Warum musste Jesus sterben, wenn er wirklich Christus war? Wenn das Kreuz Jesus nicht als Blender entlarvte, seine Botschaft nicht annullierte, seine Sendung nicht widerlegte, musste sein Tod als integraler Teil der gottgewollten Heilsgeschichte verständlich gemacht werden. Dass dies seiner schockierten Anhängerschaft nicht ohne weiteres gelang, eine hinreichend befriedigende Erklärung ihr also offensichtlich nicht vorgegeben war, vermag die ‚Jüngerflucht’ zu belegen: Die erste Antwort, die Karfreitag fand, war der Rückzug. Erst Ostern - und später Pfingsten – scheinen die Jünger mit Argumenten ausgerüstet zu haben, die sie befähigten, dem Tod ihres ‚Hirten’ eine Bedeutung beizumessen, die die profangeschichtlichen Zusammenhänge transzendierte, die von ihnen aufgeworfenen Fragen heilsgeschichtlich einbettete und so Zweifel durch Gewissheit ersetzte. Den frühesten Deutungsversuchen des Todes Jesu ist dabei das für die Konstituierung, den Ausbau und die Erhaltung der Christengemeinde Unverzichtbare gelungen: Wurde zunächst das durchweg negative ‚Jesus Christus ist gestorben’ mit den Ostergeschehnissen um das Freudenzeugnis seiner Auferweckung ergänzt und damit bereits fundamental aufgewertet, so leistete die Einsicht in die Notwendigkeit des Sterbens Jesu, der Nachweis der Schriftgemäßheit seines Geschickes, einen weiteren bedeutenden Beitrag zu dessen positiver Reinterpretation. Sein originäres Missionspotential verdankte das frühe Christentum aber wohl erst der revolutionären Beantwortung der Frage nach den Finalursachen, dem ‚Wozu?’, bzw. ‚Wofür?’ des Kreuzestodes: Dieser Jesus von Nazaret hat in seiner Auferstehung nicht nur den eigenen Tod überwunden und damit sein Heil erlangt; beides, sein Sterben und Auferstehen, erfolgten υπερ ημων, hatten in uns ihren Grund und ihr Ziel, ihre Ursache und ihren Adressaten.
Christi Sterben als ‚Sterben-für’ zu verstehen, verlieh diesem Geschehen eine soteriologische Relevanz, deren Tragweite das individuelle Heil des so Gestorbenen transzendierte, indem es der Interpretation die Motive der Stellvertretung und Sühne eröffnete. Ob es einen sachlich signifikanten Unterschied macht, als Objekt dieses ‚Pro-Todes’ vorpaulinisch „unsere Sünden“ (1Kor 15,3), oder aber paulinisch „uns ... (als wir noch Sünder waren)“ (Röm 5,8) anzusehen und - falls dem so ist - zu klären, ob die paulinische Modifikation als Addition oder Subtraktion zur ursprünglichen Formelgestalt zu gelten hat, wird in dieser Arbeit erörtert.
Inhaltsverzeichnis
- A. „INRI...“
- B. Vorpaulinische und paulinische Verwertung des Stellvertretungsmotivs bei der Deutung des Todes Jesu im Vergleich: Rein formale Diskrepanz oder auch inhaltliche Modifikation?
- 1. Der Tod Jesu – Ein Geschehen multidimensionaler Bedeutung sucht nach terminologisch adäquater Erfassung
- 1.1. „Sühne“ (H. GESE):
- 1.2. „Sühne“, „Stellvertretung“, „stellvertretender Sühnetod“ – Differenzierung impossible?
- 1.3. „Zwitterwesen“ Stellvertretung: „einschließend/inklusiv/inkludierend“ vs. ,,ausschließend/exklusiv/exkludierend“ (O. HOFIUS vs. G. RÖHSER).
- 1.3.1. Otfried Hofius
- 1.3.2. Günter Röhser.
- 1.4. Zusammenfassung und methodische Konsequenzen
- 2. Das vorpaulinische Traditionsgut........
- 2.1. Sonderrolle 1Kor 11,24 .......
- 2.2. Vergleichende Analyse von 1Kor 15,3, Gal 1,4 und Röm 4,25
- 2.2.1. Allgemeine Vorbetrachtungen
- 2.2.2. Röm 4,25 ..
- 2.2.2.1. „Sühne“ oder „Stellvertretung“ ?
- 2.2.2.2. „Inkludierende“ oder „Exkludierende“ Stellvertretung
- 2.2.2.3. „Sühnemotiv\"?
- 2.2.3. 1Kor 15, 3b und Gal 1, 4.
- 3. Paulinische Sterben-für-Aussagen.
- 3.1. 1Thess 5, 10.........
- 3.2. 2Kor 5, 14ff.
- 3.3. 2Kor 5, 21
- 3.3.1. Theozentrik?
- 3.3.2. Zur Sünde“ oder „zum Sündopfer gemacht“?
- 3.3.3. „Inkludierende Stellvertretung“ = „Sühnemotiv“ ?
- 3.4. Gal 3, 13.
- 3.5. Röm 8, 32:,,Dramatische Theozentrik“.
- 3.6. Röm 5, 6 - 11
- 3.6.1. Die menschliche Existenz extra Christum
- 3.6.2. Röm 5, 9:,,Sühne“
- C. Resumé: Die paulinische Neuformulierung des stellvertretenden Sterbens Jesu als missionsstrategische Akkomodation: Konsequenz von Gottesbild, Soteriologie und Selbstverständnis des,,Apostels der Heiden\"..
- 1. „Vorpaulinisch“ verhält sich zu „paulinisch“ wie „implizit zu explizit“ ……………………………………………..\n
- 2. Das paulinische Novum: Universale Ausweitung des Geltungsbereiches des ………….. 51\n,Sterbens-für' Jesu…...........
- 2.1. Jes 52,13 – 53,12: Gemeinsamer Motivspender für Paulus und Tradition ?
- 2.1.1. Potentielle Quelle des paulinischen Universalitätsgedankens\n......
- 2.1.2. Selektive Adaption des 4. EJL von den Trägern der vorpaulinischen Tradition:\nVorpaulinischer „Heilsexklusivismus“?
- 3. Diskriminante Gottesbild
- 4. Konsequenzen für Soteriologie und Terminologie ..
- Das vorpaulinische Verständnis des Todes Jesu
- Die Bedeutung des Stellvertretungsmotivs in der frühen Kirche
- Die paulinische Neuformulierung des Stellvertretungsmotivs
- Der Einfluss des Gottesbildes auf die Deutung des Todes Jesu
- Die Rolle der Soteriologie in der Interpretation des Todes Jesu
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Deutung des Todes Jesu im frühen Christentum, insbesondere mit der Frage, inwieweit das Stellvertretungsmotiv in vorpaulinischen und paulinischen Texten verwendet wird. Ziel ist es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Verwendung dieses Motivs herauszuarbeiten und zu analysieren, ob es sich um eine rein formale Diskrepanz oder auch um eine inhaltliche Modifikation handelt.
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel untersucht die verschiedenen Bedeutungen des Todes Jesu und die Schwierigkeiten, diese terminologisch adäquat zu erfassen. Dabei werden Begriffe wie „Sühne“ und „Stellvertretung“ diskutiert und die Unterschiede zwischen einer „einschließenden“ und „ausschließenden“ Stellvertretung dargestellt. Das zweite Kapitel analysiert das vorpaulinische Traditionsgut und untersucht die Verwendung des Stellvertretungsmotivs in Texten wie 1Kor 11,24, Gal 1,4 und Röm 4,25. Im dritten Kapitel werden paulinische Sterben-für-Aussagen untersucht und die Frage gestellt, ob und wie sich die paulinische Verwendung des Stellvertretungsmotivs von der vorpaulinischen unterscheidet.
Schlüsselwörter
Stellvertretung, Sühne, Tod Jesu, vorpaulinisch, paulinisch, Gottesbild, Soteriologie, Missionsstrategie, Heilsgeschichte, Inklusion, Exklusion
- Quote paper
- Andrea Mesicek (Author), 2006, "gestorben ... für unsere Sünden" (1Kor 15,3) - "für uns gestorben ..., als wir noch Sünder waren" (Röm 5,8), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89650