Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Beständig wachsende und zudem vernetzte Wissensbestände sorgen für ein hohes gesellschaftliches Bildungsniveau. Doch wie wird neues Wissen kommuniziert? Welche Rolle spielen dabei die Neuen Medien? 15 Jahre nach Beginn des kommerziellen World Wide Web ist es nun Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen. Worin liegen die Vor- und Nachteile des Web gegenüber den herkömmlichen Medien?
Die Informationsgesellschaft stellt hohe Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeiten ihrer Mitglieder. Wo es früher eine überschaubare Menge an Zeitungen und Zeitschriften gab, die man regelmäßig als zuverlässige Informationsquelle heranzog, stellt das Internet nun sowohl den Leser als auch den Autor vor neue Herausforderungen. Der Autor muss sich mehr denn je gegenüber der stetig wachsenden Konkurrenz behaupten; der Leser wiederum steht vor einer fast unüberschaubaren Vielzahl von Angeboten im Netz. Die Kommerzialisierung des Internets führte in den letzten Jahren zu einer wahren Informationsflut. Einerseits wächst die Menge und Vielfältigkeit der Angebote, andererseits damit Zweifel an der Qualität der dargebotenen Informationen auf. Im Internet steht der Qualitätsjournalismus in direkter Konkurrenz zur Laienkommunikation.
Es wurde in der Vergangenheit vielfach untersucht, mit welchen Mitteln fachliche Inhalte journalistisch für ein Massenpublikum aufbereitet werden. An die Neuen Medien ist die Hoffnung geknüpft, dass sie eine unmittelbare und unverzerrte Wissensvermittlung ermöglichen können; unter anderem, weil sie nicht im gleichen Maße unter kommerziellen Zwängen stehen. Die professionellen Journalisten besitzen heute kein Vermittlungsmonopol mehr. Stattdessen gibt es im Internet ein Nebeneinander von professioneller und partizipativer Wissensvermittlung. Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind folgende: Wie kann die Validität von Informationen nachgeprüft werden? Wieviel Realität wird verfälscht? Welche Wissenstransformationen gibt es? Gibt es nur massenmediale Transformationen oder weisen auch die weniger professionellen Nischenangebote diese Verzerrungen auf – wenn ja, in welcher Art?
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Wissensvermittlung in den Massenmedien
2.1 Selektion, Nachrichtenwert und Nachrichtenfaktoren
2.2 „Boulevardisierung“ und Wissenstransformation
3. Die Neuen Medien: Internet und WWW
3.1 Die Neuen Medien aus Sicht der Kommunikations- und Medienforschung
3.2 Hypertext
4. Wissensressourcen im WWW – ein Überblick
4.1 Publizistische Onlineangebote
4.1.1 Ableger von Massenmedien
4.1.2 Publizistische Nischenmedien
4.2 Weitere Nischenangebote: Weblogs und Wikis
4.2.1 Die Blogosphäre
4.2.2 Wikis
5. Wissensvermittlung im WWW
5.1 Web 2.0
5.2 Profession und Partizipation
6. Gegenstand der Untersuchung
6.1 Engere Fragestellung
6.2 Mediendiskurs Demografie
6.3 Materialauswahl
7. Konzeption und Methodik der Untersuchung
7.1 Kritische Diskursanalyse
7.2 Untersuchungskriterien
8. Qualitative Analyse des Materials
9. Vergleichende Betrachtungen
10. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Beständig wachsende und zudem vernetzte Wissensbestände sorgen für ein hohes gesellschaftliches Bildungsniveau. Doch wie wird neues Wissen kommuniziert? Welche Rolle spielen dabei die Neuen Medien? 15 Jahre nach Beginn des kommerziellen World Wide Web ist es nun Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen. Worin liegen die Vor- und Nachteile des Web gegenüber den herkömmlichen Medien?
Die Informationsgesellschaft stellt hohe Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeiten ihrer Mitglieder. Wo es früher eine überschaubare Menge an Zeitungen und Zeitschriften gab, die man regelmäßig als zuverlässige Informationsquelle heranzog, stellt das Internet nun sowohl den Leser als auch den Autor vor neue Herausforderungen. Der Autor muss sich mehr denn je gegenüber der stetig wachsenden Konkurrenz behaupten; der Leser wiederum steht vor einer fast unüberschaubaren Vielzahl von Angeboten im Netz. Die Kommerzialisierung des Internets führte in den letzten Jahren zu einer wahren Informa-tionsflut. Einerseits wächst die Menge und Vielfältigkeit der Angebote, andererseits damit Zweifel an der Qualität der dargebotenen Informationen auf. Im Internet steht der Qualitätsjournalismus in direkter Konkurrenz zur Laienkommunikation.
Wenn ein wissenschaftlicher Originaltext einem Laienpublikum zugänglich gemacht werden soll, wird in aller Regel ein Fachjournalist hinzugezogen. Es wurde in der Vergangenheit vielfach untersucht, mit welchen Mitteln fachliche Inhalte journalistisch für ein Massenpublikum aufbereitet werden. In der Medienwissenschaft herrscht spätestens seit Liebert ein Konsens darüber, dass im Zuge dieser Wissensvermittlung Wissen transformiert, also verändert wird. Die Neuen Medien sollen hier einen Ausweg bieten. An sie ist unter Anderem die Hoffnung geknüpft, dass sie eine unmittelbare und unverzerrte Wissensvermittlung ermöglichen können; unter anderem, weil sie nicht im gleichen Maße unter kommerziellen Zwängen stehen. Die professionellen Journalisten besitzen heute kein Vermittlungsmonopol mehr. Stattdessen gibt es im Internet ein Nebeneinander von professioneller und partizipativer Wissensvermittlung.
Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind folgende: Wie kann die Validität von Informationen nachgeprüft werden? Wieviel Realität wird verfälscht? Welche Wissenstransformationen gibt es? Gibt es nur massenmediale Transformationen oder weisen auch die weniger professionellen Nischenangebote diese Verzerrungen auf – wenn ja, in welcher Art?
Die vorliegende Arbeit verfolgt zwei Ziele. Zunächst soll eine Klassifizierung der verschiedenen Wissensressourcen im Internet erfolgen. Im Anschluss daran werde ich exemplarisch anhand der qualitativen Analyse einiger Beispieltexte die Merkmale der Wissensvermittlung im WWW darstellen, mit besonderem Blick auf die auftretenden Transformationen. Dabei werde ich folgendermaßen vorgehen:
In Abschnitt 2 dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Merkmale massenmediale Wissensvermittlung aufweist. An dieser Stelle ist die Klärung zentraler kommunikations- und medienwissenschaftlicher Begriffe unverzichtbar. Nachdem in den folgenden Abschnitten 3 und 4 ein Überblick über die Neuen Medien und die verfügbaren Wissensressourcen gegeben wird, beschreibt Abschnitt 5 Merkmale der Online-Wissensvermittlung und auffällige Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede zur Wissens-vermittlung in den herkömmlichen Medien. Im Anschluss an diese theoretischen Betrachtungen erfolgt eine qualitative Analyse der von mir gewählten Texte. Diese sind inhaltlich dem Bereich der Wissenschaft zuzuordnen, weswegen Abschnitt 6 einen knappen Überblick über den Mediendiskurs Demografie enthält. Die Texte sollen anschließend hinsichtlich der in Abschnitt 7 beschriebenen text- und diskursanalytischen Kriterien von Norman Fairclough untersucht werden. Im letzten Abschnitt werde ich anhand der gewonnenen Erkenntnisse versuchen, die zuvor formulierten Leitfragen zu beantworten.
2. Wissensvermittlung in den Massenmedien
Eine zentrale Aufgabe, die den Massenmedien in der Gesellschaft zugeschrieben wird, besteht darin, Fachwissen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. In dem Maße, in dem Wissen eine immer größere Rolle in unserer Gesellschaft spielt, nimmt auch die Bedeutung der Wissensvermittlung zu. Medienexperten sprechen dabei von einer zunehmenden Popularisierung von Wissenschaft in den Massenmedien. Die Adressaten dieser fachexternen Kommunikation sind primär Laien, die Autoren entweder Experten, in den meisten Fällen jedoch Journalisten bzw. professionelle Vermittler von Fachwissen.
Die Verständigung zwischen Fachleuten und der Öffentlichkeit kann sich als sehr schwierig erweisen und mitunter sogar misslingen. Es gibt verschiedene Vorstellungen darüber, wie ein idealer Vermittlungstext auszusehen hat. Einig ist man sich jedoch darüber, dass der Erfolg des Kommunikationsprozesses nicht nur durch rein inhaltliche Aspekte des Textes bestimmt wird, sondern von der Art und Weise der Vermittlung dieser Inhalte abhängig ist. Heringer bietet einen pädagogischen Ansatz an, in dem die Forderung an den Produzenten lautet: „Sorge dafür, daß dein Partner versteht, was Du sagst“ (Heringer 1979, 259). Er rät dazu, möglichst in der antizipierten Sprache des Rezipienten zu schreiben und an schon bestehendes Wissen der Rezipienten anzuknüpfen. Die Fachliteratur nennt noch weitere Faktoren, die der Verstehenssicherung dienen können: eine eindeutige Adressatenorientierung, eine gute Textorganisation, die Reduzierung von Komplexität, die Einführung und Erläuterung fachlicher Termini sowie die Nennung von Quellen. Im Zweifelsfall soll die fachliche Richtigkeit immer über den Unterhaltungswert einer Nachricht gestellt werden.
Niederhauser stellt in einem Aufsatz Strategien der Wissenschaftsvermittlung vor (vgl. 1999, 117ff.). Sein Ansatz rückt die Wissenschaft in den Mittelpunkt und dient hauptsächlich der Verstehenssicherung. Von ihm wird die narrative Präsentation eines wissenschaftlichen Themas empfohlen. Er kritisiert, dass die grundlegenden Komponenten des Wissenschaftsprozesses – Geschichte und Methoden der Forschung sowie Aus-wirkungen und Nutzen einer Entdeckung – in populärwissenschaftlichen Texten nicht vermittelt werden. Auch seien die Darstellung der Forscher und eine damit verbundene Personalisierung und Emotionalisierung des Themas ein geeignetes Mittel, um den Leser für ein wissenschaftliches Thema zu interessieren.
2.1 Selektion, Nachrichtenwert und Nachrichtenfaktoren
Mit der voranschreitenden Kommerzialisierung des Mediensystems stehen die Massenmedien heute mehr denn je unter einem enormen Druck. Journalisten sind permanent dem Zwang der Selektion unterworfen, da die tägliche Informationsflut anders nicht bewältigt werden kann. Laut Baecker ist Kommunikation nicht als reine Übertragung von Informationen zu verstehen, sondern als Selektion, die einen Möglichkeitsraum eröffnet: „Kommunikation heißt, es mit mehr Möglichkeiten zu tun zu haben, als man bewältigen kann, und es […] mit Einschränkungen zu tun zu bekommen“ (2005, 8). Journalisten müssen von Fall zu Fall entscheiden, ob und wie ein Ereignis weitervermittelt wird – sie fungieren als Gatekeeper[1].
Lippmann beschäftigt sich als einer der ersten Theoretiker mit dem Problem der Informationskomplexität der modernen Gesellschaft. In dem Publizistik-Klassiker Public Opinion[2] legt er den Grundstein für eine Nachrichtenwert-Theorie (1964, 345 ff.). Unter dem Begriff ‚Nachrichtenwert’ versteht er die Publikationswürdigkeit eines bestimmten Ereignisses. Die Auswahl aus der täglich eingehenden Informationsflut wird aufgrund dieses Nachrichtenwerts getroffen. Ausgehend von Lippmanns Studien entwickelten Galtung und Ruge 1965 einen Katalog von zwölf allgemeinen Auswahlkriterien, die sie als ‚Nachrichtenfaktoren’ bezeichnen und die darüber bestimmen, ob ein Ereignis publiziert wird. Als weltweit gültig und kulturunabhängig werden folgende Faktoren eingestuft: Frequenz, Aufmerksamkeitsschwelle, Eindeutigkeit, Bedeutsamkeit, Konsonanz, Überraschung, Kontinuität und Variation. Bedeutsam für die nordwestlichen Kulturen halten sie: Betroffenheit von Elitenationen, Betroffenheit von Elitepersonen, Personalisierung und Negativismus (vgl. Galtung/Ruge 1965, 65ff.[3] ). Neben einigen aufgegebenen Kriterien kennt die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft heute noch eine Reihe weiterer Ereignismerkmale, die laut Weischenberg auf den zwei zentralen Nachrichtenfaktoren Bedeutung und Publikumsinteresse beruhen (vgl. Weischenberg 2001, 26-35).
2.2 „Boulevardisierung“ und Wissenstransformation
Die von Niederhauser entwickelten Strategien stehen somit in direkter Konkurrenz zur journalistischen Realität. Die fachgerechte Vermittlung von Wissen und Praktiken zur Verstehenssicherung spielen in der Regel nur noch eine untergeordnete Rolle. Das journalistische Muster des Geschichtenerzählens wird zwar im Unterhaltungsteil von Zeitungen umgesetzt, jedoch nicht bei der Wissenschaftsvermittlung. Stattdessen sprechen Medienwissenschaftler von einer „Boulevardisierung“ und Skandalisierung der Realität. Das Sensationelle, Abnorme und Skurrile – also alles, was der Maximierung von Aufmerksamkeit dient – wird in den Vordergrund gerückt. Ein besonders starker Einfluss wird damals wie heute den Faktoren Negativismus/Konflikt (oder auch neudeutsch 'bad news') zugesprochen. Negative Entwicklungen werden oft übertrieben dargestellt, positive weitgehend ausgeblendet. Auch der Qualitätsjournalismus macht davor nicht halt. Der Rückgriff auf immer sensationellere Katastrophen führt laut Weingart zu einer Inflationierung des Aufmerksamkeitswertes und zu einem Verlust sowohl des Nach-richtenwertes als auch der Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Prognosen (vgl. 2001, 31).
Schon Galtung und Ruge haben dieses Phänomen der Dramatisierung beobachtet. Über die Funktionsweise und das Zusammenwirken der Nachrichtenfaktoren wagen sie 1965 folgende Prognosen: Es werden bei einem Ereignis diejenigen Merkmale besonders hervorgehoben, die gemäß der Nachrichtenfaktoren seinen Nachrichtenwert ausmachen. Sie sprechen dabei von ‚Verzerrung’ (1965, 70).
Liebert greift dieses Thema 2002 unter dem Begriff der ‚Transformationen’ wieder auf. Seine These lautet, dass die Nachrichtenwerte als „stereotype Hypothesen von Journalisten über die Bedürfnisse ihres Zielpublikums“ einzustufen sind (2002, 356). So herrscht zum Beispiel die Vorstellung vom sensationsinteressierten Laien. Liebert sagt weiterhin, dass ein Vermittlungsbegriff nicht auf ‚Wissenstransfer’ reduziert werden kann. Angesichts der „strukturelle[n] Eigenschaften des gegenwärtigen Mediensystems“ (ebd., 348) muss man heute von ‚Wissenstransformation’ sprechen (vgl. ebd., 11). Er beschreibt folgende Transformationen: Vorläufiges wird endgültig, Uneindeutiges wird eindeutig, Wahrscheinliches wird sicher (vgl. ebd. 362f.).
Nachrichten können aufgrund der oben beschriebenen Selektionsentscheidungen nur Aus-schnitte der Realität vermitteln, bilden diese jedoch niemals ab (vgl. Maier 2003, 28). Journalismus ist demnach nur eine „Form der Wirklichkeitskonstruktion“ (Roth 2005, 35).
3. Die Neuen Medien: Internet und WWW
Das Internet hat die Medienlandschaft der letzten 15 Jahre verändert. Es ist heute ein selbstverständlicher Bestandteil des Medienangebots. Die Zahl der Internetnutzer weltweit liegt erstmals über einer Milliarde[4]; der Zuwachs allein zwischen 2000 und 2005 liegt bei 183,4 %. In Deutschland sind 58 % der Bevölkerung ab 14 Jahre im Netz (vgl. van Eimeren/Frees 2005).
Das Internet ist heutzutage fest in den Alltag eingebunden. Laut der aktuellen ARD/ZDF-Online-Studie nutzt die überwiegende Mehrheit das Web zum Abrufen von E-Mails (78%) und zur zielgerichteten Suche nach bestimmten Informationen (53%). Die am häufigsten genutzten Medieninhalte bei der Informationssuche sind aktuelle Nachrichten (47%) und die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Bildung (44%) (vgl. ebd.).
Die Studie bestätigt erneut die Komplementärbeziehung zwischen dem Internet und den klassischen Medien: Der Medienkonsum nimmt insgesamt zu, ein „Verdrängungs-wettbewerb von Fernsehen und Hörfunk durch das Internet findet nicht statt“ (N.N. 2005). Im Gegenteil: Die Nutzungsdauer von Fernsehen und Radio hat, genauso wie die Nutzung des Internet, in den vergangenen Jahren konstant zugenommen. (vgl. van Eimeren/Frees 2005, 376-377).
3.1 Die Neuen Medien aus Sicht der Kommunikations- und Medienforschung
Bei den Neuen Medien handelt es sich nicht um „Medien im Sinne von Geräten zur Informationsspeicherung und -übermittlung“, sondern um „Plattformen, auf denen bestimmte Kommunikationsformen angeboten werden“ (Luginbühl 2005, 426). Durch diese vielfältigen Kommunikationsangebote des Internet sah sich die Kommunikations-wissenschaft gezwungen, von einer eindeutigen Trennung zwischen individuellen und massenmedialen Medien Abstand zu nehmen. Dennoch möchte ich mich an dieser Stelle kurz mit der Frage auseinandersetzen, welche der Neuen Medien als Massenmedien betrachtet werden können. Hält man sich an Maletzkes Definition von Massen-kommunikation – „die öffentliche, indirekte und einseitige Vermittlung von Aussagen durch technische Verbreitungsmittel an ein disperses Publikum“ (Maletzke 1978, 32) – wird das Internet auf den ersten Blick den Anforderungen eines Massenmediums gerecht. Es ist ein technisches Verbreitungsmittel, hat öffentlichen Charakter und kommuniziert an zahlreiche heterogene Rezipienten. Die Bedingung der Unidirektionalität verbietet jedoch jegliche Form von Interaktion zwischen Produzenten und Rezipienten (vgl. Habscheid 2005, 57). Nur Formen der ‚Ein-Weg-Kommunikation’ können den Status des Massenmediums erlangen (vgl. ebd., 60). Das Internet ermöglicht jedoch Interaktion; es kann als Kommunikationsmittel uni- und bidirektional sein und besitzt somit nicht per se massenmedialen Charakter.
An dieser Stelle scheint eine Unterscheidung zwischen ‚Internet’ und ‚World Wide Web’ wichtig. Die Begriffe werden gerne synonym verwendet, sind aber keinesfalls gleich-zusetzen. Beim Internet handelt es sich nicht um ein Neues Medium; es ist vielmehr ein Sammelmedium, in dem verschiedene Neue Medien koexistieren. Es bietet „Dienste an, deren Kommunikationsformen das ganze Kontinuum von one-to-one (z.B. private E-Mail), one-to-many (WWW-Seiten) und many-to-many (z.B. Plauder-Chat) abdecken“ (Luginbühl 2005, 425f.). Das WWW ist demnach nur eine von vielen Anwendungen innerhalb des Internet. Betrachtet man nun diese Anwendungen als eigenständige Medien, so ließen sich einige eindeutig der Individual- oder der Massenkommunikation zuordnen (vgl. Wysterski 2003, 24). E-Mail und Chats ermöglichen Interaktion und sind somit der Individualkommunikation zuzurechnen. Die „durch Ausstrahlung und Ein-Weg-Kommunikation charakterisierte Kommunikationsform [WWW, T.H.]“ (Habscheid 2005, 61) erfüllt die von Maletzke und Habscheid formulierten Bedingungen und kann daher am ehesten als Massenmedium klassifiziert werden. Weblogs als ein Teil des WWW stellen jedoch weiterhin ein Definitionsproblem dar (siehe Abschnitt 4.2.1).
3.2 Hypertext
Rada definiert das WWW als „ein weltweites, auf dem Internet basierendes Hypertext-Informationssystem“ (1999, 18). Will man die Eigenschaften des Hypertexts oder allgemein des Internet zusammenfassen, kann man von einer ‚Entgrenzung der Kommunikation’[5] sprechen: ökonomisch (reduzierte Produktions- und Veröffentlichungs-kosten), zeitlich (permanente Aktualisierbarkeit), räumlich (ortsunabhängige Rezeption), kodal (Multimedialität), modal (private und öffentliche, Individual- und Massenkommunikation) und funktional (z.B. Information und Unterhaltung). Darüber hinaus können Hypertexte ohne journalistische Ausbildung erstellt werden.
Die zentralen Merkmale zur Definition des Hypertextes liegen in seiner Non-Linearität und in seiner Multimedialität. Die im Nachrichten-Journalismus der klassischen Printmedien etablierte Darstellungsform nach der Struktur der ‚umgekehrten Pyramide’[6] ist für das Internet unbrauchbar (vgl. Weischenberg 2001, 76). „An die Stelle der Metapher der Pyramide tritt die Metapher des Netzes “ (ebd., 77). Die traditionelle Struktur des komplexen Lang-Textes wird aufgelöst. An seine Stelle treten „Cluster von zusammenwirkenden einzelnen Teil-Texten“ (Burger 2005, 233). Durch diese ‚De-Linearisierung’ (233) hat der Leser mehr Einfluss auf die Prozessierung der Inhalte. Die Selektion findet demnach sowohl beim Produzenten als auch beim Rezipienten statt: „Auswahl, Gewichtung und Perspektivierung der Informationen obliegt dem Nutzer“ (Jakobs und Lehnen 2005, 161). Er befindet sich aber dadurch ebenfalls in einer ‚Schlüssellochperspektive’, da er nur einen kleinen Teil des Gesamtkonstruktes sieht (vgl. ebd.).
Multimedialität ist prinzipiell nichts Neues – auch Zeitungen verwenden sowohl Text als auch Bildelemente – nur im WWW intensiviert: Webseiten sind „Hörfunk, Fernsehen, Video, Zeitung, Bildband und Computeranimation in einem“ (Luginbühl 2005, 432). Im WWW findet man nun Audiomaterial, Videomitschnitte von Nachrichtensendungen und Interviews, Suchfunktionen, Archive und Links zu externen Seiten.
4. Wissensressourcen im WWW – ein Überblick
Zu Beginn meiner Untersuchung ging ich von zwei möglichen Vermittlungsformen im WWW aus: der massenmedialen und der zielgruppenorientierten Vermittlung von Wissen. Dabei stützte ich mich auf die Darstellungen von Androutsopoulos (2005), der zwischen Online-Ablegern von Massenmedien und Nischenangeboten unterscheidet. Da sich seine Arbeit aber ausschließlich mit journalistischen Online-Angeboten beschäftigt, ist diese Zweiteilung für meine Untersuchungszwecke nur hinreichend. Man muss auch die nicht-journalistischen Nischenangebote berücksichtigen. Eine differenziertere Betrachtungsweise ist zwingend notwendig, um im weiteren Verlauf der Untersuchung die verschiedenen Praktiken der Wissensvermittlung herauszuarbeiten. Ich werde dafür einen Aufsatz von Neuberger (2004) hinzuziehen, in dem ein Nebeneinander von professioneller und partizipativer Wissensvermittlung beschrieben wird[7]. Professioneller Journalismus wird vor allem von den klassischen Massenmedien im Internet betrieben und nur von einigen reinen Online-Anbietern. Androutsopoulos spricht hier von den publizistischen Onlineangeboten.
4.1 Publizistische Onlineangebote
Ich werde mich zunächst noch auf Androutsopoulos beziehen, der publizistische Onlineangebote folgendermaßen definiert: „Websites mit redaktionell aufbereiteten, regelmäßig aktualisierten Informationen über einen spezifischen Themenbereich“ (2005, 100). Nach dieser Definition unterscheiden sie sich von Laien-Angeboten hauptsächlich durch ihre hohe Angebotsqualität und Professionalität – dadurch, dass sie journalistische Prinzipien und Konventionen weitestgehend einhalten. Androutsopoulos differenziert innerhalb dieses klassischen Onlinejournalismus zwischen der massenmedialen Ver-mittlung von Nachrichten (‚Broadcasting’) und ‚kleinen Medien’, die ihr Angebot auf eine begrenzte, hoch spezialisierte Zielgruppe zugeschnitten haben (‚Narrowcasting’) (vgl. ebd., 99)[8].
4.1.1 Ableger von Massenmedien
Internet und Massenmedien existieren nicht nebeneinander, sondern sind „in vielfältiger Weise miteinander vernetzt“ (Habscheid 2005, 63). Die klassischen Printmedien haben die Zeichen der Zeit erkannt: Seit Mitte der 90er Jahre sind die meisten deutschsprachigen Zeitungen im WWW mit einem Angebot zu finden. Unter <http://www.zeitung.de> sind derzeit 34 überregionale Online-Zeitungen (auch ‚E-Paper’ genannt) aus Deutschland gelistet (Stand Juli 2006). Zeitschriften und Nachrichtensendungen der öffentlich rechtlichen Fernsehsender zogen schnell nach. Die Informationsgesellschaft zur Fest-stellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) erhebt monatlich für mehrere hundert Online-Angebote die Zahl der Besucher (‚Visits’). Derzeit besonders stark frequentiert werden: SPIEGEL ONLINE, Bild.de, RTL.de, heise online, FOCUS Online, stern.de, FAZ.NET, sueddeutsche.de, DIE WELT.de, tagesschau.de[9].
‚Broadcasting’ bildet den Kernbereich des Online-Journalismus. Bei den Autoren handelt es sich meist um Berufsjournalisten, die Ereignisse tagesaktuell onlinegerecht aufarbeiten, aber inhaltlich noch stark an das Muttermedium gebunden sind (vgl. Androutsopoulos 2005, 100f.). Sie orientieren sich dabei an den journalistischen Routinen und den Nachrichtenfaktoren der klassischen Berichterstattung (vgl. Schmidt 2006, 136 sowie Abschnitt 2.1). Das Verhältnis dieser Online-Angebote zu den traditionellen Medien kann also als komplementär beschrieben werden, da sie „keine eigenen Informationen recher-chieren, sondern bereits Publiziertes aufgreifen, darauf verweisen und kommentieren“ (Neuberger 2003a, 132). Es gibt nur wenige autonome Angebote, meistens werden Texte aus dem Printmedium übernommen und lediglich mit Hintergrundmaterial angereichert. Zwar wird Raum für Meinungsäußerungen gewährt (so bietet fast jede dieser Websites Diskussionsforen und Weblogs an, mehr dazu in Abschnitt 4.2), eine kritisch-alternative Berichterstattung außerhalb der kommerziellen Medien findet jedoch nicht statt. Weiterhin herrscht ein allgemeiner Konsens darüber, dass diese Medien die multimedialen Mög-lichkeiten des WWW zwar erkannt haben, diese aber noch nicht ausreichend nutzen.
[...]
[1] Vgl. dazu die umfangreiche Gatekeeperforschung.
[2] Deutsche Übersetzung: Die öffentliche Meinung (1964)
[3] Einen umfassenden Überblick über die Entstehung der Nachrichtenwert-Theorie und den Forschungstand zu den Nachrichtenfaktoren bietet Maier (2003).
[4] Laut <www.internetworldstats.com> (letzte Aktualisierung: 31.März 2006) sind es 1,022 Milliarden Nutzer
[5] Zur Entgrenzung der Kommunikation im Internet vgl. Neuberger 2002 und Neuberger 2003b, 56-69 sowie Androutsopoulos , 100.
[6] Merkmale sind hierbei folgende: Höhepunkt am Anfang und im Verlauf abnehmende Bedeutung der angebotenen Informationen
[7] Neuberger spricht genau genommen von drei Vermittlungsformen. Die technisch gesteuerte Vermittlung ist jedoch für meine Arbeit nur in Hinsicht auf einen Aspekt von Bedeutung (siehe Abschnitt 5.1).
[8] Definitionen wie die von Meyer-Lucht (2004, 26) – Journalistische Online-Angebote sind Webseiten, die „das aktuelle Geschehen professionell und von Dritten unabhängig mit dem Ziel einer kommerziellen Massenverbreitung aufbereiten“ – halten noch zu stark an dem traditionellen Journalismusbegriff fest, der die Professionalität in den Mittelpunkt rückt, aber den Journalismus an Medienunternehmen und ein Massenpublikum gebunden sieht (Neuberger 2003a, 132). Widersprüchlicherweise wird hier einerseits der massenmedialen Aspekt betont, aber andererseits von einer Autonomie gesprochen, die gerade in den Massenmedien nicht vorzufinden ist.
[9] Vgl. <http://ivwonline.de/ausweisung2/search/ausweisung.php> (Stand Juni 2006).
- Arbeit zitieren
- Theresa Henning (Autor:in), 2006, Wissensvermittlung im World Wide Web, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89212
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