Im Rahmen des Hauptseminars „Von Bedeutung“ möchte ich in der vorliegenden Arbeit die Modalverben sollen und wollen und ihre verschiedenen Bedeutungen bzw. Bedeutungsvarianten untersuchen. Dabei soll es nicht nur um semantische Unterschiede in den Verwendungsweisen gehen, sondern auch um die pragmatische Funktion der Modalverben im Bezug auf Sprechakte.
Zunächst werde ich einige Ansätze zur Klassifizierung verschiedener Lesarten vorstellen.
Anschließend folgt ein Überblick über die Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte der behandelten Modalverben sollen und wollen, in dem auch die Wahl für gerade diese beiden begründet wird. Außerdem wird hier der epistemische Gebrauch der Verben gemeinsam behandelt, da die Verwendung sich bei beiden sehr ähnlich ist.
Der größte Teil der Arbeit wird sich dann aus semantischer Sicht mit der Betrachtung der unterschiedlichen nicht-epistemischen Verwendungsweisen beschäftigen, zuerst derjenigen von sollen, anschließend der von wollen.
Schließlich werde ich noch auf die Frage eingehen, welche pragmatische Funktion Modalverben innerhalb von Sprechakten haben, genauer: ob sie die Illokution eines Sprechaktes beeinflussen oder verändern und ob sie als illokutionäre Indikatoren bezeichnet werden können.
Bevor die unterschiedlichen Bedeutungen bzw. Bedeutungsvarianten konkret an den beiden Modalverben sollen und wollen erläutert werden, möchte ich hier zunächst einige Kategorisierungen vorstellen, die die verschiedenen Möglichkeiten zeigen, eine Äußerung und ihre aktuelle Bedeutung zu verstehen.
Die grundlegende Überlegung von Kratzer (1978) besagt, dass die Bedeutung eines Satzes aus der jeweiligen Äußerungssituation heraus verstanden werden kann (vgl. Kratzer 1978: 10 f). Am Beispiel von müssen erklärt sie, dass es eine Art isoliertes „Bedeutungsskelett“ des Modalverbs gibt, das bei jeder Äußerung unverändert bleibt und durch „im Hinblick auf“-Phrasen in seiner aktuellen Bedeutung spezifiziert wird. Da man solche Phrasen im normalen Gespräch jedoch nicht verwendet, muss die Äußerungssituation die Ergänzung oder Spezifizierung zum Bedeutungsskelett liefern (vgl. 1978: 104): „Modalwörter verlangen für ihre Interpretation in einer Situation einen Redehintergrund.“ (1978: 110). Der Redehintergrund liefert die Basis, auf welcher eine Äußerung verstanden wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Lesarten von Modalverben
3. Verwendungsweisen und Bedeutungsvarianten von sollen und wollen
3.1. Gemeinsame Eigenschaften und Berührungspunkte
3.1.1. Epistemischer Gebrauch von sollen und wollen
3.2. Sollen
3.2.1. Sollen in Aussagen über eigenes und fremdes Wollen
3.2.2. Imperativ und sollen in der 2. Person
3.2.3. Weitere Spezifizierungen im Gebrauch von sollen
3.2.4 Zusammenfassung
3.3. Wollen
3.3.1. Zusammenfassung
4. Modalverben als illokutionäre Indikatoren
5. Fazit
6. Literatur
1. Einleitung
Im Rahmen des Hauptseminars „Von Bedeutung“ möchte ich in der vorliegenden Arbeit die Modalverben sollen und wollen und ihre verschiedenen Bedeutungen bzw. Bedeutungsvarianten untersuchen. Dabei soll es nicht nur um semantische Unterschiede in den Verwendungsweisen gehen, sondern auch um die pragmatische Funktion der Modalverben im Bezug auf Sprechakte.
Zunächst werde ich einige Ansätze zur Klassifizierung verschiedener Lesarten vorstellen.
Anschließend folgt ein Überblick über die Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte der behandelten Modalverben sollen und wollen, in dem auch die Wahl für gerade diese beiden begründet wird. Außerdem wird hier der epistemische Gebrauch der Verben gemeinsam behandelt, da die Verwendung sich bei beiden sehr ähnlich ist.
Der größte Teil der Arbeit wird sich dann aus semantischer Sicht mit der Betrachtung der unterschiedlichen nicht-epistemischen Verwendungsweisen beschäftigen, zuerst derjenigen von sollen, anschließend der von wollen.
Schließlich werde ich noch auf die Frage eingehen, welche pragmatische Funktion Modalverben innerhalb von Sprechakten haben, genauer: ob sie die Illokution eines Sprechaktes beeinflussen oder verändern und ob sie als illokutionäre Indikatoren bezeichnet werden können.
2. Lesarten von Modalverben
Bevor die unterschiedlichen Bedeutungen bzw. Bedeutungsvarianten konkret an den beiden Modalverben sollen und wollen erläutert werden, möchte ich hier zunächst einige Kategorisierungen vorstellen, die die verschiedenen Möglichkeiten zeigen, eine Äußerung und ihre aktuelle Bedeutung zu verstehen.
Die grundlegende Überlegung von Kratzer (1978) besagt, dass die Bedeutung eines Satzes aus der jeweiligen Äußerungssituation heraus verstanden werden kann (vgl. Kratzer 1978: 10 f). Am Beispiel von müssen erklärt sie, dass es eine Art isoliertes „Bedeutungsskelett“ des Modalverbs gibt, das bei jeder Äußerung unverändert bleibt und durch „im Hinblick auf“-Phrasen in seiner aktuellen Bedeutung spezifiziert wird[1]. Da man solche Phrasen im normalen Gespräch jedoch nicht verwendet, muss die Äußerungssituation die Ergänzung oder Spezifizierung zum Bedeutungsskelett liefern (vgl. 1978: 104): „Modalwörter verlangen für ihre Interpretation in einer Situation einen Redehintergrund.“ (1978: 110). Der Redehintergrund liefert die Basis, auf welcher eine Äußerung verstanden wird. Kratzer nimmt verschiedene Unterteilungen vor, zum einen die zwischen referentiellem und attributivem Redehintergrund, zum anderen zwischen dem epistemischen, deontischen, dispositionellen und buletischen Redehintergrund (vgl. 1978: 101 ff.). Auf die einzelnen Eigenschaften der Redehintergründe möchte ich hier nicht eingehen, sondern nur auf den epistemischen Hintergrund hinweisen, der auch von Anderen häufig erwähnt und im weiteren Verlauf dieser Arbeit genauer erläutert wird.
Öhlschläger (1989) weist auf die verschiedenen Meinungen zur Kategorisierung von Modalverben hin, die sich vor allem in der Frage unterscheiden, ob Modalverben jeweils eine gleich bleibende Bedeutung mit diversen Varianten haben – wie Kratzer es anhand des „Bedeutungsskeletts“ mit verschiedenen ergänzenden Phrasen darstellt – oder ob sie mehrere voneinander zu trennende Bedeutungen haben (vgl. Öhlschläger 1989: 132).
Öhlschläger selbst geht von mehr als einer Bedeutung von Modalverben aus. Seine Einteilung, die er auch als am weitesten verbreitet einschätzt, ist die in die epistemische und die nicht-epistemische Verwendung, wobei die genaue Bezeichnung oft auch anders ist[2]. Weitgehend Einigkeit besteht nach Öhlschläger jedoch darüber, „daß die nicht-epistemischen Verwendungsweisen der Modalverben grundlegend sind und die epistemischen Verwendungsweisen als in irgendeiner Weise abgeleitet, als sekundär angesehen werden können“ (1989: 133). Daher müssen seiner Meinung nach mehrere Bedeutungen angenommen werden, jedes der Verben (außer möchte) wird außer in epistemische und nicht-epistemische Bedeutung noch weiter unterteilt; die verschiedenen Bedeutungen „stehen jedoch in einem systematischen Verhältnis zueinander“ (1989: 236).
Auf die genaue Bedeutung und die Unterschiede zwischen der epistemischen und der nicht-epistemischen Lesart im Fall von sollen und wollen wird in Kapitel 3.1.1. eingegangen.
Liedtke (1998) geht ebenfalls von einer Zweiteilung der Verwendungsweisen von Modalverben aus. Er bezeichnet sie (zumindest im Fall von sollen und wollen) als epistemische und deontische Lesart, wobei er wie Öhlschläger die deontische, also die nicht-epistemische Bedeutung als „die primäre, grundlegende Verwendung“ bezeichnet, „von der die epistemische im Zuge von Sprachwandels- und Grammatikalisierungsprozessen abgeleitet wurde“ (Liedtke 1998: 215).
Im Folgenden werden nun die Modalverben sollen und wollen – zunächst gemeinsam, anschließend jedes mit seinen Besonderheiten – in ihren unterschied-lichen Bedeutungsmöglichkeiten dargestellt, wobei auch der Unterschied zwischen der epistemischen und der nicht-epistemischen Lesart behandelt wird.
3. Verwendungsweisen und Bedeutungsvarianten von sollen und wollen
3.1. Gemeinsame Eigenschaften und Berührungspunkte
Die Entscheidung, im Rahmen dieser Arbeit die Modalverben sollen und wollen zu behandeln, war keine zufällige. Häufig werden die beiden Verben in der Literatur zusammen untersucht, da sie einige gemeinsame Eigenschaften besitzen und durch ihre Verwendungsweise und Bedeutung miteinander verbunden sind. Zunächst sollen hier diese Gemeinsamkeiten und die Gründe für die Paarbildung dargestellt werden, bevor in den folgenden Kapiteln beide Verben einzeln genauer untersucht werden. Auch dabei wird es jedoch immer wieder zu Überschneidungen kommen, da vieles für beide Verben gilt und schwer zu trennen ist.
Das Verhältnis der Bedeutungen von sollen und wollen ist eines „von interaktiver Qualität“ (Redder 1983: 108), d.h. ein Aktant will etwas, das ein anderer tun soll. Redder sieht den Berührungspunkt der beiden Verben darin, dass beide die „Realisierungsanforderung eines Ziels“ behandeln, mit dem einzigen Unterschied, dass die Perspektive jeweils eine andere ist (1983: 118). Betrachten wir folgende Beispielsätze:
(1) Sebastian will Max beim Umzug helfen.
(2) Sebastian soll Max beim Umzug helfen.
Beide Sätze haben den gleichen propositionalen Gehalt, nämlich dass Sebastian Max (zu einem zukünftigen Zeitpunkt) beim Umzug hilft. Die Unterschiede in der Bedeutung entstehen nun aus der Sichtweise der Aktanten. Redder spricht von einem Handlungsprozess, in dem Aussagen mit sollen und wollen verschiedene Stadien zwischen der Zielsetzung und der Ausführung repräsentieren: wollen ist „Ausdruck einer mentalen Tätigkeit“ bzw. einer „Zielorientierung“ (1983: 135), die im Laufe des Handlungsprozesses verwirklicht wird. Sollen bezieht einen weiteren Aktanten in den Prozess mit ein, der für die Ausführung der Handlung zuständig ist. Im Falle von wollen sind zielsetzender und handlungsausführender Aktant identisch, bei sollen dagegen nicht (1983: 135/136).
So wird mit (1) die Zielorientierung von Sebastian ausgedrückt, Max beim Umzug zu helfen, die später auch von ihm selbst verwirklicht wird. Sebastian ist also sowohl zielsetzender als auch handlungsausführender Aktant. In (2) ist Max der wollende, Sebastian der sollende Aktant. Auch Wunderlich schließt, „daß in einer modalen Kennzeichnung mit sollen der 'Träger' der Handlung (als das Subjekt von sollen) stets vom 'Veranlasser' der Handlung verschieden ist“ (Wunderlich 1980: 18).
Soll-Sätze sind also „Aussagen über fremdes Wollen“ (Glas 1984: 45). Dabei ist „das Subjekt von sollen [...] identisch mit dem Adressat von wollen “ (Wunderlich 1980: 18), also ist in (2) das Subjekt Sebastian derjenige, an den ein fremdes Wollen gerichtet ist. Dabei bleibt jedoch offen, wer der wollende Aktant ist. Die Deutung, Max wolle von Sebastian, dass er ihm hilft, ist nur eine Möglichkeit, also:
(2') Max will, dass Sebastian ihm beim Umzug hilft.
Eigentlich wird mit (2) jedoch nur ausgedrückt:
(2'') Jemand will, dass Sebastian Max beim Umzug hilft.
Glas spricht von einer „Will-Soll-Transformation“ bei der „der wollende Aktant getilgt“ (1984: 51) wird, ähnlich wie bei einer Aktiv-Passiv-Transformation das Subjekt getilgt wird[3].
3.1.1. Epistemischer Gebrauch von sollen und wollen
Ich möchte an dieser Stelle kurz auf die Gemeinsamkeiten beim epistemischen Gebrauch von sollen und wollen eingehen. Eine ausführlichere Darstellung zu den einzelnen Verben und deren nicht-epistemischen Verwendungsweisen folgt in den jeweiligen Kapiteln.
Als Beispiel für den epistemischen Gebrauch von sollen und wollen seien folgende Sätze gegeben, wobei (3) im Sinne von (3') und (4) im Sinne von (4') zu verstehen ist:
(3) Emil soll glücklich gewesen sein.
(3') Man sagt, Emil sei glücklich gewesen.
(4) Emil will glücklich gewesen sein.
(4') Emil sagt, er sei glücklich gewesen.[4]
Das wichtigste Kennzeichen der epistemischen Verwendung ist, dass sagen hier „immer im Sinne von behaupten “ (Öhlschläger 1989: 234) zu verstehen ist. Die einzige Unterschied besteht darin, wer die Behauptung äußert. Derjenige, der etwas behauptet, bleibt in einem soll -Satz unspezifiziert, während es im will -Satz die Subjekts-NP ist (vgl. 1989: 234).
Liedtke drückt dieses Verhältnis von Behauptung und behauptender Person so aus: während „sollen die Tatsache thematisiert, daß etwas behauptet wird “, qualifiziert „wollen [...] das im Infinitivkomplement Enthaltene als Behauptung der Person, auf die im Satz referiert wird“ (Liedtke 1998: 214/215).
Gemeinsam ist beiden Verben, dass sie eine Behauptung abschwächen oder modifizieren können bzw. „oft eine Abschwächung des Wahrheitsanspruchs von geäußerten Sätzen“ bewirken (Liedtke 1998: 214). Mit einer Äußerung wie (3) oder (4) wird also ausgedrückt, dass Emil nicht wirklich glücklich gewesen sein muss, sondern nur er oder eine andere Person dies behauptet hat. Der Sprecher distanziert sich so vom Wahrheitsgehalt der (in seiner Äußerung enthaltenen) Behauptung. Laut Öhlschläger ist es unklar, ob dies auch eine Skepsis des Sprechers ausdrückt oder ob er damit sogar anzeigt, die Behauptung für falsch zu halten. Klar bleibt jedoch eine Distanzierung, die bei wollen stärker ist als bei sollen (vgl. Öhlschläger 1989: 234). Demnach wird eine Behauptung, die die Subjekts-NP über sich selbst macht, eher angezweifelt als eine, die von einer anderen Person geäußert wird. Der Grund für die Distanzierung ist nach Öhlschläger jedoch nicht die Bedeutung der Modalverben selbst, sondern „eine konversationelle Implikatur in bestimmten Kontexten“[5]. Eine Äußerung mit epistemisch verwendetem sollen oder wollen kennzeichnet ausdrücklich eine fremde Behauptung bzw. qualifiziert „den propositionalen Gehalt [...]einer Äußerung ausdrücklich als eine Information aus zweiter Hand“ (Glas: 1984: 103). Wäre der Sprecher derselben Meinung oder würde die Behauptung für wahr halten, könnte er ebenso einfach sagen:
[...]
[1] Demnach ist z.B. der Satz „Amaranta muss die Mottenkugeln aus der Schublade entfernt haben“ so zu verstehen wie „Im Hinblick darauf, was wir wissen, muss Amaranta die Mottenkugeln aus der Schublade entfernt haben.“ Vgl. Kratzer 1978: 101-103
[2] Vgl. dazu Auflistung einiger Begriffspaare Öhlschläger 1989: 28
[3] Vgl. 1984: 50/51. Glas bezieht sich hier auf Welke (1965)
[4] Beispielsätze (3) – (4') aus Öhlschläger (1989)
[5] Öhlschläger 1989: 235. Er bezieht sich hier auf Wunderlich
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- Eva Kühl (Author), 2007, Bedeutungen, Bedeutungsvarianten und Funktionen der Modalverben sollen und wollen aus semantischer und pragmatischer Sicht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89366
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