Diese Worte vom englischen Physiker James Clerk Maxwell aus dem 19. Jahrhundert entsprechen einem Weltbild, dass bereits Erfahrungen mit Ungewissheiten in der Natur gemacht hat, die sich nur mehr durch stochastische Begriffe formulieren lassen. Die Wahrscheinlichkeitstheorie wurde so seit ihrer Entstehung im 17. Jahrhundert weiterentwickelt und axiomatisiert; sie präsentiert sich heute als reichhaltige Theorie zur Modellierung und Formalisierung von Ungewissheit in verschiedenen Formen.
Im Jahre 1965 veröffentlichte der Elektrotechniker Lofti Zadeh einen Artikel namens „Fuzzy Sets“ indem er die fuzzy Theorie begründete und erstmals das Konzept einer unscharfen Menge vorstellte. Diese Theorie unscharfer Mengen erweist sich heute als nützliches Instrument, Vagheit als spezielle Form von Ungewissheit zu modellieren. Bei der Begründung der fuzzy Theorie durch Zadeh motivierte ihn dabei die Vorstellung diese neue Theorie für die Regelungstechnik nutzbar zu machen und Expertenwissen, das durch umgangssprachliche und oftmals vage Regeln ausgedrückt wird, für Entscheidungen in technischen Bereichen zu verwenden.
Inhaltsverzeichnis
1 Vorwort
2 Strukturelle Einführung in die fuzzy Theorie
2.1 Beispiel klassischer und unscharfer Mengen
3 Formale Einführung in die fuzzy Theorie
3.1 Operationen auf unscharfen Mengen
3.2 Unscharfe Teilmengen
3.3 Fuzzy Logik
4 Vagheit als spezielle Form der Ungewissheit
4.1 Die Paradoxie des Sorites
4.2 Drei Arten der Vagheit
4.3 Andere Arten der Ungewissheit
4.4 Unterschiede zwischen Vagheit und auf Zufall basierender Ungewissheit
4.5 Versuche Vagheit zu formalisieren
4.5.1 3-wertige Logik
4.5.2 Fuzzy Logik
4.5.3 Problemstellungen, die sich durch den Versuch, Vagheit zu formalisieren, ergeben
5 Ein wahrscheinlichkeitstheoretischer Zugang zur Ungewissheit
5.1 Lindleys Kritik an der fuzzy Theorie
6 Ein geometrischer Zugang zur fuzzy Theorie
6.1 Maße für fuzzy Mengen
6.2 Teilmengigkeit
6.2.1 Das Teilmengigkeitsmaß in der geometrischen Deutung
6.3 Das Entropie-Teilmengigkeitstheorem
6.4 Teilmengigkeit und Wahrscheinlichkeit
6.4.1 Theoreme der fuzzy Theorie als Axiome der Wahrscheinlichkeitslehre
7 Zusammenhang zwischen Wahrscheinlichkeitslehre und fuzzy Theorie
7.1 Das Coxsche Theorem
7.2 Fuzzy Theorie als Extension der Wahrscheinlichkeitslehre?
7.3 Wahrheitsfunktionalität
8 Nachwort
9 Abbildungsverzeichnis
10 Literaturverzeichnis
Vorwort
„The true logic of the world is in the calculus of probabilities.“[1]
Diese Worte vom englischen Physiker James Clerk Maxwell aus dem 19. Jahrhundert entsprechen einem Weltbild, dass bereits Erfahrungen mit Ungewissheiten in der Natur gemacht hat, die sich nur mehr durch stochastische Begriffe formulieren lassen. Die Wahrscheinlichkeitstheorie wurde so seit ihrer Entstehung im 17. Jahrhundert weiterentwickelt und axiomatisiert; sie präsentiert sich heute als reichhaltige Theorie zur Modellierung und Formalisierung von Ungewissheit in verschiedenen Formen.
Im Jahre 1965 veröffentlichte der Elektrotechniker Lofti Zadeh einen Artikel namens „Fuzzy Sets“[2] indem er die fuzzy Theorie begründete und erstmals das Konzept einer unscharfen Menge vorstellte. Diese Theorie unscharfer Mengen erweist sich heute als nützliches Instrument, Vagheit als spezielle Form von Ungewissheit zu modellieren. Bei der Begründung der fuzzy Theorie durch Zadeh motivierte ihn dabei die Vorstellung diese neue Theorie für die Regelungstechnik nutzbar zu machen und Expertenwissen, das durch umgangssprachliche und oftmals vage Regeln ausgedrückt wird, für Entscheidungen in technischen Bereichen zu verwenden.[3]
Die Anwendungsgebiete der Wahrscheinlichkeitslehre und der fuzzy Theorie lassen als Theorien der Ungewissheit Überschneidungen zu, und so gerieten von Beginn an Vertreter der Wahrscheinlichkeitslehre und Anhänger der fuzzy Theorie miteinander in Konflikt und polemisierten gegeneinander. So schreibt beispielsweise der kanadische Mathematiker William Kahan fuzzy Logik sei das Kokain der Wissenschaft und sei gefährlich und falsch.[4]
Wahrscheinlichkeitslehre und fuzzy Theorie versuchen nicht nur beide Ungewissheit zu modellieren, sie weisen auch auf anderen Ebenen starke Ähnlichkeiten auf. Beides sind Theorien, deren Elemente mit Maßen im Wertebereich zwischen 0 und 1 gemessen werden: In der Wahrscheinlichkeitstheorie werden Ereignissen Grade der Wahrscheinlichkeit zwischen 0 und 1 zugeordnet. In der Theorie der unscharfen Mengen werden Elementen einer Menge Zugehörigkeitsgrade zwischen 0 und 1 zugeordnet. Weiters gibt es Versuche sowohl Zugehörigkeitsgrade als auch Wahrscheinlichkeiten als Quotienten von positiven Eigenschaften durch mögliche Eigenschaften darzustellen.[5]
In diesem Sinne ist es durchaus berechtigt nach Zusammenhängen zwischen der fuzzy Theorie und der Wahrscheinlichkeitslehre zu suchen, wie es in dieser Arbeit geschehen soll: Es wird Vagheit als spezielle Form von Ungewissheit näher analysiert werden und mittels der fuzzy Theorie zu modellieren versucht. Weiters wird zu Beginn dieser Arbeit eine grundlegende Einführung in die Theorie unscharfer Mengen gegeben, die in späterer Folge durch eine weitere Interpretation unscharfer Mengen erweitert werden wird. Auf diese Interpretation aufbauend werden einige Maße und Theoreme eingeführt, mit deren Hilfe gezeigt werden wird, dass die Wahrscheinlichkeitslehre innerhalb der fuzzy Theorie deduzierbar ist.
Im letzten Kapitel wird durch verschiedene Argumentationen erläutert, warum fuzzy Theorie und Wahrscheinlichkeitslehre nicht dasselbe sein können.
In den letzten Jahren hat die fuzzy Theorie in technischen Bereichen wie der Regelungstechnik seine Nützlichkeit bewiesen. In vielen technischen Produkten kommt sie zum Einsatz und ist daher auch Gegenstand vieler Studienrichtungen technischer Universitäten. Es lohnt sich jedoch auch die philosophische Betrachtung dieser Theorie, wie es hier geschehen soll. Auf Details aus den Ingenieurswissenschaften wurde deshalb hier bewusst verzichtet und eine rein logisch-philosophische Analyse gewählt.
1 Strukturelle Einführung in die fuzzy Theorie
„Eine Menge ist eine Zusammenfassung bestimmter, wohlunterschiedlicher Dinge unserer Anschauung oder unseres Denkens, welche Elemente der Menge genannt werden, zu einem Ganzen[6]
Mit diesen Worten definierte Georg Cantor 1895 den Begriff einer Menge und schuf damit die Mengenlehre, welche sich als äußerst fruchtbares Mittel zur Konsolidierung der Mathematik erwiesen hat. Doch schon bald erwies sich der obige Mengenbegriff als zu allgemein und es zeigte sich, dass dieser Widersprüche – wie die Russellsche Antinomie – innerhalb der Theorie zulässt. Als Ausweg wählte man einen axiomatischen Zugang, welche den Vorteil hat, nicht genau beschreiben zu müssen, was eine Menge ist – eine Menge ist einfach ein Objekt, das sämtliche Mengenaxiome erfüllt. Ein weiterer Ausweg könnte eine mehrwertige Logik sein, in der sich der Widerspruch nicht ergibt, wie im Kapitel 3.5.1 ersichtlich gemacht werden wird.[7]
Der Prozess der Mengenbildung als Zusammenfassung verschiedener Elemente ist jedem von der Schulzeit an geläufig. Man bildet Mengen, indem man deren Elemente aufzählt oder eine bestimmende Eigenschaft (Prädikat) anführt, die diejenigen Elemente herausfiltert, die diese Eigenschaft erfüllen. Adolf Fraenkel, Mitbegründer des gängigen Axiomensystems von Zermelo-Fraenkel, bemerkt dazu folgendes:
„Eine Menge M ist definiert oder „existiert“, sobald von jedem beliebigen Ding feststeht, ob es Element von M ist oder nicht.“[8]
Daraus ergibt sich, dass für je zwei gegebene Objekte x und y feststeht, ob x Element von y ist oder nicht; man schreibt: x[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]y bzw. x[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]y. Eine dritte Möglichkeit wird aufgrund des Prinzips des ausgeschlossenen Dritten in der klassischen Logik ausgeschlossen. Formal lässt sich eine Menge M also schreiben als eine Zusammenfassung verschiedener Elemente, für die eine bestimmte Eigenschaft F erfüllt ist, d.h. M = {x | F(x) }. Durch die binäre Logik, auf die die Mengenlehre zurückgreift, gilt stets: x erfüllt F oder x erfüllt F nicht. Es lässt sich somit eine Menge MC definieren, die all diejenigen Elemente enthält, welche die bestimmende Eigenschaft für M nicht erfüllen und das Komplement von M genannt wird; man schreibt MC = {x | ØF(x) }. Es gilt also stets x ist entweder in M oder in MC enthalten, aber nicht in beiden zugleich, also M Ç MC = {} und M È MC = X für die Grundmenge X.[9]
In der klassischen Mengenlehre gelten also Analoga zu Prinzipien der klassischen Logik, wie dem Satz vom Widerspruch und dem Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten, die beide auf das Zweiwertigkeitsprinzip der binären Logik beruhen, das besagt, dass jede Aussage genau einen der beiden Wahrheitswerte wahr oder falsch besitzt[10]. Das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten lässt sich folgendermaßen formalisieren: A Ú ØA ist eine Tautologie; hingegen bedeutet der Satz vom Widerspruch: A Ù ØA ist eine Kontradiktion. Diese zwei fundamentalen Prinzipien gehen auf Aristoteles zurück, der in seiner Metaphysik bemerkt:
„Unter den Prinzipien des Beweisens verstehe ich die gemeinsamen Grundsätze, auf Grund deren man überall einen Beweis führt, z.B. den Grundsatz, daß man notwendig jegliches entweder bejahen oder verneinen muß, und daß es unmöglich ist, daß eines und dasselbe zugleich sei und nicht sei…“[11]
Dies ist ein wesentliches Charakteristikum der klassischen Mengenlehre und Logik und es zeigt sich hier ein wesentlicher Unterschied zum Begriff der unscharfen Mengen in der Fuzzy Theorie. Während klassische Mengen ein Element entweder enthalten oder nicht, ist die Zugehörigkeit eines Elements zu einer fuzzy Menge kontinuierlich darstellbar. Über so genannte Zugehörigkeitsfunktionen, welche im folgenden Kapitel noch genauer erläutert werden, lässt sich ein Element zu einer Menge mit jedem beliebeigen Wert zwischen 0 und 1 zuordnen. Eine unscharfe Menge stellt somit eine Erweiterung des klassischen Mengenbegriffes dar, da dieser im ersteren enthalten ist, wenn man die Eigenschaft „ist Element von“ mit der Zugehörigkeit 1 und deren Gegenteil mit der Zugehörigkeit 0 versieht.
Mit der fuzzy Theorie gelingt es nun, die Abgrenzung der Elemente einer Menge von denjenigen, die keine Elemente dieser Menge sind, kontinuierlich zu ziehen. Gerade diese Möglichkeit, ein Objekt einer Menge nicht ganz oder gar nicht zuordnen zu müssen, sondern in seiner Zugehörigkeit zur Menge Zwischenwerte annehmen zu können, verleiht der Fuzzy Theorie die Möglichkeit die natürliche Welt adäquater zu beschreiben.
Da in der klassischen Logik seit Aristoteles das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten angenommen wird, ist diese kontinuierliche Grenzziehung eine völlig neue Sichtweise für Logiker. Sie erlaubt, Alltagsbegriffe besser modellieren zu können, da eine mathematische Definition dieser Begriffe den Alltagsvorstellungen oft widerspricht. In der klassischen Logik ist ein Mensch entweder schön oder er ist es nicht – dies scheint unserer Auffassung von Schönheit zu widersprechen. Mit Hilfe der fuzzy Logik lassen sich differenziertere Zuweisungen von Schönheit treffen, bei denen man nicht Menschen als ideal schön oder nicht einstufen muss.
Der polnische Logiker Jan Lukasiewicz, der als einer der ersten das Konzept einer zweiwertigen Logik verließ und eine mehrwertige Logik definierte, die mit dem aristotelischen Satz vom Widerspruch bricht, beschreibt den Moment der Aufgabe dieses Postulats folgendermaßen:
„Wenn ich mich nicht irre, so nähert sich uns der dritte Moment in der Geschichte des Satzes vom Widerspruch, der alte Versäumnisse behebt. In der Entwicklung der Logik kommt dieser Zeitpunkt ebenso notwendig, wie es notwendig in der Entwicklung der Geometrie der Zeitpunkt der Revision des Parallelen-Axioms war. Aristoteles hat die Anfänge der Logik geschaffen, und jeder Anfang ist unvollkommen.“[12]
Lukasiewicz tritt für eine umfangreiche Diskussion ein, die überprüfen soll, ob der Satz vom Widerspruch oder das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten wirklich evident und unumgänglich sind oder nicht:
„Erst dann wird sich zeigen, welchen Stellenwert der Satz vom Widerspruch unter den anderen logischen Regeln einnimmt, worauf sich seine Geltung und sein Wert gründen, wie weit seine Anwendbarkeit reicht; dann wird es klar werden, ob dieser Satz wirklich der höchste von allen ist und als Grundstein für unsere gesamte Logik angesehen werden kann, oder ob man ihn auch umwandeln, beziehungsweise gar, ohne ihn zu berücksichtigen, ein System einer nichtaristotelischen Logik entwickeln kann, so wie durch die Umwandlung des Parallelen-Axioms ein System der nichteuklidischen Geometrie entstand.“[13]
Jan Lukasiewicz hat somit zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmalig in der Geschichte des abendländischen Denkens den Weg der zweiwertigen Logik des Aristoteles verlassen und bereits selbst ein System mehrwertiger Logik definiert und somit einen Grundstein für die spätere Entwicklung der fuzzy Theorie gelegt.
1.1 Beispiel klassischer und unscharfer Mengen
Betrachtet man die Bevölkerung eines Staates, stellt sich oft die Aufgabe diese in zwei Gruppen zu teilen, etwa in eine der Erwachsenen und eine der Kinder. Der juristische Weg zur Lösung dieser Aufgabe geschieht über die Einführung der Begriffe voll- und minderjährig. Man teilt nun die Bevölkerung in die Menge der Volljährigen, das ist also die Menge all derjeniger, die bereits das 18. Lebensjahr überschritten haben, und die Menge der Minderjährigen, also alle, die noch keine 18 Jahre alt sind. Das mag in vielen Situationen durchaus sinnvoll sein, doch ergibt sich auch die skurrile Situationen einen 17jährigen, der einen Tag vor seinem 18. Geburtstag steht, als minderjährig zählen zu müssen, während er am Tag darauf zu den Volljährigen zählt. Seine rechtliche Situation hat sich somit von einem zum anderen Tag gewandelt, während sein subjektives Empfinden während dieser zwei Tage sich wohl kaum geändert hat. Diese Mengeneinteilung basiert auf dem klassischen Mengenbegriff; von jedem Menschen steht zweifelsfrei fest, ob er zur Menge der Volljährigen oder der der Minderjährigen zählt.
Mittels der unscharfen Mengen kann man nun diesen abrupten Wechsel vermeiden, da man die Zugehörigkeit zur Menge der Erwachsenen kontinuierlich gestalten kann. Durch die Definition einer Zugehörigkeitsfunktion ist es etwa möglich, 14jährigen eine Zugehörigkeit von z.B. 0.2, 18jährigen von 0.8 und 40jährigen von 1 zuzuweisen. Dabei ergibt sich, dass hier die 18jährigen eine Zugehörigkeit von 0.8 zu den Erwachsenen, zeitgleich aber eine Zugehörigkeit von 0.2 zu den Kindern haben.
Beide Zugänge zur Einteilung haben ihre Vorzüge und beide haben ihre Nachteile. Bei dem Zugang über die unscharfen Mengen stellt sich etwa die Frage, wie man zu den genauen Werten der Zugehörigkeit gelangt. Warum wählt man 0.8 und nicht etwa 0.7998 als Zugehörigkeit des 18jährigen? Auf diese Vor- und Nachteile der Fuzzy Theorie wird nun im Laufe dieser Arbeit eingegangen werden und es wird versucht werden, zu klären, inwieweit diese der klassischen Logik über- bzw. unterlegen ist.
2 Formale Einführung in die fuzzy Theorie
Die Definition einer unscharfen Menge geht auf den Elektrotechniker Lofti Zadeh zurück, der 1965 den Aufsatz „Fuzzy Sets“ publizierte, in dem er erstmals das Konzept der fuzzy Theorie präsentierte.[14] Schon eingangs wurde erklärt:
„A fuzzy set is a continuum of grades of membership. Such a set is characterized by a membership (characteristic) function which assigns to each object a grade of membership ranging between zero and one.”[15]
Im vorhergehenden Kapitel wurde angedeutet, dass in einem gewissen Sinne die unscharfe Mengenlehre als Erweiterung der klassischen angesehen werden kann; hier sei nun angemerkt, dass die Definition einer unscharfen Menge jedoch ihrerseits bereits das Konzept der klassischen Menge voraussetzt, welche in ihrer Definition eingeht.
Voraussetzung einer unscharfen Menge ist eine klassische, scharfe Grundmenge X, deren Elemente herangezogen werden. Für die Elemente dieser Grundmenge wird nun eine Zugehörigkeitsfunktion μ definiert, welche die Zugehörigkeit der einzelnen Elemente zur neuen fuzzy Menge angibt. Dann ist die Menge aller Zahlenpaare (x; μ(x))
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
eine unscharfe Menge. X ist dabei die Grundmenge und μ die Zugehörigkeitsfunktion, welche reelle Werte annimmt; konventionell beschränkt man μ auf Werte zwischen 0 und 1, wobei ein höherer Wert jeweils einer höheren Zugehörigkeit entspricht.
Die Aufstellung der Zugehörigkeitsfunktion ist ein subjektiver Akt und wird in der Praxis nicht eindeutig bestimmt sein. Aufgrund der sprachlichen Unschärfe der Charakterisierung einer fuzzy Menge kann nur ein unscharfes Kriterium bestimmt werden, welches den Elementen x[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]X die entsprechenden μ Werte zuordnet.[16]
Darin besteht jedoch keinesfalls ein großer Nachteil gegenüber anderen mathematischen Theorien, die in der Praxis angewandt werden. Wahrscheinlichkeitsverteilungen sind ebenfalls bis zu einem gewissen Grad beliebig und subjektiv gewählt, da man die exakten Wahrscheinlichkeitswerte – falls solche überhaupt existieren – nicht berechnen kann. Auch in mathematischen Modellen mittels Differentialgleichungen werden Annahmen getroffen und die Gleichungen werden hinsichtlich einer leichten Lösbarkeit adaptiert. Die Forderung nach einem exakt definierten Verfahren zur Bestimmung der Zugehörigkeitswerte einer fuzzy Menge erscheint somit als übertrieben. Die Festlegung auf bestimmte Zugehörigkeitswerte muss also – wie bei anderen Theorien – nicht eindeutig sein. In der Anwendung zeigt sich darüber hinaus, dass der Einfluss der exakten Werte der Zugehörigkeitsfunktion gering ist.[17]
Innerhalb der unscharfen Mengenlehre können bekannte Begriffe der klassischen Mengenlehre eingeführt werden; so z.B. die unscharfe leere Menge oder die unscharfe Potenzmenge.[18] Ferner werden im Folgenden Operationen auf fuzzy Mengen definiert.
2.1 Operationen auf unscharfen Mengen
Für eine fuzzy Menge A mit einer Zugehörigkeitsfunktion µ definiert man das Komplement von A durch
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Man erkennt leicht, dass (AC)C = A gilt. Anhand der Definition erkennt man ebenso, die bereits erwähnte Eigenschaft unscharfer Mengen, Elemente mit dem mengentheoretischen Komplement gemein haben zu können, also AÇAC ¹ {} und AÈAC ¹ X für eine unscharfe Menge A Í X
Für A,B [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] X mit Zugehörigkeitsfunktionen μA bzw. μB definiert man nun
A[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]B mittels μA[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]B = min{μA(x), μB(x)} (Durchschnitt) und
A[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]B mittels μA[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]B = max{μA(x), μB(x)} (Vereinigung)
Linguistische Verknüpfungen wie „nicht“, „und“ bzw. „oder“ werden in Analogie zur Booleschen Algebra durch die mengentheoretischen Operatoren Komplement, Durchschnitt bzw. Vereinigung realisiert. Ebenso übertragen sich die de Morganschen Regeln auf die unscharfen Mengen.[19]
2.2 Unscharfe Teilmengen
In der klassischen Mengenlehre ist eine Menge A in B enthalten (A Í B), falls sämtliche Elemente von A auch Elemente von B sind. Äquivalent dazu ist die Charakterisierung von A Í B durch AÎ2B, also dass A in B enthalten ist, falls A Element der Potenzmenge von B ist. Natürlich kann man nun auch für unscharfe Mengen die Inklusionsrelation definieren: Seien A und B [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] X nun fuzzy Mengen mit Zugehörigkeitsfunktionen μA bzw. μB, dann gilt:
A Í B genau dann, falls μA(x)≤ μB(x) für alle xÎA.[20]
Die Inklusionsrelation Í ist hierbei eine binäre zweiwertige Relation: Eine fuzzy Menge ist Teilmenge einer anderen oder sie ist es nicht – ein Drittes gibt es nicht. Das Konzept der Teilmengigkeit unscharfer Mengen ist also selbst scharf und nicht fuzzy. Im Gegensatz zu diesem Inklusionsbegriffs Zadehs wird in Kapitel 4.2 die Beziehung Í als unscharfe Relation eingeführt werden.
2.3 Fuzzy Logik
In der bisherigen Diskussion wurde ersichtlich, dass das Konzept einer fuzzy Menge allein auf der Annahme beruht, dass die Beziehung Î (Element von) nicht zweiwertig ist, sondern vielmehr jeden beliebigen Wert zwischen 0 (falsch) und 1 (wahr) annehmen kann. In der Theorie der unscharfen Mengen wird von Î als zweistelligem Prädikat nicht verlangt, dass ihm nur wahr und falsch als Wahrheitswerte zugeordnet werden kann; alle anderen Aussagen und Prädikate bleiben hingegen zweiwertig.[21]
Ersetzt man nun die zweiwertige Logik durch eine unendlich-wertige Logik, ergibt sich nicht nur an das Prädikat Î die Forderung der Zulassung sämtlicher Zahlen aus dem Einheitsintervall als Wahrheitswerte, sondern darüber hinaus an alle logischen Junktoren. Gibt es unendlich viele Wahrheitswerte, kann keine Tabelle mehr – wie im Falle der zweiwertigen Logik – als Definition der Semantik dienen. Zur Bestimmung der Bewertung der logischen Junktoren wird nun eine Abbildung von [0,1]´[0,1]®[0,1] definiert, die jedem Wahrheitswertepaar, bestehend aus den Wahrheitswerten der Teilsätze des Aussagenpaares, den entsprechenden Wahrheitswert der zusammengesetzten logischen Aussage zuordnet.[22]
Wie es in der klassischen Logik einen engen Zusammenhang zur klassischen Mengenlehre gibt, so ergibt sich auch in der Theorie der unscharfen Mengen ein enger Zusammenhang zum unendlich-wertigen Logiksystem der fuzzy Logik. Dieser Zusammenhang ergibt sich vermöge der Deutung des Enthaltenseingrades des Elements xÎA (μA(x)) als Wahrheitswert. Hierzu definiert man das mehrwertige zweistellige Prädikat Î durch die Festlegung
|xÎA| := μA(x),
wobei die Schreibweise von |xÎA| durch Betragsstriche hier den Wahrheitswert bedeutet. Aus dieser Definition ergeben sich ferner folgende Zusammenhänge
|x Î AÇB| = μAÇB(x)
|x Î AÈB| = μAÈB(x)
|⌐ x Î A| = μAC(x).[23]
Hiermit ergibt sich nun der Zusammenhang der Theorie der fuzzy Mengen und der fuzzy Logik selbst.
3 Vagheit als spezielle Form der Ungewissheit
3.1 Die Paradoxie des Sorites
Eubulides von Milet soll im vierten Jahrhundert v. Chr. den so genannten Sorites eingeführt haben; das griechische Wort sorós bedeutet Haufen. Sorites steht heute noch allgemein für Paradoxien, die durch Verwendung des Kettenschlusses auftreten[24] ; der Kettenschluss ist eine wiederholte Anwendung des Schlusses A®B und B®C, ergo A®C. Beim Problem des Sorites wird wesentlich davon Gebrauch gemacht, dass als gültige Antwort auf eine Entscheidungsfrage nur „Ja“ oder „Nein“ zugelassen wird. Umgangssprachliche Zwischenformen wie „Naja“, „eher ja“ oder „eher nein“ sind als Antworten nicht möglich.
Dann präsentiert sich der Sorites in folgender Form:
Frage: Bildet ein Korn einen Haufen?
Antwort: Nein.
Frage: Bilden zwei Körner einen Haufen?
Antwort: Nein.
Frage: Verwandelt also die Zufügung nur eines einzelnen Kornes etwas in einen Haufen?
Antwort: Nein.
Also bildet keine Anzahl an Körnern einen Haufen.[25]
Der Kern des Problems besteht darin, dass „Haufen“ kein klar definierter Begriff ist. Somit macht auch eine exakt bestimmte Grenze, die bestimmt, ab wie vielen Körnern etwas ein Haufen wird, keinen Sinn. Genauso wenig macht es Sinn, auf die Frage „Ab wie wenigen Haaren trägt man eine Glatze?“ eine exakte numerische Antwort zu geben.
Historisch gesehen ist das Paradoxon des Sorites eines der ersten Überlegungen zum Problem der Vagheit der Begriffe.[26] Über zweitausend Jahre später formuliert der deutsche Mathematiker und Philosoph Gottlob Frege in den Grundgesetzen der Arithmetik folgendermaßen:
„Eine Definition eines Begriffes (möglichen Prädikats) muss vollständig sein, sie muss für jeden Gegenstand unzweideutig bestimmen, ob er unter den Begriff falle (ob das Prädikat mit Wahrheit von ihm ausgesagt werden könne) oder nicht. Es darf also keinen Gegenstand geben, für den es nach der Definition zweifelhaft bliebe, ob er unter den Begriff fiele, wenn es auch für uns Menschen bei unserem mangelhaften Wissen nicht immer möglich sein mag, die Frage zu entscheiden. Man kann das bildlich so ausdrücken: der Begriff muss scharf begrenzt sein … Einem unscharf begrenzten Begriffe würde ein Bezirk entsprechen, der nicht überall eine scharfe Grenzlinie hätte, sondern stellenweise ganz verschwimmend in die Umgebung überginge.“[27]
Klassische Gesetze der Aussagenlogik, wie das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten oder das Prinzip der Kontraposition, benötigen das obige Postulat, da diese wichtigen Gesetze der binären Logik sonst an Gültigkeit verlören.[28] Frege schreibt hierzu:
„Das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten ist ja eigentlich nur in anderer Form die Forderung, dass der Begriff scharf begrenzt sei.“[29]
Ein sprachlicher Ausdruck ist also vage, falls die Grenzen seiner Anwendbarkeit nicht scharf definiert sind; falls seine Anwendbarkeit nicht in jeder Situation grundsätzlich zweifelsfrei geklärt ist, das heißt prinzipiell zweifelsfrei geklärt werden kann.[30] Ob man seine Anwendbarkeit – bei mangelhaftem menschlichen Wissen – tatsächlich klären kann, ist nicht entscheidend.
Begriffe wie „Haufen“ sind also vage und nicht exakt bestimmt. Qualitative Begriffe wie „rot“, „schön“ oder „groß“ werden ebenfalls als vage eingestuft werden, wenn man über sie nachsinnt. Doch wie ist das bei quantitativen Termini? Ist „Meter“ oder „Sekunde“ ein präziser Begriff? Bertrand Russell schreibt in seinem 1923 verfassten Aufsatz „Vagueness“, dass auch solch quantitative Termini vage sind, da sie nur unzureichend präzise definiert werden können. Wenn der Meter als ein gewisser Abstand zwischen zwei Marken eines bestimmten Stabes in Paris mit einer gewissen Temperatur definiert wird, dann enthält auch diese Definition Vagheit, denn die Marken sind keine Punkte, und die Temperatur kann nicht exakt bestimmt werden. Deshalb sind – so folgert Russell – alle nicht logischen Begriffe vage; insbesondere sind „wahr“ und „falsch“ vage. Doch aus dieser Vagheit der Begriffe „Wahrheit“ und „Falschheit“ folgt implizit auch die Vagheit der logischen Begriffe, die über diese definiert werden.[31]
Geht man davon aus, dass alle Begriffe mehr oder weniger vage sind, stellt sich die Frage nach der Vagheit des Begriffs „Vagheit“. Mit der obigen Argumentation macht es wenig Sinn, davon auszugehen, dass „vage“ exakt definierbar und die Menge aller vagen Begriffe eine klar zu bestimmende Menge sei. Dies führt zu folgender Unterscheidung: Vagheit erster Stufe befasst sich mit der Vagheit der Begriffe, wie es in dem vorangegangenen Absatz getan wurde. Die Vagheit zweiter Stufe befasst sich mit der Vagheit des Begriffs „Vagheit“ selbst. Diese Vagheit zweiter Stufe ist umstritten; die eine Seite hält sie für unumgänglich und sogar als konstitutives Element echter Vagheit, die andere Seite meint, sie umgehen zu können.
[...]
[1] Hajek S 362
[2] Vgl. Zadeh 1965
[3] Vgl. Avenhaus / Seising S 270
[4] Vgl. Kosko 1995 S 13
[5] Vgl. Wang 1993 S 8f
[6] Deiser 2002 S 13
[7] Vgl. Gottwald 1989 S 291ff
[8] Fraenkel 1927 S 2
[9] Vgl. Hasse 1989 S 14f
[10] Vgl. Malinkowsi 1993 S 309
[11] Aristoteles Metaphysik S 40
[12] Lukasiewicz 1993 S 5
[13] Lukasiewicz 1993 S 6f
[14] Vgl. Zadeh 1965
[15] Zadeh 1965 S 338
[16] Vgl Bothe 1995 S 27f
[17] Vgl. Avenhaus / Seising S 279
[18] Vgl ebenda S 29ff
[19] Vgl Bothe 1995 S 38ff
[20] Vgl. Zadeh 1965 S 340
[21] Vgl. Kruse / Gebhardt / Klawonn 1993 S 55
[22] Vgl. Kruse / Gebhardt / Klawonn 1993 S 55f
[23] Vgl. Gottwald 1989 S 301f
[24] Vgl. Sainsbury 1993 S 39
[25] Vgl Buldt S 48ff
[26] Vgl. Buldt S 41ff
[27] Frege 1966 S 69
[28] Vgl. Buldt S 66f
[29] Frege 1966 S 69
[30] Vgl. Luzzati 1999
[31] Vgl. Russell 1923
- Quote paper
- Mag. Bernhard Brunnsteiner (Author), 2007, Fuzzy Logik und Wahrscheinlichkeitslehre als Theorien der Ungewissheit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88166
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