Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit einem Teilaspekt der Hamburger Studie zum studentischen Sexualverhalten im sozialen Wandel (1966-1996).
Sie geht der Frage nach, wie das Gros der Studenten mit der Bedrohung durch AIDS umgeht.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Methode
III. Ergebnisse
Heterosexuelle
AIDS-Sorge
sexueller Verzicht
HIV Test
Einstellung zu Kondomen
Homosexuelle
AIDS-Sorge
sexueller Verzicht
HIV Test
Einstellung zu Kondomen
Homosexuelle Frauen
Risikoabschätzung
Erleben der AIDS
Bedrohung nach Fachgruppen
Berührungspunkte mit HIV im Umfeld
Aktualität von „AIDS“
IV. Diskussion
V. Zusammenfassung
VI. Literatur
VII. Anhang
I. Einleitung
Der Prozeß der sexuellen Liberalisierung wird in Deutschland seit ca. 50 Jahren beobachtet und zur Erfassung des Sexualverhaltens junger Menschen, wurden wiederholt Studentenbefragungen durchgeführt (Abriß bei Clement, 1986). Die dokumentierten Ergebnisse zeigten bis Mitte der Achtziger Jahre ein Fortschreiten der sexuellen Liberalisierung (gemessen an der Zunahme vorehelicher Koituserfahrungen, Anzahl der Sexualpartner, abnehmendes Durchschnittsalter beim ersten Koitus etc.; Clement 1986). Aber wie verhält sich dieser Trend seit der Entdeckung des HIV-Virus? Wie wirkt sich diese Bedrohung auf das Sexualverhalten junger Menschen aus bzw. wie gehen junge Menschen mit dieser Bedrohung um? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit, die wie Voruntersuchungen ebenfalls auf einer Studentenbefragung basiert.
Zur Epidemiologie der HIV Infektion: Der WHO wurden bis zum 20. Juni 1998 weltweit insgesamt 1.893.784 AIDS Erkrankungen gemeldet, die Zahl der Erkrankungen nahm damit gegenüber dem Vorjahr um 15% zu. Diese Zahl der gemeldeten Fälle repräsentiert jedoch nur schätzungsweise 15% der tatsächlich aufgetretenen Fälle. Insgesamt liegt die Zahl der HIV-Infizierten auf der Welt bei schätzungsweise 30,6 Millionen Menschen (Epidemiologisches Bulletin RKI 29/1998), bis zum Jahr 2000 sind es schätzungsweise 40 Millionen, 95% der Betroffenen leben in Entwicklungsländern (UNAIDS 1999).
In Deutschland leben ca. 50 - 60 Tausend HIV - infizierte Menschen (80% Männer/20% Frauen). Die Zahlen der HIV Infektionen belegen, daß der vorrangige Infektionsweg immer noch der homosexuelle Kontakt bei Männern ist (55%), die Zahl der heterosexuellen Infektionen und der Anteil infizierter Frauen nimmt demgegenüber nur langsam zu. Die heterosexuellen Neuinfektion werden mit 13% beziffert, wobei das Gros dabei die heterosexuellen ungeschützten Kontakte zu Angehörigen von Risikogruppen stellen (Robert Koch Institut „Epidemiologische Eckdaten“ 6/98). Die Verteilung der HIV Inzidenzen ist regional sehr unterschiedlich: 52% aller HIV Infizierten leben in den Ballungsräumen (siehe Abbildung 6.1 / Anhang 51). Insgesamt ist hinsichtlich der Transmission belegt, daß die befürchtete Epidemie mit expansiver heterosexueller Transmission in Deutschland ausgeblieben ist (130. Bericht des AIDS - Zentrums des Robert Koch Institut 1998). Die Zahl der jährlichen Neumeldungen stabilisierte sich auf einem Niveau von ca. 5000/Jahr (siehe Tabelle 6.1 / Anhang 52).
Zur HIV - Prävalenz unter Studenten gibt es zwei amerikanische Studien, die große Stichproben untersuchten: Gayle et al. (1990) fanden unter 16.863 Blutproben, die im Rahmen einer Universitätsroutine entnommen worden waren, 30 Antikörper positive Blutproben (entsprechend 0.2 %), 28 dieser Proben stammten von Männern und 19 von Personen über 24 Jahren. Ludewig et al. (1991) führten eine vergleichbare Untersuchung an einem Mischkollektiv aus College- und Universitätsstudenten durch - die Ergebnisse: 33 von 16.530 waren infiziert. Einige Autoren sehen das gegenwärtige Sexualverhalten der Studenten mit Besorgnis (Douglas et al. 1996, Donnelly et al. 1996, Madhok et al. 1993; Morton et al. 1996), weil sie festgestellt haben, daß Studenten Risikoverhaltensweisen hinsichtlich einer möglichen HIV Infektion zeigen (Mc Cullagh et al. 1996). Zudem ist belegt, daß die Hälfte aller Neuinfektionen die Altersgruppe der 15 bis 24-jährigen betreffen (UNAIDS, 1999). Für den deutschen Sprachraum konnten Brothun und Eirmbter 1989 zeigen, daß - wenn man die Häufigkeit der Partnerwechsel zugrunde legt - die Studenten gegenüber berufstätigen Gleichaltrigen einen relativ „gefährlicheren“ Lebensstil durch eine höhere Rate an Partnerwechseln haben (Brothun et Eirmbter, 1989). Objektiv betrachtet muß aber gesagt werden, daß die Studierenden, was die Prävalenz angeht, deutlich unter der Prävalenz der Risikogruppen liegt (Gayle et al. 1990). Vergleichbare Prävalenzstudien an Studenten sind für den deutschen Sprachraum nicht verfügbar.
Zum Thema „Studentisches Sexualverhalten und AIDS“ gibt es im deutschen Sprachraum folgende Untersuchungen: Brothun et Eirmbter (1989) verglichen Studierende mit berufstätigen Gleichaltrigen und fanden, daß das studentische Sexualleben vergleichsweise permissiver war im Vergleich zu Berufstätigen und daß die Informiertheit bei beiden Gruppen gut war; Reimann und Bardeleben beschrieben 1992 mittels Clusteranalyse verschiedene sexuelle Lebensstile mit unterschiedlicher Risikobereitschaft bei Studenten: als Beispiel für eine promiske Gruppe werden die sog. „Anti-Kondom-Männer“ genannt (d.h. Männer, die ihr Sexualverhalten nicht oder nur sehr wenig auf die Bedrohung durch AIDS eingestellt haben, indem sie auch bei Sexualkontakt mit kaum bekannten Personen auf das Kondom verzichten und insgesamt ca. 3 Sexualpartnerinnen pro Jahr haben); Böhm und Rohner zeigten 1988 in einer groß angelegten Querschnittserhebung, daß sich ein Drittel der Studenten durch AIDS bedroht fühlen, mehr als ein Drittel zwei oder mehr Sexualpartner im Jahr hat, ca. 35-40% bei einem neuen Partner ein Kondom benutzen und ca. ein Drittel andere Einschränkungen des Sexualverhaltens aufgrund von AIDS angaben. Bezug nehmend auf diese Studie führten Rohner und Mittag 1989 eine repräsentative Vergleichsstudie an englischen Studenten durch und berichten für die englischen Studenten im Vergleich zu den deutschen eine konservativere Einstellung hinsichtlich Promiskuität und Kondomgebrauch, insgesamt schienen die englischen Studenten die Bedrohung durch AIDS weniger wahrzunehmen als die deutschen Studenten.
Schützwohl und Schulz-Kindermann (1991) wiesen nach, daß das Bedrohtheitsgefühl mit dem tatsächlichen Sexualverhalten und nicht mit der persönlichen Ängstlichkeit zusammenhängt, Neubauer (1989) bestätigte dieses Ergebnis und fand darüber hinaus, daß diejenigen, die mehr Ängste angaben, auch vermehrt ihr Verhalten ändern wollten. Ergänzend sind noch die Studentenuntersuchungen von Elsing et al. (1991) zu nennen, die studienfachabhängig den männlichen Geisteswissenschaftler über 30-jährig als potentiell gefährdet herausstellten und Letzel et al. (1990), die im Rahmen ihrer Münchener Pilotstudie zeigten, daß die Studenten in puncto safer sex zwar Absichten haben, im Verhalten aber inkonsequent sind.
Insgesamt lassen sich die Studentenstudien des deutschen und englischen Sprachraumes in drei große Gruppen unterteilen:
Erstens Querschnittserhebungen, die aktuelles Sexualverhalten unter dem Eindruck von AIDS erfassen (Böhm und Rohner 1988, Brothun und Eirmbter 1989; Elsing et al. 1991, Hawkins 1995, Letzel et al. 1990, Neubauer 1989, Rohner und Mittag 1989, Tillmann et al. 1990, Seal et Agostinelli 1996, Werdelin et al. 1992) und Untersuchungen, die Präventionsprogramme speziell für Studenten evaluieren (Basen-Enquist 1994; , Kowaleski et al. 1991; MacNair-Semands et al 1997; O’Leary et al. 1996), zweitens Studien, die sich im Sinne einer Längsschnittuntersuchung mit Einstellungs- und Verhaltensänderungen unter dem Einfluß von AIDS befassen (Schmidt et al. 1997, Katz et al. 1993, Rosenthal et al. 1996, Simkins 1994) und drittens Studien, die ermitteln, welchen Einflußfaktoren das Sexualverhalten hinsichtlich der Benutzung von Kondomen unterliegt (Tab. 1.3.).
In den meisten Studien werden als Meßkriterien die AIDS Furcht und die tatsächlich vorhandene Verhaltenseinstellung auf AIDS gewählt. So werden wiederholt die Einstellung zu und Benutzung von Kondomen, die sexuelle Permissivität (Häufigkeit der Partnerwechsel und Einstellung zu Treue), Verzicht auf ansteckungsriskante Praktiken und die Durchführung eines HIV-Tests erfragt. Als weiterer Parameter für den Umgang mit AIDS wird Wissen über HIV Transmission und Verhütungsmöglichkeiten geprüft (Tab. 1.1).
Tabelle 1.1. Lebensstil und präventives Sexualverhalten bei heterosexuellen Studenten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1.1. Lebensstil und präventives Sexualverhalten bei heterosexuellen Studenten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zusammenfassend läßt sich für die heterosexuellen Studenten feststellen: Der Anteil derer, die wegen der Immunschwäche schon einmal besorgt gewesen sind, liegt bei ca. einem Drittel, ein Kondom bei einem neuen Partner benutzen je nach Studie zwischen 20 und 50% und einen HIV Test machten ca. 20%. Insgesamt scheint AIDS das studentische Sexualleben nicht wesentlich zu beeinflussen.
Aber wie ist es mit den homosexuellen Studenten? Gibt es bei den Studenten Unterschiede im Umgang mit der Infektionsgefahr in Abhängigkeit von der sexuellen Orientierung?
Eine Studie von Tillmann et al. 1990 belegt, daß die homosexuell Aktiven sich wesentlich besser schützen als die heterosexuell Aktiven. Die Autoren führten eine Vergleichsuntersuchung an homo- und heterosexuellen männlichen Studenten mit der Zielsetzung durch, Unterschiede in Bezug auf AIDS- Angst, Präventionsverhalten und den Einfluß von der Art der Partnerbeziehung und homosexuellen Selbstakzeptanz heraus zu arbeiten. Explizit wurde auch nach „Veränderungen sexuellen Verhaltens“ gefragt „seit Sie (die Studenten) wissen, daß es AIDS gibt“. Hier zeigte sich retrospektiv, daß 68% der Homosexuellen aber nur 7% der heterosexuellen Verhaltensänderungen angaben. In Bezug auf Ängste vor AIDS fanden die Autoren eine Abhängigkeit zur Art der Partnerbeziehung: die wenigsten Ängste wurden in der Gruppe der „Treuen“, „in fester Partnerschaft lebenden“, gemessen. Die Bereitschaft, einen HIV Test durchzuführen, war bei den partnergebundenen, homosexuellen Studenten mit „hoher homosexueller Selbstakzeptanz“ am größten. Hinsichtlich der im Vergleich zu den Heterosexuellen umfassenderen Verhaltenseinstellung auf AIDS bei den Homosexuellen, untermauert eine neuere Erhebung von Steiger 1993 die Aussagen von Tillmann et al. Steiger fand bei dem Klientel einer AIDS Beratungsstelle, daß 58 % der Homosexuellen (gegenüber 24 % der Heterosexuellen) safer sex praktizierten.
Nach Seage et al. (1997) liegt der Anteil der von HIV - infizierten homosexuell aktiven Studenten im Alter von 18 und 29 Jahren bei 1.3% und ist damit geringer als der Anteil in der Vergleichsgruppe der Nichtstudenten (hier liegt die Prävalenz bei 6%). Allerdings handelte es sich hierbei um eine (selegierte) Kohorte von 508 Männern mit 390 Studenten und 117 Nicht-Studenten.
In einer Studie an Patienten (Studenten und Arbeiter), die eine Londoner Klinik wegen einer Geschlechtskrankheit aufsuchten, ließ sich ausmachen, daß von den Betroffenen sowohl bei Frauen und Männern ein hohe Partnerwechselrate bestand und daß 27% der heterosexuellen Männer, aber 33% der homosexuellen Männer beim letzten Geschlechtsverkehr ein Kondom benutzt hatten, bei den Frauen lag der Anteil bei 43% für die Heterosexuellen und 75% für die Bisexuellen (Filipe et al. 1994).
Tabelle 1.2.Lebensstil und präventives Sexualverhalten bei Bi- und Homosexuellen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Für die Homosexuellen läßt sich feststellen, daß die Gefahr durch HIV wahrgenommen wird und das Verhalten weitgehend darauf eingestellt wurde.
Mit der Frage, wovon die Kondombenutzung und das Wissen über AIDS bei sexuell aktiven jungen Leuten abhängig ist, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit nicht. Da dieser naspekt jedoch ins Auge springt, sei kurz darauf eingegangen. In der Literatur fand und findet zu den Einflußfaktoren eine sehr differenzierte Auseinandersetzung statt, und es wurden unterschiedliche Bedingungsfaktoren für safer sex ermittelt:
Tabelle 1.3. Zusammenhänge zwischen Wissen, Kondombenutzung und anderen psychosozialen Faktoren
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1.3. Fortsetzung: Zusammenhänge zwischen Wissen, Kondombenutzung und anderen psychosozialen Faktoren
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1.3. Fortsetzung: Zusammenhänge zwischen Wissen, Kondombenutzung und anderen psychosozialen Faktoren
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zusammengefaßt läßt sich festhalten, daß präventives Sexualverhalten nicht von Wissen über HIV abhängig ist (Ramsum et al. 1993; Raj 1996; Crawford et al. 1994), sondern ein Ergebnis zahlreicher Einzelfaktoren darstellt (siehe Tabelle 1.3.).
Zum Prozeß der sexuellen Liberalisierung ist anzumerken, daß sich dieser Prozeß zwar zu verlangsamen scheint, aber kein Stillstand erreicht wurde: Die Masturbationshäufigkeit nimmt zu, während das Alter beim ersten Koitus nicht weiter sinkt (Clement et al. 1984, Schmidt et al. 1996, Dannecker 1994).
Bei den homosexuellen Studenten ist die Anpassung an die Bedrohung durch AIDS deutlicher ausgeprägt als bei den Heterosexuellen.
Welches Anpassungsniveau an die Bedrohung besteht heute, nach Abklingen der „Panikwelle“ der 80ger Jahre, nachdem sich gezeigt hat, daß eine infiltrative Aus-breitung in Deutschland ausgeblieben ist? Welche Verhaltenseinstellungen auf die HIV - Gefahr bestehen dauerhaft und wie wird diese Bedrohung wahrgenommen? Gibt es Unterschiede verglichen mit früheren Erhebungen hinsichtlich der wahrgenommenen Bedrohung oder im Sexualverhalten?
Wie hängt die Risikoeinschätzung mit Geschlecht und Sexualverhalten zusammen?
Die vorliegende Untersuchung ist als Querschnittserhebung konzipiert, basierend auf einer Fragebogenuntersuchung an deutschen Studenten und stellt einen Teilaspekt der Hamburger Studie „Studentisches Sexualverhalten im sozialen Wandel, 1966-1996“ dar.
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- Quote paper
- Dr. med. Claudia Loens-Meßtorff (Author), 2000, Umgang deutscher Studierender mit der Bedrohung durch AIDS, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89170
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