Kern der Auseinandersetzung ist die Frage der Entwicklung und Durchsetzung der Menschenrechte in der politischen Theorie und Philosphie Noberto Bobbios. Noberto Bobbio ( † 9. Januar 2004) lehrte von 1948 - 1984 an der Universität Turin Rechts- und Staatsphilosophie. 1984 wurde er Senator der italienischen Republik auf Lebenszeit.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlegendes zum Verständnis der Argumentation von Nober- to Bobbio
2.1 Das Menschenbild Bobbios
2.2 Die geschichtsphilosophische Betrachtungsweise
3 Die Entwicklung der Menschenrechte
3.1 Die philosophische Herausbildung der Menschenrechte als Freiheitsrechte
3.2 Die Phase der Konkretion der Menschenrechte als politische Rechte
3.3 Die universale und positive Errichtung der Menschenrechte als soziale Rechte
4 Die Umsetzungsproblematik der Menschenrechte
4.1 Die Frage nach Macht und Einfluß
4.2 Die Frage nach Freiheit und Toleranz
4.3 Die Frage nach der gesellschaftlichen Entwicklung
5 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Wie sich das menschliche Zusammenleben international in den nächsten Jah- ren gestalten wird, ist angesichts der derzeitigen weltpolitischen Ereignisse, eine spannende und sich aufdrängende Frage. Dabei spielen die Menschen- rechte als Grundlage der Vereinten Nationen eine besondere Rolle. In vielen Deklarationen und völkerrechtlichen Verträgen kommen sie zum Ausdruck und doch scheinen sie gleichzeitig ein unerreichbares Ideal zu sein. Noberto Bobbio macht auf eindrucksvolle Weise die Menschenrechte zum Gegenstand seiner Überlegungen. Dabei geht es ihm nicht nur um die Frage, wie und wodurch menschliches Zusammenleben international geordnet werden kann, sondern vor allem auch zu welchen Schwierigkeiten es dabei kommt und worin sie begründet sind. Denn nur die Existenz der Menschenrechte hat seit ihrer Deklaration menschliches Zusammenleben nicht friedlich ordnen können. Diese Arbeit ist wie es der Titel schon ausdrückt immanenter Natur. Sie soll die spezifische Sicht Bobbios zur Problematik der Menschenrechte darstellen. Ich beziehe mich, vor allem aufgrund der Fülle der von Bobbio veröffentlichten Titel, auf einige spezielle Werke, in denen Bobbio diese Frage- stellung zusammenfassend thematisiert. Die notwendigen Verbindungen, die für das Verständnis der Arbeit relevant sind, zeige ich auf. Ansonsten, auch bedingt durch die starke Auseinandersetzung Bobbios mit zahlreichen Klas- sikern der politischen und philosophischen Theorie, bleibt die Darstellung eingegrenzt. Bobbio selber hat das hier aufgezeigte Problemfeld politischer Wissenschaft unter verschiedenen Blickwinkel aufgezeigt. Sei es in der Frage nach der Zukunft der Demokratie oder in der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des Rechtsstaates. (vgl. Bobbio 1988, Bobbio 1989b) Jedoch bilden die Menschenrechte das Zentrum für die Wechselbeziehung zwischen Demokratie und Rechtsstaat. (vgl. Schulte 2001, S.76) Ich stelle daher im ers- ten Teil meiner Arbeit die grundlegende Sichtweise von Noberto Bobbio dar, um es dem Leser zu ermöglichen, die Argumentation, die Bobbio aufstellt, besser nachvollziehen zu können. Es ist aus meiner Sicht daher notwendig, sowohl das Menschenbild, wie auch die methodologische Vorgehensweise von Noberto Bobbio aufzuzeigen. Im zweiten Teil meiner Arbeit folge ich nun der Argumentation Bobbios über die Entwicklung der Menschenrechte. Bobbio zeigt auf, dass diese als Teil der sozialen Entwicklung des Menschen zu sehen sind und insofern auch dem sozialen Wandel unterliegen. Eine Sicht- weise, die es ermöglicht, die spezifischen Probleme in der Umsetzung der Menschenrechte zu erhellen. Darauf aufbauend stelle die damit verbundenen Probleme zum Schutz aber auch zur Durchsetzung der Menschenrechte dar. Für Bobbio ist diese Frage eine selbstverständliche. Recht und Macht (i.S. der Möglichkeit Recht durchzusetzen) sind in der Sichtweise Bobbios zwei Seiten einer Medaille, die sich gegenseitig bedingen. Im Schlussteil fasse ich diese Argumentation noch einmal zusammen.
2 Grundlegendes zum Verständnis der Argumentation von Noberto Bobbio
2.1 Das Menschenbild Bobbios
Um sich der Argumentation von Bobbio zu nähern, sollen an dieser Stelle biographische Daten und Grundannahmen von Noberto Bobbio dargestellt werden. Schon daran lässt sich erkennen wie stark die zentralen Themen
Bobbios auch immer einen Teil seiner Lebenserfahrungen und die Ausein- andersetzung damit widerspiegeln.1 Bobbio wurde am 18. Oktober 1909 in Turin geboren. Und wie er selber sagt, „Der Ablauf meines Lebens fällt zum größten Teil mit dem geschichtlichen Zeitraum zusammen, der zu Recht oder zu Unrecht ‚europäischer Bürgerkrieg‘ genannt wurde. Es ist der Zeitraum, der mit der Prophezeiung vom ‚Untergang des Abendlandes‘ beginnt, um mit dem triumphalen Sieg der größten westlichen Macht und der voreili- gen Deklaration des Ende der Geschichte zu enden (Bobbio 1999, S.72).“ Bobbio bekommt seine gymnasiale und juristische Ausbildung zur Zeit des Faschismus von Mussolini; „[...] als Mussolini die Macht ergriff, war ich wenige Tage zuvor dreizehn Jahre alt geworden; als er am 25. Juli 1943 stürzte, war ich vierunddreißig und inzwischen an der Schwelle zur ‚Hälf- te des Lebens‘ angekommen (Bobbio 1999, S.72).“ Doch dann kamen die zwanzig Monate Befreiungskriege, die so Bobbio „für die Geschichte meiner Generation von entscheidender Bedeutung“ war. So spaltete sich alles in „[...] ein ‚vorher‘, eine Zeit in der wir versucht haben zu überleben, indem wir einige unvermeidliche Kompromisse mit unserem Gewissen schlossen und gleichzeitig noch die winzigsten Freiräume ausnutzten, die das faschistische Regime, eine weniger grausame Diktatur als die der Nazis, uns offenließ [...]“ und „[...] ein ‚nachher‘, die Zeit, in der ein teilweise erbarmungsloser Bürgerkrieg zur Geburt unserer Demokratie führte (Bobbio 1999, S.72).“
2 Grundlegendes zum Verständnis der Argumentation von Noberto Bobbio
Von diesem Zeitpunkt an waren Demokratie und Frieden der „Magnet“ seiner wissenschaftlichen Laufbahn (Bobbio 1999, S.108). Daher beschäftigte sich Bobbio von Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn an mit Fragen der Rechtsphilosophie, im speziellen der allgemeinen Rechtstheorie. Ihn interes- sierte aber die Rechtsphilosophie wie er selber sagt mehr sub specie iuris als sub specie philosophiae; als eine Disziplin, die sich eher an Juristen denn an Philosophen wendet (Bobbio 1999, S.73). Seine Auffassung unterschied sich dadurch von der vorherrschenden am Idealismus orientierten. Diese, wie Bobbio es nennt, spekulative Philosophie, hatte jedoch wenige Hilfen geben können, um die „Tragödie Europas“ verstehen zu können (Bobbio 1999, S.75). In einem „Prozess allmählicher Befreiung von den Ideen, Orien- tierungen und geistigen Leitbildern, die ein Erbe aus dem kulturellen Umfeld meiner Ausbildung und meiner philosophischen Lehrjahre waren“, bekam der von Kelsen postulierte Rechtspositivismus2 eine zentrale Bedeutung für Bobbio auf dem Weg zu einer analytischen Philosophie. Neben dieser methodologischen Auffassung, die in der Tradition der Aufklärung, ganz besonders den Ideen von Immanuel Kant, steht, spielt besonders Thomas Hobbes eine wichtige Rolle für Bobbio. Auch Bobbios Menschenbild ist geprägt von einer realistischen, wenn auch pessimistischen Sicht, die für ihn deutlich wird im „Hang des Menschen zur Gewalt, zur Leidenschaft und zum Betrug (Schulte 2001, S.71).“ Diese Sichtweise eines „pessimistischen Gemüts“ wie es Bobbio selbst bezeichnet (Bobbio 1999, S.19) verbindet sich mit seiner methodologischen Auffassung von empirischer Philosophie zu einer Ablehnung des Optimismus als eine Art Prophetentum, welches letztendlich „eine[r] Weigerung zu denken [ist], aus Angst vor den Schlußfolgerungen, zu denen man gelangen könnte (Bobbio 1999, S.19).“ „Die Tätigkeit des Propheten schickt sich nicht für einen Wissenschaftler (Bobbio 1999, S.88).“3 Nun ist die weitere Entwicklung der politischen Philosophie nicht ohne Blick auf Bobbios Biographie zu erklären. Denn Bobbio reiht sich zwar ein in eine „distanzierte, verstehende“ Soziologie; die Ereignisse in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts zwangen ihn jedoch dazu, aktiv an der politischen Auseinandersetzung teilzunehmen. Bobbio gründete mit mehre- ren Freunden und Intellektuellen die Aktionspartei, die liberalsozialistisch orientiert, im Widerstand mitarbeitete und auch noch bei den ersten Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung 1946 in Italien antrat, bevor sie sich selbst auflöste (Bobbio 1989a, S.887). Die Erfahrungen, die er dort machte, bestärkten ihn nur in seinen Ansichten, mißtrauisch gegenüber einer von Ideologien geprägten Politik zu sein, die sich ihrer Logik folgend gegenseitig ausschließen, dafür einzutreten, dass die gesellschaftliche Steuerung durch Gesetze erfolgte und nicht durch Menschen, dass die Demokratie eine er- zieherische Funktion für ein Volk [insofern auch für Menschen, M.E.] hat, und das Eintreten für eine laizistische Politik sowie die Bewunderung des politischen Systems Englands (Bobbio 1999, S.80). Die Überwindung der Spaltung der Welt in ideologische Lager4 kann durch Bobbio auf zwei Arten aufgelöst werden: theoretisch durch den Weg des liberalen Sozialismus, der „auf der Überzeugung beruht, dass Freiheit und Gerechtigkeit notwendige Prinzipien einer vollendeten, also einer nicht lediglich formalen, sondern substantiellen Demokratie sind (Bobbio 1999, S.84)“ und praktisch durch den Dialog zwischen den Lagern unter der ausgleichenden Funktion der Intellektuellen auf der Suche nach neuen Wegen. Diesen Dialog führt Nober- to Bobbio wohl jetzt schon über sechs Jahrzehnte und Gegenstand seiner Debatten ist das menschliche Zusammenleben und Überleben (Schulte 2001, S.71). Dabei spielt die Wechselbeziehung zwischen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten eine besondere Rolle (Schulte 2001, S.79). So liegen der Argumentation Bobbios letztendlich seine Überzeugungen zu Grunde, wie er sie selbst folgendermaßen beschreibt: „Meine Grundüberzeugungen haben sich im letzten halben Jahrhundert nicht geändert: Ich bin weiterhin ein getreu an die Aufklärung Glaubender, ein Demokrat, ein Empirist in der Philosophie... (Bobbio 1989a, S.888).“
2 Grundlegendes zum Verständnis der Argumentation von Noberto Bobbio
2.2 Die geschichtsphilosophische Betrachtungsweise
Bobbio betrachtet die Menschenrechte unter einem ganz besonderem Blick- winkel. Diesen Blickwinkel nennt er geschichtsphilosophisch (Bobbio 1998, S.38). Die Geschichtsphilosphie betrachtet den Geschichtsverlauf als ein von Anfang bis Ende auf ein Ziel, ein telos, gerichteten (Bobbio 1998, S.39). Somit werden Tatsachen als Indizien „einer nicht notwendigerweise bewußten Bewegung in eine bereits von vornherein feststehende Richtung“ erkannt (Bobbio 1998, S.39). Diese Sichtweise, in der sich das Menschenbild Bobbios vom Mensch als ein teleologisches Wesen zeigt, soll helfen, den Sinn von Ereignissen zu verstehen. „Die Perspektive der Geschichtsphilosophie stellt eine Transposition dieser finalistischen Interpretation des Handelns jedes Ein- zelnen auf die Ebene der gesamten Menschheit dar, so als ob die Menschheit ein einziges riesiges Individuum wäre, dem wir dieselben Eigenschaften wie einem wirklichen Individuum im Kleinen zuschreiben (Bobbio 1998, S.40).“ Allerdings, so Bobbio, muß man sich bei dieser Sicht der Dinge bewußt machen, dass man sich in die Nähe spekulativer Philosophie begibt (Bobbio 1998, S.40). Es stellt sich dabei nämlich die Frage, ob es ein „Endziel“ der Menschheitsgeschichte geben kann. Während Kant dem Menschen eine mo- ralische Anlage unterstellt, die die Geschichte kontinuierlich zum Besseren bewege (Bobbio 1998, S.40), verneint der „pessimistische Aufklärer“ Bobbio dieses. (vgl. Bobbio 1989a, S.890) Jedoch wird unter dem geschichtsphiloso- phischen Blick die Debatte um die Menschenrechte für Bobbio ein signum prognosticum des moralischen Fortschritts der Menschheit (Bobbio 1998, S.42). Dieser moralische Fortschritt ist jedoch bei Bobbio kein irreversibler oder unendlicher, wie er es in der Philosophie des 19. Jahrhunderts war, noch ein unmöglicher. Er entspringt dem wachsenden Bedürfnis der Menschen, den Umstand ändern zu wollen, dass sie mit einem Bewußtsein von Leid und Unglück leben müssen (Bobbio 1998, S.45). Denn die Menschheitsgeschichte ist, so Bobbio eher von Dunkelheit überschattet (Bobbio 1998, S.44). Die Menschen entwerfen deshalb, im Sinne des Menschenbildes von Hobbes, ein Regelwerk, welches das Zusammenleben ermöglichen soll, indem bestimmtes Verhalten sanktioniert oder belohnt wird (Bobbio 1998, S.46). Die Menschen- rechte sind daher ein Ergebnis dieser Entwicklung. Diese Entwicklung hat nach Bobbio keinen Sinn a priori, sondern „die Geschichte kann nur den Sinn haben, den wir ihr von Mal zu Mal, je nach Situation, nach unseren Wünschen und Hoffnungen, zuschreiben (Bobbio 1998, S.58).“5 Insofern ist die Entwicklung der Menschenrechte auch unter dem besonderen Kontext gesellschaftlicher Entwicklung zu sehen.
[...]
1 Bobbio selbst gibt eine solche Darstellungslogik vor. Ich beziehe mich überwiegend auf Bobbios Kapitel „Intellektuelle Autobiographie“ und „Eine Bilanz“ in seiner Schrift „Vom Alter“.
2 Der Positivismus hat seine Begründung in August Comte, der die systematische Be- obachtung als alleinige Quelle der Erkenntnis im Gegensatz zur Metaphysik oder Theologie ansah. In der Rechtswissenschaft bedeutet dies, dass Recht oder Unrecht allein anhand des geltenden Rechts zu beantworten ist. (vgl. Lindner 2001, S.728)
3 Bobbio bezieht sich hier auf einen weiteren Klassiker der Soziologie, nämlich Max Weber mit seinem Ansatz einer distanzierten, verstehende Soziologie. (vgl. Bobbio 1988, S.7)
4 Auch nach dem Ende des sogenannten „real existierenden Sozialismus“ oder „historischen Kommunismus“ besteht diese Spannung für Bobbio weiter. Allerdings nicht in der Staatsform, sondern in der Frage, ob die Menschen das Bestehen von ungerechtfertigter Diskriminierung und sozialer Ungleichheit eher nach dem Ideal der Gleichheit oder nach dem Ideal der Freiheit auflösen wollen. (vgl. Bobbio 1994, S.89)
5 Otto Kallscheuer verweist an dieser Stelle auf die Nähe Bobbios zu John Dewey, als Vertreter des pragmatischen Idealismus, der von ends-in-view spricht, und damit meint, dass Geschichte und somit auch ihr Sinn immer kontext- und situationsabhängig verläuft (Kallscheuer 1998, S.115).
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