I. Vorwort
Philosophie wurde seit jeher in schriftlicher Form überliefert. Auch die Weisheiten des Schriftverweigerers Sokrates liegen uns heute in Buchform vor. Nach der Verbindung dieser zwei Bereiche, Schrift und Philosophie, wurde jedoch nie gefragt. Selbst mit dem erneuten Aufkommen der Sprachphilosophie zur Jahrhundertwende geriet die Schrift nicht explizit ins Blickfeld. Auch wenn Größen wie Husserl einräumten schreibend zu denken.
Von der Sprachontologie bis zur Diskurstheorie bildeten sich Schulen im Bezugsfeld der Sprachphilosophie heraus, doch die Schrift ging immer in dem Begriff Sprache unter. Schrift schien lediglich ein selbstverständliches Mittel zum Zweck zu sein. Diese Konzeption basiert auf dem Glauben an einen übergeordneten logos, dem die gesprochen Sprache am Nächsten zu sein scheint.
Die Schrift weist jedoch auf philosophische Probleme selbst hin. Bereits die Ambigiutät von Wörtern sollte das Schreiben zu einem Gegenstand philosophischen Interesses machen. Die unendliche Auslegbarkeit macht Fortschritt und Erkenntnis erst möglich. Die Wahrheit, so Gadamer in Wahrheit und Methode, ist gebunden an die Behandlungsweise eines Themengebiets.
Die Schrift wurde immer als das überliefernde Medium angesehen. Für Derrida setzt sich Schrift jedoch aus mehr als bloß aus Buchstaben und Piktogrammen zusammen. Die Welt und alles in ihr Vor-gehende konstituiert sich anhand von Zeichen. Das gesamte Zeichensystem versteht Derrida als ein Schriftsystem. Die Physik der (An-)Zeichen war die Schöpfung des Begriffs ’Metaphysik’. Die Schrift, in all ihren Formen, inauguriert und be-dingt den geistigen Prozess. Das Netz der Zeichen ist das Ursprünglichste, ohne auf einen Ursprung festlegbar zu sein. Von diesem Geflecht ist die Philosophie genau so abhängig, wie jede andere Wissenschaft auch. Leben heißt nichts anderes als Zeichen zu setzen.
Die Möglichkeit der weiteren Auslegung von Zeichen markiert die Geburtstunde des Fortschritts, wie wir ihn heute erleben. Die Schrift ist weder starr noch fixiert, sondern entwickelt sich mit der Welt gleichermaßen.
Die Grammatologie ist ein Versuch, die Schrift von alten Dogmen zu befreien. Die Schrift, der Prozess des Schreibens, sowie die begriffliche Verwendung, sollen die ihnen gebührende Stellung erhalten. Dies erfordert eine neue, modifizierte Wissenschaft von der Schrift. Philosophie soll als ein Prozess des Zeichensetzens demaskiert werden.
Gliederung
I. Vorwort
I.1 Einleitung
II. Allgemeine Theoreme
II.1 Ethnozentrismus, Logozentrismus und Phonozentrismus
II.2 Dekonstruktion der Gegensätze
II.3 Différance als Unmöglichkeit von Präsenz
III. Schrift und Text
III.1 Zeichen- und Symboltheorie der Grammatologie
III.2 Écriture avant la lettre
III.3 Spuren im Sand
IV. Resümee
Literatur
I. Vorwort
Philosophie wurde seit jeher in schriftlicher Form überliefert. Auch die Weisheiten des Schriftverweigerers Sokrates liegen uns heute in Buchform vor. Nach der Verbindung dieser zwei Bereiche, Schrift und Philosophie, wurde jedoch nie gefragt. Selbst mit dem erneuten Aufkommen der Sprachphilosophie zur Jahrhundertwende geriet die Schrift nicht explizit ins Blickfeld. Auch wenn Größen wie Husserl einräumten schreibend zu denken.
Von der Sprachontologie bis zur Diskurstheorie bildeten sich Schulen im Bezugsfeld der Sprachphilosophie heraus, doch die Schrift ging immer in dem Begriff Sprache unter. Schrift schien lediglich ein selbstverständliches Mittel zum Zweck zu sein. Diese Konzeption basiert auf dem Glauben an einen übergeordneten logos, dem die gesprochen Sprache am Nächsten zu sein scheint.
Die Schrift weist jedoch auf philosophische Probleme selbst hin. Bereits die Ambigiutät von Wörtern sollte das Schreiben zu einem Gegenstand philosophischen Interesses machen. Die unendliche Auslegbarkeit macht Fortschritt und Erkenntnis erst möglich. Die Wahrheit, so Gadamer in Wahrheit und Methode, ist gebunden an die Behandlungsweise eines Themengebiets.
Die Schrift wurde immer als das überliefernde Medium angesehen. Für Derrida setzt sich Schrift jedoch aus mehr als bloß aus Buchstaben und Piktogrammen zusammen. Die Welt und alles in ihr Vorgehende konstituiert sich anhand von Zeichen. Das gesamte Zeichensystem versteht Derrida als ein Schriftsystem. Die Physik der (An-)Zeichen war die Schöpfung des Begriffs ’Metaphysik’. Die Schrift, in all ihren Formen, inauguriert und bedingt den geistigen Prozess. Das Netz der Zeichen ist das Ursprünglichste, ohne auf einen Ursprung festlegbar zu sein. Von diesem Geflecht ist die Philosophie genau so abhängig, wie jede andere Wissenschaft auch. Leben heißt nichts anderes als Zeichen zu setzen.
Die Möglichkeit der weiteren Auslegung von Zeichen markiert die Geburtstunde des Fortschritts, wie wir ihn heute erleben. Die Schrift ist weder starr noch fixiert, sondern entwickelt sich mit der Welt gleichermaßen.
Die Grammatologie ist ein Versuch, die Schrift von alten Dogmen zu befreien. Die Schrift, der Prozess des Schreibens, sowie die begriffliche Verwendung, sollen die ihnen gebührende Stellung erhalten. Dies erfordert eine neue, modifizierte Wissenschaft von der Schrift. Philosophie soll als ein Prozess des Zeichensetzens demaskiert werden.
I.1 Einleitung
Bereits die Vorbemerkung Derridas stellt seine Arbeitsweise, eben die Nichterfüllbarkeit einer genügenden Lektüre, vor. Ein solches Unterfangen kann niemals gelingen, da sich eine Rezeption unweigerlich in Verwicklungen, welche an sich nur Raum- und Zeitgebunden auftreten, verlieren wird.
Die klassischen Lesarten, welche bestimmten Leitsätzen folgten, sollen außen vor gelassen werden. Es gilt die „Probleme herauszuarbeiten“[1], die einem Leser bei kritischer Betrachtung begegnen. Die Grammatologie soll eine unbelastete Neubetrachtung einiger philosophischer Schriften sein und nicht zuletzt die Ketten der Wissenschaft von der Sprache sprengen.
Dafür akzeptiert Derrida zwar Normen wie Begriffe, macht aber im selben Atemzug deutlich, dass sich Wörter wie Epoche niemals erschöpfen. Diese Bemerkung verweist auf die Betrachtungsweise von Texten. Derrida will sie nicht als eine Einheit wahrnehmen, sondern als Konstrukt mit latenten Verweisungen.
Um Diesen gerecht zu werden, strebt Derrida den Text als Text zu befragen, aber nicht nur ihn selbst, sondern seine ganze Stellung in der Historie. Auf diesem Wege stellt er ebenfalls die Frage nach dem Sinn einer Epoche. Diese konstituiert sich ihm zufolge als Text, da sie als Vergangenes lediglich in einem festgestellten Medium und auf bestimmte Arten lesbar wird.
Die philosophische Geschichte erkennt Derrida als europäische Philosophiegeschichte, die sich bislang immer auf Einheiten, wie Logos, Vernunft und Wahrheit, richtete, aus welchen das Verschiedene hervortritt. Später kritisiert Jacques Derrida diese Sichtweise als Ethnozentrismus, ferner als Eurozentrismus.
Derridas Devise
Zu Beginn seiner Devise stellt Derrida den Terminus Ethnozentrismus vor. Dieser Begriff steht für eine Hierarchie und ein Gesamtkonzept unter welchem die Schrift zu ordnen ist. Auch der Logozentrismus, eine auf dem Geist beruhende, ordnende Weltvernunft, ist ein mächtiger Ethnozentrismus. Die Schrift, als phonetische Schrift lediglich ein System von Signifikanten für den intersubjektiven Gebrauch, ist nur ein Derivat des metaphysischen logos. Einzig die selenvollen Wörter im Sprachsystem werden als Zeichen anerkannt. Logozentrismus ist auch eine Konzentrierungs auf Wörter, nur sie erscheinen sinnerfüllte.
Derrida ist der Ansicht, dass die Schrift durch die Phonetisierung „ihre eigene Geschichte verbergen muß“[2]. Sie musste hinter das „erfüllte gesprochene Wort“[3] zurücktreten.
Weiter wird die „Geschichte der Metaphysik“[4] aufgegriffen, welche den Logos als Quelle der Wahrheit postuliert.
Der dritte Punkt der Devise bezieht sich auf den „Begriff der Wissenschaft“[5]. Auch dieses System ist widerspruchsbehaftet. Zwar hat es sich der Schrift und anderen nicht-phonetischen Zeichen bedient, doch es trachtet auch, wie Derrida aufdeckt, nach der Weltherrschaft, da es endgültige und somit einfache Antworten sucht.
Das Problem dabei ist die Perspektive und das traditionelle System, denn es sieht sich als Bedingung für Erkenntnis, obwohl es sich lediglich aus „Bewegungsstile[n], die – wie der Begriff der Geschichte selbst – nur innerhalb der logozentrischen Epoche sinnvoll waren“[6] zusammensetzt.
II. Allgemeine Theoreme
Die Grammatologie ist durchzogen von einigen grundlegenden Annahmen. Derrida möchte dem Leser eine neue Sicht auf die Fragen, wie und was man wissen kann, eröffnen. Das Wissen ist nicht länger abhängig von einem logos, einem common sense, der die Philosophiegeschichte seit jeher prägte. Alle Philosophie basiert auf diesem Irrglauben an eine höhere Macht. Für Derrida ist alle Form von Erkenntnis von dieser metaphysischen Fiktion beeinflusst.
Die Grundfrage nach der Existenz wird von Derrida neu gestellt. Nichts besteht aus sich selbst, ist inhärent oder geschlossen. Alles ist eingebunden in den räumlichen wie zeitlichen Verlauf und demzufolge nur ein Produkt, ein Fragment mit weiteren Folgen. Die Zeichenkette ist endlos und eine reine Gegenwart von Etwas außer dem unendlichen Zeichensystem nicht denkbar. Wenn etwas erscheint, ist die Bedeutung des Sich-zeigenden nur geborgt von Objekten, die nicht anwesend sind und die doch als Supplement der Erscheinung Bedeutung verleihen. Präsenz und Absenz bedürfen einander auf der Bedeutungsebene.
II.1 Ethnozentrismus, Logozentrismus und Phonozentrismus
Ethnozentrismus
Ethnozentrismus gilt allgemein als Beurteilung von Kulturen, die nicht die des Beurteilenden sind. Damit erscheinen die der Devise vorangestellten Zitate in einem neuen Licht und es wird deutlich, dass Derrida den Begriff Schrift als kulturell geprägt, mehr noch, als von der Kultur beherrscht, sieht.
Derrida geht noch weiter, er macht daraus ein Politikum. Er will die Herabsetzung der schriftunkundigen Völker aufdecken. Obwohl Rousseau die Unschuld und Harmonie dieser Kulturen erkennt, zeigt sich in dem von Derrida zitierten Abschnitt doch eine Wertung von Schriftformen.
Derrida geht davon aus, dass die Schrift mit dem Menschwerden einhergegangen ist. Selbst ein Strich hat eine Bedeutung, wenn er in Differenz zu anderen Formen gesehen werden kann, auch wenn er nur als künstliche, also menschliche Handlung gesehen wird, kann er gegenüber der Natur abgegrenzt werden. Es soll jedoch keine Opposition durch Differenzen konstruiert werden; Derrida bezeichnet die Gesamtheit der Zeichen als Spiel der Verweise. Diese Annahme wird die Begründung, wird zur Basis, menschliche Handlungen jeglicher Art als eine Art von Schrift zu betrachten.
Er verwendet den Terminus Ethnozentrismus, der für eine Sichtweise steht, welche die Verflechtung in die eigene Ethnie betont. Die eigene Ethnie wird als Standpunkt und als Vergleich für die Betrachtung des Fremden genutzt. Es wird eine Opposition konstruiert für Derrida zu kurzsichtig ist.
Nicht nur, dass sich ein Standpunkt gegenüber dem Ungewissen postiert; es ist eine Arroganz aus dieser Starrheit eine Aussage über Anderes anzustreben. Als Europäer haben wir unsere kulturell geprägten, allerdings niemals in Einzelheit zu betrachtenden Termini und Arten zu schreiben. Als Medium der Kommunikation - wiederum unter die Sozialisation fallend - ordnen wir die Schrift unter die genannten Aspekte. Folglich verkommt die Schrift zu einem Handwerk menschlicher Bedürfnisse.
Logozentrismus
Die ganze metaphysische Philosophie ist logozentrisch geprägt. Die Idee der Seele bei Platon, oder später die Begriffe Vernunft und Wahrheit, sind für Derrida der Ausgangpunkt seiner Kritik des Logozentrismus. Es sind diese, scheinbar endgültigen, Referenten, die eine Hierarchie postulieren und die als Ethnozentrismus, später auch Eurozentrismus Aussicht haben, die Weltherrschaft zu ergreifen.[7]
Die Kritik an dem Logozentrismus basiert auf der bipolaren Vorstellung in der Tradition der Metaphysik. Derrida übernimmt hierfür die de Saussure’schen Begriffe Signifikat und Signifikant. Termini wie Wahrheit, Ursprung Gott oder Transzendenz entlarvt Derrida als Signifikanten, die auf ein nicht darstellbares, ideelles Signifikat verweisen. Diese rangverhaftete Opposition, die eine Konstruktion der Philosophie ist, will Derrida dekonstruieren. Im Netz der Zeichen findet ein Endpunkt keinen Platz.
Phonozentrismus
Als Phonozentrismus versteht Derrida die Zentrierung auf das gesprochene Wort und damit eine anscheinende Abgrenzung zum geschriebenen Wort. In Platons Phaidros beginnen die Trennung von gesprochenem Wort und Schrift und die Herabsetzung der Letzteren.
„Wer also glaubt, seine Kunst in Buchstaben zu hinterlassen, und wer sie wieder aufnimmt, als ob etwas Klares und Festes aus Buchstaben zu gewinnen sei, der strotze vor Einfalt […]“[8]
Die Gegenüberstellung greift Derrida mit den Worten auf:
„Die Epoche des Logos erniedrigt also die Schrift, die als Vermittlung der Vermittlung und als Herausfallen aus der Innerlichkeit des Sinns gedacht wird.“[9] (Gram S. 27)
Diese Privilegierung der gesprochenen Sprache bezeichnet Derrida als Phonozentrismus, als Irrglauben an eine Nähe der Stimme zum usurpatorischen Sein.
Für Derrida ist die Theorie de Saussures, dass Laute Bilder erzeugen und die Schriftzeichen lediglich Laute repräsentieren, inakzeptabel. Die Schrift wird so zu einem System zweiter Ordnung degradiert. Jene Perspektive ist jedoch nicht mehr haltbar, wenn bereits die ’Ursprünglichkeit’ infrage steht. Wenn Schrift und Sprache lediglich verweisende Zeichensysteme gleichen Ranges sind.
Mit dem nachgestellten Graphem -zentrismus greift Derrida erneut die metaphysische und nicht zuletzt die philosophische Tradition an. Es ist der Glaube an ein Zentrum, den Derrida verwirft. Das „denkende Denken“[10], welches bei Descartes und Hegel nahezu institutionalisiert wird, ist auf sich selbst gerichtet, und die intelligiblen Gegenstände leiten sich aus diesem Zentrum ab. Der Glauben an einen einheitlichen, sich isolierenden Ursprung, wie bei Hegel die logisch-begriffliche Denkweise, deklariert Derrida als überholt. Ein Zentrum als transzendentales Signifikat bildet die Basis für die Hierarchie (Idee, Seele, Stimme, Rede, Schrift) und die Abwertung der Schrift. Da sich ein solches Signifikat aber dem unendlichen Regress entzieht und die Verwicklungen an einem Punkt stoppen, kann es keine Gültigkeit mehr genießen.
[...]
[1] Derrida, J.: Grammatologie. S. 7
[2] Derrida, J.: Grammatologie. S. 11
[3] ebd. S. 12
[4] ebd. S. 12, Herv. im Orig.
[5] ebd. S. 12, Herv. im Orig.
[6] ebd. S. 13
[7] Derrida, J.: Grammatologie. S. 11
[8] Platon: Phaidros. S. 87
[9] Derrida, J.: Grammatologie. S. 27
[10] Kimmerle, H.: Jacques Derrida zur Einführung. S. 34
- Quote paper
- Hauke Reher (Author), 2007, Nur ein Versuch - Die Schrift und ihre Schöpfung , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87606
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