In der mittelalterlichen Lyrik entwickelte sich eine neue Gattung, die das alte Thema des Beisammenseins und des Abschieds nach einer geheimen vollbrachten Liebesnacht im Morgengrauen aufgriff und in den Kontext der höfischen Dichtung stellte. Aus der Zeit des frühen 13. Jahrhunderts sind uns eine Reihe von künstlerisch wertvollen Tageliedern überliefert, von denen Wolfram von Eschenbach herausragende Variationen kreierte und Maßstäbe setzte für das Herangehen an dieses Thema. Noch heute bedienen sich erfolgreiche Künstler in der Musik- und Literaturszene des alten Tageliedmotivs, da die Umstände seines Inhalts bis heute nicht an Aktualität, an Romantik, sogar an Brisanz verloren haben. In der modernen Liebeslyrik und in der Musik greifen Künstler regelmäßig das Thema der heimlichen Liebe auf, da es den Menschen zweifelsohne vertraut zu sein scheint.
Die Motivation zu dieser Arbeit rührt daher aus dem Interesse, inwiefern ein Zusammenhang hergestellt werden kann zwischen der mittelalterlichen Liebeslyrik und der populären Musik des 21. Jahrhunderts in Bezug auf das Tageliedmotiv, und ob es eine erkennbare Entwicklung im Umgang mit dem Tageliedmotiv gegeben haben könnte. Dazu sollen im folgenden zwei Werke miteinander verglichen werden: das mittelalterliche Tagelied Nr. 1 "Den morgenblic" von Wolfram von Eschenbach und das moderne Lied "Mit Dir" von Freundeskreis featuring Joy Denalane. Dazu wurden teils umfangreiche Quellen herangezogen, die einerseits auf den historisch-kritischen Editionen Hugo Mosers und Helmut Tervoorens sowie Peter Wapnewskis fußen, andererseits bzgl. der Populärmusik nicht in gebundener Form vorlagen und sich ausschließlich dem Medium Internet erschließen ließen. Die Fragestellung zu dieser Arbeit lautet dementsprechend, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennbar sind in der mittelalterlichen und zeitgenössischen Realisierung des Tageliedmotivs. Das methodische Vorgehen sieht denn auch vor, dass nach der Übersetzung des mittelhochdeutschen Werkes ins Neuhochdeutsche einzelne Passagen untersucht und gedeutet werden bzw. gegenübergestellt werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist dieser Arbeit als Anlage der Liedtext des modernen Werkes beigefügt. Wolfram von Eschenbachs Lied 1 „Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs“; zitiert nach der historisch-kritischen Edition Hugo Mosers und Helmut Tervoorens (1977) in Des Minnesangs Frühling:
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Tagelied Den morgenblic und seine Übersetzung
2.1. Das Tagelied Den morgenblic in seiner mittelhochdeutschen Fassung
2.2. Die Übersetzung ins Neuhochdeutsche
3. Angaben zu Inhalt, Form und Autor
3.1. Der Inhalt des Tagelieds Den morgenblic
3.2. Die Form des Tagelieds
3.3. Wolfram von Eschenbach, Autor des Tagelieds
4. Das Tageliedmotiv in der populären Musik des 21. Jahrhunderts
4.1. Freundeskreis featuring Joy Denalane: Mit Dir
4.2. Die Künstler dieses modernen populären Lieds
5. Das Tageliedmotiv im Vergleich
6. Resümee
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
Edierte Quellen
Literatur
Nachschlagewerke
Internetquellen
8. Anhang
1. Einleitung
In der mittelalterlichen Lyrik entwickelte sich eine neue Gattung, die das alte Thema des Beisammenseins und des Abschieds nach einer geheimen vollbrachten Liebesnacht im Morgengrauen aufgriff und in den Kontext der höfischen Dichtung stellte. Aus der Zeit des frühen 13. Jahrhunderts sind uns eine Reihe von künstlerisch wertvollen Tageliedern überliefert, von denen Wolfram von Eschenbach herausragende Variationen kreierte und Maßstäbe setzte für das Herangehen an dieses Thema. Noch heute bedienen sich erfolgreiche Künstler in der Musik- und Literaturszene des alten Tageliedmotivs, da die Umstände seines Inhalts bis heute nicht an Aktualität, an Romantik, sogar an Brisanz verloren haben. In der modernen Liebeslyrik und in der Musik greifen Künstler regelmäßig das Thema der heimlichen Liebe auf, da es den Menschen zweifelsohne vertraut zu sein scheint.
Die Motivation zu dieser Arbeit rührt daher aus dem Interesse, inwiefern ein Zusammenhang hergestellt werden kann zwischen der mittelalterlichen Liebeslyrik und der populären Musik des 21. Jahrhunderts in Bezug auf das Tageliedmotiv, und ob es eine erkennbare Entwicklung im Umgang mit dem Tageliedmotiv gegeben haben könnte. Dazu sollen im folgenden zwei Werke miteinander verglichen werden: das mittelalterliche Tagelied Nr. 1 Den morgenblic von Wolfram von Eschenbach und das moderne Lied Mit Dir von Freundeskreis featuring Joy Denalane. Dazu wurden teils umfangreiche Quellen herangezogen, die einerseits auf den historisch-kritischen Editionen Hugo Mosers und Helmut Tervoorens sowie Peter Wapnewskis fußen, andererseits bzgl. der Populärmusik nicht in gebundener Form vorlagen und sich ausschließlich dem Medium Internet erschließen ließen. Die Fragestellung zu dieser Arbeit lautet dementsprechend, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennbar sind in der mittelalterlichen und zeitgenössischen Realisierung des Tageliedmotivs. Das methodische Vorgehen sieht denn auch vor, dass nach der Übersetzung des mittelhochdeutschen Werkes ins Neuhochdeutsche einzelne Passagen untersucht und gedeutet werden bzw. gegenübergestellt werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist dieser Arbeit als Anlage der Liedtext des modernen Werkes beigefügt.
2. Das Tagelied Den morgenblic und seine Übersetzung
2.1. Das Tagelied Den morgenblic in seiner mittelhochdeutschen Fassung
Wolfram von Eschenbachs Lied 1 „Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs“; zitiert nach der historisch-kritischen Edition Hugo Mosers und Helmut Tervoorens (1977) in Des Minnesangs Frühling:
„1 Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs 3, 1 – 1 G (ohne Namen)
ein vrouwe, dâ si tougen
an ir werden vriundes árm lác.
dâ von si der vreuden vil verlôs.
des muosen liehtiu ougen
aver nazzen. sî sprach: ‚ôwê tac!
Wilde und zam daz vrewet sich dîn
und siht dich gérn, wán ich eine. wie sol iz mir ergên!
nu enmac niht langer hie bî mir bestên
mîn vriunt. den jaget von mir dîn schîn.’
2 Der tac mit kraft al durch diu venster dranc. 3, 12 – 2 G
vil slôze sî besluzzen.
daz half niht; des wart in sorge kunt.
diu vríundîn den vriunt vast an sich dwanc.
ir ougen diu beguzzen
ir beider wangel. sus sprach zim ir munt:
‚Zwei herze und ein lîp hân wir.
gar ungescheiden unser triuwe mit ein ander vert.
der grôzen liebe der bín ich vil gár verhert,
wan sô du kumest und ich zuo dir.’
3 Der trûric man nam urloup balde alsus: 3, 23 – 3 G
ir liehten vel, diu slehten,
kômen nâher, swie der tac erschein.
weindiu ougen - süezer vrouwen kus!
sus kunden sî dô vlehten
ir munde, ir bruste, ir arme, ir blankiu bein.
Swelch schiltaer entwurfe daz,
geselleclîche als si lâgen, des waere ouch dem genuoc.
ir beider liebe doch vil sorgen truoc,
si pflâgen minne ân allen haz .“[1]
2.2. Die Übersetzung ins Neuhochdeutsche
Die folgende Übersetzung versucht, den Sinn des Originals möglichst getreu wiederzugeben und verzichtet bisweilen auf die in der heutigen Zeit üblichen Formulierungen innerhalb der Sinneinheiten. Ausserdem wurde eine Übersetzung Vers-für-Vers angestrebt, so dass eine homogenere Lesart der Sätze manchmal unterbleiben muss. Eine freiere Übersetzung nach den Maßstäben des heutigen Textverständnisses wurde stattdessen z.B. von Karl Heinz Borck (1979)[2] erarbeitet. Erläuterungen zu ambivalenten Stellen bieten daher die Anmerkungen.
1 Das Morgenlicht[3] beim Gesang des Wächters wurde gewahr[4]
eine (edle) Dame, als sie heimlich
in ihres herrlichen[5] Liebhabers Arm lag.
Da verlor sie ihren ganzen Frohsinn.
Deshalb mussten strahlende Augen
wiederholt nass werden.[6] Sie sprach: ‚Ach Tag!
Wildes und Zahmes[7] erfreut sich deiner
und sieht dich gern, nur ich nicht. Wie soll es mir ergehen!
Nun kann nicht länger hier bei mir bleiben
mein Liebhaber. Den jagt dein Schein[8] von mir fort.’
2 Der Tag drang mit Kraft gar durch die Fenster.
Mit vielen Riegeln waren sie (zwar) verschlossen.
(Doch) das nützte nichts; (und) das machte ihnen Sorgen[9].
Die Geliebte den Geliebten fest an sich drückte[10].
Ihre Augen die benetzten
ihrer beiden Wangen. So sprach sie zu ihm:
‚Zwei Herzen und einen Leib haben wir.
Gar ungetrennt bleibt unsere Treue zueinander Gefährte[11].
Der großen Liebe wurde ich ganz und gar beraubt,[12]
ausser du kommst (zu mir) und ich (finde) zu dir.
3 Der traurige Mann nahm alsbald auf folgende[13] Weise Abschied:
ihre helle Haut, die glatte[14],
kam (sich noch einmal) näher, obwohl der Tag anbrach.[15]
[...]
[1] Moser, Hugo / Tervooren, Helmut: Des Minnesangs Frühling. Bd. I: Texte. 36., neugest. u. erw. Aufl. Stuttgart: Hirzel 1977. S. 436f.
[2] Vgl. Borck, Karl Heinz: Wolframs Tagelied Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs. Zur Lyrik eines Epikers. In: Studien zur deutschen Literatur. Festschrift für Adolf Beck zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. Ulrich Fülleborn und Johannes Krogoll. Heidelberg: Winter 1979 (=Probleme der Dichtung, 16), S. 9-17.
[3] Den morgenblic interpretieren Moser und Tervooren in ihrer Anmerkung als Morgenlicht, vgl. Moser / Tervooren (wie Anm. 1), S. 437. Matthias Lexer (1885) übersetzt es ebenso; vgl. Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. In der Ausgabe letzter Hand. 2. Nachdruck der 3. Aufl. von 1885. Stuttgart: Hirzel 1992. S. 167. An diesen Angaben orientiert sich die vorliegende Übersetzung. Als Alternative wurde desweiteren Der erste Morgenstrahl bzw. der erste Schein des Morgens in Betracht gezogen.
Vgl. dazu Borck (wie Anm. 2), S. 12f.
Vgl. ebenfalls Wapnewski, Peter: Die Lyrik Wolframs von Eschenbach. Edition, Kommentar, Interpretation. München: Beck 1972. S. 27-33.
[4] erkôs, erkiesen gemäß Lexer hier als etw. wird jmd. gewahr übersetzt. Vgl. Lexer (wie Anm. 3), S. 51.
[5] Gemeint ist der edle Liebhaber bzw. angesehene Geliebte. Vgl. Borck (wie Anm. 2), S. 11-14.
[6] Bzw. auch: (...) strahlende Augen sich wieder mit Tränen füllen.
[7] Borck übersetzt hier frei: „Alles, was (auf Erden) lebt, (...)“ (Vgl. Borck (wie Anm. 2), S. 13), sodass hier folgende Alternative in Betracht käme: Alles was lebt, sei es wild oder zahm (...).
[8] Schein hier im Sinne von (Tages) Licht.
[9] Die folgende Alternative bietet sich für diese Stelle an: (...) das alles half aber nicht, und das bereitete ihnen Kummer.
[10] twengen, twanc, dwanc übersetzt mit drückte, wohingegen schmiegte sich an einerseits lyrisch wertvoller, andererseits freier übersetzt wäre. Vgl. Lexer (wie Anm. 3), S. 277.
[11] vert als Kurzform von verte übersetzt. Eine deutlichere Alternative an dieser Stelle wäre: Ganz untrennbar bleibt die Treue des einen des anderen Gefährte. Vgl. Lexer (wie Anm. 3), S. 334. Dagegen schlagen Moser und Tervooren vor: „... begleitet die Treue des einen den andern.“(vgl. Moser / Tervooren (wie Anm. 1), S. 437) und Borck übersetzt frei: „Unsere hingebende Liebe verbindet uns unauflöslich und geleitet uns auf allen Wegen.“ (vgl. Borck (wie Anm. 2), S. 13).
[12] In Anlehnung an die Übersetzungshilfe der historisch-kritischen Edition, vgl. Moser / Tervooren (wie Anm. 1), S. 437, wurde verhert mit beraubt übersetzt, allerdings etymologisch mit as. herion, ahd. heriōn und mhd. hern / verhern, also nhd. verheeren in Verbindung gebracht. Vgl. dazu Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. v. Elmar Seebold. 24., durchges. u. erw. Aufl. Berlin, New York: De Gruyter 2002. S. 953.
[13] alsus übersetzt mit auf solche Weise, hier jedoch besser: auf folgende Weise.
[14] Eigentlich im Plural: Ihre hellen Häute, die glatten. Daher ggf. auch vel für nhd. Körper.
[15] Nach den Anmerkungen im Handschriftenapparat der historisch-kritischen Ausgabe ist eine eindeutige Lesbarkeit des Originals nicht gegeben, sodass swie oder sus möglich sind. Hier wird nach Moser / Tervooren swie benutzt und konjunktional übersetzt. Folgende weitere Lesarten der Stelle wurden der o.g. gegenüber gestellt: a. (...) genauso wie der Tag näher kam. b. (...) sowie der Tag (draussen) erschien.
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