Jugendlichen beim Erwachsen werden unterstützt, sie politisch bildet und zu einer kritischen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auffordert (vgl. Mollenhauer 1972, S. 91 f.).
Die Träger der Jugendarbeit müssen die Bedürfnisse der jungen Erwachsenen aufnehmen und daraus Angebote entwickeln, während sie die eigene Arbeit dabei immer wieder kritisch beobachten. Jugendarbeit wird aufgrund ihrer flexiblen Angebotsstrukturen immer wieder für die Bearbeitung sozialer Probleme beansprucht, die von aktuellen öffentlich- politischen Anliegen und Interessen beeinflusst sind. Wenn es z.B. um rechtsextreme Jugendliche, junge Ausländer, benachteiligte Gruppen geht, wird Jugendarbeit ein wichtiger Akteur, denn sie stellt oft die letzte Hoffnung dar, ausgeschlossene, bzw. abgedriftete Gruppen zu erreichen (vgl. Fachlexikon 2000, S. 509).
Die Grundlage der Jugendarbeit zur Erfüllung ihrer Aufgaben liegt in der Auseinandersetzung mit dem Thema Jugend und Jugendhase, worauf wir im folgenden Kapitel eingehen werden.
3. Was heißt eigentlich „Jugend“? – die Jugendphase gestern und heute
Betrachtet man die hohe Anzahl an Publikationen über die Jugend, so entdeckt man die unterschiedlichsten Beschreibungen dieser Gruppe von Menschen. Während die einen von einer werteabstinenten und lustbetonten Generation sprechen, diagnostizieren die anderen eine kritische, engagierte und pragmatische Haltung der Jugend von heute. Vielleicht mögen beide Aussagen ihre Berechtigung haben und sich nicht einmal widersprechen. Worauf sie jedoch in jedem Falle hinweisen, ist die Unmöglichkeit ein generelles Bild „des Jugendlichen“ zu zeichnen (vgl. Thole 2000, S. 183).
Will man nun die Lebensphase „Jugend” beschreiben, kann man dementsprechend nicht von der generellen Entwicklung einer homogenen Gruppe junger Menschen ausgehen. Jedoch ist es möglich die gesellschaftlichen Grundbedingungen von Jugenden in einem historischen Zeitraum darzustellen, welche diese besondere Lebensphase von der Kindheit und der Erwachsenenexistenz abgrenzen und sie spezifisch strukturieren (vgl. Scherr 1997, S. 91).
3.1 Definitionen der Jugendphase
Die Jugendphase wird sehr unterschiedlich definiert. So kann man sie zum Beispiel am Alter und der körperlichen Entwicklung der Betreffenden festmachen oder an dem Erreichen eines bestimmten gesellschaftlichen Status.
3.1.1 Altersorientierte Definition
Im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) § 7 wird zwischen „jungen Menschen“ (unter 27 Jahre alt), „Kindern“ (unter 14 Jahre alt), „Jugendlichen“ (zwischen 14 und unter 18 Jahre alt) und „jungen Volljährigen“ (zwischen 18 und unter 27 Jahre alt) unterschieden (vgl. SGB VIII §7).
Im Strafrecht gilt ein Mensch, der noch nicht 18 Jahre alt ist als jugendlich. Als strafmündig gelten laut Gesetzbuch Personen ab 14 Jahren. Junge Menschen zwischen 18 und 21 Jahren nennt man dort Heranwachsende (vgl. § 1, Abs.2 JGG).
3.1.2 Traditionelle Definition
Traditionell wird die Jugendphase als eine Übergangszeit, bzw. Statuspassage zwischen der Kindheit und dem Eintritt ins Erwachsenenalter betrachtet (vgl. Böhnisch/Münchmeier 1992, S. 48).
Sie wird als eine Zeit im Leben beschrieben, in welcher der Einzelnen noch nicht den Zwängen des Erwerbslebens unterliegt und sich dementsprechend noch in ökonomischer Abhängigkeit von dem Elternhaus befindet. Die Lebenswelt des Jugendlichen zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass er von legitimer Sexualität ausgeschlossen ist und über einen unterschiedlich langen Zeitraum mit Gleichaltrigen in ausserfamilialen Bildungseinrichtungen zusammentrifft (vgl. Scherr 1997, S. 87).
Beginn und Ende der Jugendphase ist nicht durch das Erreichen eines bestimmten Alters markiert, sondern ist vom Zeitpunkt des Erreichens einer gesellschaftlich vorgegebenen sozioökonomischen Situation, wie zum Beispiel der Heirat oder dem Eintritt ins Erwerbsleben, gekennzeichnet (vgl. Klawe 1996, S. 26).
3.1.3 Entwicklungspsychologische Definition
Entwicklungspsychologisch wird die Jugendphase als Adoleszenz bezeichnet, deren Beginn durch den Eintritt des Jugendlichen in die Pubertät bestimmt ist. Eine Verlängerung der Adoleszenz über das zweite Lebensjahrzehnt hinaus wird nach Bauer (1991) als Postadoleszenz bezeichnet (vgl. Bauer 1991, S. 12). Ferchhoff (1991) macht die Phase der Postadoleszenz nicht an einem bestimmten Alter fest. Er bezieht diesen Ausdruck auf Menschen, die in allen Lebensbereichen über die Handlungsmöglichkeiten von Erwachsenen verfügen, aber finanziell nicht eigenständig sind (vgl. Ferchhoff 1991, S. 18 f).
3.2 Aufgaben und Strukturmerkmale der Jugendphase
Als Aufgaben in dieser Lebensphase sieht Lothar Böhnisch (1992) die Ablösung von dem Elternhaus, die Suche nach Identität, das Ausprobieren sozialer Rollen und Normen, die Verarbeitung pubertärer Entwicklungen und den Einstieg ins Berufsleben (vgl. Böhnisch 1999, S. 21 f.).
Die Anforderungen, die sich aus den oben genannte Aufgaben für Jugendliche ergeben, bringen zeitweilige Desorientierungen, sowie Rollen- und Statusunsicherheiten mit sich. Aufgrund der dadurch entstehenden vielfältigen Problemlagen, bezeichnet Klawe (1996) diese Zeit im Lebenszyklus eines Menschen, als die wohl krisenhafteste (vgl. Klawe 1996, S.28).
Folgende Prozesse sind für das Erleben der Jugendphase charakteristisch:
- tiefgreifende psychologische und physiologische Veränderungen, die durch den Eintritt in die Pubertät ausgelöst werden.
- die Ablösung vom Elternhaus und die damit verbundene verstärkte Orientierung an außerfamiliären Sozialbeziehungen
- der Übergang in Ausbildung oder Berufstätigkeit
(vgl. Klawe 1996, S. 28 f.)
Die oben erwähnte Statusunsicherheit entspringt der Tatsache, dass ein Jugendlicher nicht mehr als Kind gilt, aber auch noch nicht als Erwachsener. Von ihm wird zwar, beispielsweise in der Schule, die Erbringung eigenständiger Leistungen verlangt, im Elternhaus kann er dennoch dem Kinderstatus gemäß behandelt werden, indem ihm etwa eigenständige Entscheidungen nicht zugebilligt werden. Rechte und Pflichten des Jugendlichen wechseln je nach Situation, in der er sich befindet und erschweren so eine Orientierung (Klawe 1996, S. 31 f.).
Ganz entscheidend geprägt wird die Jugendphase durch die schon weiter oben von Böhnisch (1999) genannte Ausbildung einer sozialen Identität. Dazu gehört, dass der junge Mensch seine Individualität entdeckt und sich als einzigartig erkennt und akzeptiert. Er entwickelt in dieser Zeit ein Selbstkonzept, welches dadurch geprägt ist, wie er sich selbst sieht, wie er von anderen gerne gesehen werden würde und wie er von diesen anderen tatsächlich gesehen wird. Das so entstandene Selbstkonzept leitet unter anderem das Verhalten des Jugendlichen in verschiedenen Lebenssituationen, bestimmt über den Grad seiner Bereitschaft sich von äußeren Einflüssen lenken zu lassen und entscheidet über seine psychische Stabilität ( vgl. Klawe 1996, S. 33).
Die Ausbildung der sozialen Identität bringt das Erlernen von Rollen mit sich. Diese können entweder kritiklos übernommen werden oder der Jugendliche verfügt über die Fähigkeit zur Rollendistanz. Dies bedeutet, dass er Rollenmuster nicht unreflektiert übernimmt, sondern mit Hilfe von Einfühlungsvermögen und Kritikfähigkeit bestimmte Rollen für sich auswählt und diese gegebenenfalls verändert. Durch die Auswahl der übernommenen Rollen verfügt der Jugendliche über Mittel zur Selbstdarstellung, welche zugleich Folge und Voraussetzung von Identität ist. Zum Erlernen von Selbstdarstellung gehören Personen, mit denen man sich identifiziert und das Ausprobieren von verschiedenen Formen und Mitteln beim Ausagieren der gewählten Rollen. Da es zum Jugendalter gehört, sich mehr und mehr vom Elternhaus zu lösen, spielen in der Entwicklung des Selbstkonzeptes und der damit verbundenen Notwendigkeit der Selbstdarstellung Gleichaltrigengruppen ein große Rolle. Hier werden identitätsstiftende Gruppenstile entwickelt und gepflegt (vgl. Klawe 1996, S.33 f.).
4. Wandel der Jugendphase und gesellschaftliche Hintergründe
Die Jugend, so der Konsens der Jugendforscher, ist heute nicht mehr als Übergangsphase im Leben eines Menschen zu verstehen, sondern als eigenständige Lebensphase, da es durch Veränderungen des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft für junge Menschen schwieriger geworden ist, die laut traditioneller Definition vorgezeichneten Schritte ins Erwachsenenleben zu vollziehen. Das Erleben einer Normalbiographie weicht in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr dem individuellen Gestalten einer Wahl- und Bastelbiographie, welches jedoch auch scheitern kann (vgl. Thole 2000, S. 186; Böhnisch/Münchmeier 1992, S. 48).
Die Gründe für die Verwandlung der Jugendphase in einen eigenständigen Lebensabschnitt sehen Böhnisch und Münchmeier (1992) darin, dass einige Handlungskompetenzen des Erwachsenseins heute in einem jüngeren Alter erreicht werden als früher, andere dagegen später bis sehr viel später So kann beispielsweise eine allgemein früher einsetzende biologisch-körperliche Reife bei jungen Menschen festgestellt werden. Der Verbleib in den staatlichen Bildungsinstitutionen hat sich dagegen zeitlich verlängert. Da die Übergänge von Schule in Ausbildung und von Ausbildung in Beruf risikohafter geworden sind, ist das Erreichen einer finanziellen Unabhängigkeit der Jugendlichen von Elternhaus oder Staat erschwert (vgl. Böhnisch/Münchmeier 1992, S. 48 f.). Die Jugendphase in den heutigen Industriegesellschaften zeichnet sich nicht mehr durch ein, je nach Geschlechts-, Religions- und Schichtzugehörigkeit differenziertes, relativ vorhersehbares Durchlaufen verschiedener Statuspassagen aus, während dem bestimmte Entwicklungsaufgaben gelöst werden müssen. Vielmehr steht die Jugend durch die gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse und die Enttraditionalisierung von Lebensformen vor zunehmend individuell verlaufenden Übergangsprozessen, die von einer veränderten Abfolge der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben begleitet werden (vgl. Heitmeyer/Olk 1990, S. 22). Die im Folgenden beschriebenen Veränderungen in den verschiedenen Sozialisationsinstanzen, bringen für die Jugendlichen neue Herausforderungen mit sich, auf die wir unter Punkt 4.5. näher eingehen.
4.1 Veränderungen im Bildungswesen
Das Bildungswesen ist in den 70er Jahren stark ausgebaut worden. Der Zugang zur Bildung sollte allen offen stehen und nicht durch Herkunft oder Geschlecht determiniert sein. Statistiken zeigen, dass das durchschnittliche Bildungsniveau der jungen Generation seit der Bildungsreform angestiegen ist. Immer mehr junge Menschen verfügen über einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern. Während in den fünfziger Jahren die Hauptschule noch 80 Prozent der Jugendlichen aufnahm, ist diese Zahl 1980 bereits auf 39 Prozent zurückgegangen (vgl. Böhnisch/Münchmeier 1992, S. 54). Durch den längeren Verbleib in den Bildungsinstitutionen haben die Sozialkontakte mit Gleichaltrigen an Bedeutung gewonnen, während die mit den Erwachsenen verbrachte Zeit, außer den Lehrern, tendenziell abgenommen hat (vgl. Klawe 1996, S. 30).
Jugendlichen erfahren heute zu einem späteren Zeitpunkt als früher, wie sich die Arbeitswelt gestaltet. Die Schule kann gesellschaftliche Realitäten zwar theoretisch und selektiv vermitteln. Eine direkte Konfrontation der Jugendlichen damit findet jedoch erst in einem vergleichbar höheren Alter als früher statt (vgl. Böhnisch/Münchmeier 1992 S. 55).
Scherr (1997) folgt Silberstein in der Aussage, dass die Veränderungen im Bildungswesen durch den stark selektiven Charakter des Schul- und Hochschulsystems schon in der Jugendphase zu einer stärkeren sozialen Selektion und geringerer Chancengleichheit im Bezug auf eine berufliche Zukunft geführt haben. (vgl. Scherr 1997, S. 94).
4.2 Veränderungen in der Freizeit
Da die Bildungsinstitutionen nur Realität „aus zweiter Hand“ (Böhnisch/Münchmeier 1992) vermitteln, wird die Freizeit zu dem zentralen Ort des Suchens nach Wirklichkeit und Lebenserfahrung. In der Freizeit wird die Konfrontation mit der gesellschaftlichen Realität gesucht, Selbstständigkeit und Ablösungsprozesse zum Elternhaus erprobt. Die Freizeit soll den Erlebnishunger der Jugendlichen zufrieden stellen, der durch die Leistungserwartungen von Schule und Elternhaus nur zeitlich eingeschränkt gestillt werden kann (vgl. Böhnisch/Münchmeier 1992 S. 56).
Kinder- und Jugendliche sind heute zunehmend auch in ihrer Freizeit in feste Zeitstrukturen eingebunden, so dass diese weniger situationsabhängig und spontan gelebt wird.
Betrachtet man die materiellen und ökonomischen Ressourcen über die Kinder- und Jugendliche in den 70er Jahren verfügten, so haben diese sich bis zu den 90er Jahren fast verdoppelt. Das eigenerwirtschaftete Vermögen von älteren Jugendlichen ist dagegen gesunken. Auch wenn sich das Wohlstandsniveau in unserer Gesellschaft insgesamt erhöht hat, machen sich soziale Ungleichheiten immer noch an dem unterschiedlichen Zugang der Jugendlichen zu materiellen, sozialen und intellektuellen Ressourcen fest. Dieser wird nach wie vor häufig durch Herkunft und Geschlecht determiniert (vgl Thole 2000, S.198 f.).
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- Quote paper
- Kerstin Rapp (Author), Katrin Sladek (Author), 2007, Jugendarbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90079
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