Am 1. April 1991 kam es zur endgültigen Auflösung des Warschauer-Pakt-Systems - jener Militärorganisation, die seit dem Zweiten Weltkrieg das Gegenstück zur NATO bzw. zur WEU, selbst nichts anderes als der europäische Pfeiler der NATO1, bildete. Noch im selben Jahr zeigte der Bruch des Warschauer Vertrages die beinahe folgerichtige Wirkung: Das sowjetische Imperium zerfiel.
Fragen, die sich vor diesem Hintergrund aufdrängen, betreffen die Sinnhaftigkeit von europäischen Sicherheits- und Verteidigungsbündnissen wie die Nordatlantische Allianz oder die Westeuropäische Union nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes. Eine Neubestimmung der Rolle von NATO und WEU - verbunden mit einer Neudefinition des politischen Europa - scheint unumgänglich, doch herrschen (vor allem nationalstaatliche) Differenzen darüber, wie diese aussehen kann, soll oder muß.
Ausgehend von der Beschreibung neuer Gefahrenpotentiale für die europäische Sicherheit sollen im Rahmen dieser Seminararbeit zunächst grundlegende Aufgabenfelder, Bestimmungen und Beschlüsse der NATO und der WEU dargelegt sowie mögliche Reformansätze diskutiert werden. Welche Anforderungen demzufolge heute, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, an ein europäisches Sicherheits- und Verteidigungsbündnis zu stellen sind, welche Perspektiven es also für ein künftiges Weiterbestehen von NATO und WEU gibt, soll im abschließenden Punkt behandelt werden.
Inhaltsverzeichnis:
I. Neue Gefahrenpotentiale für die europäische Sicherheit
II. NATO und WEU als sich strategisch parallel entwickelnde europäische Sicherheits- bzw. Verteidigungsbündnisse
A. Die Nordatlantische Allianz (NATO):
Reformansätze
Argumente gegen eine künftige Relevanz der NATO
B. Die Westeuropäische Union (WEU)
Reformansätze
III. Anforderungen an ein westeuropäisches Sicherheits- und Verteidigungsbündnis nach dem Ende des Ost-Westkonfliktes
Anmerkungen
Literaturverzeichnis:
Am 1. April 1991 kam es zur endgültigen Auflösung des Warschauer-Pakt-Systems - jener Militärorganisation, die seit dem Zweiten Weltkrieg das Gegenstück zur NATO bzw. zur WEU, selbst nichts anderes als der europäische Pfeiler der NATO1, bildete. Noch im selben Jahr zeigte der Bruch des Warschauer Vertrages die beinahe folgerichtige Wirkung: Das sowjetische Imperium zerfiel2.
Fragen, die sich vor diesem Hintergrund aufdrängen, betreffen die Sinnhaftigkeit von europäischen Sicherheits- und Verteidigungsbündnissen wie die Nordatlantische Allianz oder die Westeuropäische Union nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes. Eine Neubestimmung der Rolle von NATO und WEU - verbunden mit einer Neudefinition des politischen Europa - scheint unumgänglich, doch herrschen (vor allem nationalstaatliche) Differenzen darüber, wie diese aussehen kann, soll oder muß.
Ausgehend von der Beschreibung neuer Gefahrenpotentiale für die europäische Sicherheit sollen im Rahmen dieser Seminararbeit nun zunächst grundlegende Aufgabenfelder, Bestimmungen und Beschlüsse der NATO und der WEU dargelegt sowie mögliche Reformansätze diskutiert werden. Welche Anforderungen demzufolge heute, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, an ein europäisches Sicherheits- und Verteidigungsbündnis zu stellen sind, welche Perspektiven es also für ein künftiges Weiterbestehen von NATO und WEU gibt, soll im abschließenden Punkt behandelt werden.
I. Neue Gefahrenpotentiale für die europäische Sicherheit
Jene bipolar-integrative Bündnisstruktur, auf die beiden übermächtigen Militärorganisationen NATO und Warschauer Pakt basierend und repräsentiert durch die beiden Supermächte, die USA und die UdSSR, konnte sich auf ein klar definiertes Feindbild sowie völlig konträre Ideale bzw. Ideologien und Zielvorstellungen stützen. Mit dem Warschauer Pakt bzw. der UdSSR verschwanden jedoch nicht nur Gegensätze, sondern auch Gemeinschaftsgefühle sowie Abhängigkeitsverhältisse; das Druckmittel, mit dem sich Mitgliedsstaaten jahrzehntelang disziplinieren ließen, war plötzlich wirkungslos.
Im Osten manifestiert sich dieses Machtvakuum im neu entflammenden nationalen Selbstwertgefühl der einzelnen Völker, verwirklicht in Religion, Sprache und Tradition. Souveränitätsbestrebungen - in Rußland vor allem seit dem Moskauer Putschversuch im Oktober 1993 - waren und sind die logische Konsequenz.3
Vor allem aber präsentiert sich Rußland, das als legitimisierter Nachfolger der UdSSR sicherlich auch künftig nicht zu übergehen sein wird, zunehmend als zentraler Unsicherheitsfaktor:
Neben der innenpolitischen, ökonomischen und sozialen Krise Rußlands4 werden neue Hegemoniebestrebungen des Staates offenkundig: Erste Anzeichen dafür gab es, als Rußland mit der Unterscheidung in "nahes" und "fernes" Ausland irritierte und damit angestrebte Grenzkorrekturen in Richtung alte Grenzen der Sowjetunion bereits andeutete - nicht zuletzt, um mit der Stabilisierung des "nahen" Auslandes auch die innenpolitische Lage zu verbessern. Mit der Verkündigung der neuen "Militärdoktrin", bzw. neuen Erklärungen eine neue "panslawische Achse" Moskaus nach Osteuropa betreffend, brachte Rußland dann sein geopolitisches und -strategisches Interesse im ehemaligen Paktsystem aber ganz unverblümt zum Ausdruck. Noch bedrohlichere Züge könnte der "Russische Neoimperialismus" annehmen, kommt es zum Regierungswechsel nach den Wahlen 1996 - mit dem Kommunisten Zbigniew Brzezinski, der bereits wieder vom "imperialen Drang" Rußlands spricht.5
Das Ende des Warschauer Paktes bedeutete aber auch für andere Oststaaten die Initialzündung für eine Reihe ethnischer, nationaler und zwischenstaatlicher Konflikte. Bosnien-Herzegowina bzw. Kroatien, der Kaukasus oder Tschetschenien sind die wohl am stärksten betroffenen Gebiete. Und weitere Konfrontationen können bei der derzeit instabilen Lage nicht ausgeschlossen werden.3
Auch im Westen birgt der Zerfall der Sowjetunion bzw. des Warschauer Paktes Konflikte: Statt europäischer Solidarität entwickeln sich nationale Rückzugstendenzen in eigene Einflußsphären6 und ökonomische wie militärische Interessendivergenzen zwischen westeuropäischen Industriestaaten und der Führungsmacht USA, aber auch zwischen einzelnen Staaten Westeuropas7. So sorgen sich beispielsweise Großbritannien und Frankreich mehr über die bedeutender werdende (vor allem wirtschaftliche) Rolle Deutschlands als darüber, wie europäischer Frieden gestaltet werden kann, während Griechenland mit der Stärkung Belgrads und der Blockade Mazedoniens die Konflikte im eigenen Land zusätzlich verschärfte. Besonders die Sicherheitspolitik wird nach wie vor als mehr nationale Aufgabe denn die der NATO verstanden, und damit potentielle Konfliktherde außerhalb der eigenen Grenzen verharmlost; vor allem, wenn Westeuropa nicht direkt betroffen ist und somit kein unmittelbarer Handlungsbedarf bzw. kein gemeinsamer Handlungswille besteht.8 Westeuropa droht sich durch seine nationalstaatliche Uneinigkeit selbst zu paralysieren, denn weder einzelne europäische Länder bilden (politische oder militärische) Machtfaktoren, noch stellt die EU selbst einen wirklichen Machtfaktor in Europa dar.
Destabilisierend wirken nicht zuletzt Massenarbeitslosigkeit oder massenhafte Migrationsbewegungen aus dem Osten und Süden, die - bedingt durch das zunehmende West-Ost-Wohlstandsgefälle -, Sozialkrisen und Kulturkämpfe verursachen können.9
II. NATO und WEU als sich strategisch parallel entwickelnde europäische Sicherheits- bzw. Verteidigungsbündnisse
Laut Artikel 5 der für die WEU bzw. NATO maßgeblichen Brüsseler bzw. Washingtoner Verträge vom 17. März 1948 bzw. 4. April 1949 liegt die zentrale Aufgabe beider Organisationen in der gemeinsamen Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe auf das Vertragsgebiet (Beistandspakt). Dabei gilt der Auslegungsgrundsatz der "implied powers", der alle für die Erfüllung dieser Aufgabe angemessenen (appropriate) Befugnisse für zulässig erklärt, so daß bewaffnete gegnerische Angriffe z.B. nicht nur tatsächlich abgewehrt, sondern auch die hierfür erforderlichen Vorbereitungen, wie Rüstungen, Übungen oder Aufklärungskampagnen, getroffen werden dürften.10
A. Die Nordatlantische Allianz (NATO):
Während das NATO Cooperation Council in Brüssel als Diskussionsforum für die Nachfolgestaaten der UdSSR sowie Finnland und Albanien diente und sich die North Atlantic Assembly mit Tschechien, der Slowakei, Polen, Estland, Lettland, Litauen, Belarus, der Ukraine, Moldawien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien und Slowenien um eine Reihe osteuropäischer Staaten erweiterte, kann das NATO-Gipfeltreffen in Brüssel am 14. und 15. Dezember 1994 wohl als Meilenstein in der Neudefinition des Nordatlantikpaktes angesehen werden.
Im Rahmen des Verteidigungsplanungskomitees und der nuklearen Planungsgruppe einigten sich die Verteidigungsminister der NATO-Staaten bei dem Gipfeltreffen zum einen über die Bedeutung substrategischer Nuklearwaffen der USA und ihrer europäischen Alliierten zur nuklearen Abschreckung in Europa und zum anderen über den Beitritt der Ukraine zum Atomwaffensperrvertrag (NPT; nuclear power treaty). Damit wurde gleichzeitig das START-I-Abkommen über die Verminderung strategischer Atomwaffen verwirklicht.11 Desweiteren forderten sie die unbegrenzte und nicht an bestimmte Bedingungen geknüpfte Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages. Als schwerwiegender Rückschritt in der atomaren Abrüstungspolitik ist allerdings die Weigerung Frankreichs anzusehen, trotz herber öffentlicher Kritik nicht auf die Atomswaffentests im Südpazifik zu verzichten.12
Anstelle einer (vor-)schnellen Ost-Erweiterung wurde in Brüssel zum einen die sogenannte Partnerschaft für den Frieden (PfP, auch P4P; partnership for peace) offiziell präsentiert, nachdem sie bereits 1992 auf Initiative der amerikanischen Administeration andiskutiert sowie im Herbst 1993 im National Security Council fixiert wurde. Jene PfP stellt ein umfassendes sicherheitspolitisches Kooperationsangebot der NATO an alle Staaten des ehemaligen Warschauer Vertrages unterhalb der Ebene einer formellen Mitgliedschaft dar, so etwa hinsichtlich gemeinsamer Übungen oder anderer Formen militärischer Zusammenarbeit. Diese Miteinbeziehung von Nichtmitgliedstaaten in Verteidigungsvorbereitungen der NATO wurde zunächst als Ersatz, dann als erster Schritt für eine spätere NATO-Mitgliedschaft gesehen. Der Brüsseler NATO-Gipfel stellte erstmals Perspektiven für einen Beitritt in die NATO in Aussicht, ohne jedoch einen genauen Zeitpunkt oder Kriterien für eine Aufnahme zu nennen.13 Abgesehen von Rußland, das seinen Beitritt vom Zugeständnis gewisser Sonderrechte abhängig machte, herrschen gleiche Rahmenbedingungen für alle PfP-Mitgliedsstaaten14.
[...]
1) Vgl.: Zur Erweiterung der NATO. In: Österreichische militärische Zeitschrift, Bd. 32, Heft 3 (1994), S. 298.
2) Vgl.: Magenheimer, Heinz: Die Sicherheit in Europa: Neue Maßstäbe und Erfordernisse. In: Österreichische militärische Zeitschrift, Bd. 31, Heft 2 (1993), S. 107.
3) Vgl.: Kissinger, Henry A.: Die Atlantische Gemeinschaft neu begründen. In: Internationale Politik, Bd. 50, Heft 1 (1995), S. 23;
Magenheimer, H., a.a.O., S. 109;
Nolte, Georg: Die "neuen Aufgaben" von NATO und WEU: Völker- und verfassungsrechtliche Fragen. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. 54, Heft 1 (1994), S. 96; Pollach, Günter: Zwischen NATO, WEU und KSZE. Die Neugestaltung gesamteuropäischer Sicherheit. In: Blätter für deutsche und internationale Politik (1991), S. 833;
Reiter, Erich: Nationales versus europäisches Sicherheitssystem. In: Europäische Rundschau, Bd. 23, Heft 1 (1995), S. 93;
Zur Erweiterung der NATO, a.a.O., S. 299.
4) Vgl.: Pollach, G., a.a.O., S. 834;
Reiter, E., a.a.O., S. 96;
Zur Erweiterung der NATO, a.a.O., S. 298.
5) Vgl.: Nerlich, Uwe: Die NATO als Kernstück einer europäischen Sicherheitsarchitektur (abgk. Kernstück). In: Europa-Archiv, Bd. 49, Heft 17 (1994), S. 499, 500, 503f.;
Zur Erweiterung der NATO, a.a.O., S. 298, 299.
6) Vgl.: Nerlich, Uwe: Neue Sicherheitsfunktionen der NATO (abgk. Sicherheitsfunktionen). In: Europa-Archiv, Bd. 48, Heft 23 (1993), S. 663.
7) Vgl.: Pollach, G., a.a.O., S. 834.
8) Vgl.: Reiter, E., a.a.O., S. 94f.
9) Vgl.: Magenheimer, H., a.a.O., S. 110;
Pollach, G., a.a.O., S. 834;
Reiter, E., a.a.O., S. 96;
Zur Erweiterung der NATO, a.a.O., S. 298.
10) Vgl.: Nolte, G., a.a.O., S. 98, 102.
11) Vgl.: Magenheimer, H., a.a.O., S. 109.
12) Vgl.: NATO: Tagung der Verteidigungsminister und Stellungnahmen u.a. In: Österreichische militärische Zeitschrift, Bd. 33, Heft 2 (1995), S. 218.
13) Vgl.: Nolte, G., a.a.O., S. 95;
Schloten, Dieter / Bruckmann, Wolfgang: Das Tauziehen um die Zukunft der NATO. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Bd. 39, Heft 2 (1994), S. 137, 138f.;
Zur Erweiterung der NATO, a.a.O., S. 299.
14) Vgl.: Nerlich, U., Kernstück, a.a.O., S. 504.
- Quote paper
- Evi Goldbrunner (Author), 1995, Europäische Sicherheit nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89289
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