Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt auf der Schulpolitik und Pädagogik der Kommunistischen Partei Deutschlands in der Weimarer Republik. Welche gesellschaftlichen Ziele verfolgte die KPD mit ihrer Pädagogik und wie hat sie versucht diese Ziele im Alltag umzusetzen? Dabei stellt sich aber nicht nur die Frage nach den eigenen bildungspolitischen Zielen der Partei, sondern auch die Frage, gegen wen bzw. gegen welche gesellschaftliche Schicht die Bildungspolitik der KPD gerichtet war. Dank zahlreich erhaltener Briefe und Zeitschriftenartikel können wir die Gedankengänge und Schlussfolgerungen der KPD-PolitikerInnen heute sehr gut nachvollziehen, so dass diese Dokumente als Quelle für die Geschichte der Pädagogik unverzichtbar sind und dementsprechend den Grundstock dieser Untersuchung bilden.
Gliederung
1. Einleitung
2. Der Kampf des Proletariats um das Menschenrecht auf Bildung während der „Novemberrevolution 1918“
3. Die Ziele der Bildungspolitik der KPD und deren Umsetzung
4. Fazit
5. Quellen und Literatur
1. Einleitung
Unter „Erziehung“ verstehen wir den Vorgang, Geist und Charakter eines Menschen zu bilden und somit seine Entwicklung zu fördern. Erziehung stellt im allgemeinen soziales Handeln dar, welches bestimmte Lernprozesse bewusst und absichtlich herbeiführen und unterstützen will, um relativ dauerhafte Veränderungen des Verhaltens, die bestimmten Erziehungsziele entsprechen, zu erreichen. Ziel der modernen (westlichen) Erziehung ist die eigenständig handelnde, emanzipierte und an der Gesellschaft partizipierende Person, die ihr Leben selbst gestalten und planen kann. Insofern sind die Ziele der Erziehung nach heutigem Verständnis: individueller Kompetenzzuwachs, höhere Handlungsfähigkeit, letztlich Individuation und Emanzipation.
Während heute also die Emanzipation der heranwachsenden SchülerInnen als hehres Ziel der Pädagogik verstanden wird, war dies in der Geschichte der Pädagogik freilich nicht immer so. Ansichten und Methoden der Erziehung verändern sich kontinuierlich und sind vom jeweiligen Zeitgeist geprägt, auch heute noch. Zu Kontroversen kommt es immer dann, wenn unterschiedliche (pädagogische) Weltanschauungen aufeinander prallen, deren Verständnis von einer sinnvollen Pädagogik sich diametral gegenüber stehen. In der Geschichte kann man solche erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzungen leicht finden. Vor allem die kommunistische bzw. sozialistische Erziehung schrieb sich Ziele auf die (rote) Fahne, die sich von denen ihrer vermeintlichen Feinde massiv unterschieden und sich gegen diese richteten. In der so genannten „Kampfzeit“ der kommunistischen Partei in der Zeit der Weimarer Republik sollte nicht etwa die Eigenständigkeit der SchülerInnen gefördert werden, sondern der klassenspezifische Zusammenhalt der Proletarierkinder, die - in Abgrenzung zur Bourgeoisie - zum Klassenkampf erzogen werden sollten.[1] Nur mit einer sozialistisch ausgerichteten Pädagogik meinte man den Klassenkampf erfolgreich führen zu können. Für die KPD bedeutete Erziehung „die Einführung des Menschen in seine gesellschaftlichen Funktionen.“[2] Dies bedeutete freilich, dass Kinder nicht einfach nur Kinder sein konnten, sondern, dass ihnen eine wichtige Funktion im Klassenkampf zuteil kam. Der Kampf gegen den Imperialismus begann nicht erst am Fließband in der Fabrik, sondern bereits im Kindergarten.
Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt auf der Schulpolitik und Pädagogik der Kommunistischen Partei Deutschlands in der Weimarer Republik. Welche gesellschaftlichen Ziele verfolgte die KPD mit ihrer Pädagogik und wie hat sie versucht diese Ziele im Alltag umzusetzen? Dabei stellt sich aber nicht nur die Frage nach den eigenen bildungspolitischen Zielen der Partei, sondern auch die Frage, gegen wen bzw. gegen welche gesellschaftliche Schicht die Bildungspolitik der KPD gerichtet war. Dank zahlreich erhaltener Briefe und Zeitschriftenartikel können wir die Gedankengänge und Schlussfolgerungen der KPD-PolitikerInnen heute sehr gut nachvollziehen, so dass diese Dokumente als Quelle für die Geschichte der Pädagogik unverzichtbar sind und dementsprechend den Grundstock dieser Untersuchung bilden.
2. Der Kampf des Proletariats um das Menschenrecht auf Bildung während der „Novemberrevolution 1918“
Für das sozialistische Selbstverständnis war das Jahr 1917 Epoche machend.[3] 1917 war das Jahr, in dem die sozialistische Oktoberrevolution in Russland den Beginn des realen Sozialismus einleitete und der internationale Kampf der Arbeiterklasse gegen den Imperialismus entscheidend vorangebracht wurde. Aber auch abgesehen von diesem sozialistischen Weltbild und Geschichtsverständnis kann man das Jahr 1917 durchaus als den Beginn des Kalten Krieges definieren und spricht folglich zu Recht von einer epochalen Zäsur, die den Lauf der Weltgeschichte entscheidend geprägt hat. Die linkssozialistischen Führer, die in dieser Zeit vornehmlich in der USPD versammelt waren[4], glaubten, dass mit der „Novemberrevolution 1918“ die sozialistische Revolution auch deutschen Boden erreichte habe. Durch die Erhebung der Soldaten und Arbeiter in Kiel und anderen deutschen Städten und die sich daran anschließende Abdankung des Kaisers Wilhelm II. entstand ein Machtvakuum, welches sich die politischen Kräfte zu Nutze machen wollten. In Opposition zum wilhelminischen Obrigkeitsstaat wurde das Land von einer Welle der Demokratisierung ergriffen, die die politische Macht in die Hände des Volkes legen wollte. Erklärtes Ziel der linkssozialistischen Gruppierungen war eine deutsche Räterepublik. Nach sowjetischem Vorbild bildeten sich überall in Deutschland Arbeiter- und Soldatenräte, die die politische Entwicklung des Landes entsprechend forcieren wollten. Jedoch schrieben sich nicht all diese Räte linkssozialistische Politik auf die Fahnen. Es gab zahlreiche Arbeiter- und Soldatenräte, die der MSPD näher standen als der USPD.[5] „Sozialismus“ war für die meisten Mitglieder der Räte keineswegs eine exakt abgegrenzte, politisch und ökonomisch fundierte Gesellschaftstheorie, sondern eher der Inbegriff der Ablehnung des alten wilhelminischen Systems; „Sozialismus“ stand für die Hoffnungen und positiven Erwartungen, mit denen man in die Zukunft blickte.
Der Kampf der Arbeiterklasse beschränkte sich dabei jedoch nicht nur auf den ökonomischen Sektor, sondern wurde auch auf kulturpolitischen Feldern ausgetragen. Das deutsche Proletariat – zumindest der Teil, der sich der USPD, später der KPD angeschlossen hatte - sah sich einem ökonomisch mächtigen und politisch erfahrenen Klassengegner gegenüber, den es aus der eigenen Weltanschauung heraus zu bekämpfen galt, wollte man den Befreiungskampf der Arbeiter zu einem glücklichen Ende führen. Die Frage der Erziehung und Bildung aller proletarischen Kinder spielte dabei eine entscheidende Rolle. Noch im November 1918 kam es daher zu ersten schulpolitischen Forderungen: die „die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den anderen und die Aufhebung aller Klassengegensätze“ sollte durch eine vollkommene Lern- und Bildungsfreiheit, sowie eine „vollständige Gewissensfreiheit und damit Trennung der Kirche vom Staat und der Schule von der Kirche“ erreicht werden.[6]
Vor allem die Forderung nach einer einheitlichen Grundschule für alle Kinder und die angestrebte Trennung von Kirche und Schule wurde von allen Räten übernommen. In vielen Städten wurden Schulkommissionen oder Ausschüsse für Unterricht und Bildung ins Leben gerufen, die die Forderungen örtlich umsetzen sollten. So verabschiedete beispielsweise der Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat eine Verordnung über die Abschaffung des Religionsunterrichts in den öffentlichen Schulen.[7] Darüber hinaus forderten sozialistisch orientiere Volkslehrer „das unbeschränkte Recht jedes Kindes auf Bildung und Erziehung […] ohne Rücksicht auf Vermögen, Stand und Glauben der Eltern; Unentgeltlichkeit des Unterrichts und der Unterrichtsmittel für alle und erhöhte Fürsorge durch freien Unterhalt und freie Kleidung für Unbemittelte.“[8] Die sozialistischen Lehrer, die sich in der Freien Lehrergewerkschaft Deutschlands organisierten, strebten „die Verwirklichung des Sozialismus auf dem Gebiete des gesamten Erziehungs- und Bildungswesens im engsten Zusammenhang mit dem Kampf des klassenbewussten Proletariats“ an.[9]
[...]
[1] Nach Marx/Engels wird unter Bourgeoisie „die Klasse der modernen Kapitalisten verstanden, die Besitzer der gesellschaftlichen Produktionsmittel sind und Lohnarbeiter ausnutzen. Unter Proletariat die Klasse der modernen Lohnarbeiter, die, da sie keine eigenen Produktionsmittel besitzen, darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um leben zu können.“ Marx, Karl und Engels, Friedrich: Manifest der Kommunistischen Partei, Berlin 1951, S. 6.
[2] Hoernle, Edwin: Erziehung zum Klassenkampf, in: „Das proletarische Kind“, 2. Jg., Nr. 5, Mai 1922, zitiert nach Flach, Herbert:Das proletarische Kind. Zur Schulpolitik und Pädagogik der KPD in der Weimarer,Berlin 1974, S. 48.
[3] Vgl. Monumenta Paedagogica, Bd. XXIII: Dokumente zur Bildungspolitik und Pädagogik der deutschen Arbeiterbewegung, 4. Folge: Von 1917 bis 1945, hrsg. von der Kommission für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1985, S. 19.
[4] Die USPD war ein Sammelbecken derjenigen sozialdemokratischen Kräfte, die im 1. Weltkrieg den Wandel der Sozialdemokratie von einer absoluten Oppositionspartei hin zur Unterstützung des Krieges und inneren Burgfriedens nicht mitmachen wollten und diesen Kurs als Verrat an der sozialistischen Idee verstanden. Die Partei wurde im April 1917 unter der Führung von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Hugo Haase gegründet, fiel jedoch sehr schnell nach Kriegsende aufgrund von inneren Auseinandersetzungen über die Rätedemokratie vs. Nationalversammlung bzw. Bündnis mit der Sowjetunion vs. Westorientierung auseinander. Während der Großteil der politischen Führer in die SPD zurückkehrten, wandte sich die Mehrheit der Anhänger dem Kommunismus und somit der KPD, deren Gründungsparteitag vom 30.12.1918 bis 1.1.1919 stattgefunden hatte, zu. Vgl. Schulze, Hagen: Weimar. Deutschland 1917-1933, München 2004, S. 82ff.
[5] Vgl. Flechtheim, Ossip Kurt: Die KPD in der Weimarer Republik, Frankfurt/Main 1971, S. 118ff.
[6] Schul- und Ausbildungsforderungen der Berliner Arbeiterjugend in der „Roten Fahne“ vom 19. November 1918, zitiert nach Monumenta Paedagogica, S. 91.
[7] Vgl. „Die Rote Fahne“. Amtliches Organ des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrates, 1. Jg., Nr. 19 vom 28 November 1918, zitiert nach Monumenta Paedagogica, S. 94f.
[8] „Die Volksschule“, Nr. 23 vom 1. Dezember 1918, zitiert nach Monumenta Paedagogica, S. 27.
[9] „Der Föhn“, 1. Jg., Heft 11/12, zitiert nach Monumenta Paedagogica, S. 28. Vgl. auch Stöhr, Wolfgang: Lehrer und Arbeiterbewegung. Entstehung und Politik der ersten Gewerkschaftsorganisation der Lehrer in Deutschland 1920 bis 1923, Bd. 1, Schriftenreihe für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung Bd. 13/1, Marburg 1978, S. 150-156.
- Quote paper
- Marcus Sonntag (Author), 2007, Erziehung zum Klassenkampf – Die Schulpolitik und Pädagogik der KPD in der Weimarer Republik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87194