Wohl kaum ein Strukturmerkmal ist nach heutiger Ansicht für die deutsche Artusliteratur des Mittelalters typischer als der „Doppelweg“. Nach diesem Deutungsparadigma schafft der Protagonist des jeweiligen Romans nach einer ersten Krise den Aufstieg in die höfische Mustergültigkeit, von wo er aber durch sein eigenes Fehlverhalten erneut absteigt und sich nun in einem „doppelten Kursus“ ein zweites Mal beweisen muss, bis er letztlich doch ewig währenden Ruhm erlangt. Diese 1948 von Hugo Kuhn erstmals veröffentlichte These über die Struktur deutscher Artusromane schuf die Grundlage für sämtliche weitere, die Struktur des Artusromans betreffende Diskussionen und wurde von der nachfolgenden Forschergenerationen übernommen, teils angepasst und erweitert. So entwickelte sich die These Kuhns, die er ursprünglich nur auf den Roman Erec des deutschen Dichters Hartmann von Aue bezog, in der Folgezeit regelrecht zu einer „Selbstverständlichkeit der germanistischen Artusforschung“ und erlangte „kanonische Geltung“.
Da Hartmanns Erec bekanntlich auf der französischen Vorlage Erec et Enide von Chrétien de Troyes beruht und dem Werk sowohl im Inhalt als auch in der Szenenfolge größtenteils gleicht, liegt die Vermutung nahe, dass die Doppelwegstruktur auch auf Chrétiens Roman übertragbar ist. Ob dem wirklich so ist, wurde in der Forschung kontrovers diskutiert und soll auch Thema dieser Arbeit sein.
Dafür soll in einem ersten Schritt eine genaue Betrachtung von Kuhns These von der Doppelwegstruktur erfolgen, um so die Grundlage für weitere Beobachtungen zu legen. Allerdings gilt es zu beachten, dass Kuhns Doppelwegschema bereits für den hartmannschen Erecroman nicht ohne Widersprüche ist, ein Umstand, der auch in dieser Hausarbeit betrachtet werden soll. Dabei soll es aber vor allem um Problematiken gehen, die für die spätere Argumentation direkt oder indirekt eine Rolle spielen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hugo Kuhns „Doppelwegstruktur“
- Darstellung der „Doppelwegstruktur“ und des „Doppelten Kursus“ nach Kuhn
- Kritik an Kuhns Ansatz
- Die Doppelwegstruktur – Ein Strukturmerkmal für Chrétiens Erec et Enide?
- Ähnlichkeiten im Aufbau beider Romane
- Problematik der Übertragung
- Versuch eines alternativen Gliederungsschemas unter Berücksichtigung des Vers 1796
- Abschließendes Fazit
- Quellen und Forschungliteratur
- Quellen
- Forschungsliteratur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit befasst sich mit der Frage, ob die von Hugo Kuhn entwickelte „Doppelwegstruktur“ des deutschen Artusromans Erec von Hartmann von Aue auch auf Chrétiens französisches Werk Erec et Enide übertragbar ist. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Struktur beider Romane, insbesondere unter Berücksichtigung der Problematik, die sich durch Chrétiens Vers 1796 ergibt.
- Die Doppelwegstruktur als Strukturmerkmal deutscher Artusliteratur
- Kritik an Kuhns These und deren Anwendbarkeit auf Chrétiens Erec et Enide
- Analyse der Gemeinsamkeiten im Aufbau beider Romane
- Untersuchung der Problematik des Vers 1796 in Chrétiens Werk
- Entwicklung eines alternativen Gliederungsschemas für Chrétiens Erec et Enide
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung führt den Leser in die Thematik der Arbeit ein und stellt die Relevanz der Doppelwegstruktur in der deutschen Artusliteratur dar. Sie erläutert, warum die Übertragbarkeit dieser Struktur auf Chrétiens Erec et Enide untersucht werden soll.
- Hugo Kuhns „Doppelwegstruktur“: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Kuhns These der Doppelwegstruktur, ihrer Anwendung auf Hartmanns Erec und den damit verbundenen Kritikpunkten. Es werden die wichtigsten Aspekte des Modells und die Grundzüge des „Doppelten Kursus“ vorgestellt.
- Die Doppelwegstruktur – Ein Strukturmerkmal für Chrétiens Erec et Enide?: In diesem Kapitel werden die Gemeinsamkeiten im Aufbau von Hartmanns Erec und Chrétiens Erec et Enide hinsichtlich der Doppelwegstruktur analysiert. Zudem wird die Problematik des Vers 1796 in Chrétiens Roman beleuchtet und ein alternativer Gliederungsplan für Chrétiens Werk vorgeschlagen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit zentralen Themen der mittelalterlichen Literaturforschung, insbesondere mit der Doppelwegstruktur in Artusromanen. Schlüsselbegriffe sind: Artusliteratur, Doppelwegstruktur, Hugo Kuhn, Hartmann von Aue, Chrétien de Troyes, Erec, Erec et Enide, Strukturanalyse, Vergleichende Literaturwissenschaft.
- Quote paper
- Sebastian Binder (Author), 2017, Der Doppelweg in Hartmanns "Erec". Ein Strukturmodell für Chretiens "Erec et Enide"?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/889301