„Irgendwann im nächsten Jahr wird eine Frau im Slum Ajegunle in Lagos ein Kind bekommen, ein junger Mann wird sein Dorf in Westjava gegen die hellen Lichter von Jakarta eintauschen oder ein Bauer wird mit seiner verarmten Familie in eines der unzähligen „pueblos jovenes“ von Lima ziehen. Das genau Ereignis ist unwichtig und wird vollkommen unbemerkt stattfinden. Trotzdem wird es einen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte darstellen. Zum ersten Mal wird die Stadtbevölkerung auf der Erde gegenüber der Landbevölkerung in der Überzahl sein. Tatsächlich könnte, angesichts der Ungenauigkeit der Bevölkerungszählungen in der Dritten Welt, dieser epochale Übergang bereits stattgefunden haben.“
Dieses Zitat zeigt deutlich, welchen Stellenwert Städte mittlerweile in der Welt, und vor allem auch in Entwicklungsländern rein quantitativ, eingenommen haben. In der vorliegenden Arbeit werde ich mich genauer damit beschäftigen, wie es denn eigentlich dazu kommt, dass Städte in der Dritten Welt so scheinbar ungebremst wachsen und welche Folgen dies vor allem für die Stadtbevölkerung hat. Ferner werde ich auf die Problematik der Metropolen und Megastädte eingehen und dann am Beispiel der ehemaligen tansanischen Hauptstadt Dar es Salaam die Problematik einer Primatstadt erörtern. Am Ende meiner Arbeit werde ich mich mit dem Entstehen von Marginalsiedlungen, den damit verbundenen Problemen und möglichen Lösungsansätzen beschäftigen.
Gliederung
1. Einleitung
2. Definition „Dritte Welt“/ Entwicklungsland
3. Demographische Verstädterung in wenig entwickelten Ländern
3.1 Ursachen des Wachstums
3.2 Städtisches Flächenwachstum, innerstädtischer Verdichtungsprozess und Überverstädterung
3.3 Land – Stadt Flucht
3.3.1 Lokale Herkunft der Migranten
3.3.2 Soziale Hintergründe für die Wanderung
3.4 Wachstum der Städte in der Vereinigten Republik Tansania
4. Entwicklung von Metropolen und Megastädten
5. Dar es Salaam und das Primatstadtproblem
6. Bildung von und Überleben in Marginalsiedlungen
7. Probleme und Konsequenzen durch „squatter settlements“ und Hüttenviertel
8. Eindämmungspolitik und Versuche städtisches Wachstum zu mindern
9. Zusammenfassung und kurzer Ausblick auf zukünftige Problembewältigung
Literatur:
1. Einleitung
„Irgendwann im nächsten Jahr wird eine Frau im Slum Ajegunle in Lagos ein Kind bekommen, ein junger Mann wird sein Dorf in Westjava gegen die hellen Lichter von Jakarta eintauschen oder ein Bauer wird mit seiner verarmten Familie in eines der unzähligen „pueblos jovenes“ von Lima ziehen. Das genaue Ereignis ist unwichtig und wird vollkommen unbemerkt stattfinden. Trotzdem wird es einen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte darstellen. Zum ersten Mal wird die Stadtbevölkerung auf der Erde gegenüber der Landbevölkerung in der Überzahl sein. Tatsächlich könnte, angesichts der Ungenauigkeit der Bevölkerungszählungen in der Dritten Welt, dieser epochale Übergang bereits stattgefunden haben.“[1]
Dieses Zitat zeigt deutlich, welchen Stellenwert Städte mittlerweile in der Welt, und vor allem auch in Entwicklungsländern rein quantitativ, eingenommen haben. In der vorliegenden Arbeit werde ich mich genauer damit beschäftigen, wie es denn eigentlich dazu kommt, dass Städte in der Dritten Welt so scheinbar ungebremst wachsen und welche Folgen dies vor allem für die Stadtbevölkerung hat. Ferner werde ich auf die Problematik der Metropolen und Megastädte eingehen und dann am Beispiel der ehemaligen tansanischen Hauptstadt Dar es Salaam die Problematik einer Primatstadt erörtern. Am Ende meiner Arbeit werde ich mich mit dem Entstehen von Marginalsiedlungen, den damit verbundenen Problemen und möglichen Lösungsansätzen beschäftigen.
2. Definition „Dritte Welt“/ Entwicklungsland
Bevor ich auf das Wachstum und die Entwicklungsprobleme von Städten in der Dritten Welt eingehe, möchte ich den Begriff der Dritten Welt kurz definieren und erklären. Der Begriff der Dritten Welt, während des Kalten Krieges entstanden, bezeichnete alle blockfreien Staaten. Mit der Zeit änderte sich die Bedeutung und in den 1960er Jahren wurden mit dieser Bezeichnung eher wirtschaftlich unterentwickelte Länder assoziiert. Mit Erster Welt wurden die industriell hochentwickelten Länder mit einer marktwirtschaftlichen und mit Zweiter Welt wurden die industriell hochentwickelten Länder mit einer planwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung bezeichnet. Im allgemeinen Sprachgebrauch umfasst die Dritte Welt heutzutage Entwicklungs- wie auch Schwellenländer. Als Definitionskriterien werden eine koloniale Vergangenheit, Entwicklungsbedürftigkeit der Wirtschaft, des Sozialwesens, der Infrastruktur sowie der staatlichen und bürokratischen Institutionen angegeben. Desweiteren bestehen Mängel im Gesundheits- und Bildungswesen und es wird von einer hohen Verschuldung des Landes sowie von einer Überbevölkerung desselben ausgegangen. Ferner fehlt die Mittelschicht normalerweise fast gänzlich und es kommt zu einer starken Elitenbildung.[2]
In unserer jetzigen Zeit spricht man von Entwicklungs- oder Schwellenländern, da zum einen der kalte Krieg vorbei ist und ein Denken in „Blockstaaten“ nicht mehr stattfindet und zum andern, weil von moralischer und ethischer Seite der Gedanke der „Einen Welt“ aufgekommen ist. Aufgrund dessen werde ich in meinen weiteren Ausführungen vornehmlich den Begriff des Entwicklungslandes gebrauchen.
3. Demographische Verstädterung in wenig entwickelten Ländern
„Während in den großen städtischen Agglomerationen der Industrieländer in den vergangenen Jahrzehnten eine Umstrukturierung in Form der Suburbanisierung und der darüber hinausgehenden Exurbanisierung statt fand, ist die Mehrzahl der Metropolen in Entwicklungsländern durch einen bis heute anhaltenden innerstädtischen Verdichtungsprozess geprägt.“[3]
Die Gegensätze, die zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern hinsichtlich des Verstädterungsgrades bestehen, werden noch übertroffen im Hinblick auf die erheblichen Unterschiede innerhalb der am wenigsten entwickelten Länder. Von Staaten wie Afrika oder Teilen von Asien wird eine hohe durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 4,5% deutlich überschritten. Ein Wert von 6% bei der demographischen Verstädterung zieht bei zukünftig konstanten Werten eine Verdoppelungszeit der städtischen Bevölkerung von weniger als 12 Jahren nach sich. Betrachtet man dagegen ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 0,5% in den Industriestaaten, so zeigt sich deutlich, welch extreme Entwicklung in Städten der Dritten Welt vor sich geht.[4]
3.1 Ursachen des Wachstums
„Die demographische Situation der Industrieländer ist heute durch ein niedriges Niveau der Sterbe- und auch der Geburtenrate gekennzeichnet; die Bevölkerungsentwicklung stagniert oder pendelt um geringe Zu- oder Abnahmen. Diese Verhältnisse stehen im scharfen Kontrast zu der demographischen Situation in den Entwicklungsländern heute, wo bei traditionell hohem Niveau der Geburtenrate die Sterberate deutlich absinkt, so dass die Bevölkerung außerordentlich anwächst.“[5]
Betrachtet man nun genau die Ursachen und Hintergründe der demographischen Verstädterung in Entwicklungsländern, so fällt zuerst auf, dass jene sehr verschieden und vielschichtig sind. Hohe Bevölkerungszuwachsraten ergeben sich als Folge verbesserter medizinischer Versorgung und sich ändernder Heiratssitten. Außerdem gibt es in den Städten eine teilweise gehobenere Ernährung, was sich durch eine quantitative und qualitative Verbesserung der Nahrungsmittel ergibt.[6] Ein weiterer sehr gewichtiger Grund für die zunehmende demographische Verstädterung in Entwicklungsländern ist die allgemein hohe Abwanderung der Bevölkerung vom Land in die Städte. Hierbei gilt es in „push – factors“ und „pull – factors“ zu unterscheiden. „Demografische, wirtschaftliche (z.B. Landmangel), politische und soziale Faktoren veranlassen zur Landflucht. Umweltzerstörung, Vertreibung und Flucht vor Kriegen/ Bürgerkriegen wirken zusätzlich als Push - Faktoren der Migration in die Städte“.[7] Ferner zählen zu diesen Faktoren noch die agrare Überbevölkerung, Naturkatastrophen, Auflösung der Primärgruppen, unzureichende Ernährung, Arbeitslosigkeit, Verschuldung und der Wandel in der Agrar- und Sozialstruktur infolge von Boden- und Agrarreformen.[8]
Zu den Pull – Faktoren zählen zum einen eine anspruchsvollere Arbeit, der leichtere Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und Gesundheitsdiensten, vielseitigere kulturelle Freizeitangebote sowie eine günstigere Infrastrukturausstattung als auf dem Land.[9] Zum anderen gehören zu diesen Faktoren die soziale Anonymität, soziale Aufstiegschancen, die Vorstellung von besseren Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten und die Erwartungsdeckung durch die „moderne Stadt – Fassade“, durch die zum großen Teil extern initiierte Industrie. Ferner führen viele Regierungen eine gezielte Ansiedlungs- und Wohnungsbaupolitik in den Hauptstädten durch, um die Wohn- und Lebensverhältnisse zu verbessern, mobile, innenpolitisch gefährliche Bevölkerungsgruppen zu kontrollieren oder die Arbeitskräfte für die Niedrig–Lohntarife ausnützende extern initiierte Industrie heranzuschaffen.[10] So werden die Anziehungskräfte der Städte und die Abstoßungskräfte des Landes zu einem sehr starken Migrationmotiv. Normalerweise verlässt der Teil der Bevölkerung, der besser ausgebildet ist, die sich wenig weiterentwickelnden ländlichen Gebiete.[11] Die zwei Hauptgründe für das rasante Wachstum von Städten in Entwicklungsländern sind folglich die höheren Zuwachsraten der Stadtbevölkerung sowie die zunehmende Landflucht.
3.2 Städtisches Flächenwachstum, innerstädtischer Verdichtungsprozess und Überverstädterung
Großstädte, Metropolen und Megastädte in Ländern der Dritten Welt sind bis heute durch einen anhaltenden innerstädtischen Verdichtungsprozess sowie durch ein enormes städtisches Flächenwachstum gekennzeichnet.
Durch das Flächenwachstum entstehen rasch randstädtische Hütten- bzw. Marginalsiedlungen, die sich auch schnell ausbreiten. Die enorme Größe solcher Slums wird einem bewusst, wenn man weiß, dass 40 – 50% der Bevölkerung von solch großstädtischen Agglomerationen darin wohnen.
Der anhaltende innerstädtische Verdichtungsprozess zeigt sich deutlich, wenn man die durchschnittliche Einwohnerdichte im Kerngebiet von Greater Bombay City (um 2000: 19759 EW/km²) mit der von Inner – London (um 2000: 7329 EW/km²) gegenüberstellt. Hier fällt auf, dass die Einwohnerdichte von Bombay die von London um ca. das Zweieinhalbfache übertrifft. Die sowieso schon sehr hohen Einwohnerdichtewerte von Bombay City steigen durch zehntausende von Bürgersteigbewohnern. Eine enorm anwachsende Verkehrsbelastung und die deswegen immer höhere Luftverschmutzung zählen zu den Konsequenzen dieses Prozesses.
Ferner herrscht in vielen Entwicklungsländern eine starke Überverstädterung, womit das überproportionale Wachstum städtischer Bevölkerung im Gegensatz zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsstand des Landes bezeichnet wird. Die wachsende demographische Vormachtstellung der großen Metropolen wird somit noch durch eine starke funktionale Überkonzentration ergänzt.[12]
3.3 Land – Stadt Flucht
„Was in einem entwicklungspolitischen Zusammenhang ohnehin am stärksten interessieren muss, ist die (…) Zuwanderung von Menschen aus ländlichen Gebieten.“
Im Gegensatz zur europäischen Geschichte, in der es schon im 19. Jahrhundert berühmte Beispiele für die scharenweise Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte oder ins überseeische Ausland gibt, gilt die massenhafte Stadtwanderung in einigen Entwicklungsländern, vor allem in Afrika etwas Neues, das erst zwischen 1960 und 1965 einsetzte. Arbeitswanderungen gab es in Afrika schon vorher. Allerdings erstreckte diese sich vornehmlich auf Plantagen, Bergwerke oder Großbaustellen und war meist saisonaler Art. Man spricht hier von einer sogenannten „rural – rural migration“. Der Prototyp des Migranten war normalerweise ein junger Mann, der sich der Lohnarbeit außerhalb des Dorfes nur solange widmete, bis er das Ersparte nutzen konnte, um seiner Familie und sich eine eigene, meist bäuerliche Existenz aufzubauen, sich eine Sonderanschaffung leisten zu können oder um ausstehende Steuerschulden zu begleichen. Die Abwesenheit von Land und Familie war zeitlich begrenzt und diente einem bestimmten Ziel. Somit spricht man hier von einer kreisförmigen Wanderungsbewegung. Auch in den 1950er und ´60er Jahren herrschte dieses Muster noch vor, auch unter denen, die in Städte gegangen waren. Die kreisförmige Wanderungsbewegung bei Menschen, die in Städte migrierten, ergab sich durch den administrativ beschränkten Zuzug in die Stadt während der Kolonialzeit. Ein selbstständiger Hausbau mit dazugehörigem Grundbesitz wurde den Afrikanern verwehrt und vor allem Familien wurde kein dauerhafter Aufenthalt genehmigt. In den 1930er Jahren, in denen ein enormer Wanderungsdruck auf die Städte wegen der landwirtschaftlichen Krisen herrschte, halfen diese Kontrollmaßnahmen noch. Allerdings nahm der Erfolg durch solche Maßnahmen ab Beginn der 1950er Jahre rapide ab und die Wanderströme in die Städte stiegen immer weiter an, sodass 1977 bereits 17% der Einwohner in Städten „Landflüchtlinge“ waren.[13]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bild 1: Ausweg Landflucht? http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2215881,00.html
3.3.1 Lokale Herkunft der Migranten
Betrachtet man nun genauer, woher die Stadtzuwanderer denn eigentlich kommen, so fällt auf, dass 1967 über 45% der Zugewanderten aus der Region stammten, in der die Stadt liegt. Rund 41% kamen aus anderen Regionen, 9% aus Nachbarländern und nur rund 5% wanderten aus dem entfernteren Ausland zu. Diese Aufschlüsselung zeigt deutlich, dass Stadtwanderung einst Nahwanderung bedeutete. 1971 wurde eine Mobilitätsstudie durchgeführt, mit deren Hilfe belegt wurde, dass Zuwanderer in Städten meist nicht aus anderen Städten stammten, sondern direkt vom Land. Für Dar es Salaam, auf das ich im weiteren Verlauf meiner Seminararbeit noch näher eingehen werde, wurde bei den Einwanderern sogar festgestellt, dass ca. 85% vom Land zugereist waren. Lediglich 11% stammten aus anderen Städten in Tansania. Auch die Stufenwanderung, bei der vom Dorf in die Distriktstadt und von dort weiter in die Provinz- und erst am Schluss in die Hauptstadt gewandert wird, nimmt immer weiter zu, obwohl sie ehemals eher für Westafrika, nicht aber für Tansania charakteristisch war. Zuverlässige Daten darüber, wie viele Menschen die abrupte Umstellung in der Stadt nicht bewältigen konnten und deswegen wieder aufs Land zurückgekehrt sind, gibt es allerdings nicht.[14]
[...]
[1] DAVIS 2007, http://www.materialien.org/planet/Planetofslums.pdf
[2] SOTOLONGO 1999, http://www.vdpp.de
[3] HEINEBERG 2006, S. 37 – 38
[4] HEINEBERG 2006,
[5] STEWIG 1983,
[6] HEINEBERG 2006,
[7] GRUPP, http://www.omnia-verlag.de/index.php
[8] HEINEBERG 2006,
[9] GRUPP, http://www.omnia-verlag.de/index.php
[10] HEINEBERG 2006, S.33
[11] GRUPP, http://www.omnia-verlag.de/index.php
[12] HEINEBERG 2006, S. 37 - 38
[13] SATZINGER 1990, S. 331 - 334
[14] SATZINGER 1990, S. 334 - 336
- Quote paper
- Elisabeth Junge (Author), 2007, Wachstum und Entwicklungsprobleme von Städten in der Dritten Welt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87292
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.