Wie soll die Politik mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt umgehen, ohne zu sehr in die individuelle Freiheit zu intervenieren? Die Fragestellung wird am Beispiel der Genmanipulation durch CRISPR/Cas9 untersucht.
Heutzutage erregen fortschrittlichste Erkenntnisse im Gebiet der Gentechnik durch die Erforschung der CRISPR/Cas9 Methode großes Aufsehen. Während die Wissenschaft immer weiter fortschreitet, sieht sich die Politik vor eine völlig neuartige Herausforderung gestellt. Aus diesem Grund ist es heutzutage wichtig sich mit den Konsequenzen des Fortschritts auseinanderzusetzen und neue Richtlinien und Gesetze zu etablieren und zu begründen. Dieser Umstand ist nicht zuletzt Aufgabe der politischen Philosophie.
In der Arbeit soll zunächst das Verhältnis der Elemente der Fragestellung geklärt und untersucht werden. Hierzu beginnt der Autor mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt, da er als Auslöser des Problems wahrgenommen werden kann. Anschließend wird die Ebene der Politik und der individuellen Freiheit betrachtet und das dabei entstehende Spannungsverhältnis analysiert.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Hauptteil I
2.1 Über den wissenschaftlich-technischen Fortschritt
2.1.1 Was ist unter wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu verstehen?
2.1.2 Wie entwickelte sich der Fortschritt und wo endet er?
2.1.3 Welche Konsequenzen hat „unbedingter“ wissenschaftlich-technischer Fortschritt und wie äußern sich diese?
2.2 Über die Politik und deren Zusammenhang mit dem Fortschritt
2.2.1 Was ist unter Politik zu verstehen?
2.2.2 Wieso muss sich die Politik gleichzeitig auf den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und dessen Folgen einlassen, aber ihn auch begrenzen?
2.2.3 Wie sollte die Politik mit dem Fortschritt umgehen?
2.3 Über die individuelle Freiheit und deren Überschneidung mit Politik und Fortschritt
2.3.1 Was ist unter individueller Freiheit zu verstehen?
2.3.2 Inwiefern profitiert die individuelle Freiheit vom Fortschritt?
2.3.3 Warum muss die Politik die individuelle Freiheit in Bezug auf den Fortschritt begrenzen und inwieweit sind diese Ziele vereinbar?
3 Hauptteil II
3.1 Über die Genmanipulation durch CRISPR/Cas9
3.1.1 Was ist CRISPR/Cas9?
3.1.2 Wie funktioniert CRISPR/Cas9
3.1.3 Was ist das besondere an CRISPR/Cas9?
3.1.4 Wo findet CRISPR/Cas9 Anwendung und wo wäre dies potentiell denkbar?
3.1.5 Wo zeigen sich Bedenken am Einsatz von CRISPR/Cas9?
3.2 Über CRISPR/Cas9 als Zeichen des Fortschritts und dessen Folgen in der Politik und für die individuelle Freiheit
3.2.1 Welches Spannungsverhältnis äußert sich zwischen der Politik, individueller Freiheit und der Genmanipulation durch CRISPR/Cas9 als Zeichen des Fortschritts?
3.2.2 Wie kann und sollte mit diesem Spannungsverhältnis umgangen werden?
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Heutzutage erregen fortschrittlichste Erkenntnisse im Gebiet der Gentechnik durch die Erforschung der CRISPR/Cas9 Methode großes Aufsehen: So seien „veränderte Vögel und Bienen […] nur der Beginn der boomenden Gene-Editing-Technologie“ (CRISPR/CAS9 Erbgut auf dem Schneidetisch, zukünftig zitiert als CCEadS, S.70). Während die Wissenschaft immer weiter fortschreitet, sieht sich die Politik vor eine völlig neuartige Herausforderung gestellt.
Aus diesem Grund ist es heutzutage wichtig sich mit den Konsequenzen des Fortschritts auseinanderzusetzen und neue Richtlinien und Gesetze zu etablieren und zu begründen. Dieser Umstand ist nicht zuletzt Aufgabe der politischen Philosophie. Deshalb stellt sich die Frage: Wie soll vor allem die Politik mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt umgehen, ohne zu sehr in die individuelle Freiheit zu intervenieren, untersucht am Beispiel der Genmanipulation durch CRISPR/Cas9?
Da ich mich selbst schon seit längerem über die Methode informiere und mich der Gedanke eines neuen Blickwinkels reizt, habe ich mich für dieses Thema entschieden. Ich erwarte, annäherungsweise einen Lösungsansatz zu erarbeiten auf der Grundlage einer Beleuchtung der Aspekte und deren Wirkungsgefüge.
Dazu möchte ich meine Arbeit in zwei Hauptteile untergliedern. Im ersten soll zunächst das Verhältnis der Elemente meiner Fragestellung geklärt und untersucht werden. Hierzu möchte ich mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt beginnen, da ich ihn als Auslöser des Problems wahrnehme. Anschließend betrachte ich die Ebene der Politik und individuellen Freiheit und analysiere das dabei entstehende Spannungsverhältnis. In meinem zweiten Hauptteil übertrage ich dann die Ergebnisse der vorherigen Teils auf das Beispiel der Genmanipulation durch CRISPR/Cas9. Dazu möchte ich die Technik zunächst erläutern. Schlussendlich plane ich aufgrund des Hauptteils, in dem ich mich vor allem auf den Philosophen Hans Jonas beziehen werde, zu einem Fazit in Form einer eigenen Stellungnahme zu gelangen.
2 Hauptteil I
2.1 Über den wissenschaftlich-technischen Fortschritt
2.1.1 Was ist unter wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu verstehen?
Fortschritt wird oft wertend verstanden. So kann die Genmanipulation sowohl als negativer sowie als positiver Fortschritt aufgefasst werden. Tatsächlich sei laut Hans Jonas der Begriff „kein Wertbegriff, sondern rein beschreibend“ (Jonas: Technik, Medizin und Ethik, zukünftig zitiert als J: TME, S. 20).
Im Metzler Lexikon wird Fortschritt wie folgt definiert: „Fortschritt, durch menschliches Handeln bewirkte Veränderung vom Unvollkommenen zum Vollkommeneren“ (Metzler Lexikon Philosophie, zukünftig zitiert als MLP, S. 186). Das „Unvollkommene“ und „Vollkommenere“ seien ebenfalls nicht wertend: So liege es für Jonas „in der Natur der Sache, daß jedes spätere Stadium nach Kriterien der Technik selbst dem vorangehenden überlegen“ (J: TME, S. 21) sei. Damit meint er, dass durch den Fortschritt immer weiterentwickelte Versionen entstünden.
Die daraus resultierenden Innovationen würden die Standards heben. So fügte dieser technologische Fortschritt „den Gegenständen menschlichen Begehrens und Bedürfens neue und neuartige hinzu und […] [vermehre] damit auch […] [seine] eigenen Aufgaben“ (J: TME, S. 20).
Das Lexikon definiert weiter: „Im wissenschaftlich-technischen Sinn meint F. [Fortschritt] die Zunahme an Wissen und technischer Beherrschung der Natur“ (MLP, S. 186). Dabei sei es für Jonas gerade die „Wechselwirkung von Wissenschaft und Technik, die das Kennzeichen modernen Fortschritts“ (J: TME, S. 26) ausmache. Die gezielte Forschung an Technik, eröffne neue Möglichkeiten für die Wissenschaft selbst. Ebenso könne das durch die Wissenschaft erlangte Wissen in Form von Technik umgesetzt werden.
2.1.2 Wie entwickelte sich der Fortschritt und wo endet er?
Die Entwicklung des Fortschritts kann mit einer Exponentialfunktion verglichen werden. Der Verlauf ist in Abb. 1 schematisch zur Illustration dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Schematische Darstellung einer Exponentialfunktion
In der Vormoderne, so Jonas, hätte es eine Art „statistisches Gleichgewicht von anerkannten Zwecken und geeigneten Mitteln“ (J: TME, S. 18) geben. Die altbekannten Methoden hätten gewirkt und es bestände dadurch kein Bedarf zur Fortentwicklung. Dennoch ließe sich von Fortschritt sprechen, auch wenn sich dieser, wie Jonas es formuliert, „sporadisch und ungeplant“ (J: TME, S. 18) zeigte. Es hätte damals „niemals eine vorsätzliche Methode [gegeben], ihn herbeizuführen - wie Forschung“ (J: TME, S. 19). In Bezug zur Exponentialfunktion befinden wir uns in einer ersten Phase.
Erst seit solche Forschung betrieben würde, entwickle sich der Fortschritt (Phase 2). Seit dem würde eine Art Kettenreaktion ausgelöst, denn „jeder Schritt[e] [hätte] einen nächsten eingeleitet und niemals ein Halt durch interne Erschöpfung der Möglichkeiten“ (J: TME, S. 25) erfahren. Nach Jonas schaffe sich Technik „selbst ihre Probleme […], die sie dann durch einen neuen Vorwärtsschub ihrer selbst zu lösen“ (J: TME, S. 22) hätte.
Nun zeigt sich „die Prämisse, daß es unbegrenzten Fortschritt geben kann, weil es immer etwas Neues und Besseres zu finden“ (J: TME, S. 24) gebe. Fortschritt sei also indefinit, unbedingt und unendlich (Phase 3 und später). Wir könnten somit nach „jetzigen Zeichen - von Möglichkeiten und Antrieben - auf eine unbestimmt lange Fortdauer und Fruchtbarkeit des technologischen Impulses schließen“ (J: TME, S. 28f).
2.1.3 Welche Konsequenzen hat „unbedingter“ wissenschaftlich-technischer Fortschritt und wie äußern sich diese?
„Technik [ist] eine Ausübung menschlicher Macht“ (J: TME, S. 42), definiert Jonas. „Macht“ symbolisiere zumeist ein zweischneidiges Schwert, wie auch im Falle des „unbedingten“ wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Denn „nicht nur wenn Technik böswillig […] sondern selbst, wenn sie gutwillig für ihre eigentlichen und höchst legitimen Zwecke eingesetzt […] [würde, hätte] sie eine bedrohliche Seite an sich, die langfristig das letzte Wort haben könnte“ (J: TME, S.43).
Es sei bei unendlichem Wachstum außerdem fast schon vorprogrammiert, dass „das Risiko des Zuviel‘“ (J: TME, S.43) bestehe. Außerdem trete nach Jonas das Problem auf, dass wir „mit dem, was wir jetzt tun, und meist mit Blick auf uns selbst, […] massiv das Leben von Millionen [Menschen] andernorts und künftig [beeinflussen], die hierbei keine Stimme hatten“ (J: TME, S. 45).
Dieser unendliche von sich aus ungebremste Fortschritt sei eine Einbahnstraße. „Es ist klar, daß die Menschheit viel zu zahlreich geworden ist - dank der derselben Technik -, um noch frei zu sein, zu einer früheren Phase zurückzukehren. Sie kann nur nach vorwärts gehen“ (J: TME, S. 50), konstatiert Jonas.
2.2 Über die Politik und deren Zusammenhang mit dem Fortschritt
2.2.1 Was ist unter Politik zu verstehen?
Politik sei ein vielseitiger, nicht eindeutiger Begriff. Je nach Kontext könne er anders ausgelegt werden. Für das in dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis des Wortes ist die folgende Definition aus dem Metzler Lexikon zutreffend: „P. [Politik] bezeichnet zielorientiertes Handeln, das auf die Ordnung oder die Willensbildung in einem Gemeinwesen gerichtet ist. Staatliche Organe, aber auch Individuen, Gruppen, Organisationen etc. mit dieser Ausrichtung, betreiben P.“ (MLP, S. 467) .
Politik sei das Mittel, um der Gesellschaft Struktur und Perspektive zu bieten. Zu diesem Zwecke könne sie durch unterschiedliche Personen oder Gruppen ausgeübt werden. Ich möchte mich dabei hauptsächlich auf die Ausübung von Politik durch den Staat beschränken.
2.2.2 Wieso muss sich die Politik gleichzeitig auf den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und dessen Folgen einlassen, aber ihn auch begrenzen?
Für Jonas ist klar: „Die großen sichtbaren Entscheidungen zum Guten oder Schlimmen werden auf der politischen Ebene fallen (oder versäumt werden)“ (J: TME, S. 75).
Allerdings unterliege die Politik notwendigerweise staatlichen Gesetzen. So dürfe die Politik möglicherweise nur bedingt eingreifen. Um das Grundgesetz zu zitieren: „Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ (§ 5 Abs. 3 GG). Dadurch sei es dem Staat erstmal untersagt in den wissenschaftlich-technischen Fortschritt einzugreifen.
Dass dieses Gesetz aber nicht uneingeschränkt gültig sein könne, sei eine logische Konsequenz aus dem heutigen Stand der Forschung. Wir befänden uns an einem Punkt, wo Theorie und Praxis soweit miteinander verschmelzen würden, dass sie das Leben des gesamten Planeten bedrohen könnten. „Nicht nur das ,was‘, auch das ,wie‘ der Erkenntnis liegt auf beiden Seiten der Scheidelinie“ (J: TME, S. 99), versichert Jonas.
Mit Bezug auf Kants Vorstellung eines kategorischen Imperativs1, formuliert Jonas selbst einen ökologischen Imperativ: „Wenn es ein kategorischer Imperativ für die Menschheit ist zu existieren, dann ist jedes selbstmörderische Spielen mit dieser Existenz verboten, und technische Wagnisse, bei denen auch nur im entferntesten dies der Einsatz ist, sind von vornerein auszuschließen“ (J: TME, S. 48).
Fortschritt erweise sich zwar in der Theorie als unbedingt, aber dies müsse nicht zwangsweise auf die Praxis zutreffen, „denn im Handeln natürlich hat jede Freiheit ihre Schranken in Verantwortung, Gesetz und gesellschaftlichen Rücksichten [und] ist niemals unbedingt“ (J: TME, S. 90). Trotz dieser eindringlichen Forderung einer Begrenzung des Fortschritts, solle dennoch „die Einmischung, wenn sie denn sein muß, […] auf das Mindestmaß beschränkt bleiben“ (J: TME, S. 100). So könnten sich die Forderungen des Grundgesetzes und die Herausforderungen des Fortschritts annähern.
2.2.3 Wie sollte die Politik mit dem Fortschritt umgehen?
Aus vorigen Erläuterungen geht nun hervor, dass Grenzen gesetzt werden müssen. Es zeigt sich aber auch ein Problem in der Umsetzung dieser Maßnahme: „Konnten wir bei Wissenschaft und Technik eindeutig von Fortschritt, und sogar potentiell endlosen, sprechen […] so ist das Bild auf dem Gebiete der politisch-gesellschaftlichen Ordnung […] sehr viel weniger deutlich“ (Jonas: Das Prinzip der Verantwortung, zukünftig zitiert als J: DPdV, S. 297). Damit meint Jonas, dass der Fortschritt schneller und weiter wachse als die Politik hinterherkomme. Außerdem sei Zukunft immer mit Ungewissheit verbunden. Es blieben nur Spekulationen zur Einschätzung. Jonas erkennt eine „Schwäche dort, wo sie die Rolle von Prognosen übernehmen müssen, nämlich in der praktisch-politischen Anwendung“ (J: DPdV, S. 68).
Deshalb schlägt Jonas eine „Heuristik der Furcht“ vor. In diesem Konzept solle die „Ungewissheit […] selber in die ethische Theorie einbezogen und zum Anlass eines neuen Grundsatzes genommen werden, der nun seinerseits als praktische Vorschrift wirksam werden kann“ (J: DPdV, S. 70). Dadurch umgehe er die erläuterte Schwäche.
Seine Theorie besagt: „Wenn im Zweifel, gib der schlimmeren Prognose vor der besseren Gehör, denn die Einsätze sind zu groß geworden für das Spiel“ (J: TME, S. 67). Im Falle der Genmanipulation heißt das: Das Risiko einer ungewollten Mutation bestehe, ob diese eintreffe sei ungewiss. Weil wir es eben nicht wissen könnten, müssten wir die Genmanipulation verbieten. Dieses Urteil spiegelt die Voraussetzung von Jonas‘ kategorischen Imperativs wieder, keine Menschenleben zu gefährden. „Damit wird also auch das, worauf man noch nicht wetten, geschweige denn rechnen darf, doch schon Gegenstand vorausschauender Politik“ (J: DPdV, S. 219).
„Aus alledem folgt, daß es zwar auch heute noch kein Rezept für die Staatskunst gibt, aber doch die Zeitspannen der Verantwortung sowohl wie des wissenden Planens sich ungeahnt erweitert haben“ (J: DPdV, S. 220), so Jonas.
2.3 Über die individuelle Freiheit und deren Überschneidung mit Politik und Fortschritt
2.3.1 Was ist unter individueller Freiheit zu verstehen?
Im Metzler Lexikon wird Freiheit als „das Freisein von Zwängen bzw. das freie, von äußeren Einflüssen ungehinderte Sich-bewegen-Können […] [und] die Möglichkeit der Selbstbestimmung, der freien Entscheidung und Wahl“ (MLP, S. 187) bezeichnet.
In Bezug auf das Individuum bedeutet dies, dass „im Mittelpunkt diese Systems […] der einzelne Mensch“ (Wirtschafts- und Finanzpolitik 25, S. 95) stehe. Dessen Freiheit hinge „davon ab, daß e[r] seine Handlungen nach seinen eigenen Absichten vornehmen kann; andere dürfen nicht die Macht besitzen, den Individuen ihren Willen aufzuzwingen“ (Wirtschafts- und Finanzpolitik 25, S. 95).
2.3.2 Inwiefern profitiert die individuelle Freiheit vom Fortschritt?
Ein Aspekt der individuellen Freiheit sei die freie Wahl. Durch den Fortschritt würden sich dem Individuum zunehmend neue Möglichkeiten eröffnen, denn die entstehenden Innovationen würden das ihm zur Verfügung stehende Angebot erweitern. Da der Fortschritt von sich aus unbedingt sei, würde auch die Quelle dieses Angebots nie erschöpft sein.
Gerade durch neue Optionen vergrößere sich der Rahmen des „Sich-bewegen-Könnens“ (MLP, S. 187). Die neuen Wege entsprächen womöglich dabei viel mehr den Vorstellungen der Individuen, wodurch ihre Wünsche besser vertreten werden könnten.
2.3.3 Warum muss die Politik die individuelle Freiheit in Bezug auf den Fortschritt begrenzen und inwieweit sind diese Ziele vereinbar?
Zuletzt habe ich herausgestellt, warum es für die individuelle Freiheit förderlich sei, den Fortschritt in das alltägliche Leben zu integrieren. Allerdings erfülle eine Gesellschaft und die daraus resultierende Politik immer auch eine Schutzfunktion. So könne zu viel Freiheit sogar hinderlich sein, denn diese beinhalte “den Keim zu Widersprüchen, innerer Entartung und sogar Umschlag in ihr Gegenteil“ (J: DPdV, S. 305).
Es wird deutlich, dass der Aspekt der Macht insofern eine entscheidende Rolle spiele, als dass die Politik das Individuum vor dieser schützen müsse. Jonas zieht den Schluss, dass „was auch immer von menschlichem Tun auf die reale Welt einwirkt und damit potentiell die Wohlfahrt anderer berührt, […] gegebenenfalls rechtlichen Schranken“ (J: TME, S. 94) unterliege.
In einer sinnvollen Politik müsse nach Jonas von einem wirklichen Staatsmann gesagt werden können, „er habe zum Besten derer gewirkt über die er Macht hatte: für die er sie also hatte“ (J: DPdV, S. 188). Es sei dabei eine logische Konsequenz, dass nicht immer die individuelle Freiheit an erster Stelle stehen könne und solle, um diesem Ziel gerecht zu werden.
„Fortschritt ist nach unserem Willen ein anerkanntes Interesse der Gesellschaft“ (J: TME, S. 126), bestätigt Jonas, aber er vertritt die Meinung, dass dieser nicht erzwungen werden solle. Es sei deshalb die bessere Überlegung unverantwortlich schnellen Einsatz der Erkenntnisse zu vermeiden. Diese Ansicht spiegelt sich ebenfalls in seiner „Heuristik der Furcht“ wider.
3 Hauptteil II
3.1 Über die Genmanipulation durch CRISPR/Cas9
3.1.1 Was ist CRISPR/Cas9?
CRISPR/Cas9 ist ein Verfahren zur zielgerichteten Genmanipulation, „wobei der Ausdruck CRISPR für ‚clustered regulary interspaced, short palindromic repeats‘ steht (deutsch: gehäuft auftretende, mit regelmäßigen Zwischenräumen angeordnete, kurze palindromische Wiederholungen)“ (CCEadS, S. 8).
Ursprünglich seien diese Wiederholungen im Erbgut von Bakterien und Archaeen entdeckt worden. Dort würden sie dem Schutz vor Viren dienen, indem zwischen diesen Wiederholungen Erbgut der Viren eingebaut würde. Man kann sich das ganze wie eine Detektei im Erbgut vorstellen: Wiedererkennungsmerkmale der Angreifer werden dort gesammelt, damit, falls der Angreifer bereits identifiziert ist, sofort Abwehrmaßnahmen eingeleitet werden können.
Den Entdeckerinnen ging es um die Frage, wie das virale Erbgut zwischen die CRISPR-Sequenzen gelangt. Dazu sei ein Enzym namens Cas9 nötig. So kam das Verfahren zu dem Namen CRISPR/Cas9.
3.1.2 Wie funktioniert CRISPR/Cas9
In Abb. 2 auf der nächsten Seite ist die Funktionsweise von CRISPR/Cas9 dargestellt. Es handelt sich dabei um eine modellhafte Skizzierung, die nicht in dieser Form der Realität entspricht. Sie veranschaulicht den zugrundeliegenden Prozess:
Das Erbgut liegt in Form einer langen, gewundenen Spirale, der DNA, vor. Sie besteht aus zwei aneinander liegenden Molekülketten, die sich ähnlich wie ein Reißverschluss zueinander verhalten. Die meiste Zeit über liegt dieser „geschlossen“ vor, aber durch sogenannte Enzyme kann er „geöffnet“ werden. Wissenschaftler würden sich bei der CRISPR/Cas9 Methode diese gegenseitige Passgenauigkeit der Ketten zueinander zu Nutze machen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Funktionsweise von CRISPR/Cas9 (Quelle: AXS Biomedical Animation Studio, CCEadS, S. 11)
In einem ersten Schritt würden sie eine Kopie des gewünschten Ausschnitts einer der beiden Molekülketten erstellen. Es entstehe die Leit-RNA. Diese sei maßgeschneidert und passe dadurch genau auf eine Stelle in der DNA, die sogenannte Zielsequenz. Aus diesem Grund agiere die Leit-RNA sozusagen als Gegenstück zu der anderen Spur im Reißverschluss.
Als nächstes würde diese mit dem Enzym Cas9 verbunden. Cas9 wirke dabei wie eine Schere, die durch die Leit-RNA angeleitet werde an exakt der gewünschten Stelle zu schneiden. Wenn dieses CRISPR/Cas9-Werkzeug dann auf die DNA treffe, docke die Leit-RNA an dieser Stelle an. Dazu würden die beiden Stränge der DNA zunächst voneinander getrennt, der Reißverschluss metaphorisch also geöffnet. Cas9 spalte nun die gesamte DNA in zwei Hälften.
Der Schnitt würde relativ schnell repariert, doch bevor dies geschehe, könnten zusätzlich neue DNA-Stücke in den Leerraum eingebaut werden. Das passiere auch bei Bakterien und Archaaen, wenn diese DNA-Stücke eines Virus in die eigene DNA integrieren würden.
3.1.3 Was ist das besondere an CRISPR/Cas9?
In den letzten Jahrzehnten entwickelten sich Verfahren wie die TALENs und Zinkfingernukleasen (auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte), die bereits auf kleinste Stücke der DNA, die Gene, abzielten. „Allerdings unterlagen die damaligen gentechnischen Methoden zwei wichtigen Beschränkungen: Sie waren erstens ungenau und ließen sich zweitens nur schwer im großen Maßstab medizinisch anwenden“ (CCEadS, S. 8), berichtet das Magazin Spektrum der Wissenschaft. Außerdem wären die Verfahren teuer und mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden gewesen. „Allein die Veränderung eines Gens war schon eine ganze Diplomarbeit“ (CCEadS, S. 18), schildert der Genetiker Bruce Conklin.
CRISPR/Cas9 zeige sich als die Lösung dieser Probleme. Doudna, eine der Entdeckerinnen, fasst den großen Vorteil der Methode zusammen: „Ein einziges Protein2 und ein einziges Leitmolekül ergäben zusammen ein äußerst leistungsfähiges gentechnisches Werkzeug“ (CCEadS, S.9). Zuvor hätte für jedes einzige Gen ein eigenes Enzym konstruiert werden müssen, wobei vergleichsweise nun das Enzym Cas9 immer das gleiche bleibe. Es variiere nur die Leit-RNA, was den Eingriff „viel einfacher, billiger und schneller“ (CCEadS, S.9) mache.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Einsatzmöglichkeiten von CRISPR/Cas9
„CRISPR stellt einfach alles auf den Kopf“ (CCEadS, S. 18), stellt Conklin fest. Die Einsatzmöglichkeiten seien vielfältig und neuartig. So könnten einerseits krankheitsauslösende Gene entfernt werden und andererseits zusätzlich neue Gene eingefügt werden, um bestimmte Merkmale zu begünstigen, wie etwa resistentere Nutzpflanzen. In Abb. 3 habe ich einige Einsatzmöglichkeiten dargestellt.
3.1.5 Wo zeigen sich Bedenken am Einsatz von CRISPR/Cas9?
Trotz der3 4 Vorzüge von CRISPR/Cas9, sei auch dieses Verfahren mit Vorsicht zu genießen, wie Jonas meint: „Für den biologischen ,Ingenieur‘ der die überwältigende Komplexität vorhandener und z. T. verborgener Determinanten mit ihrer selbsttätigen Dynamik gleichsam ,unbesehen‘ übernehmen muß, ist die Zahl der Unbekannten im Gesamtplan riesig“ (J: TME, S.166). Wir würden uns nie ganz sicher sein können, was genau geschehen werde. Noch dazu seien solche Veränderungen oft irreversibel. So würde es „wenn ihre Ergebnisse später sichtbar werden, […] für Berichtigungen zu spät“ (J: TME, S. 167) sein.
Neben rein technischen Bedenken, kristallisieren sich zunehmend auch politische heraus. So heble CRISPR/Cas9 „die bisherige, an vergleichsweise rabiaten Verfahren orientierte, Gentechnikgesetzgebung aus“ (CCEadS, S. 43), wie Lars Fischer in einem Kommentar erläutert. Die zuvor genutzten Methoden fielen eindeutig in die Klasse der GVO5. Allerdings kämen mit dem Auftreten von CRISPR/Cas9 und dessen Produkten Zweifel an dieser Einstufung auf.
Der Botaniker Holger Puchta stellt die Frage: „Wie soll der Einsatz einer Technologie kontrolliert werden, wenn man ihre Nutzung gar nicht nachweisen kann?“ (CCEadS, S. 29). Da der Eingriff in die DNA minimalinvasiv verlaufe, seien veränderte Organismen oftmals nicht von ihren Artgenossen zu unterscheiden.
3.2 Über CRISPR/Cas9 als Zeichen des Fortschritts und dessen Folgen in der Politik und für die individuelle Freiheit
3.2.1 Welches Spannungsverhältnis äußert sich zwischen der Politik, individueller Freiheit und der Genmanipulation durch CRISPR/Cas9 als Zeichen des Fortschritts?
„Die Gesetzgebung hinkt der Forschung derzeit deutlich hinterher“ (CCEadS, S. 28), schreibt Irmer in einem Artikel über CRISPR/Cas9. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt bewege sich momentan in sehr unpräzisen und teils veralteten Grenzen von Seiten der Politik. Deshalb bestehe zurzeit keine wirkliche Beschränkung des unendlichen Fortschritts gerade in Bezug auf CRISPR/Cas9. So würden die Wissenschaftler beispielsweise in der Forschung an einer HIV-Resistenz an Embryonen voranschreiten, „bevor wir einen wohlüberlegten Konsens bilden können, ob ein solcher Ansatz überhaupt medizinisch sinnvoll“ (CCEadS, S.61) sei.
Die Politik würde ihrer Schutzfunktion des Individuums weitgehend nicht mehr gerecht. Die individuelle Freiheit sei derart ausgeweitet, dass die noch nicht eindeutig geregelte Nutzung von CRISPR/Cas9 möglicherweise zu Schäden führen könnte. Dementsprechend warnen nun die Forscher selbst, „dass genetische Manipulationen bei Embryonen zwangsläufig auch die sogenannte Keimbahn6 betreffen und damit weitervererbbar sind. Es könnte zu unvorhersehbaren Auswirkungen auf kommende Generationen kommen“ (CCEadS, S. 64).
Fücks fasst das Dilemma folgendermaßen zusammen: „Ohne Grenzen ist weder individuelles noch gesellschaftliches Leben möglich. Umgekehrt ist die Geschichte der Zivilisation eine permanente Überschreitung kultureller, technischer und natürlicher Grenzen“ (Intelligent wachsen, S. 23).
3.2.2 Wie kann und sollte mit diesem Spannungsverhältnis umgangen werden?
Da Fortschritt ein „fakultatives, kein obligatorisches Ziel“ (J: TME, S. 145) sei, empfiehlt Jonas, das Tempo zu reduzieren. Dazu könne ein „freiwillige[s] Moratorium[s] der Forschung zwecks Prüfung der Risiken und Ausarbeitung von Sicherheitsregeln“ (J: TME, S. 105) ein Anfang sein. Die Politik brauche Zeit sich an den Fortschritt anzupassen. Dabei solle sie sich aber auch auf die Vorzüge der Technologie CRISPR/Cas9 einlassen. Sie sei dennoch eine Möglichkeit das Leben vieler Menschen zu ermöglichen. Überprüfte Eignungen von widerstandsfähigeren Pflanzen können z. B. in Entwicklungsländern Hungersnöte bekämpfen.
Deshalb schlägt Irmer eine Einstufung der veränderten Organismen in Typ I, II oder III vor. „Bei Typ I entsteht eine Punktmutation7 [,] […] bei Typ II schleusen Forscher ein kurzes Stück künstliche DNA in die Zelle ein […] [und] bei Typ III […] ein größeres Stück Fremd-DNA" (CCEadS, S. 30). Das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bezieht sich in einer Stellungnahme auf diese Einteilung und bezeichne nur Typ III Organismen als GVO. So könne ein Kompromiss zwischen Politik und Fortschritt geschlossen werden.
Auch auf Seiten der Wissenschaft gebe es Möglichkeiten zum Schutz vor den Auswirkungen von CRISPR/Cas9. Ein Ansatz verfolge einen „wirksamen Selbstzerstörungsmechanismus für gentechnisch veränderte Organismen, der auf verschiedene beliebige Signale hin ausgelöst werden“ (CCEadS, S. 56) könne. Auf diese Weise könne auch das Ökosystem vor weitreichenden Folgen geschützt werden. Dabei würde laut Jonas generell „staatliche Aufsicht zum Schutze des öffentlichen Wohls, einschließlich strafrechtlicher Sanktionen, […] zur Selbstverständlichkeit“ (J: TME, S.106). Denn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bliebe die „Heuristik der Furcht“ eine sinnvolle Orientierung für die Zukunft.
4 Fazit
Zu Anfang stellte ich mir die Frage: Wie soll vor allem die Politik mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt umgehen, ohne zu sehr in die individuelle Freiheit zu intervenieren, untersucht am Beispiel der Genmanipulation durch CRISPR/Cas9?
Für mich erscheint die durch Jonas begründete „Heuristik der Furcht“ (Siehe 2.2.3) als eine geeignete Orientierung für die Politik. Ich erkenne aber auch Probleme: So wird immer ein gewisses Risiko in Bezug auf die Genmanipulation bestehen. Dennoch denke ich, dass diese nicht von vorneherein verboten werden sollte, denn sie erweitert den Spielraum der Individuen (siehe 2.3.2).
Die individuelle Freiheit ist mir sehr wichtig, denn aus meiner Sicht führt die freie Entfaltung der Individuen (siehe 2.3.1) erst zu einer funktionierenden Politik. Kreative Ideen der Einzelnen beflügeln die zeitgemäße Entwicklung dieser. Hierbei stimme ich Jonas zu: „Der beste Staat wäre hiernach der, von dem man am wenigsten merkt“ (J:DPdV, S. 303), aber unter der Voraussetzung, dass er seiner Schutzfunktion (siehe 2.3.3) gerecht wird.
Trotzdem sollte meiner Einschätzung nach nicht alleine der Staat die Verantwortung tragen, denn dieser ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage sinnvolle Einschätzungen vorzunehmen. Dabei kritisiere ich die mangelnde Vertretung von Wissenschaftlern bei politischen Entscheidungen und den Einfluss von Lobbyismus durch größere Unternehmen. Somit erachte ich das erläuterte freiwillige Moratorium der Wissenschaft (siehe 3.2.2) als einen geeigneten temporären Ansatz.
CRISPR/Cas9 ist eine, wie ich finde, aufstrebende und vielversprechende Technologie. Ich nehme die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten (siehe 3.1.4), aber auch das Problem der Regulierung wahr (siehe 3.1.5). Die Politik solle also den Einsatz von CRISPR/Cas9 im kleineren Maßstab zu Versuchszwecken genehmigen. Sobald es um den Einsatz im Menschen oder die Einführung in das Ökosystem geht, sollte der „Heuristik der Furcht“ entsprechend zunächst der Schutz des Individuums und folgender Generationen (siehe 2.2.2) im Vordergrund stehen. Sobald die Technologie im Zuge des Fortschritts optimiert wurde (siehe 2.1.1), werden auch weitreichendere Einsatzmöglichkeiten rechtfertigbar, um der individuellen Freiheit mit einem gewissen Anrecht auf den Einsatz gerecht zu werden.
Literaturverzeichnis
Abgerufen am 25. Februar 2018 von Spektrum.de: http://www.spektrum.de/thema/epigenetik/1191602
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[...]
1 Eine zu jeder Zeit gültige Maxime; nach Kant: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“
2 Hier ist das Enzym Cas9 gemeint
3 Wissenschaft, die sich mit der Aktivität von Genen und deren Vererbung befasst
4 Organtransplantation vom Tier in den Menschen
5 Gentechnisch veränderte Organismen
6 Entwicklungsprozess der befruchteten Eizelle bis hin zum Individuum
7 Veränderung eines einzigen Bausteins in einem einzigen Gen
- Quote paper
- Anonymous,, 2018, Politik und Genmanipulation. Das Spannungsverhältnis von individueller Freiheit und wissenschaftlich-technischen Fortschritt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/899548
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