Der Dualismus der Rechtsquellen

Eine historische Analyse


Seminararbeit, 2007

29 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Die Entwicklung des Naturrechts
B.I. Das Naturrecht in der Antike
B.I.1. Die Sophisten
B.I.2. Aristoteles
B.I.3. Die Lehren der Schule der Stoa
B.II. Das Naturrecht im Mittelalter (5. – 16. Jh.)
B.II.1. Augustinus
B.II.2. Thomas von Aquin
B.III. Das Naturrecht der Aufklärung (17. – 18. Jh.)
B.III.1. Thomas Hobbes
B.III.2. Samuel Pufendorf
B.III.3. Christian Wolff
B.IV. Ergebnis

C. Die Entwicklung des Rechtspositivismus
C.I. Der frühe Rechtspositivismus
C.I.1. Die Historische Rechtsschule
C.I.2. Georg Jellinek
C.II. Der Rechtspositivismus in der Weimarer Zeit
C.II.1. Der Höhepunkt des Rechtspositivismus: Die Reine Rechtslehre von Hans Kelsens
C.II.1.a Die Trennungsthese
C.II.1.b Die Lehre von der Grundnorm
C.II.1.c Fazit
C.II.2. Gustav Radbruch
C.III. Ergebnis

D. Die Anwendung der Radbruch’sche Formel in der Mauerschützen-Judikatur
D.I. Die Ausgangssituation
D.II. Die Beurteilung nach dem Recht der DDR
D.III. Die Argumentation in den Mauerschützen-Prozessen
D.IV. Wertung

E. Schlussbemerkungen

Bibliographie

A. Einleitung

Der Begriff des Naturrechts steht für ein allgemeingültiges, zeitloses Idealrecht, das den Individuen von Natur aus vorgegeben ist. Dagegen ist das positive Recht, das von einer staatlichen Instanz gesetzte Recht[1]. Über die Jahrhunderte galt das Naturrecht als überlegen, da es dem gesetzten Recht als „Richtschnur“ und „Schranke“ vorausgeht und somit übergeordnet ist.[2] Die 1576 veröffentlichte Souveränitätslehre Jean Bodins, die die Gesetzgebung durch den Souverän zur zentralen Aufgabe des Staates erklärt, verbunden mit der Säkularisierung im 17./18. Jahrhundert, stellt den Wendepunkt der bis dato vorherrschenden Dominanz des Naturrechts und die Durchsetzung des wertfreien, positiven Rechts dar.[3] „Aus dem vorher einheitlichen wird ein dualistischer Rechtsbegriff.“[4] Als Gegenbewegung zum Naturrecht dominierte daher im 19. Jahrhundert der Rechtspositivismus, nach dessen Auffassung allein das positiv gesetzte Recht, unabhängig seines Inhalts, gilt.

Im Mittelpunkt dieser Seminararbeit soll, auf Grundlage der Anwendung der sog. Radbruch’schen Formel in der Mauerschützen-Judikatur Anfang der 90er Jahre, der Frage nachgegangen werden, inwieweit naturrechtliche Theorien im Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts Berücksichtigung finden bzw. finden sollen. Um diese Frage zu beantworten, bedarf es vorher einer historischen Analyse der Entwicklung des Verhältnisses von Naturrecht und Rechtspositivismus, auf die nun im Folgenden näher eingegangen werden soll.

B. Die Entwicklung des Naturrechts

Zurückverfolgen lassen sich die Entwicklungslinien des Naturrechts bis in die Antike, von der aus es sich dann in drei Phasen entwickelt hat. Zu unterscheiden ist hier das Naturrecht der Spätantike, in der dem Recht ein transzendentaler Ursprung nachgesagt wird, das christliche Naturrecht der mittelalterlichen Theologie, das auf einen außerirdischen Schöpfergott Bezug nimmt und das Naturrecht des Zeitalters von Naturwissenschaften, Rationalismus und Aufklärung, also das Vernunftrecht.

B.I. Das Naturrecht in der Antike

B.I.1. Die Sophisten

Die Berufung auf das Naturrecht findet ihren Ausgangspunkt in der griechischen Aufklärung im 5. Jahrhundert v. Chr., die geprägt war von der Vorstellung der Einheit von Gesetz und Natur. Hier existiert neben dem Naturrecht der Nomos, das von der Bürgerschaft des demokratischen Stadtstaates unter Beachtung der Gesetze des Seins beschlossene Gesetz.

Mit dem Zerfall dieser Einheit rückt der Mensch in den Mittelpunkt des philosophischen Interesses, das zuvor ganz der Erklärung und Beobachtung der Natur gewidmet war. So galt schon bei den Sophisten der Mensch als „das Maß aller Dinge“.[5] Damit verbunden wandelt sich auch die Idee des Naturrechts, der nun statt eines göttlichen Ursprungs, die Natur des Menschen zugrunde gelegt wird. Dies führte allerdings zu dem Problem, dass keine Einigkeit darüber bestand, was denn die Natur des Menschen ausmache und schließlich in einer Dichotomie innerhalb der Naturrechtslehre gipfelte. Ein Teil der Naturrechtsgelehrten vertrat ein ideelles Naturrecht, das den Menschen als vom Logos (der Vernunft) geleitetes geselliges Wesen erachtete und das Recht aus einer idealen, ewig währenden Ordnung abgeleitet wird[6]. Demgegenüber vertrat ein anderer Teil ein existenzielles Naturrecht, das den Menschen als nicht-rationales, eher triebhaft geleitetes Wesen verstand und das Recht somit auch nur die Folge einer situationsbedingten Entscheidung sein bzw. auf einem Akt der Daseinsbehauptung beruhen kann.[7]

Vor allem die Sophisten vertraten die Auffassung eines unvollkommenen Menschenbildes. So ist für Protagoras (490 – 411 v. Chr.) der Mensch von seiner Natur aus „ein Mängelwesen“. Um ihn von seinen Defiziten zu befreien, wählt er die Gesetzesordnung, die als Einheit mit der Natur, den Menschen Form und Halt geben soll. Damit leitet er gleichzeitig das positive Recht aus der Natur ab, da erst der von Natur unvollkommene Mensch Recht und Gesetz notwendig macht.[8]

B.I.2. Aristoteles

Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) differenziert in seiner Lehre hinsichtlich dem natürlichen und dem von Menschen gesetzte Recht. Dabei definiert er das Naturrecht als das allgemeine Gesetz, das von einem „höchsten Vernunftwesen“[9] in den Menschen hineingelegt wurde. Daneben steht das besondere Gesetz, das von den Menschen geschriebene oder ungeschriebene Recht.[10] Das eine Recht ist ewig und unabänderlich, das andere beliebig und abänderbar. Ähnlich wie die Sophisten führte Aristoteles die Trennung der Rechtsquellen auf die Unvollkommenheit des Menschen zurück. Er argumentiert, dass das allgemeine Recht bei allen Menschen unabhängig ihrer Sprachen und Kulturen Annerkennung findet, während das besondere Recht nur in bestimmten Gebieten Bestand hat und Sprachbarrieren nicht überwinden kann. Als Beispiel führt Scattola die allgemeingültige Pflicht zur Bestattung von Verwandten an, auf die sich alle Menschen berufen können.[11]

B.I.3. Die Lehren der Schule der Stoa

Eine Weiterentwicklung des Naturrechts erfolgte schließlich in der römischen Stoa. Deren Gelehrte glaubten an die Idee einer allgemeinen Weltvernunft, aus welcher ein den gesamten Kosmos ordnendes Weltgesetz entfließt, dass die Quelle aller Normen darstellt.[12] Cicero (106 – 43 v. Chr.) leitet daraus eine Trias der Normenquellen ab: die lex aeterna als ewiges Gesetz, die lex naturalis als natürliches Gesetz und die lex humana bzw. lex positiva, als das menschliche positiv gesetzte Recht.

Die lex aeterna definiert sich als unabänderliches, kosmisches Gesetz, dem die Menschen schicksalhaft unterworfen sind. Sie ist eine Ebene, die über allen steht und alle Geschehnisse zu einer Reihe von Ursachen und Wirkungen verknüpft.[13] Hierzu zählen z.B. die Vernunft, der Lauf der Sonne und der Jahreszeiten, die Schwerkraft und die Gezeiten. Demgegenüber steht die lex humana bzw. lex positiva, das von Menschen gesetzte, abänderbare Recht. Dazwischen steht die lex naturalis, ein unabänderliches Recht, das allen Menschen inne wohnt und immer dann zum Tragen kam, wenn sich auf positivrechtlicher Ebene ein Konflikt abzeichnete. Die lex humana bzw. lex positiva erlangt nur Geltung, wenn sie mit dem Naturgesetz übereinstimmt.[14]

B.II. Das Naturrecht im Mittelalter (5. – 16. Jh.)

Die Geschichte des Naturrechts im Mittelalter wurde im Wesentlichen bestimmt und geprägt von den christlichen Kirchenlehrern Augustinus (354 – 430) und Thomas von Aquin (1225 – 1274). Beide verknüpften die antike naturrechtliche Tradition mit der alttestamentarisch-jüdischen christlichen Lehre.

B.II.1. Augustinus

Einen ersten nachhaltigen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Naturrechtslehre im Mittelalter nahm Augustinus, der an der Zeitwende zwischen Antike und Mittelalter die platonische Ideenlehre adaptierte und vom Gedanken einer ewigen, unveränderlichen göttlichen Ordnung ausging.[15] Aus der Lehre der Stoa greift er die Dreiteilung der Normenquellen auf, bezeichnet aber das menschlich gesetzte Recht als lex temporalis, da es nicht ewig und unveränderbar ist, sondern der jeweiligen gesellschaftspolitischen Situation angepasst werden kann. Des Weiteren vertrat er die Auffassung, dass das Recht nur verbindlich sein kann, wenn es im Einklang mit der lex naturalis steht. Folglich ist ein Gesetz, das nicht gerecht ist, auch kein Gesetz. Demgegenüber verbindet er die lex aeterna, in der Rechtsphilosophie Ciceros das überweltliche, kosmische Gesetz, mit der Schöpfungsordnung Gottes.[16]

B.II.2. Thomas von Aquin

Thomas von Aquin baute im 13. Jahrhundert auf diese theologische Glaubenslehre auf und entwickelt sie fort, indem er von einem göttlichen Schöpfungsplan ausgeht, dessen Bestandteile alle Menschen und Dinge dieser Welt sind.[17] Neben der stoisch-augustinischen Unterscheidung der drei Gesetze der Weltordnung baut sein Denksystem auf dem aristotelischen Intellektualismus auf, nachdem die Vernunft, Grundlage der Erfüllung des Menschen sei.[18] So verbindet Thomas von Aquin den Ordnungsgedanken aus dem Schöpfungsplan Gottes mit der aristotelischen Lehre, dass alle Geschöpfe von Natur aus Verwirklichung einer spezifischen Form anstreben. Grundlage der Verwirklichung des Ordnungsgedankens ist die Vernunft als Basis aller Freiheit. Diese Herleitung untermauert er zudem durch die alttestamentliche „Goldene Regel“ und dem Dekalog, den Heiligen Zehn Geboten, die die Menschen stets daran erinnern sollen, was das natürliche Gesetz ist.[19]

B.III. Das Naturrecht der Aufklärung (17. – 18. Jh.)

Im Zeitalter des Naturrechts der Aufklärung zeichnet sich ein Wandel hinsichtlich der Betrachtungsweise des Naturrechts ab. War es in der Vergangenheit noch geprägt von der Schule der Stoa oder später der christlichen Glaubenslehre, orientierte man sich im 17. Jahrhundert wieder am Individualismus. Geschwächt durch die Reformation und die Säkularisierung mussten die Theologen, die im Mittelalter noch maßgeblich an der Entwicklung der Naturrechtslehre beteiligt waren, „politisierenden Philosophen und philosophierenden Juristen“[20] weichen. Das neue, moderne Naturrecht war geprägt von dem Gedanken der Vernunft als Quelle der Erkenntnis.[21] Dies stellte eine wesentliche Entwicklung in der Naturrechtslehre dar, da durch die Ersetzung Gottes als Quelle individuellen Gewissens nun die Vernunft des Individuums rückt. Damit wandelt sich die Vorstellung von einer gegebenen objektiven Norm hin zum Zweckrationalismus des Einzelindividuums mit der Folge, dass der Mensch über absolute Autonomie im rechtlichen und politischen Bereich verfügt.

B.III.1. Thomas Hobbes

Einer der prägendsten Philosophen dieser Epoche ist Thomas Hobbes, der das abstrakte, aus allen naturhaften Bindungen gelöste Individuum an den Ausgangspunkt seiner naturrechtlichen Überlegungen stellt. Der Mensch befindet sich in einem anarchischen, gesetzlosen Naturzustand in dem er „seine Wolfsnatur“ ausbilden kann. Es existieren für das Individuum weder Pflichten noch moralische Imperative, stattdessen herrscht ein „Krieg aller gegen alle“.[22] Eine Rettung des absoluten Individuums sieht Hobbes im Abschluss eines Gesellschaftsvertrages, der Friedensstiftung und Unterwerfung unter die Gnade eines absoluten Monarchen, dem Leviathan, zugleich war. Durch diese juristische Fiktion vom Gesellschaftsvertrag wollte Hobbes eine wirkliche Ordnung schaffen, in deren Mittelpunkt die Gewährleistung von Rechtssicherheit steht. Damit grenzt sich Hobbes deutlich von der stoisch - theologischen Vorstellung einer idealen Ordnung ab, in die der Mensch aufgrund seiner Natur hineingeboren wird.[23]

Mit der Konstruktion des Leviathans gelang Hobbes zum einen, die Begründung eines politischen Systems bzw. einer konstitutionellen Staatsidee durch das Naturrecht, zum anderen stellte es aber auch einen ersten Versuch dar, das Naturrecht in positives Recht zu formen.

B.III.2. Samuel Pufendorf

Während Thomas Hobbes versucht, das gesetzlose Individuum durch Unterwerfung zu retten, geht Samuel Pufendorf (1632 – 1694), einer der ersten großen deutschen Naturrechtsphilosophen, einen anderen Weg. Bei Pufendorf zeichnet sich das Naturrecht entgegen der bisherigen Tradition als ein Kulturrecht aus, dessen Normen den Menschen zur Kultivierung seiner Natur verpflichten sollen. Dabei abstrahiert er die theologischen Aspekte aus der aquinschen Lehre, um die schon von Aristoteles geforderte Allgemeingültigkeit des Naturrechts für alle Menschen unabhängig ihrer Konfession, zu betonen. So schreibt Welzel, dass für die Interaktionen mit Individuen anderer Konfession ein Recht existieren muss, „das für alle Menschen und nicht bloß für Christen gilt oder nur von Christen verstanden werden kann. Die Lehre vom Stande der Unschuld und von der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott bietet uns keine konkreten Aussagen über die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander.“[24] Grundlage seiner Naturrechtslehre ist das Wesen des Menschen, das sich durch Hilflosigkeit auszeichnet. Um diese zu überwinden und sich selbst zu erhalten ist der Mensch gezwungen, sich in die Gesellschaft anderer zu begeben. Dabei handelt es sich um keine Gemeinschaft im Hobbesschen Sinne, die aufgrund eines Vertrages Frieden findet, sondern um eine Gemeinschaft, die geprägt von Offenheit und Geselligkeit, sich gegenseitig Schutz bietet und einander fördert.[25]

[...]


[1] Ott, S. 19

[2] Süsterhenn, S. 21

[3] Forsthoff, S. 75

[4] Schröder, S. 97

[5] Welzel, S. 12

[6] ebenda, S. 11

[7] ebenda

[8] ebenda, S. 14

[9] ebenda

[10] Scattola, S. 9

[11] ebenda, S. 10

[12] Süsterhenn, S. 12

[13] Scattola, S. 23

[14] Welzel, S.40

[15] Flasch, S. 34 f.

[16] Welzel, S. 54 ff.

[17] Flasch, S. 326

[18] Süsterhenn, S. 13

[19] Meder, S. 239

[20] Welzel, S. 110

[21] Süsterhenn, S. 14

[22] Schölderle, S. 60

[23] Ludwig, S. 102

[24] Welzel, S. 135

[25] Meder, S. 247

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Der Dualismus der Rechtsquellen
Untertitel
Eine historische Analyse
Hochschule
Universität Erfurt  (Staatswissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Verfassungsfragen Demokratischer Herrschaft
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
29
Katalognummer
V89135
ISBN (eBook)
9783638025751
ISBN (Buch)
9783638924368
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dualismus, Rechtsquellen, Verfassungsfragen, Demokratischer, Herrschaft
Arbeit zitieren
M.A. Stefan Pilz (Autor:in), 2007, Der Dualismus der Rechtsquellen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89135

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