„I would, there were no age between ten and three-and-twenty, or that youth would sleep out the rest: for there is nothing in the between but getting wenches with child, wronging the ancientry, stealing, fighting“, so klagt der Schäfer in Shakespeares „Wintermärchen“. 400 Jahre ist diese Klage alt und dennoch scheint sie aktuell Anfang 2008.
So wurde und wird viel diskutiert über das Jugendstrafrecht. Ist es ausreichend? Welche Instrumente fehlen? Wie können wir der Jugendgewalt entgegenwirken?
Die Instrumente, die das Jugendstrafrecht bietet, sind m.E. ausreichend. Es gibt Sozialstunden, Wochenendarreste, Dauerarreste, Teilnahmeverpflichtungen an entsprechenden Kursen des Anti-Aggressivitäts-Trainings und des Sozialen Trainingskurses bis hin zu freiheitsentziehenden Maßnahmen in Form von Unterbringung in Jugendstrafanstalten.
Bisher liegt der Schwerpunkt der meisten vorliegenden Arbeiten zum Thema Jugendgewalt eindeutig auf der empirischen Analyse von Gewaltphänomenen, während die Erarbeitung von Präventionsansätzen nachrangig ist. Das ist ein Problem, obwohl mittlerweile einige gute Präventionskurse vorhanden sind.
Ich möchte ein neues Konzept im Bereich der Präventionsarbeit vorstellen, den Konflikttrainingskurs „Alles klar!“ (KonTAK). Bei diesem Trainingsprogramm geht es um den Aufbau und die Stärkung der kommunikativen Grundkenntnisse.
Kommunikative Grundfertigkeiten sind wichtig, um Konflikte zu vermeiden. Sie sind auch wichtig, um Konflikte anders auszutragen als mit Aggression, Gewalt oder Rückzug. Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit, Teamarbeit und eigenverantwortliches Handeln sind Erfahrungen, die das Leben prägen. Die Vermittlung von sozialen Fertigkeiten und Fähigkeiten (soziale Kompetenz) hilft den jungen Menschen, in Schule, Ausbildung und später in der Berufswelt bestehen zu können.
Diese Grundfertigkeiten zu erweitern ist Ziel des Konflikttrainingskurses „Alles klar“, der in Schleswig-Holstein zur Zeit als Angebot besteht. In Kooperation mit Schule, Jugendrichtern, Jugendamt, dem Hamburger Verein ‚Gefangene helfen Jugendlichen’ und der Polizei Elmshorn wird dieses Projekt seit Oktober 2006 in unregelmäßigen Abständen durchgeführt.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Abkürzungsverzeichnis
1 Ein paar einleitende Worte zum Anfang
1.1 Warum noch ein neuer Trainingskurs?
1.2 Einzelne Trainingskurse – ein Abriss
1.2.1 Die Rahmenbedingungen von AAT / CT â
1.2.2 Konfrontatives Soziales Training (KST) â
1.2.3 Sozialer Trainingskurs (STK)
1.3 Konflikttrainingskurs „Alles klar!“
1.4 Zum Aufbau dieser Schrift:
2 Zielsetzung des Konflikttrainings
2.1 Empathieerfahrung: Grundlage für den Trainingskurs
2.2 Zielsetzung
2.3 Zielgruppe
2.4 Unterschiedliche Ehrbegriffe
2.4.1 Versuch einer allgemeingültigen Definition
2.4.2 Geschichtliche Betrachtung
2.4.3 Ehre im westlichen Kulturkreis heute
2.4.4 Ehre im muslimischen Kulturkreis
2.4.5 Der Ehrbegriff und das Konflikttraining
2.5 Bildliche Darstellung als zentrales Element
2.5.1 Das Phasenmodell nach Weidenmann
2.5.2 Zwei Arten des Bildverstehens
2.5.3 Zusammenfassung
3 Der Aufbau des Kurses
3.1 Motivationsgespräche
3.2 Einführungsphase
3.3 Verfestigungsphase
3.3.1 Die Modelle – Methoden zu Konfliktlösungen
3.3.1.1 Das ABC-Modell
3.3.1.2 Das BAC-Modell
3.3.2 Rollenspiel und Präsentation
3.3.3 Was ist Gewalt?
3.3.3.1 Ursachen von Gewalt:
3.3.3.2 Jugendgewalt:
3.4 Abschlussphase
4 Die Umsetzung
4.1 „Wir lernen uns kennen“(1. Treffen)
4.2 „Wer bin ich?“ – die Eigenwahrnehmung (2. Treffen)
4.3 Begriffsklärungen: Mut und Respekt (3. Treffen)
4.3.1 Ergebnisse zum Thema „Mut“
4.3.2 Ergebnisse zum Thema „Respekt“
4.4 Erarbeitung einer Gewaltdefinition (4. Treffen)
4.4.1 Ergebnisse zum Thema „Gewalt“
4.4.2 Jugendliche üben Gewalt aus, weil
4.5 Wir sprechen mit Fachleuten (5. Treffen)
4.6 Konfliktanalyse nach dem ABC-Modell (6. Treffen)
4.7 Der Santa-Fu-Besuch (7. Treffen)
4.7.1 Die Vorbereitung der Santa-Fu-Fahrt
4.7.2 Der Santa-Fu-Besuch
4.7.3 Die Nachbereitung
4.8 Der Tag danach und das BAC-Modell (8. Treffen)
4.9 Das Abschlusswochenende (9. Treffen)
4.10 Einzelgespräche
4.11 Nachbereitung und Nachhaltigkeit (10. Treffen)
5 Die Schulung Konfliktfähigkeit
5.1 Angesprochene Handlungsebenen
5.2 Regeln für die Trainer:
5.3 Schritt für Schritt
6 Das Kurstagebuch zum Konflikttraining „Alles klar“
6.1 Ein kleines Vorwort:
6.2 Das persönliche Kurstagebuch
Anhang 1: Information zum KonTAK
Das Betreuer-Team
Flyer Konflikttraining „Alles klar!“
Teilnehmervertrag
Der Teilnehmer-Vertrag
Zertifikat
Anhang 2: Berichterstattung
Präventionspreis 2007 - Internet
Präventionspreis 2007 - Abendblatt
Keine Alternativen zur Prävention - Internetartikel
Anhang 3: Flyer „GhJ e.V.“
Literaturverzeichnis
Monographien
Weitere Quellen
Zeitschriftenartikel
Internetquellen
Abstract
„I would, there were no age between ten and three-and-twenty, or that youth would sleep out the rest: for there is nothing in the between but getting wenches with child, wronging the ancientry, stealing, fighting“[1], so klagt der Schäfer in Shakespeares „Wintermärchen“. 400 Jahre ist diese Klage alt und dennoch scheint sie aktuell Anfang 2008.
So wurde und wird viel diskutiert über das Jugendstrafrecht. Ist es ausreichend? Welche Instrumente fehlen? Wie können wir der Jugendgewalt entgegenwirken?
Die Instrumente, die das Jugendstrafrecht bietet, sind m.E. ausreichend. Es gibt Sozialstunden, Wochenendarreste, Dauerarreste, Teilnahmeverpflichtungen an entsprechenden Kursen des Anti-Aggressivitäts-Trainings und des Sozialen Trainingskurses bis hin zu freiheitsentziehenden Maßnahmen in Form von Unterbringung in Jugendstrafanstalten.
Bisher liegt der Schwerpunkt der meisten vorliegenden Arbeiten zum Thema Jugendgewalt eindeutig auf der empirischen Analyse von Gewaltphänomenen, während die Erarbeitung von Präventionsansätzen nachrangig ist. Das ist ein Problem, obwohl mittlerweile einige gute Präventionskurse vorhanden sind.
So wird dieser Tage viel über Prävention geredet. Ein wichtiges Präventionsangebot wird dabei immer wieder vergessen, weil diesem scheinbar kein ernstzunehmender Rang zugebilligt wird: die Jugendeinrichtungen.
Soziales Lernen in Jugendeinrichtungen ist ein wichtiges Präventionsmittel. Soziale Bindungen zu stärken, den Gruppenzusammenhang zu fördern und somit positiv zu beeinflussen ist Prävention. Inhaltlich geht es dabei um die Kommunikation untereinander, um den Umgang mit Konflikten, der Entscheidungsfindung in Gruppen und Formen der Kooperation. Wenn, wie in der Vergangenheit geschehen, die Betreuerstellen in Jugendeinrichtungen zusammengestrichen, die Notwendigkeit, Jugendlichen Gespräche zu ermöglichen, reduziert werden, wie sollen dann die Themen „Wie gehe ich mit eigenen Frustrationen um? Wie nehme ich meine Interessen wahr, ohne andere zu verletzen? Wie nehme ich Gefühle von anderen wahr?“ behandelt werden?
Nun gut.
Dies ist nicht Thema dieses Buches.
Ich möchte ein neues Konzept im Bereich der Präventionsarbeit vorstellen, den Konflikttrainingskurs „Alles klar!“ (KonTAK). Bei diesem Trainingsprogramm geht es um den Aufbau und die Stärkung der kommunikativen Grundkenntnisse.
Kommunikative Grundfertigkeiten sind wichtig, um Konflikte zu vermeiden. Sie sind auch wichtig, um Konflikte anders auszutragen als mit Aggression, Gewalt oder Rückzug. Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit, Teamarbeit und eigenverantwortliches Handeln sind Erfahrungen, die das Leben prägen. Die Vermittlung von sozialen Fertigkeiten und Fähigkeiten (soziale Kompetenz) hilft den jungen Menschen, in Schule, Ausbildung und später in der Berufswelt bestehen zu können.
Diese Grundfertigkeiten zu erweitern ist Ziel des Konflikttrainingskurses „Alles klar“, der in Schleswig-Holstein zur Zeit als Angebot besteht. In Kooperation mit Schule, Jugendrichtern, Jugendamt, dem Hamburger Verein ‚Gefangene helfen Jugendlichen’ und der Polizei Elmshorn wird dieses Projekt seit Oktober 2006 in unregelmäßigen Abständen durchgeführt.
Hamburg, März 2008
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Ein paar einleitende Worte zum Anfang
1.1 Warum noch ein neuer Trainingskurs?
Diese Frage mag sich dem Leser zu recht stellen, zumal das Angebot auf dem Markt sehr groß ist.
Ich möchte versuchen zu erklären, was den Ausschlag zur Erstellung eines neuen Konzeptes gegeben hat. Dazu muss ich eintauchen in mein Arbeitsfeld. Als Diplom-Sozialarbeiterin leite ich seit 6 Jahren ein Kinder- und Jugendhaus, das sich in einem sogenannten Brennpunkt befindet. Kurse wie Anti-Aggressivitätstraining (AAT), Coolness-Training (CT), Konfrontatives Soziales Training (KST) und Sozialer Trainingskurs (STK) sind unseren Jugendlichen nicht unbekannt und sind auch sinnvoll.
Viele „meiner“ Jugendlichen erfüllen nicht die Kriterien, um Teilnehmer in einem dieser Kurse werden zu können. Entwicklungsdefizite, geringe Frustrationstoleranz, geringe soziale Kompetenz, Intoleranz und mangelnder sprachlicher Ausdruck führen zu Aggressivität, die, Unberührbarkeit, Macht, Überlegenheit und vermeintlichen Respekt verschaffen soll. Um diese Defizite aufzuarbeiten, ist der Konflikttrainingskurs (KonTAK) „Alles klar!“ im Bereich des niedrigschwelligen Angebotes für die Jugendhilfe entstanden.
1.2 Einzelne Trainingskurse – ein Abriss
Wie unterscheiden sich die einzelnen o.g. Trainingskurse voneinander und was ist anders am KonTAK? Mit einer Kurzvorstellung der Trainingskurse möchte ich die Unterschiede deutlich machen. In den Literaturhinweisen finden Sie gezielte Hinweise auf Publikationen, in denen vertiefende Informationen über die hier angesprochen Trainingskurse vorhanden sind.
1.2.1 Die Rahmenbedingungen von AAT / CT â
Das AAT ist primär bei der Justiz angesiedelt, das CT bei der Jugendhilfe und der Schule. Beide Trainingskurse sind beim Marken- und Patentamt geschützt. Die Trainerlizenz kann am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Frankfurt/M im Rahmen einer berufsbegleitenden Zusatzausbildung erworben werden.
Beim AAT und CT handelt es sich um eine delikt- und defizitspezifische Behandlungsmaßnahme für gewaltbereite Mehrfachtäter.
Folgende Charakteristika sind prägend für das AAT/CTâ (vgl. Weidner/Kilb 2006):
1. Das AAT ist im Bereich tertiärer Prävention, bei der Bewährungs- und Jugendgerichtshilfe, beim § 10 Jugend-gerichtsgesetz[2] und im Strafvollzug anzusiedeln. Behandlung unter Zwang wird als sekundäre Einstiegsmotivation akzeptiert. Diese soll durch Motivation und eine spannende Trainingsgestaltung beim Probanden innerhalb von ca. 4 Wochen in eine primäre Teilnahmemotivation gewandelt werden.
2. Das CT wird im Bereich der sekundären Prävention angewandt und setzt in Schule, Streetwork und Jugendhilfe auf freiwillige Teilnahme.
3. Die Zielgruppe umfasst Menschen, die sich gerne und häufig schlagen und Spaß an Gewalt zeigen, z.B. Hooligans, Skin-Heads, schul- und stadtbekannte „Schläger“. Sie müssen kognitiv und sprachlich dem Programm folgen können.
4. Die Gruppenleitung besteht i.d.R. aus zwei geisteswissenschaftlichen Hochschulabsolventen, davon einem mit qualifizierter AAT/CT-Zusatzausbildung incl. Selbsterfahrung auf dem „heißen Stuhl“.
5. Der Trainingseinstieg betont die Motivationsarbeit durch Tätergespräche und erlebnispädagogisches „Locken“, sowie eine spannende, konfrontative Gesprächsführung. Der zeitliche Rahmen beträgt bei einer Gruppe von fünf Teilnehmern ca. 60 Stunden.
6. Die Trainingsinhalte umfassen folgende Eckpfeiler: Einzelinterviews, Analyse der Aggressivitätsauslöser und Gewaltrechtfertigungen, Tatkonfrontation und Provokationstests auf dem heißen Stuhl, Opferbriefe, -filme, -aufsätze zur Einmassierung des Opferleids, Distanzierungsbrief an die gewaltverherrlichende Clique.
7. Die Schlusssequenzen der Konfrontationssitzungen gilt es besonders zu beachten: eine Nachbereitung mit den Elementen Entspannung und Reflexion ist unverzichtbar.
8. AAT/CT folgen einem optimistischen Menschenbild: den Täter mögen bei gleichzeitiger Ablehnung seiner Gewaltbereitschaft. (zitiert nach: Weidner/Kilb 2006: 23)
1.2.2 Konfrontatives Soziales Training (KST) â
Das Konfrontative Soziale Training (KST) ist eine deliktübergreifende Behandlungsmaßnahme für deviante[3] Jugendliche, sowohl für verhaltensauffällige Ersttäter als auch für wiederholt straffällige Delinquenten[4]. Es handelt sich hierbei nicht um ein spezifisches Anti-Gewalt-Training, sondern um eine Bearbeitung von allgemein devianten Verhaltensweisen von straffällig gewordenen Jugendlichen innerhalb einer Gruppe.
Rechtliche Grundlage für eine Teilnahme am KST ist eine Weisung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 JGG oder nach § 23 JGG[5].
Das KST ist geeignet für junge Menschen, bei denen eine Bearbeitung der defizitären Lebenslagen und Verhaltensweisen in einer Gruppe sinnvoll erscheint. Dabei spielt es weder eine Rolle, welchen Geschlechts sie sind noch ob sie ihre Straftaten alleine oder in der Gruppe begangen haben.
Die Zielgruppe umfasst:
- Jugendliche mit fehlendem Unrechtsbewusstsein
- Jugendliche, die in defizitären Familienzusammenhängen aufwachsen
- Jugendliche mit fehlender Zukunftsperspektive
- Jugendliche, die Probleme in lebenspraktischen Bereichen haben
Unabdingbar für ein erfolgreiches Training ist, wie bei allen Trainingsprogrammen, ein optimistisches Menschenbild, welches von Respekt vor der Persönlichkeit der Teilnehmer bei gleichzeitiger massiver Ablehnung ihres abweichenden Verhaltens gekennzeichnet ist.
Ein zentrales Mittel im Konfrontativen Sozialen Training ist der Einsatz der „Konfrontativen Feedback-Runde“. Die „Konfrontative Feedback-Runde“ im Konfrontativen Sozialen Training verfolgt folgende Ziele :
- Herausfinden der Tatmotivation
- Bewusstmachung der eigenen Verantwortung bezüglich der Taten
- Konfrontation mit Handlungsalternativen zu abweichenden Verhaltensweisen
- Bewusstmachung der eigenen Verantwortung in Bezug auf die eigene Lebenssituation
- Verstärkung der vorhandenen Positivmerkmale der Teilnehmer
Der Konfrontative Soziale Trainingskurs erstreckt sich über die Dauer von 24 Sitzungen, die einmal pro Woche stattfinden und auf mindestens 3 Stunden angesetzt sind. Das Kursprogramm gliedert sich in 4 Phasen, wobei die Länge der einzelnen Phasen abhängig ist von der Zusammensetzung der Gruppe und der individuellen Befindlichkeit der Teilnehmer. Für jede Phase wurde ein spezielles Angebot entwickelt, welches abgearbeitet werden muss.
1.2.3 Sozialer Trainingskurs (STK)
Der STK richtet sich an der Lebenswelt der Jugendlichen aus. In Schule, Beruf, Elternhaus, aber auch im Freundeskreis werden Jugendliche täglich mit ihrem Umfeld konfrontiert und kommen dabei immer wieder an ihre Grenzen. Bei vielen Jugendlichen führt dies zu einer Überforderung; sie werden straffällig und kommen mit der Justiz in Kontakt.
Der Soziale Trainingskurs orientiert sich an Inhalten des Coolness -Training® von Reiner Gall und der konfrontativen Pädagogik; er basiert auf der Grundlage:
Akzeptanz + Konfrontation = soziale Entwicklung
Ziel: den Jugendlichen soll die Integration in die Gesellschaft und ein Leben ohne Kriminalität ermöglicht werden. D.h.: Erlernen von Regeln und Normen und deren Einhalten, vorschauendes Handeln einüben, Reflexionsfähigkeit verbessern, Übernahme von Verantwortung, Stärkung des Selbstbewusstseins, Aufdecken von Rechtfertigungsverhalten für kriminelle Handlungen, Konfliktlösungsstrategien erlernen etc. Auch hier: nicht die Person wird abgelehnt, sondern ihr Handeln und Verhalten
Rahmenbedingungen:
- Der STK richtet sich an delinquent gewordene Jugendliche und junge Erwachsene ab 14 Jahren, die über den § 10 Ziffer 6 Jugendgerichtsgesetz vom Jugendrichter dem Sozialen Trainingskurs zugewiesen werden. Der STK soll eine Alternative zu Arbeitsauflagen, Geldstrafen und dem Jugendarrest sein
- Zur Zielgruppe gehören sowohl Erst- als auch Wiederholungstäter. Der Kurs ist vorgesehen für junge Menschen, deren Kriminalität im unteren oder mittleren Bereich liegt und die Entwicklungsdefizite und/oder Schwierigkeiten im sozialen Umfeld haben
- Der STK wird von zwei Diplom-Sozialpädagogen durchgeführt, wovon einer eine Zusatzqualifikation zum Coolnesstrainer© absolviert hat
- Die maximale Teilnehmerzahl beträgt 10 Teilnehmer
- 10 mehrstündige (ca. 3 Stunden) Treffen müssen stattfinden. Zusätzlich wird ein Intensivtreffen durchgeführt
Der STK wird als Mischform aus handlungs-, erlebnis-, themen- und freizeitorientiertem Arbeitsansatz durchgeführt. Im Sozialen Trainingskurs werden Themen wie Familie, Schule, Freizeit, Partnerschaft, Gewalt, Alkohol/Drogen usw. aufgegriffen.
Angewandte Methoden sind Interaktionsspiele, Körper- und Wahrnehmungsübungen, Videoarbeit, Rollenspiele und Gespräche.
1.3 Konflikttrainingskurs „Alles klar!“
Ich möchte noch einmal auf die Fragestellung „1.1 Warum noch ein neuer Trainingskurs?“ zu sprechen kommen.
Wir setzen mit unserem Training früher an als das Anti-Aggressivitätstraining (AAT), das Coolness-Training, das Konfrontative Soziale Training (KST) und der Soziale Trainingskurs (STK). Wir möchten Jugendliche soweit stärken, dass eine Weisung des Gerichtes nicht mehr nötig sein wird.
Wir setzen später an als die Präventionskurse für Grundschüler und bauen hier auf die eigene Einsicht, sich diesem Kurs zu stellen.
Wir sehen uns als Ergänzung zu den bereits existierenden Handlungskonzepten.
Der Trainingskurs richtet sich an Kinder und Jugendliche, die Defizite im verbalen Ausdruck haben. Er richtet sich an Kinder und Jugendliche, die nur geringe Konfliktlösungsstrategien aufbauen können. Er richtet sich an Kinder und Jugendliche, denen konzentriertes Zuhören enorm schwer fällt. Dieses Klientel wird durch die skizzierten Trainingskurse nicht abgedeckt, ist aber dennoch vorhanden.
Ziel des Trainings ist die Erweiterung der vorhandenen Kommunikation.
Kommunikative Grundfertigkeiten sind wichtig, um Konflikte zu vermeiden. Sie sind auch wichtig, um Konflikte anders auszutragen als mit Aggression, Gewalt oder Rückzug. Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit, Teamarbeit und eigenverantwortliches Handeln sind Erfahrungen, die das Leben prägen. Die Vermittlung von sozialen Fertigkeiten und Fähigkeiten (soziale Kompetenz) hilft den jungen Menschen, um in Schule, Ausbildung und später in der Berufswelt bestehen zu können.
Dabei richtet sich der Konflikttrainingskurs „Alles klar!“ an der Lebenswelt der Jugendlichen aus, denn gerade hier kommen diese immer wieder an ihre Grenzen. In Schule, im Elternhaus wie auch im Freundeskreis sind Jugendliche mit ihrem Umfeld täglich konfrontiert.
Eine Weisung nach § 10 JGG gibt es bei uns nicht. Die Teilnehmer kommen freiwillig, werden durch Eltern direkt angemeldet oder sind von Schulen benannt. Eine Zusammenarbeit mit Jugendamt, Schule, Elternhaus, Polizei und Jugendrichter ist unerlässlich und gewünscht.
Wir bauen auf Freiwilligkeit als ersten Schritt zur Veränderung. D.h. wir wollen Jugendliche motivieren, am Kurs teilzunehmen. Ob nun Neugier oder Abenteuerlust die Triebfeder zur Teilnahme sein wird, ist unerheblich. Die Idee, ein für Jugendliche freiwilliges Konflikttraining in Form eines täglich stattfindenden Kurses durchzuführen, basiert auf der Erfahrung, dass Bindungsarbeit und damit einhergehend Empathie eine Vertrauensbasis entstehen lässt, die genutzt werden kann, soziale Kompetenzen zu vermitteln.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Photo: KT-Gruppe vom Oktober 07 vor Santa-Fu
1.4 Zum Aufbau dieser Schrift:
Das Kapitel 2 befasst sich mit der Wichtigkeit von Empathie und Empathieerfahrung, stellt die Zielsetzung, die Zielgruppe und eine kurze Ablaufskizze dar.
Das Folgekapitel widmet sich der Theorie, auf die nicht verzichtet werden kann. Dabei habe ich weitestgehend auf Fachvokabular verzichtet, um die Flüssigkeit des Textes zu erhalten.
Die Praxis, exemplarisch dargestellt an einem stattgefundenen Trainingskurs, findet sich in Kapitel 4 ebenso wieder.
Das 6. Kapitel ist dem Kurstagebuch gewidmet.
Alle Photos von Jugendlichen sind zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Teilnehmer unkenntlich gemacht. Photos ohne Quellenangabe sind Bilder, die von der Autorin selbst gemacht worden sind.
2 Zielsetzung des Konflikttrainings
2.1 Empathieerfahrung: Grundlage für den Trainingskurs
Das Konflikttraining wird, wie die bereits genannten Trainingsprogramme auch, getragen von einem optimistischen Menschenbild. Den Menschen zu mögen, mit seinem Handeln aber nicht einverstanden zu sein, sind keine Widersprüche. Dieses zu vermitteln ist Aufgabe des Trainers.
Die Empathieerfahrung hat im Trainingskurs eine zentrale Bedeutung. Das Gefühl, nicht gemocht zu werden, kann neben Rückzugs- und Fluchttendenzen auch gesteigerte Aggressivität und Gewaltakte bedingen: „Wenn andere Angst vor mir haben, akzeptieren sie mich mehr. Sie mögen mich, weil ich stark bin“. Sprüche wie diese hören wir oft in unserer Arbeit mit Jugendlichen. Empathie wird auf diese Art und Weise eingefordert; sie wird erzwungen und, das ist die Zwickmühle, die Jugendlichen wissen, dass diese Empathie nicht authentisch ist. Gerade deswegen müssen sie sich und der Gruppe immer wieder beweisen, wie „cool“ sie sind. Dieser Druck führt zu einer schnelleren und höheren Erregung, die erhebliche Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten bewirken. Dadurch vermindern sich die Problemlösungskompetenz und die Kommunikationsfähigkeit. Im Konfliktfall wird dann, wenn überhaupt, einseitig und eindimensional gedacht. Oft kommt nur noch eine Lösung in Betracht.
Dieses eindimensionale Denken trägt sich nicht nur in die Gruppe Gleichaltriger. Da Kritik gleichgesetzt wird mit Ablehnung, werden weitere Gruppen wie Schule, Jugendhäuser, z.T. auch das Elternhaus durch die Jugendlichen unter dieser Prämisse bewertet. Die Folgen sind „Einbildungen“ wie „meine Eltern mögen mich nicht“, „der Lehrer mag mich nicht“ und die „Sozialarbeiter mögen mich auch nicht“. Empathie wird nicht mehr zugelassen.
2.2 Zielsetzung
Diesem eindimensionalen Denken und den reduzierten Konfliktlösungsstrategien entgegenzuwirken ist Ziel des Konflikttrainings. Die Jugendlichen sollen die Erfahrung machen, dass sie gemocht werden, ihr Handeln aber kritisch hinterfragt oder gänzlich abgelehnt wird, ohne dass sie diese Kritik mit „Liebesentzug“ gleichsetzen.
Damit die Jugendlichen diese Empathieerfahrung machen und sich auf Bindungsarbeit einlassen können, findet dieser Kurs in einer zeitlich dichten Abfolge statt: täglich 2 Stunden, 8 Tage in Folge, das Wochenende ausgenommen. Der Abschluss wird mit einem gemeinsamen Wochenende „gekrönt“.
Neben der Empathieerfahrung sind die Ziele des Konflikttrainings u.a.:
- Stärkung von Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl
- Stärkung der sozialen Kompetenz
- Zivilcourage
- Grenzsetzungen erkennen und annehmen sowie eigene Grenzen setzen
- Stärkung der Eigenmotivation
- Erhöhung der Frustrationstoleranz
- Erkennen von Veränderungswünschen
- Bewusstmachung positiver und negativer Handlungsfolgen
- Entwicklung von Handlungsalternativen
- Teamfähigkeit
Während des Kurses wird von den Jugendlichen ein Photo-Tagebuch geführt. Die aufgenommen Situationen dienen der Unterstützung und Verstärkung des Erlernten.
2.3 Zielgruppe
Das Konflikttraining richtet sich an Kinder und Jugendliche ab 8 Jahren, vorrangig an Schüler von Förder- und Hauptschulen, bei denen erkennbar ist, dass Probleme im Bereich der Konfliktlösungsmöglichkeit vorhanden sind.
Es richtet sich an die Zielgruppe der „Benachteiligten“, also an Schulversager, Schulverweigerer, Migranten mit unzureichenden Sprachkenntnissen, Jugendliche mit abweichendem Sozialverhalten. Es richtet sich auch an deviante und delinquente Jugendliche, die noch nicht strafrechtlich zu belangen sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Photo: KT-Gruppe, Januar 2007
Und es richtet sich an Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren. Während die meisten Programme über das gesprochene und geschriebene Wort Bewusstseinsveränderungen herbeiführen, greifen wir auf bildliche Darstellungen zurück. Wir arbeiten in zeitlich kurzen Phasen, die für unsere Zielgruppe überschaubar bleiben, haben kurze Aktivphasen eingebaut (Kickerspiel, Tobezeit, etc) und erarbeiten uns damit nicht nur einen intensiveren Gruppenzusammenhalt, sondern lernen auch, schnell umzuschalten zwischen Lern- und Spielsituationen, d.h. stoppen zu können und weiterzuarbeiten.
Für die Dauer des Kurses verlängern wir langsam die Phasen der Konzentration.
Wichtig ist, die Trennung in verschiedene Jahrgänge anzustreben, um altersspezifische Konflikte und Lösungsstrategien zum Thema machen zu können. Auch die Trennung von weiblichen und männlichen Jugendlichen ist nötig, da neben den Unsicherheiten gegenüber dem anderen Geschlecht unterschiedliche Konflikte zu bearbeiten sind.
2.4 Unterschiedliche Ehrbegriffe
Der Ehrbegriff ist für das Konflikttraining von zentraler Bedeutung, gerade vor dem Hintergrund, dass Jugendliche aus dem muslimischen Kulturkreis teilnehmen.
Was ist das, die Ehre?
Was ist gemeint, wenn Jugendliche sagen: „Wenn jemand Hurensohn zu mir sagt, schlage ich zu, weil er meine Mutter beleidigt und ich ihre Ehre verteidige“ (A.B., 17 Jahre, Januar 2007)
Für das Konflikttraining bleibt es unerlässlich, sich mit dem Ehrbegriff auseinander zusetzen, um o.g. Aussage zu verstehen und den Jugendlichen für andere Sichtweisen zu öffnen.
„Wenn jemand mich provozieren will und Hurensohn zu mir sagt, dann gebe ich ihm recht, wenn ich zuschlage ... Wenn ich aber nicht reagiere, zeigt das doch, dass meine Mutter keine Hure ist ... Ich fühle mich nicht angesprochen“ (A.Y., 16 Jahre, Januar 2007)
2.4.1 Versuch einer allgemeingültigen Definition
Arthur Schopenhauer:
„Die Ehre ist, objektiv, die Meinung anderer von unserem Wert und, subjektiv, unsere Furcht vor dieser Meinung.“
Die Definition im Duden-Bedeutungswörterbuch liest sich wie folgt:
„1. äußeres Ansehen, Geachtetsein durch andere [und dessen Ausdruck in einer besonderen Auszeichnung], Anerkennung ...
2. innerer Wert, persönliche Würde ...“
Ehre ist laut Brockhaus-Lexikon „auf der Selbstachtung beruhende, daher unverzichtbar erlebte Achtung, die der Mensch von seinen Mitmenschen beansprucht. Als innere auf dem Bewusstsein der eigenen Unbescholtenheit begründete Haltung, die sich auch durch äußere Missachtung und Verunglimpfung nicht angefochten fühlt, kann „Ehre“ zu einem rein sittlichen Begriff werden. Meist überwiegt jedoch die äußerliche Seite; die Ehre haftet nicht so sehr am persönlichen Wert des Menschen als an seiner Stellung in der Gesellschaft. (Der große Brockhaus Lexikon, Bd. 3, S. 43)
Und jetzt bin ich wieder bei der ursprünglichen Frage: was ist Ehre?
Es gibt viele Vorstellungen von Ehre, einige individuell, andere gesellschaftlich getragen. Für mich persönlich ist Ehre ein Prozess und keine Sache, die wir einfach besitzen können, weil sie uns kulturell zugewiesen wurde. Niemand hat Ehre einfach so. Universitätsgrade, Titel, Prestige, Rang, Klasse, diese Kriterien sind unerheblich für die Ehre; sie kann daran nicht gemessen werden.
Jeder hat sich seine eigene Ehre zu erarbeiten durch z.B. das sorgfältige Abwägen von Konsequenzen seines Handelns. Sie hat mit Werten zu tun und vertieft deren Bedeutung. Sie muss erarbeitet werden und dies hat viel mit persönlicher Motivation, Begründungen und Kontext zu tun. Deshalb gibt es keine, für alle gültige, Definition von Ehre.
Dennoch ist es nötig, sich das Konzept der Ehre in den unterschiedlichen Kulturkreisen einmal genauer zu betrachten.
2.4.2 Geschichtliche Betrachtung
„Der Ehrenkodex ist ein Überbleibsel aus der Gesinnung der Feudalzeit, d.h. aus der Epoche eines fehlenden oder schwach entwickelten Feudalstaates“, führt Prof. Dr. Erçin Kürşat aus (Kürşat 2002). „Der Ehrenkodex ist ein Relikt des Kriegerkodexes, der Selbstverteidigungsinstitutionen, Selbsthilfe und Selbstjustiz aber auch Gewalt und Übergriffe gegen den Schwächeren rechtfertigen, wo das staatliche Gewaltmonopol nicht greift“. (ebd.)
In dem Begriff „ere“ (Mittelhochdeutsch) und „era“ (Althochdeutsch) stecken die Bedeutungen Ansehen, Anerkennung und Erfolg. Zu den Verpflichtungen des Lehnsmannes und der Feudalherrscher gehörten Achtung, Schutz, Ansehen und Besitz, die sie zu verteidigen hatten.
„Männliche Ehre hat stets mit Demonstration, Kampf und Wettbewerb, vor allem mit der Reputation und dem Ruhm eines Mannes zu tun, der fähig ist, seinen Besitz und seine Frauen gegen Übergriffe anderer Männer zu schützen“. (Kürşat 2002) “Für Frauen baut es auf Keuschheit, sexueller Reinheit, Zurückgezogenheit, Gehorsamkeit und Unter-legenheit der Frau gegenüber dem Mann auf.” (ebd.)
Die Grundzüge des Ehrenkodexes, die Zuschreibung der männlichen und weiblichen Ehreigenschaften findet man quer durch die Geschichte und Regionen. Sie sind erstaunlich ähnlich. Verändert haben sie sich durch die Befriedung der Gesellschaften, einhergehend mit einer Veränderung des Normen- und Wertesystems. In Europa wurde die Solidarhaftung durch Zunahme der Individualisierung immer geringer. Wurde die Ehre einer Frau oder des Mannes selbst beleidigt, forderte man den „Ehrbeschmutzer“ zu einem Duell. Selbst dieses ist bereits individualisiertes Handeln, denn die Gruppe als Gemeinschaft war nicht mehr zum Handeln verpflichtet; es war eine Privatangelegenheit des Mannes.
Durch die Emanzipierung der Frau veränderte sich das Werte- und Normensystem weiter. Die mit der Ehre verhafteten Eigenschaften für Männer und Frauen verloren im Laufe der Zeit ihre Wertigkeit.[6]
2.4.3 Ehre im westlichen Kulturkreis heute
Eine Definition von Ehre ist nicht einfach, berücksichtigt man unsere wechselvolle Geschichte und damit einhergehend Veränderungen im sozialen, historischen und philosophischen Kontext. Wer sich intensiver mit diesem Thema beschäftigen möchte, sei auf die Publikation von Knut Amelung (s. Literaturverzeichnis) verwiesen. An dieser Stelle kann ich nur einen kleinen Abriss zum Begriff „Ehre“ erstellen.
Den Ehrbegriff als normativen Begriff findet man im Strafgesetzbuch 14. Abschnitt „Beleidigungen“. Unter § 187 StGB „Verleumdungen“ liest man „Wer ... in Beziehungen auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselbigen zu machen oder in der öffentlichen Meinung herzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bestraft“. Dies ist zwar keine Erklärung für den Begriff Ehre, aber dem Menschen wird aus der Ehre heraus ein Anspruch auf Achtung der Person (inneren Ehre) zugesprochen.
Nach Amelung kann zwischen innerer und äußerer Ehre unterschieden werden. Die innere Ehre baut auch den Wert der Person selbst auf, auf dessen Selbstachtung. Die äußere Ehre korrespondiert mit den Erwartungen Dritter. (vgl. Amelung 2002: 23ff).
Diese äußere Ehre (Element personaler Entfaltung) kann durch den Träger selber durch eigenes ehrverletzendes Verhalten wie auch durch Dritte (siehe StGB) berührt werden. Die innere Ehre kann von außen nicht angetastet werden, sondern wird nur durch die Handlungen des Trägers selber berührt. (vgl. Amelung 2002: 58).
Das heißt:
Die Ehre (innere) ist abhängig vom Verhalten des Trägers. Er kann sie nur durch seine eigenen Handlungen (unehrenhaftes Verhalten) verlieren. Und dies macht den Unterschied zum muslimischen Kulturkreis aus. In westlichen Kulturen ist die Ehre individualisiert und wird nur vom „Ehrträger“, nicht aber von Verwandten oder Gemeinschaften bestimmt. Sie ist eine persönliche Eigenschaft.
2.4.4 Ehre im muslimischen Kulturkreis
Ebenso wie es viele unterschiedliche christliche Kulturen gibt, gibt es unterschiedliche muslimische Kulturen.
Während in den westlichen Kulturen eine Individualisierung der Ehre stattgefunden hat, ist dies im muslimischen Kulturkreis nicht zu finden. Ehre ist hier „ein Verhalten, das den Zwecken der Gruppe dient. ... Durch die persönliche Pflicht zur Bewahrung der Ehre werden gesellschaftliche und individuelle Interessen miteinander verbunden“. (Erçin Kürşat 2002). Das Gefühl der Zugehörigkeit zu Gruppen und Gemeinschaften ist wesentlich stärker ausgeprägt als in den Ländern, die zum westlichen Kulturkreis zählen.
Den Begriff der Kleinfamilie gibt es in beiden Kulturkreisen. Was aber bei uns als erweiterter Familienkreis angesehen wird, gilt im muslimischen Kulturkreis als Großfamilie. Dazu zählen die Großeltern, Großtanten und –onkel, Cousins und Großcousins usw. Die Bedeutung der Familie ist extrem ausgeprägt. Für die Frauen ist es Lebensaufgabe, in Pflichterfüllung gegenüber ihrer Familie und ihren Kindern aufzugehen. Dabei hat sie ihre eigenen Interessen zurückzustellen. Die Kinder haben sich unterzuordnen, nicht den Familieninteressen entgegenzuwirken und ihre Eltern zu unterstützen, sobald sie dazu in der Lage sind. In diesem Familiengefüge hat jedes Mitglied eine klar zugewiesene Aufgabe. So entsteht ein nach klaren Regeln strukturiertes gesellschaftliches Gefüge, in dem jeder seinen Platz zugewiesen bekommen hat; anders als im westlichen Kulturkreis, wo die gesellschaftliche Rolle weitestgehend individuell bestimmt ist.
Der Ehrenkodex schafft die Bindung und Verpflichtung zwischen den einzelnen Familienmitgliedern und Gruppen bzw. Gleichgesinnten. Je stärker der Überlebenskampf einer Gruppe ist, desto stärker ist auch die Bedeutung der Ehre. Und „je schwächer die Wirkung der Zentralmacht auf Überlebenschancen, Sicherheit und Lebensstandard der Menschen, desto stärker ist die Bindung an primordiale Gruppen wie Großfamilien/Sippen, die als wehrhafte Schutzgruppen fungieren.“ (Erçin Kürşat 2002).
Die Ehre hat immer einen Bezug zur familiären Gemeinschaft. Der Verlust der Ehre eines Mitgliedes der familiären Gemeinschaft zieht immer den Ehrverlust für die gesamte Gemeinschaft nach. „Untersuchungen in der Türkei haben ergeben, dass Männer bzw. Väter und Brüder von als ehrlos abgestempelten Frauen, Töchtern oder Schwestern viel häufiger angegriffen und in Querelen hineingezogen werden als ehrbare Männer. Denn nach dem Ehrenkanon gelten sie selbst als ehrlos, weil sie die Frauen nicht schützen und überwachen konnten. Frauen mit verletzter Ehre leben mit einem ständigen Risiko sexueller Belästigung und Gewalt durch fremde Männer.“ (Erçin Kürşat 2002).
Auf die Rolle der Frau und der Rolle des Mannes möchte ich an dieser Stelle nicht genauer eingehen, da es den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Im Grunde gelten die gleichen Zuschreibungen, wie unter dem Punkt „geschichtliche Betrachtung“ schon benannt.
[...]
[1] Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und dreiundzwanzig, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit: denn dazwischen ist nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, die Alten ärgern, stehlen, balgen.
[2] Der Paragraph 10 des Jugendgerichtsgesetz (JGG) enthält einen Weisungskatalog für straffällig gewordene Jugendliche. § 10 (1) JGG: „Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gesellt werden...“ Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen, „an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen ...“ (§ 10 (1) Nr. 6)
[3] Mit Devianz oder abweichendem Verhalten wird in der Soziologie und in der Sozialen Arbeit die Abweichung von allgemeinen gültigen Normen und Wertvorstellungen bezeichnet. Die Bezeichnung eines Verhaltens als deviant ist immer mit einem Werturteil verbunden.
[4] Delinquent ist eine insbesondere in der Kriminologie verwendete Bezeichnung für einen Straftäter. Der Begriff hebt i.d.R. eher auf soziologische als auf juristische Aspekte der Kriminalität ab. Der Ausdruck ist häufig im Kontext der Jugendkriminalität anzutreffen und hat auch Eingang in die Verwaltungssprache gefunden. Insbesondere für strafunmündige Kinder, die eine strafrechtlich relevante Verfehlung begangen haben, aber nicht im vollen Sinn als „Straftäter“ bezeichnet werden können, bietet sich diese Bezeichnung an. Eine Stigmatisierung und Kriminalisierung der Betroffenen soll so vorgebeugt werden.
[5] Während sich der 2. Abschnitt des JGG Erziehungsmaßregeln enthält (hier ist auch der § 10 JGG eingeordnet), beschäftigt sich der 5. Abschnitt des JGG mit der Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung. Hier ist der § 23 JGG eingeordnet, der Auflagen und Weisungen regelt und in Verbindung mit § 10 JGG die Art der Weisung regelt.
[6] Wer mehr über die geschichtliche Entwicklung der Ehre wissen möchte, dem kann ich den Aufsatz von Prof. Dr. Erçin Kürşat empfehlen.
- Quote paper
- Ulrike-Anna Kindler (Author), 2008, Konflikttraining „Alles klar!“ - Ein Präventionskurs zur Verhinderung von Jugendgewalt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89932
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.