Die Kommunikationswissenschaftler Saxer und Rühl kritisieren in dem 1981 geschriebenen Aufsatz „25 Jahre Deutscher Presserat“ die Arbeit des Presserates. In ihren Ausführungen schlagen die Autoren einen systemrationalen Ansatz zur Gewinnung einer Medienethik vor und formulieren einen Katalog von Forderungen an eine solche Medienethik.
Der Kern dieser Arbeit ist der Vergleich zwischen den systemtheoretischen Aspekten in dem Aufsatz von Saxer und Rühl und dem systemtheoretischen Ansatz nach Niklas Luhmann.
Als Grundlage seiner Systemtheorie dient mir Luhmanns Buch „Soziale Systeme“ aus dem Jahre 1987, sowie seine systemtheoretische Auseinandersetzung mit den Massenmedien in seinem Werk „Die Realität der Massenmedien“.
Inhaltsverzeichnis
Ziel der Arbeit
Kritische Beleuchtung der Systemtheorie nach Luhmann
2.1 Soziale Systeme – Produkte, Codes und Selektion
2.2 Selektoren vs. Formen für den Selektionsprozess
2.3 Kopplungen zwischen Systemen
2.4 Die Struktur der Massenmedien
2.5 Massenmedien als autopoietisches System
2.6 Massenmedien und das Problem des „Beobachtens“
2.7 Zusammenfassung meiner Kritik
Zusammenfassung des Textes „25 Jahre Deutscher Presserat“
3.1 Entwicklung des Problembewusstseins
3.2 Bedarfsklärung der Ethikanalyse
3.3 Bedingungen einer funktional-systemrationalen Ethiktheorie
3.4 Soziale Strukturen journalistischer und massenkommunikativer Ethik
3.5 Entwicklung von Grundstrukturen einer Kommunikations- und Medienethik
Kritische Betrachtung des Textes „25 Jahre Deutscher Presserat“ im Hinblick auf die Leitfrage
Literaturverzeichnis
Kapitel 1
Ziel der Arbeit
Die Kommunikationswissenschaftler Saxer und Rühl kritisieren in dem 1981 geschriebenen Aufsatz „25 Jahre Deutscher Presserat“ die Arbeit des Presserates. In ihren Ausführungen schlagen die Autoren einen systemrationalen Ansatz zur Gewinnung einer Medienethik vor und formulieren einen Katalog von Forderungen an eine solche Medienethik.
Der Kern dieser Arbeit ist der Vergleich zwischen den systemtheoretischen Aspekten in dem Aufsatz von Saxer und Rühl und dem systemtheoretischen Ansatz nach Niklas Luhmann.
Als Grundlage seiner Systemtheorie dient mir Luhmanns Buch „Soziale Systeme“ aus dem Jahre 1987, sowie seine systemtheoretische Auseinandersetzung mit den Massenmedien in seinem Werk „Die Realität der Massenmedien“.
In Kapitel 2 meiner Hausarbeit beschäftige ich mich kritisch mit den für die Untersuchung der Massenmedien relevanten Elementen der Systemtheorie nach Luhmann.
Im Anschluss daran fasse ich in Kapitel 3 den Text „25 Jahre Deutscher Presserat“ von Saxer und Rühl zusammen.
Entsprechend dem Titel ihrer Ausführungen „25 Jahre Deutscher Presserat“ beschäftigen sich Saxer/Rühl in ihrem 5. Teil ausführlich mit der Geschichte desselben und kritisieren ihn. Aufgrund der Vollständigkeit sind diese Überlegungen Saxer/Rühls zwar Inhalt meiner Zusammenfassung in Kapitel 3, aber gemäß meiner Leitfrage nicht relevant und deshalb kein Gegenstand meiner kritischen Analyse in Kapitel 4.
Im Kapitel 4 bearbeitete ich dann die Leitfrage meiner Arbeit:
Ist es möglich, für die Massenmedien, wenn man sie als soziales System nach Luhmann annimmt, eine funktionierende Medienethik zu entwickeln?
Dabei ist es wichtig zu bedenken, dass Saxer/Rühls Forderungen an eine systemtheoretische Medienethik zeitlich vor den ausführlichen Überlegungen Luhmanns zu diesem Thema entstanden sind.
Kapitel 2
Kritische Beleuchtung der Systemtheorie nach Luhmann
2.1 Soziale Systeme – Produkte, Codes und Selektion
Die Systemtheorie nach Luhmann gehört zur Kategorie der soziologischen Systemtheorie[1] und basiert auf der Evolution von Kommunikation. Sie geht von der Theorie des Konstruktivismus aus, d.h. dass es keine objektive Wirklichkeit gibt. Alles, was wir wahrnehmen, ist ein Konstrukt. Dieses erzeugen wir im Kopf. Es ist ein Abbild von dem, wie wir die Welt erleben und wahrnehmen.[2]
Luhmann unterscheidet drei Ebenen von Systemen:[3]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Da es sich bei den Massenmedien um soziale Systeme handelt, gehe ich im Folgenden auf den Teilbereich der sozialen Systeme näher ein.
Luhmann beschreibt in seiner Theorie, dass Systeme hinreichender Komplexität ihrer Systemwelten und ihre Umwelt sich gegenseitig co-evolutionieren.[4] Soziale Systeme zeichnen sich durch eine Unterscheidung zwischen einer Selbst- und einer Fremdreferenz aus, einer Differenz zwischen dem System und seiner Umwelt (also einer Welt und anderer Systeme)[5] sowie durch Komplexität, was zum Selektionszwang führt und damit zum Risiko der Kontingenz.[6] Voraussetzung für die Unterscheidung ist die Beobachtung. Die Unterscheidung dient dem sozialen System zur Erstellung des Produktes. Das Produkt sozialer Systeme ist die Kommunikation. Soziale Systeme bestehen demnach weder aus Menschen (psychische Systeme), noch aus Handlung, sie bestehen aus Kommunikationen.[7] Unter Kommunikation versteht Luhmann die Einheit von Mitteilung, Information und Verstehen.[8]
Nach Luhmann grenzt sich jedes autopoietische System durch einen binären Code von der Umwelt ab und sichert auf diese Weise seine Identität und sorgt für seine operative Schließung. Beispiele aus Luhmanns Repertoire für den Binärcode sind die Dichotomien wahr / falsch, die in dem System Wissenschaft Anwendung finden, ein weiteres Beispiel kommt aus dem Wirtschaftssystem mit dem Code zahlen / nicht zahlen. Nach Luhmann arbeiten die Massenmedien mit dem Binärcode Information / Nichtinformation.[9]
Um die Komplexität zu verringern müssen soziale Systeme selektieren. Komplexität bedeutet: Es ist nicht mehr möglich, jedes Element mit jedem zu verbinden. Sie ist gegeben auf jeder höheren Ebene der Systembildung:[10]
„Die jeweilige Umwelt ist komplexer als das System. Es kann deshalb nicht auf jeden Zustand der Umwelt adäquat reagieren und muss eine Selektionsstrategie anwenden, um diesen Mangel auszugleichen.“[11]
Es entsteht ein Ungleichgewicht und damit ein Verknüpfungsdefizit, der das System zur Selektion zwingt. Durch diesen Prozess kann sich das System bilden und erhalten.[12] Die Selektion dient den sozialen Systemen zur Produktion von Sinn.[13] Soziale Systeme selektieren, indem sie für die eine oder andere Seite des Codes optieren, wie beispielsweise die Wissenschaft, die entscheidet, ob eine These wahr oder falsch ist, oder im Wirtschaftssystem, dem es darum geht herauszufinden, ob die Kunden für das Produkt zahlen oder nicht. Luhmann beschreibt den Code der Massenmedien als Information / Nichtinformation und sagt, dass die Massenmedien entscheiden müssen, was sie für informativ bzw. nichtinformativ halten.[14] Gleichzeitig lässt er offen, nach welchen Kriterien sie entscheiden.
In den Redaktionen findet jedoch eine andere Selektion statt. Hier geht es darum, möglichst viele Leser/Zuschauer/Hörer zu erreichen, um eine hohe Auflage oder Quote zu erzielen. Der Code für die Selektion der Massenmedien heißt - meiner Meinung nach - Rezipient erreicht / Rezipient nicht erreicht (mit Rezipient meine ich den Leser, den Zuschauer oder den Hörer). Zahlenmäßig spiegelt sich diese Aussage in der Auflage oder in der Quote wieder, deshalb selektieren die Medien nach dem Binärcode Auflage bzw. Quote erreicht / Auflage bzw. Quote nicht erreicht. Sobald eine Zeitung an Lesern verliert, muss sie ihre Auflage verringern und gegebenenfalls die Produktion einstellen. Gleiches geschieht bei Fernsehformaten. Wenn eine neue Show keine Quote oder eine schlechte Quote erzielt, wird sie wieder abgesetzt.
Der Binärcode Information / Nichtinformation erscheint mir aus einem weiteren Grund unlogisch. Nach Luhmann besteht die Kommunikation aus der Einheit Mitteilung/Information/Verstehen. Wenn der Binärcode für die Nichtinformation optiert, kann nach Luhmanns These keine Kommunikation entstehen, da jede Kommunikation aus den genannten drei Begriffen besteht. Information ist immer ein Bestandteil der Kommunikation, sobald Information entfällt, kann es nach seiner These zu keiner Kommunikation kommen.
Luhmann beschreibt, dass der Code ein besonderes Verhältnis zur Zeit besitzt. In dem Moment, in dem die Information zum Ereignis wird, behalte sie zwar ihren Sinn, aber transformiere sich zur Nichtinformation.[15] Er erklärt, dass die Operationen des Systems eine ständige Verwandlung von Information zur Nichtinformation vollziehen und sich aufgrund des Einführens des schon Bekannten auf der Negativseite des Codes sich selbst dazu zwingen, ständig neue Informationen zu erzeugen.[16] Das bedeutet, dass für Luhmann wiederholte Information keine Information mehr ist. Fragwürdig ist für mich, wie dann die Kommunikation ohne ein Grundelement der Kommunikation stattfinden kann. Der These Luhmanns widerspricht ebenfalls die Tatsache, dass die gleichen Nachrichten mehrmals am Tag im Fernsehen gezeigt werden, was bedeuten würde, dass eine Wiederholung keine Kommunikation wäre.
Luhmann wirft den Massenmedien indirekt Manipulation vor. Die Massenmedien folgten nicht dem Code wahr / unwahr, was man daran erkenne, dass sie die Unwahrheit nicht als Referenzwert benutzen. Für Nachrichten und Berichte sei es den Massenmedien nicht wichtig, dass die Unwahrheit ausgeschlossen werden kann.[17]
2.2 Selektoren vs. Formen für den Selektionsprozess
In dem Werk „Soziale Systeme“ hat Luhmann eine binäre Formendefinition. Es gibt für ihn hier zwei Formen: Struktur und Prozess. Er schreibt diesen Formen die Aufgabe zu, dem System behilflich zu sein, für eine der beiden Codeseiten zu optieren.
„(...)...Selektionsprozesses. (...) Dafür stehen zwei verschieden Formen zur Verfügung: Struktur und Prozess.[18]
In seinem Werk „Die Realität der Massenmedien“ hingegen helfen die Selektoren dabei, Informationsentscheidungen zu treffen. Die Selektoren[19] der Massenmedien seien Neuigkeit, Konflikte, Quantitäten, lokaler Bezug, Normverstöße, Außergewöhnliches und Meinungen. Einschaltbereitschaft und Sendeinteresse seien die unkoordinierbaren Selektoren.
Für Luhmann ist Information kontingent, das bedeutet, sie kann so oder auch anders gemeint oder verstanden werden. Die Nachricht des Systems wird in einer Systemgrenzen überschreitenden Weise mitgeteilt, in der Hoffnung, dass die andere Seite die in der Kommunikation enthaltene Information versteht.
2.3 Kopplungen zwischen Systemen
Die Massenmedien haben gemäß Luhmann eine asymmetrische Interaktionsstruktur mit den Rezipienten:
„Interaktion wird durch Zwischenschaltung von Technik ausgeschlossen, und das hat weitreichende Konsequenzen, die uns den Begriff der Massenmedien definieren. Einerseits sind durch die Unterbrechung des unmittelbaren Kontaktes hohe Freiheitsgrade der Kommunikation gesichert. Andererseits sind zwei Selektoren am Werk: die Sendebereitschaft und das Einschaltinteresse, die zentral nicht koordiniert werden können.“[20]
[...]
[1] vgl. Luhmann, N.: Soziale Systeme, Frankfurt a. M. 1987, S. 33
[2] vgl. Luhmann, N.: Realität der Massenmedien, Opladen 1995, S. 8/9
[3] vgl. Luhmann, N.: Soziale Systeme, Frankfurt a. M. 1987, S. 16
[4] vgl. ebenda, S. 48
[5] vgl. ebenda, S. 35
[6] vgl. Luhmann, N.: Soziale Systeme, Frankfurt a. M. 1987, S. 47
[7] vgl. Luhmann, N.: Die Realität der Massenmedien, Opladen 1995, S. 19
[8] vgl. ebenda, S. 32
[9] vgl. ebenda, S. 17
[10] vgl. Luhmann, N.: Soziale Systeme, Frankfurt a. M. 1987, S. 50
[11] vgl. ebenda, S. 48
[12] vgl. ebenda, S. 51, 55-57
[13] vgl. ebenda, S. 92
[14] vgl. Luhmann, N.: Die Realität der Massenmedien, Opladen 1995, S. 17
[15] vgl. Luhmann, N.: Soziale Systeme, Frankfurt a. M. 1987, S. 102
[16] vgl. Luhmann, N.: Die Realität der Massenmedien, Opladen 1995, S. 19/20
[17] vgl. Luhmann, N.: Die Realität der Massenmedien, Opladen 1995, S. 31/32
[18] Luhmann, N.: Soziale Systeme, Frankfurt a. M. 1987, S. 73ff
[19] vgl. Luhmann, N.: Die Realität der Massenmedien, Opladen 1995, S. 25ff
[20] Luhmann, N.: Die Realität der Massenmedien, Opladen 1995, S. 6
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- Dipl. Medienwirtin Simone Drott (Author), 2006, Ist es möglich, für die Massenmedien, wenn man sie als soziales System nach Luhmann annimmt, eine funktionierende Medienethik zu entwickeln?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89851
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