Ich möchte in meiner Arbeit am Text „Rue des Boutiques Obscures“ von Patrick Modiano untersuchen, ob die Hinweise, die Guy auf der Suche nach seiner Vergangenheit sammelt, dafür sprechen, dass Guy vor seiner Amnesie Pedro war. Darauf aufbauend möchte ich die Frage klären, ob damit Guys Suche beendet sei oder nicht.
Dazu werde ich den Protagonisten selbst und dessen Vorgehen während der Suche genauer betrachten, um dann seine eigene Definition einer Identifikation darzustellen. Mit dieser möchte ich den ‚homme des plages‘ vergleichen und als nächsten Arbeitsschritt die Beweise herausarbeiten, die für eine Übereinstimmung der beiden bzw. der drei Personen Guy, Pedro und Jimmy sprechen. Dies wird auf zwei Ebenen geschehen, zuerst möchte ich dieser Frage sachlich und auf die gesammelten Pseudo-Hinweise gestützt nachgehen, um danach die Echtheit von Guys zurückkehrenden Erinnerungen zu beurteilen. Zum Schluss prüfe ich anhand der gefundenen Ergebnisse, ob und wann Guy seine Suche als beendet ansehen kann.
Beginnen möchte ich mit der Analyse von Guys Suche, wobei ich besonderen Wert auf die Fenster-Metaphorik legen möchte. Guy Roland leidet an einer Amnesie; vor zehn Jahren hat er sein Gedächtnis verloren, er kann sich an nichts mehr erinnern, was in der Zeit davor passierte. Wir erfahren als Leser nicht, wie diese Amnesie ausgelöst wurde, sondern wir wissen nur, dass er acht Jahre lang als Assistent des Privatdetektiven Hutte arbeitete, welcher nun nach Nizza zieht, um sich dort zur Ruhe zu setzen.
Dies nahm Guy zum Anlass, sich auf die Suche nach seinem früheren Leben zu begeben und dafür muss er selbst zum Detektiv werden. Was aber vom Erzähler in Ich-Perspektive als echte Detektivarbeit dargestellt wird mit Hinweisen, Telefonbucheinträgen, Informanten, Spurensuche in der großen Stadt etc., ist als Suche in den Tiefen seiner Psyche, seines Unterbewusstseins zu interpretieren.
Guys Suche ist ein Herumirren ohne Plan und Ziel. Häuser, Straßen, Bahnhöfe und unbekannte Orte markieren seinen Weg in einer düsteren Stadt, in der er sich scheinbar nicht auskennt, obwohl er seit seinem Unfall schon zehn Jahre lang hier lebt. Diese Großstadt repräsentiert sein Unterbewusstsein, in dem er ständig neue Türen aufstoßen muss und Einblicke in seine Vergangenheit erhält. Dies wird in der Fenster-Metaphorik deutlich, die sich durch das komplette Buch zieht. Guy spürt, dass sämtliche Fenster und Türen ihm den Weg in seine Vergangenheit weisen können.
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
II Hauptteil
1 Der Weg der Suche - Fenster zur Vergangenheit
2 Weg oder Suche?
3 Die Definition der Identität
4. Die Angst vor der Vergangenheit
5 Ist Guy Roland = Pedro McEvoy = Jimmy Pedro Stern?
5.1 Auswertung der Hinweise
5.2 Vergleich der Erinnerung
6 Das Ende der Suche
III Schluss
IV Literaturverzeichnis:
I Einleitung
- Alors Jean, montre-lui la vue.
Heurteur me précéda sur une véranda qui dominait un étang. A gauche, un petit pont bombé, de style chinois, menait à un autre bungalow, de l’autre côté de l’étang. Les portes-fenêtres étaient violemment éclairées.[1]
Guy Roland steht vor einem kleinen See an, dessen anderem Ufer hell erleuchtete Verandatüren weit geöffnet sind. Dieser Ausblick, der erste, den der amnesiekranke Protagonist auf seiner Suche zu sehen bekommt, reflektiert jede einzelne Etappe sowie seine gesamte Suche: Jedes Mal, wenn Guy ein Stückchen mit seinen Ermittlungen weiter kommen möchte, muss er sich dazu erst ins Dunkle begeben, sozusagen ins Bodenlose, bevor er ein weiteres Fenster zu seiner Vergangenheit aufstossen kann und einsehen darf. Schließlich weiß aber weder der Leser noch Guy selbst, ob er überhaupt das andere Ufer erreicht, und somit seine Suche ein Ende finden wird.
Ich möchte in meiner Arbeit am Text „Rue des Boutiques Obscures“ von Patrick Modiano untersuchen, ob die Hinweise, die Guy auf der Suche nach seiner Vergangenheit sammelt, dafür sprechen, dass Guy vor seiner Amnesie Pedro war. Darauf aufbauend möchte ich die Frage klären, ob damit Guys Suche beendet sei oder nicht.
Dazu werde ich den Protagonisten selbst und dessen Vorgehen während der Suche genauer betrachten, um dann seine eigene Definition einer Identifikation darzustellen. Mit dieser möchte ich den ‚homme des plages‘ vergleichen und als nächsten Arbeitsschritt die Beweise herausarbeiten, die für eine Übereinstimmung der beiden bzw. der drei Personen Guy, Pedro und Jimmy sprechen. Dies wird auf zwei Ebenen geschehen, zuerst möchte ich dieser Frage sachlich und auf die gesammelten Pseudo-Hinweise gestützt nachgehen, um danach die Echtheit von Guys zurückkehrenden Erinnerungen zu beurteilen. Zum Schluss prüfe ich anhand der gefundenen Ergebnisse, ob und wann Guy seine Suche als beendet ansehen kann.
Beginnen möchte ich mit der Analyse von Guys Suche, wobei ich besonderen Wert auf die Fenster-Metaphorik legen möchte.
II Hauptteil
1 Der Weg der Suche - Fenster zur Vergangenheit
Guy Roland leidet an einer Amnesie; vor zehn Jahren hat er sein Gedächtnis verloren, er kann sich an nichts mehr erinnern, was in der Zeit davor passierte. Wir erfahren als Leser nicht, wie diese Amnesie ausgelöst wurde, sondern wir wissen nur, dass er acht Jahre lang als Assistent des Privatdetektiven Hutte arbeitete, welcher nun nach Nizza zieht, um sich dort zur Ruhe zu setzen.
Dies nahm Guy zum Anlass, sich auf die Suche nach seinem früheren Leben zu begeben und dafür muss er selbst zum Detektiv werden. Was aber vom Erzähler in Ich-Perspektive als echte Detektivarbeit dargestellt wird mit Hinweisen, Telefonbucheinträgen, Informanten, Spurensuche in der großen Stadt etc., ist als Suche in den Tiefen seiner Psyche, seines Unterbewusstseins zu interpretieren.[2]
Guys Suche ist ein Herumirren ohne Plan und Ziel. Häuser, Straßen, Bahnhöfe und unbekannte Orte markieren seinen Weg in einer düsteren Stadt, in der er sich scheinbar nicht auskennt, obwohl er seit seinem Unfall schon zehn Jahre lang hier lebt. Diese Großstadt repräsentiert sein Unterbewusstsein, in dem er ständig neue Türen aufstoßen muss und Einblicke in seine Vergangenheit erhält. Dies wird in der Fenster-Metaphorik deutlich, die sich durch das komplette Buch zieht.
Guy spürt, dass sämtliche Fenster und Türen ihm den Weg in seine Vergangenheit weisen können. Er braucht oft nur hindurchzuschauen und schon bekommt er einen Einblick in sein verlorenes Gedächtnis. So fragt er sich vor jedem Haus, vor dem er steht, wohin wohl die Fenster der gesuchten Wohnung zeigten, zum Beispiel als er die ehemalige Adresse von Gay Orlow aufsucht: „[…] et j’ai levé la tête vers l’immeuble en me demandant si les fenêtres de Gay Orlow ne donnaient pas de ce côté-là“[3]. Das selbe vor dem Kinderhaus von Denise Coudreuse, der Frau von Jimmy Pedro Stern: „– Et la chambre de Denise? – Elle donnait de l’autre côté… Sur la cour…“.[4]
Ihren Höhepunkt erreicht die Fenster-Metaphorik aber in Kapitel XV, in Hélène Pilgrams Wohnung, als sich die beiden ‚déclics‘ in Guys Gedächtnis vollziehen während er aus dem Fenster schaut und sich zu erinnern beginnt: „Alors, une sorte de déclic s’est produit en moi. La vue qui s’offrait de cette chambre me causait un sentiment d’inquiétude, une appréhension que j’avais déjà connus“ und „A peine avais-je poussé l’autre porte aux carreaux vitrés, pour traverser l’entrée de l’immeuble, que cette sorte de déclic […] s’est produit de nouveau.“[5]
Sehr deutlich wird der Zusammenhang zwischen Gebäude und Erinnerung in Kapitel XI, als Guy in Valbreuse das Haus der Howard de Luz‘ besucht: „- La maison est sous séquestre.“[6] Dieser Ausdruck wird auf dieser und der nächsten Seite noch dreimal wiederholt und später im Kapitel mit „sous scellés“ weitere zwei Male aufgegriffen. Wie das Haus ist auch Guys Gedächtnis verschlossen, er kann nicht in sein Unterbewusstsein eintreten. Guy verspürt ein starkes Unbehagen als Bob von dieser Zwangsbeschlagnahmung spricht und dieses Unbehagen wird noch größer, als er entdeckt, dass die Rückseite des Hauses bei weitem nicht so pompös geschmückt ist wie die Frontfassade. Mit dieser Entdeckung werden seine Ängste deutlich, dass es sich auch bei seiner Vergangenheit ebenso verhalten könnte und sie mehr verspricht, als sie bei einem Blick hinter die Fassade halten kann.
Der Zwiespalt, in dem sich Guy während seiner Suche befindet, nämlich der zwischen Wissbegierde und Angst vor dem Wissen, resultiert aus der Bedeutung der Vergangenheit die Guy ihr verleiht. Der Weg der Suche – ist es nun ein Weg, der von Guy einfach nur gegangen wird, oder ist er aktiv auf der Suche nach Erkenntnissen?
2 Weg oder Suche?
Die Frage nach der Passivität Guys während seiner Suche begründet sich durch die vielen Zufälle, die seine Detektivarbeit unterstützen und ohne die er nicht vorankommen würde. Normalerweise ist es die Arbeit eines Detektiven, Fragen zu stellen und nach Spuren und weiteren Quellen zu suchen, doch Guy versagt in der Rolle des aktiven Ermittlers.
Aufgehalten auf seiner Suche wird Guy durch den Schatten, der über seiner Vergangenheit schwebt, und durch die Angst, die dieser Schatten verursacht. Dies ist jedoch genau der Grund für sein Verlangen, das Rätsel zu lösen.
Mit dem Weggang Huttes gibt Guy seine Existenz als Guy Roland, die ihm Hutte beschafft hat, auf und setzt sich ohne Identität einer Welt aus, in der er sich nicht auskennt und abhängig wird. Ich möchte ihn im folgenden dennoch als Guy bezeichnen, obwohl er sich selbst nie mehr wieder mit diesem Namen ausgibt oder so genannt wird (ausser von Hutte). Die Abhängigkeit und Passivität Guys zeigt sich in den vielen Malen, in denen er sogenannten ‚Zeugen‘ oder Informanten gegenüber steht und anstelle dass er Information erfragt, ordnet er sich unter und tut, was ihm gesagt wird. Dies zeigt sich bereits deutlich im zweiten Kapitel, in dem er sich mit Sonachitzé und Heurteur trifft, den beiden ersten Informanten auf seinem Weg. Woher er den Hinweis bekam, die beiden zu kontaktieren, weiß man nicht, und bleibt auch völlig unklar.
[...]
- [1] aus: Modiano, Patrick, Rue des Boutiques Obscures. Saint-Amand 2004. S. 20
- [2] Siehe auch: Nettelbeck, Colin W./ Hueston, Penelope A., „Que le jeu continue. Rue des boutiques obscures “, in: ebd. Patrick Modiano. Pièces d’identité (écrire l‘entretemps). Paris 1986. S. 80f.
- [3] aus: Modiano, Patrick, Rue des Boutiques Obscures. S. 73
- [4] aus: ebd., Rue des Boutiques Obscures. S. 132
- [5] aus: ebd., Rue des Boutiques Obscures. S. 122f
- [6] aus: ebd., Rue des Boutiques Obscures. S. 87
- Quote paper
- Anja Maier (Author), 2004, Zu: Patrick Madionao: Rue des Boutiques obscures, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89679
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