Die vor allem im Selbstportrait über Jahrzehnte stattfindende künstlerische Beschäftigung mit dem eigenen Inneren ist von InterpretInnen immer wieder als ‚Innerer Monolog’ bezeichnet worden.
Dieser literaturwissenschaftliche Begriff umschreibt eine literarische Technik, mittels derer Gefühle und Gedanken in scheinbar unmittelbarer Übertragung mitgeteilt werden. Dahinter steht, so hat sich gezeigt, die Vorstellung, daß das Selbstportrait ein Forum für den Künstler/ die Künstlerin darstellt, mit sich selbst ins Gespräch zu treten und in einem introspektiven Akt der Selbsterkenntnis malerisch das eigene Innere kennenzulernen. Das wiederum impliziert aber die Annahme, daß ein Selbstportrait ein authentisches Zeugnis ist.
Anhand zahlreicher Selbstportraits der österreichischen Malerin Maria Lassnig (*1919), wird ihre Darstellung innerer Prozesse analysiert und ihr Konzept der ‚body-awareness’ am Werk nachvollzogen. Zu diesem Zweck wird eine Katalogisierung der Bildnisse vorgenommen und diese interpretiert, da dies bislang in der Forschung vernachlässigt wurde. Zur ikonographischen Einordnung werden die Thesen Gustav René Hockes zum Manierismus als epochenübergreifendem Phänomen auf das Werk Lassnigs bezogen. Ein Überblick über das Selbstportrait als Gattung versucht eine Einordnung Maria Lassnigs.
Lassnigs großes Thema, die Darstellung von Körpergefühlen, greift einen zentralen Diskurs des 20. Jahrhunderts auf. In Lassnigs Werk verbindet sich dieser Diskurs mit der Erkenntnis, daß sich Identität vornehmlich über den Körper, seine biologischen und sozialen Faktoren, seine Geschichte und seine Befindlichkeiten konstituiert. Um die theoretischen Hintergründe transparent zu machen, wird der Körper als Ausdruck bzw. Ursache der eigenen Identität untersucht. Einem chronologischen Abschnitt über die Verbindung von Leib und Seele folgt eine Zusammenfassung der Hauptaspekte des Körperdiskurses: Die Verschmelzung von Mensch und Technik, die feministischen Ansätze des Körperdiskurses und die Angst vor der Zerstückelung des Körpers. Das viel behauptete Verschwinden des Körpers in der modernen Kunst wird widerlegt.
Inhaltsverzeichnis
‚Innerer Monolog’ und ‚Seele’ – Eine Einleitung
1. Teil: MARIA LASSNIG
Maulkorb, Zyklopin und Schinken – Fünf Bildbeschreibungen
Tachistisches Selbstportrait (1961)
Pfingstselbstportrait (1969)
Selbstportrait mit Maulkorb (1973)
Country Selbstportrait (1993)
Selbstportrait als Einäugige (1998)
„Meine literarische Ader“ – Über die Titel
Die realste Realität – Zur Darstellung von Körpergefühlen
Durch den Körper gehindert - Die Anfänge
Body-awareness und Körpersensation - Begriffsdefinitionen
Capriccios oder quälende Selbstanalyse – Deformationen
Vom Abstecken einer Wolke – Außenansicht versus Innenperspektive
Zutiefst dem Unbewußten zugeordnet – Körperempfindungen statt Emotionen
Das meta-künstlerische Paradigma - Katalogisierung
Der Nullpunkt des Sehraumes – Körperbilder ohne Spiegel
Psychogramme innerer Vorstellung – Die informellen Arbeiten
Zitrone sein – Die Verschmelzung mit Gegenständen
Unter der Erde – Die Verschmelzung mit der Natur
Beim Einbruch des Unerklärlichen – die Verschmelzung mit Abstraktem
Sinnlich empfundene Körper - Extensionen
Gurkenglas und Stab – Die Verwendung von Gegenständen
Einmal von außen und einmal von innen – Die Verdopplungen
Mysteriöse Wesen – Die Verbindung von Mensch und Tier
Meistens erkennen mich die Leute aber trotzdem – Veränderte Anatomie
Mythologie wider Willen – Über mythologische Assoziationen
Anekdoten und Narration – Über die szenischen Bilder
Eine grelle Stimme seelischer Konflikte – Über die Gestik
Bis in die Nervenbahnen – Die Abstraktion
Der Körper in fahler Farbe – Bildübergreifende Beobachtungen
Ein weicher Ballon im Mundraum – Über die offenen Münder
Fleischdeckungsfarben und Nervenstrangfarben
Die Gestalt als Räumlichkeit – Über den unbestimmten Hintergrund
Es genügt nicht, nur Auge zu sein – Das innere Sehen
Ausdruckszwang von historischer Kontinuität: Manierismus
Ein zeitüberschreitendes Phänomen – Die These Gustav René Hockes
Epigonal, psychopathisch und steril - Der historische Manierismus
Eine subjektive Phantasiekunst – Versuch einer Definition
Spiegel, Uhren, Einhörner und Labyrinthe - Beliebte Motive
Der Sinnenschock - Stilistische Eigenschaften
Katachresen und biomorphe Landschaften - Arcimboldo
Neo-Manierismus, Surrealismus, Meditation – Der Bezug zur Moderne
Die Verlegung des Blickpunktes nach innen – Maria Lassnig und Manierismus
Ähnliche Parameter – Über Francis Bacon
Der Weg zur dominanten Gattung – Über das Selbstportrait
Handschriften und Abbild – Einleitung
Das Klischee der Selbstdarstellung – Spiegelexkurs
Sündenerlaß, Signatur und Ventil – Das Mittelalter
Von der assistenza zur Vision des Wesens – Das 15. und 16. Jahrhundert
Kopfwendung und Pose – Das 17. Jahrhundert
Urtiefen der Seele - Über Rembrandt
Iphigeniens Geschwister – Das 18. Jahrhundert
Die Vollendung neuen Menschtums – Das 19. Jahrhundert
Urbanisierung und Innerlichkeit – Das 20. Jahrhundert
Gehäutete Frauen - Selbstportraits von Künstlerinnen
Die unrepräsentative Malerin - Malen als Thema im Werk Maria Lassnigs
Narzißmus oder ‚Image‘ – Erklärungen zum Selbstbildniss
Inszenierung und Mythenbildung - Schlußüberlegungen
Die Expedition ins Innere – Über Subjektivität und Wissenschaftlichkeit
Komisch, daß die Leute das trotzdem geschluckt haben – Die Rezeption
2. TEIL: THEORETISCHE HINTERGRÜNDE
Verschwunden, wiedergekehrt, verschwunden – Der Körper-Diskurs
Die Körperwelle und ein Meer von Meinungen – Allgemeine Einleitung und
methodische Probleme
Ich heute und Ich einst – Kurzer historischer Abriß über das Verhältnis von Körper
und Geist
Baby be my Cyborg – Die Verschmelzung von Mensch und Technik
Ein Bild unter Bildern – Der feministische Körperdiskurs und die Zerstückelung des
Körpers
Entmaterialisierung und Besessenheit – Das Verschwinden des Körpers in der modernen Kunst
Nicht nur weiblich - Emotionstheorie
Der einzige Hauptsinn – Über die Definition von Emotionen
Ésprits oder Reptiliengehirn - Die Entstehung von Emotionen
Ozeanische Selbstentgrenzung – Über außergewöhnliche Bewußtseinszustände (ABZ)
Leibinsel und Ringelwurm - Körperphilosophie
Ein Gewoge von Leibinseln – Zur Theorie Hermann Schmitz’
Der Ringelwurm quer der Körperachse – Zur Muskelpanzer-Theorie Wilhelm Reichs
Erkenne dich selbst – Die Introspektion als Imaginationssteigerung
Feuergluten, welche die Seele erfassen - Einleitung
15 Unzen Brot – Über Jacopo da Pontormo
Magnetischer Schlaf und état de rêve – Über Surrealismus
Weder hungrig noch übersatt – Meditation
3. TEIL: EXKURS
Die Sprache des Gefühls – Über die Darstellung des Inneren in der Kunst
Von der allegorischen Figur zur Individualpsychologie – Historischer Abriß
Der innere Klang - Wassily Kandinsky
Zur Beförderung der Menschenkenntnis – Physiognomik-Exkurs
Die Kopfgalerie - Maria Lassnigs Inspiration
4: TEIL: DER ‚INNERE MONOLOG’ IN DER LITERATUR
Unwetter und Vogelgezwitscher –
Zur Darstellung von Innerlichkeit in der Literatur
In naiver Verstrickung – Die Verinnerlichung der Literatur
Gilgamesch und Madame Bovary – Die historische Entwicklung
‚Innerer Monolog’, ‚stream of consciousness’ und ‚erlebte Rede’ –
Zu den Begriffen
Vom Dämmerhaften bis zur höchsten Reflexion – ‚stream of consciousness’
Unhörbare Bewußtseinsinhalte – Die ‚erlebte Rede’
Von der Experimentalform zur Konvention – Der ‚Innere Monolog’
Weder ErzählerIn noch ZuhörerIn – Über den Verzicht auf Kommentare
Die ununterbrochene Gedankenkette – Zeit im ‚Inneren Monolog’
Krise und Existenz – Situationen und Personal
Kampf oder Anpassung – Das innere Verhältnis zur Gesellschaft
Die fehlende syntaktische Ordnung – Sprachliche Mittel
Zyklisch und spiralig – Die Struktur
5. Teil: SCHLUSSÜBERLEGUNGEN
Ordnende Übereinstimmug und gewisser Gleichlauf – Über Analogie und Metapher
Fehler oder originale Denkform – Die Wissenschaftlichkeit der Verwendung von
Analogien
‚Innerer Monolog‘ oder innerer Monolog – Sprechen über Maria Lassnigs Kunst
‚Innerer Monolog’, Introspektion und kreativer Prozeß – Die Kategorien
Introspektiv kreativer Monolog – Die Schlußthese
Literaturverzeichnis
Auszüge aus einem Interview mit Maria Lassnig am 2.7.2000 in Wien
‚Innerer Monolog’ und ‚Seele’ – Eine Einleitung
Wie können subjektive innere Vorgänge, Gedanken, Gefühle, Empfindungen, Erinnerungen und Assoziationen den Kopf, den Körper verlassen und so dargestellt werden, daß ein anderer Mensch sie nachvollziehen kann?
Die österreichische Malerin Maria Lassnig (*1919)[1], deren Schaffen sich durch eine Vielzahl sehr unkonventioneller Selbstportraits auszeichnet, hat bei der Beschäftigung mit dem Inneren ganz eigene Wege beschritten, die hier dargestellt und analysiert werden. In einem persönlichen Gespräch am 2. Juli 2000 in Wien, das in Auszügen der Arbeit angefügt ist, hat sich die Künstlerin zu Fragen über die Darstellbarkeit des Inneren und über die von ihr erforschten Körpergefühle geäußert, ein Thema, mit dem sich die wissenschaftliche Forschung seit den Untersuchungen des Begründers der Allgemeinen und Integrativen Psychiatrie und Psychotherapie, Johann Christian Reil (1759 – 1813)[2] beschäftigt, der für die Körpergefühle ausgehend vom deutschen Begriff des ‚Gemeingefühls’ den Terminus technicus ‚Coenaestesis’ prägte.[3] Reil war zudem der erste Mediziner, der den Gegensatz und die Einheit von Emotion und Verstand wissenschaftlich zu begründen versuchte.[4] WissenschaftlerInnen der unterschiedlichsten Disziplinen konstatieren ein ständig wachsendes Interesse an den mehr oder weniger wissenschaftlichen Techniken, die auf eine Modifikation der Wahrnehmung des eigenen Körpers zielen. Körpergefühl ist heute eine permanente Komponente in der Psychologie[5] und - wie auch diese Arbeit zeigen wird - eines der großen Themen unserer Zeit.
Aufbau der Arbeit:
Die vorliegende Untersuchung ist in fünf Blöcke strukturiert:
Der erste Block widmet sich einer Werkanalyse Maria Lassnigs. Um das Besondere an ihrer Herangehensweise zu veranschaulichen, werden zunächst fünf repräsentative Selbstportraits beschrieben. Nach diesem Einstieg werden der Schaffensprozeß der Künstlerin, Lassnigs eigene Definition ihrer Arbeit und mit ihrem Werk eng zusammenhängende Themen wie die Frage nach Deformationen oder nach Innen und Außen behandelt. In einer Katalogisierung werden die Selbstportraits Lassnigs unabhängig von ihrer chronologischen Entstehung in einzelne Werkgruppen eingeteilt. Die Verschmelzung mit Gegenständen, Bilder mit Tieren oder die Verwendung von abstrakten Elementen gehören dazu.
Dann folgen Überlegungen zu übergreifenden Charakteristika ihrer Kunst, wie Mimik, Farben oder Bildhintergründen. Ein Kapitel über das ‚innere Sehen’ Maria Lassnigs leitet über zu ikonographischen Überlegungen: Ein Manierismus-Exkurs setzt sich auseinander mit Gustav René Hockes These vom Manierismus als epochenübergreifendem Phänomen und untersucht die Kunst Lassnigs auf manieristische Elemente.
Übergeleitet durch ein Kapitel über Francis Bacon (*1909 - 1992), mit dem die Österreicherin oft verglichen wird und der ebenfalls Portraits malt, die mehr als die Fassade des Menschen zeigen, schließt sich ein Überblick über das Selbstportrait als Gattung an. Nach einem historischen Abriß vom Mittelalter bis zur Gegenwart werden eine Einordnung Maria Lassnigs versucht und verschiedene Erklärungsansätze über die Existenz von Selbstportraits vorgestellt.
Die Ausführungen über Maria Lassnig werden abgeschlossen durch einige Überlegungen zu ihrem Anspruch, auf dem überaus subjektiven Gebiet der Darstellung von Innerlichkeit wissenschaftlich und objektiv zu arbeiten, sowie zur Rezeption durch Publikum und WissenschaftlerInnen.
Der zweite Block beleuchtet die theoretischen Hintergründe von Lassnigs Kunst. Lassnig beschäftigt sich mit dem Körper als Ausdruck bzw. Ursache der eigenen Identität und greift damit eines der meistumstrittenen Themen des 20. Jahrhunderts auf. Der Körperdiskurs, in dessen Kontext ihre Arbeit gesehen werden muß, wird in einem kurzen chronologischen Abriß und der detaillierteren Abhandlung der Hauptaspekte transparent gemacht: Die Verschmelzung von Mensch und Technik, die feministischen Ansätze des Körperdiskurses oder die Angst vor der Zerstückelung des Körpers werden ebenso behandelt wie das angebliche Verschwinden des Körpers in der modernen Kunst, die – wie dieses Kapitel zeigen wird – im Gegenteil geradezu besessen ist von Körpern.
Diese Überlegungen werden ergänzt durch einen Überblick über die Emotionstheorie, denn Maria Lassnig hat oft erklärt, sie stelle keine Gefühle, sondern Körperempfindungen dar, obgleich Gefühle immer auch hineinspielten: „Man kann nicht verhindern, daß auch die Seele herauskommt.“[6] Was ist es genau, was sie darstellt? Wie entsteht es? Und sind es wirklich völlig singuläre Beobachtungen oder gibt es wissenschaftliche Anhaltspunkte für das, was Lassnig seit Jahren an sich beobachtet? Ein philosophisches Modell, das, wenn auch in einer anderen Disziplin, zu erstaunlich ähnlichen Ergebnissen kommt wie die Kunst Maria Lassnigs, ist die Leibinsel-Theorie von Hermann Schmitz (*1928). Ergänzend dazu folgt ein Abschnitt über die Körpersegment-Theorie Wilhelm Reichs (1897 – 1956), die weiteren Aufschluß über die Verbindung von Psyche und Physis gibt.
Ein wichtiges Element in Lassnigs Arbeitsprozeß ist die Introspektion, mit deren Hilfe sie den Zuständen nahekommt, die sie darstellt. Was Introspektion im psychologischen Sinne ist und in welcher Tradition der künstlerischen Selbstprovokation sie steht, ist das Thema des Abschlußkapitels dieses zweiten Blocks.
Es folgt als dritter Block ein kurzer zweigeteilter Exkurs, der sich zum einen mit der Darstellung von Innerlichkeit in der Kunstgeschichte allgemein, vor allem auch mit den Überlegungen Wassily Kandinskys zum „inneren Klang“ beschäftigt, und zum anderen einen Überblick auf ein Gebiet der bildenden Kunst gibt, das prädestiniert zu sein scheint für die Untersuchung des Inneren am Äußeren: die Physiognomik.
Nach den kunsthistorischen Betrachtungen wird im vierten Block der Bogen zur Literatur geschlagen. Die vor allem im Selbstportrait über Jahrzehnte stattfindende künstlerische Beschäftigung mit dem eigenen Inneren ist von den InterpretInnen immer wieder als ‚Innerer Monolog’[7] bezeichnet worden.[8] Dieser literaturwissenschaftliche Begriff umschreibt eine literarische Technik, mittels derer Gefühle und Gedanken gestaltet werden, und in der Literatur wiederum wird der Begriff des „Selbstbildnisses“ oft als literarischer Begriff der Autobiographie oder Selbstbespiegelung verwendet.[9]
Die abschließende Fragestellung dieser Arbeit ist nun: Können diese beiden Phänomene, Selbstportrait und literarischer ‚Innerer Monolog’, weil sie beide eine Möglichkeit bezeichnen, Inneres darzustellen, auch analog gesetzt werden?
Dafür spricht, daß die Theorie der Rhetorik die Kategorien der Kunststile geliefert hat[10] und viele kunsthistorische Begriffe wie zum Beispiel ‚stile’ von der traditionellen Terminologie der Rhetorik und Literaturtheorie übernommen wurden.[11]
Wilhelm Waetzoldt schreibt über die Verbindung von Literatur und Portrait: „Die Portraitmalerei berührt sich (...) mit den Aufgaben und Darstellungsgrenzen der Lyrik. Das lyrische Gedicht hat ja zum Thema das bloße Sein eines Gefühls, es portraitiert die seelische Persönlichkeit in einem für ihr Gesamtverständnis mehr oder minder fruchtbaren Moment.“[12]
Da dies eine kunsthistorische Arbeit ist, liegt das Gewicht der Untersuchung auf kunsthistorischen Fragen. Der Literaturteil konzentriert sich auf die zentralen Aspekte, um den Rahmen nicht vollständig zu sprengen, und kann nur als erweiterte Begriffsklärung verstanden werden, die sich dem Phänomen des ‚Inneren Monologs’ nähert, um gleich wieder zur bildenden Kunst zurückzukehren. Einer Einführung, wie und wodurch sich die Verinnerlichung in der Literatur entwickelt hat, folgen kurze Definitionen zu den Stilmitteln der ‚erlebten Rede’, dem ‚stream of consciousness‘ und vor allem dem ‚Inneren Monolog’. Ein literaturwissenschaftlicher Abschnitt zeigt auf, welche Faktoren den ‚Inneren Monolog’ bestimmen, welche sprachlichen Mittel ihn kennzeichnen, in welchem Kontext er vorkommt usw.
Der fünfte und abschließende Block der Arbeit nähert sich der Analogie, ihrer Definition, und der Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Verwendung dieses Stilmittels. Es wird untersucht, mit welchen Begriffen über Maria Lassnigs Selbstbildnisse gesprochen wird und in welchem Sinn der ‚Inneren Monolog’ hier im Vergleich zur Literatur verwendet wird. Abschließend geht es um die Frage, ob man den literarischen Begriff des ‚Inneren Monologs’ auf das Werk Lassnigs bzw. auf die bildende Kunst allgemein beziehen kann oder nicht.
Die Frage nach dem Körper durchzieht die Überlegungen zu Kunst und Literatur gleichermaßen. Ob psychologisch, historisch, anthropologisch, literatur- oder kunsthistorisch, der Körper in allen seinen Facetten ist der rote Faden dieser Überlegungen, denn er ist es, der uns im Selbstportrait entgegensieht, er ist es, auf den unsere Sprache rekurriert, und er ist es auch, der immer wieder als Mittel und Motiv, als Vermittler und Objekt, als Thema und Repräsentanz in den unterschiedlichen Disziplinen auftaucht. Dabei ist die Frage nach dem Körper und seiner Bedeutung ja mehr als ein Thema, das alle Wissenschaftsbereiche interessiert und betrifft. Es ist die Frage nach uns selbst und nach unserer Identität. Peter Gerlach:
„Die Vorstellungen von uns und unserem Körper, den wir als Teil unserer Identität erleben, sind keine natürliche Selbstverständlichkeit. Alle uns dafür zur Verfügung stehenden Vokabeln und Bilder sind ein kulturelles Produkt. Von frühen Tagen an müssen wir uns diese aneignen und ein Leben lang ständig korrigierend überprüfen. Sie besitzen eine von dem individuellen Benutzer nicht ganz unabhängige Zeichenfunktion zur Orientierung in dieser Gesellschaft. (...) Der Körper selber in seinen Erscheinungsweisen wird als Attribut kultureller und sozialer Ordnungssysteme eingesetzt. Dieser Komplex von attributiven Funktionen ist dasjenige Formvokabular, aus dem Bildnisse sich zusammensetzten. Diese gilt es zu entschlüsseln.“[13]
Dazu will diese Arbeit einen Beitrag leisten.
1. Teil: MARIA LASSNIG
Maulkorb, Zyklopin und Schinken – Fünf Bildbeschreibungen
Um das Spezifische an der Arbeit Lassnigs anschaulich zu machen, beginnt diese Arbeit mit der Beschreibung von fünf ihrer Selbstportraits, deren Eigenheiten im anschließenden analytischen Teil herausgearbeitet werden sollen. Die Gemälde wurden ausgewählt, weil sie verschiedene Aspekte, Techniken und Herangehensweisen Lassnigs zeigen und, da sie aus verschiedenen Jahrzehnten stammen, auch einen Querschnitt ihres Werks darstellen. Die Beschreibungen sollen nur einen ersten Eindruck geben, die Interpretationen der Gemälde folgen dann in den entsprechenden Kapiteln.
Tachistisches Selbstportrait (1961)
Der Hintergrund der ungegenständlichen Komposition besteht aus schwarzen Strichen und Schlingen, die hauptsächlich diagonal von links und rechts oben zur unteren Mitte verlaufen und die in der linken Bildhälfte ihr Ballungszentrum haben, das einen Bogen beschreibt vom linken bis parallel zum oberen Bildrand. Nach rechts hin nimmt die Dichte der Striche ab. Hier werden sie auch weniger verwischt, sondern laufen einzeln, während im Ballungsoval stark geschummert wurde, so daß eine größere graue Fläche entsteht wie eine Wolke aus Strichen. Darüber ist mit härterem Strich eine rechteckige Form gezeichnet, die dem Umriß eines schindeldachigen Hauses ähnelt und in der Mitte durch starke Horizontalstriche geteilt ist. An beiden unteren Ecken der Form ist der Strich verdichtet. Organische oder anatomische Formen lassen sich nicht erkennen. Als einzige Beziehung zwischen der Strichwolke des Hintergrunds zur gezeichneten Form läßt sich die Verdickung des Strichs an der rechten unteren Ecke finden, die in der Komposition ein Gegengewicht zur Ballungswolke des weicheren Hintergrundes bildet.
Pfingstselbstportrait (1969)
Beim Pfingstselbstportrait von 1969 beginnt der Blick da zu verstehen, wo er sich sicher fühlt: bei der Hand. Eine linke, fast naturalistisch gemalte Hand ist mit locker gespreizten Fingern und einer Armbanduhr um das Gelenk dargestellt. Die Hand und der nackte Unterarm werfen einen Schatten nach rechts auf den Untergrund. Dieser ist weiß und faltig wie ein ausgebreitetes Laken oder eine sehr locker gespannte, weiße Leinwand. Ein ähnliches Material findet sich zwischen dem Arm und dem unteren Bildrand. Der Faltenwurf deutet einen Blusenärmel oder den hochgekrempelten Ärmel eines Hemdes an. Der Ärmel ist nicht eindeutig begrenzt, das Material scheint in den Hintergrund überzugehen. Die zweite Fläche, die das Auge einordnen kann, befindet sich im oberen Bilddrittel: Eine violette Fläche, in der die durch dunkleres Violett angegebenen Konturen einer unteren Gesichtshälfte zu erkennen sind, taucht wie eine Insel aus dem Untergrund auf. Nasen- und Mundpartie ähneln der Maria Lassnigs und lassen keinen Gefühlsausdruck erkennen. In der gleichen Farbe befindet sich dominant in der Bildmitte eine Farbfläche, die wie ein überdimensionales Komma in die Bildkomposition eingefügt ist: fast rechteckig oben, deutlich mit dunklerem Violett abgegrenzt, unten dann in einer Kurve in Richtung des linken Bildrandes hin schmal auslaufend. Material und Konsistenz dieser Fläche sind ungeklärt. Durch Lichtreflexe und Schattierungen ist ein vages Volumen angegeben, aber eine Zuordnung zum Körper wie bei Hand und Gesichtsfragment läßt sich nicht vornehmen. Die violette Farbfläche umschließt in der Kurve ein weißes Oval, deren Textur wiederum die der Bluse und des Hintergrundes aufnimmt. Auch rechts von der violetten Rundung findet sich dieses strukturierte Weiß. Ein dritter Flächenkomplex besteht aus einem Olivgrün, dessen Material zwischen der relativ eindeutigen Textur des Weiß’ und der völlig unbestimmten des Violetts liegt. Es könnte sich dem Faltenwurf und der Abtönung nach um einen Stoff handeln, einen Hosenstoff vielleicht, die Zuordnung zu etwas Organischem scheidet aus. Die Assoziation des Hosenstoffs drängt sich auf, denn die grüne Fläche erinnert unmittelbar am unteren Bildrand an die Darstellung der Aufsicht auf zwei Oberschenkel einer sitzenden, den BetrachterInnen zugewandten Person. Andererseits läßt der rechte Bildteil das angewinkelte Bein einer hockenden Person mit nacktem Fuß erahnen. Im Bild lassen sich demnach vier Themenkomplexe differenzieren: zum einen der weiße Hinter- bzw. Untergrund, zum zweiten die Hand mit Blusenstoff, dann die grüne Hosenpartie, in einer Aufsicht und von der Seite, und schließlich die abstrakte violette Fläche mit dem wie aus Milch auftauchenden Gesicht. Den Körper, der hier simultan aus verschiedenen Blickwinkeln und in verschiedenen Modi dargestellt ist, kann man sich einmal vorstellen als nach vorne gestützt auf eine vertikal gespannte oder auf eine am Boden liegende Leinwand, und zweitens als hockend vor oder auf dieser Leinwand. In beiden Fällen verläuft die Bewegungsrichtung von den BetrachterInnen weg ins Bild hinein, das auftauchende Gesicht sieht den BetrachterInnen aber entgegen. Die verwendeten Modi reichen dabei von fast naturalistisch bis abstrakt. Alle diese Ebenen sind in der Darstellung miteinander verschränkt und durchdringen einander.
Selbstportrait mit Maulkorb (1973)
Als Bild im Bild ist das Selbstportrait mit Maulkorb aufgebaut. Vor einem grauen Hintergrund erkennt man eine Staffelei, auf der ein blau grundiertes Bild steht. Darauf dargestellt ist eine den BetrachterInnen frontal zugewandte, nackte weibliche Figur bis zur Büste. Die Hände sind offenbar in die Seiten gestützt. Die naturalistische Malweise von Staffelei und aufgespannter Leinwand wird bei der Darstellung der Frau nicht übernommen. Der obere Teil des Gesichtes fehlt, die Augen sind noch mit weißlichen Strichen angedeutet, der Rest des Schädels mit Haaren und Hinterkopf fehlt. Auch die Arme sind eher skizziert als ausgestaltet. Deutliche Umrißlinien begrenzen die Flächen, die Oberarme, Ellenbogen und den noch sichtbaren Teil der Unterarme darstellen sollen. Die Proportionen und das Volumen wirken verschoben: Beim von den BetrachterInnen aus gesehen linken Arm erkennt man deutlich, wie der Unterarm gegen alle anatomischen Kenntnisse als zylindrischer Körper an den Oberarm angefügt ist. Die Übergänge von den Schlüsselbeinen in die Schultern und Oberarme sind ebenfalls stark vereinfacht gemalt. Auch die Farbigkeit, die im unbewegten Gesicht noch wirklichkeitsgetreu erscheint, ist hier in Brauntöne unterschiedlicher Nuancierung aufgeteilt, die keine Illusion von Schattierung oder Plastizität mehr geben wollen. Der im Titel bezeichnete Maulkorb ist ein eher orthopädisch wirkendes Gebilde, bestehend aus zwei handtellergroßen Rechtecken, die, nach der Wölbung der Gesichtskontur zu schließen, aus dickem Glas sein könnten, und die von einer Art Metallkonstruktion eingefaßt und unterhalb des Mundes mit zwei Verbindungsstücken zusammengehalten werden. Mund und Nase sowie die flächigen Wangen mit den hohen Jochbeinen lassen das Gesicht von Maria Lassnig erkennen. Der Eindruck der barbarischen orthopädischen Gerätschaft wird noch einmal aufgenommen in einer Art Stützkorsett, das unter den Achseln beginnt und an beiden Seiten des Körpers entlanggeführt wird. Es könnte aus Leder oder Holz sein und ist auf jeder Seite mit einer Art genietetem Scharnier versehen.
Country Selbstportrait (1993)
Das Country Selbstportrait von 1993 verzichtet auf jede Art von Physiognomie. Vor einem lindgrünen bis graublauen Hintergrund schwebt ein monumentaler, bildfüllender Schinken, der fast die gesamte untere Hälfte des Bildformates einnimmt und von der Seite und von oben gesehen wird. Die geräucherte Außenseite ist in dunklen Rottönen gehalten, während die aufgeschnittene Seite das Fleisch in helleren roten Schattierungen und durchzogen mit weißen Fettadern zeigt. Die obere Bildhälfte greift die Umrisse des Schinkens auf und spiegelt sie in einer abstrakten Umrißform. Die Kontur ist deutlich zu erkennen, Farbgebung, Plastizität und Stofflichkeit gehen in der Spiegelung aber verloren. Den durch eine rote Linie bezeichneten Umriß des auf den Kopf gestellten Schinkens umgibt eine weiße Fläche, die entweder ein Stück unbemalte Leinwand zeigt oder eine nachträglich aufgetragene weiße Farbe, was in der Reproduktion nicht zu unterscheiden ist. Gelb- und Grün- sowie verschiedene Rot- und Blautöne finden sich im meist horizontalen Farbauftrag in dieser abstrahierten Schinkenform und gehen auch über die Grenze der roten Umrißlinie hinaus. Wenn man nicht gerade den Schinken als Stück eines Körpers oder morbider als Stück des Körpers des Modells verstehen möchte, verzichtet dieses Selbstportrait vollständig auf die physische Anwesenheit der Portraitierten im Bild.
Selbstportrait als Einäugige (1998)
Das Gesicht, das den BetrachterInnen aus den pyramidenförmig ineinander geschichteten und durch sich hindurchwachsenden Fleischwülsten des Selbstportraits als Einäugige entgegensieht, trägt unverkennbar die Züge Maria Lassnigs, obwohl es durch die violetten Schattierungen verfremdet und außerdem stark gelängt ist und Kinn und die Jochbeine so verstärkt sind, daß die Gesichtsform eher der einer Raubkatze entspricht als einem Menschen. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die sehr hoch angesetzte, in Untersicht gemalte Nase und die starke Rille, die sich vertikal bis zur nach oben aufgeworfenen Oberlippe zieht und so den Eindruck einer Katzenschnauze entstehen läßt. Es sieht so aus, als fehle das linke Auge der Gestalt im Bild genauso wie die entsprechende Orbitalöffnung und die umgebende Stirnpartie. Wie herausgebissen oder noch nicht ganz materialisiert wirkt der Kopf an dieser Stelle, und obwohl der Titel des Bildes annehmen läßt, die dargestellte Gestalt habe nur ein Auge, wirkt es so, als sei das Wesen unvollständig. Aus dem Konvolut an Fleischwölbungen und Ausbuchtungen, die mit dicken Umrißlinien in Blau-, Violett- und Schwarztönen begrenzt sind, läßt sich nur vorne eine Schulter mit Oberarm ausmachen, so daß der Eindruck entsteht, die Gestalt stehe seitlich zu den BetrachterInnen und sehe sie mit ihrem einen Auge über die eigene Schulter hinweg an. Zwei aufeinander zustrebende längliche Farbflächen von der Stirn zum linken Bildrand bzw. von der Schulter zur Stirn sind anatomisch nicht zuzuordnen. Wie in einem Comic verstärken sie den Eindruck von Bewegung, als habe die Gestalt schnell wie auf Zuruf den Kopf zu den BetrachterInnen gedreht, und als sei diese Bewegung im Bild festgehalten. Ein Erschrecken zeigt sich auf dem tierähnlichen, zyklopischen Gesicht aber nicht. Der Blick des einen Auges geht leicht rechts oberhalb des Standpunktes der BetrachterInnen vorbei ins Leere. Durch die heruntergezogenen Mundwinkel wirkt der Gesichtsausdruck grundsätzlich streng, aber nicht als Ausdruck einer aktuellen Befindlichkeit.
Fünf Selbstportraits aus vier Jahrzehnten. Allen gemeinsam ist, daß sie kaum mit konventionellen Selbstportraits zu vergleichen sind. In manchen erkennt man die Physiognomie Maria Lassnigs wieder, in anderen ist gar kein Abbild ihres oder überhaupt eines Körpers zu sehen. Wieso es aber doch alles Selbstportraits sein können und auch sind, welcher Bereich des Selbst hier portraitiert wird, wird im Folgenden analysiert.
„Meine literarische Ader“ – Über die Titel
Manche Selbstportraits sind nur durch den Titel als solche zu erkennen. Allerdings entstehen die Titel wesentlich später als die Bilder, durch Assoziieren und Betrachten der gefundenen Form.[14] Sie sind nicht etwa Zusammenfassungen der Intention oder Information zum Entstehungshintergrund. Dadurch haben sich in der Rezeption oft Mißverständnisse ergeben, da sie für Interpretationen eines dargestellten psychischen Zustandes gehalten wurden. Für Lassnig bieten sie aber nur eine Möglichkeit, sich den erarbeiteten Formen wieder zu nähern und die Bilder nebenbei besser memorieren zu können.[15] Die Namensgebung ist ein Teil des Schaffensprozesses, auf den die Künstlerin großen Wert legt: „Das ist meine literarische Ader, darauf bin ich mehr stolz als auf das andere.“[16] Peter Gorsen erläutert die literarische Arbeitsweise bei der Titelfindung, indem er darauf hinweist, daß zum Beispiel beim Selbstportrait als Torso Bäumchen aus dem Armstumpf wachsen und ‚Baumstumpf‘ im Italienischen wiederum ‚Torso‘ heiße.[17] Im nachhinein bekommen die Bilder so oft einen erzählerischen, ironischen oder kritischen Charakter.[18] Der Schaffensprozeß schließt den der Titelfindung mit ein. Wenn sie eine Zeichnung oder ein Gemälde ‚Selbstportrait‘ nennt, muß man den Titel als Teil der künstlerischen Konzeption ansehen.
Thürlemann weist darauf hin, Tafelbild und Titel bildeten in der Moderne eine ästhetische Einheit, wobei die Surrealisten damit angefangen hätten, den Titel gegen das Bild auszuspielen.[19] Lassnig setzt die Titel und Gemälde zwar nicht gegeneinander, aber das eine ist auch nicht die Beschreibung des anderen, sondern eine Ergänzung. Die Bildbenennung durch Assoziieren relativiert die Erwartung der BetrachterInnen, in einem Bildtitel gleich eine Interpretation sehen zu wollen. Manche Gemälde sind eindeutig Selbstportraits, obwohl sie einen anderen Titel tragen, und in manchen lassen sich die Assoziationen der Künstlerin auch nicht nachvollziehen. Ob zum Beispiel der Titel des Pfingstselbstportraits lediglich als zeitliche Angabe zu verstehen ist oder die Assoziationen in Richtung der christlichen Ikonographie lenken soll (in dem Sinne wäre dann Lassnigs entdeckte Möglichkeit, Inneres darzustellen, die sich in diesem Gemälde manifestiert, analog zu sehen mit dem heiligen Geist, der über die Jünger kam. Das Pfingstselbstportrait wäre demnach ein Verkündigungsbild oder eine Art künstlerisches Glaubenszeugnis), kann nicht eindeutig entschlüsselt werden. Man muß die Titel als eine Möglichkeit des Zugangs zu einem Bild sehen, der womöglich, aber nicht zwingend auf die Interpretation hinweist.
Die realste Realität – Zur Darstellung von Körpergefühlen
Durch den Körper gehindert - Die Anfänge
„Als ich müde wurde, die Natur analysierend darzustellen, suchte ich nach einer Realität, die mehr in meinem Besitz wäre als die Außenwelt und fand als solche das von mir bewohnte Körpergehäuse als die realste Realität am deutlichsten vor.“[20] So beschreibt Lassnig ihren künstlerischen Ausgangspunkt: „(...) das einzig mir wirklich Reale [sind] meine Gefühle, die sich innerhalb des Körpergehäuses abspielen: physiologischer Natur, Druckgefühle beim Sitzen und Liegen, Spannungs- und räumliche Ausdehnungsgefühle –ziemlich schwierig darstellbare Dinge.“[21] Als Antwort auf die Malerei der Außenwelt auf der einen Seite und auf das Informel auf der anderen entschloß sie sich zur Introversion[22] und entdeckte ihren Körper und die darin gespürten Empfindungen und Gefühle als unerschöpflichen Fundus. Lange bevor die Wiener Aktionisten Günther Brus (*1938), Muehl (*1925), Hermann Nitsch (*1938) und Schwarzkogler (1940 – 1969) den Körper als Bildträger[23] entdeckten und ihn vor allem in Performances mit Selbstverletzung[24] und Schmerz konfrontierten, wie im Kapitel über das Verschwinden des Körpers in der Kunst noch näher erläutert werden wird, beschloss Lassnig nicht mehr zu malen, was sie sah, sondern was ihr Körper, ihr ‚Ich’ fühlte. Damit zog sie, nach einer Bewertung von Peter Weibel, eine entscheidende Zäsur in der europäischen Kunst.[25] Anfangs versuchte sie noch ihre Entdeckung schriftlich zu fixieren, was hier wegen des interdisziplinären Ansatzes der Arbeit kurz vorgestellt werden soll:
„Selbstportrait in Worten I (1958): Wo das Fleisch an der unteren Kante angewachsen ist/ fühlt es sich brennend an/ an der Erhöhung und rings um den Zirkular/ dies alles ist rot/ die stärksten Stellen bläulich rot/ Die Nasenflügel ringeln sich im Brande/ und durch die hohe Öffnung saugt sich der Luftstrom/ rechts und links sind dominierende Stellen/ die nach außen verlaufen, über ihnen hört es auf./ Dort beginnt der Lichteinfall und das Geflimmer,/ dies ist ziemlich rund, manchmal oval/ und reicht bis zum oberen Rande./ Bei Müdigkeit bildet es nur eine licht/ mit Schattenschraffuren versehene Spalte,/ oberhalb der Brandstellen geht aber von dort,/ wie ein lindes Pflaster/ kühl bis an die Einkerbung heran.“[26]
Bald erkannte sie aber, daß ihr eine bildliche Lösung mehr lag: „Es gibt zu wenig Wörter und deswegen zeichne ich. Man hat Gefühle im Körper, für die man überhaupt noch keinen Ausdruck hat. Es gibt ja so wenige Ausdrücke für die Körpertätigkeiten.“[27] Und tatsächlich scheint sich vieles, was sich unzweifelhaft als Gefühl und Empfindung im Körper abspielt, der Sprachlichkeit zu entziehen. Armin Wildermuth schreibt in diesem Zusammenhang, Lassnig stelle sprachlose Gefühle da, überführe sie in eine bildliche, ebenfalls nicht-sprachliche Phänomenalität. Unter der Schwelle des rationalen, sprachlich artikulierten Denkens sei das sinnliche, höchst bewußte Denken direkt mit den inneren Phänomenen in Kontakt.[28]
Anfangs ging es um eine rein private Bewältigung von Schmerz und störenden Sinneseindrücken, denn Lassnig stellte zunächst die übergroße Sensibilität ihrer Sinnesorgane in Bildern wie Frühes Selbstportrait als Ohr (1949) dar. Sie fühlte sich „durch den Körper gehindert, gestört, aus der Kontinuität gerissen (...)“[29] und beschreibt weiter:
„Ich bin mit der Dualität von Körper und Geist aufgewachsen, und es war durchaus nicht die Renaissance-Verliebtheit in meinen Körper, die mich bewog, ihn als Darstellungsmittel zu benutzen, eher im Gegenteil. (...) Meine Geräusch- oder Geruchsempfindlichkeit wie die Sitz- und Liegeempfindlichkeit wurde als Meditationsstörung zur Anregung und für die Erforschung wertgehalten.“[30]
Bald aber löste sich die Künstlerin von den Eindrücken der übersensibilisierten Sinnesorgane als Ausgangspunkt ihrer Malerei:
„Welchem Sinn gehört dieses Körpergefühl an? Nicht dem Geschmackssinn, noch dem Gehörsinn oder Geruchssinn, auch nicht dem Geschmacks- oder Tastsinn (letzterem am ehesten). Es ist auch nicht eine Mischung dieser Sinne. Und doch ist es ein Sinn. Der Schritt vom vagen, fluktuierenden, sensitiven Erkennen seiner eigenen Körperwahrnehmungen zum Stiftansetzen geht über einen Steg der Sicherheit, der mir immer mehr zum größten künstlerischen Geheimnis wird.“[31]
Body-awareness und Körpersensation - Begriffsdefinitionen
Die Suche nach den ‚Körpergefühlen’ war für Maria Lassnig auch immer eine Suche nach Begriffen. Um 1950 nannte sie manche ihrer informellen Bilder ‚introspektive Erlebnisse‘, was ihr später aber als „nicht präzise genug“ erschien, weil sie „nicht nach innen geschaut“, sondern „gefühlte Erlebnisse“ niedergeschrieben habe.[32] Nach dem 1960 gefundenen ‚Körpergefühl‘ verwendete sie ab 1970 das englische ‚body-awareness‘, was Wieland Schmied mit „Körperwahrnehmung, Körperbewußtsein, Selbst-Bewußtsein durch den Körper“[33] übersetzte. Im gleichen Jahr schrieb sie ihren Text „body awareness painting“, der als Erläuterung für die frühen, ungegenständlichen Pariser Bilder gedacht war, von der Rezeption aber auch für wesentlich spätere, an der Außenwelt orientierte Bilder herangezogen wurde[34] und immer noch herangezogen wird. Es folgte der Begriff ‚Körperbewußtsein‘, den Bolkart als „Gefühle, Empfindungen und Vorstellungen, die sich auf den eigenen Körper beziehen“[35] definierte. Eine weitere Bezeichnung war ‚Körpersensationen‘, abgeleitet von dem englischen Wort ‚sensation‘ für Wahrnehmung und Paul Cezannes (1839 – 1906) ‚sensations colorantes‘[36]. Vorübergehend verwendete Lassnig das Kürzel ‚KG‘ (für ‚Körpergefühl‘), später bevorzugte sie ‚Empfindung‘ statt ‚Gefühl‘.[37]
Capriccios oder quälende Selbstanalyse – Deformationen
Die ersten Beispiele haben gezeigt, daß sich die empfundene Körperwirklichkeit deutlich von gesehenem Realismus unterscheidet.[38] Sigrid Schade meint, daß eine Darstellung von weiblichen Körpern, die auf die mimetische Dimension verzichtet, immer bedeutet, daß die Künstlerin sich so patriarchalischen Mustern verweigert.[39] Auf Maria Lassnigs Kunst trifft diese Annahme allerdings nicht zu. Sie läßt einfach konsequent diejenigen Körperteile weg, die sie im Moment des Malens nicht spürt.[40] Körperteile werden neu zusammengesetzt, in Proportion, Volumen, Oberfläche und Farbe verändert, ganze Körperregionen in- und umeinander verschoben und neu kombiniert. Das hat keine politische Komponente, sondern ist die künstlerische Umsetzung ihres Empfindens. Visuelle Abbilder werden durch die Innensicht ersetzt. Eine treffende Pose, eine größtmögliche Ähnlichkeit der Gesichtszüge, biographische Notizen, anatomische Vollständigkeit[41], eine eindeutig definierte Umgebung oder symbolische Accessoires sind genausowenig Thema wie die Illusion von Wirklichkeit durch naturalistische Darstellung oder an der Physiognomie ablesbare Befindlichkeiten. Die Überbetonung mancher Körperteile erinnert dabei an Zeichnungen von Kindern, die instinktiv das, was für sie wichtig ist, größer malen als anderes. Murken weist in diesem Zusammenhang auf die Entdeckung des Wertes von Kinderzeichnungen in den fünfziger Jahren hin und nennt die unmittelbare Wiedergabe „innerpsychischer Impulse“, das Ausschalten des kontrollierenden Verstandes und die Einbeziehung des Zufalls[42] als typische Arbeitsweisen von Kindern.
Die ikonographischen Wurzeln dieses künstlerischen Programms sieht Christa Murken im Manierismus[43], auf den in einem eigenen Kapitel ausführlich eingegangen wird.
Den Körper nicht nur von außen gesehen, sondern von innen gefühlt zu malen, stellt Künstlerin wie RezipientInnen vor eine Reihe von Problemen: Wie stellt man das Gefühl von Druck dar, wo der Knochen aufhört und das Fleisch anfängt? Welche Farbe hat der Herzschlag? Wie kann die Empfindung einzuatmen, zu husten oder zu schlucken aussehen? In welcher Beziehung stehen in der Komposition das Gefühl der Schwere des Körpers und das Kribbeln an der Hautoberfläche? Lassnig: „Ein Körpergefühl ist optisch schwer zu definieren: Wo fängt es an, wo hört es auf, welche Form hat es, rund, eckig, spitzig, gezackt?“[44] Für diese Art von Phänomenen sucht die Künstlerin Formen und erklärt: „Was als Deformation der Realität erscheint, ist keine, weil die Realität auf einer anderen Ebene, der Gefühlsebene stattfindet.“[45] Für sie sind deshalb diejenigen Bilder am konsequentesten, die sich vollständig vom äußeren Abbild des Körpers gelöst haben und ausschließlich die abstrakten Vorgänge thematisieren.[46] Wie schwierig diese Loslösung vom eigenen Körperbild ist, zeigt ein Zitat von 1995:
„Bei diesen Körpergefühlsbildern muß ich von Anfang an gegen Erinnerungsbilder kämpfen. Ich lösche - vom Spiegel gar nicht zu reden - das Erinnerungsbild als Hindernis aus. Damit man ein ganz reines Körpergefühl wahrnimmt, muß man die Erinnerung ausschalten.“[47]
Maria Lassnig begründet die Deformierungen in ihren Selbstportraits sehr pragmatisch mit ihren Körpergefühlen. Dieser Punkt muß im Auge behalten werden, da er bei der Diskussion über das humanistische oder unhumanistische Menschenbild der Moderne oder der Frage nach dem Verschwinden des intakten Körpers in der Kunst (mit beidem wird sich diese Arbeit noch ausführlich beschäftigen) immer wieder durch kunsttheoretische, philosophische, soziologische oder feministische Ansätze überlagert wird.
Vom Abstecken einer Wolke – Außenansicht versus Innenperspektive
Obwohl Maria Lassnig ihre ungegenständlichen Arbeiten als konsequenteste künstlerische Umsetzung ihrer Körpergefühle bewertete, beendete sie bald die Phase der reinen Körpergefühlsbilder, in denen keinerlei Hinweis auf den dargestellten Körper zu finden ist, und wandte sich Bildern zu, in denen sich beides vermischt: die Innen-Ansichten der Empfindungen und Gefühle (eine genaue Unterscheidung zwischen beidem wird in einem eigenen Kapitel behandelt) und die Außenansicht des Körpers. Die Darstellung des Körpergefühls, die Suche nach Formen und Farben als optisches Äquivalent für Gefühle mündet nicht in gegenstandslosen Kompositionen, sondern wird an die äußere Erscheinung des Körpers rückgebunden.[48] Vor allem das Gesicht Lassnigs ist in vielen Gemälden deutlich zu erkennen. Die Künstlerin erklärt 1970 dieses Phänomen so:
„Beim Gesicht sind die Erinnerungsverbindungen schwerer auszuschalten, weil man es öfter im Spiegel gesehen hat als den Körper, es fällt deshalb immer realistischer aus.“[49] „Dabei muß ich mich fast entschuldigen, daß bei einer Unternehmung, die mehr nach Forschung als nach Kunst klingt, konkrete Körper entstanden (...). Daran ist schuld, daß mein Wissen von den realen Abständen zwischen Stirn und Nase, Hals und Brust u.a. nicht ausgeschaltet und als „Kunst-Kompromiß“ belassen wurde (...)“[50] „Wenn diese [Gefühlsebene] mit der optisch gesehenen oft kongruent ist, dann deshalb, weil mein Distanzgefühl, an äußeren Dingen geschult, sich eine ‚blinde Sicherheit‘ angeeignet hat, so daß sich die äußere Realität, das, was jeder am Körper sieht, mit der gefühlten (also der schwer definierbaren) deckt.“[51]
Lassnig steht dem Zusammenspiel von Außen- und Innenansichten selbst ambivalent gegenüber. Zum einen wertet sie die realistischen Elemente in ihren Gemälden ab, indem sie sie als „Ausnahmezustand“ und Beweis ihrer Fähigkeiten bezeichnet. Zum anderen legitimiert sie die Kombination 1995:
„Ich gehe ja von einer Realität aus, und dann kommt es darauf an, welche Realität die stärkste ist. Das zieht oft die eine Strecke dahin, dann dorthin. Wenn das möglichst genau der ganzen Ungenauigkeit, die eine Empfindung ist, entspricht (...) dann ist es gut, dann bin ich zufrieden. Es ist wie die Wolken abstecken zu wollen; was für eine Form hat eine Wolke?“[52]
Durch ihr ganzes Werk zieht sich diese Verbindung von Innen- und Außenweltdarstellung, mal mit Betonung auf der einen, dann wieder auf der anderen Perspektive. Auch in dieser Unentschlossenheit ist System: Lassnig will nicht nur einen Bereich des Menschen zeigen, sondern eine Verbindung von Unvereinbarem: Seele und Körper, Abstraktion und Realismus[53], Innen und Außen, Psychischem und Physischem, Körper und Dingwelt.[54] Zu diesem Konzept paßt auch, daß sie gleichzeitig Malerin und Modell, Subjekt und Objekt ist. Ihre vielen Selbstportraits haben RezensentInnen oft zu Spekulationen über Narzißmus veranlaßt. Maria Lassnig verteidigt sich: „Es geht um die Scharfeinstellung des äußeren und inneren Objektivs, und da sieht man sich selber am besten, das was am nächsten ist. Und ich glaub nicht, daß man das so als Narzißmus und Egoismus einstufen kann. Das wär einfach zu primitiv.“[55] Die Haut ist dabei die Grenz- und Trennfläche zwischen Körper und Außenwelt. Der Widerstand von außen ist nötig, um Grenzen des Körpers zu fühlen. In Lassnigs Selbstportraits wird die Körperhaut aber nicht (ausschließlich) von außen gesehen, sondern von innen gespürt dargestellt.[56] Zu diesem inneren Spüren kommt dann als weitere Komponente ihrer Kunst die äußere Realität, so daß für Gorsen Lassnigs Selbstbeobachtung ein „immer kulturell und sozial beeinflußter Selbsterkundungs- und Selbstfindungsprozeß“[57] ist. Eine strikte Trennung von Innen- und Außenwelt ist, da beides aufeinander einwirkt, sich durch die Konfrontation miteinander verändert und prägt, sich bisweilen sogar erst möglich macht, schlicht unmöglich. Diesen Prozeß der gegenseitigen Beeinflussung und Durchdringung, auf dessen medizinische und psychologische Komponente noch eingegangen werden wird, künstlerisch darzustellen, ganz konkret, nicht als Geschichte, sondern als innerkörperliches, im ständigen Fluß begriffenes Ereignis, ist die Entdeckung von Maria Lassnig.
Zutiefst dem Unbewußten zugeordnet –
Körperempfindungen statt Emotionen
Ein Punkt, der in fast allen Interpretationen für Irritation sorgt, ist die Frage, ob das, was Maria Lassnig fühlt und darstellt, rein physische Empfindungen oder auch psychische Vorgänge, Emotionen seien. Der Unterschied wird in dem Kapitel über Emotionstheorie noch näher erläutert werden. Sie selbst sagt immer wieder, daß sie sich ausdrücklich auf die Physis konzentriere und nicht die großen Gefühle darstellen wolle: „Ich habe mich wieder gegen die Illustration ausgesprochen, ‚die Angst darzustellen, wäre ja Illustration‘. (...) aber (...) ist das überhaupt vermeidbar?“[58] Laut Gorsen ist es für Lassnig objektiver und empirischer, die Beschreibung eines Gefühls mit körperlicher Lokalisation zu verbinden.[59] Obwohl es vorrangig um eine “seismographische Analyse der inneren körperlichen Befindlichkeit, um kinästhetische Meldungen von Belastungen und Spannungen“[60] geht, wie es Alexander Tolnay formuliert, spielen psychische Prozesse doch immer mit hinein, denn zum einen sind manche körperlichen Vorgänge nur schwer von emotionalen zu trennen, wenn man zum Beispiel an Herzrasen oder eine zugeschnürte Kehle denkt. Und egal, um welchen Abstand zum eigenen Körper man sich bemüht, es ist doch der eigene, den man nie losgelöst von sich, seinen Erinnerungen und Gefühlen sehen kann. Genauso ist ein Schmerz nie ein abstraktes Gefühl, sondern immer auch Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und Geschichte. Zum anderen macht Lassnig selbst mit dem Satz „was dabei herauskommt, ist zutiefst dem Unterbewußten zugeordnet“[61] deutlich, daß es kaum möglich ist, beim Malprozeß das Unbewußte auszuschalten. 1948 sagte sie bereits, sie gebe dem Unbewußten die Freiheit sich durchzuschlagen, durch die physiologischen Fakten, die man erkennen könne, wenn man den Arm auf den Tisch stütze, oder die gebogenen Beine sich unten wölbten. Bei entschiedener Konzentration könne jeder nachempfinden, daß Druckstellen am Körper im Kopf Bilder entstehen ließen, die ja nicht zwangsläufig aus dem Unbewußten kommen müßten, sondern freie „Formenerfindungen“ seien und erarbeitet werden könnten.[62] Die eigene Befindlichkeit spielt immer mit in ein Bild hinein, ob man ein Zerren in der Wade malt oder ein Schlachtengemälde, genau wie in der Literatur jeder noch so sachliche Text auch etwas über die Autorin bzw. den Autor verrät.
Emil Staiger[63], der sich in seinen „Grundbegriffen der Poetik“ mit Lyrik auseinandergesetzt hat, wird hier zusammen mit dem Literaturwissenschaftler Hugo Friedrich wegen des interdisziplinären Ansatzes dieser Arbeit, wegen der Durchdringung der Analysen von Malerei und Dichtung in der Moderne[64] und wegen der Parallelen in der Herangehensweise Maria Lassnigs und der moderner LyrikerInnen herangezogen. Staiger unterscheidet zwischen dem Körper, wie er sich zum Beispiel bei Zahnschmerzen äußert und dem Leib, den Hamlets Herzweh betreffe.
„Solche ‚Sensationen’ oder ‚Gefühle’ sind die leibliche Realität der Stimmung, die, diesseits aller Naturwissenschaft, den Ausspruch Schleiermachers bewährt: ‚Seele sein, heißt Leib haben’. Der Lyriker nimmt nicht Bilder aus der Sphäre des Körpers, um etwas anders den Seelenzustand auszusprechen; sondern die Seele selbst ist leiblich und wandelt sich in den Gefühlen, die nicht den Körper, aber den Leib heimsuchen. Auch damit wird die Stimmung nicht ins Innere hineingenommen. Nur der Körper ist begrenzt und stellt sich dar als eine Form, in die man von außen eindringen kann. Leib dagegen sei die Bezeichnung für alles, was den Abstand zwischen uns und der Außenwelt aufhebt.“[65]
Vorrangig aber gilt Lassnigs Interesse dem Physischen, dem „willentlich herbeigeführte[n] Körpergefühl, das zwar ein ganzheitliches Bewußtsein voraussetzt, aber immer nur eine Teilerfahrung meint“[66], es gilt dem „Bewußten, so unbestimmt und vage eine Körperempfindung auch sein mag.“[67] Psychisches kann durchaus hineinspielen, die Beschäftigung damit ist bei ihr aber nicht Ausgangspunkt oder Intention der Arbeit. Erst im nachhinein liest sie die in das Gemälde eingeflossenen Gefühle ab: „Das ist das Komische, daß durch das Oberflächenbewußtsein das Unterbewußte herauskommt. Ich weiß dann erst später: mein Gott, so hab‘ ich mich damals gefühlt. Das kommt ganz genau.“[68]
Das meta-künstlerische Paradigma - Katalogisierung
Lassnigs Konzentration auf das Innere ihres Körpers hat zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt, die hier nicht vorrangig chronologisch[69], sondern nach Aussagen in Bezug auf die Darstellung des ‚Körpergefühls’ zusammengefaßt werden sollen, weil die Künstlerin nicht in strengen Werkphasen arbeitet, sondern auch bei Gemälden, die im gleichen Jahr entstanden sind, zu unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten kommt. Eine im nachhinein über ein Werk gestülpte theoretische Einteilung kann immer nur ein Hilfskonstrukt sein, das dem Werk nie ganz gerecht wird. Nur ein Bruchteil des reichhaltigen Oeuvres kann hier besprochen werden. Außerdem gehören viele Werke sowohl in die eine als auch in die andere Gruppe. Es bleiben auch immer einzelne Werke, die sich jeder Kategorisierung entziehen. Die wenigen rein naturalistischen Selbstportraits explizit ausgenommen, muß man prinzipiell unterschieden, ob Teile der Anatomie ausgeblendet oder neu zusammengefügt sind, ob ein Gegenstand oder eine abstrakte Farbfläche in die Darstellung des Körpers eingeschmolzen ist oder ob an Stelle des Körpers ein Gegenstand quasi als Platzhalter für das dargestellte Körpergefühl steht. Bereits Bolkart und Oswald Wiener haben in den achtziger Jahren versucht, in allgemeinen, das heißt nicht am Bild nachgewiesenen Aussagen die diversen Erscheinungsformen des Körpergefühls in Lassnigs Bildern zu differenzieren. Johanna Bolkart:
„Körperbewußtsein ist immer ein Wechselverhältnis von Figur und Grund, ein Bewegtsein zwischen Zustands- und Gegenstandsbewußtsein. Einmal sind die Gefühle in ihrer qualitativen Färbung im Vordergrund, dann wieder treten Körperregionen und Körperteile, in denen die Gefühle lokalisiert werden, in das Zentrum des Bewußtseins, oder aber ein Gegenstand, auf den sich das Gefühl bezieht, wird zur Figur.“[70]
Oswald Wiener schreibt, Lassnigs verschiedene Darstellungscodes seien die Verwendung von Symbolen, motorisch abstrakte Bilder, bei denen der Zeichengestus die Empfindungsdynamik abbilde, realistisch-visuelle Arbeiten, „und verschiedene Stile einer fast unmittelbaren, den wirklichen Bewußtseinsbildern nahekommenden Umsetzung von Körpergefühlen ins Visuelle“.[71] Und Wildermuth faßt zusammen: „Streng genommen ist das Paradigma der Körpergefühle ein meta-künstlerisches Paradigma, das dazu dienen kann, verschiedene Stilformen zu legitimieren.“[72] Spätere InterpretInnen haben das Werk chronologisch betrachtet, aber keine Kategorisierung mehr geliefert.
Der Nullpunkt des Sehraumes – Körperbilder ohne Spiegel
Eine erste Gruppe von Selbstportraits ist die Darstellung der Perspektive ohne Spiegel am Körper entlang, durch die sich neue Körperbilder eröffnen[73], denn als Sehende geht man vom Nullpunkt seines Sehraumes aus. Dieser Nullpunkt liegt zwischen den Augen bei der Nasenwurzel, von da an breitet sich der Wahrnehmungsraum aus, in dem die eigenen Körperteile immer mitanwesende Komponenten sind.[74] Ein Beispiel dafür ist das Gemälde Mit Füßen von 1987/89. Hier geht es nicht nur um Innenansichten, sondern um das aus dem Inneren Hinaussehen, um eine konsequent subjektive Perspektive bei der Portraitierung des eigenen Körpers. Man kann die abstrakte Farbfläche, auf der die Füße zu stehen scheinen und die mit skizzierten Stricharmen und -händen versehen ist, als eine Vermischung von abgebildeter Leinwand und einer Art „Fußgefühl“ verstehen. Im Abschnitt über Lassnigs Arbeitsweise wurde aufgezeigt, wie wichtig der körperliche Kontakt des Körpers zur Leinwand für die Künstlerin ist. Demnach könnten die mit breitem Pinsel aufgetragenen Linien das Gefühl darstellen, mit dem nackten Fuß über einen Untergrund zu fahren, die Form wäre demnach aus dem gestischen Erleben gestaltet. Für diese These spricht, daß die Linienführung durchaus mit Füßen nachzufahren ist. Wenn man sich vorstellt, daß die Künstlerin bisweilen womöglich gehockt hat, könnten sogar die Abmessungen stimmen. Die weiße Fläche in der Mitte läßt eine Assoziation auf die frisch grundierte Leinwand zu, oder man versteht sie als inneres Empfinden des Ballens, wofür sprechen würde, daß das Weiß oben durch die graue Abtönung eine gewisse Plastizität erhält, so daß man sich eine weiße, gewölbte Fläche schon als Empfindung der Wölbung des Fußballens denken kann. Auch beim bereits erwähnten Pfingstselbstportrait findet sich dieser Blick am eigenen Körper entlang, denn der Arm und die Hand links sind aus der Perspektive dargestellt, die man hat, wenn man sich knieend oder hockend auf der Leinwand abstützt und von oben auf die Hand sieht. Maria Lassnig: “Wenn ich von dieser Innenarchitektur aus die Brücke zur Außenwelt schlug (...), so ging es zuerst vom begrenzten Sehfeld des Augenbogens aus; was auch ein Kind zuerst sieht; seine eigenen Arme und Beine als reales Bild.“[75] Der eigene Körper als Brücke zur Außenwelt[76] ist auch Thema einer Zeichnung des Philosophen und Wissenschaftstheoretikers Ernst Mach (1838-1916), Blick aus dem linken Auge, die 1886 entstand[77] und die bei vielen InterpretInnen in Bezug gesetzt wird zu Die Verankerung von Maria Lassnig. Die Konsequenz dieser Art von Darstellung ist die Kopflosigkeit des Körpers, da man seinen eigenen Kopf in keiner Position des Körpers ohne Spiegel sehen kann. Weil der Kopf als Mittelpunkt des konventionellen Selbstportraits entfällt, wird die ganze Aufmerksamkeit auf den Körper gerichtet.[78] Dadurch entsteht die Irritation der Betrachterin / des Betrachters bei dieser Gruppe von Selbstportraits. Johanna Bolkart weist daraufhin, daß nur in unserer Kultur der Ich-Mittelpunkt im Gesicht angesiedelt wird. In anderen Kulturen sehe man ihn eher in Brust oder Herz[79] oder im Fall von Blindgeborenen in den Fingern.[80] Tilman Osterwold schrieb 1985 zu diesen am Körper entlang gesehenen Portraits:
„Das als Motiv erfahrbare, direkt und unmittelbar artikulierte Selbstbildnis spiegelt das Egozentrische der Kunst und damit auch das subjektive Interesse des ‚Selbst‘ an der Welt. Es zeigt, daß der Mensch meist nur zu egozentrisch angelegten Weltbildern fähig ist; das heißt, das Bild, das wir uns von uns selbst und der Welt machen, ist, gerade weil es (...) unser Bild ist, immer nur ein ‚Selbstbildnis‘.“[81]
Psychogramme innerer Vorstellung – Die informellen Arbeiten
Die informellen Selbstbildnisse, seit 1948 „introspektive Erlebnisse“ genannt, sind die frühesten Zeugnisse der Darstellung des Körpergefühls[82], bei denen Lassnig versuchte, sich selbst mit geschlossenen Augen darzustellen.[83] Hanne Weskott beschreibt die Kunstrichtung des Informel als direkten Nachfahren des Surrealismus, die in abstrakten Bildern subjektives Erleben thematisiere. Gemalte Gesten würden zu Psychogrammen innerer Vorstellungen. Das sei zu sehen als Antwort auf eine nicht zu bewältigende Realität nach dem Zweiten Weltkrieg. „Der Mensch geht der Welt gegenüber auf Distanz“[84], faßt Hanne Weskott zusammen und meint damit die Verweigerungshaltung, sich nicht mehr mit dem Außen, sondern nur noch mit Innerem beschäftigen zu wollen. Es liegt nahe zu vermuten, daß sich die KünstlerInnen des Informel neben diesen inhaltlichen Distanzierungen vor allem auch formal gegen die oktroyierte Kunst des Dritten Reiches wenden wollten, gegen Pathos und exzessiven Realismus.
Rudi Fuchs sieht im Informel eine Mischung aus Surrealismus und Expressionismus, eine in Europa bahnbrechende Kunst, ausgehend von Paris, die nach dem Krieg zunächst durch Abwesenheit von Stil das neue Bild gesucht und später seine Bestätigung in Jackson Pollock (1912 – 1956) gefunden habe.[85] Mit Pollock verbindet Lassnig auch die Intention, eine neue Form der Darstellung, eine andersartige Vorstellung vom menschlichen Gesicht anzubieten.
„Da esseri umani parte anche Jackson Pollock, che (...) una nova forma di figurazione, sforzandosi di offrire una diversa idea del volto dell’umo. Si pensi a Portrait and a dream (1953), dove riesce a raggiungere una perfetta sintesi tra l’universo del sogno e la richezza della presenza fisica.“[86]
Dabei sind die ganz gegenstandsfreien Arbeiten von Maria Lassnig wie Informel von 1951, in denen das Gestische überwiegt, oder Fettes Selbstportrait von 1958 in der Minderzahl. Erahnt man in diesem schon bereits die Üppigkeit eines als ausufernd empfundenen Körpers (und es ist ausschließlich Empfindung, denn Fotos belegen, daß Maria Lassnig in Wirklichkeit nie dick war), werden die abstrakten Kompositionen in Kopf von mir bereits von skizzierten Gesichtern durchbrochen.
Zitrone sein – Die Verschmelzung mit Gegenständen
Die Verschmelzung von Körper und Gegenständen, sei es als collagenartiges Ineinandergreifen, sei es als Symbiose, die nur noch durch den Titel auf beide Ursprungselemente hinweist, zieht sich durch das gesamte Werk Lassnigs. Als Beispiele ausgewählt wurden hier die sehr frühe Zeichnung Selbstbildnis als Zitrone von 1949 und Kleines Sciencefiction Selbstportrait von 1995. Peter Weibel leitet die Verschmelzung des Körpers mit Objekten aus der Antike her, in der der menschliche Körper mit Tieren zu Wesen wie Sphinx, Nixe oder Minotaurus verschmolzen worden sei. In der Moderne seien es nun Objekte.[87] Möglicherweise, so könnte man überlegen, weil uns Gegenstände heute näher sind als Tiere, wir öfter Umgang damit haben und wir diese Verbindung auch aus Medizin und Technik kennen. Andererseits wirken solche Verschmelzungen besonders befremdlich, weil sowohl Tiere als auch Gegenstände im Wertesystem[88] unter dem Menschen stehen, ihn durch eine Kombination herabsetzen, während ihn die Verbindung zu Elementen wie Geist oder Seele aufwerten würde. Auf Gemälden von Bosch (um 1450 - 1516) oder Breughel finden sich ebenfalls menschliche Körper, die mit Dingen kombiniert werden, was Sigrid Schade in der christlichen Dämonologie begründet sieht.[89] Von Norbert Borrmann stammt der Hinweis, daß in der frühen Portraitkarikatur bereits manchmal mittels Analogie portraitiert wurde und das Modell als Tier oder Gegenstand zu sehen war[90], wie zum Beispiel bei Honoré Daumiers (1808 – 1879) Birnen-Karikatur. Die InterpretInnen äußern sich zu dieser Gruppe von Bildern Lassnigs ratloser und vager als zu anderen. Wildermuth weist darauf hin, Lassnig verfolge hier den umgekehrten Weg zu René Descartes (1596 – 1650), der seinen Körper in Gedanken soweit amputiert habe, bis nur das Cogito übrig geblieben sei. Bei ihr dagegen gehe es zwar ebenfalls um Selbstrückzug, der aber von einer Fülle somatisch-kosmischer Phänomene[91] begleitet sei. Armin Zweite konstatiert nur, es komme bei Lassnig oft vor, daß sich Maschinen den menschlichen Körper einverleibten und daß die eigene funktionale Erscheinungsform häufig Züge des Biomorphen[92] trage, wobei zu diskutieren bleibt, was sich wen einverleibt. Josef Helfenstein findet in Zeichnungen wie Selbstportrait als Zitrone oder Sex-Selbstportrait vor allem eine sezierende Darstellung der Körperempfindungen durch analytisches, differenzierendes Sehen[93], was auf nahezu alle Werke Lassnigs zu beziehen wäre. Sigrid Schade interpretiert diese Gruppe von Selbstportraits:
„Body-Awareness – so wie Maria Lassnig sie auffaßt - bringt in das Repräsentationsmedium Assoziationsverschiebungen ein, die sich nicht außerhalb der Sprache oder der Bilder bewegen, aber doch außerhalb hierarchisch geordneter Bedeutungen. Sie mischt fast wie das Verfahren des Traumes Bestandteile unterschiedlicher Herkunft, deren Kombination durch eine Ähnlichkeit der Form oder der Funktion nahegelegt wird. Ähnlich wie Bellmer formuliert sie eine kindliche Bedeutungsperspektive, in der der Sinn des Gesehenen noch nicht wie im Spiegelbild festgelegt ist. In der Erwartung an einen Briefkasten werden wir zum Briefkasten, im Liegen auf dem Diwan werden wir zum Diwan, im Garten uns aufhaltend werden wir zum Garten. Für Maria Lassnig ist das Individuum ein Chamäleon.“[94]
Peter Gorsen schließlich sieht in der Verschmelzung von innerer Gefühls- und äußerer Objektwelt Reflexionen auf „die eigene – meist defizitär und versehrt erfahrene Körperlichkeit.“[95] Sieht man sich die ausgesuchten Beispiele näher an, stellt man schnell fest, daß eine Okkupation des Körpers, seine Verdinglichung oder Ausmerzung nicht stattfindet. Bei dem Selbstbildnis als Zitrone erkennt man gesichtsähnliche Elemente, die zwischen eine aufgeschnittene Zitrone geklemmt sind. Die Augen stehen direkt nebeneinander, die Pupillen sehen nach oben, die Mundwinkel sind nach unten gezogen. Ein Zitronengesicht. Wer einmal in eine frische Zitrone gebissen hat, weiß, wie schwer es ist, das Gesicht nicht zu verziehen. Es ist ein Gefühl der Säure, das durch Mark und Bein geht: Die Speiseröhre scheint sich zu verengen, man spannt unwillkürlich die Muskeln an und möchte sich schütteln. Die Assoziation an eine enge Speiseröhre drängt sich auf beim Betrachten der langen röhrenähnlichen Linie, die zwischen den Augen beginnt und sich nach unten fortsetzt, wo sie in einer kleinen Ausbuchtung, wie in ein paar winzigen Lungenflügeln oder einem Magen endet. Links von dieser Röhre sieht man eine Linie, die in eine Kugel mündet wie eine große Stecknadel. Auch die Assoziation des Stechens kann beim Gedanken an Zitronensäure nachvollzogen werden ebenso wie das Zusammenbeißen des Kiefers oder das Zusammenfalten des Inneren, das unten rechts in der Komposition angedeutet ist. Einmal ist hier das Gefühl des Zitronenessens dargestellt. Zum anderen könnte es sein, wie es der Titel andeutet, daß die Eigenschaften von Mensch und Zitrone vermischt sind. Das Sauer-sein könnte ebenso thematisiert sein wie die Reaktion des menschlichen Körpers darauf. Das Kleine Sciencefiction Selbstportrait von 1995 zeigt ebenfalls genau wie das Selbstportrait als Astronautin von 1968/69, bei dem der scheinbar im Raum schwebende Körper von oben gesehen dargestellt wird und der Oberkörper symbiotisch mit einer fernsehapparatähnlichen Gerätschaft verschmolzen ist, keine physiognomischen Hinweise auf Fremdbestimmung oder eine als versehrt erfahrene Körperlichkeit. Der Mund steht leicht offen und läßt Spannung oder Erstaunen vermuten. Die Arme hängen locker herab, sie sind weder an den Körper gepreßt wie unter extremer Anspannung, noch zum Schutz erhoben.
Das fernrohrähnliche Sehgerät, das beim Kleine[n] Sciencefiction Selbstportrait mit dem Gesicht verwachsen ist, besteht in der gleichen Textur und Farbigkeit wie der Rest des Körpers. Auch die deutlichen, kurzen Pinselstriche setzen sich hier fort. Was immer es ist, es gehört zum Körper, es hat den Körper zu dem gemacht, was es ist, oder es ist zu einem Teil des Körpers geworden. Der neutrale Gesichtsausdruck läßt keine weitere Ausdeutung zu. Lediglich die Ähnlichkeit der Pinselstriche des Hintergrunds und des Körpers lassen erahnen, daß Innen und Außen sich hier sehr ähnlich sind. Die starke Umrißlinie des Körpers spricht wiederum dagegen, weil sie den Körper deutlich vom Hintergrund trennt. Berücksichtigt man Lassnigs Konzept nicht oder kennt es nicht, kann man zu der These kommen, daß hier das Gefühl der veränderten Sehgewohnheiten durch Mediengebrauch thematisiert ist. Die medialen Bilder und ihre Ästhetik sind längst in uns und in unserer Art zu sehen, ob wir nun gerade vor einem Fernsehapparat sitzen oder nicht. Und die neue Sehweise unterscheidet sich von der ursprünglichen, was das Erstaunen erklären würde. Vielleicht ist sogar das Erstaunen in dem Moment der Erkenntnis, daß die künstliche Ästhetik bereits Teil des eigenen Körpers ist, dargestellt.
Wenn man aber davon ausgeht, daß Lassnig immer Körpergefühle darstellt, dann muß das Bild anders gelesen werden. Hier konzentriert sich die dargestellte Empfindung vor allem auf Kopf und Augen. Die Stirnpartie ist nach vorne verlängert wie bei einem Druck, der durch Kopfschmerz oder Übermüdung entsteht, wenn die Augen vorzuquellen scheinen. Auch wenn man sich sehr auf einen Gedanken konzentriert oder sich ein Bild vorstellt, kann es zu dem Eindruck kommen, die Stirn- und Augenpartie wölbe sich leicht vor. Möglicherweise stand ein solches Gefühl am Ausgangspunkt dieses Selbstportraits und manifestierte sich in einer Form, die Lassnig dann in einem weiteren Schritt an ein technisches Gerät erinnerte, was wiederum den Titel nach sich zog.
Unter der Erde – Die Verschmelzung mit der Natur
Nicht nur mit Gegenständen, auch mit der Natur verschmilzt der Körper in den Selbstportraits Lassnigs, wie die beiden Beispiele Wenn i amol unter der Erden bin von 1985 und Die Hitze des Salamanders von 1982 zeigen. Bei beiden fällt das in der Landschaft völlig integrierte Gesicht erst bei genauem Hinsehen auf, was an die 1830-40 entstandene Rätselhafte Landschaft eines anonymen Künstlers erinnert. Der Kopf fügt sich in Form und Bewegung ganz in die Landschaft ein: Im ersten Beispiel könnte man ihn als zerklüfteten Hügel sehen und im zweiten als über die Landschaft ziehende Wolkenformation. Auch in Farbigkeit und Pinselstrich entsprechen die Gesichter der umgebenden Natur, so daß weniger eine Collage als eine Symbiose dargestellt ist, obwohl beide Elemente, Natur und Gesicht, nicht verschwimmen, sich durchdringen oder überlagern. Annemarie Andina-Kernen nähert sich dem Thema aus psychologischer Sicht und erklärt, die Wahrnehmungen in der Außenwelt oder Natur seien immer Projektion subjektiver Empfindungen. Während der Projektion von Psychischem in die äußere Umgebung finde eine Verschränkung des inneren psychischen Raumes mit der äußeren Welt statt und die Grenzen des Ich würden erweitert.[96]
Wilfried Skreiner versteht diese Naturbilder als Seelenlandschaften, in denen die Natur durch Empfindung erfüllt werde.[97] Konrad Oberhuber sieht sie als vereintes Innen- und Außenbild und nennt als weitere Beispiele Ich bin ganz Landschaft und Landschaft im Auge, beide von 1987.[98] Arnulf Rohsmann verwendet hier wie Arnim Zweite den Begriff der „Einverleibung.“[99] Offenbar will man in den Werken Lassnigs partout ein Ausgeliefertsein des Individuums an äußere Kräfte sehen, weil man nicht nachvollziehen kann, wie eine innere Kraft so mächtig sein kann, daß sie Gegenstände und sogar die Natur durchdringt. Trotzdem kommt von Rohsmann der entscheidende Hinweis, in dem er sagt, die Landschaft sei Antipode des (Körper)Innenraums, und Lassnig dehne den Erfahrungsraum durch Identifikation aus.[100] Die Dialektik der Körpererfahrung werde von Innen-Außen auf Körper-Landschaft erweitert.[101] Ebenso wie man einem Kribbeln im großen Zeh im Vergleich zum großen restlichen Körper nachspüren kann, kann man in einer Art analogischem Verfahren auch der eigenen Existenz im größeren ‚Körper‘ der Natur nachspüren. Darauf weist auch hin, daß sich das Gesicht niemals außerhalb von Bergformation oder Wolkenbildung befindet, sondern immer in etwas eingefügt und von ihm umschlossen ist.
Beim Einbruch des Unerklärlichen – die Verschmelzung mit Abstraktem
Im Selbstportrait als Indianergirl von 1973 sieht man eine Gestalt auf einem kleinen Pferd, den Proportionen und der Ausgestaltung des Schweifs nach einem Karussellpferd, sitzen. Deutlich erkennt man einen den BetrachterInnen zugewandten Oberschenkel mit Knie und Wadenbein. Dem angewinkelten Arm fehlt die Hand. Der Oberkörper der Figur ist verwischt und flächig gemalt, so daß man nicht erkennen kann, ob eine Frau oder ein Mann dargestellt ist. Die Ähnlichkeiten in den Zügen um Mund und Nase mit der Physiognomie Lassnigs sowie der Titel beweisen aber, daß es sich um ein Selbstportrait handelt. An den Rücken grenzt wie ein Tornister eine Farbfläche, die in Farbe und Textur dem übrigen Körper entspricht. Eine grüne Linie, die diese Fläche oben und zum Körper hin in einem nach unten geöffneten Bogen begrenzt, könnte andeuten, daß die Figur etwas auf dem Rücken trägt, genau zuordnen kann man es aber nicht. Auch die Hals- und Brustpartie ist stark abstrahiert. Von dem abgewandten Arm sieht man nur einen Wulst bzw. einen weißlichen breiten Strich. Die untere Hälfte des Gesichts ist wie meist in den Selbstportraits relativ realistisch gestaltet, die Mundpartie zeigt einen der seltenen Fälle, in denen man eine Spur Mimik ablesen kann: Ein Lächeln scheint angedeutet, der dadurch erzielten positiven Grundstimmung entspricht die gerade Haltung der Gestalt. Die Augen sind in Weißtönen nur skizziert, der Oberkopf fehlt ganz. Statt dessen folgt auf einer abgeflachten, wie ein Fahrradhelm nach hinten gezogenen weißen Farbfläche eine blaue, die nach oben hin in Pinselstrichen wie in Zacken ausläuft. Man könnte sich an einen nach vorne geklappten Federkopfschmuck erinnert fühlen. Daher leitet sich wohl auch die Assoziation ab, die zum Titel geführt hat. Betrachtet man die Rückenpartie und den Kopfaufsatz, scheinen beide abstrakten Partien zueinanderzugehören. Von der grünen Begrenzungslinie des ‚Tornisters‘ führt eine graue wie eine metallene Verankerung zur blauen gezackten Farbfläche. Auf realistische Accessoires oder Körperteile kann man diese Partien nicht zurückführen. Über der reitenden Gestalt taucht aus dem bläulichen Hintergrund eine klobige Hand in Brauntönen auf, die von hinten mit nach unten zeigenden Fingern und den BetrachterInnen zugewandtem Handteller in das Bild hineinzugreifen scheint. Dafür spricht auch, daß der Hintergrund links um die Hand herum etwas dunkler ist, als würde die Hand einen Schatten werfen. Außerdem befindet sich über ihr eine schwarze Linie, die man durchaus als die Darstellung eines Risses in der Leinwand lesen kann. Eine Verbindung zwischen dem Figur-Pferd-Ensemble und der Hand, die in ihrer Dicke und Kürze an eine Comicdarstellung erinnert, kann nicht gezogen werden.
Martin Kunz beschreibt 1989 die Anforderungen, Lassnig zu verstehen, ohne einen in sich geschlossenen visuell erfaßbaren Körper auf der Leinwand erkennen zu können:
„Dieser [der Körper, Anm.] kann aber durch das sinnliche Nachempfinden des eigenen Körpers imaginativ zu einer lebendigen Gestalt zusammengesetzt werden, ein rein geistiger Rezeptionsprozeß genügt nicht, auch der Betrachter muß seine sinnliche Empfindungsgabe einsetzen und interpretieren.“[102]
Läßt man sich auf Martin Kunz‘ Forderung ein, ergeben sich folgende Überlegungen: Die hockende Haltung auf einem zu kleinen, im Sprung begriffenen Pferd, die eng an den Tierkörper gepreßten Beine, das Gewicht in Höhe der Schulterblätter, das man der Bewegung des Pferdes entgegensetzt, die angewinkelten Arme, der Wind in den Haaren –das sind alles sinnliche Eindrücke, die sich im Bild wiederfinden lassen. Genau wie beim eingangs ausführlich besprochenen Pfingstselbstportrait von 1969 sind hier realistisch dargestellte Körperpartien kombiniert mit abstrakten, nicht vollständig zu klärenden Farbflächen. Dieses Stilmittel findet sich bereits im Jugendbildnis Alessandro de Medicis des manieristischen Malers Jacopo da Pontormo (1494 – 1557), auf den im Kapitel über Introspektion noch ausführlicher eingegangen wird. Der Faltenwurf des Mantels auf diesem Gemälde besteht aus fast abstrakten Farbflächen.
Lassnig bedient sich hier auch eines Stilmittels der modernen Lyrik. Die Gleichordnung von Anschaubarem (Körperpartien wie die Hand im Pfingsselbstportrait) mit Abstraktem (wie die violette Farbfläche im selben Gemälde) findet sich in der Dichtung in Formulierungen wie zum Beispiel „Asche der Schande“[103], bei der dem gegenständlichen Begriff der Asche der abstrakte der Schande gleichgeordnet wird.
Dieser Einbruch des Unerklärlichen, die Kombination von Bildelementen, die rational kaum erklärt, aber durchaus nachgefühlt werden können, ist etwas, das die Arbeitsweise von Maria Lassnig sehr anschaulich verdeutlicht, denn an diesen Stellen fordert sie die BetrachterInnen auf, sich auf die Haltung einzulassen, in der das Bild gemalt wurde.
Sinnlich empfundene Körper - Extensionen
„Meistens fange ich mit Umrissen an oder mit Extensionen, mit Ausdehnungen“[104], beschreibt Lassnig ihre Arbeitsweise, die sich „an den Grenzen des ausgespannten Selbst“[105] bewege. Bei manchen Bildern wie dem Harlekin Selbstportrait von 1961 sind diese Ausdehnungen, die in ihrem gestischen Charakter den informellen Arbeiten nah verwandt sind, das bildbestimmende Element. Wolfgang Drechsler empfindet hier das Körpergefühl am direktesten in Malerei umgesetzt.[106] Und für Martin Kunz sind diese Bilder der Durchbruch des originären Körpergefühls.[107] Im Harlekin Selbstportrait ist ein rotes Linienkonvolut dominant, das sich etwa in der Mitte der Komposition befindet und ganz vage einen Oberkörper und einen Kopf andeutet. Der dickere Farbauftrag und die nicht abgetönte klare warme Farbe setzen sich deutlich gegen die kälteren und transparenten Pinselstriche ab. Maria Lassnig sagte 1985 dazu:
„Weil das Aufspüren der gefühlten Körpersensationen und ihrer Orte, die man auf die Leinwand projizieren will, in ihrer Form schon schwierig genug sind, habe ich mich bei der Farbe am Anfang auf Monofarben beschränkt, einfaches Rot meist, zuerst für die Umrisse, dann, als plastische Modellierung, ein schmerzensrot, rot ist der Körper, wenn man ihm die Haut abzieht, rot ist die Farbe für Halt!“[108]
Um das rote Bildelement herum finden sich gelbliche und grünliche Striche, die alle mit ihm in Verbindung stehen. Von einem grünlichen, mit einem Zacken unterteilten und die Länge des Bildformats nutzenden Schwung führen zwei Striche auf die Mitte der Komposition hin. Auf der rechten Seite verbinden die gelben und bläulichen Linien die Enden der roten miteinander, so daß wieder eine in sich geschlossene Form entsteht. Geht man von einer menschlichen Gestalt im Zentrum des Bildes aus, dann wären die umgebenden Linien genau die Extensionen, von denen Lassnig gesprochen hat. Kräftig und körperwarm in der Mitte und je kühler und blasser, je mehr sie sich vom Körpermittelpunkt entfernen. Martin Kunz interpretiert ähnlich, wenn er sagt, der Malakt versuche die Körpergrenzen zu definieren. Die Kräftelinien zwischen Innen und Außen bedeuteten eine „Spannungsfiguration“, bei der Assoziationen an den Körper blieben.[109] Murken schließt sich mit der Bemerkung, die Strichbilder seien phänomenologisch gesehene und sinnlich empfundene Körper, die Spannungs- und räumliche Ausdehnungsgefühle ausdrückten[110], dieser Deutung an.
Gurkenglas und Stab – Die Verwendung von Gegenständen
„Alle meine realistischen Bilder, in denen meine Selbstportraits von außen gesehen dargestellt sind, und ihre Beifügung von Tieren und Gegenständen sind irrtümlich als KG = Körpergefühlsbilder aufgefaßt worden. Wenn aber in einem KG-Bild ein realistischer Körpergegenstand oder sonst ein Gegenstand ein- oder beigefügt ist, so ist das eben eine Gegenüberstellung von außen gesehener Welt zur physischen Empfindungswelt.“[111]
Dennoch gehört das erste Beispiel dieser Gruppe von Gemälden, das Selbstportrait mit Gurkenglas von 1971 zum Thema. Dargestellt ist rein von außen gesehen die Künstlerin, nackt in der rechten Bildhälfte, etwas neben dem Bildmittelpunkt mit einem Gurkenglas in den Händen. Der Hintergrund besteht aus einem leuchtenden Grün. Auch die Hautfarbe erscheint grünlich, ebenso wie das Glas, bei dem man nicht erkennen kann, ob es mit Flüssigkeit oder Gurken gefüllt oder ob es leer ist. Die einzige Abweichung von der naturalistischen Darstellung ist der Perspektivwechsel zwischen Körper und Kopf. Die BetrachterInnen stehen auf gleicher Höhe mit dem gemalten Körper, das Gesicht aber ist in leichter Untersicht gemalt, so daß der Eindruck entsteht, die Person würde ihren Kopf leicht zurücklegen, in dem Fall wären aber bei einer realistischen Darstellung die Abstände verkürzt, was hier nicht der Fall ist. Der Mund ist etwas geöffnet, die Augen sehen über die BetrachterInnen hinweg. Die Physiognomie läßt keine emotionale Beteiligung erkennen. Es ist keine Bewegung, keine Gestik im Bild auszumachen. Mit beiden Händen hält die Frau das Gurkenglas zwischen Geschlecht und Bauchnabel, wobei sie es mit den Fingern ihrer linken Hand von unten abstützt und mit der rechten gegen den Leib drückt. Das Licht betont die reine Äußerlichkeit, es gibt zwar Schatten, der Körper selbst wirft aber keinen.[112] Das Gemälde bleibt rätselhaft. Lassnig beschreibt ihre Beziehung zu Gegenständen:
„Ich benütze sozusagen die Gegenstände von außen. Grad auf einfache Art und Weise, was halt herumliegt. (...) Warum? Weil mir diese Gegenstände meistens auch seltsam sind. Mir sind Gegenstände im Allgemeinen ziemlich wurscht. (...) Gläser sind schwer, das ist eine Herausforderung, die sind durchsichtig, man sieht auf der anderen Seite etwas. Schwierige Dinge, schwierige Gegenstände erfreuen mich, und habe ich dargestellt (...).“[113]
Damit ist ein Punkt erreicht, an dem man sich fragen muß, ob das, was eine Künstlerin / ein Künstler selbst über ihr Werk sagt, alles ist, was darüber gesagt werden kann, denn wenn man danach ginge, wäre die Interpretation des Gemäldes damit abgeschlossen. Reinhold Hohl hat 1982 formuliert, was ein Künstler / eine Künstlerin sage oder schreibe oder tue, seien zwei verschiedene Dinge, und ein Kunsthistoriker solle sich an das halten, was er selbst im Werk sehe.[114] Dieser Auffassung, die im Rezeptionskapitel noch einmal aufgegriffen werden wird, soll hier gefolgt werden.
Natürlich stimmt es zu sagen, dargestellt ist ein nacktes Selbstportrait mit Glas, weil sich die Künstlerin von der malerischen Herausforderung der Glasoberfläche herausgefordert fühlte. Und das Bild ist grün, weil der Linoleumboden ihres New Yorker Lofts, in dem sie das Bild gemalt hat, grün war[115]. Das ist aber doch noch nicht alles. Zum Beispiel ist das Gurkenglas durch die umfassenden Hände so verdeckt, daß man das Material gar nicht genau sehen kann. Lassnig hat sich oft unbekleidet dargestellt, und oft verzichtete sie auch auf einen gegenständlichen Bildhintergrund. Da aber Umgebung und Kleidung mit zur Charakterisierung und Einschätzung einer Person beitragen - der Exkurs über Physiognomik wird das noch zeigen - ist die Frauenfigur hier im Bild ohne all diese Anhaltspunkte in keinerlei sozialen, historischen und örtlichen Kontext eingebunden und und durch diese Isolierung monumentalisiert.[116] Die Gestalt steht in keinem realistischen Raum.[117] Die merkwürdige Alterslosigkeit des dargestellten Körpers und Gesichts trägt zu diesem Eindruck bei. Die fehlende zeitliche und örtliche Einordnung bei der Darstellung einer Person deutet auf einen Typus hin. Bei den Körpergefühlsbildern von Lassnig kann man das so nicht sagen, weil keine Person dargestellt ist, sondern die Empfindungen einer Person. Es wären demnach Empfindungstypen, was wiederum nicht einfach so stehenbleiben kann, weil Maria Lassnig nicht das Herzrasen oder das Zucken des Augenlids im allgemeinen darstellt, sondern ein ganz bestimmtes Zucken in einem ganz bestimmten subjektiven Moment. Und selbst wenn sie ein identisches Zucken noch einmal fühlen würde, kann die daraus erarbeitete Form wieder ganz anders aussehen. In diesem Selbstportrait jedoch sind keine inneren Regungen zu finden, der Körper ist bis auf die leichte Untersicht des Gesichts und den grünlichen Stich bei der Gestaltung der Hautfarbe naturalistisch dargestellt. Diese Überlegung führt nicht weiter. Auch ikonographische Spuren wie die Assoziation an Frauen mit Gefäßen, Nymphen oder dergleichen, führen zu keiner schlüssigen Interpretation, obwohl das bilddominante Grün durchaus an Wasser erinnern kann. Das Gurkenglas befindet sich in der Körpermitte, was Assoziationen an Erotik, Fortpflanzung oder Lebenskraft (wegen der exponierten Position des Glases über dem Sonnengeflecht) provoziert. Die Hand, die das Glas vorsichtig an den Leib hält, verdeckt den Inhalt. Vielleicht soll man nicht sehen, was und ob sich etwas in dem Glas befindet. Da ihr Körper nackt den Blicken der BetrachterInnen preisgegeben ist, da Augen und Mund offen sind und man sogar zwischen ihren Beinen hindurchsehen kann, offenbar nirgendwo etwas versteckt wird bis auf diese Stelle des Gurkenglases, drängt sich der Gedanke auf, daß das Geheimnis des Bildes genau hier zu finden sein muß. Es liegt nahe, das Glas als Symbol zu sehen für etwas, das von der ansonsten preisgegebenen Person versteckt oder zumindest gehütet werden soll. Eine Biographie oder eine Situation ist im Bild nicht zu erkennen. Der Körper steht wie plötzlich erschienen da und hält dieses Glas. Der vorherrschende Farbton Grün, der sich in allen Bildelementen Körper, Hintergrund und Glas wiederfindet, deutet an, daß dies alles eng miteinander verbunden, vielleicht sogar aus einander entstanden ist. Zwei Interpretationen erscheinen überdenkenswert: Lassnig hat sich in späteren Jahren einige Male mit „versäumter Mutterschaft“ auseinandergesetzt. Es wäre möglich, daß das Glas den Gedanken an mögliche Nachkommenschaft symbolisiert, vielleicht auch nur den Wunsch danach oder die vage Überlegung. Auf der anderen Seite wäre genau das auch wieder im übertragenen Sinne möglich, in dem das unbestimmte Grün des Hintergrunds das Element ist, aus dem sie als Künstlerin hervorgeht, und das Glas ein Symbol dessen, was sie durch dieses unbestimmte Element und ihren Körper produziert: ihre künstlerische Existenz, ihre Ideen und Werke. Dann wäre dieses Selbstportrait ein KünstlerInnen-Portrait im direkten Sinne, denn alles, was sie als Künstlerin braucht, ist in dieser sparsamen Komposition zusammengefaßt: ihre Herkunft oder Verbundenheit zu etwas Ungegenständlichem, Unerklärlichem, ihr Körper, den sie als Objekt wie als Instrument braucht und das sorgsam gehütete Ergebnis, ihr geistiges Kind, wenn man es einmal pathetisch formuliert, das sie wie ein Geheimnis beschützt.
Obwohl Lassnig sich immer wieder gegen die Verwendung von Symbolen ausgesprochen hat, scheint sie hier darauf zurückgegriffen zu haben. Annemarie Andina-Kernen erklärt, die Voraussetzung für Symbolbildung sei das Erfahren innerer, seelischer Räume[118], was bei Lassnig ja immer wieder zu beobachten ist. Symbole tauchten, so Andina-Kernen, selten überraschend auf, ihr Entstehen sei ein schwer fassbarer Vorgang, da sie sich in allmählichem Differenzierungsprozess von ursprünglich sinnlichem Wahrnehmen und Empfinden über kaleidoskopartig sich konstituierende Vorformen entwickelten.[119]
Nicht um das Bewahren eines Geheimnisses, sondern um das Verbot, etwas zu sagen, geht es in dem bereits beschriebenen Selbstportrait mit Maulkorb von 1973. Eingezwängt in die merkwürdigen Apparate, die als Zange das Gesicht umspannen und wie ein Fass um den Oberkörper bis in die Achseln hinein reichen, als sollte der Oberkörper künstlich aufrecht gehalten werden, ist dieses Bild ein Symbol für Zwang und Maßregelung. Weder freies Sprechen noch freie Bewegungen sind möglich. Daß das Selbstportrait als Bild im Bild erscheint, legt nahe, daß sich der Sprechverbot auf den Bereich der Kunst bezieht, in dem etwas, das anders ist, mit allen Mitteln normiert werden soll. Fast scheint es, als sollte durch das starre Korsett einer organischen Neuformation der Anatomie, wie sie so oft in Bildern Lassnigs zu sehen ist, vorgebeugt werden. Und tatsächlich erscheint der Körper an den Stellen, an denen er unmittelbar an die Apparaturen stößt, am naturalistischsten dargestellt. Je weiter er sich von ihnen entfernt wie zum Beispiel bei den Augen oder den Ellenbogen, desto verformter und abstrahierter ist er zu sehen.
Zum Abschluß dieser Kategorie soll nun noch auf Das Selbstportrait mit Stab von 1971 eingegangen werden. Dieses Gemälde greift das Spiel des Bildes im Bild wieder auf, dessen lange Tradition im Rahmen dieser Arbeit leider nicht referiert werden kann. Eiblmayr verfolgt die Aufbrechung der Bildeinheit durch den Übergriff der einen Realitätsebene in die andere auf Giorgio de Chirico (1888 – 1978) zurück, der diesen Kunstgriff zum ersten Mal angewendet habe.[120]
Die plastisch gemalten Hände der Mutter greifen aus dem Bild heraus und liegen auf den Schultern der naturalistisch gemalten Tochter, die mit nacktem Oberkörper vor der Leinwand auf einem Stuhl sitzt und die BetrachterInnen direkt ansieht. Dies, so Eiblmayr ist die Umkehrung einer privaten Situation, denn es gibt ein Foto von Maria Lassnig mit vier Jahren, in denen die Tochter der Mutter die Hände auf die Schulter legt.[121]
Auf dem Gemälde geht durch die rechte Brust der Tochter ein langer, das Bildformat sprengender Stab, der unter der linken Achsel wieder austritt und den die Künstlerin mit beiden Händen hält. Obwohl Mimik und Haltung völlig gelassen sind, kann man doch den Schmerz nachvollziehen, den diese Verletzung mit sich bringen muß. Andere Gemälde wie Beweinung von 1965 und Mutter und Tochter von 1966 belegen, wie schwer die Künstlerin vom Verlust ihrer Mutter getroffen war. Es ist aber nicht Schmerz oder Verlust, was dieses Bild vermittelt, sondern eher Kampfgeist, mit dieser Verletzung zu leben und zu arbeiten. Der nackte, gerade aufgerichtete Oberkörper, der direkte Blick, die armeeähnliche Hose und nicht zuletzt der Stab, der wie ein Kampfinstrument gehalten wird, verstärken den Eindruck einer modernen Amazone. Die Mutter, die nur als schemenartige Skizze auf der Leinwand festgehalten werden konnte, wird ganz real, wenn sie ihrer Tochter symbolgestisch die Hände auf die Schultern legt. Es hat sich bereits gezeigt, daß Lassnig sich beim Malen auch von sprachlichen Assoziationen leiten läßt. Es ist durchaus möglich, daß es in diesem Selbstportrait ums Festhalten geht, einmal um das Körperliche und dann um ‚festhalten‘ im Sinne von ‚bewahren‘.
Eiblmayr zieht dieses Selbstportrait heran, um ihre These von der Gleichsetzung von Frauenkörper und Bildkörper zu belegen. Die weibliche Figur werde zu verschiedenen Bildebenen in Beziehung gesetzt, deren Grenzen in transformatorischer Weise überschritten würden. „Körpergrenzen und Bildgrenzen werden miteinander gleichgesetzt, oder sie scheinen austauschbar. So wie der Stab den lebenden Körper – ohne ihn sichtbar zu verletzen – transzendiert, so tritt die tote Mutter aus ihrem Abbild heraus und greift auf den Körper der Tochter über.“[122] Imaginäres und Reales würden untrennbar miteinander verknüpft und verwiesen auf die symbolische Bestimmung der Frau als Bild. Eine Bestimmung, die Lassnig sowohl affirmiere als auch negiere, indem sie die destruktive Komponente dieses Körper-Bild-Verhältnisses darstelle. Diese Schlußfolgerung erscheint trotz der vorangehenden schlüssigen Analyse als nicht zutreffend, da die Aussage des Bildes wie oben geschildert keineswegs negativ, sondern eher kämpferisch ist. Außerdem wird der dargestellte weibliche Körper durch die Vermischung der Bildebenen nicht verletzt. Der Stab scheint durch die hindurchzugehen, aber es gibt keine Wunden. Stab und das Bildnis der Mutter gehören zu einer Bildsphäre, der Körper der Tochter zur anderen. Beide Sphären ergänzen sich, die „destruktive Komponente“, die Eiblmayr glaubt, gefunden zu haben, kann im Bild nicht nachvollzogen werden.
Einmal von außen und einmal von innen – Die Verdopplungen
Im Werk Maria Lassnigs gibt es mehrere Selbstportraits, auf denen sie doppelt zu sehen ist. Zwei dieser Bilder weisen eine hohen programmatischen Charakter auf und sollen deshalb hier verglichen werden. Doppelselbstportraits haben eine lange Tradition. Das Gesicht des Malers / der Malerin wird im gleichen Bild einmal direkt und einmal als Spiegelbild dargestellt, oder man sieht KünstlerInnen neben ihren Selbstportraits stehen. Das Selbstbildnis des Johannes Gumpp von 1646 zeigt zum Beispiel das Gesicht des Malers einmal idealisiert und einmal als typenmäßige Charakterisierung.[123]
Gefragt, warum sie sich in manchen Selbstportraits doppelt darstelle, antwortete Lassnig: „Es sind zwei verschiedene Arten, sich zu sehen im Doppelselbstportrait, einmal von außen, dann von innen.“ Mit Dissoziierung habe das nichts zu tun, „(...) eine Verstärkung eher. Oder man ist ja heute nicht dasselbe wie morgen, deshalb die verschiedenen zeitlichen Phasen.“[124] Auch eine Entsubjektivierung des Individuums in der Massengesellschaft, wie man es bei Katharina Fritschs (*1956) Tischgesellschaft vermuten könnte, liegt Lassnig fern.
Diese Verdopplungen implizieren laut Eiblmayr „eine unaufhörliche Wiederholung jener fundamentalen Differenzerfahrung, die die Beziehung des Subjektes zu seinem Abbild von Anbeginn kennzeichnet.“ Entscheidend an der primären, narzißtischen Beziehung des Subjekts zu seinem Spiegelbild sei, daß diese Erfahrung der Differenz unbewußt bleibe. Es sei der Blick, der dem Subjekt sein Ich in seinem Spiegelbild zwar garantiere, unter dem es aber auch selbst zum Bild werde und es sei der Blick des Anderen, der dem Subjekt einen Status als Bild zuweise. Der eigene Körper werde bei Lassnig immer auch als Objekt erfahren, „die Grenzen zwischen Bild und Körper werden ständig verschoben und verschwimmen in der Verschränkung des Innerhalb und außerhalb der Leinwand (...) [Hervorhebung durch Eiblmayr]“[125]
Beim Doppelselbstportrait mit Kamera von 1974 wird auch mit der Verfremdung von Sehgewohnheiten gespielt und diese direkt thematisiert. Auf einer Leinwand ist ein äußeres Selbstportrait gemalt, auf dem die Künstlerin eine Filmkamera vor ihr Gesicht hält. Sie sieht aber nicht hindurch, sondern blickt knapp über die BetrachterInnen hinweg. Die Schrift auf ihrem Pullover ist spiegelverkehrt, was einige InterpretInnen wie z. B. Bolkart[126] dazu veranlaßt hat, die Leinwand für einen Spiegel[127] zu halten. Aber am rechten Rand sieht man genau, wie die Leinwand am Rahmen festgetackert ist, und daß der untere Abschluß keine scharfe Kante ist, wie es bei einem Spiegel der Fall wäre, sondern ein weicheres Material. Außerdem ist die Leinwand durch das anskizzierte Portrait der Mutter, die durch den Vergleich mit Fotografien zu identifizieren ist, eindeutig als solche definiert. Und auch wenn man das Selbstportrait mit Stab von 1971 zum Vergleich heranzieht, erkennt man noch einmal, daß es sich im Doppelselbstportrait mit Kamera um eine Leinwand handeln muß.
Vor der Leinwand sitzt eine zweite Gestalt mit übereinandergeschlagenen Beinen und aufgestütztem Kopf. Sie trägt ähnliche Kleidung wie die erste und ist bis auf den vom unteren Bildrand abgeschnittenen roten Strumpf und den Kopf ebenfalls in Außenansicht zu sehen. Der Kopf, den die Gestalt in der klassischen Pose des melancholischen Denkers auf eine Hand stützt, ist ohne Hinterkopf und aufgefächert wie eine Zieharmonika oder viele hintereinander geschichtete Masken dargestellt. Eiblmayr erkennt ihren Kopf in den Blagenauszug einer Kamera verwandelt und sieht darin eine Reminiszenz an eine Erfahrung mit frühen Formen der Photographie, da Lassnig sich in ihren Körpergefühlen öfter an technische Frühformen erinnert fühle, was sie mit dem Lassnig-Zitat „Oft fühle ich die Kranznaht wie die Spange eines altmodischen Radiokopfhörers“ belegt.[128]
Wegen dieser Verfremdung ist das Portrait auch in die Gruppe der veränderten Anatomie einzuordnen. Es ist eine der wenigen Darstellungen, in denen die Körpersprache einen Eindruck von Gemütsbewegung vermittelt. Der Oberkörper ist zusammengesunken, die Schultern fallen rund nach vorn. Das rechte Bein ist über das linke geschlagen, der Ellenbogen auf das Bein gestützt, die linke Hand umfaßt das rechte Knie, so daß der Eindruck von Geschlossenheit entsteht. So sitzt kein Mensch, der im Augenblick für andere offen und empfänglich wäre. Der Mund ist geschlossen, die Mundwinkel fallen leicht herab, was den melancholischen oder zumindest doch nachdenklichen Eindruck verstärkt.
Die ‚äußere‘ Maria Lassnig in diesem Selbstportrait filmt, eine Tätigkeit, die Maria Lassnig vertraut war, da sie in New York eine Reihe von Zeichentrickfilmen kreierte. Die ‚innere‘ Maria Lassnig denkt. Es gehört zum ironischen Zug der Künstlerin, daß sie gerade das vermeintlich realistischere Abbild in die Sphäre der Kunst verweist und es im Bild noch einmal auf einer Leinwand unterbringt, wobei sie das innere Portrait als wirklichkeitsnäher empfindet, da es im Bild außerhalb der dargestellten Leinwand sitzt. Fast erscheint es so, als haben Kunstwerk und Person die Rollen getauscht, als sei das Gemälde aus dem Bild gestiegen und die Malerin / Filmerin hinein. Johanna Bolkart sieht mit diesem Selbstportrait die romantische Tradition des Spiegel- oder Doppelgängermotivs aufgegriffen. Spiegel und Schein, Schatten und Doppelgänger seien als Unruhestifter hinsichtlich der Frage nach der Beziehung Leib-Seele und Körper-Geist[129] zu verstehen. Peter Gorsen sieht in dem Gemälde eine „kulturelle Verdopplung der Ich-Identität in eine passiv meditative und eine aktiv handelnde Komponente reflektiert“.[130] Interessant ist sein Hinweis, daß hier auch eine Gegenüberstellung der verschiedenen Kulturen und Werte von Amerika und Europa zu finden sei[131], zweier Kontinente, zwischen denen sich die Künstlerin nicht nur räumlich bewegte. Da ist dem Klischee nach zum einen die technisierte, unkomplizierte, aber auch wenig tiefsinnige amerikanische Mentalität und zum anderen die grübelnde, schwermütige europäische. Gorsens Überlegung von einer mehrfach gespaltenen Hirnschale als Anspielung auf einen „schizoiden europäischen Geisteszustand“[132] erscheint aber zu weit hergeholt. Die ‚kontinentale Gegenüberstellung’ ist nur bedingt stimmig, denn die vermeintlich realistische Darstellung der ‚amerikanischen‘ Maria Lassnig ist in der Ausgestaltung der Beinpartie wesentlich abstrakter als die vermeintlich ‚innere, europäische‘ Malerin. Beide Anteile schwingen in den Darstellungen mit. Eiblmayr interpretiert das Doppelselbstportrait mit Kamera als eine „paradigmatische Inszenierung der ‚Positionskrise’ der Frau, die als Künstlerin mit dem Phänomen ihres eigenen Bildstatus konfrontiert ist.“[133]
Einen Mann, der mit seinem eigenen Bildstatus konfrontiert ist und der sich zudem noch in einer Trans-Gender-Situation befindet, zeigt das 1928 gemalte Selbstbildnis des Künstlers Anton Räderscheidt (1892 – 1970). Der männliche Anton Räderscheidt steht maskulin bekleidet mit einem Stift in der Hand vor einer Leinwand, auf der er selbst nackt als Frau zu sehen ist. Damit rekurriert er wie Maria Lassnig auf die Tradition des Malers, der im Selbstportrait sein Werk präsentiert, wie es im Kapitel über Selbstportraits noch näher erläutert werden wird. Und wie Maria Lassnig stellt auch er auf der Leinwand eine Art Inside-Ansicht dar, denn seine feminine Seite, die sich dort materialisiert, ist ja nichts körperliches. Im Gegensatz zu Lassnigs Doppelselbstportrait mit Kamera befindet sich der äußerliche Anton außerhalb der Leinwand, die Kunst ist der Sphäre des Irrealen zugeordnet, während bei Lassnig die Inside-Ansicht außerhalb der Leinwand im Bild auf einem Stuhl sitzt.
Das Doppelselbstportrait von 2000 ist abgesehen vom Titel nur als solches zu erkennen, wenn man mit dem Werk Maria Lassnigs vertraut ist. Auf der rechten Bildseite sieht man in leichter Untersicht ihr Brustbild mit fehlendem Hinterkopf und geöffnetem Mund. Links daneben befindet sich etwas erhöht und vergrößert eine zweite Figur, deren tierähnliche Züge an Violettes Monster erinnern. Der Schädel ist gespalten, die Nasenöffnung zu einem Rüssel vorgeschoben, und die Zunge hängt weit heraus. Die Schultern sind wie Keulen in die starken Halsmuskeln eingehangen und zwischen den Brüsten leuchtet es türkis. Während das bekleidete naturalistischere Portrait in grünlichen Beigetönen gehalten ist, dominierten bei dem nackten Monster Violett und Rosa, eher künstliche Farben. Die größte Ähnlichkeit zwischen beiden findet man in der Nasenpartie, vor allem wenn man das von der Betrachterin aus gesehene linke Nasenloch der rechten Maria Lassnig mit der Schnauze des Monsters vergleicht. Um den Kopf des Monsters herum ist ein gelblicheres Weiß wie eine einseitige Aureole zum rechten Bildnis herum angedeutet. Um den Kopf des Außensichtportraits finden sich nur einige Farbspuren, was man leicht esoterisch so interpretieren kann, daß das Innensichtportrait eine stärkere künstlerische Aura besitzt. Dafür spricht auch, daß die rechte Maria Lassnig durch den geöffneten Mund, die halbgesenkten Augenlider und den leicht zurückgelegten Kopf müde und erschöpft aussieht, die linke aber durch die stärkeren Pinselstriche und die intensivere Farbgebung vital und kraftvoll erscheint.
Während das Selbstportrait mit Kamera noch szenisch gelesen werden kann, da die stehende Figur als Bild im Bild erscheint, fehlt eine solche Situation im späteren Doppelselbstportrait ganz. Hier sieht man ganz im Sinne des Eingangszitats zwei Darstellungsmöglichkeiten Maria Lassnigs: einmal von außen und einmal von innen.
Mysteriöse Wesen – Die Verbindung von Mensch und Tier
Bei dieser Gruppe von Bildern sind sich die vorliegenden Interpretationen einig, daß es sich bei den Tieren um Symbole für innere Befindlichkeiten, Gefühle und Empfindungen bzw. Repräsentanten des Unbewußten handelt.[134] Ruth Labak sieht in den Tierbildern „eindringliche Situationen von Beengtheit, sich verselbständigende automatische, durch Erziehung und Konditionierung verhärtete Verhaltensweisen“[135], die in Frage gestellt würden, eine Interpretation, die nicht nachvollziehbar erscheint. Eiblmayr verweist auf die beliebte Konstellation von Frauen und Tieren vor allem in surrealistischen Selbstportraits von Künstlerinnen und nennt als Beispiele Leonora Carringtons (*1917) Selbstportrait von 1942 oder Dorothea Tannings (*1910) Birthday von 1942 sowie Valentine Hugos (1887-1968) Rêve du 21 von 1929. Die Tiere seien als Alter Ego zu verstehen und symbolisierten auch die traumatische Erfahrung der Ich-Spaltung, die durch die gemeinsame Darstellung wieder verleugnet werden solle. Die gehäufte Darstellung offenbare ein grundsätzliches Problem weiblicher Selbst-Inszenierung. Das mythische Bild der Frau als ‚Natur’, in dem sie sowohl Symbol des Irrationalen als auch Symbol bedrohter und bedrohlicher Sexualität sei, entstamme der männlichen Phantasie, die von den Künstlerinnen übernommen werde.[136]
Lassnig hat sich nur vage über die Tierbilder geäußert: „Die letzten Bilder, die Tierbilder (...) [sind] eine Mischung von Außenwelt und Innenwelt. (...) Die Tiere sind auf jeden Fall Außenwelt.“[137] An anderer Stelle bezeichnete sie die Tiere als „mir mysteriöse Wesen“[138], ohne näher auf ihre metaphorische Stellung im Bild einzugehen. Als Beispiele ausgewählt wurden sechs Gemälde: Fischbild von 1975, Selbstportrait mit Schwein von 1975, Fliegen lernen von 1976, Einen Hund besitzen von 1976, Mit einem Tiger schlafen von 1975 und Froschkönigin von 2000.
Die Bildnisse mit Tiger und Hund weisen Ähnlichkeiten dadurch auf, daß Tier und Mensch im Bild nahezu gleich viel Platz beanspruchen und bis auf die fehlenden Hinterköpfe der menschliche Körper fast naturalistisch gemalt ist. Der Tiger, mit dem die Frau ringt, wirkt nicht bedrohlich. Sigrun Paas polemisiert in ihrer teilweise doch eher abstrusen Interpretation, humorvoll und boshaft werde „aus der Sicht weiblicher Frustration das Macho-Symbol zum müden Pelztier“.[139] Weiterhin meint sie, der Tiger sei keine „dämonisierende Naturgewalt“, sondern eine „leidende Kreatur“, mit der die Frau sich solidarisch verbinde, um Unterdrückung und Ausrottung zu beenden.[140]
Der Gesichtsausdruck der Frau zwischen Gleichgültigkeit, Resignation und Hingabe verrät keine Angst oder Anstrengung. Sigrun Paas, die offenbar einer ganz eigenen Definition von ‚Ekstase’ folgt, findet in diesem Gesicht Anklänge an den verzückten Blick der barocken Magdalenen und Sybillen bei Bernini (1598 – 1680) oder der Andachtsbilder mit Mater dolorosa-Magdalenen und Kleopatramotiven. Maria Lassnig, so versteigt sie sich am Schluß, könne nicht ganz freigesprochen werden von religiös gefärbter femininer Ekstatik[141], was immer die Autorin darunter verstehen mag.
Der Tiger hockt mit den Hinterpfoten zwischen ihren weit geöffneten Knien und stützt sich mit der linken Pfote auf ihrem Oberarm ab, was einen Eindruck von sexueller Macht auf der einen und Unterwerfung auf der anderen Seite hervorruft. Der Tiger erscheint als Sinnbild für Sexualität und Dominanz, gegen die sich die Frau einerseits wehrt und die sie andererseits zuläßt. Auch der Titel weist nicht auf einen Kampf hin, sondern auf einen scheinbar völlig natürlichen Vorgang, bei dem der oder das Stärkere über die Schwächere dominiert. Man kann den Tiger entweder verstehen als Symbol der inneren Bewegung oder als Manifestation eines Gefühls, das bei der bildnerischen Gestaltung die Form eines Tigers gefunden hat. Dann sähen wir hier eine Frau, die überwältigt wird von einem wie auch immer gearteten Gefühl, gegen das sie sich aber auch nicht großartig wehrt. Maria Lassnig hat oft genug betont, je verfremdeter der Körper dargestellt sei, desto mehr zeige er die Innensicht. Im Bild ist der Tiger aber wesentlich naturalistischer und deutlicher zu sehen als der Frauenkörper. Demnach wäre der Tiger der Sphäre der äußeren Welt zuzuordnen und könnte zum Beispiel ein Ereignis darstellen, das über sie gekommen ist, oder aber ein Gefühl, das sie noch als fremd empfindet, so wie man sich erst einmal wundert, wenn man zum Beispiel ganz plötzlich liebt oder haßt. Das Gefühl ist dann noch nicht von allen Fasern des Körpers assimiliert, sondern scheint einen okkupiert zu haben wie ein Fremdkörper.
Und der verfremdete Frauenkörper zeigte die Reaktion auf diesen äußeren Einfluß, die Hilflosigkeit angedeutet durch die Nacktheit, das sich-Fügen, eine Spur von Genießen auch, denn der linke Arm der Frau stößt den Tiger ja nicht weg, sondern umfaßt ihn, als würde er ihn im Gegenteil noch näher an die ungeschützte Achselhöhle heranziehen und der Kopf dreht sich gerade so weit zur Betrachterin hin, daß der Tiger, wenn er denn wollte, genau in die Schlagader beißen könnte. Es ist eine existentielle Situation, die hier dargestellt ist, eine, die die Frau verletzen oder töten kann oder aber eine, aus der sie hervorgeht, als eine Heldin, die stark genug war, mit einem Tiger zu schlafen.
Einen Hund besitzen zeigt vor allem den Ausdruck des Besitzens, nicht nur im Titel. Der Arm, der den Hund hält, ist anatomisch viel zu hoch angebracht und wirkt eher wie eine leere Geste. Kein Hund ließe sich so halten. Fast hat es den Anschein, daß der Hund im Arm schwebt, daß gar kein wirklicher Körperkontakt zwischen Tier und Mensch stattfindet. Daß sich der Kopf des Hundes über dem der Frau befindet und daß der Tierkörper genau wie im Tigerbild stärker akzentuiert gemalt ist als der menschliche Körper, weist auf die Überlegenheit des Tieres hin. Trotz aller Nähe und sogar trotz des vermeintlichen Kampfes gehen beide nicht aufeinander ein, die Blicke von Mensch und Tier treffen sich nicht. Christa Murken weist darauf hin, daß sich die Distanz zum Tier nur bei den Selbstportraits finde, bei der Abbildung anderer Personen wie dem 1975 entstandenen Gemälde Pamela mit Hund sei das Verhältnis inniger.[142] Der Körper, wie in den meisten Selbstportraits Lassnigs nackt, stellt sich durch fehlende Kleidung und Frisur zwar auf eine Stufe mit dem kreatürlichen Zustand des Tieres, erreicht diesen aber nur unvollkommen: Der Hinterkopf fehlt, und die Konturen sind wie die Farbigkeit unbestimmter gestaltet als bei den Tieren. Das Fischbild, das wegen des vorhandenen Zeige-Gestus auch in die Gruppe der gestischen Bilder einzuordnen ist, zeigt eine eher gleichberechtigte Stellung von Mensch und Tier. Die Frau hält den querliegenden Fisch zwar mit den Zähnen fest, aber sie verbeißt sich nicht in ihn, sie verletzt ihn nicht. Ausgehend von der unteren rechten Bildecke führt der Blick über die linke Hand, deren Finger auf den Fischkopf zeigt, über den Körper des Fisches zur rechten Hand, deren Daumen und Zeigefinger fast eine Schwanzflosse umfassen und hinunter zur linken Bildecke. Wie ein Kreis, zusammengesetzt aus menschlichen Armen und Fisch, wirkt diese Komposition, in die sich auch die Rundung der oberen Zahnreihe einfügt. Eine Verbindung ohne gegenseitige Verletzung entsteht so, die Gorsen als positives Sinnbild des Geschlechtsverkehrs[143] gewertet hat. Allerdings erscheint diese Deutung vor dem Hintergrund des Arbeitsprozesses Lassnigs etwas zu metaphorisch.
Im Gemälde Fliegen lernen stellt sich die Frage, wer wem das Fliegen beibringt. Eine nackte Frau hält mit ausgestreckten Armen einen Vogel über ihren Kopf, der wie alle Tiere auf Bildern Lassnigs nicht wirklich wie ein lebendiges Wesen, sondern eher ausgestopft, künstlich oder wie ein Spielzeug aussieht. Hinzukommt, daß der Vogel aus dem Alter des Fliegenlernens längst hinaus ist. Die Flügel des Vogels sind erhoben, aber eine Bewegung ist nicht angedeutet. Der Eindruck der Statik wird nur dadurch abgemildert, daß sich die Mensch-Tier-Figuration an der rechten Bildkante befindet und bis zur linken noch ein Streifen freie Leinwand folgt. Der Vogel hätte Platz zum Fliegen, obwohl er von den Händen an Schnabel und Schwanzfeder auch mehr festgehalten als gestützt wird. Auffällig bei diesem Selbstportrait sind die fehlenden Augen, weswegen es auch in die Gruppe der veränderten Anatomie eingeordnet werden könnte. Durch die leichten Konturen und die dünn aufgetragene Farbe entsteht der Eindruck von Transparenz und Luftigkeit, zweier Dinge, die man mit Fliegen verbindet. Konrad Oberhuber bescheinigt den Tierbildern die Fähigkeit, mit einem Gegenüber eins zu werden, „d. h. mit dem eigenen Gefühl in das andere so einzudringen, daß erlebt werden kann, was im anderen lebt.“[144] Noch mehr mag das zwar auf die Verschmelzungen mit der Landschaft zutreffen, aber hier ist es auch nachzuvollziehen. Die nach oben gestreckten Arme, die an eine Bittstellung erinnern, lassen den Schluß zu, daß der Vogel ein Sinnbild für den eigenen Wunsch zu fliegen bzw. es lernen zu können ist. Die zweite Assoziation ist wichtig, denn es kann auch um die Vorstellung gehen, wie es wäre, alles erlernen zu können, was man möchte, ohne immer wieder an natürliche oder künstliche Grenzen zu stoßen. Die leeren Augen könnte man dann als eine Art Körpergefühl der Vision interpretieren, die grenzenlose Möglichkeiten verspricht – wie das Fliegen selbst ein Symbol ist für grenzenlose Freiheit. Das vorletzte Beispiel schließlich, Selbstportrait mit Schwein, macht, wie Arnulf Rohsmann erläutert, das Motiv der Identifikation noch deutlicher, durch einen Vergleich des ursprünglichen mit dem letztendlichen Titel: „Wahrscheinlich fühl ich mich als Schwein“ hieß das Selbstportrait zunächst, dann wurde es in „Selbstporträt mit Schwein“[145] umbenannt. Auf einem Spieß trägt eine nackte Gestalt einen Schweinskopf. Assoziationen an blutige Trophäen drängen sich auf. Der untere Teil des Gesichtes ist erkennbar, der obere verwischt, und der Hinterkopf fehlt auch hier. Der leicht geöffnete Mund läßt einen Ausdruck von Triumph oder Spott erahnen. Die Erinnerung an die Redensart ‚Den eigenen Schweinehund besiegen’ stellt sich ein.
Auf eine ähnlich befremdliche Weise erotisch wie im Bild Mit einem Tiger schlafen geht es auch im letzten Selbstportrait zu, das in dieser Gruppe vorgestellt werden soll, dem schönsten Altersbildnis im Werk Maria Lassnigs, der Froschkönigin von 2000. Es ist auch in der modernen Kunst noch ungewöhnlich, den nackten älteren Körper in einem erotischen Zusammenhang zu zeigen, aber Maria Lassnig hat sich auch in den letzten Jahren immer wieder nackt dargestellt.
Die Szene ist friedlich und vor allem intim. Die lässig sitzende Frau hält ihre rechte Hand auf den Bauch. Die linke liegt auf dem Frosch, der zwischen ihren Schenkeln heraufkriecht und ihr Geschlecht verdeckt. Wie bei den vorher besprochenen Bildnissen ist auch der Frosch schärfer und naturalistischer gemalt als der weibliche Körper, und er ist ebenfalls weniger als Metapher zu lesen, sondern als Ausformung einer abstrakten Empfindung, die Lassnig dann auf der Leinwand zur Tierform gestaltet. Hier steigt etwas hoch, etwas Feuchtes, Fremdes, das von weit unten kommt, wie ein lange nicht mehr gefühltes Prickeln, über das die Frau sich wundert, das ihr auch ein bisschen unangenehm ist, bei dem sie aber selbst im hohen Alter noch weiß, wie sie es locken kann. Auffällig an der Komposition ist die Blickverbindung zwischen dem fast formatfüllenden Akt und dem Frosch. Dass ihr Gesicht verfremdet und die Augen nur in Schemen angedeutet sind, weist darauf hin, dass der Blick nach innen geht, das Bild etwas Inneres thematisiert, was die beiden allein unter sich ausmachen. Dafür spricht auch, dass ihre Arme den Bauch mit dem heraufkrabbelnden Frosch wie ein Rahmen umfassen, so als wollte sie das, was da passiert, ganz für sich alleine haben. In der Mund- und Stirnpartie findet sich das Grün des Frosches wieder. Das, worum es geht, spielt sich gleichermaßen im Unterleib und im Kopf ab. Mit über 80 Jahren weiß sie, dass man viele Frösche küssen muss, bevor ein Prinz darunter ist, und auch, dass man einige besser gleich an die Wand wirft. Aber hier in diesem stillen, auch farblich sehr vorsichtig gestalteten Moment wird gar kein Prinz erwartet. Das ist keine scheue Prinzessin, die alles küsst, was ihr Versprechungen macht. Da wartet keine naive Jungfrau auf den großen Held. Hier sitzt gelassen eine schon im humorvollen Titel genannte stolze „Froschkönigin“, die sich direkt mit dem Morastigen, Feuchten, das zwischen ihren Schenkeln lebt, auseinandersetzt. Auch etwas Mütterliches ist dabei, denn der Frosch kriecht hervor, als hätte sie ihn selbst geboren, wie auch Erotik etwas ist, das aus einem selbst kommt und das man erst teilen kann, wenn man mit sich im reinen ist.
Meistens erkennen mich die Leute aber trotzdem – Veränderte Anatomie
In fast allen Selbstportraits Lassnigs, die wenigen rein naturalistischen ausgenommen, erscheint die Anatomie verschoben, zerstückelt, deformiert. Es ist bereits erläutert worden, daß diese Veränderungen auf die Innensicht zurückzuführen sind. Körperregionen, die nicht gefühlt werden, verschwinden im Bild, wie zum Beispiel im Selbstportrait als Prophet von 1967, in dem man noch die „meditierende Sitzhaltung“[146] eines hockenden Körpers erahnen kann, Taille und Bauch, Füße und große Teile des Kopfes fehlen ganz. Insa Härtel beobachtet, daß die Körperfragmente in sich und zueinander verdreht erscheinen: Das Becken mit deutlich erkennbarem Geschlecht sieht man von vorne, die Schultern und Arme aus rückwärtiger Perspektive und die Nasen- Mundpartie wiederum von vorn[147], so daß sich eine ganz eigene Form der figura serpentinata ergibt.
Die segnend erhobenen Hände sind übergroß und naturalistischer als die übrigen Körperteile gemalt. Sie sind durch die Arme und die abstrahierte Schulterpartie verbunden. Das Gesicht besteht fast ausschließlich aus Nasenöffnung. Die Körperteile werden so dargestellt, wie sie sich mit geschlossenen Augen anfühlen, wie die Masse der Oberschenkel oder die Nervenstränge des beanspruchten Rückens. Im extremsten Fall sind die Ergebnisse der Innenansichten abstrakte Bilder von Körpergefühlen.
Insa Härtel hat sich in ihrem Essay ausführlich mit dem prophetischen Charakter dieses Bildnisses beschäftigt und verweist auf die lange und spätestens seit der Renaissance geläufige Übertragung religiöser Vorstellungen auf die Figur des Künstlers im Selbstportrait.[148] Erinnert sei hier an das christomorphe Selbstbildnis Albrecht Dürers (1471 – 1528). Härtel definiert, die Figur des Propheten sei ein „traditionell einer westlich-männlichen Position zugeschriebener Ort der Selbstschöpfung, auch im Sinne einer Inszenierung als göttlich beauftragter Erlöser oder Märtyrer“, der sich in einer gesellschaftlichen Ausnahmestellung zum Wohl der Gemeinschaft befinde.[149] Sie verknüpft die ursprüngliche Vorstellung eines Propheten mit der Kunst Maria Lassnigs, indem sie erläutert, der Ausgangspunkt einer prophetischen Verkündigung sei die göttliche Eingebung, die auch mit einer Visionserfahrung, einer inneren Schau einhergehen könne. Nun bilde eine innere Schau wiederum auch einen Ausgangspunkt von Lassnigs ‚Body-Awareness’ und ihren introspektiven Erlebnissen, auf die später noch ausführlich eingegangen werden wird. Den Unterschied zwischen den prophetischen Visionen und Lassnigs ‚innerem Sehen’ sieht Härtel darin, daß Lassnigs ‚Sehen’ im Zusammenhang eines Gewahrwerdens des Körpers stehe.[150] Sie kommt zu dem Schluß:
„In einer Mischung aus einer ‚Selbstautorisierung’ der Künstlerin und einem Unterminieren künstlerisch beanspruchter Autorität hat in diesem Selbstportrait die immer schon beunruhigende Botschaft des Propheten auch die Form ihrer Generierung, Auslegung und Verkündung affiziert. Die Künstlerin gibt ein Bild zu sehen, das eine prophetische Dimension zugleich postuliert und ad absurdum führt.“[151]
Das Selbstportrait als Prophet macht aber auch deutlich, wie sehr sich bei Maria Lassnig die beiden Ebenen der Bildfindung und der selbstanalysierenden Arbeit an der gefundenen Form durchdringen. Es ist durchaus möglich, daß sie zunächst ganz profan ihre Körpergefühle darstellte, wobei sie Becken und Geschlecht, Schultern, Hände und Nase besonders deutlich spürte und die Partien dazwischen nicht. Wenn man die Körperhaltung einmal nachempfindet, was bei Lassnig immer hilfreich ist, merkt man, daß in einer hockenden Sitzposition mit erhobenen Armen die dargestellten Partien tatsächlich die sind, die man am deutlichsten fühlt. Atmet man dann noch durch die Nase, kann man die Konzentration auf die herausgestellten Partien sinnlich nachvollziehen. Und erst in der Gestaltung der Formen auf der Leinwand kann die Assoziation zum Propheten aufgekommen sein, da die Titelgebung wie schon erläutert oft im nachhinein stattfindet. Das ist die eine Ebene des Bildes. Gleichzeitig, und auch das wird einer so reflektierenden Künstlerin wie Maria Lassnig klar sein, erscheint sie auf einer zweiten Ebene tatsächlich als Prophetin. Als Künstlerin verkündet sie eine neue Möglichkeit, sich der menschlichen Figur zu nähern, und zwar über die Body-Awareness. Der Körper auf dem Bild ist ihre Vision, die in der typischen Körperhaltung eines Prophets erscheint, nicht die Prophetin selbst, denn das wäre nur ein illustrierendes Portrait, wie es für Maria Lassnig untypisch ist.
Es ist ebenfalls schon erwähnt worden, wie schwer es für die Künstlerin ist, die Erinnerungsbilder ihres eigenen Körpers ganz auszuschalten, so daß im Bild Innen- und Außenansichten zusammentreffen. Collagiert führt es zu Bildern wie dem Pfingstselbstportrait. Wenn sich aber beide Ansichten fließend vermischen, entstehen neue Wesen, einige davon hat Lassnig ironisch als „Monster“ betitelt.
Für die BetrachterInnen ist es bei diesen Kreaturen durch die hohe Verfremdung schwierig, zwischen Innen und Außen zu unterscheiden.[152] Lassnig sagte 1995 über die „Monster“:
„Der Ausgangspunkt waren Körpergefühle, nur die Erinnerung ist wieder dazugekommen. Aber die Abstände zwischen Mund und Nase haben sich verschoben, weil im Gefühl manchmal Nase und Mund zusammengehen. Deshalb sehen sie wie Monster aus, weil man sich nicht spürt, wie man wirklich ist. Meistens erkennen mich die Leute aber trotzdem, weil die Abstände irgendwie doch stimmen.“[153]
Ein Beispiel für diese Gruppe ist das Gemälde Violettes Monster von 1964. Aus der linken unteren Bildecke taucht eine dunkelviolette Gestalt auf, man erkennt die Schultern, den Hals und ein Gesicht, das eine Mischung aus den Zügen Lassnigs und einer löwenartigen Schnauze ist, wie sie auch schon im Selbstportrait als Einäugige beschrieben wurde. Die Augen sind geschlossen, die Nase wie witternd vorgeschoben.
Ein etwas anderer Fall ist die Illusion von der versäumten Mutterschaft von 1998, die in diese Gruppe hineingenommen wurde, weil auch hier eine extreme Veränderung der Anatomie stattgefunden hat. Zu sehen ist eine nackte, sitzende weibliche Gestalt, zwischen deren angezogenen Schenkeln ein kleines weißes Wesen hervorkriecht. Ob es wirklich ein Akt des Gebärens ist, wie der Titel impliziert, ist nicht eindeutig. Zum einen läßt sich im Gesicht der Mutterfigur keinerlei Anstrengung oder Schmerz erkennen. Zum anderen sind die Gliedmaßen des Kindes so undifferenziert dargestellt, daß es durchaus sein kann, daß die vorgestreckte linke Extremität kein vorgreifender Arm ist, der bei einer normalen Geburt auch eng an den Körper gepreßt wäre, sondern ein Fuß. Möglich wäre auch, daß das Kind nicht aus dem Mutterleib hervorkommt, sondern in ihn zurückkriecht. Auch die nach innen gewandten Handflächen der Mutter deuten eher eine Bewegung zu sich hin als von sich weg an. Der Körper der Mutter ist in den Proportionen relativ naturalistisch dargestellt, der Kopf allerdings erscheint völlig deformiert. Der Hinterkopf fehlt ganz, und die Wangen sind weit ausgedehnt. Die Gesichtsteile sind noch einmal in sich verschoben. Die auffälligste Veränderung am dargestellten Körper aber ist die gewählte Farbigkeit. Bunt schillernd ist die Mutterfigur gemalt, könnte man das Rot der aufgeblähten Wangen noch als Anstrengung deuten, gehört die restliche Farbigkeit eindeutig in den Bereich der Innenansichten. Das verbindet dieses Gemälde zum Beispiel mit dem Selbstportrait als Einäugige oder auch mit Violettes Monster. Die Farbgebung, auf die auch noch einmal in einem gesonderten Abschnitt eingegangen wird, ist für Lassnig neben der Form ein Mittel, um ihre Körperempfindungen darzustellen. Obwohl in den meisten Selbstportraits Lassnigs die Darstellung der tatsächlichen Physiognomie zugunsten eines subjektiven Gesichtsempfindens zurücktritt, bleibt eine gewisse Ähnlichkeit erhalten. Und selbst die Arbeiten, bei denen man das Modell nicht erkennt, entsprechen im Grunde dem konventionellen Anspruch eines Portraits: Ein im Sinne der klassischen Physiognomik gemaltes Individualbildnis soll ja die Individualität herausstreichen, und das geschieht bei Lassnig in extremer Weise. Diese Bilder zeigen nicht nur ihre Individualität, sondern ganz subjektivistisch ihr ureigenstes Empfinden, so daß die äußere Erscheinung zurücktritt. Problematisch ist nicht das Konzept der body-awareness an sich, die den BetrachterInnen in manchen Arbeiten den Zugang verwehrt, sondern die Tatsache, daß man davon wissen muß, um die Arbeiten richtig lesen zu können. Das ist auch der Vorwurf, den man Lassnig machen kann, daß diese extreme Subjektivität auf BetrachterInnen, die auf keine Hintergrundinformationen zurückgreifen, willkürlich wirken kann. Auf diesen Punkt soll in dem Kapitel über Subjektivität, Objektivität und Wissenschaftlichkeit noch näher eingegangen werden.
Mythologie wider Willen – Über mythologische Assoziationen
Das Kapitel der mythologischen Darstellung, zu denen Gemälde wie Woman Laokoon von 1976, Ganymed von 1984[154] oder Setzlinge von 1983[155] gehören, soll kurz gehalten werden, da die Götter- und Sagengestalten keine Personifikationen der Körpersensationen sind[156], sondern literarische Assoziationen, die im nachhinein durch die Titelgebung stattfanden. „Ich hab (...) eher wissenschaftlich gearbeitet als (...) mythologisch, was zum Beispiel der Gorsen herausliest. Ich hab mich überhaupt nie mit Mythologie befaßt, sondern nur für das, was mich als Formales interessiert hat.“[157] sagt Lassnig 1980. Zwei Jahre später formuliert sie: „Mythologie wider Willen. Ich arbeite, oder bilde es mir ein, wie ein Wissenschaftler oder wenigstens Forscher, und heraus kommt Mythologie.“[158] 2000 bekräftigt sie ihr Desinteresse an Mythologie in einem Gespräch über das Gemälde Woman Laokoon: „Ich fang nicht an mit dem mythologischen Thema, aber wie ich dann dreiviertel fertig war mit dem Bild, hab ich gemerkt, daß es dorthin zieht, ich habe starke Bewegungen gemacht und dann ist die Taufe so ausgefallen: Laokoon.“ Das erwähnte Selbstportrait, das trotz des mythologischen Titels an der dargestellten Physiognomie als Selbstbildnis zu erkennen ist, könnte auch in die Gruppe der Portraits mit Tieren oder der gestischen Portraits eingeordnet werden.[159] Nach der gerade zitierten Aussage Lassnigs geht es hier nicht um Laokoon, sondern wieder um Körpergefühle, und man muß das Bild im Hinblick darauf untersuchen. Dargestellt ist eine nackte, ältere Frau, die sitzend mit einer Schlange ringt. Zwischen ihren weitgeöffneten Knien hindurch sieht man direkt auf ihr Geschlecht, was ihre Nacktheit noch betont. Das Gesicht zeigt einen müden bis neutralen Ausdruck, der Kopf ist leicht zurückgelegt, der Mund geöffnet, die Augen halb geschlossen. Anstrengung oder Panik lassen sich nicht ablesen. Ähnlich wie bei dem bereits besprochenen Selbstportrait mit Stab wirkt die Frau nicht schutzlos, sondern eher martialisch, ursprünglich. Da sich das Körpergefühl immer an den Stellen zeigt, an denen die Außensicht in die Innensicht wechselt, fällt zuerst auf, daß der Hinterkopf wie üblich fehlt. Der rechte Arm ist in der Elle unterbrochen. Aus der linken Schulter der Frau wächst ein dritter Arm, der am Ellenbogen abbricht, was wie in einem Comic oder einer mittelalterlichen Simultandarstellung den Eindruck von schneller Bewegung vermittelt, die Lassnig im Gespräch ja auch erwähnt hatte. Thema des Bildes ist keine ruhende Körperempfindung in einem bestimmten Organ, sondern die Empfindung der raumgreifenden Bewegung mit den Armen. Womöglich wurde die Schlange erst im erwähnten letzten Drittel des Arbeitsprozesses eingefügt. Die Assoziation zu Laokoon, die sicher auch durch die Serpentinata-ähnliche Drehung des Oberkörpers hervorgerufen wurde, eröffnet ein anderes, eher feministisches Feld der Interpretation durch die Übertragung eines männlichen Topos auf eine weibliche Figur.
In diesem Zusammenhang soll eine These Jan Bialostockis vorgestellt werden, die sich mit der Frage nach der Verwendung von Rahmenthemen und mythologischen Bildern befaßt.
Maria Lassnig mag literarischen Assoziationen gefolgt sein, als sie Laokoon oder Samson in ihren Bilder erkannte, aber sie bedient sich auch aus der Ikonographie, wenn sie nicht explizit im Titel darauf hinweist, wie man zum Beispiel an der Denkerpose der sitzenden Figur im schon beschriebenen Doppelselbstportrait mit Kamera erkennt. Wenn sie aber nicht bewußt Elemente der Kunstgeschichte zitiert, wie kommt sie dann zu diesen Formen? Wie kommt die Mythologie ins Bild, wenn sie selbst daran angeblich kein Interesse hat?
Bialostocki geht aus von einem Arsenal ursprünglicher Bilder aus und meint damit visuelle Bilder, die tief in der Vorgeschichte des menschlichen Geists verwurzelt sind und die je nach Epoche und Persönlichkeit der Künstlerin/des Künstlers individuell abgewandelt werden.[160] Bialostocki:
„Die Vorstellung der Künstler neigte zur Rückführung des neues Bildwerkes auf die traditionelle ikonographische Formel, die ihr am nächsten kam und eine Ähnlichkeit in der Anordnung der visuellen Elemente, aber auch in bezug auf Funktion und seelische Stimmung aufwies. Ein existierendes Bild zieht wie ein Magnet neu entstandene verwandte ikonographische Formen an sich und zwingt sie zur Angleichung Wir können dann also nicht nur von einem ‚Beharrungsvermögen’ ikonographischer Typen sprechen, sondern auch von einer Erscheinung, die wir als ikonographische Schwerkraft bezeichnen dürfen.“[161]
Jede Künstlerin/ jeder Künstler wird bei ihrer/ seiner Arbeit nicht nur durch persönliche und biographische Einflüsse geprägt, sondern auch durch die ‚ikonographische Schwerkraft’, in der sie/ er sich bewegt und die ihren/ seinen gesamten kulturellen Hintergrund umfaßt. So liegt es nahe, daß Maria Lassnig, als sich die Form der Schlange und die der mehrfach gedrehten Figur mit stark akzentuierten Gesten auf dem Bild zu formen begann, automatisch eine Assoziation suchte und Laokoon fand, weil diese Ikonographie zu ihrem kulturellen Hintergrund gehört, ohne daß sie sich bei Entstehung des Bildes dessen bewußt gewesen sein muß. Vielleicht hätte ein indischer Künstler bei einem ähnlichen Bild die Göttin Shiva assoziiert. In Die gute Hirtin von 1999 und Samson von 1983 bedient sie sich der christlichen Ikonographie und in Letzter Tango aus demselben Jahr oder Die Sinne von 1996 der klassischen Ikonographie des Tods als Knochenmann, wie er seit den Totentänzen des 15. Jahrhundert obligatorisch ist. Bei dem Doppelselbstportrait mit Kamera muß es gar nicht so sein, daß die sitzende Figur bewußt an die Ikonographie der Melencholia anschließt, auch wenn dies bei einem Künstlerinnenselbstportrait nahe liegt. Es kann aber auch sein, daß Maria Lassnig eine Körperhaltung malte, die Versunkenheit ausdrückte und sich dann quasi kongenial und unbewußt dieser Ikonographie bediente. Wäre es in unserer Kultur so, daß nachdenkliche Menschen die Hände in die Hüften stützen und gäbe es eine Ikonographie, die diese Geste verinnerlicht hat, wäre sie vielleicht auf diese Körperhaltung gekommen.
Für die Bilder von außerordentlicher großer menschlicher Bedeutung wie z. B. den Reiterhelden, Opferszenen, der Epiphanie oder einer ruhenden nackten Frau schlägt Bialostocki den Begriff „Rahmenthemen“ vor[162], die er in eine Verwandtschaft mit Carl Gustav Jungs (1875 – 1961) Archetypen einordnet, da die psychologische Interpretation der Ikonographie am Rande der Tiefenpsychologie entstanden sei.[163]
Jung erläutert die „mythenbildenden Strukturelemente“:
„Im Traum sowohl wie in den Produkten der Psychose haben sich zahllose Zusammenhänge ergeben, die man nur mit mythologischen Ideenverknüpfungen parallelisieren kann (...). In Tat und Wahrheit aber wurden typische Mythologeme gerade bei Individuen beobachtet, wo dergleichen Kenntnisse ausgeschlossen waren und wo sogar eine mittelbare Ableitung aus möglicherweise bekannten religiösen Vorstellungen oder aus Figuren der Umgangssprache unmöglich war. Solche Ergebnisse nötigen zur Annahme, daß es sich um ‚autochthone’ Wiederentstehungen jenseits aller Traditionen handeln müsse, mithin um das Vorhandensein von ‚mythenbildenden’ Strukturelementen der unbewußten Psyche.“[164]
Anfangs, so Bialostocki, habe Jung den Begriff des ‚Urbildes’ verwendet, der alle mythologischen, legenden- und märchenhaften Motive umfaßt habe und der grundlegende abgekürzte Metaphern allgemeiner menschlicher Situationen und Konflikte verkörpere. Seit 1927 habe er dann vom „Archetypus“ gesprochen. Darin sammelten sich Elemente des kollektiven Unbewußten, das außer Reichweite des menschlichen Verständnisses liege.[165] Jung: „Der Archetypus an sich ist ein psychoider Faktor, der sozusagen zu dem unsichtbaren, ultra-violetten Teil des psychischen Spektrums gehört.“[166] Der Archetypus drückt sich nach Bialostocki durch Elemente des psychischen Lebens aus und kristallisiert sich in Form des archetypischen Bildes, er dringe in das Unbewußte ein und übe dort einen besonders magischen Einfluß aus. Er fessele das bewußte Elemente der Psyche, die Vorstellungskraft.[167] Solche archetypischen Grundmotive seien zum Beispiel das Böse, das durch einen Drachen oder eine Schlange verkörpert werde oder der Konflikt zwischen menschlichen und unmenschlichen Mächten, der sich im Kampf des Menschen mit einem Ungeheuer manifestiere. Bialostocki nennt als Beispiele Mithras, Herkules, Perseus und den hl. Georg.[168] Laokoon könnte man hinzufügen. Archetypen, stellt Bialostocki klar, seien keine ererbten Bilder, sondern ständige Umformungen der Psyche, die „aus dem in der menschlichen Erinnerung aufbewahrten Stoff gemäß regulierenden Prinzipien, die dem Unbewußten innewohnen, analoge Bilder schaffen.“[169] Weil der Mensch diese Bilder schafft, anstelle sich mit den Dingen selbst auseinanderzusetzen, schlägt Ernst Cassirer vor, ihn nicht als ein ‚animal rationale’, sondern als ein ‚animal symbolicum’ zu definieren.[170] Die gleichen Symbole treten laut Bialostocki sowohl als geistige Produkte des individuell Unbewußten als auch im kollektiv Unbewußten in Erscheinung und nehmen schließlich in der Kunst, in Mythen, Religion oder Legenden Gestalt an.[171]
Maria Lassnigs Kunst speist sich wie jede Kunst aus mehreren Quellen, die sie beeinflussen bzw. determinieren: dem individuell Unbewußten, dem kollektiv Unbewußten, dem kulturellen Hintergrund, der persönlichen Biographie und Bildung, der psychischen Befindlichkeit und schließlich dem, was Kandinsky den ‚inneren Klang’ genannt hat und der in einem eigenen Kapitel behandelt wird.
Anekdoten und Narration – Über die szenischen Bilder
Die Gruppe der szenischen Bilder, zu denen die Gemälde Küchenschürze oder die Eingezwängte von 1993, Illusion von den versäumten Heiraten II von 1998, Mutter und Tochter von 1969 oder Die Lebensqualität von 2001 gehören, wird auch bei den abschließenden Überlegungen dieser Arbeit und der Frage nach Narration im Werk Lassnigs noch eine Rolle spielen. Lassnig schließt trotz der mitunter erzählerischen oder ironischen Titel jede narrative Bedeutung ihrer Werke aus.[172] Ausgenommen sind jene Gemälde, die entstanden „(...) wenn die Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen, die von der Außenwelt her auf die Künstlerin einwirkten, stärker waren als ihre Sublimierungkraft, vehementer waren als ihre ansonst so ausgeprägte Begabung, Außenerlebnisse in Innenerlebnisse zu verwandeln und diese wiederum in Malerei umzusetzen.“[173]
Solch ein stärkeres Erlebnis war der Tod ihrer Mutter, die die Künstlerin im Gemälde Mutter und Tochter thematisierte. Etwa zehn Jahre später sagte Maria Lassnig, anekdotisch würden ihre Bilder dann, wenn sie sie eilig male und schnell ein Ergebnis haben wolle.[174] Zu sehen ist, umgeben von allerlei Gestalten auf einer Decke im Gras liegend, ein Körper, aus dessen Bauch Gras wächst, und ein angeschmiegter zweiter, den die erste Figur im Arm hält. Es ist kein Beweinungsbild im konventionellen Sinne, die erste Figur scheint zu lächeln und auch die zweite wirkt eher friedlich als schmerzerfüllt. Rund um die beiden aber erscheinen verzerrte, deformierte Gestalten und einzelne Körperpartien, die wie z. B. eine Hand mit Armbanduhr aus dem Rasen auftauchen, Inside-Ansichten, die man durchaus als eine Reihe von Selbstportraits werten kann. In der Nähe der Mutter ist die Tochterfigur fast naturalistisch dargestellt, je weiter sich die anderen von dem Mutter-Tochter-Idyll entfernen, desto verzerrter werden sie.
Ganz anders, aber doch zur selben Kategorie gehörend, sind die anderen beiden Beispiele. In der Illusion von den versäumten Heiraten II ist der nackte Oberkörper einer älteren Frau dargestellt. Von der Körperhaltung her kann man vermuten, daß sie halb aufgerichtet auf Kissen gestützt liegt. Mit erhobenen Armen stemmt sie einen liegenden und nur als Umrißskizze erscheinenden rauchenden Mann über ihren Kopf. Vielleicht will sie ihn wie schweren Ballast abwerfen. Der Blick der Frau ist erhoben, aber nicht zu dem Mann, sondern in unbestimmte Ferne über die BetrachterInnen hinweg. Der Mund ist geschlossen, der Gesichtsausdruck unbestimmt – im Gegensatz zu dem des Mannes, der einen selbstgefälligen und zufriedenen Eindruck macht. An den Zügen der Frau erkennt man das Selbstportrait der Künstlerin. Lassnig sagte 1999 über dieses Gemälde, das sie selbst in eine Serie von „drastischen Bildern“ einordnet: „Die Drastik ist eine Vereinfachung (...) all dessen, was man müde geworden ist (...) zu betrachten. (...) Die drastischen Bilder sind die, die unverblümt zugeben, daß jede Empfindung auch mit einem Bild begleitet wird.“[175]
Auch in Küchenschürze oder die Eingezwängte ist sie gleich zu identifizieren. Die weibliche Figur beugt sich aus der rechten unteren Bildecke kommend weit zum linken Bildrand und sieht die BetrachterInnen, was selten ist, von unten direkt an. Die Frau ist eingezwängt in eine abstrakte Farbfläche, die in Höhe der Taille beginnt und sich nach oben fortsetzt, wo sie sich verjüngt und in Richtung des Kopfes abknickt. Es scheint, als könne die Frau in dieser Apparatur auf dem Bauch liegend hin und her schaukeln, sich aber nicht befreien, denn ihre Arme hören an den Ellenbogen auf, was den Eindruck erweckt, sie seien in der Gerätschaft eingeklemmt. Der ironische Titel findet keine Widerspiegelung im Gesichtsausdruck, der weder amüsiert ist, noch, als Kontrast zum Titel, panisch oder ärgerlich. Gemeinsam ist diesen drei Beispielen, daß hier keine Körpergefühle wie in den bisherigen Kategorien dargestellt werden, sondern situative und emotionale Zustände: Im ersten besprochenen Gemälde ist es die Trauer um die Mutter bzw. die Erinnerung an die Innigkeit der Beziehung zu ihr. Das zweite Bild behandelt die Reflektion über mögliche Beziehungen, in denen die Frau womöglich den Hauptteil der Last tragen müßte und in der es sich der Mann, der doch nicht richtig präsent und kein vollwertiger Partner ist (angedeutet durch die skizzenhafte Darstellung und die geringere Größe im Bild), auf Kosten der Frau gutgehen läßt. Im dritten schließlich könnte man zwar sehr plakativ vom Körpergefühl einer kneifenden Küchenschürze sprechen, was die Abstraktion erklären würde, aber näher liegt es doch zu vermuten, daß die Schürze ein Symbol ist für lästige, ständige Pflichten.
Lebensqualität von 2001 ist das eher untypische Gemälde einer Schwimmerin, die von einem Fisch ins Bein gebissen wird. Es thematisiert die Darstellung von Körpergefühlen nur sehr peripher, erkennbar an dem fehlenden Haar und der deformierten Schulterpartie. Der restliche Körper ist zwar mit dicken Pinselstrichen und seiner bunten Farbgebung abstrahiert, bildet aber doch eine Einheit, anders als z. B. beim Selbstportrait als Einäugige oder beim Pfingstselbstportrait, wo die Anatomie völlig in sich verschoben erscheint bzw. mit abstrakten Farbflächen collagiert wird. Die Szene auf diesem Gemälde, das durch die eng zusammenstehenden Augen und die Mundpartie als Selbstportrait Maria Lassnigs zu erkennen ist, läßt sich in zwei Bereiche einteilen: den oberen über der Wasserlinie, der ungefähr ein Fünftel des Bildformates ausmacht und den unteren unterhalb der Wasserlinie. Beide sind scharf getrennt durch die Farbgebung – Weiß oben und Grüntöne unten - , wobei der Körper der Schwimmerin die Farben umgekehrt aufgreift: In Hals und Schultern finden sich unter anderem auch Grüntöne und an den Beinen und am linken Fuß der Figur auch Weiß. Von der Schärfe her ist die Figur nicht geteilt, sie erscheint unter Wasser kaum verschwommener als darüber. Die Frau hält in ihrer linken Hand ein Rotweinglas und hebt die andere mit der Handfläche leicht nach oben. An einigen grünen Farbstrichen erkennt man, daß sie die Hand gerade aus dem Wasser gehoben haben muß. Außer dem bissigen Fisch sieht man am unteren Bildrand ein gesunkenes Schiff und weiter rechts drei rechteckige Elemente, die ein tieferliegendes Schiff oder ein versunkenes Gebäude andeuten. Lebensqualität, so könnte man aus dem Titel ableiten, bedeutet zu feiern, obwohl einem das Wasser sinnbildlich und hier im Bild sprichwörtlich bis zum Hals steht, obwohl schon manches versunken ist und auch obwohl man sich nicht immer wie ein Fisch im Wasser fühlen kann, weil es auch da bissige Zeitgenossen gibt. Möglicherweise hat sich Lassnig, die selbst eine begeisterte Schwimmerin ist und noch im Interview 2000 berichtete, daß sie im Sommer regelmäßig in der Donau bade, hier satirisch über den Kunstbetrieb geäußert, über die Epigonen und kleinen Fische, die versuchen, auf ihre Kosten Karriere zu machen, ein Thema, das sie in diesem Jahr noch öfter beschäftigt hat und das auch in Gemälden wie Profitanskis oder Ideenfischer dargestellt ist.
Auf Profitanskis sieht man drei Figuren. Die größere, die die Züge Maria Lassnigs trägt, hockt in der rechten unteren Bildecke. Ihr Gesicht und ihr Oberkörper sind in Grüntönen gehalten, ihr Unterleib in rot und Rosatönen. Die rechte, relativ naturalistisch dargestellte Hand hält sie über ihr Geschlecht, wobei unklar bleibt, ob sie es verdeckt oder masturbiert. Sie sieht die Betrachterin direkt an. Ihr Kopf ist oben abgeflacht, so daß die Form eines Tonkrugs entsteht. Aus diesem Kopfgefäß flattern Vögel, die sich, je weiter sie sich nach oben vom Kopf entfernen, immer kleiner, blasser und abstrakter werden. In der linken Bildhälfte steht eine Rückenfigur in klassischer Stand- Spielbeinpose, die farblich dem Oberkörper Lassnigs entspricht. Die Beine sind deutlich zu erkennen, der Oberkörper aber wird zu einer abstrahierten Form, die von rechts gesehen fast an ein schräg stehendes Dollarzeichen erinnert. Ihr Bauch ist prall nach vorne gewölbt wie bei einer Schwangeren, während der Bauch der hockenden Figur schlaff über ihrer Hand liegt. Auf ihren Schultern sitzt eine kleinere, gelblich grüne Figur, die mit einem Schmetterlingsnetz die Vögel, die aus Lassnigs Kopf fliegen, einfängt. In diesem Gemälde fließt beides zusammen: die Darstellung von Körpergefühlen und eine szenische Situation. Möglicherweise hat sich Lassnig auch vom Begriff der ‚Kopfgeburt’ inspirieren lassen. Die Assoziation kommt auf, weil der rötliche Unterleib so betont ist und die Handhaltung etwas zurückzuhalten scheint, während die anonyme Trägerfigur einen hochschwangeren Leib präsentiert. Dadurch, daß die hockende Figur unten rechts wesentlich größer dargestellt ist, ein Gesicht hat und die Betrachterin auch noch direkt ansieht, liest man das Gemälde automatisch in einem Kreis, der rechts unten anfängt und über die Vögel, das Schmetterlingsnetz, den schwangeren Bauch bis hin zu den Füßen der linken Figur geht. Dort stoßen nun zwei extreme Positionen von Kunstverständnis aufeinander: die klassischste aller Fußstellungen und daneben der biomorph in sich verschobene, introspektiv geschaute Unterleib Maria Lassnigs. Die Künstlerin, die auch im Interview erwähnt hat, wie sehr es sie ärgert, daß jetzt alle von Körperkunst reden, obwohl sie sich damit relativ unbeachtet schon seit Jahrzehnten beschäftigt, hat ihr Gesicht nicht wirklich wütend gemalt, sondern eher müde, enttäuscht duldend. Sorgen machen muß sie sich nicht: Die Vögel, die nahe bei ihrem Kopf noch völlig deutlich sind, sprich die künstlerischen Ideen, die sie gehabt hat, erscheinen oben am Netz nur noch blass und unbestimmt, und die Figuren, die das geistige Potential so gerne stehlen möchten, die sich aber, statt selbst etwas hervorzubringen, zu gebären, von der traditionellen Kunst ‚tragen’ lassen und mühsam neue Ideen stehlen, enden doch nur wieder in epigonalen Vorstellungen.
Die „Ideenfischer“ aus dem selben Jahr lassen ihr Opfer, das wiederum Lassnigs Züge trägt, schon wesentlich derangierter zurück. In der Mitte des Bildes liegt eine Figur wie gekreuzigt mit weit ausgestreckten Armen. Der androgyne Oberkörper mit dem deutlich hervortretenden Rippenbogen erinnert ebenso wie die ungewöhnliche Perspektive, die die Figur von schräg oben zeigt, an die Beweinung Christi von Andrea Mantegna (1431 – 1506) um 1500. Augen und Mund sind geöffnet wie bei einer Leiche. In den beiden oberen Ecken befinden sich abstrahierte Figuren, deren vorgezogene Schnauzen entfernt an Farbtubenöffnungen erinnern. Diese Form assoziiert Lassnig offenbar mit etwas eindeutig Negativem, denn ähnliche Formen finden sich auf den Gemälden War Lord I und II von 1996 sowie Die oberen und die Unteren von 1997. Beide „Ideenfischer“ sind mit dünnen Farblinien mit der liegenden Figur verbunden. An der Stelle, wo die Linien in deren Bauch ein bzw. austreten, ist die ansonsten stark farbige Figur weiß. Die beiden saugen ihr zusammen mit einem hellvioletten Schemen unterhalb der rechten Eckfigur die Farbe aus dem Leib. Eine ähnliche hellviolette geisterhafte Figur findet sich auch auf dem Gemälde Erniedrigte und Beleidigte von 2002, das ebenfalls in diese Gruppe gehört, wenn man in dieser Darstellung von einem Selbstportrait ausgeht, die drei unteren stark abstrahierten Figuren tragen zumindest entfernt die Züge Maria Lassnigs.
Es scheint so zu sein, daß Lassnig in den letzten Jahren doch eine gewisse Verbitterung empfand und diese auch künstlerisch umsetzte.
Selbstportraits wie Die Sanduhr von 2001 oder Die müde Turnerin 2000, die formal stark an das Selbstportrait als Einäugige erinnert zeigen eine resignierte Maria Lassnig, die auch schon mal mit dem Tod tanzt wie in Letzter Tango.
Dennoch ist das Spätwerk nicht das einer müden, frustrierten Künstlerin, die mit ihrem Schicksal hadert. Die späten Fußball-Bilder wie Competition I von 1999 oder Fussballerin von 1998 zum Beispiel sind voller Witz und Vitalität.
Eine grelle Stimme seelischer Konflikte – Über die Gestik
Wie mehrfach erwähnt, ist der Gesichtsaudruck in den meisten Selbstportraits Lassnigs neutral. Da meistens kein gegenständlicher Hintergrund vorhanden ist, kann man die Stimmung auch nicht aus einer Situation ableiten. Manchmal aber läßt sich die dargestellte Befindlichkeit an der Gestik und der Körperhaltung ablesen.
In der österreichischen Kunst steht das „unmittelbare[s] physische[s] Sprechen mit dem menschlichen Körper“[176] laut Bürgi seit der Jahrhundertwende in der Tradition von Körpererprobung und expressiver Selbstdarstellung.[177] Der Körper habe sich seit Beginn des Jahrhunderts vom „Träger elegischer Gebärdenspiele“ zur „grelle[n] Stimme seelischer Konflikte“ gewandelt.[178] Bei Schiele (1890 – 1918) habe sich der Körper schließlich als Medium einer neuen Zeichensprache[179] durchsetzen können, eine Tradition, auf die jetzt das Werk Maria Lassnigs aufbaut.
Eines der deutlichsten Bilder dieser Körpersprache ist Sprechzwang von 1980. Von rechts beugt sich eine nackte Gestalt in den ansonsten leeren Bildraum. Ihr Gewicht liegt auf dem vorgestellten rechten Bein, von dem man einen Oberschenkel sieht, ihr linker Arm ist bis kurz über den Ellenbogen zu sehen, der Rest wird von der Bildkante abgeschnitten. Von der Körperhaltung her könnte es so sein, daß sie sich außerhalb des Bildes irgendwo festhält oder daß die Stellung nur ein Moment in einer Bewegung ist, denn das Körpergewicht ist stark nach vorne verlagert, so daß eine reale Person diese Haltung nicht lange einnehmen könnte. Der Kopf, dem wie üblich der Hinterkopf fehlt und der kurz über den Augen abgeschnitten ist, ist leicht zurückgelegt. Der Mund, in den die BetrachterInnen, da sie sich auf gleicher Höhe befinden, direkt hineinsehen, ist weit geöffnet. Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand sind etwa bis zur Zunge in den Mund gesteckt, als sollte künstlich ein Brechreiz hervorgerufen werden. Die restlichen Finger bilden eine Faust. Dieses Selbstportrait wird in unmittelbarem Zusammenhang mit der Professur gesehen, die Lassnig im gleichen Jahr antrat. 1981 sagte sie darüber: „Die Professur auszuüben ist die ärgste Vergewaltigung, die einem freien Maler passieren kann. Er muß sich dazu vergewaltigen, sich selber in die eigenen Anfangsstadien zurückzuschrauben, um zu erkennen, wie man stufenweise vorgehen kann.“[180] Aber auch ohne diese Hintergrundinformation, und das zeichnet diese Gruppe von Bildern aus, erkennt man sehr schnell, daß hier jemand einer Situation ausgeliefert ist, die ihm Übelkeit verursacht. Der direkte Blick in den Mund, der die Betrachterin / den Betrachter zu verschlingen scheint, betont die Bodenlosigkeit des Ekels so, wie die sehr unbequeme Haltung des aufgerissenen Kiefers den Zwang verdeutlicht.
Peter Gerlach analysiert dieses Selbstportrait:
„Die expressionistische Tradition, also der endogene Blick ist offenkundig in der Wahl der artistischen Mittel. Von der attributiven Funktion der Farbwahl bis zum gestisch bestimmten Duktus der Strichführung und des Farbauftrags. (...) Kaum ein einschlägiger Gefühle-Begriff deckt das, was sie [Anm.: Maria Lassnig und Arnulf Rainer (*1929)] auszudrücken vermögen (...).“[181]
Werner Marschall hat dieses Gemälde an Edvard Munchs (1863 - 1944) Der Schrei von 1893 erinnert[182], was angesichts der exponierten Stellung des Mundes im Bild überzeugt. Mit Munch verbindet Lassnig mehr als nur dieses Beispiel eines weitgeöffneten Mundes. Wie sich in der farblichen Gestaltung und im Pinselduktus Körper und Umgebung Munch-ähnlich vermischen, ist schon an den Gemälden Kleines Sciencefiction Selbstportrait und Die Hitze des Salamanders gezeigt worden.
Weitere Beispiele für die Gruppe der gestischen Bilder sind zum einen Rast der Kriegerin von 1972, in der eine sitzende Gestalt mit vorgebeugtem Oberkörper von der Seite gesehen auf Holzplanken dasitzt, die Arme locker um die Knie geschlungen, die Schultern rund nach vorn gewölbt, so daß auch durch die umgebenden Bretter an den Wänden der Eindruck eines entspannten Saunagangs entsteht.[183]
Bis in die Nervenbahnen – Die Abstraktion
Zum Abschluß werden Selbstportraits betrachtet, die man unter dem Begriff der Abstraktion zusammenfassen könnte und zu denen auch das Country Selbstportrait gehört, das eingangs beschrieben wurde. In diesem Gemälde wird der schinkenähnlichen, wahrscheinlich durch Extensionen gefundenen Form des Körpergefühls die plastische Assoziation an einen Schinken, der gespiegelt ähnliche Umrisse wie die abstrakte Form hat, entgegengesetzt. In diesem Bild spielt Lassnig mit ihren eigenen Formen, das Assoziieren beschränkt sich nicht nur auf den Titel, sondern wird auch im Bild dargestellt. Im Spätwerk Lassnigs ist neben den drastischen Bildern eine Tendenz zur Abstraktion erkennbar. Hans Ulrich Obrist sieht in den Werken der neunziger Jahre die Selbstreflexivität des Werkes bei einem neuen Grad der Abstraktion, beim Grad des „komprimierten Ichs“[184] angekommen. Als Beispiel dafür sei hier Elektrisches Selbstportrait von 1993 genannt, dem Gorsen eine Verwandtschaft mit den „neurasthenischen“ Selbstportraits von Antonin Artaud (1896 – 1948) bescheinigt. Die Zeichnung Gesichtsnerven von 1990 läßt die deformierten Umrisse eines sehr breiten Kopfes und hochgezogener spitzer Schultern erkennen. Unterbrochene Linien führen von einem Oberarm zum nächsten, so daß es wirkt, als sei die Figur mit dünnen Drähten umwickelt. In der Mitte der Kopfform sind die Linien dichter und kürzer als im Schulterbereich, gerade meistens, manchmal aber auch ausschlagend wie eine EKG-Linie, so daß sie sich überschneiden und den Eindruck eines Knotens erwecken. Wolfgang Drechsler faßt zusammen, in den Bildern ab 1989 sei die Erkundung des Körpergefühls bis in die Nervenbahnen vorgedrungen, eine Äußerung, die sich auf Elektrizität von 1991 bezieht[185], die aber auch auf Gesichtsnerven zutrifft.
So hat Lassnig ihre Körpergefühle auf unterschiedlichste Arten dargestellt. Die Plastizität des eigenen Körpers und seine Bewegungen führten zu Extensionen und Informel. Die einzelnen Partien am Körper entlang gesehen brachten eine neue Perspektive in die Selbstportraits. Innen- und Außensicht vermischte sich zu collagenartigen Gemälden. Die Empfindung einzelner Organe und Tätigkeiten, Gefühle und Emotionen wurden an den Körper rückgekoppelt oder in Situationen eingebunden. Die Körperhaltungen und die Beziehung zu Gegenständen und Landschaft wurden ausgelotet, und schließlich drang Maria Lassnig bis in die Bewußtwerdung und die Darstellung der Nervenbahnen vor.
Der Körper in fahler Farbe – Bildübergreifende Beobachtungen
Nach dieser Katalogisierung sollen nun Charakteristika beschrieben werden, die gruppenübergreifend immer wieder in den Selbstportraits Maria Lassnigs zu beobachten sind.
Ein weicher Ballon im Mundraum – Über die offenen Münder
Von Carl Haenlein stammt der Hinweis, daß Maria Lassnig sich in ihren Portraits oft mit offenem Mund darstellt[186], und er erklärt diese Beobachtung mit der Anstrengung und zunehmenden Erschöpfung, der die malträtierten Körper im Bild unterworfen seien. Diese Annahme erweist sich aber bei genauerer Untersuchung als unzutreffend. Denn es läßt sich weder als eine ‚Alterserscheinung’ eine Zunahme der offenen Münder im Laufe der Zeit finden, noch ein Zusammenhang zwischen Anstrengung und Mundstellung und auch keine eindeutig negative Wertung. Dies soll jetzt im einzelnen am Bildmaterial nachgewiesen werden. Die Beispiele erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind nach ihrem Entstehungsjahr geordnet, um zu zeigen, daß keine Chronologie der immer weiter geöffneten Münder besteht.
Folgende Bildbeispiele zeigen einen leicht geöffneten Mund:
Selbstportrait mit Gurkenglas (1971), Mit einem Tiger schlafen (1975), Woman Laokoon (1976), Selbstportrait mit Schwimmgürtel (1993), Kleines Science Fiction Selbstportrait (1995), Die gute Hirtin (1999), Sprachgitter (1999) oder Die müde Turnerin (2000). In dieser Gruppe finden sich bereits ‚neutrale’ Gemütsverfassungen wie im Selbstportrait mit Gurkenglas und eher beanspruchte wie im Sprachgitter.
Etwas weitergeöffnete Münder lassen sich finden in:
Selbstportrait mit Schwein (1975), Armes Tauberl (1981), Illusion von den versäumten Heiraten I (1997), Doppelselbstportrait (2000) oder Die Sanduhr (2001). Gerade das fröhliche Selbstportrait mit Schwein und das eher depressive Sanduhr-Bildnis unterscheiden sich in der Öffnung des Mundes nicht frappierend.
Noch weiter geöffnet erscheint der Mund im Selbstportrait mit Kochtopf (1995) und im Selbstportrait weinend (1994).
Und aufgerissen wird der Mund dargestellt in Sprechzwang (1980) und Leicht gesagt (1998), zwei Bilder, die explizit das Sprechen thematisieren.
Davon abgesehen läßt sich noch eine Gruppe mit Gemälden zusammenfassen, in denen ein Mund mit Zähnen zu sehen ist, wobei diese Gruppe wiederum zu teilen ist in Bilder mit Mündern, die nicht unbedingt Selbstportraits sind wie im Sensenmann (1991), Die Mensur der Frau (gekreuzte Klingen) (1996), Generationswechsel II (2000) und solchen, in denen es erkennbar Lassnigs Mund ist wie im Fischbild (1975) und dem Selbstportrait mit Schwein (1975).
In Extremsituationen wie zum Beispiel bei Großes Sciencefiction [sic] (1998), Selbstportrait mit Stab (1971) oder Illusion von der versäumten Mutterschaft (1998) sind die Münder geschlossen.
Der Mund als traditionelles Symbol für Liebe, Begehren, Erotik, und Genuß[187] findet sich im Fischbild und in Melonenesser (1985), ansonsten greift Maria Lassnig nicht auf diese Konnotationen zurück. Francis Bacon war nach eigenen Angaben fasziniert von Mundbewegungen, von der Form des Mundes und der Zähne. Er erinnerte sich, daß damit sexuelle Bedeutung verbunden sei und bekannte, er sei „richtig versessen“ gewesen auf das physische Aussehen von Mund und Zähnen, dem Glitzern und den Farben. „Und ich wollte immer das Lächeln malen, aber es ist mir niemals gelungen.“[188] Lassnig, die sich nie zu den offenen Mündern auf ihren Bildnissen geäußert hat und von der auch keine dahingehende Vorliebe bekannt ist, hat sich ebenfalls kaum bis gar nicht lächelnd oder lachend dargestellt.
Aus der Betrachtung des vorliegenden Bildmaterials vor dem Hintergrund der Body-Awareness erscheint es schlüssig, daß die offenen Münder in ihren Gemälden mit keiner Wertung verbunden sind und auch keine Chiffrefunktion haben – ausgenommen die beiden Darstellungen, in denen es explizit ums Sprechen geht (wobei das Sprachgitter dem widerspricht, da der Mund nicht besonders auffällig geöffnet ist). Vielmehr sind sie der Ausdruck des Mundgefühls im Prozess des Malens. Jeder kennt es von sich selbst, daß man, wenn man sich stark konzentriert, unwillkürlich den Mund leicht oder etwas weiter öffnet. Ihre Nase ist oft übergroß oder rüsselartig gemalt, was sich nachempfinden läßt, wenn man einmal bewußt beobachtet, wie es sich anfühlt, wenn man die Luft beim Atmen hindurchströmen läßt. Ein ähnliches Gefühl ergibt sich beim Mund. Der ständig vorhandene Geschmack, das Schlucken des Speichels, das Darinliegen der Zunge und das automatische Öffnen unter Konzentration erzeugen das Mundgefühl, das sich wie ein weicher Ballon im Mundraum ausbreitet und so den Mund öffnet.
Fleischdeckungsfarben und Nervenstrangfarben
„Bei Bildern muß man bei Formen und Farben unterscheiden, ob sie tatsächlich etwas bedeuten oder nur etwas auslösen“[189], schreibt Michael Titzmann, wobei man das „nur“ nicht abwertend lesen darf. Bei Lassnig ist immer wieder versucht worden, eine Symbolik der verwendeten Farben, ein eigenes ‚Farb-Gefühls-System‘ der Künstlerin nachzuweisen, ähnlich wie laut Gustav René Hocke die Farbe schon bei Tintoretto (1518 – 1594) subjektive Seelenzustände wiedergespiegelt habe.[190] Auch bei Kandinsky beruhte die Wirkung der Farben laut Thürlemann auf Intuition. Sie seien Resultate empirisch-seelischer Empfindungen und basierten auf keiner Wissenschaft.[191]
Gorsen katalogisiert 1985 in bezug auf Lassnigs Farbwahl, die Empfindung von Körperschwere und -lastigkeit tendiere zu blau, brennende Haut zu rot. Wohlbefinden, Freude, Euphorie werde gelb ausgedrückt, und grün gesättigt seien Schutz- und Ruhezonen des verkörperten Gefühls[192], wobei er nicht näher erläutert, was genau er damit meint. Bezugnehmend auf die psychologistische Ästhetik und den darin beschriebenen „Stimmungscharakter der Farbe“ Theodor Lipps von 1923 schreibt Gorsen:
„Hier werden in Bezug auf Helligkeit, Ton und Sättigungsgrad alle Nuancierungen ausgeschöpft, um das visuelle Erlebnis in der psychophysiologischen Abhängigkeit von Lust- und Unlustgefühlen zeigen zu können. Die Farben erhalten eine organ- und zustandsgebundene Symbolik nach dem Ort, wo sie auftreten und wie sie empfunden werden.“[193]
Murken sieht Trauer im Werk Lassnigs in Lila, Grau, Grün oder Ocker[194] verkörpert und glaubt einzelnen Farben festgelegte Bedeutungen zuordnen zu können.[195] Bei einem Vergleich der Gemälde konnten weder Gorsens noch Murkens Überlegungen belegt werden. Auch Murkens nicht näher erläuterte Aussage, die häufige Verwendung von Rosa, Rot, Violett, Orange und Ocker[196] sei in Lassnigs Nähe zur eigenen körperlich-seelischen Empfindung zu erklären, bleibt unklar.
Mit der emotionalen Wirkung von Farben und der These, daß es eine gemeinsame strukturelle Basis aller Empfindungsarten gebe, hat sich neben Goethe (1749 – 1832) u.a. auch A. W. Schlegel (1767 – 1845) beschäftigt, der eine Farbskala entwickelte, auf der einzelnen Nuancen Bedeutungen wie Freude, Liebe usw. zugeordnet wurden.[197] Kepes erklärt das Zusammenspiel von Emotionen und Farben durch die Wechselwirkung in der Struktur des Empfängerapparates der Sinne und durch das Gedächtnis würde die Farbempfindung mit spezifischen Empfindungsqualitäten ausgestattet.[198] Das bedeutet zum einen, das jeder auf Grund der unterschiedlichen Erfahrungen unterschiedliche Emotionen mit Farben verbindet, und zum anderen, daß sich diese Emotionen auch verändern können. Eine direkte standardisierte Zuordnung ist nicht möglich. 1925 fand der Psychologe J.G. von Allesch (1882 – 1967) in einer Untersuchung zur Farbwahrnehmung heraus, daß ein identischer Farbton vom gleichen Betrachter nacheinander mit verschiedenen und teilweise entgegengesetzten Wertungen versehen werden kann. Ein starkes, gesundes, freudiges Rot werde plötzlich zu einem blendenden, rücksichtslosen, brutalen Rot.[199]
Ein Regelwerk würde Lassnigs Arbeitsweise auch widersprechen, betont sie doch oft, daß sich Körperempfindungen von Sekunde zu Sekunde ändern und immer wieder eine neue Form auch für schon bekannte KGs gefunden werden müsse. Genauso ist es mit der Farbe. Entspricht in einer Arbeit ein dunkles Violett einem bestimmten Schmerz oder Druck, kann eine sehr ähnliche Empfindung in einem anderen Bild eine ganz andere Gestalt und eine ganz andere Farbe haben. Symbolische Aussagen in dem Sinne, daß Schwarz immer Angst und Gelb immer Freude bedeutet, lehnt Lassnig ab, wenn sie sagt:
„Die Stirne bekommt eine Gedankenfarbe, die Nase eine Geruchsfarbe, Rücken, Arme und Beine Fleischdeckfarben; es gibt Schmerzfarben und Qualfarben, Nervenstrangfarben, Druck- und Völlefarben, Streck- und Preßfarben, Höhlungs- und Wölbungsfarben, Quetsch- und Brandfarben, Todes- und Verwesungsfarben, Krebsangstfarben – das sind Wirklichkeitsfarben“[200].
Diese Katalogisierung ist laut Birgit Thiemann Lassnigs am häufigsten in Katalogen zitierte Äußerung, die umso beliebiger wird, wenn man weiß, daß die Künstlerin selbst 1992 im Interview mit Thiemann eingeschränkt hat, diese Liste sei eine Verlegenheitslösung, schnell hingeschriebene Assoziationen, mit denen sie dem Verlangen nach Erklärung nachgekommen sei.[201] In einem Interview mit Kristian Sotriffer 1997 äußert sich Lassnig, wie sich ihr Umgang mit Farbe im Laufe der Zeit gewandelt hat:
Lassnig: „und ich hab’ auch meistens so lang auf einen Farbpunkt gestarrt, wenn ich ein Gesicht gemalt habe. Ich hab’ so lang auf einen Farbpunkt gestarrt, bis sich die Farbe so verändert hat, daß ich sie erschaffen konnte (...) Das hab’ ich absolutes Farbsehen genannt... und ich hab’ es auch immer ins Gegenteil verwandelt, aber natürlich muß man dann die Beziehung von einem Farbpunkt zum anderen auch aufstellen.“
Sotriffer: „Ja, Sie haben ihre Methode auch in gewisser Hinsicht analytisch betrieben.“
Lassnig: „(...) Ja, sehr stark am Anfang, und jetzt in letzter Zeit tu’ ich das auch wieder ...ein Programm, ein Farbprogramm hab’ ich jetzt.“
Sotriffer: „Sie arbeiten nicht mehr so aus einem Gefühl heraus, sondern Sie überlegen sich...“
Lassnig „. ..was ich machen könnte mit den Farben.“[202]
An anderer Stelle weist Lassnig darauf hin, daß die Gestaltung der Form bei ihrer Konzeption Priorität habe und oft auf Kosten der Farbe gegangen sei.[203] Als übergreifendes Merkmal der Farben im Werk Lassnigs läßt sich aber feststellen, daß sie oft abgetönt sind, so daß sie fahl und bleich aussehen und eine befremdliche, verstörende Wirkung haben. Schon Wassily Kandinsky hatte betont, daß die psychische Wirkung der Farbe „seelische Vibration“ hervorrufe.[204] Und Wilhelm Waetzoldt schreibt: „Die Farbe als Ausdrucksfaktor ist nicht etwa gleichwertig der Gebärde, denn sie spiegelt nicht irgend ein Gefühl wider, damit es aus ihr erschlossen werde, sie schafft vielmehr in uns eine Stimmung, die wir auf ein Objekt übertragen, das selbst sozusagen gefühlsstumm und -blind war.“[205] Lassnig begründet diese „überbelichtete Kühle“: „(...) weil ich sie eben nicht aus meinem Bauch ausbrechen lasse. Es sind farbige Graus.“[206] Zu beobachten ist die häufige Verwendung von Erdfarben auf der einen Seite und den gerade beschriebenen synthetisch wirkenden auf der anderen. Das ist eine Beobachtung, die man vielleicht symbolisch verstehen kann: Auf der einen Seite beschäftigt sich Lassnig mit Dingen, die man kennt und wieder erkennt, mit Körpern und Außenansichten von Dingen und Landschaften, zum anderen aber stellt sie höchst subjektive Empfindungen dar, deren künstlerische Behandlung völlig neu ist und für die Lassnig konsequenterweise auch eine eigene Farbigkeit entwickelte, und tatsächlich sind die bisher selten gesehenen fahlen Rosa- und Grüntöne sofort Lassnig zuzuordnen. 1995 sagt sie: „Die Entscheidung für die Farbe fällt ebenso wie die für die Form: willkürlich. Das heißt aber nicht ‚egal‘, sondern es ist mein Wille, ich kämpfe darum.“[207] Die Farbe ist bei Maria Lassnig wie im Expressionismus ein Mittel, Innerlichkeit zu transportieren, ohne daß einzelnen Farbtönen ein bestimmter Symbol- oder Gefühlswert zuzuordnen wäre. Schon ihre synthetisch wirkenden Abtönungen und ihre verfremdete Farbigkeit, die sich oft stark von der reinen Gegenstandsfarbe unterscheidet, weisen darauf hin, daß in ihren Gemälden meist keine äußere Wirklichkeit abgebildet ist.
[...]
[1] Anm.: Die Lebensdaten der KünstlerInnen und AutorInnen erfolgen, soweit sie für diese Untersuchung von Belang sind, immer bei ihrer ersten Nennung. Bei wörtlichen Zitaten werden die Daten in eckigen Klammern eingefügt.
[2] Anm.: Näheres unter http://www.sgipt.de/biogr/b_reil.htm
[3] vgl. Hans Robert Jauß: Einleitung. In: Jean Starobinski: Kleine Geschichte des Körpergefühls. Konstanz (1987). Hier zitiert aus der Ausgabe mit einer Einleitung von Hans Robert Jauß. F.a.M. (1991), S. 10. Anm.: Die „Kleine Geschichte des Körpergefühls“ beschäftigt sich nach einer komprimierten Einleitung über die historische Entwicklung des Körpergefühls vom antiken ‚tactus intimus’ der Schüler des Aristippos von Kyrene (S.13) bis Merleau-Pontys eigenem Leib als mitanwesendes drittes Moment (S. 31) mit der Darstellung der physischen Empfindungen in der Literatur Gustav Flauberts und Baudelaires.
[4] vgl. Volker Hess: Des Menschen ‚heiliges Organ’. Der Einfluß der Romantik auf das physiologische Verständnis des Herzens. In: fundiert. Das Wissenschaftsmagazin der Freien Universität Berlin. Berlin (2000). Hier zitiert nach der Internetseite: http://www.elfenbeinturm.net/archiv/2000/ges3.html
[5] vgl. Hans Robert Jauß, S. 9
[6] Maria Lassnig 1984 im Film der ORF „Maria Lassnig, gemalte Gefühle“, Regie: Andrea Schuvian. Hier zitiert nach Brigitte Reinhardt: Mensch und Tier. In: Hanne Weskott (Hrsg.): Maria Lassnig. Zeichnungen und Aquarelle 1946-1995. München (1995), S. 139
[7] Anm.: Die unterschiedlichen AutorInnen schreiben diesen Begriff wahlweise groß oder klein. Hier wird er – außer im wörtlichen Zitat – durchweg groß geschrieben und in Hochkommata gesetzt, da es sich um einen Eigenbegriff handelt.
[8] Anm.: Siehe Seite 258f und Fußnote 1440 - 1456
[9] Anm.: Aus der Fülle der Publikationen mit diesem Begriff im Titel hier nur einige wenige: Jean – Philipe Toussaint: Selbstportrait in der Fremde. Frankfurt am Main (2002), Wolfgang Johannes Bekh: Selbstbildnis mit Windrad. Pfaffenhofen (1997), Napoleon III: Ein Selbstbildnis in ungedruckten und zerstreuten Briefen und Aufzeichnungen. Arenberg (1993), Helga Pankoke: Selbstbildnis zwei Uhr nachts. Gedichte. Berlin (1989), Edith Stein: Selbstbildnis in Briefen, Freiburg im Breisgau (1976-77), Boris L. Pasternak. Geleitbrief. Entwurf zu einem Selbstbildnis, F.a.M. (1958), Nikolaus Lenau: Dichtung und Selbstbildnis, Wiesbaden (1951), Thomas Edward Lawrence: Selbstbildnis in Briefen, München/ Leipzig (1948) und viele mehr.
[10] vgl. Jan Bialostocki: Stil und Ikonographie. Studien zur Kunstwissenschaft. Köln (1981), S. 22
[11] vgl. ebd., S. 14
[12] Wilhelm Waetzoldt: Die Kunst des Portraits. Leipzig (1908), S. 25
[13] Peter Gerlach: Physiognomik. Systematisches zur Geschichte der Bildnisbeschreibung. In: 8. österreichischer Kunsthistorikertag. Vergangenheit in der Gegenwart - Gegenwart in der Kunstgeschichte? 26. – 29.10.1995. Donau-Universität. Krems/Stein (1995), S. 77f
[14] vgl. Wolfgang Drechler (Hrsg.): Außen und Innen. Zur Malerei Maria Lassnigs. Klagenfurt (1985), S. 12
[15] vgl. Hanne Weskott (1995), S. 13
[16] Maria Lassnig o. J. Hier zitiert nach Angela Heissenberger: Die Hungerkünstlerin. In: Anschläge. Mai, o.O. (1999), S. 42
[17] vgl. Peter Gorsen: Die Kunst der guten und schlechten Gefühle. Ausflug in die Werkstatt einer Malerin. In: Wolfgang Drechsler: Maria Lassnig, Klagenfurt (1985), S. 149
[18] vgl. Wolfgang Drechsler: Außen und Innen. Zur Malerei Maria Lassnigs. In: ders. (Hrsg.): Maria Lassnig. Klagenfurt (1985), S. 12
[19] vgl. Felix Thürlemann: Kandinsky über Kandinsky. Der Künstler als Interpret eigener Werke. Bern (1986), S. 32
[20] Maria Lassnig im Katalog der Albertina: Ausstellung vom 22.4. – 28.5.77 und im Kunstverein Kärnten vom 17.6. – 7.7.77. Wien (1977), o. P.
[21] Maria Lassnig in: Bundesministerium für Unterricht und Kunst (Hrsg.): Maria Lassnig. Austria. Biennale di Venezia 1980. Wien (1980), S. 47
[22] vgl. Armin Wildermuth: Vom Leib zum Bild. Maria Lassnigs künstlerischer Erkentnisprozeß. In: Wolfgang Drechsler (1985), S. 98
[23] vgl. Horst Christoph: Den Stil verwerfen. Profil 16, Nr. 6. Wien (1985), S. 67
[24] vgl. Hanne Weskott (1995), S. 15
[25] vgl. Peter Weibel: Die Malerin spricht als Körper. Zur Körpersprache von Maria Lassnig. In: Wolfgang Drechsler (1985), S. 126
[26] Maria Lassnig: Die Feder ist die Schwester des Pinsels. Tagebücher 1943-1997. Köln (2000), S. 26f
[27] Maria Lassnig (o. J.). Hier zitiert nach Horst Christoph: Wozu man nicht geboren ist. Profil 12, 22.3.1999, Wien (1999), S. 141
[28] vgl. Armin Wildermuth (1985), S. 101
[29] Maria Lassnig (1982), hier zitiert nach Wolfgang Drechsler (1985), S. 70
[30] ebd.
[31] Maria Lassnig (o. D.), hier zitiert nach Galerie Ulysses (Hrsg.): Maria Lassnig. Zeichnungen und Aquarelle. Texte von Maria Lassnig und Oswald Wiener. Katalog zur Ausstellung in der Galerie Ulysses. Wien (1992), o. P., und Maria Lassnig in: Kaspar König (Hrsg.): Der zerbrochene Spiegel. Positionen zur Malerei. Katalog zur Ausstellung im Museumsquartier / Messepalast und Kunsthalle Wien vom 26.5. - 25.6.1993 und in den Deichtorhallen Hamburg vom 14.10.1993 - 2.1.1994. Wien (1993), S. 30
[32] vgl. Wolfgang Drechsler (1985), S. 10
[33] Wieland Schmied: Eine Welt ohne Spiegel. Maria Lassnig oder die Fremdheit. In: ders.: Maria Lassnig. Bilder, Zeichnungen, Aquarelle, Grafik 1946-1986. Katalog zur Ausstellung in der Galerie Klewan vom 2.6. - 8.8.1992. München (1992), o. P.
[34] vgl. Wolfgang Drechsler (1985), S. 12
[35] Johanna Bolkart: Bei Leibe und von Sinnen. Körper und Körpererfahrung. Versuch einer Annäherung an das Schaffen der Künstlerin Maria Lassnig. Diplomarbeit für die Diplomprüfung im Studiengang Kulturpädagogik. Hildesheim (1987), S. 66
[36] vgl. Ulrich Koock: Malen mit geschlossenen Augen. In: Neuer Berliner Kunstverein, Berliner Künstlerprogramm des DAAD und Kunsthalle Bern (Hrsg.): Maria Lassnig. Beziehungen und Malflüsse. Erweiterte 2. Auflage des Katalogs „Maria Lassnig“ zur Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein vom 31.5. - 20.7.1997, in der DAAD-Galerie Berlin vom 31.5. - 20.7.1997 sowie in der Kunsthalle Bern vom 12.9. - 23.11.1997. Klagenfurt (1998), S. 15
[37] vgl. Wolfgang Drechsler: Über die innige Verbindung von Maler und Malerei. In: ders. (Hrsg.): Maria Lassnig. Katalog zur Ausstellung im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien 20er Haus vom 26.3.-6.6.1999 und im Musée des Beaux-arts de Nantes und Fonds Règional d’Art Contemporain des Pays de la Loire, Nantes vom 6.7. - 27.9.1999. Klagenfurt (1999), S. 11
[38] vgl. Johanna Bolkart, S. 23
[39] vgl. Sigrid Schade: Der Mythos des „Ganzen Körpers“. Das Fragmentarische in der Kunst des 20. Jahrhunderts als Dekonstruktion bürgerlicher Totalitätskonzepte. In: Barta, Ilsebill u. a..: Frauen Bilder Männer Mythen. Kunsthistorische Beiträge. Berlin (1987), S. 242. Anm.: Außerdem müßte dieses Anliegen, wenn es denn bei Maria Lassnig Programm wäre, ja das gesamte Werk durchziehen, da es keinen Sinn macht, sich einmal patriarchalischen Strukturen zu entziehen und einmal wieder nicht. Im Werk Maria Lassnigs gibt es aber durchaus Selbstportraits von hoher mimetischer Qualität.
[40] vgl. Johanna Bolkart, S. 103
[41] vgl. Johanna Bolkart, S. 65
[42] vgl. Christa Murken: Maria Lassnig. Ihr Leben und ihr malerisches Werk. Ihre kunstgeschichtliche Stellung in der Malerei des 20. Jahrhunderts. Dissertation. Herzogenrath (1990), S. 167
[43] vgl. Christa Murken (1990), S. 34f
[44] Maria Lassnig (1982) hier zitiert nach Wolfgang Drechsler (1985), S. 70f
[45] Maria Lassnig (1982), hier zitiert nach Johanna Bolkart, S. 54
[46] vgl. Hanne Weskott (1995), S. 17
[47] Maria Lassnig (1995), hier zitiert nach Hanne Weskott (1995), S. 48
[48] vgl. Rainer Fuchs: Exhibition. Katalog zur Ausstellung im 20er Haus vom 30.9. - 27.11.1994. Hrsg.: Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig. Wien (1994), S. 24
[49] Maria Lassnig (1970), hier zitiert nach: Bundesministerium für Unterricht und Kunst, S. 44. vgl. auch: Johanna Bolkart, S. 65
[50] Maria Lassnig (1970), hier zitiert nach Wolfgang Drechsler (1985), S. 70f
[51] Maria Lassnig (1982), hier zitiert nach Johanna Bolkart, S. 54
[52] Maria Lassnig (1995), hier zitiert nach Hanne Weskott (1995), S. 92
[53] vgl. Peter Gorsen: Auf dem Bett liegen und das rechte Auge schließen. Den Körper empfinden und malen. Eine Retrospektive der Werke Maria Lassnigs in Wien. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 87, 15.4.1999, Frankfurt am Main, S. 51
[54] vgl. Johanna Bolkart, S. 51
[55] Maria Lassnig in: Elisabeth und Gustav Ernst und Gerda Fassel: Gespräch mit Maria Lassnig. In: Das Wespennest, Nr. 39. Wien (1980), S. 24
[56] vgl. Martin Kunz: Maria Lassnig: Körpergefühl im reinen ‚Strich-Bild’. In: ders. (Hrsg.): Maria Lassnig. Mit dem Kopf duch die Wand. Katalog zur Ausstellung im Kunstmuseum Luzern, in der Neuen Galerie Graz, im Kunstverein Hamburg, in der Wiener Secession. Klagenfurt (1989), S. 19
[57] Peter Gorsen (1999), S. 51
[58] Maria Lassnig (2000), S. 117
[59] vgl. Peter Gorsen: Maria Lassnig. Die Kunst der guten und schlechten Gefühle. In: Kunstforum International, Bd. 89. Mai- Juni 1987. Ruppichteroth (1987), S. 186
[60] Alexander Tolnay: Sentio, ergo sum. In: Neuer Berliner Kunstverein, Berliner Künstlerprogramm des DAAD und Kunsthalle Bern (1998), S. 9
[61] Maria Lasnig (1987), hier zitiert nach Christa Murken (1990), S. 308
[62] vgl. Maria Lassnig (2000), S. 22
[63] vgl. Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik. Zürich (1971)
[64] Anm.: Laut Hugo Friedrich haben Lyrik, Philosophie, Roman, Theater, Malerei, Musik gleichermaßen Aussagekraft für geistige Lage der Gegenwart. vgl. Hugo Friedrich: Die Struktur der modernen Lyrik. Reinbek bei Hamburg (1956), S. 15 und S. 26
[65] Emil Staiger, S. 50f
[66] Hanne Weskott: Maria Lassnig. Der Rhythmus des Malens soll sein wie Atemstöße, wenn uns das Leben würgt. In: Parnass, Nr. 1. Wien (1999), S. 87f
[67] Wolfgang Drechsler, Klagenfurt (1999), S. 17
[68] Alfred Welti: Kunst, die vom Körper kommt. In: Art. Das Kunstmagazin. Nr. 8. Hamburg (1983), S. 50
[69] Anm.: Thiemann faßt Lassnigs künstlerische Entwicklung zusammen: In den frühen surrealistischen und informellen Phase, sei das Dargestellte nur mit Hilfe der Titel erkennbar. Mit Einsetzen der Körpergefühlsbilder um 1960 stellt Thiemann eine erhebliche Vergrößerung der Formate fest, so daß die lebensgroße Wiedergabe des menschlichen Körpers möglich werde (S. 36f). Ab Mitte der sechziger Jahre würden die Arbeiten figürlich und trügen zunehmend Lassnigs Gesichtszüge. Die dominanter werdenden figürlichen Darstellungen beruhen laut Lassnig auf Impulsen von Gerard Tisserand und Eduardo Arroya. (S. 13 und Fußnote 51) Um 1970 gebe es eine Hinwendung zu einer sehr realistischen Malweise. Die systematische Erforschung des Körpers sei jetzt eindeutig sichtbar. Ab Mitte der achtziger Jahr komme es wieder zu einer vermehrten Abstraktion. Der Körper verschwinde als Motiv. Statt dessen komme es zu einer Identifikation mit Gegenständen und Begriffen. (vgl. S. 5) Für diese Phase stimmt das, aber der Körper verschwindet als Motiv natürlich nie aus dem Werk Lassnigs. In den neunziger Jahren finden sich vermehrt Malflüsse, Linien und technisch wirkende Gebilde, aber auch erzählerische Gemälde wie die Fußballbilder und Body-Awareness-Arbeiten wie das Selbstportrait als Einäugige oder Sprachgitter. Birgit Thiemann: Von Anfang an dabei gewesen... und doch gern übersehen! Zur Rezeption von Maria Lassnig. Unveröffentlichte Magistra-Hausarbeit. Philipps-Universität Marburg (1992).
Maria Lassnig sagt in einem Interview mit Sotriffer auf die Frage, wie sie die Fortentwicklung innerhalb ihres Werkes sehe: „Also ich weiß nicht, ob es eine Fortentwicklung eigentlich gibt? Oder bei mir gibt? Oder bei mir gegeben hat? Eine Veränderung auf jeden Fall – nicht?“ Kristian Sotriffer: Interview mit Maria Lassnig in Wien im März 1997. In: Edelbert Köb und Peter Kogler (Hrsg.): KünstlerInnen. 50 Gespräche. 50 Positionen zeitgenössischer internationaler Kunst. Videoportraits und Werke. Katalog anläßlich der Ausstellung im Kunsthaus Bregenz vom 28.9. bis 30.11.1997. Köln (1997), S. 158
[70] Johanna Bolkart, S. 70
[71] Oswald Wiener: Maria Lassnig. Bilder der sechziger Jahre. Katalog zur Ausstellung in der Galerie Klewan vom 5.10. - 2.12.1989. München (1989), o. P.
[72] Armin Wildermuth (1985), S. 111
[73] vgl. Johanna Bolkart, S. 29
[74] vgl. ebd., S. 25
[75] Maria Lassnig (o. J.) hier zitiert nach Bundesministerium für Unterricht und Kunst, S. 47
[76] vgl. Horst Christoph (1985), S. 67
[77] vgl. Johanna Bolkart, S. 23
[78] vgl. ebd., S. 31f
[79] Anm.: Früher glaubte man, das Herz könne wahrnehmen und sei der Sitz des Bewußtseins und des Gewissens. vgl. Mathias Pozsgai: Topographien des Authentischen. Körperbilder in Anatomie und Literatur. In: Julika Funk und Cornelia Brück: Körper-Konzepte. Reihe Literatur und Anthropologie. Im Auftrag de Sonderforschungsbereichs 511 herausgegeben von Gerhart Graevenitz. Bd. 5. Tübingen (1999). S. 185. (Dieses Buch geht auf eine Tagung mit demselben Thema zurück, die der Frauenrat der Uni Konstanz 1998 veranstaltete.) Im Mittelalter galt das Herz als Sitz der Seele. Kurt Zeidler: Die Lieder Heinrich von Morungen. Das Problem ihrer zyklischen Anordnung. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Institut für ÄDL, Aachen (1982), S. 94f. Am Sprichwort „jemanden auf Herz und Nieren prüfen“ zeigt die Wandlung dieser Vorstellung, denn später galten die Nieren als Sitz des Gewissens.
[80] vgl. Johanna Bolkart, S. 33
[81] Tilman Osterwold: Das Egozentrische in der Kunst. In: Erika Billeter (Hrsg.): L’ Autoportrait. Das Selbstportrait im Zeitalter der Photografie. Lausanne/ Bern 1985, S. 33
[82] vgl. Otto Breicha: Introspektives intensiv veranschaulichen. Körperwahrnehmungsdarstellungen bei Maria Lassnig. In: ders. (Hrsg.): Anfänge des Informel in Österreich 1949-1954. Maria Lassnig. Oswald Oberhuber. Arnulf Rainer. Graz (1997), S. 31
[83] vgl. Christa Murken (1990), S. 98, und Maria Lassnig im Katalog der Albertina, o. P. Anm.: Ein ähnliches Ziel verfolgte Wolfgang Sautermeister in seinem Aquarell Mit geschlossenen Augen (Kopf) von 1997. Wolfgang Sautermeister: Körper-Bild. In: ders.: Körper-Bild. Katalog zur Ausstellung des Rhein-Neckar-Kreises im Rahmen der 9. Kreiskulturwoche 1997/98. Mannheim (1998), o. P.
[84] Hanne Weskott (1995), S. 8
[85] vgl. Rudi Fuchs: An der Grenze. Maria Lassnig. In: Noema art journal. Mai / Juni, o.O. (1999), S. 34
[86] Vincenzo Trione in Flavio Caroli: L‘Anima e il Volto. Ritratto e Fisignomica da Leonardo a Bacon. Mailand (1998), S. 611
[87] vgl. Peter Weibel: Der Anagrammatische Körper. Der Körper und seine mediale Konstruktion. Katalog zur Ausstellung im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe vom 8.4.2000 bis 18.6.2000. Karlsruhe (2000). S. 48
[88] vgl. Hugo Friedrich, S. 169
[89] vgl. Sigrid Schade (1987). S. 250
[90] vgl. Norbert Borrmann: Kunst und Physiognomik. Menschendeutung und Menschendarstellung im Abendland, Köln (1994), S. 174. Anm.: „Kunst und Physiognomik. Menschendeutung und Menschendarstellung im Abendland“ von Norbert Bormann ist ein eher populärwissenschaftlicher Schnelldurchgang durch die Physiognomik von der Antike bis zur Neuzeit. Der Autor sagt selbst in der Einleitung, seine Arbeit beruhe weniger auf Detail-, als auf Ganzheitsforschung. (S. 7f) Borrmann stellt die gängigen Thesen, aber keine eigenen Forschungsergebnisse oder grundlegend Neues vor. Er verwendet meist ältere Fachliteratur. Das Problem des Buches ist, daß der Autor an vielen Stellen wertet, ohne zu kennzeichnen, daß es sich um seine persönliche Meinung handelt, oder ob es noch Gegenthesen gibt, wodurch der Text einfacher, aber manchmal nicht ganz korrekt wird, wie zum Beispiel bei einem Kommentar über den Körperdiskurs (S. 212), bei dem er sich argumentativ auf dem Stand der achtziger Jahre bewegt.
[91] vgl. Armin Wildermuth (1985), S. 107
[92] vgl. Armin Zweite: Ich ist etwas Anderes. In: ders., Doris Krystof und Reinhard Spieler (Hrsg.): Ich ist etwas Anderes. Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf vom 19.2. - 18.6.2000. Köln (2000), S. 34
[93] vgl. Josef Helfenstein: Umschreibung der äußersten Grenze. In: Hanne Weskott (1995), S. 132
[94] Sigrid Schade: Vom Versagen der Spiegel. Das Selbstportrait im Zeitalter seiner Unmöglichkeit (Maria Lassnig, Cindy Sherman, Alice Mansell, Eva-Maria Schön). In: Farideh Akashe-Böhme (Hrsg.): Reflexionen vor dem Spiegel. F.a.M. (1992). S. 147
[95] Peter Gorsen: Maria Lassnig, zu ihren Selbstportraits. Vorabauszug aus ‚Frauen in der Kunst‘. O.O., o. J., o. P.
[96] vgl. Annemarie Andina-Kernen: Zur Darstellung innerer Räume im kunstpsychotherapeutischen Prozess.“ In: Paul Michel (Hrsg): Symbolik von Ort und Raum. Schriften zur Symbolforschung. Bern (1997), S. 21
[97] vgl. Wilfried Skreiner: Zwischen den Welten: Die neuen Aquarelle von Maria Lassnig. In: ders. und Hans Albert Peters (Hrsg.): Maria Lassnig. Zeichnungen Aquarelle Gouachen 1949-1982. Katalog zur Ausstellung im Mannheimer Kunstverein vom 24.10. - 21.11.1982, dem Kunstverein Hannover vom 10.4. - 12.5.1983, im Kunstverein München vom 18.5. - 26.6.83, im Kunstmuseum Düsseldorf Kunstpalast im Ehrenhof 7.7. - 21.8.1983 sowie in der neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum Graz vom 19.1. - 27.2.1984. Düsseldorf (1982), S. 105
[98] vgl. Konrad Oberhuber: Die Begegnung mit der Außenwelt. Zu den Aquarellen von Maria Lassnig. In: Maria Lassnig: Aquarelle. Katalog zur Ausstellung in der Kärntner Landesgalerie Klagenfurt, in der graphischen Sammlung Albertina Wien sowie den Salzburger Landessammlungen Rupertinum Salzburg. Klagenfurt (1988), S. 18
[99] Arnulf Rohsmann: Körper und Genius loci. Zur Rolle der Landschaft in den Reisebildern von Maria Lassnig. Klagenfurt (1988), S. 24
[100] vgl. ebd., S. 28
[101] vgl. ebd., S. 24
[102] Martin Kunz: Maria Lassnig: Körpergefühl im reinen ‚Strich-Bild’, S. 20
[103] Hugo Friedrich, S. 306
[104] Maria Lassnig im Gespräch (Juli 2000).
[105] Maria Lassnig (1977), hier zitiert nach Johanna Bolkart, S. 6
[106] vgl. Wolfgang Drechsler (1985), S. 15, und ders. in ders. (Hrsg.): Innen und Außen. Expressiv. Mitteleuropäische Kunst seit 1960. Central European Art since 1960. Katalog anläßlich der Ausstellung im Museum moderner Kunst und im Museum des 20. Jahrhunderts Wien vom 30.11.87 - 26.1.88 sowie im Hirshhorn Museum and Skulpture Garden Washington D.C. vom 18.2. - 17.4.88. S. 146-155. Wien / New York (1988), S. 154
[107] vgl. Martin Kunz: Vorwort, S. 7
[108] Maria Lassnig (o. J.) in: Martin Kunz, S. 33
[109] vgl. Martin Kunz: Maria Lassnig: Körpergefühl im reinen ‚Strich-Bild’, S. 19f
[110] vgl. Christa Murken (1990), S. 111
[111] Maria Lassnig in: Galerie Ulysses (1992) o. P. Fünf Jahre später wiederholt sie ihre Position: „Das hab’ ich eigentlich nie als Körperkunst aufgefaßt, zum Unterschied von den anderen Leuten, die haben das falsch aufgefaßt und haben gemeint, das ist die Körperkunst. Ich meine, die wirkliche Körperkunst waren die Striche, die Ausdehnungsstriche, und das ist keine Abstraktion, sondern eine wirkliche Empfindung (...) Das Ausgestreckte, das zusammengeknüllte und so weiter, die ganzen Strichilder sind von dieser Zeit, und das ist meine wirkliche Körperkunst.“ Kristian Sotriffer (1997), S. 158
[112] vgl. Armin Wildermuth (1985), S. 105
[113] Maria Lassnig im Gespräch (Juli 2000).
[114] vgl. Reinhold Hohl: Paul Klees Zwischenreich. In: Gaetano Benedetti und Therese Wagner-Simon: Sich selbst erkennen. Modelle der Introspektion. Göttingen (1982), S. 142
[115] Maria Lassnig im Gespräch (Juli 2000).
[116] vgl. Christa Murken (1990), S. 136
[117] vgl. Armin Wildermuth (1985), S. 105
[118] vgl. Annemarie Andina-Kernen, S. 19
[119] vgl. ebd., S. 19
[120] vgl. Silvia Eiblmayr: Die Frau als Bild. Der weibliche Körper in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Berlin (1993), S. 163
[121] vgl. ebd., S. 206
[122] ebd., S. 150f
[123] vgl. Hans-Joachim Raupp: Untersuchungen zu Künstlerbildnis und Künstlerdarstellung im 17. Jahrhundert. Hildesheim (1984), S. 302. Anm.: Raupp arbeitet in überzeugender Weise die Charakteristika des niederländischen Künstlerselbstportraits im 17. Jahrhundert heraus und stellt eine Vielzahl von Quellen zu übersichtlichen, in jedem Punkt nachvollziehbaren, äußerst präzise formulierten Thesen zusammen. Er veranschaulicht, wie Physiognomie, Gestik und Habitus als ikonographische Zeichen verwendet werden und wo deren Wurzeln liegen.
[124] Maria Lassnig im Gespräch (Juli 2000)
[125] Anm.: Eiblmayr bezieht sich hier auf die Werkserie „Innerhalb und außerhalb der Leinwand“, aber man kann ihre Analyse auch auf die vorliegenden Selbstportraits beziehen. vgl. Silvia Eiblmayr (1993), S. 174
[126] vgl. Johanna Bolkart, S. 37
[127] Anm.: Eiblmayr zum Beispiel sieht die Spiegelbeziehung deutlich durch die spiegelverkehrte Schrift auf dem Pullover angegeben, obwohl der Spiegel gar keiner sei. vgl. Silvia Eiblmayr (1993), S. 176
[128] Lassnig in Silvia Eiblmayr (1993), S. 176 und Lassnig 1970 o. P.
[129] vgl. Johanna Bolkart, S. 37
[130] Peter Gorsen (1985), S. 145f
[131] vgl. ebd., S. 145f
[132] ebd., S. 145f
[133] Silvia Eiblmayr (1993), S. 177
[134] vgl. Marie Luise Sternath-Schuppanz: Aquarelle mag ich nicht, Landschaften liegen mir nicht. Hinweise zu einer Bemerkung von Maria Lassnig. In: Maria Lassnig (1988), S. 32. Siehe auch: Christa Murken-Altrogge: Die Frau ohne Eigenschaften. In: Pan H9. München (1987), S. 56, und Brigitte Reinhardt, S. 142f sowie Bernhard Bürgi: Körperzeichen. Leitlinien zu einem thematischen Aspekt der österreichischen Kunst. In: Kunstmuseum Winterthur (Hrsg.): Körperzeichen Österreich. Egon Schiele, Arnulf Rainer, Hermann Nitsch, Maria Lassnig, Valie Export, Friederike Pezold. Katalog zur Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur vom 20.9. - 7.11.1982. Winterthur (1982), S. 28. Außerdem: Peter Gorsen (1987), S. 189, und: Peter Gorsen (1985), S. 140
[135] Ruth Labak: Zur Malerei von Maria Lassnig. Diplomarbeit, Hochschule für angewandte Kunst. Wien (1979), S. 74
[136] vgl. Silvia Eiblmayr (1993), S. 154ff. Anm.: Daß etwas männlich ist, ist ja noch nichts Negatives. Das Problem ist eher, daß viele der Selbstportraits von surrealistischen Künstlerinnen qualitative Mängel haben und stilistisch epigonal sind.
[137] Maria Lassnig in: Elisabeth und Gustav Ernst und Gerda Fassel, S. 24
[138] Maria Lassnig in: Bundesministerium für Unterricht und Kunst, S. 47
[139] Sigrun Paas: Maria Lassnig, Abb. 68, Mit einem Tiger schlafen. Text zum Katalogteil im Kapitel Sexualität und Gewalt. In: Werner Hofmann: Eva und die Zukunft. Das Bild der Frau seit der Französischen Revolution. Katalog zur Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle vom 11.7.1986 - 14.9.1986. München (1986), S. 142
[140] vgl. ebd., S. 142
[141] vgl. ebd., S. 142
[142] vgl. Christa Murken (1990), S. 202
[143] vgl. Peter Gorsen (1985), S. 140
[144] Konrad Oberhuber (1988), S. 15
[145] vgl. Arnulf Rohsmann, Klagenfurth (1988), S. 22
[146] Insa Härtel: Verkündung beunruhigender Wahrheiten. Maria Lassnigs Selbstporträt als Prophet (1967). In: Der Bürgermeister der Stadt Siegen/ FB4/ Kultur und das Museum für Gegenwartskunst Siegen (Hrsg.): Maria Lassnig. Körperporträts. Rubenspreis der Stadt Siegen 2002. Katalog anläßlich der Rubenspreisverleihung an Maria Lassnig und der Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst Siegen vom 23.6.2002 – 1.9.2002, S. 47
[147] vgl. ebd., S. 47f
[148] vgl. ebd., S. 48
[149] vgl. ebd., S. 48
[150] vgl. ebd., S. 50
[151] ebd., S. 52
[152] vgl. Hanne Weskott (1995), S. 24 sowie Wolfgang Drechsler, Klagenfurt (1999), S. 26f
[153] Maria Lassnig (1995), hier zitiert nach Hanne Weskott (1995), S. 80
[154] Anm.: In diesem Gemälde ist allerdings kein Selbstportrait zu erkennen, weswegen es hier auch nicht näher besprochen wird.
[155] Anm.: In diesem Gemälde sieht Gross den griechischen Daphne-Myhos aktualisiert. Nicht der heile Mensch vollziehe die Verwandlung, sondern ein versehrter als Symbol für die schöpferische Kraft der Künstlerin, die gelernt habe, sich in einer feindlichen Welt zu behaupten. vgl. Sigrun Paas: Maria Lassnig, Abb. 374, Setzlinge. Text zum Katalogteil im Kapitel Fron oder Aufbruch. In: Werner Hofmann: Eva und die Zukunft. Das Bild der Frau seit der Französischen Revolution. Katalog zur Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle vom 11.7.1986 - 14.9.1986. München (1986), S. 435
[156] Anm.: So sieht es Marie Luise Sternath-Schuppanz, S. 33
[157] Maria Lassnig in: Elisabeth und Gustav Ernst und Gerda Fassel, S. 24
[158] Maria Lassnig (2000), S. 80
[159] Anm.: Ein Foto (Abb. 34) zeigt Maria Lassnig 1979 im Grunewald umgeben von drei Gemälden: Fliegen lernen, Woman Laokoon und Einen Hund besitzen, was vermuten läßt, daß auch sie diese Bilder als zusammengehörig verstanden hat, zeigen sie doch drei mentale Tätigkeiten: Besitzen, Auseinandersetzen und Wollen.
[160] vgl. Jan Bialostocki, S. 145
[161] ebd., S. 146
[162] vgl. ebd., S. 147
[163] vgl. ebd., S. 150
[164] C.G. Jung: Zur Psychologie des Kind-Archetypus. In C.G. Jung, K. Kerényi: Die göttliche Kunst. Amsterdam-Leipzig (1940), hier zitiert nach Jan Bialostocki: Stil und Ikonographie. Studien zur Kunstwissenschaft. Köln (1981), S.150
[165] vgl. Jan Bialostocki, S. 151
[166] C.G. Jung: Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen. Von den Wurzeln des Bewußtseins. Band 8, Zürich (1954), S. 497ff
[167] vgl. Jan Bialostocki, S. 151f
[168] vgl. ebd., S. 152
[169] Jan ebd., S. 152
[170] vgl. Ernst Cassirer: An Essay on Man. An Introduction to a Philosophy of Human Culture. New Haven (1944). Hier zitiert aus Jan Bialostocki, S. 152
[171] vgl. Jan Bialostocki, S. 153
[172] vgl. Georg Reinhardt: In der Linie den Körper erfühlen. In: Hanne Weskott (1995), S. 150
[173] Wolfgang Drechsler (1985), S. 13 sowie Alfred Welti, S. 51
[174] vgl. Maria Lassnig (2000), S. 97
[175] Maria Lassnig o. J., hier zitiert nach Markus Mittringer: Das Wiener 20er Haus ehrt Maria Lassnig mit einer Retrospektive. Empfindung als Widerstand. In: Der Standard vom 26.3.1999. Wien (1999), o. P.
[176] Bernhard Bürgi: Zur Ausstellung. S. 3
[177] vgl. ebd., S. 3
[178] Bernhard Bürgi: Körperzeichen. S. 17
[179] vgl. ebd., S. 20
[180] Maria Lassnig (2000), S. 79
[181] Peter Gerlach: Physiognomik (1995), S. 83
[182] vgl. Werner Marschall: Maria Lassnig. In: Tendenzen 26, Nr. 152. Köln (1985), S. 25
[183] Anm.: Nur der Vollständigkeit halber sei die große voluminöse durch die Leinwand greifende Hand in der linken oberen Bildecke erwähnt, die auch schon im Gemälde Selbstportrait als Indianergirl beschrieben wurde. Da beide Gemälde Titel mit indianischen Assoziationen tragen und nur ein Jahr zwischen ihrer Entstehung liegt, drängt sich der Gedanke auf, daß beide Bilder als zusammengehörend betrachtet werden können.
[184] vgl. Hans Ulrich Obrist: Die Gegenwart bewegt sich langsam. In: Maria Lassnig (2000), S. 11
[185] vgl. Wolfgang Drechsler, Klagenfurt (1999), S. 33
[186] vgl. Carl Haenlein: An Maria Lassnig - Drei Briefe. In: Ders. (Hrsg.): Maria Lassnig. Bilder 1989 – 2001. Kunstpreis der Nord/LB 2002. Katalog zur Ausstellung in der Kester Gesellschaft vom 8.12.2001 – 3.2.2002. Hannover (2001), S. 7
[187] vgl. Könches, Barbara: http://on1.zkm.de/zkm/discuss/msgReader$1076
[188] Francis Bacon im Gespräch mit David Sylvester Mai 1966. In: David Sylvester: Gespräche mit Francis Bacon. München (1997), S. 50ff
[189] Michael Titzmann: Theoretisch-methodologische Probleme einer Semiotik der Text-Bild-Relation. In: Wolfgang Harms (Hrsg.): Text und Bild, Bild und Text. DFG-Symposium. Stuttgart (1990), S. 374
[190] vgl. Gustav René Ho>
[191] vgl. Felix Thürlemann, S.118
[192] vgl. Peter Gorsen (1985), S. 138
[193] ebd., S. 138
[194] vgl. Christa Murken (1990), S. 193
[195] vgl. ebd., S. 286ff
[196] vgl. ebd., S. 285
[197] vgl. Georgy Kepes: Language of vision. Chicago (1944), hier zitiert nach der deutsche Erstausgabe: Sprache des Sehens. Neue Bauhausbücher. Neue Folge der von Walter Gropius und Laszlo Moholy-Nagy begründeten Bauhausbücher. Hrsg.: Hans M. Wingler. Mainz/Berlin (1971), S. 140
[198] vgl. ebd., S. 139
[199] vgl. Felix Thürlemann, S. 122
[200] Maria Lassnig (1982), hier zitiert nach Wolfgang Drechsler (1985), S. 71
[201] vgl. Birgit Thiemann, S. 102f und Fußnote 518
[202] Kristian Sotriffer (1997), S. 161
[203] vgl. Maria Lassnig (o. J.) in: Wolfgang Drechsler (1985), S. 121
[204] vgl. Wassily Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst. 6. Auflage. Mit einer Einführung von Max Bill. Bern / Bümpliz (1959), S. 61
[205] Wilhelm Waetzoldt, S. 150
[206] Vitus H. Weh: Ich habe Talent. In: Falter Nr. 12, o.O. (1999), o. P.
[207] Hanne Weskott (1995), S. 65
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- Dr. Silke Andrea Schuemmer (Author), 2002, Die Konstituierung des Ichs in den Selbstportraits Maria Lassnigs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89538
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