Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, welchen Einfluss globale Trends bis 2030 auf die Sicherheitspolitik und die Konstellation des internationalen Systems haben werden. Dabei wurden Methoden der Zukunftsforschung, wie z.B. die Trendanalyse und die Szenarientechnik vorgestellt. Betrachtet werden die Trendfelder:
Demographische Entwicklungen, Ressourcen, Umwelt und Energie, Wirtschaftliche Entwicklungen, Technologische Entwicklungen, Kulturelle und Gesellschaftliche Entwicklungen und Politische Entwicklungen. Aus dieser Trendanalyse werden alternative Szenarien der Weltpolitik deduziert, wovon im Rahmen einer Bedrohungsanalyse jene den Szenarien gemeinsamen Bedrohungen abgeleitet wurden.
Diesen Bedrohungen wird die Entwicklung der Europäischen Union unter strategischen Gesichtspunkten gegenübergestellt, wobei wesentliche Defizite analysiert werden, welche die Europäische Union aufweist, um den zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. In einem weiteren Schritt werden abschließend notwendige Fähigkeiten für europäische Streitkräfte im 21. Jahrhundert analysiert.
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Fragestellung
1.3 Theoretische Einordnung des Themas
1.3.1 Grundsätzliches
1.3.2 Realismus
1.3.2.1 Der Neorealismus
1.3.3 Konstruktivismus
1.4 Methodische Annäherung an die Problemstellung
1.4.1 Grundsätzliche Überlegungen
1.4.2 Charakter und Methoden moderner Zukunftsforschung
1.4.2.1 Szenarien
1.4.2.2 Trendanalyse
2 Global strategische Entwicklungen bis ins Jahr 2030
2.1 Demographische Entwicklungen
2.1.1 Ableitungen aus dem Trendfeld Demographische Entwicklungen global
2.1.2 Ableitung aus dem Trendfeld Demographische Entwicklungen für Europa
2.1.3 Ableitungen aus dem Trendfeld Demographische Entwicklungen für die Streitkräfte
2.2 Trendfeld Umwelt und Ressourcen
2.2.1 Ableitungen aus dem Trendfeld Umwelt & Ressourcen global
2.2.2 Ableitungen aus dem Trendfeld Ressourcen & Umwelt für Europa
2.2.3 Ableitungen aus dem Trendfeld Umwelt & Ressourcen für die Streitkräfte
2.3 Trendfeld Wissenschaft & Technologie
2.3.1 Ableitungen aus dem Trendfeld Wissenschaft & Technologie global
2.3.2 Ableitung aus dem Trendfeld Wissenschaft & Technologie für Europa
2.3.3 Ableitungen aus dem Trendfeld Wissenschaft & Technologie für die Streitkräfte
2.4 Trendfeld Wirtschaftliche Entwicklung
2.4.1 Ableitungen aus dem Trendfeld Wirtschaftliche Entwicklung global
2.4.2 Ableitungen aus dem Trendfeld Wirtschaftliche Entwicklung für Europa
2.4.3 Ableitungen aus dem Trendfeld Wirtschaftliche Entwicklung für die Streitkräfte
2.5 Kulturelle und Gesellschaftliche Entwicklungen
2.5.1 Ableitungen aus dem Trendfeld Kulturelle und Gesellschaftliche Entwicklungen global
2.5.2 Ableitungen aus dem Trendfeld Kulturelle und Gesellschaftliche Entwicklungen für Europa
2.5.3 Ableitungen aus dem Trendfeld Kulturelle und Gesellschaftliche Entwicklungen für die Streitkräfte
2.6 Trendfeld Politische Entwicklungen
3 Die multipolare Welt des 21. Jahrhunderts
3.1 Eine neue Struktur des internationalen Systems
3.1.1 Die Weltordnung nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes
3.1.2 Die Weltordnung des 21. Jahrhunderts
3.1.2.1 Die Entwicklung geopolitisch relevanter Akteure
3.1.2.2 Ökonomische Regionalisierung und politischer Regionalismus
3.2 Tendenzen der Machtpolitik im 21. Jahrhundert
3.2.1 Szenarien der Multipolarität
3.2.1.1 „Fünf Freunde“ (kooperative Multipolarität)
3.2.1.2 Die chinesische Mauer (konfrontative Multipolarität I)
3.2.1.3 „Jeder gegen Jeden“ (konfrontative Multipolarität II)
3.3 Die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts aus (neo-)realistischer und konstruktivistischer Sicht
3.3.1 Der neorealistische Ansatz
3.3.1.1 Globalisierung und Regionalisierung in der Logik neorealistischer Theorie
3.3.2 Der konstruktivistische Ansatz
4 Ableitungen aus den Szenarien der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts für die Europäische Union - Parameter des modernen Risikobildes
4.1 Mögliche Krisenräume
4.2 Nichtstaatliche Akteure
4.3 Der Wandel des Kriegsbildes
4.4 Asymmetrische Bedrohung
4.5 Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen
4.6 Folgerungen aus den Parametern des modernen Risikobildes
4.6.1 Verschränkung von „innerer“ und „äußerer“ Sicherheit
4.6.2 Der umfassende Sicherheitsbegriff
4.6.3 Von segmentierter zu vernetzter Sicherheitspolitik
5 Die strategische Entwicklung Europas
5.1 Die Entwicklung der EU als Sicherheitsgemeinschaft bis heute
5.1.1 Die Anfänge der außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit
5.1.2 Der Vertrag über die Europäische Union von Maastricht
5.1.3 Der Vertrag von Amsterdam
5.1.4 Weitere Entwicklungsschritte der außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in der EU
5.2 Defizite der gegenwärtigen Sicherheitsarchitektur der EU
5.2.1 Defizite auf der Ebene der Gesamtstrategie
5.2.2 Militärische Schwäche
5.2.3 Kohärenz/politischer Wille
5.3 Konsequenzen aus den global strategischen Rahmenbedingungen für Europa
5.3.1 Gemeinsame Verteidigung (inklusive einer europäischen Raketenabwehr)
5.3.2 Globale Interventionsfähigkeit
5.3.3 Dimension der inneren Sicherheit der EU
5.3.4 Definition europäischer Interessen
5.4 Mögliche Szenarien der Entwicklung der EU
5.4.1 Szenario 1: Titanic
5.4.2 Szenario 2: Methode Monnet
5.4.3 Szenario 3: Geschlossenes Kerneuropa
5.4.4 Szenario 4: Offener Gravitationsraum
5.4.5 Szenario 5: Supermacht Europa
5.4.6 Überprüfung der Eignung der Szenarien
5.5 Schlussfolgerungen
6 Zusammenfassung/Schlussfolgerungen
7 Anhang
7.1 Abkürzungsverzeichnis
7.2 Literatur- und Quellenverzeichnis
7.2.1 Literaturverzeichnis:
7.2.2 Quellenverzeichnis
Es kommt nicht darauf an, die Zukunft zu wissen,
sondern auf die Zukunft vorbereitet zu sein.
(Perikles)
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Schon immer wollten die Menschen wissen, wie die Zukunft aussieht. Vor allem die herrschenden oder die politischen Eliten waren bestrebt die Zukunft zu kennen, um ihr Handeln so zu gestalten, dass ihre Reiche sicherer wurden und überlebten. Vom Orakel von Delphi im antiken Griechenland über Nostradamus in der Neuzeit bis heute versuchen die Menschen mit allen möglichen Mitteln die Zukunft zu ergründen. Jedoch ist die Zukunft eine Dimension, die wir nicht beeinflussen können.
Auf der anderen Seite müssen Regierende Planungsgrundlagen haben, um die staatlichen Instrumente zukunftstauglich zu machen. Das heißt, sie brauchen zukunftsrobuste Strategien, um diese Instrumente so auszugestalten, dass sie den Anforderungen und Herausforderungen der Zukunft gerecht werden. Eines dieser staatlichen Instrumente ist die konzeptive Gestaltung der Sicherheitspolitik und damit verbunden die der Sicherheits- und Streitkräfte.
Bei genauer Betrachtung wird rasch klar, dass insbesondere Streitkräfte einen relativ langen Planungshorizont benötigen. Dies ergibt sich deshalb, weil vor allem Streitkräfte sehr teures Großgerät mit langen Lebensdauerspannen betreiben. Dies sind z.B. Kriegsschiffe, Unterseeboote, Kampfflugzeuge, Transportflugzeuge, Panzer etc., deren Lebensdauer auf 30 bis 50 Jahre ausgelegt ist.
Die langfristige strategische Planung ist deshalb von solcher Wichtigkeit, da die Anpassung an die Anforderungen der Zukunft nicht mit kurzfristigen „Ad-hoc“-Maßnahmen möglich ist, und vor dem Hintergrund schrumpfender Verteidigungsbudgets in Europa ist es von eminenter Bedeutung abzuschätzen, welche Aufgaben Streitkräfte in 25 – 30 Jahren haben werden, um nicht jetzt in militärisches Gerät zu investieren, das dann in der Mitte der Lebensdauer steht, aber den neuen Anforderungen in keiner Weise mehr gerecht wird.
Zwar ist die EU wirtschaftlich ein Riese, politisch aber ist sie ein Zwerg. Zurzeit ist innerhalb der EU nicht die Bereitschaft zu erkennen sich mit den Anforderungen und Herausforderungen der Zukunft zu beschäftigen und die Sicherheitsarchitekturen anzupassen, wovon die Streitkräfte ein Teil sind. Zu sehr steht nationalstaatliche Interessenspolitik im Vordergrund, zu unterschiedlich sind auch die Prognosen über die Zukunft am Beginn des 21. Jahrhunderts. Jedoch ist nicht zu übersehen, dass der Stellenwert Europas sinkt und andere Weltregionen, wie zum Beispiel Asien, an Bedeutung gewinnen. Die Weltgeschichte wird ablaufen, ob die EU dies zur Kenntnis nimmt oder nicht.
In einer Zeit der Umbrüche und Umwälzungen, in einer Zeit, in der die Globalisierung mit ihrer ungeheuren Dynamik alle Lebensbereiche erfasst und in der demographische kulturelle aber auch gesellschaftliche und politische Entwicklungen für gewaltige Umbrüche in der Sicherheitspolitik verantwortlich sind, wird es immer notwendiger sich auf die Zukunft vorzubereiten. Wie können jetzt in diesen Umbrüchen Planungsgrundlagen geschaffen werden, um zukunftsrobuste Strategien zu entwerfen?
Dazu gibt es das Instrument der Zukunftsforschung, die wiederum ihren eigenen Methodenbestand entwickelt hat. In dieser Diplomarbeit werden einige davon vorgestellt (s. Kap. 43315080)
Eines jener Instrumente, die zur Verfügung stehen, um als Planungsgrundlage für politische Entscheidungsträger zu dienen, sind globale Trends.
Globale Trends sind Entwicklungen, die die gesamte Weltbevölkerung betreffen und außerhalb der Gestaltungsmacht oder –fähigkeit von Staaten oder Regionalverbänden bzw. anderen Staatengruppen stehen. Diese globalen Entwicklungstrends haben hauptsächlich nicht-militärischen Charakter, besitzen aber das Potenzial zu sicherheitspolitischen und militärischen Bedrohungen zu werden.
1.2 Fragestellung
Diese Diplomarbeit geht der Frage nach, welchen Einfluss diese globalen strategischen Entwicklungen auf die Sicherheitspolitik der EU und auf die Fähigkeiten von europäischen Streitkräften bis ins Jahr 2030 haben werden.
Konkret ergeben sich einige grundsätzliche Fragestellungen:
- Welche Trends haben Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik und Fähigkeitsprofile von Streitkräften?
- Welche Auswirkungen haben diese Trends auf die Konstellation des internationalen Systems?
- Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Trendentwicklungen und den möglichen Konstellationen des internationalen Systems auf die Ausprägungen von Gewalt, Krieg und Konflikt und welche Bedrohungsparameter lassen sich davon ableiten?
- Wie steht die EU diesen Bedrohungsparametern gegenüber, und welche Konsequenzen ergeben sich für die EU, um diesen Herausforderungen adäquat zu begegnen?
- Welche Aufgabenstellungen können für europäische Streitkräfte abgeleitet werden, und letztendlich welche Zielfähigkeiten können für europäische Streitkräfte bestimmt werden?
Diese Diplomarbeit beschränkt sich auf die Analyse der sicherheitspolitischen Entwicklungen ausschließlich auf Basis der globalen Entwicklungstrends und zieht andere Analysefaktoren (z.B. die Entwicklung der internationalen Organisationen) nicht mit ein, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde.
Der Beobachtungszeitraum wurde bis ins Jahr 2030 gewählt, da über diesen Zeitpunkt hinaus keine seriösen Trendextrapolationen möglich sind, andererseits ein zu kurzer Zeitraum nicht die Möglichkeit der Erreichung langfristiger Ziele gibt.
Auch wurde im Modell dieser Diplomarbeit auf die Verwendung von „Wild Cards“ verzichtet, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen. Unter „Wild Cards“ versteht man in der Zukunftsforschung Ereignisse, die ziemlich unsicher erscheinen, die aber, wenn sie sich ereignen, weit reichende und wichtige Konsequenzen haben.[1]
Solche Wild Cards können sein:
- Abrupter Klimawechsel
- Naturkatastrophen (z.B. eine Asteroideneinschlag) die massive weltweite Auswirkungen haben können
- Ein Durchbruch in der Erforschung alternativer Energien, der die Bedeutung fossiler Brennstoffe minimiert
- Ein weltweiter Kollaps des Finanzsystems
- Das Wegbrechen eines der Machtpole des internationalen Systems (z.B. USA)
Zur Beantwortung dieser Fragestellung werden die globalen Langzeittrends analysiert. Aus dieser Trendanalyse werden mittels Szenarientechnik Szenarien der Weltordnung abgeleitet und in einem weiteren Schritt sollen im Rahmen einer Bedrohungsanalyse die wichtigsten Bedrohungsparameter des 21. Jahrhunderts abgeleitet werden.
Diese Bedrohungsparameter werden der strategischen Entwicklung der EU gegenübergestellt, wobei in einem ersten Schritt analysiert werden soll, ob die EU in ihrer gegenwärtigen Form den identifizierten Bedrohungen gerecht werden kann und welche Defizite gegebenenfalls bestehen.
Anschließend werden aus der Trendanalyse und den Szenarien die Fähigkeiten von Streitkräften abgeleitet, um in der Konfliktumgebung des 21. Jahrhunderts den Bedrohungen adäquat begegnen zu können.
1.3 Theoretische Einordnung des Themas
1.3.1 Grundsätzliches
Der Bereich der Internationalen Politik als Teildisziplin der Politikwissenschaft ist von der Tatsache gekennzeichnet, dass es keine allgemein gültige oder allgemein verbindliche Theorie der Internationalen Beziehungen gibt. Daher ist es notwendig die Funktion der Theorien der Internationalen Politik zu definieren. Weiters ist es notwendig zu betrachten, welches Verständnis von Theorie zugrunde gelegt wird und was die Theorie im vorgestellten Modell leisten soll und zu leisten vermag.
Internationale Beziehungen werden in dieser Arbeit im weitesten Sinne als Gesamtheit der grenzüberschreitenden Interaktionen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in globalem Maßstab definiert, die zu Handlungen in den Bereichen Sicherheit, Wirtschaft, Macht und Umwelt führen.
Der Anspruch an Theorien der Internationalen Beziehungen besteht grundsätzlich darin, dass sie allgemeine Aussagen über dieses Beziehungsgeflecht grenzüberschreitender Interaktionen sowie das Handeln von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren zulassen bzw. zur Verfügung stellen.[2]
Filzmaier (et al) bezeichnet in „Internationale Politik – Eine Einführung“ eine Theorie als ein gedankliches, möglichst konsistentes Bild oder Modell der (sozialen) Realität, in diesem Fall der internationalen Politik.[3] An dieser Stelle werden im Rahmen einer allgemeinen Definition Theorien als „….System beschreibender und erklärender Aussagen über Regelmäßigkeiten, Verhaltensmuster und Wandel des internationalen Systems und seiner Handlungseinheiten, Prozesse und Strukturen“[4] beschrieben.
Ausgehend von dieser Definition übernimmt die Theorie der internationalen Beziehungen zwei zentrale Funktionen:
Insbesondere wird an dieser Stelle auf die Erklärungs- und Interpretationsfunktion und die Ziel- und Handlungsfunktion von Theorien verwiesen. Durch die Erklärungs- und Interpretationsfunktion von Theorien können kausale Zusammenhänge aufgezeigt und künftige Entwicklungen abgeschätzt werden, wenn dies auch immer schwieriger wird, da Zusammenhänge zunehmend komplex und weniger kausal werden. Durch die Ziel- und Handlungsfunktion können durch die Theorie Strategien und Maßnahmen abgeleitet und aufgezeigt werden.[5]
In diesem Zusammenhang soll auch auf die normative Dimension von Theorie verwiesen werden, die auf die gesellschaftliche Praxis abzielt. Die normative Dimension will Handlungssinn stiften und Anleitung zum politischen Handeln geben.[6]
In dieser Diplomarbeit wird durch die Verwendung von Theorien das durch empirische Daten gewonnene Bild überlagert. Auch wird dieses gewonnene Bild aus seiner historischen Dimension über die Gegenwart in die Zukunft geführt, wobei hierbei an die verwendeten Theorien der Anspruch gestellt wird, sowohl o.g. Funktionen zu erfüllen und darüber hinaus auch Legitimations- und Kritikfunktion zu leisten.
Konkret werden die Aussagen dieser Diplomarbeit hauptsächlich anhand der Theorie
des (Neo-)Realismus und des Konstruktivismus dargestellt, um die globalen strategischen Entwicklungen und staatliches bzw. kollektives Handeln sowie dafür determinierende Begriffe wie Macht, Gewalt, Konflikt aber auch Frieden unter dem Blickwinkel der realistischen Schule zu erfassen und gegebenenfalls zu vergleichen.
1.3.2 Realismus
Wichtige Vorläufer der politischen Philosophie der Realisten sind: Thukydides (um 460 – 400 v. Chr.), Nicolo Machiavelli (1469 – 1527) mit seiner pessimistischen Sicht der menschlichen Natur, Thomas Hobbes und seine Sicht des menschlichen (gesellschaftlichen) Zusammenlebens als „Krieg aller gegen alle“ (bellum omnium contra omnes), in dem für Hobbes das Streben des Menschen nach Macht nur mit dem Tod endet. Ein weiterer für die realistische Schule bedeutender Philosoph war Georg W. Hegel (1770 – 1831).[7]
In den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstand die Theorie des klassischen Realismu s. Einer der wichtigsten Begründer des klassischen Realismus war Hans J. Morgenthau mit seinem Werk „Politics among Nations“, das bis heute nichts von seiner Bedeutung für das Theoriegebäude des Realismus verloren hat.
Ein weithin prägendes Konzept für den „klassischen“ Realismus ist das Prinzip der Macht und das Gleichgewicht der Mächte. Nach Morgenthau ist Macht die Grundlage jeder politischen Handlung, und sie ist auch der Schlüssel zum Verständnis internationaler Politik. Internationale Politik ist somit wie alle Politik ein Kampf um Macht und darum diese anzuhäufen und zu erhalten. Das konkrete Interesse von Staaten kann sich dabei im Laufe der Zeit wandeln und in unterschiedlichen Formen auftreten, letztendlich hat es aber immer nur Macht zum Ziel.[8]
Macht wird in diesem Zusammenhang nach Max Weber definiert: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“[9]
Die Theorie des Realismus (bzw. der realistischen Schule) beruht auf einem System von Staaten, die nach Macht streben und die in ein Staatensystem eingebettet sind, in dem es keine zentrale bzw. übergeordnete Entscheidungs- und Sanktionsgewalt gibt. Das bedeutet, internationale Politik ist demzufolge ein anarchisches System und daher ein Selbsthilfesystem.[10]
Die realistische Schule ist im Wesentlichen durch fünf zentrale Punkte zusammenzufassen:
- Politik und Gesellschaft basieren auf objektiven Gesetzen, deren Ursprung wiederum in der menschlichen Natur liegt. Als menschliche Haupteigenschaft wird das Streben nach Macht identifiziert. Davon abgeleitet kann auch jenes für den Realismus typische pessimistische Menschenbild abgeleitet werden.
- Das vorrangige und natürliche Interesse von Staaten ist das Streben nach Macht, abgekoppelt von sittlichen Zielen. Die menschliche Vernunft und Rationalität dient nur dazu den Machtraum zu erweitern. Internationaler Einfluss beruht auf Macht, im Sinne der Möglichkeit eigene Interessen militärisch oder wirtschaftlich durchzusetzen. Ein Staat handelt strategisch zweckrational.
- Politik unterliegt, ähnlich der Ökonomie, Eigengesetzlichkeiten.
- Das sittliche Streben einer Nation kann, z.B. aufgrund divergierender kultureller Traditionen, nie das sittliche Gesetz der Welt werden.
- Die zentralen Akteure der realistischen Schule sind souveräne Nationalstaaten und der Realismus betrachtet die Motive und das Verhalten von Staaten.[11]
1.3.2.1 Der Neorealismus
Der Neorealismus ist eine Variante des Realismus, die die anarchische Staatenwelt und nicht die menschliche Natur als Ursache von Krieg und Konflikt in den Mittelpunkt der Analyse stellt. Das heißt, der Neorealismus verlagert seine Analyse von individuellen Faktoren auf die Ebenen struktureller Faktoren. Einer der prominentesten Vertreter des Neorealismus ist Kenneth Waltz und in Anlehnung an sein früheres Werk (Man, the State, and War: A Theoretical Analysis) sucht der Neorealismus die Ursachen bzw. Bedingungen staatlicher Aktion und Interaktion (z.B. Krieg oder Allianzen) weder in der Natur des Menschen („first image“) noch in der inneren Verfasstheit der einzelnen Staaten („second image“), sondern in so genannten „third image“-Erklärungen. Darunter versteht man jene Zwänge (constraints) des Systems, innerhalb dessen die Staaten agieren bzw. interagieren, also auf der internationalen Strukturebene.[12] Ausgehend von dieser internationalen Strukturebene nennt man den Neorealismus auch „Struktureller Realismus“. Das bedeutet, dass der strukturelle Realismus direkt von der Struktur des internationalen Systems auf das Verhalten der Staaten schließt.
Neorealisten verwerfen die innere Verfasstheit von Staaten. Staaten werden als einheitliche bzw. uniforme Akteure verstanden, deren innerer Aufbau für die Formulierung der neorealistischen Theorie nicht von Bedeutung ist. Welches politische System ein Staat hat – ob Demokratie, Monarchie oder auch Diktatur –, ist aus neorealistischer Sicht vernachlässigbar. Der Staat stellt eine „black box“ dar, die der Neorealismus ungeöffnet lässt. Aus seiner Sicht wird angenommen, dass alle Staaten in ihrem Kern identisch sind.[13] Die Neorealisten wollen Regelmäßigkeiten im Verhalten von Staaten in einer äußerlich vorhandenen und vom Akteur unabhängigen Struktur feststellen.
Diese Struktur des internationalen Systems hat in der neorealistischen Theorie einen eigenständigen kausalen Einfluss auf die Akteure. Sie ist dafür verantwortlich, dass sich die Akteure in bestimmten Situationen grundsätzlich ähnlich verhalten.[14]
Die Struktur des internationalen Systems bestimmt sich nach Waltz in drei Elementen:[15]
- Das Ordnungsprinzip: Nach Waltz können die Akteure in einem System sowohl hierarchisch oder anarchisch organisiert sein. Eine hierarchische Struktur ist dann gegeben – wie für nationale politische Systeme charakteristisch –, wenn eine mit einem Gewaltmonopol ausgestattete übergeordnete Instanz vorhanden ist, die den Schutz der einzelnen Einheiten garantiert. Im Gegensatz dazu ist ein anarchisches System durch die Abwesenheit einer solchen Instanz charakterisiert. Jeder Akteur ist auf sich allein gestellt. In der neorealistischen Theorie wird das internationale System als anarchisches System verstanden (d.h. als Staatensystem in Abwesenheit einer übergeordneten, das Machtmonopol ausübenden Instanz, „Weltregierung“ etc.).
- Fehlende funktionale Differenzierung: Waltz folgert aus der Annahme der Anarchie, dass Staaten keine funktionale Differenzierung wagen werden, d.h. alle Staaten leisten dieselben Aufgaben innerhalb und für das System. Die Anarchie zwingt den einzelnen Staat sich um sein zentrales Anliegen, nämlich den Erhalt der Souveränität bzw. das eigene Überleben, selbst zu kümmern. Aus diesem Grund wird das System aus neorealistischer Sicht als „Selbsthilfesystem“ beschrieben.
- Differenzierung zwischen den Staaten durch ihre Kapazitäten: Obwohl die Staaten funktional gleich sind, unterscheiden sie sich durch ihre Kapazitäten in Bezug auf Größe, Macht, militärische Kapazitäten und wirtschaftliche Kapazitäten etc. Waltz versteht die Machtverteilung im internationalen System als Eigenschaft der Struktur des Systems.
Es stellt sich nun die Frage, welche Wirkung diese Struktur des internationalen Systems auf die Akteure, d.h. die Staaten hat, bzw. wie Staaten unter den Bedingungen der Anarchie handeln. Die neorealistische Theorie geht davon aus, dass Staaten, die in einer anarchisch strukturierten Umgebung überleben wollen, in erster Linie ihre Sicherheit maximieren müssen. Siedschlag meint dazu, dass sich Waltz der Frage nach dem Ziel des international-politischen Handelns aus der anderen Richtung nähert. Das Ziel der Staaten ist nicht Machtgewinn, sondern die Wahrung ihrer Position, also das schlichte Überleben. Waltz definiert „Sicherheit“ als eine Messgröße für die Überlebensfähigkeit von Staaten und somit wird Sicherheit zum höchsten Ziel. Sie dient ebenfalls dazu, die eigene Position und somit das eigene Überleben im internationalen System zu sichern. Macht dient als Mittel, um andere Ziele, vor allem Sicherheit, zu erreichen, ist aber nicht das Ziel an sich.[16] Diese Sicherheit ist erst dann gegeben, wenn im internationalen System ein Mächtegleichgewicht herrscht. Nur unter den Bedingungen eines Machtgleichgewichtes ist es für keinen Akteur (Staat) ratsam einen anderen anzugreifen ohne eine Niederlage zu riskieren. Machtungleichgewichte müssen kompensiert werden, da das Überleben durch eine potentielle Überlegenheit des „Gegners“ nicht mehr gesichert ist. Solche Prozesse werden als balancing bezeichnet.[17]
Auch wenn für Neorealisten die alleinigen relevanten Akteure im internationalen System die Staaten sind, bestreiten sie nicht, dass auch anderen Akteuren, wie internationalen Konzernen, NGOs oder internationalen Organisationen eine gewisse Bedeutung zukommt. Jedoch erscheinen solche Akteure aus neorealistischer Sicht vernachlässigbar, da sie keine übergeordnete Instanz darstellen und keinen Einfluss auf Prozesse ausüben, die aus neorealistischer Sicht die internationale Politik maßgeblich prägen.[18]
Zusammengefasst finden sich folgende Punkte bei den Realisten und Neorealisten als zentrale Gemeinsamkeiten:
- Ein skeptisches und pessimistisches Weltbild
- Die Einschätzung der Macht als zentrale Bewegungskategorie des internationalen Systems
- Der Staat als einzige Einheit und einziger (bedeutender) Akteur[19]
- Das internationale System als anarchisches System und als Selbsthilfesystem
- Ein ausgeprägtes „Worst Case“-Denken
1.3.3 Konstruktivismus
Der Konstruktivismus ist in der Theoriediskussion der Disziplin Internationale Beziehungen erst seit etwa Mitte der 1980er Jahre unter dieser Bezeichnung vertreten. Einer der prominentesten Vertreter des Konstruktivismus ist Alexander Wendt. Der konstruktivistische Ansatz entstand in kritischer Auseinandersetzung mit den erkannten Mängeln von Realismus und Institutionalismus. Die gemeinsame Schwäche von Realismus und Institutionalismus[20] ist jene, dass beide Theorieschulen davon ausgehen, dass nationale Identitäten und Interessen fixe, gegebene Größen sind. Der Konstruktivismus versucht diese Erklärungsdefizite auszugleichen, indem er die Identitäten und Interessen von Akteuren als veränderbar versteht. Zentrale Punkte beim Konstruktivismus sind das menschliche Bewusstsein sowie die Bereitschaft Ideen und Funktionen im Verhältnis zum internationalen Geschehen als relevant zu verstehen.[21]
Die Entstehung und der Wandel von (kollektiven) Identitäten von Akteuren der internationalen Beziehungen sind zentrale Analysegegenstände konstruktivistischer Theoriebildung. Dabei geht der Konstruktivismus davon aus, dass diese Identitäten die Interessen von Akteuren bestimmen. Wandeln sich jetzt diese Identitäten, dann verändert sich unter Umständen auch die Perzeption bestimmter Situationen, was wiederum eine Redefinition von Interessen zur Folge haben kann. Mittels dieser Prozesse kann struktureller Wandel im internationalen System erklärt werden. Wendt geht davon aus, dass sich Identitätsbildungsprozesse in der Interaktion mit anderen Akteuren vollziehen. Für Staaten heißt dies, dass sie erst in der Interaktion mit anderen Akteuren sozial konstruiert sind, und dies ist ein Prozess, der nicht von der staatlichen Ebene ausgeht, sondern durch zwischenstaatliche Interaktion im internationalen System ausgelöst wird.[22]
Der Konstruktivismus vereint die realistische Schule mit der idealistischen Schule. Wendt leugnet die Anarchie im internationalen System nicht. Jedoch ist nicht nur die Struktur entscheidend, sondern auch das Weltbild, Weltanschauungen sowie Konfliktperzeptionen. Und diese sind veränderbar. Jedoch kennt der Konstruktivismus auch unveränderbare Narrative. Diese Veränderung der Identitäten (und somit der Interessen) kann auch aufgrund von Einsichten vor sich gehen und nicht nur durch Interaktion.
Grundsätzlich wurde in einer ersten Analyse auch die Theorie des (Neo-)Funktionalismus als geeignet erachtet die Integration von Regionalverbänden zu erklären, gilt doch der europäische Integrationsprozess als empirisches Beispiel für den (Neo-)Funktionalismus.[23]
Durch eine weitgehend unpolitische und strikt auf die einzelnen Problemfelder orientierte Zusammenarbeit sollte sich Integration immer weiter ausdehnen. Als Beispiel kann, wie schon erwähnt, die europäische Integration dienen, wo z.B. nach der wirtschaftlichen die verteidigungspolitische Integration folgen soll.
Jedoch hat der (Neo-)Funktionalismus eine entscheidende Schwäche, die auch ein Hauptkritikpunkt an dieser Theorieschule ist: neofunktionalistische Theoriebildung hänge zu stark von Bedingungen ab, welche nur bei stark untereinander verflochtenen Wohlfahrtsstaaten Westeuropas gegeben sind. Deren Bedingungen sind: pluralistische Verfasstheit dieser Gesellschaften, die gemeinsamen kulturellen und historischen Wurzeln und das relativ hohe wirtschaftliche Entwicklungsniveau. Auch Haas hat sich bereits im Jahr 1961 mit der Übertragbarkeit des Neofunktionalismus auf andere Weltregionen beschäftigt. Haas identifizierte ebenfalls als Bedingungen gelingender Integration eine pluralistische Gesellschaftsstruktur, hoch entwickelte Volkswirtschaften und eine weitgehende politische und ideologische Übereinstimmung der beteiligten Regierungen.[24]
Aufgrund dieser Kontextbindung eignet sich der (Neo-)Funktionalismus in dem Modell der vorliegenden Diplomarbeit eher nicht als allgemeine regionale Integrationstheorie.
1.4 Methodische Annäherung an die Problemstellung
1.4.1 Grundsätzliche Überlegungen
Die Erstellung der vorliegenden Diplomarbeit erforderte ein konkretes methodisches Konzept, um den Zugang zu jener umfangreichen Materie zu erschließen.
Als Basis und Einstieg in die Aufgabenstellung dienten mir bis zu einem gewissen Grad meine – schon eingangs erwähnten – beruflichen Erfahrungen und Vorkenntnisse.
Als Einstieg in die Problemstellung bediente ich mich zur Datenerhebung der Methode der Dokumenten- und Inhaltsanalyse.[25] Die Materialsammlung wurde in erster Linie in Form einer ausgedehnten Literatur- und Internetrecherche durchgeführt. Zuerst wurde, aufbauend auf Vorwissen aus beruflicher Tätigkeit und Erkenntnisse des vorbereitenden Einlesens, ein Schlag- und Stichwortkatalog für die Suche erstellt. Anschließend wurde systematisch nach diese Schlag- und Stichworten in diversen Bibliothekskatalogen gesucht. Hier wurden relevante Monographien und Sammelbände identifiziert und nach dem „Schneeballprinzip“ weitere Literatur festgestellt. Auch wurden diverse Zeitschriftenkataloge im Internet durchsucht und relevante Zeitschriftenartikel in die Literatursammlung miteinbezogen. Weiters wurden auf Internetseiten von relevanten Think-Tanks (z.B. Center for Strategic & International Studies (CSIS), Stiftung Politik und Wissenschaft Berlin, Rand Corporation etc.) einschlägige Fachartikel festgestellt. In einem weiteren Arbeitschritt erfolgte die Materialauswertung, wobei die gesammelte Literatur gesichtet, nach ihrer Relevanz bewertet und sortiert wurde. Anschließend erfolgte das Lesen der beschafften Materialien und somit die eigentliche Inhaltsanalyse, und davon abgeleitet wurde ein vorläufiges Argumentations- und Darstellungsmuster.[26]
Als Methode der Datenanalyse wurde die hermeneutische Methode angewandt, wobei es hier in erster Linie darum ging, die in der Datenerhebung gewonnen Daten qualitativ zu bewerten, zu verstehen und diese Daten im größeren Zusammenhang als Teil des Ganzen aufzufassen und zu interpretieren. Auch sollten die erhobenen Daten in Verbindung mit Vor- und Kontextwissen gebracht werden, um im Sinne der definierten Forschungsfragen entsprechende Schlüsse ziehen zu können.[27]
Wichtig ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass in dieser Diplomarbeit ausschließlich qualitative Methoden eingesetzt wurden.
Auch soll festgehalten werden, dass in dieser Diplomarbeit keine Methoden der Zukunftsforschung angewandt wurden, da dies den Rahmen der Arbeit bei weitem sprengen würde. Es wurden aus der erhobenen Literatur zu diesem Thema die Ergebnisse von Methoden der Zukunftsforschung qualitativ analysiert, bewertet und zur Beantwortung der gestellten Forschungsfragen verwendet. Um z.B. seriöse Trendanalysen durchzuführen, sind umfangreiche Datenanalysen und die Verwendung spezieller EDV-Tools notwendig. Auch die Verwendung der Daten aus Trendanalysen für z.B. die Erarbeitung von Szenarien im Rahmen der Szenarientechnik sind umfangreiche, hochwertige und sehr teure EDV-Tools notwendig, die mir nicht zur Verfügung standen.
Trotzdem werden an dieser Stelle die relevantesten Methoden der Zukunftsforschung vorgestellt, um einerseits ein besseres Verständnis für die Arbeit herzustellen und andererseits aufzuzeigen, dass die Zukunftsforschung kein „Blick in die Kristallkugel“ ist, sondern eine seriöse Wissenschaft, die wichtige Handlungsanleitungen bzw. Handlungspfade für die Policy-Entwicklung der Zukunft aufzeigen kann.
1.4.2 Charakter und Methoden moderner Zukunftsforschung
„Zukunftsforschung ist die wissenschaftliche Befassung mit möglichen, wünschbaren und wahrscheinlichen Zukunftsentwicklungen und Gestaltungsoptionen sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart. Zukunftsforschung geht davon aus, daß die Zukunft prinzipiell nicht vollständig bestimmbar ist, und daß verschiedene Zukunftsentwicklungen (Zukünfte) möglich und gestaltbar sind.“[28]
Das heißt, es gibt keine wissenschaftliche Disziplin, die es uns erlaubt, die Zukunft mit Sicherheit vorherzusagen.
Auch können weder die Sozial- noch die Naturwissenschaften durch allgemeine Gesetzmäßigkeiten die notwendige Erkenntnisleistung über die Zukunft liefern. Zukunftsforschung ist interdisziplinär und multidisziplinär angelegt. Außerdem nutzt sie die Erkenntnisleistung von unterschiedlichen Fachdisziplinen, die unter neuen Gesichtspunkten vernetzt werden. Dadurch soll unterschiedliches Fachwissen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und Praxisbreichen funktional verknüpft werden, mit dem Ergebnis, dass wichtige Eigenleistungen in Form von Orientierungs- und Handlungswissen zur Verfügung stehen. Die Zukunftsforschung kann somit keiner Disziplin direkt zugeordnet werden, sondern orientiert sich an Themen und Herausforderungen der Zukunft.[29]
Wichtig ist jedoch die Zukunftsforschung von einer Reihe von pseudowissenschaftlichen Tätigkeiten, wie die „Trendforschung“ oder „Science Fiction“, abzugrenzen. Trends, die aus der Trendforschung abgeleitet werden, beschäftigen sich nicht so sehr damit wie die Welt in 15 oder 20 Jahren aussieht, sondern diese Trends liegen eher im Nahebereich des Marketing. Man will z.B. wissen, welche Sommerfarben im nächsten Sommer modern sind.
Die Zukunftsforschung unterliegt allen Qualitätskriterien, die in der Wissenschaft üblicherweise an Erkenntnisse und Modelle gestellt werden: Relevanz, logische Konsistenz, Einfachheit, Überprüfbarkeit, terminologische Klarheit, Transparenz, praktische Handhabbarkeit u.a.[30] Zukunftsforschung hat auch nicht das Ziel, Zukunft vorauszusagen, als würde sie bereits feststehen.
Hugues de Jouvenel ist der Meinung, dass die Zukunftsforschung uns auch bei der Gestaltung der Zukunft unterstützen sollte, d.h. sie hat auch sehr starken normativen Charakter. „Sie ermutigt uns, die Zukunft als etwas zu gestalten, was gestaltet werden muß, zu betrachten und nicht als etwas, das bereits entschieden ist, oder als Geheimnis, das nur einer Deutung bedarf.“[31]
Dazu hat die Zukunftsforschung ein umfangreiches methodisches Instrumentarium entwickelt.
Die wichtigsten Methoden lassen sich vier Gruppen zuordnen, die sowohl im Rahmen der Futurologie als auch von anderen wissenschaftlichen Disziplinen verwendet werden. Man unterscheidet intuitive, explorative, projektive und rekursive Methoden.[32]
- intuitive Methoden: Zu den intuitiven Methoden zählen die freie Assoziation und das Brainstorming. Mit Hilfe der freien Assoziation kann man visionär in die Zukunft „schauen“ und nicht nur Entwicklungen weiterzudenken, die sich bereits in der Gegenwart abzeichnen. Eine weitere Möglichkeit im Bereich der intuitiven Methode ist die Delphi-Methode[33].
- projektive Methoden: Hier arbeitet die Zukunftsforschung vor allem mit Entscheidungsmodellen und Netzplantechnik.
- rekursive Methoden: Dazu gehören unter anderem integrierte Managementinformationssysteme und Früherkennungssysteme.
- explorative Methoden: In diesen Bereich fallen zum Beispiel Zeitreihen- und Trendextrapolationen, mit denen vorhandene Trends in die Zukunft extrapoliert werden. Auch die historische Analogie fällt in das Spektrum der explorativen Methoden. Sie geht von der Annahme aus, dass Entwicklungen nach einem gemeinsamen Grundmuster ablaufen. Solche Prognosen basieren jedoch auf der Annahme, dass aus vergangenen Ereignissen künftige Entwicklungen berechnet werden können, wenn die Gesetzmäßigkeiten bestimmbar sind und sich die äußeren Umstände nicht ändern. Für die internationale Politik, die durch große Wandelbarkeit äußerer Einflüsse gekennzeichnet ist, bedeutet dies, dass solche Prognosen nur für relativ kurze Zeiträume gültig sein können.
In das Feld der explorativen Methoden gehören auch Szenarien, die mittlerweile zu dem wichtigsten Hilfsmittel der Zukunftsforschung gehören. In dieser Diplomarbeit wird vor allem mit Daten aus Trendanalysen und Szenarien gearbeitet.
1.4.2.1 Szenarien
1.4.2.1.1 Der Begriff Szenarien und der Zweck von Szenarien
Wie schon erwähnt, hat sich als eine der zentralen Methoden der Zukunftsforschung die Arbeit mit Szenarien herauskristallisiert. Vorausschickend ist zu sagen, dass die Begrifflichkeit hier etwas unscharf ist. Für die Arbeit mit Szenarien werden unterschiedliche Begriffe oft synonym verwendet. So verwendet die Zukunftsforschung „Szenarien-Prozess“, „Szenariotechnik“, „Szenario-Methode“ usw.[34] Die explizite Integration solcher Szenarien in den Prozess der strategischen Planung bezeichnen Fink/Schlake (et al) als „Szenario-Management“. Die Szenario-Technik konzentriert sich demgegenüber auf die Entwicklung komplexer Zukunftsbilder, die jeweils auf einem komplexen System von Faktoren, Trends und Projektionen beruhen.[35]
Die Zukunft kann niemand voraussagen. Beim Umgang mit der Zukunft müssen strategische Planer, sowohl in der wirtschaftlichen Unternehmensplanung als auch in der sicherheitspolitischen Planung mehrere Möglichkeiten in Betracht ziehen und in „alternativen Zukünften“ denken. Dies wird als zukunftsoffenes Denken bezeichnet. Auch sind die Zusammenhänge einer globalisierten Wirtschaft aber auch einer globalisierten Sicherheitspolitik so komplex geworden, dass sie sich nicht mehr durch einfache lineare Wirkungszusammenhänge beschreiben lassen. Daher besteht die Notwendigkeit zu vernetztem Denken.
Die Verbindung von zukunftsoffenem und vernetztem Denken führt zum Begriff „Szenario.[36]
Mit der Szenariotechnik versucht die Zukunftsforschung Ungewissheit von Prognosen einzuschränken. Zukunftsforscher entwickeln verschiedene, aber auf jeden Fall plausible Möglichkeiten dessen, was geschehen könnte, und analysieren dann die künftigen und möglichen Auswirkungen dieser Szenarien.
Das bedeutet, dass mit der Szenarientechnik nicht die Zukunft vorhergesagt werden soll, es sollen aber mögliche Zukunftsbilder (mögliche Zukünfte) entworfen werden, die die Bandbreite der denkbaren möglichen Entwicklungen abdecken.
1.4.2.1.2 Die Entwicklung der Verwendung von Szenarien in der strategischen Planung
Der Begriff „Szenario“ wird auf das griechische Wort „skene“ zurückgeführt, mit dem der Schauplatz einer Handlung, eine Szenenfolge in einem Bühnenstück oder der Rohentwurf eines Dramas beschrieben wurde.
Die Szenarienplanung als wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Instrument hat mehrere Väter. Sie geht einerseits auf die Entwicklung von militärischen hypothetischen Entwicklungen zurück, durch die zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten sichtbar gemacht wurden. Diese Methode wurde von Kahn und Wiener entwickelt und wurde „scenario writing“ genannt.
Im Jahr 1967 wurde die Studie „The Year 2000. A Framework for Speculation on the next Thirty-Three Years“ veröffentlicht. Diese Studie gilt als die Geburtstunde der Szenarienplanung.
Anfang der 1970er Jahre begannen sich einzelne Unternehmen für die Szenarienplanung zu interessieren. Als erster Anwender der Wirtschaft kann General Electric angesehen werden. Als bekanntester Anwender und Wegbereiter der Szenarienplanung gilt Royal Dutch/Shell, die noch immer sehr große Kompetenz bei der Entwicklung und Nutzung von Szenarien haben.
Insgesamt setzte sich die Szenarienplanung immer mehr durch, vor allem bei Unternehmen und Organisationen, die in einem instabilen politischen und sozialen Umfeld operieren und insofern über langfristige Planungen verfügen müssen.[37]
Eine notwendige Voraussetzung für brauchbare Szenarien sind möglichst umfassende Daten, die aus den verschiedensten Quellen gewonnen werden, und die für das jeweilige Problemfeld relevant sind. Diese Daten liefert die Trendanalyse.[38]
Steinmüller plädiert dafür nicht nur Trendszenarien zu entwickeln, also Szenarien, die auf einer Extrapolation von heute vorhandenen Entwicklungen basieren. Es sollten auch „positive Wunschszenarien“ konstruiert werden. Wunschszenarien können durchaus normativen Charakter haben und erweisen sich dann sehr brauchbar, wenn man Strategien für die Zukunft finden will.[39]
1.4.2.2 Trendanalyse
Kollektives menschliches Handeln, das sich beständig wiederholt, wird in der Zukunftsforschung zu so genannten Trends zusammengefasst. Als Trends sind erkennbare Richtungen von Entwicklungen zu bewerten, die durch eine Analyse und Erfahrung von vergangenen Ereignissen gewonnen werden und zeitlich andauern. Trends ermöglichen Aussagen über Entwicklungen, die sowohl unbekannt als auch unsicher sind, und die in einem zukünftigen, zeitlich und räumlich und sachbezogen abgegrenzten Umfeld eintreffen. Mit Hilfe von Trends lassen sich die Komplexität der Welt und ihre zukünftigen Entwicklungen auf einige wesentliche Züge reduzieren.[40]
Diese Trends werden anschließed in eine Reihe von Trendfeldern zusammengefasst, wobei diese Zusammenfassung in den unterschiedlichen Studien divergiert. So identifiziert die Strategische Zukunftsanalyse der deutschen Bundeswehr folgende Trendfelder:
- Demographische Entwicklungen;
- Umwelt- und Ressourcenentwicklung;
- Wissenschafts- und Technologieentwicklung;
- Wirtschaftliche Entwicklung;
- Gesellschaftliche Entwicklung;
- Kulturelle Entwicklung;
- Politische Entwicklung;[41]
Die britische Studie „Strategic Trends“ von JDCC (JOINT DOCTRINE and CONCEPT CENTER) identifiziert folgende Trendfelder: Physical (Umwelt- und Ressourcenentwicklung), Social (Demographische Entwicklungen, Gesellschaftliche Entwicklung, Kulturelle Entwicklung), Science and Technology (Wissenschafts- und Technologieentwicklung), Economic (Wirtschaftliche Entwicklung), Legal (enthalten in Kulturelle Entwicklung), Political (Politische Entwicklung), Military (Militärische Entwicklungen).[42]
Es zeigt sich jedoch, dass alle relevanten Studien im Grunde annähernd die gleichen Trends analysieren.
Die Trendanalyse dieser Diplomarbeit ist angelehnt an die 7 Trendfelder der strategischen Zukunftsanalyse der deutschen Bundeswehr (mit geringen Abweichungen), wobei die Trendfelder Kulturelle und Gesellschaftliche Entwicklungen zusammengefasst wurden.
2 Global strategische Entwicklungen bis ins Jahr 2030
Die Globalisierung wird in der Trendanalyse sehr oft als „Metatrend“ oder „Megatrend“ bezeichnet, der alle anderen Trends beeinflusst. So wird in der Studie „Mapping the Global Futur“ die Globalisierung als „…more as a „mega-trend“ – a force so ubiquitous that it will substantially shape all of the other major trends in the world of 2020,“[43] bezeichnet.
In dieser Diplomarbeit wird jedoch die Globalisierung vorwiegend als ökonomischer Trend behandelt und in den relevanten Trendfeldern auch auf die sozioökonomische Bedeutung der Globalisierung hingewiesen. Auch wurde das Schwergewicht in der Trendanalyse auf die Trendfelder Demographische Entwicklungen, Ressourcen, Umwelt, Energie und Wirtschaft gelegt, da hier aus der Trendextrapolation die sichersten Aussagen möglich sind. Im Folgenden wurden die sicherheitspolitischen Auswirkungen der Trendfelder wie folgt analysiert:
- Globale Folgen
- Folgen für Europa
- Auswirkungen auf die Streitkräfteentwicklung allgemein
2.1 Demographische Entwicklungen
Demographische Veränderungen haben seit dem Bestehen der Menschheit großen Einfluss auf das Leben der Menschen. Folgende demographische Trends werden erheblichen Einfluss auf die Sicherheit und Stabilität von Staaten und auch des internationalen Systems haben:
1. global starkes Bevölkerungswachstum;
2. regional extrem ungleiche Bevölkerungsentwicklung;
3. Überalterung der Bevölkerungen in den meisten entwickelten Ländern;
4. starke Tendenzen zur Urbanisierung.[44]
Alle diese Entwicklungen werden spezifische Probleme mit sich bringen. Die Bevölkerungsentwicklung hat großen Einfluss auf andere Trends und Trendfelder. So wird die Klimaveränderung, die Wasserversorgung, der Verbrauch von Ressourcen und die Verfügbarkeit von Lebensmitteln durch die Bevölkerungsentwicklung beeinflusst.
Im vergangenen Jahrhundert hat die Menschheit das größte Wachstum ihrer Geschichte erlebt. Seit 1950 hat sich die Anzahl der Menschen mehr als verdoppelt und beträgt jetzt ca. 6,5 Milliarden Menschen. Im Jahre 2030 wird die Bevölkerung auf der Erde ca. 8,2 Milliarden Menschen betragen, 2050 sogar über 9 Milliarden Menschen.[45]
Das Bevölkerungswachstum ist jedoch regional sehr unterschiedlich. In manchen Industrienationen wie Deutschland oder der Schweiz ist seit Jahren ein Bevölkerungsrückgang zu beobachten. In den Vereinigten Staaten weisen die Bevölkerungszahlen ein geringes Wachstum auf. Die Bevölkerungen der Industriestaaten insgesamt werden in den kommenden 50 Jahren nahezu nicht mehr wachsen, während die Schwellen- und Entwicklungsländer Afrikas, Asiens und Lateinamerikas fast 100 Prozent zum Bevölkerungswachstum beitragen werden. Die Hälfte des erwarteten Anstiegs wird in neun Ländern vor sich gehen: Indien, Pakistan, Nigeria, den USA, China, Bangladesh, Äthiopien, der Demokratische Republik Kongo und Uganda.[46]
Die Bevölkerungsentwicklung in Zahlen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Bevölkerungsentwicklung
Aids wird das Bevölkerungswachstum in Afrika zwar etwas dämpfen, aber nicht stoppen, und die Bevölkerungen der betroffenen Länder werden aufgrund der hohen Geburtenraten weiter wachsen.
Indien wird China als bevölkerungsreichstes Land der Erde überholen. Hier gibt es unterschiedliche Prognosen. Nach Hauchler (et al) wird dies knapp vor 2040 geschehen, jedoch nach den verwendeten Prognosedaten der Population Division der UN ist dies schon 2030 möglich.[48]
Ein weiterer sehr bedeutsamer Trend ist die Überalterung der Bevölkerung. In fast allen europäischen Ländern sowie in Japan sinken die Bevölkerungszahlen. Auch China wird durch die staatlich verordnete „Ein-Kind-Politik“ mit diesem Problem konfrontiert werden. Die Bevölkerung in den entwickelten Industrienationen (insbesondere Europa und Japan) wächst nur mehr durch den Zuzug von Migranten. In der Demographie spricht man von einer Bevölkerungsimplosion.[49] In Verbindung mit der steigenden Lebenserwartung, vor allem in den Industriestaaten, wird sich das Verhältnis der arbeitsproduktiven Bevölkerung und der nicht mehr arbeitsproduktiven Bevölkerung entscheidend verschlechtern. Gemäß dem deutschen Institut für Altersvorsorge wird innerhalb der EU der Bevölkerungsanteil, der schon im Ruhestand ist, oder knapp davor steht, auf 34 Prozent ansteigen, das sind 13 Prozent mehr als jetzt.[50] In Deutschland zum Beispiel werden bald mehr 75 – 85-Jährige leben als Kinder im Alter bis zu zehn Jahren.
Dies bedeutet für die meisten umlagefinanzierten Rentensysteme, dass mit dem Rückgang der arbeitsproduktiven Bevölkerung auch die Finanzierungsbasis der Alterssicherung schwieriger wird und die Sicherstellung der Renten ein ungeklärtes Problem ist.[51]
Ein weiterer zentraler Trend im Bereich demographischer Entwicklungen ist die zunehmende Verstädterung. 2030 werden 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben (2005: 47 Prozent). Diese verstärkte Urbansierung wird vor allem in den Entwicklungsländern vor sich gehen. Die Gründe sind unter anderem in einer Strukturänderung in der Landwirtschaft zu suchen, wo die Entwicklung weg von einer Landwirtschaft zur Selbsterhaltung bzw. zur Befriedigung der unmittelbaren eigenen Bedürfnisse, hin zu kommerzieller und industrialisierter Landwirtschaft gehen wird. Auch erwarten sich die Menschen, die vom Land in die Städte strömen, bessere berufliche Möglichkeiten, die jedoch meistens unerfüllt bleiben.[52] Somit entstehen Megastädte, deren chaotische Entstehung und damit verbundene Slumbildung, die Ordnungsmöglichkeiten der Staaten überfordern und Kriminalität und soziale Probleme fördern.[53]
2.1.1 Ableitungen aus dem Trendfeld Demographische Entwicklungen global
Als Folgen der genannten globalen demographischen Entwicklungen können analysiert werden:
Verschiebung der Zentren der Macht
Erich Reiter ist der Meinung, dass die absolute Bevölkerungsgröße unter mehreren anderen Faktoren (auf die teilweise in dieser Trendanalyse eingegangen wird) eine Komponente der Macht ist. Die bevölkerungsreichen Länder, vor allem in Asien, die ihre Bevölkerungsgröße mit dementsprechender wirtschaftlicher Dynamik kombinieren können, werden das Gleichgewicht in den internationalen Beziehungen verändern. Diese Länder werden mehr Gewicht und Mitsprache in den internationalen Organisationen beanspruchen und außerdem werden sie versuchen, globalen Mitgestaltungsanspruch zu erheben und den Einfluss des „Westens“ zurückzudrängen. Die Bevölkerungen der großen Länder werden den globalen Ordnungsanspruch der europäischen Länder mit ihren kleiner gewordenen Bevölkerungen, aber auch jenen der USA nicht mehr akzeptieren. Die Bevölkerungsentwicklung wird also die Hierarchie des internationalen Systems verändern und die Legitimität des globalen Ordnungsanspruchs der Länder des „Westens“ wird zunehmend infrage gestellt.[54] Als Beispiel kann die aktuelle Diskussion um die Reform des Weltsicherheitsrates herangezogen werden, wo bevölkerungsreiche Länder wie Indien oder Brasilien einen Sitz für sich beanspruchen.
Perspektivenlose junge Generation
Beobachtbar ist, dass gerade in jenen Ländern, in denen die Voraussetzungen eigentlich am schlechtesten sind, die unter politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Wirren leiden, die Geburtenzahlen am höchsten liegen (s. Tabelle 1: Bevölkerungsentwicklung).
Viele diese Länder (hier vor allem Afrika und der Mittlere Osten), die hohe Bevölkerungszuwächse zu verzeichnen haben, werden Probleme haben diese hohe Anzahl an vor allem jungen Menschen entsprechend zu beschäftigen. Prognosen gehen davon aus, dass allein bis 2015 470 Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze – vor allem in den Entwicklungsländern – geschaffen werden müssten, um dem Bevölkerungswachstum gerecht zu werden. Denn Menschen ohne Einkommen, ohne Bildung und ohne Arbeit lassen sich erfahrungsgemäß sehr leicht in den Bann von Fundamentalismus und Demagogie verleiten.[55] Diese Entwicklungen lassen in den Entwicklungsländern eine weitere Abnahme der politischen Stabilität und eine Verschärfung des vorhandenen Konfliktpotentials und ein Erscheinen neuen Konfliktpotentials erwarten. Weiters lassen o.a. Entwicklungen eine weitere Zunahme von regionalen Konflikten, sowohl von „Inter-State-Konflikten“ als auch von „Intra-State-Konflikten“, erwarten.
[...]
[1] vgl. Ågerup, Martin: Von Szenarien zu Wild Cards. – Das Kopenhager Institut für Zukunftsforschung, in: Steinmüller, Karlheinz/Kreibich, Rolf/Zöpel, Christoph: Zukunftsforschung in Europa, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001,
[2] vgl. Spindler, Manuela/ Schieder, Siegfried: Theorien in der Lehre von den internationalen Beziehungen, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela/ (Hrsg.): Theorien der internationalen Beziehungen, Verlag Leske + Budrich, Opladen 2003, S. 15 - 17
[3] vgl. Filzmaier, Peter/Gewessler, Leonore/Höll, Otmar/Mangott, Gerhard: Internationale Politik – Eine Einführung, Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien 2006,
[4] Holsti, Kalevi J.: Change in the International System. Essays on the Theory and Practice of International Relations, Aldershot 1991 zitiert in Filzmaier, Peter/Gewessler, Leonore/Höll, Otmar/Mangott Gerhard: Internationale Politik – Eine Einführung, Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien 2006,
[5] vgl. Filzmaier, Peter/Gewessler, Leonore/Höll, Otmar/Mangott, Gerhard: a.a.O.,
[6] vgl. Spindler, Manuela/Schieder, Siegfried: a.a.O.,
[7] vgl. Filzmaier, Peter/Gewessler, Leonore/Höll, Otmar/Mangott, Gerhard: a.a.O.,
[8] vgl. Jacobs, Andreas: Realismus, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der internationalen Beziehungen, Verlag Leske + Budrich, Opladen 2003, S. 45 - 46
[9] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft – Grundrisse der verstehenden Soziologie, Mohr Verlag, Tübingen 1972,
[10] vgl. Jacobs, Andreas: a.a.O.,
[11] vgl. Filzmaier, Peter/Gewessler, Leonore/Höll, Otmar/Mangott, Gerhard: a.a.O., S. 74 - 76
[12] vgl. Borinski, Philipp: Zur neueren amerikanischen und europäischen Diskussion um den Strukturellen Realismus, in: Masala, Carlo/Roloff, Ralf (Hrsg.): Herausforderung der Realpolitik – Beiträge zur Theoriedebatte in der Internationalen Politik, SH-Verlag, Köln 1998,
[13] vgl. Schörning, Niklas: Neorealismus, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der internationalen Beziehungen, Verlag Leske + Budrich, Opladen 2003,
[14] vgl. ebd.,
[15] vgl. ebd., S. 69 – 70 und Filzmaier, Peter/Gewessler, Leonore/Höll, Otmar/Mangott, Gerhard: a.a.O.,
[16] vgl. Siedschlag, Alexander: Neorealismus in der Theorie internationaler Politik, in Internet: http://www.ifir.at/pdf/Tutorial/Siedschlag_Neorealismus.pdf, download am 15.06.06,
[17] vgl. Schörning, Niklas: Neorealismus, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der internationalen Beziehungen, Verlag Leske + Budrich, Opladen 2003,
[18] vgl. ebd.,
[19] vgl. Filzmaier, Peter/Gewessler, Leonore/Höll, Otmar/Mangott, Gerhard: a.a.O., S. 77 - 78
[20] Der Grundgedanke von Konzepten politischer Integration ist es, das anarchische internationale System und die damit verbundene Kriegsgefahr durch universale Normen (z.B. internationales Recht) und die Institution einer Weltregierung aufzuheben. Durch die Bereitstellung inter- bzw. supranationaler Organisationen sollte die Möglichkeit staatlicher (und friedlicher) Konfliktaustragung und –beilegung geschaffen werden. (vgl. Filzmaier, Peter/Gewessler, Leonore/Höll, Otmar/Mangott, Gerhard: a.a.O., S. 78 u.81)
[21] vgl. Filzmaier, Peter/Gewessler, Leonore/Höll, Otmar/Mangott, Gerhard: a.a.O.,
[22] vgl. Ulbert, Cornelia: Sozialkonstruktivismus, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der internationalen Beziehungen, Verlag Leske + Budrich, Opladen 2003, S. 405 - 406
[23] vgl. Filzmaier, Peter/Gewessler, Leonore/Höll, Otmar/Mangott, Gerhard: a.a.O.,
[24] Conzelman, Thomas: Neofunktionalismus, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der internationalen Beziehungen, Verlag Leske + Budrich, Opladen 2003, S. 155 - 156
[25] vgl. Patzelt, Werner J.: Einführung in die Politikwissenschaft – Grundriß des Faches und studiumbegleitende Orientierung, Wissenschaftsverlag Richard Rothe, Passau 2003, S. 149 ff.
[26] vgl. Patzelt, Werner J.: a.a.O., S. 506 – 507
[27] vgl. ebd., S. 164 ff
[28] vgl. Kreibich, Rolf: Herausforderungen und Aufgaben für die Zukunftsforschung in Europa, in: Steinmüller, Karlheinz/Kreibich, Rolf/Zöpel, Christoph (Hrsg.): Zukunftsforschung in Europa – Ergebnisse und Perspektiven, Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000,
[29] vgl. ebd., S. 9 und Brust, Klaus-Markus/Föhrenbach, Gerd/Kaestner, Roland: Strategische Zukunftsanalyse am Beispiel der Bundeswehrplanung, in: Siedschlag, Alexander (Hrsg.): Methoden der sicherheitspolitischen Analyse – Eine Einführung, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006,
[30] vgl. Kreibich, Rolf: a.a.O.,
[31] Jouvenel, Hugues de: Futuribles – ein Gesamtkonzept der Zukunftsforschung: in Steinmüller, Karlheinz/Kreibich, Rolf/Zöpel, Christoph (Hrsg.): Zukunftsforschung in Europa – Ergebnisse und Perspektiven, Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000,
[32] vgl. Steinmüller, Karlheinz: Grundlagen und Methoden der Zukunftsforschung: in Internet: http://www.institutfutur.de/_service/download/methoden-zukunftsforschung_sfz-wb21.pdf, download am 22.06.06, S. 30 und Brust Klaus-Markus/Föhrenbach, Gerd/Kaestner, Roland: Strategische Zukunftsanalyse am Beispiel der Bundeswehrplanung, in: Siedschlag, Alexander (Hrsg.): Methoden der sicherheitspolitischen Analyse – Eine Einführung, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006,
[33] Delphi-Methode: Die Delphi-Methode ist ein systematisches mehrstufiges Expertenbefragungsverfahren bzw. eine Schätzmethode, die dazu dient, zukünftige Ereignisse, Trends, technische Entwicklungen und dergleichen möglichst gut einschätzen zu können.
[34] vgl. Meywirth, Carsten: Vom systematischen Umgang mit der Zukunft – Die Gestaltung des Planungsprozesses der Kriminalitätskontrolle, in: Polizei heute, 3/2004,
[35] vgl. Fink, Alexander/Schlake, Oliver/Siebe, Andreas: Erfolg durch Szenariomanagement, Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2002,
[36] vgl. Fink, Alexander/Schlake, Oliver/Siebe, Andreas: a.a.O.,
[37] vgl. ebd.
[38] vgl. Brust, Klaus-Markus/Föhrenbach, Gerd/Kaestner, Roland: Strategische Zukunftsanalyse am Beispiel der Bundeswehrplanung, in: Siedschlag, Alexander (Hrsg.): Methoden der sicherheitspolitischen Analyse – Eine Einführung, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006,
[39] vgl. Steinmüller, Karlheinz: Über Szenarien, Trends und Megatrends, Wild Cards und Visionen, in: Sandner, Günther/Vlastos, Michael (Hrsg.): Über Morgen – Politikentwicklung mit Zukunftsforschung, Verlag des ÖGB GmbH, Wien 2005,
[40] vgl. Brust, Klaus-Markus/Föhrenbach, Gerd/Kaestner, Roland: a.a.O.,
[41] vgl. Brust, Klaus-Markus/Föhrenbach, Gerd/Kaestner, Roland: a.a.O.,
[42] vgl. „Strategic Trends“, JOINT DOCTRINE and Concepts Centre, in Internet: http://www.jdcc-strategictrends.org/, download am 23.06.06
[43]. National Intelligence Council: Mapping the Global Future, in Internet: http://www.foia.cia.gov/2020/2020.pdf, download am 31.07.2006,
[44] vgl. Brust, Klaus-Markus/Föhrenbach, Gerd/Kaestner, Roland: a.a.O.,
[45] vgl. Population Division of the Department of Economic and Social Affairs of the United Nations: World Population Prospects: The 2004 Revision Population Database; in Internet: http://esa.un.org/unpp/ download am 02.07.06 Daten über Bevölkerungsentwicklungen sind sehr vielfältig vorhanden. Beispiele sind die UN Population Division, die Weltbank, United States Census und auch EU Statistiken. Für diese Diplomarbeit wurden die Daten der Population Division of the Department of Economic and Social Affairs of the United Nations Secretariat berücksichtigt. Auch diese Prognosedaten verwenden eine hohe, eine mittlere und eine niedrige Variante. Es wurden die Daten der mittleren Variante verwendet.
[46] vgl. Hauchler, Ingomar/Messner, Dirk/Nuscheler, Franz (Hrsg): Globale Trends 2004/2005, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2003, S. 71 und in Internet: http://www.7revs.org/sevenrevs_content.html, download am 10.07.06 - Hauchler (et al) führt 8 Länder an (Uganda nicht) auf der angegebenen Homepage werden neun Länder genannt.
[47] Die Bevölkerung der EU (auf Basis der EU 25) wird bis 2025 geringfügig steigen bis auf 470,1 Millionen und ab 2025 sinken. 2050 prognostizieren die Daten einen Rückgang auf 449,8 Million Menschen. Daten sind extrapoliert auf Basis der EU 25 zum Zeitpunkt der Erstellung der Diplomarbeit. Es wurden die Prognosedaten von Eurostat verwendet. in Internet: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page?_pageid=1996,39140985&_dad=portal&_schema=PORTAL&screen=detailref&language=de&product=Yearlies_new_population&root=Yearlies_new_population/C/C1/C11/caa11024, download am 02.07.06
[48] vgl. Hauchler, Ingomar/Messner, Dirk/Nuscheler, Franz (Hrsg): a.a.O., S. 72 und Population Division of the Department of Economic and Social Affairs of the United Nations: World Population Prospects: The 2004 Revision Population Database;in Internet: http://esa.un.org/unpp/ download am 02.07.06
[49] vgl. Hauchler, Ingomar/Messner, Dirk/Nuscheler, Franz (Hrsg): a.a.O.,
[50] vgl. Deutsches Institut für Altersvorsorge: Die globale Bevölkerungsentwicklung – Daten & Fakten, in Internet: http://www.dia-vorsorge.de/downloads/df010202.pdf, download am 03.07.06
[51] vgl. Hauchler, Ingomar/Messner, Dirk/Nuscheler, Franz (Hrsg): a.a.O.,
[52] vgl. „Strategic Trends“, JOINT DOCTRINE and Concepts Centre, in Internet: http://www.jdcc-strategictrends.org/, download am 23.06.06
[53] Reiter, Erich: Perspektiven der globalen strategischen Entwicklung – Das Ende der Ordnung von Jalta, Verlag E.S. Mittler & Sohn, Hamburg, Berlin, Bonn 2003,
[54] vgl. Reiter, Erich: Perspektiven der globalen strategischen Entwicklung – Das Ende der Ordnung von Jalta, Verlag E.S. Mittler & Sohn, Hamburg, Berlin, Bonn 2003,
[55] vgl. Hauchler, Ingomar/Messner, Dirk/Nuscheler, Franz (Hrsg): a.a.O.,
- Arbeit zitieren
- Magister Bernhard Richter (Autor:in), 2007, Langfristige globale strategische Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die sicherheitspolitische Ausrichtung der EU und ihr Einfluss auf die Streitkräfte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88747
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