Der Sicherheitsbegriff in den Internationalen Beziehung hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges stark gewandelt. Nicht mehr nur gelten zwischenstaatliche Konflikte als Bedrohung für die internationale Sicherheit, sondern vermehrt rücken auch nicht-militärischer Gefahren, wie Terrorismus, aber auch Epidemien in den Fokus der Forscher. Die neuen Bedrohungen werden zudem durch die rasante Entwicklung der Globalisierung gesteigert.
Dies wird besonders an den immer umfangreicheren Sicherheitskontrollen an Flughäfen deutlich. Was wird nun genau unternommen, damit sich Passagiere am Flughafen sicher und wohl fühlen? Und steht dies noch im Einklang mit rechtsstaatlicher Verhältnismäßigkeit? Im Zuge dieses ethnographischen Forschungsprojektes am Franz-Josef Strauß Flughafen in München wurden soziale Praktiken betrachtet, die den Passagieren trotz Bedrohungen ein Sicherheitsgefühl vermitteln sollen. Die Forschungsarbeit zeigt, dass Praktiken gefühlter Sicherheit dabei nicht notwendigerweise deckungsgleich mit Praktiken sein müssen, die reale Sicherheit gewährleisten. Dabei wurden die gefundenen Praktiken in vier unterschiedliche sogenannte „Sicherheitsbündel“ unterteilt: Sicherheitsdienste und Bundespolizei, Durchsagen, Kameras sowie Artefakte. Je nach Sicherheitsrelevanz des Ortes im Flughafen treten diese in unterschiedlicher Dichte – also „räumlich abgestuft“ – auf. Es wird dabei augenscheinlich, dass die Sicherheitspraktiken im Einklang mit der von demokratischen Rechtsstaaten angewandter Verhältnismäßigkeit stehen.
Gliederung
1 Erläuterung des Hintergrundes, der Zielsetzung und der Vorgehensweise
1.1 Bezug zu den Internationalen Beziehungen und Beobachtungsgegenstand
1.2 Terrorismus
2 Beschreibung und Interpretation der Praktiken, durch die das Sicherheitsempfinden von Passagieren und Besuchern am Münchner Flughafen gestärkt wird
2.1 Definition von Begriffen und Erklärung der Methodik vor dem Hintergrund des konkreten Forschungsprojektes
2.2 Die Existenz von Sicherheitsbündeln am Münchner Flughafen
2.2.1 Das Bündel Sicherheitsdienste und Bundespolizei
2.2.2 Das Bündel Durchsagen
2.2.3 Das Bündel Kameras
2.2.4 Das Bündel Artefakte
2.3 Die „räumliche Abgestuftheit“ am Münchner Flughafen
2.3.1 Der S-Bahnhof
2.3.2 Die Gepäckaufgabe
2.3.3 Der Einkaufs- und Restaurantbereich
2.3.4 Die Sicherheitsschleuse
3 Dichte Beschreibung: Anlassbezogene und verhältnismäßige Reaktion als Leitlinie am Münchner Flughafen
4 Quellen – und Literaturverzeichnis
5 Anhang
1 Erläuterung des Hintergrundes, der Zielsetzung und der Vorgehensweise
In dieser Arbeit möchten wir darlegen, wie ausgewählte Praktiken am internationalen Flughafen Franz-Josef Strauß vor den Toren Münchens den Reisenden ein Sicherheitsgefühl vermittelt.
Diese Untersuchung der gefühlten Sicherheit ist klar abzugrenzen von der tatsächlich gewährleisteten Sicherheit. Für uns war es nicht möglich, an interne Dienst- und Handlungsanweisungen von Polizei- und Sicherheitsbehörden zu gelangen, da diese als geheim klassifiziert sind und uns deshalb nicht zugänglich waren. Jedoch bestand für uns die Möglichkeit der „teilnehmenden Beobachtung“[1] von alltäglichen Handlungsabläufen. Zudem wurde uns die Möglichkeit eröffnet, abgleichende Interviews zu führen. Weiterhin stand uns die Literatur- und Internetrecherche zur Verfügung.
Zunächst werden wir den Bezug zu den Internationalen Beziehungen herausarbeiten, den Beobachtungsgegenstand vorstellen, sowie auf die Hauptbedrohung für das Sicherheitsempfinden am Flughafen durch den internationalen Terrorismus eingehen. Danach erläutern wir die Vorgehensweise und Methodik, die unserem Forschungsvorhaben zur Grunde liegen. Nach dieser theoretischen Abhandlung zeigen wir alle Sicherheitspraktiken auf, die wir entdeckt und zu sogenannten Sicherheitsbündeln zusammengefasst haben. Danach werden wir versuchen, alle eindeutig wahrnehmbaren und weniger wahrnehmbaren Handlungspraktiken aufzuzeigen, die ein normaler Passagier auf dem Weg von seiner Ankunft am S-Bahnhof des Münchner Flughafens bis hin zu seinem Abflug in Terminal 2 erkennen kann. Abschließend geben wir eine Interpretation unserer Beobachtungen.
1.1 Bezug zu den Internationalen Beziehungen und Beobachtungsgegenstand
Es lässt sich feststellen, dass der Sicherheitsbegriff in den Internationalen Beziehungen seit dem Ende des Ost-West-Konflikts einen Wandel durchlaufen hat. Als globale Sicherheitsbedrohungen gelten heute nicht mehr nur zwischenstaatliche Konflikte, sondern auch vermehrt Bedrohungen wie Bürgerkriege, internationale Kriminalität, Pandemien und der internationale Terrorismus[2]. Vor allem zuletzt genannter stellt nicht nur eine reale Gefahr dar, sondern wirkt insbesondere als psychischer Angstfaktor. Was ein demokratisches Land innerhalb seiner rechtsstaatlichen Grundlagen unternimmt, um diese gefühlte Sicherheitsbedrohung der Bevölkerung zu minimieren, möchten wir in unserem ethnographischen Forschungsprojekt vorstellen.
Zu Beginn unserer Feldforschung mussten wir zunächst einen geeigneten Ort finden, an dem sich routinierte und alltägliche Handlungspraktiken[3] und internationale Interaktion in Verbindung bringen lassen können. Der internationale Flughafen Franz-Josef Strauß vor den Toren Münchens schien uns dafür besonders gut geeignet zu sein. Nicht nur, weil er „international“ ist und die Reisenden aus der ganzen Welt kommen – der Flughafen gehört zu den meist frequentierten Europas; im Jahre 2005 beförderten im Schnitt 113 Fluggesellschaften täglich 78.407 Passagiere zu 250 unterschiedlichen Reisezielen in 67 Ländern[4] – sondern auch, weil man dort eine Fülle von alltäglichen Sicherheitspraktiken erkennen kann.
1.2 Terrorismus
Spätestens seit den verheerenden Flugzeuganschlägen der Terrororganisation AL Quaida am 11. September 2001 wurde der Weltbevölkerung auf schockierende Weise vor Augen geführt, dass der internationale Terrorismus zu der Hauptgefahr für den Frieden der westlichen Welt geworden ist. Die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon leiteten eine neue Dimension der terroristischen Kriegsführung ein. Nie zuvor wurden durch einen terroristischen Anschlag so viele Zivilisten auf einen Schlag getötet und ein so enormer wirtschaftlicher Schaden angerichtet[5]. Die Terroranschläge waren zudem ein Beleg dafür, dass das internationale Terrornetzwerk zunehmend auch fähig ist, hoch komplexe und generalstabsmäßig geplante Angriffe vorzunehmen.
Zwar ist die Zweckentfremdung von Flugzeugen zu fliegenden Waffen nicht gänzlich neu, man denke beispielsweise an die japanischen Kamikaze-Flieger aus dem 2. Weltkrieg[6]. Allerdings richtet sich der fundamental-religiös orientierte Terrorismus nicht wie damals gegen klar abgrenzbare militärische Ziele, sondern hat sein Hauptaugenmerk auf sogenannte „weiche Ziele“ gelegt, wie die New Yorker Terroranschläge 2001 eindeutig gezeigt haben.
Diese terroristische Gewaltstrategie setzt in erster Linie auf die „psychischen Effekte“[7]. Ziel des terroristischen Handelns ist die Herstellung allgemeiner Unsicherheit und Angst in der Bevölkerung. Die Opfer und Orte sind scheinbar willkürlich ausgesucht und folgen keinem klar erkennbaren Muster. Ein Anschlag kann dabei überall und jederzeit passieren. Diese Unkalkulierbarkeit terroristischen Handelns führt zu einer zunehmenden „Terrorphobie“ in der Bevölkerung.
Nach den Terroranschlägen aus dem Jahre 2001 wurden Stimmen laut, dass diese Anschläge hätten vermieden werden können. Zu lax seien die Sicherheitskontrollen an den Flughäfen gewesen. Um ähnlichen Katastrophen zukünftig entgegen zu wirken, wurden weltweit die Sicherheitsmaßnahmen an Internationalen Flughäfen massiv verstärkt, nicht zuletzt auch um den Reisenden wieder ein gestärktes Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Dies kann man auch besonders nach den gescheiterten Anschlägen vom 10. August 2006 am London-Heathrow Airport beobachten. Da die Terroristen Flüssigsprengstoff nutzen wollten, gelten ab dem 6. November 2006 in der EU verschärfte Regelungen zur Mitnahme von Flüssigkeiten. Diese Verfügungen orientieren sich an den strengen Flugsicherheitsbestimmungen der USA, in denen die neuen Vorschriften bereits seit Ende September 2006 gelten[8]. Der internationale Terrorismus stellt also eine der Hauptbedrohungen für die Sicherheit an Flughäfen auf der ganzen Welt dar. Wir wollen im Folgenden am Beispiel des Münchner Flughafens aufzeigen, was getan wird, um den Passagier dennoch ein sicheres Reisegefühl zu vermitteln.
2 Beschreibung und Interpretation der Praktiken, durch die das Sicherheitsempfinden von Passagieren und Besuchern am Münchner Flughafen gestärkt wird
2.1 Definition von Begriffen und Erklärung der Methodik vor dem Hintergrund des konkreten Forschungsprojektes
Vor der Erläuterung des Begriffes der Praktiken wird zunächst darauf eingegangen, was sich hinter dem Wort „Ethnographie“ verbirgt. Was ist ein ethnographisches Forschungsprojekt? Wirft man einen Blick in den Duden, wird Ethnographie als „beschreibende Völkerkunde“ definiert[9]. Diese grobe Erklärung bietet den ersten Zugang. Es geht darum, Ethnien bzw. kleine Lebenswelten zu beschreiben. Im konkreten Fall erstreckt sich das Forschungsvorhaben auf den Flughafen als spezifisches Feld innerhalb unserer westlichen Gesellschaft. Diese „gesellschaftliche Selbstbeobachtung“[10] am Flughafen ist besonders vor dem Hintergrund der neuen und befremdenden Bedrohung der Sicherheit für die Bürger durch den Terrorismus hervorzuheben. Unter ethnographischer Sozial- bzw. Politikforschung versteht man nun das in hohem Maße methodenoffene Forschungskonzept der teilnehmenden Beobachtung. Der Forscher gewinnt seine Erkenntnissen direkt im Feld – durch Beobachtung und durch persönliche Beteiligung an den Geschehnissen[11], z.B. durch sogenannte Feldkonversation des Forschers mit relevanten Personen.
Für die Beobachtungen bedarf allerdings schon zu Beginn laut Wiesner „einer forscherischen Grundintention...“[12]. Diese umfasst für das Flughafenprojekt die Beschreibung der Praktiken, durch die sich Passagiere am Flughafen vor dem Hintergrund der Geschehnisse um den 11. September sicher fühlen. Ziel ist nicht nur die Beschreibung der Praktiken an sich, sondern auch die Erklärung ihrer Wirkungen und wie sie gewährleistet werden.
Die meisten Orte des Flughafens sind öffentlich zugänglich und somit sind keine speziellen Genehmigungen erforderlich. Nur für nichtöffentliche Orte am Flughafen, wie der Bereich hinter der Sicherheitsschleuse, benötigt man spezielle Genehmigungen. Zudem unterliegen diverse Dokumente der Geheimhaltung und sind deshalb nicht verfügbar. Im konkreten Fall waren dies Dienstanweisungen für das Flughafenpersonal, die im Nachhinein eventuell die Deutung der Praktiken erleichtert hätten.
Beginnt man nun mit der teilnehmenden Beobachtung im Feld, sollte man Offenheit und Flexibilität im Bezug auf die Wahl der Methoden zeigen. Wie Lüders anmerkt, kann ein „allzu rigides Festhalten an methodischen Verfahrensprinzipien [...] über kurz oder lang den Zugang zu wichtigen Informationen verschließen“[13].
Beim ersten vierstündigen Feldeinsatz am 21.05.06 haben wir sehr flexibel gearbeitet. Wir beobachteten unterschiedliche Einzelpersonen, änderten nach verschiedener Verweildauer die Orte und zeigten insgesamt große Opportunität. Zwar waren wir uns über die Grundintention im Klaren, dennoch wurden alle Informationen, die uns relevant erschienen, aufgenommen. Möglichkeiten zur Feldkonversation ergaben sich für uns mit verschiedenen Sicherheitskräften. Außerdem folgten wir Lüders‘ Vergleich von ethnographischer Forschung mit journalistischen Techniken. Wir schossen Fotos, z.B. von Hinweisschildern, und sammelten diverse Broschüren und Dokumente[14].
Von Bedeutung ist auch die Prämisse mit „fremden Blick“ ins Feld zu gehen und in einen „Prozess der partiellen Enkulturation“ einzutauchen, um routinisierte, alltägliche Abläufe in dieser Lebenswelt aus einem forschendem Blickwinkel beschreiben zu können[15]. Enkulturation bedeutet nichts anderes, als sich möglichst „dumm“ zu stellen und auch die gewöhnlichsten Praktiken so zu sehen, als seien sie etwas völlig neues und fremdes.
Ethnographische Forschung ist nach Lüders dadurch gekennzeichnet, „dass sie wie kein anderes Verfahren der Sozialforschung auf der nachträglichen Protokollierung des dabei Beobachteten und Wahrgenommenen bzw. genauer: des nachträglich noch Erinnerten basieren“. Es handelt sich „bei Beobachtungsprotokollen um das Ergebnis eines ‚Transformationsprozesses‘, mit dem ein [...] soziales Geschehen substituiert wird durch eine typisierende, narrativierende, ihrerseits deutende Darstellung ex post“[16]. Das bedeutet, dass durch das nachträgliche Aufschreiben keine reine Wiedergabe der beobachteten Praktiken folgt, sondern schon die Interpretation des Geschehenen. Geertz bezeichnet diesen Vorgang mit „dichte Beschreibung“[17].
Bis zum nächsten Feldversuch am 10.06.2006 verging genug Zeit um sich dem Flughafen wieder zu entfremden. In dieser Phase initiierten wir Kontakte zu zwei Flughafenmitarbeitern; zu Herrn Maeke, dem Referenten für Öffentlichkeitsarbeit des Münchner Flughafens, der uns eine Zugangsberechtigung hinter die Sicherheitsschleuse ermöglichte und zu Herrn Oberndörfer, dem Leiter der Luftsicherheitsstelle am Flughafen, der sich für ein abgleichendes Interview zur Verfügung stellte. Nach der zweiten, spezialisierten Feldbeobachtung interpretierten wir die gesammelten Daten erneut gemeinsam, bevor wir am 01.07.2006 noch einmal ins Feld zurückkehrten, um die Erkenntnisse endgültig und abschließend zu prüfen. Parallel erfolgte eine eingehende dichte Beschreibung des Beobachteten vor dem Hintergrund der Fragestellung. Als wir uns über die Interpretation des Forschungsprojekts völlig im Klaren waren, wurden die zu verfassenden Themen der Hausarbeit aufgeteilt und gemeinsam zusammengefügt.
Was wurde nun beobachtet?
Um herauszufinden, durch welche Praktiken sich Passagiere des Flughafens sicherer fühlen, muss zunächst geklärt werden, was man unter einer „Praktik“ versteht. Für Joachim Wiesner ist eine Praktik „...die Grundeinheit politischer Prozesse...“, mit der „...der Bereich des selbstverständlichen, routinisierten, nicht reflektierten und häufig auch nicht reflexiv einholbaren Tuns erfasst [wird]“[18]. Das Ausführen einer Praktik durch einen Akteur erfolgt aus dem „praktischem Wissen“, womit gemeint ist, dass sich der Akteur implizit darüber bewusst ist, was in seiner jeweiligen Kultur angebracht erscheint, um sinnhaftes Tun zu ermöglichen[19]. Aus diesem Zusammenhang zur Kultur ist es möglich, aufgrund von Praktiken Aussagen über die soziale Welt, zum Beispiel der Internationalen Beziehungen, zu machen – im spezifischen Fall über die Gewährleistung von Sicherheit am Flughafen. Interessant am Ansatz der Praktiken ist die Einbeziehung von „spezifischen Artefakten“, also von Gegenständen oder Objekten. Eine Praktik ergibt sich nicht nur durch das Handeln einer Person, sondern auch durch den Einbezug von bestimmten Objekten, „deren praktische Verwendung Bestandteil einer sozialen Praktik oder die soziale Praktik selbst darstellt“[20]. Auf diese Weise wird der Beobachtungsbereich enorm erweitert.
So wurden auch Praktiken unter Zuhilfenahme von Artefakten beobachtet, z.B. die Kontrolle des Gepäcks mit Hilfe eines Röntgengerätes, oder auch solche Praktiken die nur aus Artefakten bestehen, hier sind Hinweisschilder, z.B. über die Gefahren der Vogelgrippe, exemplarisch zu nennen.
Die verschiedenen Definitionen und Methoden sind sehr zahlreich und komplex. Obige kurze Erläuterung soll eine Einführung in die Thematik vor dem Hintergrund der Forschungsarbeit liefern.
In den weiteren Kapiteln werden nun die konkreten Ergebnisse des Forschungsprojektes dargestellt.
2.2 Die Existenz von Sicherheitsbündeln am Münchner Flughafen
Im Verlauf der Feldforschung konnten wir verschiedene sicherheitsgewährende Praktiken ausfindig machen. Um eine Systematisierung zu erhalten, bot sich die Gruppierung dieser Praktiken in sogenannte „Sicherheitsbündel“ an. Im Folgenden werden die einzelnen Bündel beschrieben.[21]
2.2.1 Das Bündel Sicherheitsdienste und Bundespolizei
Am Flughafen München existiert ein regelrechter „Dschungel“ von verschiedenen Diensten mit divergierenden Aufgaben und Zuständigkeiten. Die Anzahl der Dienste ist fluktuierend, scheint sich jedoch gewöhnlich zwischen 10 und 15 Diensten zu bewegen. Hier werden drei große und wichtige Dienste beschrieben.
Anfang des Jahres 2005 trat das neue Luftsicherheitsgesetz in Kraft[22]. In diesem werden drei Säulen des staatlichen Handlungsbedarfs definiert, um Sicherheit am Flughafen zu gewährleisten. Die erste Säule betrifft den im § 5 festgelegten Auftrag an die Luftsicherheitsstelle (LSS) am Münchner Flughafen. Diese Stelle dient als direkte Vollzugsbehörde der Regierung von Oberbayern, bzw. des dort angesiedelten Luftamts Südbayern. Oberste Behörde ist das bayerische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Technologie und Infrastruktur. Die Aufgaben sind die Abwehr von äußeren Gefahren und die Bereitstellung damit verbundener Luftsicherheitsmaßnahmen, d.h. konkret die Durchführung von Passagier- und Gepäckkontrollen. Dies macht im Auftrag der LSS die Sicherheitsgesellschaft am Flughafen München mbH (SGM), die eigens für diesen Zweck gegründet wurde. Über die Kontrollen an der Sicherheitsschleuse hinaus, wo die SGM auch über das Hausrecht verfügt, dürfte ein gewöhnlicher Passagier keinen weiteren Kontakt mit jener haben.
In § 8 wird als zweite Säule der Flughafenbetreiber, im konkreten Fall die Flughafen München GmbH (FMG) zu Eigensicherungsmaßnahmen verpflichtet, da diese das gesamte Hausrecht inne hat. Hierzu gehört zum Beispiel der Schutz des gesamten Flughafenareals vor dem Zutritt unbefugter Personen. So ist die FMG dafür verantwortlich, einen entsprechenden Zaun zur Abgrenzung des Flughafens bereitzustellen und diesen zu überwachen. Größtenteils werden solche Sicherungsmaßnahmen von der C ivil Aviation Protection Flughafen München Sicherheits GmbH (CAP) im Auftrag der FMG ausgeführt. Die CAP arbeitet aber nicht nur für die FMG, sondern auch für Fluggesellschaften. Passagiere können CAP -Mitarbeiter unter anderem am Ankunftsbereich von Flügen antreffen, wo sie den Zugang vom öffentlichen Bereich in den nicht-öffentlichen kontrollieren.
Die dritte und letzte Säule zur Gewährung von Sicherheit richtet sich in § 9 an die Fluggesellschaften. Diese müssen ebenfalls bestimmte Absicherungsaufgaben wahrnehmen, z.B. Luftfahrzeugbewachung und –durchsuchung oder Reisedokumentenkontrollen. Hierbei bedienen sich die Gesellschaften verschiedener Dienste. Ein großer privater Dienst ist die Flug- und Industriesicherheit Service- und Beratungs- GmbH (FIS). Am Flughafen begegnet man Mitarbeitern dieses Dienstes beim Check-In von Lufthansa - oder United Airways -Flügen in die USA. Denn Flüge in die USA bedürfen eingehender Prüfung. Nach amerikanischer Gesetzeslage müssen Fluggesellschaften Passagierdaten an US-Behörden übermitteln, um potentielle Terroristen ausfindig zu machen[23].
Jeder Mitarbeiter des Flughafens erhält einen Ausweis, der erkennbar an die Kleidung angebracht wird und Auskunft über die Behörde oder Firma erteilt, für die die Person tätig ist.
Auch die Bundespolizei, die ebenfalls am Münchner Flughafen Präsenz zeigt, trägt einen solchen Ausweis. Da nur die Bundespolizei dazu befugt ist, eine Waffe zu tragen, ist eine ihrer Hauptaufgaben der bewaffnete Personen- und Objektschutz. Die gemeinsamen Patrouillen mit der als Sicherheitsdienst unbewaffneten CAP am Zaun, der das Flughafenareal vor dem Zugang Unbefugter schützen soll, sind exemplarisch zu nennen. Außerdem ist die Bundespolizei bei Bombendrohungen und nötiger Bombenentschärfung zuständig. Der Passagier oder Besucher kann uniformierte Polizisten bei ihren zahlreichen Patrouillen im Flughafengebäude antreffen oder auf festem Posten hinter der Sicherheitsschleuse, wo sie der SGM bewaffneten Schutz gewährleisten. Diese uniformierten Polizisten haben jedoch zu einem gewissen Teil einen reinen Präventivcharakter und eine Abschreckungsfunktion, wodurch ein Beruhigungsgefühl ausgestrahlt werden soll. Der effektivere Schutz wird durch Zivilpolizisten erreicht, die für den Besucher und potentielle Terroristen unsichtbar bleiben.
Eine Koordinierung der Aufgaben und Arbeit erfolgt bei monatlichen Treffen der Verantwortlichen der LSS, der Polizei und der Sicherheitsdienste. Diese Treffen können nach Bedarf auch Ad-hoc organisiert werden. Es wird auf verschiedenen Ebenen zusammengearbeitet; so besitzt beispielsweise nicht jeder Dienst ausschließlich eigene Kameras zur Sicherheitsüberwachung, sondern es werden im Rahmen eines „Gesamtnutzerpools“ Kameras zusammen verwendet.
Alle Dienste und die Bundespolizei sind rechtsstaatlich oder durch selbst auferlegte Kodizes dazu angehalten der Situation entsprechend und verhältnismäßig zu reagieren[24]. Es gelten die
Prinzipien der Deeskalation und Mäßigung. Schließlich soll der neudeutsche Begriff der „Passenger Convenience“[25] als Motto des Flughafens keine leere Hülle sein.
[...]
[1] Zur genauen Definition von teilnehmender Beobachtung vgl. Kapitel 2.1 „Definition von Begrifflichkeiten und Erklärung der Methodik vor dem Hintergrund des konkreten Forschungsprojektes“.
[2] Vgl. Krahmann (2003), S. 9-10.
[3] Zur genauen Definition von Praktik vgl. Kapitel 2.1„Definition von Begrifflichkeiten und Erklärung der Methodik vor dem Hintergrund des konkreten Forschungsprojektes“.
[4] Vgl. dazu zahlreiche Statistiken auf der offiziellen Homepage des Münchner Flughafens: http://www.munich-airport.de
[5] Der Terroranschlag forderte mehr als 3000 Menschen das Leben, vgl. hierzu Schnecker (2004), S.341.
[6] Kamikaze-Flieger waren japanische Kampfflieger, die sich in der Endphase des Zweiten Weltkriegs mit ihren mit Sprengstoff beladenen Flugzeugen im Selbstopferangriff auf Einheiten der amerikanischen Flotte (v. a. auf Flugzeugträger) stürzten. Vgl. dazu Brockhaus (2006), Band 14, S. 342.
[7] Schnecker (2004), S. 342.
[8] Vgl. auf der Homepage der europäischen Union unter http://ec.europa.eu/transport/air_portal/security/rules_liquids/index_en.htm und auf der Homepage des Münchner Flughafens unter http://www.munichairport.de/de/consumer/fluginfo/sicherheit/fluessigkeiten/index.jsp ;
zuletzt abgerufen am 01.12.2007.
[9] Vgl. Duden unter „Ethnographie“.
[10] Lüders (2000), S. 390.
[11] Vgl. Lüders (2000), S. 384 und 385 und Wiesner (2003), S. 143.
[12] Wiesner (2003), S. 151.
[13] Lüders (2000), S. 393.
[14] Vgl. Lüders (2000), S. 394.
[15] Lüders (2000), S. 392.
[16] Lüders (2000), S.396.
[17] Vgl. Geertz (1987), S. 12.
[18] Wiesner (2003), S. 163.
[19] Vgl. Reckwitz (2003), S. 289, 292 und 293. Reckwitz unterteilt praktisches Wissen weiter in drei Unterpunkte: 1. Interpretatives Verstehen, d.h. Ermöglichung von Zuschreibungen z.B. von Personen in der Praktik, 2. Methodisches Wissen, d.h. die kompetente Durchführung einer Praktik und 3. motivational-emotionales Wissen, d.h. Sinnhaftigkeit der Praktik. Diese genaue Unterteilung ist für die vorliegende Arbeit jedoch nicht relevant.
[20] Reckwitz (2003), S. 290 und S. 291.
[21] Die Informationen wurden, wenn keine weitere Fußnoten angegeben sind, weitestgehend durch die Feldforschung gewonnen und durch die Treffen mit Herrn Maeke und Herrn Oberndorfer erweitert.
[22] Das vollständige Gesetz ist zu finden auf http://bundesrecht.juris.de/luftsig/, abgerufen am 01.12.07.
[23] Für weiterführende Informationen zur Reaktion der EU auf dieses Gesetz seien die Internetseiten http://www.pressetext.de/pte.mc?pte=040518050 und http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/919/76843/ empfohlen, abgerufen am 01.12.07.
[24] Eine genaue Beschreibung inwiefern das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in einem Rechtsstaat zur Anwendung kommt ist in Kapitel 2.4 „Dichte Beschreibung: Anlassbezogene und verhältnismäßige Reaktion als Leitlinie am Münchner Flughafen“ zu finden.
[25] „Passenger Convenience“ bedeutet zu Deutsch Annehmlichkeit oder Bequemlichkeit für den Passagier. Das bedeutet mehr als den Passagier zufriedenzustellen, im dem Sinne, dass es ihm möglich ist, vom Flughafen aus ein Flugzeug zu benutzen. Der Unterschied zu einer solchen reinen „Passanger Satisfaction“ besteht darin, den bestmöglichen Eindruck beim Passagier zu hinterlassen und ihn so wenig wie möglich mit Unannehmlichkeiten zu belästigen. Hierzu zählt angemessenes Vorgehen bei Sicherheitsmaßnahmen, aber auch schnelle Reaktion auf Beschwerde oder Bereitstellung verschiedener Restaurants.
- Quote paper
- Isabella Hermann (Author), Andreas Forgách (Author), 2006, „Lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88555
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