Rückzüchtung und Erhaltungszüchtung von Nutztierrassen


Diploma Thesis, 2006

119 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Grundbegriffe der Arbeit
2.1 Der Rassebegriff und dessen Entwicklung
2.2 Rückgang der Rassenvielfalt
2.3 Gefährdungskriterien / Erhaltungskriterien
2.4 Erhaltungszüchtung / Rückzüchtung
2.4.1 Argumente für / gegen Erhaltungszucht
2.4.2 Formen der Erhaltung – Erhaltungsstrategien
2.4.2.1 Ex-situ-Erhaltung
2.4.2.2 In-situ-Erhaltung
2.4.3 Fördermaßnahmen / Haltungsprämien
2.4.4 Argumente für / gegen Rückzüchtung
2.5 Züchterische Grundlagen und Methoden
2.5.1 Zuchtmethoden
2.5.2 Inzuchtproblematik
2.5.3 Heterosiseffekte

3. Erhaltungszuchtprogramme
3.1 Schwäbisch-Hällisches Schwein
3.1.1 Ausgangssituation / Geschichte
3.1.2 Erhaltungszucht
3.1.3 Perspektiven
3.2 Rotes Höhenvieh
3.2.1 Ausgangssituation / Geschichte
3.2.2 Erhaltungszucht
3.2.3 Perspektiven
3.3 Schwarzwälder Kaltblut
3.3.1 Ausgangssituation / Geschichte
3.3.2 Erhaltungszucht
3.3.3 Perspektiven

4. Rückzüchtungsprogramme
4.1 Deutsches Weideschwein
4.1.1 Ausgangssituation / Geschichte
4.1.2 Rückzüchtung
4.1.3 Perspektiven
4.2 Auerochse / Ur
4.2.1 Ausgangssituation / Geschichte
4.2.2 Rückzüchtung
4.2.3 Perspektiven
4.3 Tarpan
4.3.1 Ausgangssituation / Geschichte
4.3.2 Rückzüchtung
4.3.3 Perspektiven

5. Diskussion

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

8. Anhang

Verzeichnis der Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einführung

Seit einigen Jahren werden immer mehr gefährdeter Haustierrassen in so genannte Erhaltungszuchtprogramme aufgenommen. Diese Zuchtprogramme sollen verhindern, dass ständig weitere unserer ursprünglichen Nutztierrassen unwiederbringlich verloren gehen.

Aber was genau ist eigentlich eine Erhaltungszüchtung? Und wie unterscheidet sie sich von einer Rückzüchtung?

Das Ziel dieser Arbeit ist es, zum einen einen Überblick zu geben, was Erhaltungszüchtungen und Rückzüchtungen überhaupt sind, wie sich diese beiden gegeneinander absetzen, wie sie in Deutschland organisiert werden und welche Rassen von entsprechenden Programmen betroffen sind. Zum anderen, soll eine kritische Betrachtung der Erhaltungszucht und der Rückzüchtungen angestellt werden, um schließlich den Sinn und die Berechtigung solcher Zuchtprojekte abschätzen zu können. Dazu werden im Folgenden zunächst einzelne Zuchtprogramme genauer dargestellt, um eine Beurteilung des Vorgehens innerhalb von Zucht und Haltung treffen zu können. Außerdem sollen die einzelnen Programme schließlich miteinander verglichen werden, um auch hier die Zweckmäßigkeit der Erhaltungs- bzw. Rückzüchtungen beurteilen zu können.

Diese Arbeit ist ausschließlich auf Erhaltungszuchtprogramme und Rückzüchtungen innerhalb Deutschlands beschränkt, da im europäischen Ausland eine solch hohe Anzahl von Zuchtprogrammen durchgeführt wird, dass eine Bearbeitung aller Programme den Rahmen dieser Arbeit bei weitem überschreiten würde.

Die große Zahl an Geflügelrassen, mit denen verschiedenste Erhaltungszuchten durchgeführt werden, wurde in ebenfalls nicht berücksichtigt, da dies allein ein so umfangreiches Feld ist, dass ein kurzer Einblick in die Geflügelzucht nicht ausreichen würde um ihm gerecht zu werden. Bei Interesse an diesem Themengebiet, sei an dieser Stelle auf Herrn Dr. Weigend verwiesen. Die Kontaktdaten sind im Anhang dieser Arbeit zu finden.

Ziegen, Schafe, Esel, Kaninchen und auch Hunde werden ausschließlich in der Betrachtung der Roten Liste der GEH und ähnlichen Übersichten vorgestellt.

Um auf den Titel der Diplomarbeit zurückzukommen, wurden für eine Bearbeitung die drei, wohl gebräuchlichsten Nutztierrassen - Schweine, Rinder und Pferde, die in der Rückzüchtung und Erhaltungszüchtung Beachtung finden ausgewählt.

Um einen Einblick in das Vorgehen bei einem solchen Zuchtprogramm geben zu können, wird zwar kurz auf alle in Deutschland in Erhaltungszuchten betreuten Rassen eingegangen (vgl. Kap.2), dann jedoch die genauere Darstellung auf jeweils drei Rassen und deren Erhaltungs- und Rückzüchtungen beschränkt.. Warum wurden nun gerade diese drei Rassen gewählt? Da bei der Rückzüchtungsarbeit der Auerochse, der Tarpan und das Deutsche Weideschwein die bekanntesten Rückzüchtungen darstellen, wurden auch für die Erhaltungszüchtung entsprechend eine Schweine-, eine Rinder- und eine Pferderasse gewählt, um einen direkten Vergleich der Programme zu ermöglichen. Die genauere Auswahl der Rassen wurde auf Grund des Erfolgs dieser Erhaltungszuchtprogramme getroffen. Anhand der drei Beispiele kann sowohl eine erfolgreiche Zucht als auch eine bisher positiv verlaufende Vermarktungsstrategie vorgestellt werden. Es handelt sich also sowohl im dritten als auch im vierten Kapitel jeweils um eine Schweinerasse, eine Rinderrasse und eine Pferderasse, die genauer betrachtet werden. Dazu wird jeweils zu Beginn auf die typischen Rassemerkmale eingegangen, bevor die Geschichte der Rasse, die Maßnahmen der Erhaltungs- bzw. Rückzüchtung und anschließend die derzeitigen Perspektiven genauer vorgestellt werden.

Im Text werden unterschiedliche Organisationen und Programme einfachheitshalber mit Abkürzungen benannt. Die entsprechenden Erläuterungen findet der Leser im Verzeichnis der Abkürzungen zu Beginn dieser Arbeit.

Die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall und insbesondere Herrn Bühler und Herrn Zimmer verdient an dieser Stelle besondere Erwähnung und Dank, da Sie mit ausführlicher und schneller Information wesentlich zu dieser Arbeit beigetragen haben.

Im Gegensatz zu dieser erfreulichen Unterstützung gab es leider sehr große Schwierigkeiten entsprechend ausführliche Informationen von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) zur Verfügung gestellt zu bekommen. Erst nach zahlreichen erfolglosen Versuchen per E-Mail und Telefon Kontakt herzustellen, gelang es schließlich durch ein persönliches Erscheinen in der Geschäftsstelle, Informationsmaterial für diese Arbeit zu erlangen. Da diese Gesellschaft am besten über die derzeitigen Erhaltungszuchtprogramme informiert ist und auch einen großen Anteil an der Organisation dieser Projekte hat, sowie sich die Informationsvermittlung an die Öffentlichkeit zur Aufgabe gemacht hat, ist es besonders enttäuschend, wie schwer es interessierten Personen gemacht wird, über den Internetauftritt hinaus fachliche Informationen für zu erhalten.

Da sich diese Arbeit, wie bereits erwähnt, ausschließlich auf deutsche Zuchtprogramme beschränkt, wurde auch in der Literaturarbeit deutsche Literatur bevorzugt behandelt. Im zweiten Kapitel wurde zudem häufig ältere Literatur genutzt, da es sich hier oft um grundsätzliche Methoden und Informationen handelt, die sich im Laufe der Zeit kaum wesentlich verändert haben. So wird im Kapitel 2.5 bspw. des öfteren COMBERG 1980 zitiert, um die Grundzüge der Zuchtmethoden zu erläutern. Und auch zur geschichtlichen Entwicklung des Rassebegriffes und der Entstehung der Zucht wurde durchaus auf ältere Literatur zurückgegriffen, da gerade diese Autoren die entsprechenden, ausführlichen Informationen lieferten.

Aus den gleichen Gründen, aus denen bei der Bearbeitung der Grundlagen für diese Arbeit ältere Literatur verwendet wurde, ist bei den aktuellen Themen, also der Erhaltungszucht und der Rückzüchtung, sowie bei der Beschreibung der unterschiedlichen Rassen häufig auf Information aus dem Internet zurückgegriffen worden. Dies erlaubte gerade bei aktuellen Entwicklungen die neuesten Informationen in der Arbeit zu verwenden.

Obwohl es mir bewusst ist, wie umstritten die Zuverlässigkeit der Internetenzyklopädie Wikipedia ist, habe ich mich in einigen Gebieten, in denen ich auf anderen Wegen keine weiteren Informationen finden konnte, auf diese berufen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Untersuchung des Wissenschaftsmagazins Nature hinweisen, aus der hervorgeht, das dass die Genauigkeit und Qualität der Beiträge dieser Enzyklopädie in den Naturwissenschaftlichen Themengebieten nicht gravierend von der Genauigkeit der Encyclopaedia Britannica abweicht. In den deutschen Medien wurde diese Untersuchung ebenfalls mehrfach aufgenommen, weshalb ich davon ausgehe, dass sich die Ergebnisse bezüglich der Zuverlässigkeit auf die deutsche Wikipedia Version, die ja schließlich nach dem gleichen System vorgeht wie die englischsprachige, übertragen lassen (vgl.: GILES 2005; KOHLENBERG 2006; SPIEGEL.DE 2005).

Für die rassespezifischen Grundlagen wurden häufig Informationen aus Promotionsarbeiten genutzt, weil diese meist ausschließlich eine einzelne Rasse behandeln und dementsprechend ausführliche Informationen liefern konnten. Während es zu unterschiedlichen Erhaltungszuchtprogrammen zahlreiche Publikationen und auch Ansprechpartner gibt, die gerne bereit sind Informationen zu liefern, waren zu dem gesamten Themengebiet der Rückzüchtung leider kaum wissenschaftliches Informationsmaterial vorhanden. Dementsprechend ist es nicht immer gelungen die Themengebiete die im Kapitel der Erhaltungszucht bearbeitet wurden auch im vierten Kapitel – Rückzüchtungsprogramme – zu bearbeiten. Auch die Ausführlichkeit der einzelnen Unterpunkte fällt auf Grund der oft sehr eingeschränkten Literaturlage unterschiedlich aus.

Für mich war die Arbeit an dieser Diplomarbeit ein persönlicher Gewinn, nicht nur durch den gewonnenen fachlichen Überblick sondern durch die vielen bereichernden Kontakte. Ich lernte engagierte Züchter kennen und war positiv überrascht von der teils überwältigenden Unterstützung, z.B. bei den Fotoaufnahmen im Tierpark Sababurg, die ich erfahren durfte.

Ich würde mich freuen, wenn diese Arbeit eine Lücke in der bisher existierenden Literatur zu Thema schließt.

2. Grundbegriffe der Arbeit

Um sich mit diesem Thema der Erhaltungszüchtung und Rückzüchtung sinnvoll auseinander setzen zu können, ist es notwendig, sich vorher mit einigen Grund-begriffen der Tierzüchtung zu beschäftigen. Themen wie der Rassebegriff, die Erhaltungszucht und Rückzüchtung selbst und einige praktische züchterische Grundlagen werden dementsprechend in diesem Kapitel behandelt, um den Umgang mit der Thematik in den darauf folgenden Anwendungsbeispielen des dritten und vierten Kapitels zu erleichtern.

Zunächst wird in diesem Kapitel genauer auf den Begriff der Rasse eingegangen, über den in der Literatur zahlreiche, nicht immer übereinstimmende Definitionen zu finden sind. Da eine klare Definition des Rassebegriffs jedoch essentiell für eine sinnvolle Auseinandersetzung mit jeder Art der Zucht ist, werde ich mich in diesem Kapitel auf eine Rassedefinition festlegen, die der folgenden Arbeit zur Grunde liegt. Anschließend wird im Kapitel 2.2 der Rückgang der Rassenvielfalt und deren Ursachen dargestellt, welche überhaupt erst entsprechende Erhaltungs- und Rückzüchtungs-Bemühungen bedingt haben. In Kapitel 2.3 werden einige ausgewählte Gefährdungs- und Erhaltungskriterien aus der Literatur vorgestellt und auf deren unterschiedliche Hintergründe hingewiesen, um dem Leser die formelle Vorarbeit und die theoretischen Grundlagen, die hinter den später im Einzelnen betrachteten Zuchtprogrammen stehen, zu verdeutlichen. Die Bedeutung der Erhaltungszüchtung sowie der Rückzüchtung und deren Abgrenzung voneinander werden in Kapitel 2.4 hervorgehoben, bevor im Kapitel 2.5 einige grundlegende Methoden und die praktische Arbeit der Zucht erläutert wird.

2.1 Rassebegriff und dessen Entwicklung

Der Rassebegriff stellt ein wichtiges Grundelement der Tierzüchtung dar. Ohne eine feste Definition was eine Rasse ausmacht, und wie sie sich von anderen Rassen absetzt kann keine sinnvolle züchterische Einflussnahme stattfinden. Aus diesem Grunde wird der Rassebegriff in diesem Kapitel eingehender behandelt und in unterschiedlichem Kontext dargestellt, um schließlich eine für diese Arbeit passende Rassedefinition vorzustellen.

In der Literatur findet man zahlreiche Definitionen des Begriffes „Rasse“.

Aus phylogenetischer Sicht könnten Rassen als Untergliederung von Arten also als Unterarten verstanden werden. Innerhalb des Phylogenetischen Systems findet eine Aufspaltung vom Stamm (z.B. Tier) in Klasse, Ordnung, Familie, Gattung und Art statt. Würde man diese Aufspaltung nun weiterführen, käme man anschließend zu Rassen innerhalb der Arten. In diesem Fall würden die Rassen als Unterarten gelten. Problematisch bei diesem Gebrauch des Rassebegriffs ist, dass Rassen und Schläge nicht immer zweifelsfrei anhand von zum Beispiel morphologischen Merkmalen voneinander unterschieden werden können. Ob man deshalb entsprechende biologische Modelle überhaupt auf die Züchtung und Rassenentstehung heutiger Nutztiere anwenden kann ist fraglich. So wird innerhalb des Phylogenetischen Systems beispielsweise zwischen Spezies unterschieden, während der Begriff der Rasse eine Untergliederung innerhalb der Arten vornimmt. Zudem geht die Evolutionsgeschichte nach heutigem Wissensstand davon aus, dass eine ständig fortlaufende Aufspaltung stattgefunden hat, von der an sich die einzelnen Spezies durch Selektion, Mutation und genetische Drift immer weiter voneinander differenziert haben. Bei der Bildung von Rassen war bzw. ist dies keineswegs der Fall. Hier kam und kommt es zu einer ständigen Kreuzung verschiedener Rassen. Durch Einkreuzungen, Rückkreuzungen, Aufspaltungen und erneute Verzweigung entsteht schließlich eine neue, eigenständige Rasse, die wiederum im Laufe der Zeit einer ständigen Entwicklung unterliegt (BMELV 2002).

Bei HAMOND/JOHANSSON und HARING (1961) sind zwei Definitionen des Begriffes „Rasse“ zu finden:

Biologische Sicht:

„Eine Population von gegenseitig variierenden Individuen, die dennoch in den meisten Fällen, sowohl genotypisch als auch phänotypisch miteinander größere Ähnlichkeit haben als mit anderen Rassen“

Tierzüchterische Sicht:

„Mit Tieren reiner Rasse meint man Tiere, die hinsichtlich Abstammung, Exterieur und Produktion gewisse, von der Zuchtleitung aufgestellte Forderungen erfüllen.“ (vgl. SAMBRAUS 2001)

Eine Synthese der tierzüchterischen und biologischen Definition des Rassebegriffes stellen HERRE und RÖHRS (1990) vor. Sie bezeichnen eine Rasse als Untereinheiten einer Art, die sich durch erbliche Faktoren voneinander unterscheiden. Da sich die tierzüchterische und die biologische Definition in dieser Aussage vereinbaren lassen habe ich diese Beschreibung des Rassebegriffes in meine Arbeit mit aufgenommen. Der Begriff der Rasse wird dabei jedoch ausschließlich innerhalb von Haustieren angewandt (HERRE und RÖHRS 1990).

Aus der oben ausgeführter tierzüchterischen Definition folgt, dass es um ein einzelnes Tier einer Rasse zuordnen zu können, klare Bestimmungen geben muss, die Abstammung, sowie morphologische und physiologische Merkmale innerhalb einer Rasse festlegen. Die Festlegung solcher morphologischer und leistungsbezogener Zuchtziele begann erst Ende des 18. Jahrhunderts (EHLING et al.1994). Durch die Eröffnung von Zuchtbüchern wurden einzelne Rassen Mitte des 19. Jahrhunderts offiziell voneinander getrennt (OETMANN 2000). Heutige Rassen und die enthaltene genetische Variabilität sind dementsprechend zu einem großen Prozentsatz vom Menschen kreiert worden. Eine Abgrenzung zwischen diesen Rassen ist teilweise nur noch auf genetischer Ebene also durch eine DNA-Analyse möglich (EHLING et al.1994). Da lebende Populationen jedoch eine ständige Entwicklung und Veränderung durchmachen, ist eine Rasse nicht als statischer Begriff zu sehen (OETMANN 2000). So sollte die Festlegung des momentanen Zustandes beispielsweise einer Milchviehrasse alle 20 Jahre erneuert werden, um den sich ändernden Merkmalen aber auch den sich ändernden Anforderungen an die Zucht und den daraus resultierenden Produkten Rechnung zu tragen (KUSTERMANN 1994).

In dieser Arbeit wird größtenteils auf die oben genannte tierzüchterische Sicht der Rassedefinition von HAMOND/JOHANNSSON und HARING Bezug genommen. Auch die Biologische Sichtweise wird dabei nicht aus den Augen verloren. Diese wird jedoch im Einzellfall explizit angesprochen werden. Die angegebene Rassedefinition von HERRE und RÖHRS lässt sich sowohl auf die biologische als auch auf die tierzüchterische Definition der Rasse von HAMOND/JOHANNSSON und HARING anwenden, und wird deshalb als Grundlage mit einbezogen.

Zucht- und Rasseentwicklung

Die frühesten Knochenfunde von Haustieren stammen aus einer Zeit um 7500-6500 v. Chr. von Schweinen und 3500 v. Chr. von Pferde (EHLING et al. 1994). Sie belegen unterschiedlich ausgeprägte Größen und Formen der Tiere in verschiedenen Regionen, die vermutlich in erster Linie durch die dort herrschenden geographischen und klimatischen Bedingungen entstanden sind (DEWENTER 1997). Diese so genannten Landrassen kamen bis vor etwa 200 Jahren über einen langen Zeitraum noch ohne große Veränderungen vor, da ihre Eigenschaften, wie oben erwähnt, vor allem durch die geographischen und klimatischen Gegebenheiten ihrer Region und die gleich bleibende Nutzung bestimmt wurden. Aufgrund der geringen Unterschiede der Rassen innerhalb einer Region wurden die verschiedenen Typen der einzelnen Populationen oft als Schläge bezeichnet (DEWENTER 1997).

Durch die zu Beginn unsystematische und später gezielte Zuchtarbeit des Menschen entwickelten sich im Laufe der Zeit aus domestizierten Wildformen zuerst solche so genannten Landrassen, die noch stark von Umwelteinflüssen mitgeprägt wurden und anschließend die Kultur- und Leistungsrassen (EHLING er al. 1994). Die Landrassen galten als gute Futterverwerter, Wasser- und Nährstoffsparer. Sie waren aktiv in der Futtersuche und hatten stärker ausgebildete „psychische Fähigkeiten“. Diese Eigenschaften sicherten den Tieren das Überleben, da vor dem 18. Jahrhundert noch keinerlei Futteranbau betrieben wurde (DEWENTER 1997). Im Gegensatz dazu wurde bei Kulturrassen eine gezielte Änderung der Nutzungsrichtung, auf Grund der Leistungsunterschiede und dem sich wandelnden Bedarf an der Qualität tierischer Produkte angestrebt (EHLING er al. 1994).

Mitte des 18. Jahrhunderts begann mit Robert Blakewell (1725-1795) die zielgerichtete Rassezucht. Der Engländer züchtete erstmals durch geplante Anpaarung, Selektion und Reinzucht um ein klar definiertes Zuchtziel zu erreichen (DEWENTER 1997). Im Gegensatz zu den Selektionsprinzipien, die in Wildpopulationen wirken und die Erhaltung der Fitness und somit das selbständige Überleben des Individuums zum Ziel haben, galten diese Eigenschaften bei der Rasseentwicklung durch den Menschen nur bedingt als Selektionskriterien. Oft wirken sie den angestrebten Leistungssteigerungen sogar entgegen (EHLING et al. 1994; DEWENTER 1997). Vom Menschen erschaffene Rassen sind aus diesem Grunde häufig nicht mehr in der Lage dauerhaft alleine zu überleben und sind somit auf die Betreuung und Versorgung durch den Menschen angewiesen (OETMANN 2000).

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass der Rassebegriff und die damit zusammenhängende gezielte Rassezucht erst Mitte des 18. Jahrhunderts durch Robert Blakewell geprägt wurde. Rassestandards und Zuchtziele wurden erstmals definiert. Der Begriff der Rasse definiert jedoch wie oben beschrieben keinen statischen Zustand, sondern eine sich ständig weiterentwickelnde Situation, weshalb eine spezifische Rassedefinition in regelmäßigen Abständen an die sich verändernden Ansprüche angepasst werden sollte. Aus tierzüchterischer Sicht, und damit für diese Arbeit relevant, wird eine Rasse heute wie folgt definiert: „Mit Tieren reiner Rasse meint man Tiere, die hinsichtlich Abstammung, Exterieur und Produktion gewisse, von der Zuchtleitung aufgestellte Forderungen erfüllen“ (SAMBRAUS 1994).

2.2 Rückgang der Rassenvielfalt

Die Abnahme von genetischen Ressourcen bezieht sich schon lange nicht mehr ausschließlich auf Arten in freier Wildbahn. Auch im Bereich unserer Nutztiere kommt es seit vielen Jahren zu einem stetigen Rückgang der Diversität. Dies bedeutet nicht unbedingt ein Verschwinden der genutzten Arten, also beispielsweise das Aussterben von Rindern, sondern vielmehr den Verlust einzelner Rassen innerhalb einer Art (OETMANN 2000).

Im Bereich der Milchrinder wird ein solches Phänomen besonders deutlich. So stellen die beiden häufigsten Milchrinderrassen, Holstein und Fleckvieh, heute bereits 92,5% des gesamten Milchrinderbestandes in Deutschland. Mehr als 9 von 10 deutschen Milchrindern gehören einer dieser beiden Rassen an (ERDMANN u. SCHELL 2005). Auch in der Schweinezucht ist ähnliches zu beobachten. Hier dominieren die Hybridtiere der Ausgangsrassen Deutsche Landrasse, Deutsches Edelschwein und Pietrain mit insgesamt 95% der im Herdbuch eingetragenen Tiere (GEH 2006). Die Ursachen einer solchen genetischen Erosion sind vielfältig und begründen sich sowohl in natürlichen als auch in ökonomischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Vorgängen (OETMANN 2000).

Durch die Industrialisierung setzte im 18.Jahrhundert in der Landwirtschaft ein starker Wandel ein. Vor etwa fünfzig Jahren begann dies in der Tierzucht einen Prozess der Zusammenführung vorhandener Rassen und einer damit verbundenen genetischen Anpassung hervorzurufen. Kleinbauern verschwanden, kleine Bestände wurden zu kostspielig. Unabhängig von ihrer Rassezugehörigkeit wurden Populationen zusammengelegt oder in größere Gruppen eingegliedert. Auf diese Weise entwickelte sich eine ausgedehnte Zuchtbasis, mit der eine schnellere, gezielte Züchtung auf einzelne Leistungsmerkmale begonnen wurde. Lokale, an ihre Produktionsumwelt optimal angepasste Rassen wurden von Leistungsrassen verdrängt. Die so durch Zusammenlegung entstandene Zuchtbasis unterlag jedoch im Lauf der Zeit auf Grund strenger Selektion und stattfindender Gendrift einem stetigen Diversitätsverlust (Allelverlust) (OETMANN 2000).

Einmal verlorene Genkombinationen, die eine Rasse und ihre spezifischen Eigenschaften ausmachen, gingen unwiederbringlich verloren. Eine Differenzierung der einzelnen Rassen ist bei einem solchen Verlust des Genpools nicht wieder herstellbar. Die Konzentration des züchterischen Engagements auf einige wenige Rassen wurde durch die neuen biotechnologischen Möglichkeiten, wie zum Beispiel die künstlichen Besamung oder ähnliche Methoden (vgl. Kapitel 2.4.2.1), gefördert. Durch diese Verfahren ist ein globaler Austausch von Genmaterial möglich geworden, wodurch eine zusätzliche Gendurchmischung und eine weltweit in eine Richtung verlaufende Bestandsentwicklung eingeleitet wurde (SIMIANER 2004). Eine immer stärkere genetische Angleichung der Rassen findet statt. Genetische Variationen werden ausselektiert. Zusätzlich wird der Unterschied zwischen Hochleistungsrassen und angepassten, ursprünglichen Landrassen immer größer (SIMIANER 2004). Wird die Zuchtarbeit in solcher Form weitergeführt, kann es zu einer Stagnation der auf Leistungssteigerung ausgerichteten Zuchtfortschritte aufgrund fehlender genetischer Variationen kommen (ERDMANN u. SCHELL 2005).

Durch die sich verändernden Nutzungsansprüche wurde die Züchtung von Dreinutzungsrassen aufgegeben. Der verstärkte Einsatz von Traktoren und anderen Maschinen führte dazu, dass Rinder und Pferde nicht mehr als Arbeitskräfte in Land- und Forstwirtschaft benötigt wurden. Die Zucht spezialisierte sich also auf leistungsfähige Ein- bzw. selten auch auf Zweinutzungsrassen, um den steigenden Bedarf an tierischen Proteinen durch das Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländer und die ständig steigenden Ansprüche der Wohlstandsgesellschaft decken zu können (LAUVERGNE 1976; MAJALA 1986; SAMBRAUS 1990; EHLING et al.1994 ; KUSTERMANN 1994; DEWENTER 1997; ROßNAGEL 1999; ERDMANN u. SCHELL 2005).

Die vom Menschen für eine Leistungssteigerung eingesetzten Selektions-prinzipien führten zu einer Homogenisierung innerhalb der Arten, was besonders in der Rinder und Schweinehaltung deutlich wird. Dieser Trend hin zu den einseitig genutzten Leistungsrassen, weg von den ursprünglichen und robusten Mehrnutzungsrassen, die auf Grund des verstärkten Maschineneinsatzes nicht mehr benötigt wurden, sorgte für eine immer weiterführende Verringerung der genetischen Variabilität. Die Ansprüche der Verbraucher animieren zu Zuchtbemühungen um auf dem Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Oft wirken die entsprechenden Zuchtentscheidungen jedoch den natürlichen Selektionsprinzipien entgegen und bewirken so eine gegenüber den Landrassen höhere Anfälligkeit der Tiere in Bezug auf Stress und Krankheiten, die durch entsprechende Haltungsbedingungen durch den Menschen wieder ausgeglichen werden muss.

2.3 Gefährdungskriterien / Erhaltungskriterien

Die Gefährdungs- bzw. Erhaltungskriterien wurden von unterschiedlichen Organisationen aufgestellt, um zu entscheiden, ob eine Rasse gefährdet und/oder erhaltungswürdig ist. Wie solche Kriterien entwickelt werden und wie stark sie sich voneinander unterscheiden wird im Folgenden genauer dargestellt.

Vor der Erhaltung einer Rasse steht die Entscheidung, ob diese überhaupt gefährdet und erhaltenswert ist. Um dies zu beurteilen werden entsprechende Daten bezüglich der bestehenden Populationsgröße und Zusammensetzung benötigt. Die Zahlen allein geben jedoch noch keine Auskunft über den „Wert“ einer Rasse. Auch der kulturelle, ökologische und ökonomische Nutzen muss bei einer solchen Entscheidung berücksichtigt werden.

In Bezug auf die von der Populationsgröße abhängige Gefährdung einer Rasse gibt es unterschiedliche Aussagen (vgl. Tab 1). Alle Autoren sind sich jedoch darüber einig, dass, ab einem Absinken unter eine Mindestbestandsgröße, Erhaltungsmaßnahmen eingeleitet werden müssen. Nach Meinung der GEH liegen diese rassespezifischen Mindestbestandszahlen beim Rind bei 7500 Tieren, bei Pferd, Schwein, Ziege und Esel bei jeweils 5000 und bei Schafen bei 1500 Tieren. Außerdem muss sich die Größe des Bestandes laut GEH in den letzten zwei Jahren im Durchschnitt um mindestens 10% verringert haben (HARTL 2001). Die FAO definiert eine Population unabhängig von der Rasse als gefährdet, sobald weniger als 1000 Zuchttiere vorhanden sind (LOFTUS u. SCHERF 1993). Als nicht gefährdet gilt sie hingen, wenn 1000 oder mehr weibliche Zuchttiere vorhanden sind und die Population zu fast 100% reingezüchtet ist.

Tab.1: Rassenunabhängige Mindestbestandszahlen einzelner Autoren (KUSTERMANN1994)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine andere Methode gefährdete Populationen zu erkennen, ist die Berechnung der effektiven Populationsgröße Ne. Ne gibt nicht die tatsächliche Populationsgröße an, sondern bezieht sich auf das Geschlechterverhältnis innerhalb der Populationen. Die Berechnung fußt auf der Annahme, dass je weniger Vatertiere bei der Anpaarung in einer Population zum Einsatz kommen, sich die Variabilität des vorhandenen genetischen Materials desto schneller verringert. Dieser Wert (Ne) gibt also die Unmittelbarkeit zu erwartende Gefahr eines Genverlustes innerhalb der Population an (ERDMANN u. SCHELL 2005). Zur Verdeutlichung: bei einer effektiven Populationsgröße von 50 Tieren kommt es zu einem Inzuchtzuwachs von 1% pro Generation. Dieser Wert wird in der Züchtung als noch vertretbarer Grenzwert angesehen. Ab 10% Inzuchtzuwachs pro Generation besteht die Gefahr einer Inzuchtdepression (vgl. Kap.2.5.2). Dementsprechend bezeichnet die DGfZ eine Population mit einer effektiven Populationsgröße <50 und einer 10% Abnahme der Individuen des betreffenden Population in aufeinander folgenden Jahren als gefährdet (KUSTERMANN 1994).

Ist eine Rasse als gefährdet definiert, wird sie einer bestimmten Gefährdungskategorie zugeteilt. Die unterschiedlichen Organisationen führen jedoch voneinander abweichende Gefährdungskategorien. Die GEH weist die Populationen vier bzw. fünf unterschiedlichen Gefährdungsstufen zu:

I Extrem gefährdet

Für ein Überleben der Rasse sind sofortige Erhaltungsmaßnamen zwingend erforderlich.

II Stark gefährdet

Auch für diese Rasen sind in einem Großteil der Bundesrepublik dringend Erhaltungsmaßnahmen notwendig.

III Gefährdet

Für eine Rasse dieser Kategorie besteht bereits eine Gefährdung in weiten

Teilen Deutschlands. Ein Überleben der Population ohne entsprechende

Maßnahmen ist unwahrscheinlich.

ІV Bestandsbeobachtung

Die hier eingeteilten Rassen sollten einer genauen Beobachtung unterliegen, da

sich eine mögliche zukünftige Gefährdung abzeichnet.

In die Kategorie „Nur noch Einzeltiere“ werden Populationen eingestuft bei denen nur noch Restbestände aufzufinden sind.

In Tab.2 ist die Einteilung in Gefährdungsstufen anhand von Inzuchtzunahmen in Populationen innerhalb von 50 Jahren durch die EAAP dargestellt.

Tab.2: Gefährdungsstufen anhand von Inzuchtzunahmen (STRÜBER 1999)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auch der Einkreuzungsgrad fremder Rassen (über 10%), die Reproduktions- und Verbreitungsbedingungen (weniger als 10 räumlich voneinander getrennte Populationen), die Generationsintervalle sowie mögliche gelagerte Sperma- und Embryonenvorräte und deutlich verschlechterte Ertragsaussichten gegenüber anderen Rassen sind Kriterien bei der Ermittlung des Gefährdungsgrades einer Rasse (EHLING et al. 1994).

Die Verteilung der Bestände die Vatertiere für die Zucht hervorbringen kann ebenfalls ein Hinweis auf die Gefährdung dieser Rasse sein. Ist diese Verteilung sehr gering, so wird die Population von einer kleinen Elite dominiert, was einer Erhaltung der genetischen Diversität und damit der gesamten Rasse entgegenwirkt (HALL 2004).

Auf der „Roten Liste“ der gefährdeten Nutztierrassen der GEH sind inzwischen 82 einheimische Rassen in unterschiedliche Gefährdungskategorien verzeichnet. Einen für diese Arbeit relevanten Ausschnitt dieser Roten Liste ist in Tabelle 3 zu finden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab.3: Ausschnitt aus der Roten Liste der gefährdeten Nutztierrassen der GEH (GEH 2006)

Abgesehen von Zahlenwerten sollten sich erhaltenswerte Populationen laut DGfZ von anderen Rassen in den folgenden Punkten deutlich absetzen:

- in einem wirtschaftlich bedeutsamen Merkmal
- in Kriterien mit möglicher aber noch nicht erkennbarer wirtschaftlicher Bedeutung wie Farbe; Dichte von Haar- bzw. Federkleid; etc.
- in der Frequenz von Hauptgenen mit möglicher wirtschaftlicher Bedeutung
- in der Heterosiserwartung (KUSTERMANN 1994).

Aus diesen Punkten kann man schließen, dass theoretisch alle Rassen erhalten werden sollten, da die zukünftigen Anforderungen an Nutztiere noch nicht zu erkennen sind. Voraussetzung für eine Erhaltung ist, dass die Rasse homogen ist und sich von anderen Rassen klar unterscheidet, um so als eigenständige Population zu gelten (BMELV 2002).

Für die FAO müssen die folgenden Bedingungen für eine Erhaltung erfüllt sein: Die betreffende Rasse muss erstrebenswerte Eigenschaften und besondere nutzbare Merkmale aufweisen. Sie muss vom Aussterben bedroht oder in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation nicht effizient genug sein um überleben zu können und sie muss in der Lage sein große Populationen auszubilden (HALL 2004). RUANE (2000) misst den unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Erhaltung einer Rasse unterschiedliche Prioritäten zu: Gefährdungsgrad – Maß an derzeitigem ökonomischen Nutzen – Maß an derzeitigem wissenschaftlichen Nutzen – genetische Einzigartigkeit (HALL 2004).

Die Untersuchung der genetischen Distanz gibt Aufschluss über die genetische Differenzierung zwischen Populationen und liefert somit ein objektives Entscheidungskriterium für die Beantwortung der Frage, ob es sich bei einzelnen Populationen um eigenständige Rassen mit typischen genetischen Eigenheiten oder lediglich um regionale Schläge handelt. So ist bspw. der Schwarzwälder Fuchs eine erkennbar vom Süddeutschen Kaltblut differenzierte Population (ROSSNAGEL 1999).

Aber auch die kulturhistorischen Gesichtspunkte werden bei der Einstufung in „Erhaltenswerte Rassen“ nicht unberücksichtigt gelassen. So spielt die Anpassung einer Rasse an eine bestimmte Umgebung und damit die spezifische Beziehung dieser Rasse zu ihrer Ursprungsregion eine wichtige Rolle. Auch landschaftspflegerische Aspekte werden berücksichtigt. Als Beispiel für diese beiden Punkte sei an dieser Stelle nur die bekannte Heidschnucke in der Lüneburger Heide genannt. Diese prägt durch ihr Erscheinungsbild und ihre Fraßeigenschaften das Bild der Lüneburger Heide in doppelter Hinsicht und liefert damit zusätzlich einen wertvollen Beitrag zur Freizeitgestaltung des Menschen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Heidschnucken in ihrer typischen Umgebung

(SAMBRAUS 1990, S. 18)

Wie aus dem Vorstehenden deutlich hervorgeht, werden Gefährdungs- und auch Erhaltungskriterien also nicht willkürlich aufgestellt. Anhand von Populationsgrößen und rassespezifischen Merkmalen findet eine Beurteilung und Einstufung der Tiere statt.

Alle genannten Kriterien müssen jedoch spezifisch auf die verschiedenen Erhaltungsziele und Methoden sowie die unterschiedlichen Tierarten und Regionen angewandt werden. Zusätzlich sollten vor allem kulturelle und historische Gesichtspunkte berücksichtigt und die biologischen Voraussetzungen zur Erhaltung einer Rasse immer erfüllt sein, bevor eine Entscheidung für entsprechende Erhaltungsmaßnahmen getroffen wird (KUSTERMANN 1994).

2.4 Erhaltungszüchtung / Rückzüchtung

In diesem Kapitel werden zunächst die Begriffe der Erhaltungszucht und der Rückzüchtung erläutert und voneinander abgesetzt. Der Gedanke, der hinter solchen Zuchtbemühungen steht und die Ziele die dabei verfolgt werden, werden aufgezeigt, um dem Leser eine Möglichkeit zur Meinungsbildung zu eröffnen. Weiterhin werden jeweils Gründe aufgezeigt die für oder gegen ein solches Zuchtprogramm sprechen. Die technischen Umsetzungsmöglichkeiten und entsprechende Fördermaßnahmen werden in den Abschnitten 2.4.3 und 2.4.4 bearbeitet und bilden gemeinsam mit den zuvor dargelegten Themen eine Informationsgrundlage für die nachfolgenden Kapitel 3 und 4.

Ich möchte nochmals betonen, dass es bei der Erhaltung von Nutztieren nicht darum geht, eine Rasse als festgelegten Zustand zu erhalten oder aber innerhalb eines Rückzüchtungsprojektes „wiederherzustellen“. Eine Rasse sollte in der Erhaltungszucht immer als dynamisches, sich ständig veränderndes Bild gesehen werden (vgl. Kap. 2.1).

Das Ziel der Erhaltungszucht ist es, die noch erhaltenen Bestände einer gefährdeten Rasse durch entsprechende züchterische Eingriffe so lange zu unterstützen, bis sich eine ausreichend breite genetische Basis entwickelt hat, dass diese Population ohne weitere Maßnahmen des Menschen bestehen bleibt. Durch Einkreuzungen verschiedener anderer Rassen wird beispielsweise der Inzucht entgegengewirkt, ohne dass der Genpool der Ausgangsrasse verloren geht. Sowohl der Genotyp als auch der Phänotyp der Ausgangsrasse sollen bei der Erhaltungszucht erhalten bleiben (ROSSNAGEL 1999; BMELV 2002). Bei den genetischen Grundlagen auf die bei einer Erhaltungszucht zurückgegriffen wird, handelt es sich jedoch in den seltensten Fällen um noch 100% reinrassige Tiere. Oft sind zu Beginn eines Erhaltungszuchtprogramms nur noch einzelne Tiere mit einem Blutanteil von 25-50% vorhanden (vgl. Kap. 3.2).

Bei der Rückzüchtungsarbeit geht es vielmehr um die Erzeugung eines Tieres, welches den gleichen Phänotyp aufweist, wie eine bereits gänzlich ausgestorbene Rasse. Der Genotyp einer einmal ausgestorbenen Rasse ist unwiederbringlich verloren und nicht wieder zu rekonstruieren (SAMBRAUS 2001). Bei einer Rückzüchtung darf deshalb nicht der Fehler begangen werden, diese Neuzüchtung mit dem Namen der ausgestorbenen Rasse zu belegen. Solche Rückzüchtungen sollten also entweder eine gänzlich neue Bezeichnung bekommen oder aber den Zusatz „Rückzüchtung“ in ihrem Namen tragen (SAMBRAUS 2001). Die Neuzüchtungen gleichen den ausgestorbenen Rassen auch äußerlich meist nicht hundertprozentig. So ist es bis heute nicht gelungen bei der Tarpan-Rückzüchtung (vgl. Kapitel 4.3) die ursprüngliche Stehmähne der Wildpferde wiederzuerlangen (KUSTERMANN 1994).

Um auf die Vielfältigkeit hinzuweisen, in der bspw. der Begriff der Rückzüchtung genutzt wird, möchte ich hier die Schafzucht von Herrn Norbert Grambert-Mertens erwähnen. Dabei versucht der Züchter die ursprüngliche Eigenschaft der Schafe wiederherzustellen ihre Wolle zu verlieren. Um dies zu erreichen, wurden unterschiedlichste Schafrassen, darunter auch das Coburger Schaf, das Schwarzkopfschaf und unterschiedliche Schnucken miteinander gekreuzt. Die so entstandene Rasse wurde 1999 als eigenständige Rasse unter dem Namen Senner Schaf angemeldet. Diese Rassebezeichnung ist neu gebildet und bezieht sich auf keine vorher bestehende Rasse. Auch eine solche Zucht wird als Rückzüchtung bezeichnet, da hierbei eine ursprüngliche Eigenschaft, die heutige Schafrassen weitgehend verloren haben, wieder hergestellt wird (GRAMBERT-MERTENS 2006). In dieser Arbeit, bezieht sich der Begriff der Rückzüchtung jedoch ausschließlich auf die oben ausgeführten Zuchtmethoden.

Der Unterschied zwischen einer Erhaltungszucht und einer Rückzüchtung besteht also darin, dass bei einer Erhaltungszucht noch eine gewisse Anzahl Tiere mit annähernd gleichem Genpool der gefährdeten Rasse vorhanden ist, auf deren genetischer Grundlage eine neue Population aufgebaut wird, die sowohl den ursprünglichen Genotyp als auch den entsprechenden Phänotyp aufweist, während bei der Rückzüchtung lediglich mit Tieren gearbeitet wird die in irgendeiner Weise auf die ausgestorbene Rasse zurückgehen oder auch nur ähnliche äußere Merkmale aufweisen wie diese, um einen möglichst ähnlichen Phänotyp wiederzuerlangen.

2.4.1 Argumente für/ gegen Erhaltungszucht

Argumente, die für die Erhaltungszucht sprechen:

Genetische Diversität ist zum einen Ergebnis, gleichzeitig aber auch Voraussetzung für Evolution. Eine, wie auch immer geartete, Weiterentwicklung von Rassen, ist ohne eine entsprechend große genetische Ausgangsbasis nicht möglich. Für Rekombination, Selektion und Züchtung im Allgemeinen muss ein genügend großer Genpool zur Verfügung stehen, um Zuchtfortschritte erzielen zu können. Bei einer vereinheitlichten Züchtung und fortwährender Anpassung der Rassen, wie sie in der derzeitigen Leistungszucht stattfindet, geht eine solche Diversität schnell verloren (EHLING et al. 1994). Eine parallele Nutzung unterschiedlicher Rassen (Hochleistungsrassen und ursprünglicher Landrassen) würde einer effizienten Ausnutzung von Ressourcen entsprechen, welche gleichzeitig für Einkreuzungen oder andere züchterische Maßnahmen dauerhaft zur Verfügung stünden (SIMIANER 2004). Durch züchterische Verdrängung einiger Rassen und durch Rassenvermischung gehen die spezifischen Eigenschaften, die durch bestimmte Genkombinationen hervorgerufen werden und sich im Laufe der Evolution als Anpassung an äußere Einflüsse, wie Umwelt- und Haltungsbedingungen, entwickelt haben, verloren und bleiben damit ungenutzt (EHLING et al. 1994; KUSTERMANN 1994). Es kommt zu einer Frequenzminderung seltener Allele und somit zu einem Wirkungsverlust.

Die Erhaltung von Rassen in sog. Reservepopulationen oder aber eine Konservierung von entsprechendem Genmaterial, macht eine Bewahrung dieser speziellen physiologischen Leistungen und morphologischen Eigenschaften der betreffenden Rasse möglich. Durch züchterische und biotechnologische Prozesse können die so erhaltenen Eigenschaften und Leistungen bzw. Gene und Genkombinationen gezielt in Populationen eingesetzt werden. Eine schnelle genetische Anpassung auf sich ändernde Anforderungen der Produktionsumwelt oder des Verbraucheranspruches ist möglich (OETMANN 2000), und wahrscheinlich notwendig, wenn man einen Rückblick auf die sich in den vergangenen 50 Jahren stark verändernden Produktionsvoraussetzungen sowie die sich wandelnden Produktionsziele tut. Tierzüchter müssen damit rechnen, dass diese Bedingungen sich in den kommenden 50 Jahren erneut wandeln (SIMIANER 2004).

Die sich ändernden Ansprüche an tierische Produkte auf Grund neuer Erkenntnisse in den Ernährungswissenschaften und deren wirtschaftliche Bedeutung, sowie der variierende Lebensstandard des Verbrauchers, welcher zu einem wachsenden Anteil an Freizeit und auftretenden Modeerscheinungen führt, setzten eine solch schnelle Reaktionsmöglichkeit in der Tierzucht voraus (EHLING et al. 1994; KUSTERMANN 1994). Obwohl einige Rassen im Vergleich zu anderen zunächst unökonomisch erscheinen, können sie z.B. für die Kreuzungszucht spezifische Vorteile bieten, wie bspw. eine Erhöhung der genetischen Variabilität innerhalb anderer Rassen(vgl. Kap. 3.1). Sogar Selektionsgrenzen einzelner Merkmale bei modernen Rassen können auf diese Weise offenbar überwunden werden (SIMON 1984; KUSTERMANN 1994). Um solche Vorteile sinnvoll einsetzen zu können, müssen die betreffenden Rassen allerdings in Reinzucht erhalten werden. Zu schnell können sonst einzelne Genkombinationen durch eine Verdrängungszucht verloren gehen. Da zum heutigen Zeitpunkt noch nicht vorausgesehen werden kann, welche Eigenschaften in Zukunft von Bedeutung sein werden, ist eine Erhaltung einer genetischen Basis mit möglichst großer genetischer Diversität, also von möglichst vielen Rassen, geboten. Auch bisher noch unbekanntes Material oder auch unentdeckte Eigenschaften können zukünftig von Bedeutung sein. Aus diesem Grund sollte auf Rassen mit scheinbar geringem Nutzen bei der Erhaltung nicht verzichtet werden (DEWENTER 1997). Aus wissenschaftlicher Sicht, sind Lebendpopulationen als Vergleichspopulationen für den genetischen Fortschritt von Arten von Bedeutung, während konserviertes Genmaterial als Referenzproben genutzt werden kann (KUSTERMANN 1994).

Nicht nur für züchterische Zwecke und die Forschung sollte eine Erhaltung einzelner Arten stattfinden. Auch aus kultureller Sicht ist eine solche Erhaltung sinnvoll. Genau wie historische Gehöfte und Werkzeuge bilden auch regionale Rassen ein Kulturdenkmal. Sie sind eng mit der landwirtschaftlichen Entwicklung des Menschen verknüpft und können als lebendes Lehrmaterial dienen (OETMANN 2000). Landrassen sind an ihre Umwelt und die dortigen Witterungsbedingungen besonders gut angepasst und prägen, anders als die in jüngerer Zeit entwickelten Hochleistungstiere, das Landschaftsbild vieler Regionen. Viele dieser Rassen werden auch in der Landschaftspflege(z.B. Heidschnucken s.o.) und zur Verminderung von Umweltschäden (z.B. Rückpferde) oder aber zur Erhaltung des ursprünglichen Landschaftsbildes eingesetzt und tragen so zur Ausgleichs- und Erholungsfunktion des ländlichen Raumes bei (KUSTERMANN 1994; DEWENTER 1997; OETMANN 2000; HARTL 2001).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Rückepferde im Einsatz (SAMBRAUS 1990, S.27)

Die Rassen prägen nicht nur die Umwelt, sie haben sich selbst im Laufe der Zeit stark an diese angepasst. So sind alte Landrassen meistens robuster und langlebiger als die heutigen Hochleistungsrassen. Auch was die Nährstoff- und Wasserversorgung angeht, erweisen sich viele der in meiner Arbeit beispielhaft besprochenen Rassen als besonders genügsam (THIEN 1984). Eine gute Konstitution, Genügsamkeit, hohe Fruchtbarkeit, gute Muttereigenschaften, Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und eine besonders gute Qualität der Produkte zeichnet die Vertreter der Landrassen laut GEH zusätzlich aus. Auf den oben aufgeführten Faktoren basierend, sprechen auch wirtschaftliche Faktoren für eine Erhaltung von gefährdeten Rassen. Wie in einem Bericht des BMELV dargestellt wird, bieten die robusten und genügsamen ursprünglichen Haustierrassen auf Grund ihrer speziellen Eigenschaften wesentliche ökonomische Vorteile in Bezug auf den Haltungsaufwand:

“direkter ökonomischer Wert

- Effizienz in der Nutzung von Produktionsmitteln (Futter, Arbeit)
- Vermeidung von Aufwand für besondere Bewirtschaftungsverfahren (z.B. Krankheitsbekämpfung)
- Risikobegrenzung durch Widerstandsfähigkeit
- optimale Angepasstheit und Standortausnutzung
- besondere Eigenschaften (Inhaltsstoffe, Qualität der Produkte)
- Möglichkeiten zur Markterweiterung durch Produktdiversifizierung indirekter ökonomischer Nutzen
- Bedeutung für Wasserhaushalt, Umweltschutz und Erholung“

(OETMANN 2000, S.3)

Das erfolgreiche Vermarktungsbeispiel des Schwäbisch-Hällischen Schweins (vgl. K.3.1.2) macht deutlich, dass für solcherart Produkte eine Nachfrage besteht und der Lebensmittelmarkt bei entsprechenden Vermarktungsstrategien, noch immer offen für Innovationen ist (OETMANN 2000).

Argumente die gegen die Erhaltungszucht sprechen:

Heute existierende Rassen sind Selektionsprodukte des Menschen. Über Jahrhunderte hinweg, wurden sie dem Nutzen durch den Menschen angepasst. Warum sollen die alten Rassen, welche auf Grund ihrer spezifischen Eigenschaften in der heutigen Zeit nicht mehr benötigten werden, künstlich erhalten bleiben wenn sie gemessen an aktuellen Bedürfnissen keinen effektiven Nutzen mehr erbringen? Nicht umsonst wurden diese Rassen weiterentwickelt und an die gewandelten menschlichen Bedürfnisse angepasst. (EHLING et al. 1994; KUSTERMANN 1994). Eine Krankheitsresistenz der Tiere bspw. war in früheren Zeiten notwendig. Heutzutage ist eine Krankheitsbekämpfung mit tiermedizinischen Maßnahmen weitaus effizienter und schneller wirksam als eine entsprechende Zucht auf Krankheitsresistenz, die sich wiederum nur auf einzelne Krankheitsbilder beziehen würde (KUSTERMANN 1994).

Die momentan aufrechterhaltene Diversität innerhalb der bereits existierenden Leistungsrassen weltweit sollte ausreichen, um einzelne Erbanlagen durch Kreuzungszucht wieder zu vermehren. Auch positive Eigenschaften, die bedrohte Rassen im Gegensatz zu Leistungsrassen zeigen, könnten auf Grund der ausreichenden Heterogenität innerhalb der Populationen durch Selektion wieder hervorgerufen werden. Eine solche scharfe Selektion auf ein bestimmtes Merkmal hin würde nicht mehr Zeit in Anspruch nehmen, als eine Population gefährdeter Tiere mit dieser betreffenden Eigenschaft zu erhalten. Bei kryokonserviertem Genmaterial stellt sich die Frage, ob die daraus hervorgehenden Tiere mit ihren individuellen Eigenschaften in 20, 50 oder 100 Jahren mit den veränderten Umweltbedingungen zurechtkommen werden oder ob eine allmähliche Anpassung in der inzwischen verstrichenen Zeit hätte stattfinden müssen (EHLING et al. 1994).

[...]

Excerpt out of 119 pages

Details

Title
Rückzüchtung und Erhaltungszüchtung von Nutztierrassen
College
University of Göttingen
Grade
2,0
Author
Year
2006
Pages
119
Catalog Number
V89316
ISBN (eBook)
9783640105472
ISBN (Book)
9783640126941
File size
1875 KB
Language
German
Notes
Externe Arbeit am Institut für Tierzucht und Haustiergenetik an der Fakultät für Agrarwissenschaften
Keywords
Rückzüchtung, Erhaltungszüchtung, Nutztierrassen
Quote paper
Diplom-Biologin Anne Katharina Engeling (Author), 2006, Rückzüchtung und Erhaltungszüchtung von Nutztierrassen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89316

Comments

  • No comments yet.
Look inside the ebook
Title: Rückzüchtung und Erhaltungszüchtung von Nutztierrassen



Upload papers

Your term paper / thesis:

- Publication as eBook and book
- High royalties for the sales
- Completely free - with ISBN
- It only takes five minutes
- Every paper finds readers

Publish now - it's free