Die kollektiven Arbeitsverfassungen in Deutschland wie auch in Frankreich sind das „Handlungsfeld“ von gewählten Arbeitnehmervertretern, Gewerkschaften und Arbeitgebern. Auf diesem Handlungsfeld gelten jeweils spezifische Regeln, die aus den nationalen Rechten herrühren, die demnach als formale Rahmen eine Ordnung vorgeben und somit verhaltenssteuernd wirken. In Deutschland sind Betriebsräte vergleichsweise stark in die Führung der Betriebe eingebunden. Sie haben diverse Mitsprache- und Vetorechte. Dieses gilt für die französischen Betriebsräte nicht. Ihnen steht sogar der Firmenchef vor, so dass Vetorechte, wenn sie denn gesetzlich eingeräumt werden, kaum oder gar nicht durchzusetzen sind. Die französischen Betriebsräte haben vor allem Mitspracherechte, wenn es um das Errichten von Sozialeinrichtungen und um die Vergabe von Stipendien geht. In Frankreich sind zudem prozentual viel weniger Arbeitnehmer im Betriebsrat organisiert als in Deutschland, obwohl eine prozentual höhere Anzahl tariflich erfasst ist. Dennoch steht ihnen ein sehr weitreichendes Streikrecht zu. Dies mag auch dazu führen, dass französische Arbeitnehmer durchschnittlich deutlich häufiger streiken als deutsche.
In dieser Arbeit sollen die rechtlichen Grundlagen, die Aufgaben und Befugnisse der Betriebsräte und ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften in Deutschland und Frankreich verglichen werden. Das geschieht vor dem Hintergrund der signifikant höheren Streikbereitschaft in Frankreich, die in diesem Maße nicht auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen zurückzuführen ist. Deshalb werden als Erklärung institutionelle Faktoren in den Mittelpunkt gerückt, die ihren Ursprung in der rechtlichen Stellung der Betriebsräte und Gewerkschaften in beiden Ländern haben. Abschließend erfolgt ein Plädoyer für die Beibehaltung der jetzigen deut-schen Regelung bzw. für deren Ausweitung auf das Europäische Recht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Rechtliche Grundlagen der Stellung des Betriebsrates in Deutschland
2.1. Die Rolle der Gewerkschaften in der Arbeitnehmervertretung
2.2. Verhältnis der Betriebsräte zu den Gewerkschaften
3. Rechtliche Stellung und Grundlagen des Betriebsrates in Frankreich
3.1. Die Rolle der Gewerkschaften in der Arbeitnehmervertretung
3.2. Verhältnis der Betriebsräte zu den Gewerkschaften
4. Aufgaben und Befugnisse des deutschen Betriebsrates
5. Aufgaben und Befugnisse des französischen Betriebsrates
6. Die Streikhäufigkeit in Deutschland und Frankreich
7. Interpretation der Ergebnisse
8. Ausblick
9. Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die kollektiven Arbeitsverfassungen in Deutschland wie auch in Frankreich sind das „Handlungsfeld“ von gewählten Arbeitnehmervertretern, Gewerkschaften und Arbeitgebern.[1] Auf diesem Handlungsfeld gelten jeweils spezifische Regeln, die aus den nationalen Rechten herrühren, die demnach als formale Rahmen eine Ordnung vorgeben und somit verhaltenssteuernd wirken. In Deutschland sind Betriebsräte vergleichsweise stark in die Führung der Betriebe eingebunden. Sie haben diverse Mitsprache- und Vetorechte. Dieses gilt für die französischen Betriebsräte nicht. Ihnen steht sogar der Firmenchef vor, so dass Vetorechte, wenn sie denn gesetzlich eingeräumt werden, kaum oder gar nicht durchzusetzen sind. Die französischen Betriebsräte haben vor allem Mitspracherechte, wenn es um das Errichten von Sozialeinrichtungen und um die Vergabe von Stipendien geht. In Frankreich sind zudem prozentual viel weniger Arbeitnehmer im Betriebsrat organisiert als in Deutschland, obwohl eine prozentual höhere Anzahl tariflich erfasst ist. Dennoch steht ihnen ein sehr weitreichendes Streikrecht zu. Dies mag auch dazu führen, dass französische Arbeitnehmer durchschnittlich deutlich häufiger streiken als deutsche.
In dieser Arbeit sollen die rechtlichen Grundlagen, die Aufgaben und Befugnisse der Betriebsräte und ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften in Deutschland und Frankreich verglichen werden. Das geschieht vor dem Hintergrund der signifikant höheren Streikbereitschaft in Frankreich, die in diesem Maße nicht auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen zurückzuführen ist. Deshalb werden als Erklärung institutionelle Faktoren in den Mittelpunkt gerückt, die ihren Ursprung in der rechtlichen Stellung der Betriebsräte und Gewerkschaften in beiden Ländern haben. Abschließend erfolgt ein Plädoyer für die Beibehaltung der jetzigen deutschen Regelung bzw. für deren Ausweitung auf das Europäische Recht.
2. Rechtliche Grundlagen der Stellung des Betriebsrates in Deutschland
Die Rolle und die Aufgabe von Betriebsräten ist in Deutschland im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt. Laut § 1 BetrVG wird in Betrieben mit „mindestens fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern“, von denen drei wählbar sein müssen, ein Betriebsrat gewählt.[2] Das gilt auch für solche Betriebe, die aus mehreren Unternehmen bestehen, bei denen aber aus arbeitstechnischen Gründen die Betriebsmittel und die Arbeitnehmer von den beteiligten Unternehmen gemeinsam eingesetzt werden. Der Betrieb ist in diesem Zusammenhang auch nicht von einer etwaigen Spaltung eines Unternehmens betroffen, die formal eine Spaltung des Betriebes nach sich ziehen kann. Wenn gewährleistet ist, dass die Organisation des fraglichen Betriebes im Wesentlichen erhalten bleibt, so wird weiterhin ein gemeinsamer Betrieb vermutet.
Zu den Arbeitnehmern zählen sowohl Arbeiter und Angestellte als auch Auszubildende. Leitende Angestellte wie Personalchefs oder Prokuristen und andere Personen, die frei von Weisungen agieren, werden ausdrücklich nicht unter den Begriff des Arbeitnehmers im Sinne dieses Gesetzes gefasst.[3] Ein Arbeitnehmer ist dann wählbar, wenn er selber wahlberechtigt ist und dem Betrieb mindestens sechs Monate angehört. Sollte der Betrieb selbst jünger als sechs Monate sein, so entfällt diese Voraussetzung. Nicht wählbar sind diejenigen Arbeitnehmer, bei denen eine strafgerichtliche Verurteilung den Fähigkeiten, „Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen“, entgegensteht.[4] Als wahlberechtigt gelten dabei alle Arbeitnehmer, die 18 Jahre und älter sind. Bei Leiharbeitern wird die Sechsmonatsfrist auf drei Monate verkürzt.
2.1 Die Rolle der Gewerkschaften in der Arbeitnehmervertretung
Grundsätzlich steht es jedem nationalen Gesetzgeber frei, wie und wie weit er Gewerkschaften an der Gestaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen beteiligen möchte. In Deutschland besteht hier jedoch nach Art. 9 GG im Rahmen der allgemeinen Vereinigungsfreiheit eine verfassungsrechtliche Vorgabe dahingehend, dass der „Kernbereich gewerkschaftlicher Betätigungsmöglichkeiten“ gewahrt bleiben muss.[5] Dabei herrscht aber in Deutschland das einschränkende Prinzip „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft.“[6] Die Gewerkschaften verstehen sich als weltanschaulich und parteipolitisch neutral und sind nach dem Industrieverbandsprinzip gegliedert. Damit fungieren sie faktisch als Einheitsgewerkschaften, die ausschließlich als Interessenvertreter von Arbeitnehmern bestimmter Industrie- und Wirtschaftsbranchen auftreten. Dieses ist auch in der DGB-Satzung in § 15, Anlage 1 Punkt 2 festgelegt.[7]
Das hat zur Folge, dass in Deutschland dem branchenweiten Flächentarif große Bedeutung zukommt, auch wenn in jüngster Zeit der Firmentarif eine immer größere Rolle spielt. Die Gewerkschaften agieren aber bundesweit und damit aus einer makroökonomischen Perspektive heraus und sind zudem sehr gut organisiert. Gleiches gilt aber auch für die Arbeitgeber, deren Organisationsgrad ebenfalls sehr hoch ist. Beides hat Auswirkungen auf die Besetzung und die Aufgaben des Betriebsrates. Sein Spielraum erstreckt sich dadurch auf alle Fragen der betrieblichen Arbeitnehmerbelange, wird aber begrenzt durch die tarifrechtlichen Bestimmungen. Die Gewerkschaft vertritt im rechtlichen Sinne allein ihre Mitglieder und ist damit offiziell nicht Organ auf der Ebene des Betriebes. Dennoch betont das Gesetz auch ausdrücklich, dass Arbeitgeber und die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften vertrauensvoll zusammenzuarbeiten haben.[8] Im institutionellen Sinne herrscht in Deutschland also eine Trennung zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat, die in der Praxis allerdings in dieser Form meistens nicht relevant ist. Gerade in Großbetrieben oder Betrieben, an denen mehrere Unternehmen beteiligt sind, sind die Betriebsräte in der Regel auch Gewerkschaftsmitglieder, da die Gewerkschaften hier wesentlicher Bestandteil der „gemeinsamen Kooperationsstrukturen“ sind.[9]
2.2 Verhältnis der Betriebsräte zu den Gewerkschaften
Wie eben angesprochen, müssen Betriebsräte keine Gewerkschaftsmitglieder sein. Vielmehr sind die in Kapitel 2. angeführten Kriterien entscheidend. Dennoch sind die meisten Betriebsräte gewerkschaftlich organisiert – allein schon aufgrund der fachlichen und rechtlichen Unterstützung, die sich ihnen so bietet.[10] Die Gewerkschaften können weiterhin nach § 14 III, V BetrVG Wahlvorschläge im Rahmen von Betriebsratswahlen machen, sie besitzen dieses Recht allerdings nicht exklusiv. Insofern ist, rein rechtlich gesehen, eine deutliche und scharfe Trennung zwischen beiden Institutionen zu erkennen, rein praktisch wird diese durch die realen Gegebenheiten aber meist aufgehoben.
Dennoch steht dem deutschen Arbeitnehmer ein duales System der Interessenvertretung zur Verfügung, das den Gewerkschaften die Tarifpolitik und das Streikrecht zuspricht, dem Betriebsrat dagegen die Gestaltung von Betriebsvereinbarungen bei gleichzeitiger Friedenspflicht überantwortet. In der Vergangenheit war dieses System gut eingespielt und recht effektiv. Man wird sehen müssen, ob es sich bei weiterer „Erosion des Flächentarifvertrages“ auch in Zukunft bewährt.[11]
3. Rechtliche Stellung und Grundlagen des Betriebsrates in Frankreich
In Frankreich sind in den Arbeitnehmervertretungen unternehmensinterne Arbeitnehmervertreter zu finden, die teilweise gewerkschaftlich organisiert sind oder auch frei sind. Man bezeichnet die unmittelbar von den Arbeitnehmern gewählten Vertreter als délégués du personnel, die in verschiedenen Betriebsausschüssen, den comités d`entreprise wirken. Diese Delegierten sind nach art. L. 421-1 in allen „wie ein Wirtschaftsbetrieb geführten“ Betrieben des öffentlichen wie auch des privaten Rechts zu wählen, die 11 oder mehr Mitarbeiter „auf privatrechtlicher Grundlage“ beschäftigen.[12] Die Bildung eines comités d´entreprise ist nach art. L. 431-1 allerdings erst ab 50 Mitarbeitern vorgeschrieben.
Dieses System kann als gemischtes duales System bezeichnet werden, das von einer großen Vielfalt von Arbeitnehmervertretungen gekennzeichnet ist. Das hat allerdings zur Folge, dass aufgrund dieser Vielfalt eine in der Struktur eher schwache gesamte Arbeitnehmervertretung vorzufinden ist. Das Hauptproblem besteht in der meist fehlenden oder unmöglichen Koordination und Absprache zwischen den einzelnen Arbeitnehmervertretern, so dass meist jeder isoliert versucht, seine Ziele zu erreichen, was es leichter macht, die einzelnen Vertretungen und ihre Forderungen zu bekämpfen. Auch kommt es häufig zu unterschiedlichen Zielvorgaben innerhalb der Interessenvertretung (zwischen gewerkschaftlich organisierten Vertretern und freien Vertretern), was bis hin zu offen ausgetragenen Interessengegensätzen führen kann.
[...]
[1] Bachner, Michael (1998): Die Rechtsstellung des Europäischen Betriebsrats nach französischem und deutschem Arbeitsrecht im Spannungsverhältnis zwischen europäischer Normsetzung und nationaler Arbeitsrechtstradition, S. 86
[2] BetrVG § 1 I S. 1
[3] BetrVG § 5 III S. 1-3
[4] BetrVG § 7 I S. 3
[5] Benites, Flavio Antonello (2003): Europäische Betriebsräte und die EU-Erweiterung. Auswirkungen und Rechtslage, S. 25
[6] Bachner, Michael (1998): Die Rechtsstellung des Europäischen Betriebsrats nach französischem und deutschem Arbeitsrecht im Spannungsverhältnis zwischen europäischer Normsetzung und nationaler Arbeitsrechtstradition, S. 92
[7] DGB (2006): Satzung vom Juni 2006, § 15 i. V. m. Anlage 1, Punkt 2
[8] BetrVG § 2
[9] Bachner, Michael (1998): Die Rechtsstellung des Europäischen Betriebsrats nach französischem und deutschem Arbeitsrecht im Spannungsverhältnis zwischen europäischer Normsetzung und nationaler Arbeitsrechtstradition, S. 105
[10] http://www.boeckler-boxen.de/cps/rde/xchg/SID-3D0AB75D-18D82009/boxen/hs.xsl/1592.htm, vom 18.08.2007
[11] Lecher, Wolfgang; Nagel, Bernhard; Platzer, Hans-Wolfgang (1998): Die Konstituierung Europäischer Betriebsräte – Vom Informationsforum zum Akteur?, S. 82
[12] Bachner, Michael (1998): Die Rechtsstellung des Europäischen Betriebsrats nach französischem und deutschem Arbeitsrecht im Spannungsverhältnis zwischen europäischer Normsetzung und nationaler Arbeitsrechtstradition, S. 100
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- Turhan Kurt (Author), 2007, Vergleich der Aufgaben und Befugnisse von Betriebsräten in Deutschland und Frankreich und ihre Auswirkungen auf die Streikbereitschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87104
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