In der Literaturwissenschaft lassen sich eine ganze Reihe von Methoden finden, um einen Text auf unterschiedliche Art und Weise zu interpretieren. Eine davon ist die psychoanalytische Literaturinterpretation, die in erster Linie auf den Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud zurückgeht, der es als einer der bedeutendsten und zugleich umstrittensten Wissenschaftler seiner Zeit geschafft hat, dass seine Theorie und Werke trotz vieler Kritik auf der ganzen Welt bekannt wurden und noch heute eine überaus wichtige Rolle in der Psychologie spielen. Doch Freuds Theorie hatte nicht nur Auswirkungen auf dieses Gebiet der Wissenschaft, sondern auch auf den Bereich der Literaturwissenschaft. Ein Grund dafür, dass sich die Psychoanalyse auf die Literaturwissenschaft anwenden lässt, könnte dabei die Tatsache spielen, dass beide „gleichermaßen auf Methoden der Interpretation beruhen.“ [...]
In dieser Arbeit soll die Psychoanalyse als literaturwissenschaftliche Methode untersucht und somit festgestellt werden, ob die Anwendung dieser Methode heute noch gerechtfertigt werden kann oder nicht. Die erwähnten Ansätze und Verbindungen zur Literaturwissenschaft beziehen sich dabei in erster Linie auf Sigmund Freud. Um einordnen zu können, wie es zu solch einer Literaturinterpretation gekommen ist, wird daher im ersten Kapitel das Verhältnis von Literatur und Psychoanalyse dargestellt, indem Teile von Freuds psychoanalytischer Theorie auf die Literatur übertragen werden. Im zweiten Kapitel wird gezeigt, auf welche Art und Weise die Psychoanalyse auf Literatur angewendet werden kann, wobei zwei Möglichkeiten dargestellt werden: zum einen die auf den Dichter bezogene und zum anderen die auf den Text bezogene Literaturinterpretation. Im darauf folgenden Kapitel werden diese beiden Möglichkeiten der psychoanalytischen Literaturinterpretation am Beispiel von Kafkas Urteil verdeutlicht. Im vierten Kapitel wird die psychoanalytische Interpretation schließlich kritisch betrachtet und somit überprüft, ob sie auch heute noch den Ansprüchen einer literaturwissenschaftlichen Methode gerecht wird.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Verhältnis von Psychoanalyse und Literatur
1.1 Die Bedeutung vom kindlichen Spiel und vom Phantasieren
1.2 Von der Traumarbeit zur Literaturinterpretation
2. Anwendung der Psychoanalyse auf die Literatur
2.1 Bezug zum Dichter
2.2 Bezug zum literarischen Text
3. Psychoanalytische Literaturinterpretation am Beispiel von Kafkas Urteil
3.1 Autorenbezogene Interpretation
3.2 Textbezogene Interpretation: Das Motiv der Schuld
4. Kritik an der psychoanalytischen Literaturinterpretation
Fazit
Literaturverzeichnis
Erklärung
Einleitung
In der Literaturwissenschaft lassen sich eine ganze Reihe von Methoden finden, um einen Text auf unterschiedliche Art und Weise zu interpretieren. Eine davon ist die psychoanalytische Literaturinterpretation, die in erster Linie auf den Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud zurückgeht, der es als einer der bedeutendsten und zugleich umstrittensten Wissenschaftler seiner Zeit geschafft hat, dass seine Theorie und Werke trotz vieler Kritik auf der ganzen Welt bekannt wurden und noch heute eine überaus wichtige Rolle in der Psychologie spielen. Doch Freuds Theorie hatte nicht nur Auswirkungen auf dieses Gebiet der Wissenschaft, sondern auch auf den Bereich der Literaturwissenschaft. Ein Grund dafür, dass sich die Psychoanalyse auf die Literaturwissenschaft anwenden lässt, könnte dabei die Tatsache spielen, dass beide „gleichermaßen auf Methoden der Interpretation beruhen.“[1]
Mit Freuds Theorie und vor allem mit der Anwendung seiner traumdeutenden Verfahren auf literarische Texte gewann die Psychoanalyse - vor allem in den 70er und 80er Jahren - für die Literaturwissenschaft eine größere Bedeutung und wurde von vielen Literaturwissenschaftlern sowie Psychoanalytikern geschätzt und als „ein wertvolles, hilfreiches Verfahren, das es ermöglicht, unbewußte [sic] Sinnzusammenhänge zu verstehen“[2], angesehen. Heutzutage wird diese Methode der Literaturinterpretation oft sehr kritisch betrachtet und somit hat der Trend, literarische Texte psychoanalytisch zu interpretieren, im Laufe der Zeit an Bedeutung verloren. Dennoch werden weiterhin Texte mithilfe dieser Methode gedeutet.
In dieser Arbeit soll die Psychoanalyse als literaturwissenschaftliche Methode untersucht und somit festgestellt werden, ob die Anwendung dieser Methode heute noch gerechtfertigt werden kann oder nicht. Die erwähnten Ansätze und Verbindungen zur Literaturwissenschaft beziehen sich dabei in erster Linie auf Sigmund Freud. Um einordnen zu können, wie es zu solch einer Literaturinterpretation gekommen ist, wird daher im ersten Kapitel das Verhältnis von Literatur und Psychoanalyse dargestellt, indem Teile von Freuds psychoanalytischer Theorie auf die Literatur übertragen werden. Im zweiten Kapitel wird gezeigt, auf welche Art und Weise die Psychoanalyse auf Literatur angewendet werden kann, wobei zwei Möglichkeiten dargestellt werden: zum einen die auf den Dichter bezogene und zum anderen die auf den Text bezogene Literaturinterpretation. Im darauf folgenden Kapitel werden diese beiden Möglichkeiten der psychoanalytischen Literaturinterpretation am Beispiel von Kafkas Urteil verdeutlicht. Im vierten Kapitel wird die psychoanalytische Interpretation schließlich kritisch betrachtet und somit überprüft, ob sie auch heute noch den Ansprüchen einer literaturwissenschaftlichen Methode gerecht wird.
1. Verhältnis von Psychoanalyse und Literatur
Aufgrund der Tatsache, dass Literaturwissenschaft und Psychoanalyse zwei recht verschiedene wissenschaftliche Bereiche abdecken, die zwar beide auf interpretatorische Methoden beruhen, aber ansonsten auf den ersten Blick kaum einen erkennbaren Zusammenhang aufweisen, soll in diesem Kapitel dargestellt werden, wie es zur Anwendung der Psychoanalyse auf die Literatur kam. Da es Freud war, der sowohl die Psychoanalyse als auch die Übertragung auf die Literatur begründet hat, werden hier insbesondere Begriffe und Verfahren aus seiner psychoanalytischen Theorie vorgestellt, die er auf literarische Texte bezog.
1.1 Die Bedeutung vom kindlichen Spiel und vom Phantasieren
Freud selbst beschäftigte sich mit dem Zusammenhang von Psychoanalyse und Literaturwissenschaft und stellte sich bei der Suche nach dem Ursprung literarischer Texte die Frage, woher der Dichter seine Stoffe eigentlich nimmt. Da vom Dichter selbst kaum Antworten verfügbar waren, wollte Freud dieser Fragestellung auf den Grund gehen, indem er „eine dem Dichten irgendwie verwandte Tätigkeit“ suchte. Dabei griff er auf das Spiel des Kindes zurück und stellte von diesem einen Bezug zur dichterischen Tätigkeit her:
„Die liebste und intensivste Beschäftigung des Kindes ist das Spiel. Vielleicht dürfen wir sagen: Jedes spielende Kind benimmt sich wie ein Dichter, indem es sich seine eigene Welt erschafft oder, richtiger gesagt, die Dinge seiner Welt in eine neue, ihm gefällige Ordnung versetzt.“[3]
Freud betonte, dass das Kind sein Spiel sehr ernst nimmt und folglich der Gegensatz zum Spiel nicht - wie oft fälschlicherweise angenommen wird - Ernst sei, sondern die Wirklichkeit. Somit unterscheide das Kind sein Spiel durchaus bewusst von der Wirklichkeit, lehne seine fiktive Welt dabei jedoch an die reale Welt an. Hiervon ausgehend zog Freud eine Parallele von der spielerischen zur dichterischen Tätigkeit:
„Der Dichter tut nun dasselbe wie das spielende Kind; er erschafft eine Phantasiewelt, die er sehr ernst nimmt, […], während er sie von der Wirklichkeit scharf sondert“.[4]
Jetzt stellt sich jedoch die Frage, was das Kind zum Spielen und infolgedessen den Dichter zum Schreiben verleitet. Nach Freud liegt die Ursache dieser Tätigkeiten im Lustprinzip, das den Menschen bereits im Kindesalter bestimmt: im Spiel kann das Kind seine unerfüllten Wünsche und Phantasien, die es im wahren Leben nicht realisieren kann, ausleben und gewinnt dadurch an Genuss. Mit der Zeit verzichtet der Heranwachsende jedoch auf das Spielen, da es den gesellschaftlichen Normen nicht mehr entspricht, und scheint dabei seinen zuvor durch das Spiel erhaltenen Lustgewinn aufzugeben. Doch die Entsagung einer „einmal gekannten Lust“ fällt so schwer, dass sich der Erwachsene anstelle des Spielens eine Ersatzbefriedung sucht, nämlich das Phantasieren, durch die er die unerfüllten Wünsche auszuleben versucht.[5]
Aufgrund der Tatsache, dass das Spiel im Laufe des Heranwachsens vom Phantasieren abgelöst wird, weisen diese beiden Tätigkeiten wesentliche Parallelen auf. Beide unterliegen dem Lustprinzip, was sich in der Form äußert, dass unerfüllte Wünsche in ihnen ausgelebt werden. Der entscheidende Unterschied dieser beiden Aktivitäten besteht darin, dass sich der Heranwachsende im Gegensatz zum spielenden Kind nicht mehr an die reale Welt anlehnt, sondern lediglich seinen fiktiven Vorstellungen unterliegt. Matt beschreibt das Verhältnis von Phantasieren und Spielen folgendermaßen:
„Phantasieren ist eine dem Spiel analoge Tätigkeit, aber ohne Kombination mit der Realität, ohne Einbeziehung präsenter Gegenstände. Oder umgekehrt formuliert: Spielen ist Phantasieren in Verbindung mit Teilen der Umwelt.“[6]
Freud ging davon aus, dass jeder Mensch phantasiert, dieses jedoch bei den wenigsten Menschen ersichtlich ist, da es im Gegensatz zum kindlichen Spiel kaum zu beobachten ist. Zudem schäme sich der Erwachsene für seine Phantasien, da er durch diese Tätigkeit entgegen den gesellschaftlichen Erwartungen handele, was dazu führe, dass er sie vor anderen zu verbergen versuche.[7]
Die Frage, woher der Dichter seine Stoffe nimmt, beantwortete Freud folglich, indem er auf das kindliche Spiel zurückgriff, welches später vom Phantasieren abgelöst wurde. Die Tätigkeit des Phantasierens sei somit vergleichbar mit der schöpferischen Tätigkeit des Dichters. Das Phantasieren wiederum setzte Freud mit dem Tagtraum gleich, wodurch ein Vergleich von dichterischem Werk und Tagtraum zugelassen wurde. Diese Schöpfungen der Dichter, deren Ursprung im Tagtraum gesehen wird, beschränkte Freud jedoch auf jene, die frei geschaffen sind und somit keinen bereits vorhandenen Stoff als Grundlage haben.[8] Im Folgenden soll nun neben dem Tagtraum vor allem der nächtliche Traum hinsichtlich seiner Bedeutung für die psychoanalytische Literaturinterpretation thematisiert werden.
1.2 Von der Traumarbeit zur Literaturinterpretation
Freud hat die psychoanalytische Literaturinterpretation vor allem dadurch geprägt, dass er seine traumdeutenden Verfahren auf Literatur angewendet und folglich Traum und literarisches Werk als analog betrachtet hat. Dabei stellt sich jedoch die Frage, wie Freud zu solch einer Gleichsetzung von Traum und Literatur gelangt ist. Wie bereits erwähnt, ging er davon aus, dass der Dichter die Stoffe seiner Werke aus seinen Phantasien bzw. Tagträumen nimmt. Der nächtliche Traum sei letztendlich nichts anderes als jene am Tag hervor-gebrachten Phantasien und somit erklärte Freud, dass „die nächtlichen Träume ebensolche Wunscherfüllungen sind wie die Tagträume, die uns allen so wohlbekannten Phantasien.“[9]
Um verstehen zu können, wie Freud seine traumdeutenden Verfahren schließlich auf literarische Werke bezogen hat, wird die Traumarbeit an dieser Stelle kurz dargestellt. Nach Freud besteht jeder Traum aus einem „manifesten Trauminhalt“ und einem „latenten Traumgedanken“. Unter dem manifesten Trauminhalt versteht man den Traum, wie man ihn nach dem Aufwachen in Erinnerung hat. Im Gegensatz dazu steht der latente Traumgedanke, unter dem man die „verborgene Botschaft des Traums“ versteht. Diese verborgene Botschaft stellt meistens einen unerfüllten Wunsch dar, der im Unterbewusstsein des Menschen verankert ist und daher erst erarbeitet werden muss.[10] Genau dies ist Geier zufolge das Aufgabengebiet der psychoanalytischen Traumarbeit: sie beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen manifestem Trauminhalt und latenten Traumgedanken, wobei es in erster Linie darum geht, die latente Bedeutung zu erhellen:
„Es ist der latente Gedanke, der festgestellt werden soll und das eigentliche Interesse des Psychoanalytikers für sich beansprucht.“[11]
Es stellt sich nun jedoch die Frage, warum der unbewusste Wunsch im Traum nicht direkt so abgebildet wird wie er gemeint ist, sondern im latenten Traumgedanken verborgen erscheint. Wie bereits bei den Phantasien und Tagträumen gesehen werden konnte, entspricht der latente Traumgedanke und somit der unbewusste Wunsch nicht immer den gesellschaftlichen Erwartungen und wird daher ins Unterbewusstsein verdrängt. Im Schlaf ist diese Kontrolle über den zumeist unmoralischen Wunsch so weit herabgesetzt, dass jene anstößigen Wünsche ins Bewusstsein rücken können. Doch da die Wünsche selbst im Traum noch als unangenehm wahrgenommen werden, werden sie nicht direkt wiedergegeben, sondern erscheinen als manifester Trauminhalt in verfremdeter Form. Der eigentliche Wunsch, der den latenten Traumgedanken darstellt, muss erst mithilfe der Traumarbeit gedeutet werden.[12]
Aufgrund der Tatsache, dass Freud den literarischen Text – wie zuvor erläutert – analog zum Traum sah, war es möglich, dass er seine Verfahren der Traumdeutung auf die Literatur übertrug. Freud war folglich der Ansicht, dass auch das künstlerische Werk neben dem manifesten Text über eine latente Bedeutung verfügt. Jene latente Bedeutung in literarischen Texten stelle ebenso wie im Traum einen unerfüllten Wunsch dar und so erklärt Berg, dass die Psychoanalyse davon ausgeht, dass der Autor eines frei gewählten Stoffes seine unbewussten Wünsche in verfremdeter Form als manifesten Text zum Ausdruck bringt:
„Die Psychoanalyse geht davon aus, dass in kreativen Prozessen ebenfalls solche Transformationen am Werk sind. Was das Unbewusstsein des Autors beschäftigt, findet demnach seinen Ausdruck in modifizierter, verfremdeter Form.“[13]
[...]
[1] Cremerius u.a., Hrsg., 1996, S. 5.
[2] Eschenröder 1989, S. 24.
[3] Freud 1969, S. 171.
[4] Freud 1969, S. 172.
[5] vgl. Freud 1969, S. 172.
[6] Matt 2001, S.101.
[7] Freud 1969, S. 173.
[8] Matt 2001, S. 107.
[9] Freud 1969, S. 175.
[10] vgl. Berg 2005, S. 22 f.
[11] Geier 1983, S. 75.
[12] vgl. Berg 2005, S. 23.
[13] Berg 2005, S. 101.
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