Die Arbeit befasst sich mit den Gesetzmäßigkeiten der Höherentwicklung in Natur und Gesellschaft, das heißt der Entwicklung von niederen zu höheren Bewegungsformen der Materie. Höherentwicklung wird entsprechend dem Dritten Dialektischen Grundgesetz nach Friedrich Engels als doppelte Negation gedeutet. Der progressive Verlauf in der Bioevolution und in der Menschheitsgeschichte wird somit durch ein rhythmisches Schwingungsmuster zwischen dialektischen Gegensätzen beschrieben.
Die in der Arbeit entwickelte Modellvorstellung wurde zwar zu DDR-Zeiten unter dem Einfluss der zugrunde gegangenen realsozialistischen Kultur entwickelt. In der Gegenwart könnten diese Ideen jedoch bedeutsam werden im Diskurs über das vom chinesischen Philosophen Zhao Tingyang entwickelte Konzept Tianxia über die Zukunft einer neuen Weltordnung. Methodologisch basiert die Untersuchung vorwiegend auf Analogien. Durch Vergleiche zwischen den verschiedenen Stufen und Phasen wird versucht, ähnliches zu finden. Diese Methode der vergleichenden Analyse hat in der Biologie eine lange Tradition.
Bei Analogiebetrachtungen ist es manchmal unumgänglich, den Inhalt bestimmter Begriffe zu erweitern bzw. metaphorische Redewendungen zu gebrauchen. Mit stark erweitertem Bedeutungsinhalt wird hier z.B. der Begriff der „Kenntnis“ gebraucht. Die Darstellung beginnt mit der Charakterisierung des Negationsparameters.
Darauf folgt eine Beschreibung des Periodisierungsverfahrens. Sie beginnt mit der Vielzellerevolution, weil hier das empirische Belegmaterial weniger lückenhaft ist. Bei den Ausführungen zur Gesellschaftsentwicklung werden die bestehenden Analogien durch Thesen zu den einzelnen Negationsphasen noch einmal rekapituliert und teilweise präzisiert. Das abschließende Kapitel zieht Schlussfolgerungen zur Methodologie der ökologischen Systemforschung, bei denen es insbesondere um die komplexe Gestaltung ökologisch-ökonomischer Systeme geht.
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Einleitung
Kapitel 2: Stochastisch-kinetische und deterministische Systemdynamik
Kapitel 3: Vielzellerevolution (Meiotische Stufe)
Erste Negation: Wachstumsvielzeller:
Zweite Negation: Einfaches Verhalten:
Dritte Negation: Instinktverhalten:
Vierte Negation: Lernen:
Fünfte Negation: Abstraktion:
Sechste Negation: Sprache:
Kapitel 4: Einzellerevolution (Replikative Stufe)
Ausgangsqualität: Polymere Replikatoren:
Kapitel 5: Die zeitliche Überlappung gegensätzlicher Evolutionstrends:
Begriffsbestimmungen:
Einführung eines geeigneten Zeitmaßstabes:
Definition einer Maßeinheit für Progressivität:
Die zeitliche Trennung evolutiver Trends:
Festlegung der Phasengrenzen:
Kapitel 6: Soziokulturelle Evolution (Anthropogene Stufe)
Ausgangsqualität: Tradierte Übermittlung von Wissen
Erste Negation: Vorindustrielle Klassengesellschaften
Zweite Negation: Industrielle Revolution
Dritte Negation: Globale Zentralisation der Informationssysteme
Vierte bis sechste Negation:Extraterrestrische Intelligenz
Kapitel 7: Steuerung ökologisch-ökonomischer Systeme
Zusammenfassung
Literatur
Kapitel 1: Einleitung
„Charakteristisch für eine nützliche Hypothese ist vor allem ihre scharfe und kompromisslose, manchmal sogar scheinbar aggressive Formulierung. Die weise Zurückhaltung in den Schlussfolgerungen, das Offenlassen von Hintertüren und Ausweichmöglichkeiten, der Verzicht auf die schonungslose Diskussion aller sich aus der vorgeschlagenen Vorstellung ergebenden Konsequenzen, all diese zur wissenschaftlichen Tradition gewordenen Eigenschaften verleihen einer Theorie eine gute Langlebigkeit und die Fähigkeit zu elastischer Abwehr gegen begründete Angriffe. Der Dialektiker formuliert seine Hypothesen in der härtesten und unnachgiebigsten Art.“ Segal (1958)
Die Frage, was Höherentwicklung sei, gehört zu den zentralen Problemen der Philosophie. Sie ist eng mit der Diskussion um den Inhalt des gesellschaftlichen Fortschritts verbunden und erhält angesichts globaler Probleme der Menschheit besonderes Gewicht. In der marxistisch-leninistischen Philosophie wird das Entwicklungsphänomen durch die drei dialektischen Grundgesetze charakterisiert.
„Im Gegensatz zur Metaphysik erkennt die materialistische Dialektik, dass die Natur ‚eine wirkliche Geschichte durchmacht. Die Bewegung, die ihr innewohnt, hat eine objektive Entwicklungsrichtung. Die Entwicklung ist kein bloß quantitativer Wachstumsprozess. Auf Grund vorangegangenen Wachstums erfolgt mit gesetzmäßiger Naturnotwendigkeit zu bestimmten ‚Knotenpunkten‘ ein sprunghafter Übergang zu neuer Qualität, zu neuer Verhaltensgesetzmäßigkeit des zur Entwicklung gekommenen Gebildes: In der Entwicklung wird die alte Qualität negiert. Und das, was als Negation erscheint, wird selbst wieder im weiteren Entwicklungsprozess negiert (Negation der Negation) – in einer unendlichen, geschichtlichen Kette von Negationen. Die ‚Negation‘ ist somit die für jeden konkreten Entwicklungsvorgang spezifische Form der geschichtlichen ‚Aufhebung‘ (d.h. Beendigung, Konservierung, Höhertragung), durch welche qualitativ Neues, Entwickelteres entsteht“ (Hollitscher 1960, S. 98).
Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind Gesetzmäßigkeiten der Höherentwicklung in Natur und Gesellschaft, d.h. der Entwicklung von niederen zu höheren Bewegungsformen der Materie. Höherentwicklung wird entsprechend dem Dritten Dialektischen Grundgesetz nach Friedrich Engels als doppelte Negation gedeutet. Der progressive Verlauf in der Bioevolution und in der Menschheitsgeschichte wird somit durch ein rhythmisches Schwingungsmuster zwischen dialektischen Gegensätzen beschrieben. Hierzu dient als Negationsparameter. das polare Spannungsfeld zwischen deterministischer und stochastisch-kinetischer Systemdynamik, d.h. zwischen reversiblen kybernetischen Funktionsprinzipien und irreversiblen synergetischen Prinzipien der chaosdynamischen Selbstorganisation, oder anders ausgedrückt, zwischen synchroner und diachroner Systemdynamik.
Das Geschichtsverständnis in den von marxistischen Ideen geprägten Kulturen des Sozialismus unterscheidet sich erheblich von Vorstellungen über den Verlauf der Weltgeschichte in bürgerlichen Kulturen. Beide interpretieren das Phänomen der Irreversibilität geschichtlicher Abläufe unterschiedlich. In der Wahrnehmung des Ostens sind historische Prozesse dialektisch-materialistischer Natur. Im Westen ist die Dialektik nur eine von vielen Arten philosophischer Spekulation. Im Kapitalismus deutet man das Wesen historischer Prozesse im Sinne des von Karl Popper 1945 nach der Machtergreifung Hitlers entwickelten antidialektischen Konzeptes der offenen Gesellschaft (Popper 1977). Danach ist die menschliche Geschichte das Resultat freier Entscheidungen in Politik und Wirtschaft. Popper sieht in der Suche nach historischen Gesetzmäßigkeiten die Gefahr totalitärer Bevormundung durch Machthaber wie Hitler und Stalin, eine Bevormundung durch ein vermeintliches Wissen über wiederkehrende Muster in geschichtlichen Abläufen (Popper 1969). Das Konzept der offenen Gesellschaft führt jedoch dazu, dass die Zufälligkeit historischer Abläufe verabsolutiert wird. So meint der Molekularbiologe und Nobelpreisträger Jaques Monod in kritischer Auseinandersetzung mit Friedrich Engels, dass die Entstehung erster lebender Objekte ein extrem unwahrscheinliches Zufallsereignis war. Jedoch komme es auch im Lotteriespiel durch einen Hauptgewinn gelegentlich zu extrem unwahrscheinlichen Ereignissen (Monod (1971).
Erst dadurch, dass mit der Chaos- und Selbstorganisationsheorie Zufall und Notwendigkeit in ihrer dialektischen Einheit aufgefasst wurden, konnten sich realistische Vorstellungen von der Entstehung des Lebens entwickeln. Durch diese Theorie verstehen wir heute besser, wie durch das Zusammenspiel von eng miteinander verzahnten Prozessen eine zufällige Dynamik vorgetäuscht werden kann (Prigogine & Stengers, 1982). Gerade für das globale Problem der Zerstörung unseres Lebensraumes durch die hemmungslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen ist ein wissenschaftliches Verständnis von der Unumkehrbarkeit (Irreversibilität) zeitlicher Abläufe in der Natur und in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft wichtig. Mit der Chaos- und Selbstorganisationstheorie erfuhr es eine exakte wissenschaftliche Begründung (Ebeling 1982). Die Vorstellung von dialektischen Widersprüchen als treibender Kraft der Entwicklung steht somit in Einklang mit dem von der Chaosphysik entdeckten Prinzip der „Fraktalität" historischer Prozesse, d.h. mit dem Prinzip der Wiederkehr selbstähnlicher Muster unabhängig von räumlichen und zeitlichen Dimensionen (Jantsch 1982).
Wir haben Schwierigkeiten mit unserem logischen Entweder-Oder-Denken den instabilen Schwebezustand zwischen gegensätzlichen Polen abzubilden. In gleicher Weise hatten die Begründer der Quantenphysik Schwierigkeiten mit der Bipolarität Welle/Teilchen und verzweifelten manchmal an den paradoxen Offenbarungen ihrer experimentellen Forschungsergebnisse. Auch das Verständnis der Chaos- und Selbstorganisationstheorie setzt den Umgang mit einer Bipolarität voraus, der Bipolarität zwischen Stabilität und Instabilität. Um sich dem Schwebezustand an der Scheidelinie zwischen den als Einheit aufzufassenden Gegensätzen mental zu nähern, regt uns die Dialektik dazu an über die Logik hinaus zu gehen, um zwischen den Polen hin und her zu pendeln und durch ein intuitives Verständnis die Mitte zu suchen.
Durch die großen Fortschritte der Naturwissenschaften, insbesondere der Biologie, sind in den letzten Jahrzehnten umfangreiche Kenntnisse zur Bio-Evolution gewonnen worden. Daraus ergeben sich neue Ansatzpunkte für umfassende Verallgemeinerungen, die das Evolutionsphänomen in seiner ganzen Breite von der Entstehung des Lebens bis zur Menschwerdung erfassen und außerdem auch die Gesellschaftsentwicklung in die Betrachtungen einbeziehen. Da die Verfasser der diesbezüglichen Literatur zum überwiegenden Teil Nicht-Marxisten sind, bleiben ihre Schlussfolgerungen zur Gesellschaftsentwicklung vage und abstrakt. Stellvertretend seien hier Hass (1970), von Ditfurth (1972) und Bresch (1977) genannt. In der marxistischen Literatur gibt es nach Kenntnis des Verfassers nur eine Arbeit, die in ihrer Breite mit den genannten Arbeiten bürgerlicher Autoren vergleichbar ist: die Theorie der Soziogenese von Novak (1982).
Novak baut seine Konzeption auf dem Prinzip der Vergesellschaftung (Sozibilität) auf. Die vorliegende Untersuchung stellt dagegen den Aspekt der Oszillation des Entwicklungsgeschehens in den Vordergrund. Dieser Unterschied in den Prämissen führt zwangsläufig zu Modellvorstellungen, die stark voneinander abweichen. Das Entwicklungsproblem ist zur Zeit wahrscheinlich auch gar nicht anders darstellbar, als durch eine Reihe unterschiedlicher Modellvorstellungen, die jeweils bestimmte Aspekte der Wirklichkeit in den Vordergrund rücken.
Als Negationsparameter wird in dieser Arbeit die dialektische Gegensätzlichkeit von stochastisch-kinetischer und deterministischer Systemdynamik verwendet, die sich wissenschaftshistorisch als Aufspaltung der Systemtheorie in Synergetik und Kybernetik zeigt. Aus der Darstellung der progressiven Evolution als Oszillation zwischen beiden Polen dieses Gegensatzes ergibt sich eine Einteilung der Gesamtentwicklung in strukturelle Stufen und innerhalb der Stufen in Phasen unterschiedlicher Beweglichkeit. Als strukturelle Stufen werden einzellige, vielzellige und gesellschaftliche Systeme unterschieden. Jede Stufe wird in sechs Negationsphasen untergliedert, von denen jeweils zwei einer bestimmten Bewegungsqualität angehören. Als Bewegungsqualitäten werden auf der zellulären Stufe Replikation, Translation und Transposition und auf der Vielzellerstufe sexuelle Reproduktion, Verhalten und Lernen unterschieden. Für die Entwicklung der gesellschaftlichen Stufe, die mit der Bewegungsqualität des rationalen Denkens beginnt, wird durch Analogiebetrachtungen ein hypothetischer Entwicklungsverlauf entworfen, der ebenfalls sechs Phasen umfasst und mit der Kontaktaufnahme zu extraterristrischen Zivilisationen abschließt.
Methodologisch basiert die Untersuchung vorwiegend auf Analogien. Durch Vergleiche zwischen den verschiedenen Stufen und Phasen wird versucht, ähnliches zu finden. Diese Methode der vergleichenden Analyse hat in der Biologie eine lange Tradition. Lorenz (1974) hat in seinem Vortrag anlässlich der Verleihung des Nobelpreises die besondere Bedeutung der Analogie als Quelle der Erkenntnis hervorgehoben. Bei Analogiebetrachtungen ist es manchmal unumgänglich, den Inhalt bestimmter Begriffe zu erweitern bzw. metaphorische Redewendungen zu gebrauchen. Mit stark erweitertem Bedeutungsinhalt wird hier z.B. der Begriff der „Kenntnis“ gebraucht. Die Darstellung beginnt mit der Charakterisierung des Negationsparameters. Darauf folgt eine Beschreibung des Periodisierungsverfahrens. Sie beginnt mit der Vielzellerevolution, weil hier das empirische Belegmaterial weniger lückenhaft ist. Bei den Ausführungen zur Gesellschaftsentwicklung werden die bestehenden Analogien durch Thesen zu den einzelnen Negationsphasen noch einmal rekapituliert und teilweise präzisiert. Das abschließende Kapitel zieht Schlussfolgerungen zur Methodologie der ökologischen Systemforschung, bei denen es insbesondere um die komplexe Gestaltung ökologisch-ökonomischer Systeme geht.
Kapitel 2: Stochastisch-kinetische und deterministische Systemdynamik
Die Organismen der Lebewelt sind zweifellos Systeme. Bevor die Gesetzmäßigkeiten ihrer progressiven Entwicklung näher untersucht werden können, muss geklärt werden, welchem Systemtyp sie zuzuordnen sind, welches die Spezifika organismischer Systeme sind. Ein System ist alles, was genügend stabil ist, um einen Namen zu erhalten, definiert Weiss (1970). Diese sehr breite Fassung des Begriffes schließt die unterschiedlichsten Formen des Zusammenhanges zwischen Elementen ein. Es können viele oder wenige, gleichartige oder verschiedenartige und eng oder lose gekoppelte Elemente sein. Sie können außerdem relativ autonom oder aber völlig vom System abhängig sein.
Paul Weiss begründete in seiner Theorie des Schichtendeterminismus eine dem Systembegriff innewohnende Dialektik im Verhältnis des Systems zu seinen Teilen.
„Die Tatsache, dass die höchsten Aktivitäten des Organismus weder strukturell noch funktionell in gerader Linie auf die Vorgänge auf der molekularen Ebene zurückgeführt werden können, sondern schrittweise von höheren Stufen der Determiniertheit (oder Sicherheit der Determinierbarkeit) durch intermediäre Stufen größerer Freiheit oder Variabilität (oder Unsicherheit der Determinierbarkeit) auf die nächst niedrigeren Stufen einer nun wieder streng bestimmbaren Determiniertheit zurückgeführt wurden, bildet das Prinzip der hierarchischen Organisation.“
Weiss erläutert die Entstehung ganzheitlicher Systeme in der Natur am Modell eines Torbogens. Enthält der Torbogen einen kompletten Satz von Steinen, so ist er ein sich selbst stabilisierendes Bauwerk. Fehlt aber nur ein einziger von ihnen, so bricht er zusammen. Um ihn zu errichten, bedarf es deshalb eines Gerüstes. Die ganzheitlichen Systeme der Lebewelt könnten ebenfalls nicht existieren, wenn man eines ihrer Teile, beispielsweise ein Organ, entfernte. Die lebenden Systeme bilden sich aber spontan. Es bedarf zu ihrer Entstehung keines Gerüstes und keines externen Konstrukteurs. Die Lösung dieses Paradoxons sieht er im Prinzip des Schichtendeterminismus. Primär seien in der Evolution immer systemhafte Phänomene, die sich durch eine große Variabilität ihrer Elementarprozesse auszeichnen. In solchen stochastisch-kinetisch synthetisierten Ganzheiten komme es dann sekundär zur Aufspaltung in Teile, die untereinander in deterministischer Weise verbunden sind. Übertragen auf den Torbogen hieße dies, dass dieser zunächst aus einem einzigen Stein besteht und nach und nach durch Teilungen zum selbst tragenden Bauwerk wird.
Die deterministische Komponente in den Lebensprozessen hat vieles mit der Dynamik von Maschinen gemeinsam. Die Einsicht in diese Gemeinsamkeiten führte in den vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zur Geburt der Kybernetik. Kybernetische Systeme besitzen bestimmte Erhaltungsmechanismen, mit deren Hilfe sie sich gegenüber Störfaktoren behaupten können. Das grundlegende Prinzip der Selbsterhaltung ist bei ihnen die kompensierende Rückkopplung, die durch die kommunikativen Verbindungen zwischen verschiedenen Substrukturen des Systems realisiert wird (Klaus 1967, S. 335). Rückkopplungssysteme sind durch diese informationellen Kopplungen zwischen ihren Teilen deutlich von ihrer Umgebung durch eine Systemgrenze getrennt. Pfeiffer (1966) bezeichnet sie treffend als „Wirkinseln“.
Andererseits gibt die kybernetische Theorie keine Erklärung für die Erscheinung der Selbstorganisation in der Biologie. In dieser Beziehung war die historisch ältere Theorie des offenen Systems aussagekräftiger. Auch im Rahmen dieser Theorie wird regulatives Verhalten erklärt, jedoch nicht durch die informationelle Kopplung zwischen stabilen Systemteilen, sondern durch eine innere Kinetik.
„Das Wesentliche dabei ist, dass das Geschehen, so weit jene Regulation geht, nicht durch eine feste Struktur, durch eine ‚Maschine‘ im weitesten Sinne bestimmt wird, sondern durch die innere Dynamik, und zwar die in einem offenen System“ (von Bertalanffy 1949, S. 48).
Auf einer bestimmten Abstraktionsstufe gleichen sich die mathematischen Formeln zur Beschreibung von Regulationsvorgängen in kybernetischen und offenen Systemen (Rosen 1973). Man muss also zwischen verschiedenen Realisierungsmöglichkeiten regulativer Erscheinungen differenzieren (von Bertalanffy 1969, S. 97).
Ein bedeutender Fortschritt im Verständnis der Selbstorganisation war die Theorie dissipativer Strukturen, für die Ilya Prigogine 1977 der Nobelpreis verliehen wurde (Prigogine 1978). Sie beschreibt ein dynamisches Prinzip, „das der Entstehung der reichen Formenwelt biologischer, ökologischer, gesellschaftlicher und kultureller Strukturen zugrunde liegt“ (Jantsch 1982, S. 49). Da die Modelle der dynamischen Strukturbildung einen Aspekt der Wirklichkeit beschreiben, den die Kybernetik in ihrer klassischen Form nicht zu erfassen vermochte, erscheint der Vorschlag von Haken & Graham (1971) gerechtfertigt, sie zu einer eigenen Wissenschaftsdisziplin mit der Bezeichnung „Synergetik“ zusammenzufassen.
An einem Beispiel soll verdeutlicht werden, dass es notwendig ist, die Entwicklung auf der Ebene der Elementarprozesse von der Entwicklung auf der Ebene der Systemprozesse begrifflich zu trennen. Eine Population einzelliger Organismen kann als Menge relativ unabhängiger Elemente aufgefasst werden. Sie stellt kein System dar. Vielzeller sind dagegen Systeme. Für den Übergang zur Vielzelligkeit ist es charakteristisch, dass die Zellen nicht nur räumlich zusammenhängend bleiben, sondern auch gruppenweise in bestimmte Gewebetypen differenzieren. Die Systembildung ist also nicht nur mit einer Einengung der räumlichen, sondern auch der funktionellen Beweglichkeit verbunden. Verringerte Freiheit der Beweglichkeit ist gleichbedeutend mit verringerter Zufälligkeit im Ablauf der Elementarprozesse. Die Regularität und damit Gesetzmäßigkeit des Geschehens vergrößert sich. Diese Feststellung gilt für die Dynamik der Zellbewegung. Im unorganisierten Zustand der Einzellerpopulation fluktuiert die Gesamtheit der Zellen nach einem nur von äußeren Bedingungen abhängigen Muster der Abundanz- und Dispersions-Dynamik. Im organisierten Zustand des Vielzellers werden die zellulären Bewegungs- und Differenzierungsmuster dagegen zusätzlich durch die inneren Gesetzmäßigkeiten der Morphogenese gesteuert. Die Bindungen zwischen den Elementen werden stärker als die mit dem umgebenden Medium. Die Zellgesamtheit ist gegenüber der Umgebung weniger zugänglich.
Dieser Tendenz zunehmender Regularität und Geschlossenheit steht eine andere, genau entgegen gesetzte gegenüber: die Befähigung des vielzelligen Organismus zu aktiven Handlungen. Dieser Bewegungstyp ist qualitativ neu. Auf dem Niveau der Einzellerpopulation gibt es ihn gar nicht. Nimmt die Organisiertheit des Vielzellers zu, so wird sich auch sein Handlungsspielraum vergrößern. In Form seiner reversiblen Bewegungen wird das System gegenüber der Umgebung zugänglicher. Es öffnet sich. In der zeitlichen Folge werden die einzelnen Reaktionen ein stochastisch-kinetisches Muster ergeben, das, vergleichbar der Abundanzdynamik einer Einzellerpopulation, den Einwirkungen aus der Umgebung „opportunistisch“ folgt. Die Systemorganisation ist also auf der oberen Ebene durch zunehmende Unregelmäßigkeit gekennzeichnet.
Die evolutionsbiologischen Fakten weisen nun darauf hin, dass diese beiden Entwicklungstendenzen nicht gleichzeitig, sondern zeitlich gegeneinander versetzt abliefen. Die ersten tierischen Vielzeller waren nicht handlungsfähig, sondern, den heutigen Pflanzen vergleichbar, reine Wachstumsvielzeller. Die Fähigkeit zur reversiblen Beweglichkeit entstand erst im weiteren Verlauf der Evolution bei einigen Stämmen der niederen Metazoen als Folge der phagotrophen Lebensweise. Zur Aufnahme größerer Nahrungspartikel war es notwendig, schnelle und koordinierte Bewegungen auszuführen. Die Evolution des Nerven- und Muskelgewebes wurde dadurch selektiv begünstigt.
Beiden Formen der Systemdynamik, der morphogenetischen Musterbildung und der reversiblen Beweglichkeit des Gesamtorganismus, liegen offenbar verschiedene Wirkungsmechanismen zugrunde. Mit Hilfe der Theorie dissipativer Strukturen (Glansdorff & Prigogine 1971) und der Theorie der Steuerung und Regelung (Wiener 1963) lässt sich dieser Unterschied genauer charakterisieren. Morphogeneseprozesse werden als dissipative Musterbildungen interpretiert (Meinhard 1982). Für diese Form der Systemdynamik ist es typisch, dass die Verbindung zwischen den Elementen locker ist. Die Regularität des Musters resultiert aus der stochastisch-kinetischen Synthese vieler Elementarprozesse. Regularität und Bestimmtheit sind auf der Ebene des Gesamtsystems viel größer als auf der Ebene der Elemente. Steuersysteme sind demgegenüber deterministische Wirkungsgefüge. Die funktionellen Elemente in einem Steuermechanismus sind auf ganz bestimmte Teilleistungen festgelegt und nach einem feststehenden Bauplan miteinander verbunden. Die Dynamik des Steuersystems ist reversibel, denn es bewegt sich nur im Rahmen einer vom Bauplan vorgegebenen Grundstruktur.
Man kann sich die Entwicklungsreihe vom Einzeller über den Wachstumsvielzeller zum verhaltensfähigen Vielzeller als aufeinander folgende Evolution von Wirkprinzipien der stochastisch-kinetischen und der deterministischen Systemdynamik vorstellen. Zunächst entwickelten die Zellen bestimmte „soziale“ Eigenschaften und aggregierten zu Wachstumsvielzellern. Diese evolvierten in die Richtung einer zunehmenden Differenziertheit und morphologischen Formbestimmtheit. Mit der fortschreitenden Ausbildung morphogenetischer Mechanismen, dem immer mehr zunehmenden Spezialisierungsgrad der Zellen, erfolgte schließlich der Übergang zum verhaltensfähigen Vielzeller. Die Verhaltensfähigkeit ergab sich aus dem Zusammenspiel bestimmter Subsysteme des Vielzellers. Er segregierte. Der progressive Wandel in den Morphogenesemechanismen verlangsamte sich während dieser Phase der Verhaltensevolution. Es wurden nicht mehr ständig neue Zelltypen und Differenzierungsmechanismen entwickelt. Der Schwerpunkt evolutiven Wandels verlagerte sich vielmehr in den Bereich der Verhaltensmechanismen. Es bildete sich in Form des Nervensystems ein spezieller Zelltyp für die Kommunikation zwischen den Systemteilen heraus. Erfolgte vorher der Informationsaustausch im System diffus über Hormonmoleküle, so entstand durch das Nervengewebe die Möglichkeit einer stärker kanalisierten informationellen Kopplung. Im Unterschied zur hormonalen Kommunikation, bei der einzelne Zellen als Sender und Empfänger fungierten, verband das neuronale Kommunikationsnetz ganze Gewebekomplexe.
In Abb. 1 ist das Prinzip der Aufeinanderfolge von aggregativer und segregativer Evolutionsphase angedeutet. Es ist ersichtlich, dass der Inhalt des Begriffes Element sich in Abhängigkeit von der stochastisch-kinetischen oder deterministischen Natur der Systemdynamik unterscheidet. Im ersten Fall sind es die Ausgangskomponenten der Systemorganisation und im zweiten Fall Aggregate aus diesen Ausgangskomponenten. Im ersten Fall bilden die Elemente in sich relativ homogene Teilgruppen, die Gewebe. Im zweiten Fall ist jedes Element ein weitgehend einzigartiges, aus mehreren Geweben zusammengesetztes Organ. Um diese unterschiedlichen Inhalte begrifflich zu fixieren, tritt im Folgenden an die Stelle von System“und „Element“ die Bezeichnung Ganzes und Teil sowie Gefüge und Glied (Tab.1). Diese Begriffsbildung entspricht der Terminologie von Hartmann (1964, S. 301), der dem Teil im Ganzen mehr Autonomie zuschreibt als dem Glied im Gefüge:
„... reißt man den Teil aus dem Ganzen, so ist die Ganzheit verletzt, der Teil aber nicht; reißt man ein Glied aus dem Gefüge, so hört das Glied auf zu sein, was es war, das Gefüge aber kann fortbestehen.“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus Tabelle 1 geht hervor, welche Inhalte in einige weitere systemtheoretische Begriffe hineingelegt werden sollen. Die stochastisch-kinetischen Systeme sollen auch Organisationen und die deterministischen auch Mechanismen genannt werden. Verhalten wird als reversible Zustandsänderung eines Systems aufgefasst. „lnformation“ wird nicht im speziellen Sinne der Shannon’schen Informationstheorie (Shannon & Weaver 1949), sondern in der allgemein sprachlichen Bedeutung verwendet. Danach ist Information als Eigenschaft der Materie an einen Prozess gebunden, der als Übertragung von Wissen (in einem sehr allgemeinen Sinn) zu verstehen ist. Nach Hassenstein (1966) umfasst der allgemein sprachliche Informationsbegriff die Tatbestände als Inhalt der Information, Signale als Träger der Information und den vor dem Eintreffen der Signale nicht informierten Empfänger. Informationsverarbeitung ist eng mit der Fähigkeit zum Verhalten verbunden (Klix 1971). Sie setzt, wie Lorenz (1973, S. 41) es nennt, „ eine gegen alle Veränderungen gefeite Organisation voraus, in deren Apparat die wiederholte Leistung keine Spuren hinterlässt “.
Die Beeinflussung eines stochastisch-kinetischen Systems durch äußere Umstände führt immer zu irreversiblen Verschiebungen des Organisationsmusters. Eine unveränderliche Grundstruktur fehlt ihm. Hier von Informationsverarbeitung zu sprechen, ergäbe deshalb keinen Sinn.
Durch das Zusammenwirken von stochastisch-kinetischer und deterministischer Systemdynamik wird der biotische Schichtendeterminismus verständlich. Man versteht darunter die Tatsache, dass die Lebensprozesse kein Kontinuum darstellen, sondern deutlich voneinander abgesetzte Bewegungsqualitäten umfassen. Wie Weiss (1925) in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Loeb’schen Tropismen-Lehre begründete, weisen die Reaktionen des Gesamtorganismus im Vergleich zu seinen Teilen eine verringerte Variabilität auf. In Analogie zu Schrödingers Order-from-Noise-Prinzip1 der Statistischen Mechanik resultiert auch in den Organismen globale System-Regularität aus dem stochastisch-kinetischen Ausgleich vieler unabhängiger Elementarprozesse. Die Regularität der Systemprozesse wird aus statistischen Gründen nur erreicht, wenn die Anzahl der beteiligten Elementarprozesse nicht zu gering ist. Lebewesen bilden deshalb in ihrem Aufbau deutlich gegeneinander abgesetzte Schichten mit genügend großem Abstand, um die systemhafte Regularität einer bestimmten Strukturebene durch die stochastische Synthese der jeweiligen Elementarprozesse zu gewährleisten (Weiss 1970). So gibt es zwischen den Strukturebenen Molekül-Zelle-Vielzeller keine fließenden Übergänge. Die zelluläre Systemdynamik setzt eine Mindestmenge beteiligter Molekularkomponenten (einen „Minimalorganismus“) voraus (Sitte 1975/76). Gleiches gilt für die hierarchische Organisation im Bereich des Verhaltens. Instinktives, lernendes und einsichtiges Handeln bilden eindeutig gegeneinander abgrenzbare Qualitäten der reaktiven Auseinandersetzung eines Lebewesens mit seiner Umwelt.
Mechanismen der Steuerung und Regelung entstanden jeweils erst in der Folge der Evolution stochastisch-kinetischer Prinzipien der Selbstorganisation und leiteten den Sprung in eine höhere Bewegungsqualität ein. Man kann deshalb die Evolution der biotischen Schichtenhierarchie im Anschluss an die dialektisch-materialistische Entwicklungstheorie darstellen. Progressiver Wandel wird nach dieser Theorie durch das dritte dialektische Grundgesetz bestimmt. Der Sprung von einer niederen zu einer höheren Bewegungsqualität der Materie wird als Negation der Negation aufgefasst. Zunächst wird die Ausgangsqualität in ihren wesentlichen Zügen negiert, d.h. in ihr Gegenteil verkehrt (neue Qualität), und dann erfolgt durch eine nochmalige Negation der Sprung in die höhere Qualität. Diese enthält wieder die Merkmale der Ausgangsqualität, aber auf einem Niveau größerer Komplexität und Wirkpotenz (Hörz 1979). Will man dieses Gesetz im konkreten Fall anwenden, so muss ein geeigneter Negationsparameter gesucht werden, d.h. ein dialektisches Gegensatzpaar, das für die betreffende Erscheinung relevant ist (Klimazewsky 1976, S. 136). Für eine Untersuchung der progressiven Bioevolution bietet sich hierzu der Gegensatz von stochastisch-kinetischer und deterministischer Systemdynamik an. Dass es sich hierbei um ein komplementäres Begriffspaar vom Charakter eines dialektischen Widerspruches handelt, ist offensichtlich. Gegensätzlichkeit besteht für eine ganze Reihe von Merkmalen. So führt die Entwicklung der stochastisch-kinetischen Seite zur Zunahme der Regularität, Ganzheitlichkeit, Diskretität, Geschlossenheit und Konstanz der Systemprozesse. Die Entwicklung der deterministischen Seite begünstigt dagegen die entsprechenden Komplementärmerkmale. Mit der Wahl dieses Negationsparameters knüpfen wir an vorliegende Arbeiten marxistischer Autoren an, in denen die dialektisch-gegensätzliche Beziehung zwischen kybernetischen Regelmechanismen und den Regulationserscheinungen offener Systeme betont wurde (Wessel 1961, S. 130; Kamaryt 1963; Fuchs-Kittowski 1969, S. 84).
Im Folgenden wird zunächst mit der Untersuchung der Vielzellerevolution begonnen, also dem Entwicklungsabschnitt zwischen dem Qualitätssprung Zelle/Vielzeller und dem Qualitätssprung Vielzeller/Menschliche Gesellschaft. Für diesen Evolutionsabschnitt liegt ein umfangreiches biowissenschaftliches Tatsachenmaterial vor. Mit Hilfe des Gesetzes der Negation der Negation wird eine Periodisierung dieses Abschnittes vorgenommen. Danach wird analysiert, inwieweit die in der Vielzeller-Progression erkennbare Periodenfolge auch auf dem darunter liegenden Strukturniveau, d.h. für die Zellprogression, nachweisbar ist. Die biowissenschaftlichen Erkenntnisse über diese Phase sind lückenhafter. In der jüngsten Zeit hat es hier jedoch durch die stürmische Entwicklung in der Molekulargenetik einen bedeutenden Wissenszuwachs gegeben. Am Schluss sollen die aus den biologischen Entwicklungsgesetzmäßigkeiten zweier Strukturebenen abgeleiteten dialektischen Grundsätze im Zusammenhang mit der Entwicklung gesellschaftlicher Systeme der Menschheit interpretiert werden.
Kapitel 3: Vielzellerevolution (Meiotische Stufe)
Als am Ende des Präkambriums die Zellevolution mit der eukaryotischen Zelle ihr höchstes Niveau erreicht hatte (Cloud 1974), waren auf unserem Planeten die Voraussetzungen für eine Entwicklung vielzelligen Lebens gegeben. Durch die Mechanismen der Meiose und der Zygotenbildung wurde ein neuer Evolutionsfaktor, die Genmischung, wirksam. Die Evolution erhielt den Charakter der Speziation. Analog zu den primären Evolutionsfaktoren Mutation und Selektion kam es durch das Wechselspiel von Artentstehung und Artextinktion zu einer Selektion zwischen Arten (Stanley 1975; 1979, S. 11).
Die konstruktiven Wandlungen innerhalb der verschiedenen Entwicklungslinien vollzogen sich dabei im Rahmen der biozönotischen Bindungen. Die Phylogenese der Taxa war gleichzeitig Koevolution im Rahmen ganzer Ökosysteme (Ehrlich & Raven 1964; Smal’gauzen 1961; Kamšálov 1977, S. 188). Dabei wirkte sich die Höherentwicklung einzelner Gruppen im Rahmen der Ökosysteme aus, indem sich deren Umsatzleistung erhöhte (von Wahlert & von Wahlert 1981). Seit dem Präkambrium hat sich die spezifische Entropie-Produktion der Erdoberfläche ständig verringert, weil immer mehr Energie im Gefälle zwischen eingestrahltem Sonnenlicht und rückgestrahlter Wärme in die Lebensprozesse gelenkt wurde (Wicken 1980).
Gleiche ökologische Funktionen führten zur konvergenten Evolution gleicher Funktionsprinzipien, d.h. der konstruktive Wandel wurde durch systemimmanente Gesetzmäßigkeiten kanalisiert (Keindl 1965; Gutmann & Bonik 1981; Riedl 1983; Wuketits 1982). So entstand beispielsweise eine gleichartige Ausführung des Linsenauges sowohl bei den Cephalopoden als auch bei den Vertebraten (Packard 1972). Rothschuh (1963, S. 100) spricht vom Leistungsprinzip der Evolution: Die organismischen Systemglieder müssen, bezogen auf die Anforderungen im Ökosystem, in einer leistungsdienlichen Korrespondenz stehen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Ökonomie der Energieverwertung (Peters & Gutmann, 1971; Calow 1977).
Andererseits kann sich die Evolution nicht über ihre eigene Geschichte hinweg setzen. Die grundlegenden Struktur- und Funktionsmuster der Organismen können nur modifiziert, niemals aber völlig durch andere ersetzt werden (Bresch 1981; Jantsch 1982, S. 312; Fuchs-Kittowski et al. 1972; Segal 1962). Dieses konservative oder historische Prinzip führte dazu, dass hoch spezialisierte Anpassungen früher oder später zum Aussterben der betreffenden Arten führten. Neue Entwicklungen gingen meist von relativ unspezialisierten Formen aus (Cope’sches Gesetz; Stanley 1973). Auch die Beschränkung des evolutiven Wandels ganzer Gruppen auf nur allogenetische Veränderung, ihr Ausschluss von der weiteren Höherentwicklung, ist eine Konsequenz des konservativen Prinzips. Die Insekten, deren Respirationssystem und Außenskelett die Körpergröße aus physikalischen Gründen beschränkte, sind hierfür ein gutes Beispiel. Friedrich Engels sah bereits klar:
„dass jeder Fortschritt in der organischen Entwicklung zugleich ein Rückschritt ist, indem er einseitige Entwicklung fixiert, die Möglichkeit in vielen anderen Richtungen ausschließt“ (MEW 20, S. 564).
Die Entwicklung der Vielzeller von den Anfängen bis zur Entstehung der menschlichen Gesellschaft soll jetzt näher betrachtet werden. Dieser Entwicklungsabschnitt ist in sich ein abgeschlossenes Geschehen. Er verkörpert die Gesamtheit der progressiven Entwicklung innerhalb einer strukturellen Schicht und wird nach unten durch die Schicht der zellulären Systeme und noch oben durch die Schicht der Sozialsysteme begrenzt. Welche Entwicklungsgesetze offenbart dieser strukturelle Wandel von der einen Ebene zur nächst höheren, m. a .W., welche Merkmale zeichnen die biotische Höherentwicklung aus? Diese Frage hat in der Evolutionsbiologie eine Rolle gespielt, seit sie durch Darwin (1859) begründet wurde. Viele bedeutende Vertreter der Synthetischen Theorie haben sich ausführlich mit ihr befasst: Severcov (1931); Huxley (1942); Simpson (1949); Remane (1952); Rensch (1954); Zavadskij (1958); Dobzhansky (1970). Die verschiedenen Aspekte des Problems und die unterschiedlichen, teilweise kontroversen Standpunkte der Forscher sollen hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Eine Übersicht gibt Lange (1976). Übereinstimmung besteht darüber, dass diese Frage nicht deduktiv geklärt werden kann. Die Antwort muss vielmehr im empirischen Material gesucht werden (Hollitscher 1960, S. 379). Da sich die Kenntnisse über das evolutionsbiologische Geschehen ständig erweitern, wird es hierzu vorerst keine endgültige Antwort geben können.
Die meisten morphologisch-physiologischen Kriterien der Höherentwicklung, die von den Autoren angeführt werden (Internation, Konzentration, Zentralisation, Synorganisation, Perfektion, Komplikation u. a.), stehen in Beziehung zur Autonomie des Organismus gegenüber seiner Umwelt. Autonomie ist dabei im aktiven wie passiven Sinne gemeint, d.h. als Beherrschung der Umwelt und Unabhängigkeit von ihr (Lange 1976). Die Autonomiezunahme ist ein Ergebnis der Vervollkommnung von Grundfunktionen.
Hier lässt sich an die systemtheoretischen Überlegungen des vorausgegangenen Kapitels anknüpfen. Wie wir gezeigt hatten, vergrößert sich in der aggregativen Systembildungsphase die Geschlossenheit eines Systems. Es kapselt sich ab. Die Autonomie gegenüber der Umwelt ist hier eine passive. In der segregativen Phase entwickelt sich dagegen die aktive Seite der Autonomie. Das System erwirbt neben seiner Widerstandskraft gegen zerstörende Wirkungen der Umwelt auch noch die Fähigkeit, diese Umwelt durch seine Handlungen zu verändern. Die Höherentwicklung war also nicht einfach ein stetiger Zuwachs beider Aspekte der Autonomie. Die aktive und passive Seite wurden in der zeitlichen Folge vielmehr alternierend entwickelt. Daraus leitet sich die Möglichkeit ab, den Gesamtprozess in qualitativ unterscheidbare Perioden zu untergliedern.
Die bereits beschriebenen Prozesse der Bildung des Wachstumsvielzellers aus Einzellern und des verhaltensfähigen Vielzellers aus dem Wachstumsvielzeller (Abb.1) stellen solche qualitativ voneinander unterscheidbaren Progressionsphasen dar. Sie sind die beiden ersten Glieder der Vielzellerevolution. Die Periodisierung lässt sich in der gleichen Weise fortsetzen (Abb. 2). Verhalten bildet dazu die Ausgangsqualität einer neuen Periode. In Analogie zu den populationsdynamischen Fluktuationen der Einzeller bilden die einfachen Verhaltensakte niederer Metazoen ein stark vom Zufall geprägtes zeitliches Muster.
Sie stellen in ihrer Gesamtheit eine Menge weitgehend unabhängiger Elementarprozesse dar, deren zeitliche Folge die Einwirkungen der Umwelt unmittelbar widerspiegelt. Man kann nun fragen, welches die nächsthöhere Bewegungsqualität war, die aus der Bewegungsqualität des Verhaltens hervor ging. Dabei wird wieder der Sprung in die höhere Qualität als Negation der Negation, in der sukzessiven Entfaltung von aggregierender (stochastisch-kinetischer) und segregierender (deterministischer) Systembildungstendenz aufgefasst. Wir gehen zunächst den Schritt von der Ausgangsqualität zur neuen Qualität durch die Einführung desmogener2 (d.h. bindender) Eigenschaften: Die Aggregation einfacher Verhaltensakte zu komplizierteren Mustern erscheint in der Evolution als Ausbildung der komplizierten Handlungsabläufe des Instinktverhaltens. Nachdem die Voraussetzungen zur reversiblen Beweglichkeit durch die Entwicklung der sensorischen und motorischen Elemente des Nerven-Muskel-Systems entstanden waren, entwickelte sich der steuernde Teil des Verhaltensmechanismus in Richtung Zentralisation. Dadurch wurden die strukturellen Voraussetzungen zur Erzeugung der Steuerprogramme für die komplizierten Abläufe des instinktiven Verhaltens geschaffen.
Das Wirkungsprinzip der zentralnervösen Musterbildung, auf dem diese Steuerprogramme beruhen, ist ein stochastisch-kinetisches. Es lässt sich genauso wie die Musterbildung bei morphogenetischen Prozessen als Selbstorganisation im Rahmen der Theorie dissipativer Strukturen interpretieren (Eigen & Winkler 1975, S. 121). Waren es bei der Morphogenese stochastisch-kinetisch erzeugte räumliche Gradienten von Wirkstoffen, aus denen sich die raum-zeitliche Ordnung der morphogenetischen Wachstumsmuster ergab, so sind im Falle der Instinkthandlung zentralnervös erzeugte Muster die Quelle der Ordnung in den Handlungsabläufen. Man kann auch sagen, dass die Instinkthandlung in sich, analog den Zellen des Wachstumsvielzellers, eine differenzierte Menge elementarer Reaktionszyklen vereinigt. Sie stellt im Vergleich zur Folge unabhängiger Elementarreaktionen einen höheren Grad an Regularität dar. Im Rahmen der Bewegungsqualität Verhalten erhöht sich so die passive, abkapselnde Seite der Autonomie.
Die Abgrenzung gegenüber der Umwelt erfolgt aber nur bis zu einem bestimmten Grade. Jede Instinkthandlung ist durch innere und äußere Zufallseinflüsse modifizierbar. Selbst unter nahezu konstanten Umweltbedingungen im Experiment gleicht keine Handlung der anderen. Dies konnte Weiss (1925) mit seinen klassischen Experimenten zum Schichtendeterminismus an Hand der Ruhestellung von Schmetterlingen nachweisen. Es liegen hier also analoge Verhältnisse vor, wie bei den morphogenetischen Prozessen, deren Programm in der Ausführung ja ebenfalls durch mannigfache Zufallseinflüsse modifiziert wird. Während der aggregativen Progressionsphase wird dieser aus dem „Chaos“ der Ausgangssituation übernommene Rest-Zufall immer mehr reduziert‚ bis schließlich die Voraussetzungen für Steuermechanismen gegeben sind.
Als Negation der Negation muss sich an die aggregative Phase wieder eine segregative anschließen. Diese muss mit dem Sprung in eine höhere Bewegungsqualität verbunden sein. Sie muss zu einer Öffnung der Systemdynamik gegenüber der Umwelt führen, indem sie die aktive Seite der Autonomie fördert. Entsprechend unserem Schema in Abb. 1 soll das Wesen dieser Phase darin bestehen, die Systeme der vorangegangenen Phase, die Aggregate, in reversibel gegeneinander bewegliche Teilkomponenten zu zergliedern. Es müssen also bestimmte Veränderungen im zentralnervösen Bereich sein, durch die es zum Sprung in die höhere Qualität kommt.
Die höhere Qualität heißt Lernen. Man kann sich die Evolution von Lernmechanismen als Segregation der instinktiven Verhaltensprogramme in reversibel gegeneinander bewegliche Teile vorstellen (Klix 1980, S. 23). Reversibilität ergibt sich dadurch, dass die Assoziationen temporär sind, also wieder aufgehoben werden können. Lernen und Vergessen bilden eine Einheit. Damit kann vom Individuum eine Leistung erbracht werden, die vorher nur durch evolutiven Wandel möglich war: Die Trennung und veränderte Wiederverschmelzung von Verhaltensmustern (Lorenz 1975). Lernfähigkeit bedeutet also nicht, dass die Verhaltenskoordination weniger von Instinkten abhinge. Es ist vielmehr ein bestimmter Grundbestand an vorprogrammierten Handlungsabläufen notwendig, um als feststehendes Gerüst die Grundlage der qualitativ höheren Beweglichkeit zu bilden.
„Jede Modifikabilität hat, wenn sie Arterhaltungswert entwickeln soll, selbstverständlich ein stammgeschichtlich entstandenes Programm zur Voraussetzung und dazu noch einen ebenso phylogenetisch programmierten Lernmechanismus. … Allgemeine und restlose Plastizität aller Verhaltensweisen würde eine unendliche Menge sowohl der Informationen als auch der Lernapparate voraussetzen, was selbstverständlich Unsinn ist.“ (Lorenz 1973, S. 134).
In schematischer Form ist dieser Sachverhalt in Abb. 2 angedeutet. Im verhaltensfähigen Vielzeller, also einem System, das seine Grundstruktur und damit seine individuelle Identität durch laufende Verwertung von Augenblicksinformationen aufrecht erhält, hat sich in Form des lernfähigen Zentralnervensystems ein Gefüge herausgebildet, das ebenfalls reversibel beweglich ist. Es ist ein Individuum im Individuum entstanden und damit eine dem einfachen Verhalten hierarchisch übergeordnete Schicht der Determination. Die Lerninhalte, d.h. die gerade bestehenden Assoziationen, wirken gegenüber dem Repertoire phylogenetisch fixierter Handlungselemente als Steuergröße.
Das Tier verwertet auf diese Weise Informationen über seine Umgebung auf zwei verschiedenen Ebenen. Zum einen vollzieht sich der unmittelbare Handlungsablauf durch ständigen Informationsaustausch mit der Umgebung. Die Systemperipherie passt sich über ihre Effektoren und Sensoren ständig den aktuellen Gegebenheiten an, um die Realisierung zentral vorgegebener Steuerbefehle zu gewährleisten. Auf der anderen Seite passt sich auch die zentrale Steuereinheit den aktuellen Gegebenheiten der Umgebung an. Innerhalb der phylogenetischen Grobeinstellung zwischen Tier und artspezifischer Nische sorgt der Lernmechanismus für eine Präzisierung der Steuerprogramme, für eine Feineinstellung auf die aktuelle Umwelt. Die Möglichkeiten, das individuelle Überleben und die Fortpflanzung zu sichern, nehmen dadurch beträchtlich zu. Die aktive Seite der Autonomie vergrößert sich. Das System öffnet sich gegenüber der Umwelt. Im lernenden Zentralnervensystem entsteht das Abbild von der Umwelt durch zweifache Brechung, durch die Widerspiegelung an der Systemgrenze zwischen Individuum und Außenwelt und durch die Widerspiegelung an der Grenze zwischen dem Gedächtnis für Lerninhalte und den durch diese Lerninhalte gesteuerten peripheren Teilen des Systems.
Die Herausbildung der Lernfähigkeit kann als Beginn der Entwicklung des Psychischen angesehen werden. Eine der zentralen Kategorien in der Psychologie ist bekanntlich der Begriff der Assoziation (Lorenz 1975). Der Bewegungsqualität des Psychischen übergeordnet entwickelte sich im Verlauf der Evolution noch eine weitere Bewegungsebene, die Ebene des rationalen, sprachlich artikulierbaren Denkens. Auch dieser Qualitätssprung lässt sich als Negation der Negation, als Folge einer aggregativen und einer segregativen Entwicklung beschreiben. Die Ausgangsqualität ist in diesem Falle Lernen.
Analog zum einfachen Verhalten kann man auch beim einfachen Lernen davon ausgehen, dass die Adaptationen jeweils nur an ganz konkrete Umweltbedingungen möglich sind. Ändern sich diese Bedingungen, so lernt das Tier um. Es vergisst die bisherigen Lerninhalte und erwirbt neue. Zwischen den adaptiven Zuständen in einer längeren Zeitreihe gibt es keine inneren Kopplungen. Sie bilden, analog zu den elementaren Verhaltensweisen, eine Menge unabhängiger Elementarprozesse, die im Zeitablauf den Umweltbedingungen „opportunistisch“ folgen. Soll die Progression, die vom „Chaos“ elementarer Lernprozesse ausgeht, entsprechend dem Schema in Abb.1 ablaufen, so muss innerhalb des Lerngedächtnisses erneut eine übergeordnete Steuerungsebene, ein Zentrum in Zentrum entstehen (Abb. 2).
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1 Schrödinger (1951, S. 114)
2 Engel´gard (1973)
- Arbeit zitieren
- Dr. Reinhard Heerkloss (Autor:in), 1987, Biogenese, Anthropogenese und Extraterrestrische Intelligenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/899473
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