Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat das Wissenschaftsgebiet der Lernpsychologie zahlreiche Faktoren ausgemacht, die die mitunter stark variierenden Resultate menschlichen Lernens beeinflussen. Als Auslöser für ein gesteigertes Interesse an den Bedingungen von Denk- und Verstehensprozessen gilt dabei der Paradigmenwechsel vom Behaviorismus zum Kognitivismus, der so genannten Kognitiven Wende.
Während sich manche Wissenschaftler/innen auf die Betrachtung von Einflussgrößen wie beispielsweise die Intelligenz, Motivation oder soziokulturelle Hintergründe konzentrieren, hat sich eine Forschungsrichtung entwickelt, die sich der Charakteristik unterschiedlicher Lernzugänge widmet, d. h. dem Wie des Lernens. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen diesbezüglich verschiedene Modalitäten der Aneignung, Strukturierung und des Abrufs neuer Informationen – Komponenten des Lernens, deren je spezifische Ausprägungen unter dem Begriff des individuellen Lernstils subsumiert werden.
Darüber hinaus werden in zahlreichen Publikationen auch sozial-affektive Beschreibungsgrößen als lernstilbestimmend angesehen. Eine solche weite Definition vertritt z. B. Grotjahn (1998:11). Er sieht Lernstile
„im Sinne von intraindividuell relativ stabilen, zunächst situations- und aufgabenunspezifischen Präferenzen (Dispositionen, Gewohnheiten) von Lernern sowohl bei der Verarbeitung (Aufnahme, Strukturierung, Speicherung ...) von Informationen als auch bei der sozialen Interaktion.“
Das Postulat einer Existenz stilgeprägter Lernwege ruft Vertreter verschiedenster Interessensgemeinschaften auf den Plan, die hierin ein theoretisches Konstrukt besonderer Relevanz vermuten. Insbesondere im Bereich der Pädagogik bzw. der mit ihr verkoppelten Fachdidaktiken hat sich ein mittlerweile breiter Diskurs entfaltet, dessen inhaltlicher Schwerpunkt auf der Besprechung lehrpraktischer Auswirkungen liegt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Begriffsklärung
2.1 Kognitiver Stil oder Lernstil?
2.2 Lernstrategien
2.3 Lern(er)typen
2.4 Stile in Abgrenzung zu Fähigkeiten
3 Stand der Lernstilforschung und ausgewählte Vertreter einflussreicher Konzepte sowie deren Relevanz für die Fremdsprachenforschung
3.1 Lernstile – Versuch einer Kategorisierung
3.2 Ausgewählte Vertreter einflussreicher Lernstilkonzepte
3.2.1 Lernstile sind weitestgehend genetisch bedingte, schwer beeinflussbare Persönlichkeitsmerkmale
3.2.2 Lernstile beruhen auf den kognitiven Strukturen eines Individuums
3.2.3 Lernstile sind Teil eines relativ stabilen Persönlichkeitstypus – Der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI)
3.2.4 Lernstile sind flexible, aber dennoch solide Lernvorlieben – Kolbs Experiential Learning Theory
3.2.5 Lernorientierungen, -einstellungen und -strategien als konstitutive Größen von Lernstilen am Beispiel Entwistles
3.2.6 Weitere Einflussgrößen im Fokus der Fremdsprachendidaktik
3.3 Abschließende Bewertung der stilbezogenen Fremdsprachenforschung
4 Unterrichtspraktische Konsequenzen
4.1 Identifikation von Lernstilen
4.1.1 Konstruktinhärente Limitationen
4.1.2 Fragebögen zur Erhebung bevorzugter Lernstrategien am Beispiel des Strategy Inventory for Language Learning
4.1.3 Lernertagebücher und Sprachlernerinnerungen
4.1.4 Lautes Denken
4.1.5 Weitere Alternativen zum Zwecke der Thematisierung unterschiedlicher Lernstile
4.2 Matching oder Stretching?
4.3 Lerninhalte vor dem Hintergrund eines stilorientierten Lehrstils
4.3.1 Integrative Berücksichtigung stilrelevanter Faktoren
4.3.2 Gezieltes Strategietraining
5 Schlussbetrachtung
6 Literaturverzeichnis
6.1 Sekundärliteratur
6.2 Elektronische Quellen
7 Anhang
1 Einleitung
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat das Wissenschaftsgebiet der Lernpsychologie zahlreiche Faktoren ausgemacht, die die mitunter stark variierenden Resultate menschlichen Lernens beeinflussen. Als Auslöser für ein gesteigertes Interesse an den Bedingungen von Denk- und Verstehensprozessen gilt dabei der Paradigmenwechsel vom Behaviorismus zum Kognitivismus, der so genannten Kognitiven Wende.
Während sich manche Wissenschaftler/innen auf die Betrachtung von Einflussgrößen wie beispielsweise die Intelligenz, Motivation oder sozio-kulturelle Hintergründe konzentrieren, hat sich eine Forschungsrichtung entwickelt, die sich der Charakteristik unterschiedlicher Lernzugänge widmet, d. h. dem Wie des Lernens. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen diesbezüglich verschiedene Modalitäten der Aneignung, Strukturierung und des Abrufs neuer Informationen – Komponenten des Lernens, deren je spezifische Ausprägungen unter dem Begriff des individuellen Lernstils subsumiert werden.
Darüber hinaus werden in zahlreichen Publikationen auch sozial-affektive Beschreibungsgrößen als lernstilbestimmend angesehen. Eine solche weite Definition vertritt z. B. Grotjahn (1998:11). Er sieht Lernstile
„im Sinne von intraindividuell relativ stabilen, zunächst situations- und aufgabenunspezifischen Präferenzen (Dispositionen, Gewohnheiten) von Lernern sowohl bei der Verarbeitung (Aufnahme, Strukturierung, Speicherung ...) von Informationen als auch bei der sozialen Interaktion.“
Das Postulat einer Existenz stilgeprägter Lernwege ruft Vertreter verschiedenster Interessensgemeinschaften auf den Plan, die hierin ein theoretisches Konstrukt besonderer Relevanz vermuten. Insbesondere im Bereich der Pädagogik bzw. der mit ihr verkoppelten Fachdidaktiken hat sich ein mittlerweile breiter Diskurs entfaltet, dessen inhaltlicher Schwerpunkt auf der Besprechung lehrpraktischer Auswirkungen liegt. Die Ausgangsbasis bildet hierbei die Argumentation, dass Lernstile notwendigerweise auch im Bezugsrahmen von Lehrstilen betrachtet werden müssten, wobei das diesem Aufeinandertreffen inhärente Konfliktpotenzial weit reichende Einflüsse auf den persönlichen Lernerfolg impliziere.
So gibt es auch im spezifischen Kontext der Fremdsprachenforschung[1] Hinweise darauf, dass es bezüglich des Lernens fremder Sprachen durchgängig erkennbare Muster i. S. möglicherweise wirksamer Sprachlern- und Sprachproduktionsstile gibt (vgl. Schulz-Wendler 2001:38ff). Nicht eindeutig geklärt ist hingegen das Verhältnis dieser charakteristischen Phänomene zu allgemeineren Lernpräferenzen eines Lerners/einer Lernerin, ein Umstand, der den Kern des Interesses der vorliegenden Arbeit berührt.
Diese beschäftigt sich zunächst mit der Frage, welche Stildimensionen, d. h. stilprägend funktionale Merkmale, für die Aufnahme- und Verarbeitungsprozesse fremdsprachlicher Informationen verantwortlich sind. Diesbezüglich wird sich herausstellen, dass eine solche Bestimmung vor dem Hintergrund einer Vielzahl von weitgehend ambivalenten Forschungsbeiträgen sowohl inhaltlich als auch terminologisch abenteuerlich ist.
In einem weiteren Schritt sollen die unterrichtspraktischen Konsequenzen geklärt werden, die sich aus der zuvor durchgeführten Aufarbeitung theoretischer Konzeptionen ergeben.
Schon an dieser Stelle sollte der Leser/die Leserin darauf hingewiesen werden, dass er/sie insbesondere im Verlauf der Besprechung der für den Fremdsprachenunterricht bedeutsamen Lernstilkonzepte einer überdurchschnittlich hohen Zahl englischsprachiger Literaturquellen begegnen wird. Dieser Umstand resultiert aus der nahezu exklusiv nordamerikanisch und britisch geprägten Lernstilforschung, wobei der bescheiden ausfallenden Auswahl deutschsprachiger Autor/innen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Die inhaltliche Struktur der Arbeit deckt zunächst den Bedarf an terminologischem Verständnis, indem Kapitel 2 in grundlegendes Vokabular und wichtige Differenzierungen einführt.
Dem schließt sich in Kapitel 3 ein Lagebericht zum anfänglich unstrukturiert wirkenden Feld der Lernstilforschung an. Dieser thematische Prolog mündet in die Wahl einer Taxonomie, die im weiteren Verlauf als unentbehrlicher Bezugspunkt dienen soll.
Sodann beginnt die systematische Darstellung der für das erste Etappenziel der Arbeit relevanten Lernstilkonzepte. Derer sind es acht, wobei sich im Rahmen der gewählten Klassifikation eine Möglichkeit zur Einordnung dieser in fünf Gruppen aufzeigen wird.
Nicht einem bestimmten Lernstilkonzept zurechenbar, jedoch gleichermaßen bedeutsam, folgt die Besprechung zweier Stildimensionen, deren Berücksichtigung hinlänglich dargelegt wird.
Nach Abschluss der Sammlung potenziell im Rahmen des Fremdsprachenlernens wirksamer Merkmale, wird auf Grundlage der in den jeweiligen Teilkapiteln besprochenen Positionen eine von dieser Stelle an gültige Selektion vorgenommen. Sie stellt gleichermaßen eine abschließende Bewertung des Theorieteils und das Fundament für die folgenden Überlegungen hinsichtlich lehrpraktischer Implikationen dar.
Kapitel 4 widmet sich anfänglich bestehenden Alternativen zur Thematisierung und Identifikation von Lernstilen im Fremdsprachenunterricht. Besonderes Interesse gilt dabei der Gefahr methodischer Verwicklungen.
Daraufhin wird die zentrale Frage geklärt, welcher Stellenwert der Berücksichtigung von Lernvorlieben im unterrichtspraktischen Alltag gegeben werden soll.
Die Antwort hierauf legitimiert den letzten Abschnitt, der zum einen praxisbezogene Vorschläge zur Umsetzung eines integrativen Lehrstils unterbreitet und darüber hinaus über den Aufbau und die Durchführung eines gezielten Lernstrategietrainings informiert.
Die Arbeit schließt mit einer vergleichsweise knappen Gesamtbewertung, da zugunsten der Nachvollziehbarkeit zentrale Erkenntnisse und teilweise abschließende Beurteilungen schon den jeweiligen Kapiteln beigefügt werden.
2 Begriffsklärung
Zum Zwecke einer (wo möglich) eindeutigen und unmissverständlichen Verwendung lernstilbezogener Begrifflichkeiten soll dieses Kapitel zunächst die zentralen, allzu oft unzulässigerweise synonym verwendeten Termini voneinander abgrenzen. Dies erscheint notwendig, möchte man die Grenzen des auf den ersten Blick scheinbar unüberschaubaren Forschungsgebiets der Lernstile bzw. deren inhaltlich verwandter wissenschaftlicher Konstrukte einengen, um die im weiteren Verlauf der Arbeit beabsichtigte Fokussierung auf die Bedeutung lernstiltheoretischer Überlegungen für den Fremdsprachenunterricht zu ermöglichen.
Eine solche Notwendigkeit wird umso deutlicher, führt man sich die Kritik zahlreicher Autor/innen vor Augen, zentrale Bezeichnungen würden mitunter „inkonsistent und unscharf“ (Grotjahn 1998:11) oder unpräzise (vgl. Cassidy 2004:420) verwendet. Es fällt auf, dass diesbezüglich vor allem die Begriffe Lernstil und Kognitiver Stil keiner exakten Unterscheidung zugeführt oder aber abwechselnd als dem jeweils anderen Konstrukt über- oder untergeordnet beschrieben werden. Über die Klärung der Beziehung dieser Konzepte hinaus sollen weiterhin die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale hinsichtlich Stil und Fähigkeit herausgearbeitet sowie die Begriffe Lernstrategie und Lerntyp näher beleuchtet werden. Letzterer wird gerade im deutschsprachigen Raum häufig mit Lernstil gleichgesetzt.
2.1 Kognitiver Stil oder Lernstil?
Das Wort Stil beschreibt in verschiedensten Zusammenhängen eine durchgängige Verhaltensweise oder Erscheinungsform, die für ein Individuum oder eine Gruppe charakteristisch ist. Ein Stil kann i. d. S. beobachtbar sein, z. B. in Form eines Bekleidungsstils oder eines Bewegungsstils. Die an dieser Stelle behandelten Stile hingegen entziehen sich einer unmittelbaren Beobachtungsmöglichkeit, da sie sich überwiegend aus mentalen Prozessen speisen:
„When viewed from a phenomenological perspective, stylistic characteristics reveal themselves to be surface indicators of two deep levels of the human mind: whole systems of thought, and peculiar qualities of the mind which an individual uses to establish links with reality.“ (Gregorc 1984:51)
Die Erforschung kognitiver Stile wurde von dem amerikanischen Psychologen Witkin ab etwa 1950 initiiert. Auf ihn geht das Konzept der Feldabhängigkeit/Feldunabhängigkeit zurück, das bis heute Bestandteil einzelner (kognitionsorientierter) Lernstilkonzepte ist und später als eigenständige Stildimension einer genaueren Betrachtung unterzogen wird. Die Arbeiten Witkins (in Zusammenarbeit mit Asch und Goodenough) befassen sich mit den „typischen bzw. habituellen Verfahren bei der Wahrnehmung und bei allen anderen intellektuellen Tätigkeiten (Problemlösen, Denken, Erinnern, Beurteilen).“ (Schulz-Wendler 2001:11). Es handelt sich hierbei also um ein vergleichsweise weites Forschungsfeld, was nicht weiter verwundert, wenn man berücksichtigt, dass sich ein auf die menschliche Kognition bezogenes Stilkonzept zwangsläufig auf mehrere parallel verlaufende oder hintereinander geschaltete mentale Prozesse beziehen muss, zumal von einem Stil erst dann gesprochen werden kann, wenn dieser übersituativ und zeitlich überdauernd zum Ausdruck kommt:
„Because what is at issue is the characteristic approach the person brings with him to a wide range of situations-we called it his ’style’ - and because the approach encompasses both his perceptual and intellectual activities - we spoke of it as his ’cognitive’ style’.“
(Witkin 1977:10)
Legt man die oben genannten intellektuellen Tätigkeiten zugrunde, so kommt man zu dem vorläufigen Schluss, dass Lernprozesse und deren gewohnheitsmäßige Anwendung i. S. eines spezifischen Lernstils dem Konzept des kognitiven Stils unterzuordnen sind. Man halte sich nur das Beispiel vor Augen, in dem eine Schülerin im Rahmen eines Vokabeltests einzelne Wörter abruft (sich also erinnert), welche sie sich zuvor eingeprägt hat. Ungeachtet der Frage, in welcher Form diese Wörter in ihrem Gedächtnis repräsentiert sind und auf welche Weise sie darauf zugreift (hiermit werden wir uns später befassen), fällt der Vorgang des Erinnerns in den Zuständigkeitsbereich kognitiver Prozesse und somit der Erforschung kognitiver Stile.
Das vorstehende Zitat von Witkin enthüllt jedoch den eigentlichen Grund, der die Unterscheidung zwischen verschiedenen Stilbegriffen sowie eindeutige Kategorisierungen unterschiedlicher Lernstilkonzepte erschwert: Wo fängt Lernen, d. h. die Verarbeitung und Speicherung neuer Informationen überhaupt an? Etwa schon bei der Wahrnehmung bzw. Aufnahme distaler Reize[2] ? Oder erst mit dem Einsetzen mentaler Verarbeitungsprozesse? Witkin gründet seine Begriffsprägung kognitiver Stil auf dem Postulat, dass er hiermit sowohl wahrnehmende als auch intellektuelle Aktivitäten erfasse. Beschreibt der Begriff der Kognition aber nicht ausschließlich die geistigen Verarbeitungsprozesse der zuvor in einem ersten, unabhängigen Schritt wahrgenommenen Reize, die erst hierdurch zu bedeutungsrelevanten Informationen werden? Sicherlich, auf diese Frage gibt es wohl nahezu so viele Antworten wie wissenschaftliche Disziplinen, die sich mit ihr befassen. Sie soll hier auch lediglich verdeutlichen, dass eine Einordnung der Begriffe kognitiver Stil und Lernstil insbesondere vom Auge des Betrachters bzw. der jeweils gewählten Perspektive der Forscher/innen abhängt.
Richtet ein entsprechendes Lernstilkonzept seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die kognitiven Prozesse des Lernens (d. h. Vorgänge der Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen), so ist das Verhältnis von Lernstil zu kognitivem Stil eindeutig, da Lernstile in diesem Fall nur einen Ausschnitt der Kognitionsforschung darstellen und somit kognitive Lernstile erfassen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Referenzbereiche der Termini kognitiver Lernstil und kognitiver Stil (Schulz-Wendler 2001:12)
Es bleibt festzuhalten, dass die Forschungsarbeit hinsichtlich kognitiver Stile weiter zurückreicht und Lerngewohnheiten bestenfalls als Fragment der allgemeinen Kognitionsforschung thematisiert wurden.
Etwa um 1970 wird die Lernstilforschung mit der Veröffentlichung erster Lernstilmodelle allmählich zu einem eigenständigen Wissenschaftsgebiet, das sich nicht mehr ausschließlich auf die kognitiven Anteile des Lernens konzentriert, sondern zunehmend auch sozio-affektive und/oder perzeptuelle Faktoren berücksichtigt. Schulz-Wendler (2001:10) benennt diesbezüglich mit Bezug auf Haller (1986) Einflüsse der ATI-Forschung[3] bzw. ein von Fischer und Fischer (1968) veröffentlichtes Lerntypenkonzept als treibende Kräfte. Dunn bezeichnet die von Kolb (1971) sowie Dunn und Dunn (1972) veröffentlichten Lernstilmodelle als wegweisend für zahlreiche weitere Veröffentlichungen der nachfolgenden Jahre: „In some ways those models differed, but their many strands revealed essential similarities and were mutually supportive […].” (Dunn 1984:11).
Die Beschäftigung mit einer Vielzahl von Einflussgrößen auf das menschliche Lernen hat zur Folge, dass das Konstrukt des Lernstils nun nicht mehr nur im Kontext kognitiver Prozesse zu bestimmen ist, im Gegenteil: Lernmuster auf kognitiver Ebene sind aus dieser Perspektive wiederum nur ein Untersuchungsgegenstand unter vielen (z. B. sozialer Stil, perzeptueller Stil). Somit ist der Begriff Lernstil in diesem Zusammenhang dem kognitiven Stil übergeordnet: „It is also likely that cognitive style – at the very least – can be regarded as one significant component of learning style.“ (Cassidy 2004:421).
Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit, insbesondere im Besprechungsteil der für den Fremdsprachenunterricht interessanten Lernstilkonzepte, wird der Begriff Lernstil prinzipiell i. S. des weiten, kognitionsübergreifenden Konstruktverständnisses verwendet. Auf eventuelle Einschränkungen einzelner Modelle wird somit an gegebener Stelle explizit verwiesen.
2.2 Lernstrategien
Beschäftigt man sich mit der Lernstilforschung als „Neuling“, so fällt auf, dass zahlreiche Autor/innen dem Begriff der Lernstrategie entweder eine besondere Aufmerksamkeit schenken oder aber ganze Aufsätze dem Zusammenhang zwischen Lernstilen und Lernstrategien widmen[4]. Während man den Strategiegebrauch von Lerner/innen auch losgelöst von der vermeintlichen Bestimmung von Lernstilen betrachten kann (tatsächlich ist die reine Lernstrategieforschung vergleichsweise aktiver), ergibt sich in entgegengesetzter Richtung ein anderes Bild: Das abstrakte Gebilde der Lernstile ist forschungspraktisch nur über den Weg der Lernstrategien greifbar:
„Sind die Strategien Ausdruck des individuellen Lernstils, so bedeutet das vice versa, dass der Stil ausschließlich über solche habituell und mit großer Beständigkeit verwendeten Strategien ermittelt werden kann.“ (Schulz-Wendler 2001:8)
Entsprechend wird sich im Rahmen einer späteren Betrachtung ausgewählter Erhebungsinstrumente auch zeigen, dass die Bestimmung eines Lernstils vornehmlich mittels einer Bündelung der für die jeweilige Stildimension charakteristischen Lernstrategien erfolgt.
Nähern wir uns dem Wort Strategie aus allgemeinerer Perspektive, so stoßen wir mit Schmeck (1988:5ff) auf einen militärischen Ursprung. Ein strategisches Verhalten impliziert schon in diesem Zusammenhang eine vorausschauende Planung zum Zwecke der Lösung einer Aufgabe bzw. eines Problems. Eine Lernstrategie ist per se also noch keine abgeschlossene Lernhandlung, gibt jedoch Aufschluss über die Herangehensweise von Lerner/innen an eine entsprechende Aufgabenstellung. Diese Herangehensweise (approach) ist das Ergebnis der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt in einer jeweils spezifischen Situation. Schmeck benutzt diesbezüglich die Allegorie einer chemischen Reaktion. Berücksichtigt man die potenzielle Vielfältigkeit einer solchen Lernsituation, sowohl in personaler (z. B. Einstellung des Lerners zum Lerngegenstand, Motivation, körperliches Befinden) als auch in situativer (z. B. Lerngruppe, Temperatur, Laune der Lehrkraft) Hinsicht, so kann man erahnen, wie schwierig es sein kann beständige Verhaltensmuster von Lerner/innen i. S. eines übersituativ erkennbaren Lernstils zu erfassen. Ein zusätzliches Problem ergibt sich für die Forschung mit der Tatsache, dass Lernstrategien im Gegensatz zu Lernstilen zwar „bewusst oder zumindest bewusstseinsfähig[,] [...] als mentale Handlungen – ebenso wie Lernstile - [jedoch; d. Verf.] nicht direkt beobachtbar“ sind (Grotjahn 1998:11). Mit anderen Worten: Nur die Lerner/innen selbst sind in gewisser Hinsicht Zeuge ihres eigenen strategischen Verhaltens, wohingegen Untersucher/innen nur der Rückgriff auf die subjektive Darstellung eben jener Gedanken bleibt, beispielsweise in Form des Lauten Denkens oder eines Lernertagebuchs. Dementsprechend sehen auch die meisten Erhebungsinstrumente entsprechender Lernstilkonzepte den Einsatz von Fragebögen zur Selbsteinschätzung vor.
Zum Zwecke eines tiefer gehenden Verständnisses hinsichtlich der wechselwirksamen Beziehung zwischen Lernstilen und Lernstrategien betrachten wir nun einen Definitionsversuch von Oxford und Nyikos (1989:291): „Learning strategies are operations used by learners to aid the acquisition, storage, and retrieval of information.“ Bedeutungsvoll ist hier der Hinweis, dass Lernstrategien die Aneignung, Speicherung sowie das Abrufen von Informationen fördern, man könnte auch sagen unterstützen. Die Wahl der unterstützenden Maßnahme ist dabei stets individuell verschieden, kann sich aber im Laufe der Zeit bzw. im Zusammenhang anderer, ggf. sehr verschiedener Aufgaben als Stil etablieren, sollte die Wahl immer wieder auf die selbe Strategie bzw. eine Klasse ähnlicher Strategien fallen. Eine Lernstrategie entsteht dabei entweder unbewusst, i. S. einer bloßen Ausrichtung an den jeweiligen Tätigkeitsbedingungen, oder als bewusste Orientierung bezüglich spezifischer Ziele und Aufgaben (vgl. Lompscher 1996). Es ist anzunehmen, dass bestimmte Strategien im Zusammenhang mit einer entsprechenden Aufgabe überlegen sind; eine Vermutung, die eine wichtige Interpretationsgrundlage für unterschiedliche Lernerfolge bietet. Verschiedene Lernstrategien haben also u. U. ungleiche Wirkungsgrade hinsichtlich ihres unterstützenden Einflusses. Das Wissen um diese Erkenntnis ist insofern wertvoll, als dass sich hier ein weiterer Schnittpunkt lernrelevanter Themen aufzeigt, nämlich die Beziehung zwischen Lernerfolg und Intelligenz[5].
Zur Veranschaulichung einer möglichen strategischen Überlegenheit soll folgendes Beispiel dienen: Zwei Bauern wird die Aufgabe gestellt, ihre jeweils fünf Hektar große Wiese in möglichst kurzer Zeit zu mähen. Dabei sind die äußeren Umstände für beide Landwirte identisch, beispielsweise zur Verfügung stehendes Werkzeug, Witterungsbedingungen etc. Bauer A plant seine Wiese traditionell mit einer Sense zu bearbeiten. Bauer B hingegen tankt schon einmal seinen Aufsitzrasenmäher voll. Man darf wohl davon ausgehen, dass Bauer B unter normalen Umständen seine Wiese schneller mähen wird und diese Prognose wahrscheinlich auch dann Bestand hat, wenn die Aufgabe zu einem anderen Zeitpunkt oder unter anderen Umgebungsbedingungen (z. B Temperatur, Tageszeit o. ä.), also übersituativ, gestellt wird. Die eine Strategie ist der anderen folglich prinzipiell überlegen. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von einer domänenspezifischen[6] Strategie sprechen.
Demgegenüber schließen die meisten Lernstilmodelle eine generelle Überlegenheit eines bestimmten Stils aus, mit der Begründung, dass bezüglich eines jeden Lernstils ein Aufgabenarrangement denkbar sei, das die vermeintliche Überlegenheit zugunsten einer ggf. sogar konträren Stildimension aufhebe. Vorstellbar ist in diesem Zusammenhang z. B. eine mathematische Aufgabe, deren Lösung ein analytisches Vorgehen nahe legt. Werden jedoch die Umgebungsbedingungen von der Lehrkraft verändert, z. B. aus einer Einzel- wird eine Gruppenaufgabe, so erscheint die Stildimension Extraversion[7] zur Initiierung und Erhaltung kommunikativer Prozesse in der Lernergruppe von Nutzen.
Wir stoßen an dieser Stelle auf ein zentrales Kategorisierungsproblem der vorliegenden Lernstilkonzepte: Wie viele Stildimensionen kann und sollte ein entsprechendes Modell überhaupt erfassen um Aussagekraft zu erlangen? Einerseits steigt mit der Anzahl der untersuchten Rubriken (z. B. ganzheitlich vs. sequentiell, introvertiert vs. extrovertiert) die Zahl möglicher Lernstilkombinationen, andererseits bleibt zu hinterfragen, inwieweit solche weiten Konzepte einen Stil i. S. zeitlich überdauernder Lerngewohnheiten überhaupt valide dokumentieren können, insbesondere vor dem Hintergrund der o. g. Vielzahl personaler und situativer Einflussfaktoren.
Bis hierhin soll jedoch zunächst festgehalten werden, dass Lernstile nicht direkt, sondern lediglich indirekt, nämlich über die verwendeten Lernstrategien bestimmt werden können. Es folgt daraus, dass Lernstile auch nur über den Weg der Lernstrategien beeinflusst oder gar verändert werden können. Ist Lerner/innen jedoch erst einmal ein bestimmter Stil innewohnend, so zeigt sich einmal mehr die gegenseitige Abhängigkeit von Lernstilen und Lernstrategien:
„Die Bereitschaft eines Lernenden, sich auf die Anwendung bestimmter Lernstrategien einzulassen, hängt also auch mit seinem jeweiligen Lernstil zusammen, der ihn stark prägt und seine Entscheidungen für bestimmte Lernwege mit beeinflußt.“ (Häuptle-Barceló 1995:58f)
2.3 Lern(er)typen
Im Rahmen einer Arbeit, die sich mit dem mittlerweile weiten Forschungsfeld der Lernstile beschäftigt, kommt man nicht umhin, die vielerorts synonym oder diffus verwendeten Begriffe Lerntyp bzw. Lernertyp aufzugreifen. Es wurde bereits ausgeführt, dass die Wurzeln der Lernstilforschung auf ein von Kolb (1971) veröffentlichtes Modell, das Learning Style Inventory (LSI), zurückgehen. Er prägte den Terminus des Lernstils, der sich daraufhin im Zusammenhang mit der - überwiegend US-amerikanischen - Forschungsarbeit durchsetzte und noch bis heute durchgängige Verwendung findet. Der Begriff Lerntyp hingegen (welcher korrekterweise - d. h. in Analogie zu learning style - mit learning type übersetzt werden müsste) existiert in der englischsprachigen Literatur nicht. Bisweilen stößt man auf Lernertyp[8] (learner type), wobei es sich hierbei nicht etwa um eine bedeutungsgleiche Verwendung mit dem Wort Lernstil oder gar ein konkurrierendes Konzept handelt. Vielmehr stellt Lernertyp hier die Personifizierung eines bestimmten Lernstils dar. Dementsprechend kann man einem Lerner X also entweder einen spezifischen Lernstil zuschreiben („Lerner X hat einen konkret-sequentiellen Lernstil.“) oder man ordnet die Person selbst einem Typus zu („Lerner X ist ein abstrakt-willkürlicher[9] Lernertyp.“).
Eingangs wurde schon auf den im deutschsprachigen Raum mitunter verwirrenden Gebrauch des Begriffspaares Lernstil/Lerntyp aufmerksam gemacht. Eine eingehende Recherche macht dem Interessierten schnell deutlich, dass es sich hierbei abermals um verschiedene Perspektiven handelt: Die Arbeiten Kolbs u. a. sind im Forschungsbereich der Lernpsychologie anzusiedeln, wohingegen der Begriff Lerntyp der Didaktik, und hier im speziellen dem deutschen Biochemiker Frederic Vester, zuzuordnen ist. Er formulierte mit seinem
Buch Denken, Lernen, Vergessen (1975) ein Lerntypenkonzept, das mit der Einteilung in visuelle, auditive und haptische Lerner/innen vorwiegend die Wahrnehmungskanäle in den Mittelpunkt stellte. Ein vierter, vorzugsweise kognitiv vorgehender Lerner komplettiert sein Modell, das ihm in populärwissenschaftlicher Hinsicht große Erfolge bescherte, sowohl auf Lerner- als auch auf Lehrerseite in verschiedensten Bildungsbereichen regen Anklang fand und maßgeblich der Lerntypentheorie nahe stehende pädagogische Bewegungen wie z. B. Lernen mit allen Sinnen, Ganzheitliches Lernen oder Handlungsorientiertes Lernen prägte (vgl. Looß 2001).
Insbesondere die Tatsache, dass Vester sich nicht ausschließlich auf die Wahrnehmungsprozesse des Lernens beschränkt oder aber konsequenterweise jedem Wahrnehmungskanal entsprechende Verarbeitungsprozesse beiordnet, brachte ihm aus lern stil theoretischer Sicht vernichtende Kritik ein:
„Durch diese Einteilung der Lerntypen negiert Vester die intellektuelle Leistung bei den Typen 1 bis 3 und behält sie stattdessen ausschließlich dem Lerntyp 4 vor. Vester setzt andererseits die Wahrnehmung eines Phänomens ineins mit der Abstraktionsleistung zur Erklärung dieses Phänomens, d.h. wahrnehmen = lernen bzw. verstehen.“ (Looß 2001:2; vgl. auch Looß 2003)
Vor dem Hintergrund dieser hier vorgestellten, weitgehend voneinander unabhängigen Entwicklungen der Kozeptualisierungen Lernstil einerseits (Lernpsychologie, viele konkurrierende Modelle, Forschung größtenteils im englischsprachigen Raum) und Lerntyp andererseits (Didaktik, Theorie nach Vester, wissenschaftliche Legitimation äußerst fragwürdig), erscheint es sinnvoll, sich auf eine Terminologie festzulegen. Entsprechend wird sich der Autor im weiteren Verlauf auf die Verwendung der Begriffe Lernstil bzw. Lernertyp (i. o. g. S.) beschränken.
2.4 Stile in Abgrenzung zu Fähigkeiten
Nachdem die vorangegangenen Abschnitte den Begriff des (Lern-)Stils schärfer umrissen und gegenüber anderem, mehr oder minder direkt zu ihm in Beziehung stehendem Vokabular abgegrenzt haben, soll abschließend noch auf das ebenfalls nicht eindeutige Verhältnis zu (kognitiven) Fähigkeiten eingegangen werden.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der als einflussreich zu betrachtenden Lernstilkonzepte keine prinzipielle Überlegenheit eines bestimmten Stils unterstellt. Dem zugrunde liegt die Konzeption bipolar ausgerichteter Stildimensionen, die jedoch ausdrücklich keine rigorose Dichotomie i. S. lediglich zweier möglicher Ausprägungen vorsieht, sondern vielmehr ein Stilkontinuum, dessen Extremwerte ein Maximum entsprechender Merkmalszugehörigkeit darstellen. Demgegenüber stehen potenziell unendlich viele verschiedene Ausprägungen des jeweiligen Kriteriums innerhalb dieses Kontinuums, wobei dessen Mitte die Ausprägung markiert, die eine optimale Performanz hinsichtlich zu wählender Strategien beider Merkmale zulässt. Je weiter also die Stilausprägung am Rand des Kontinuums angesiedelt ist, desto einseitiger der Strategiegebrauch des Lerners/der Lernerin im Bezug auf das entsprechende Merkmal:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.2: Stilkontinuum am Beispiel der Feldabhängigkeit/Feldunabhängigkeit (eigene Darstellung)
Ist ein Lerner zu situativ flexibler Strategieverwendung in der Lage, so wird in Anlehnung an Witkin und Goodenough (1981) oft von einem beweglichen (mobile) Lerner gesprochen. Diesen Sachverhalt umschreibt Pask (1988) mit dem Begriff vielseitig (versatile). Vor diesem Hintergrund könnte man zunächst annehmen, dass ein situationsadäquater Strategiegebrauch dem einseitigen generell überlegen sei, schließlich ist der flexible Lerner dem auf eine Ausprägung scheinbar festgelegten Lerner in dessen Domäne ggf. ebenbürtig, verfügt jedoch zusätzlich über erfolgsversprechende Strategien hinsichtlich des anderen Extrems. Dem hält Schulz-Wendler (2001:15) zunächst die Tatsache entgegen, dass in manchen Tätigkeitsfeldern die Lernstile überdurchschnittlich vertreten seien, die zur Ausführung der Tätigkeit besonders günstig erscheinen. Es liege nahe, dass kognitive Einseitigkeit in solchen Fällen zur Optimierung bzw. Automatisierung spezifischer Strategien führe, die den Arbeitsweisen vielseitiger Lerner im selben Kontext letztlich überlegen seien.
Entscheidender ist in diesem Zusammenhang jedoch das grundsätzliche Verständnis der Lernstilforschung als Wissenschaftsgebiet, das sich dem Wie des
Lernens widmet und eine Bewertung der entsprechenden Lernstile bewusst weitgehend ausklammert. Während davon ausgegangen wird, dass jeder Lerngegenstand für einen bestimmten Lernstil zugänglich gemacht werden kann - beispielsweise in Form einer entsprechenden Aufbereitung des Unterrichtsmaterials - gilt bezüglich der (kognitiven) Fähigkeiten von Lerner/innen, dass sie maßgeblich den Lernerfolg mitbestimmen: „Indeed, there are many studies showing that general knowledge and skills make a significant difference in learning.“ (Melis 2004:4). Die Abwesenheit bestimmter Fähigkeiten kann nicht durch den Rückgriff auf andere Fähigkeiten kompensiert werden: Wenn eine Person nicht schreiben kann, dann ist die Bewältigung bestimmter Aufgaben schlicht unmöglich, d. h. schreiben können ist immer besser als nicht schreiben können. Hingegen muss es keinen zwangsläufigen Qualitätsunterschied zwischen Aufsätzen geben, die aus der Feder zweier unterschiedlicher Lernertypen stammen.
Diese auf den ersten Blick leicht nachvollziehbare Unterscheidung zwischen Stil und Fähigkeit ist allerdings nicht auf alle Lernstilkonzepte anwendbar. So verbinden u. a. Schmeck, Witkin und Pask mit ihren Vorstellungen von vielseitigen Lerner/innen höhere Lernerfolgsraten und damit einhergehend eine lernstilbedingte prinzipielle Überlegenheit. Demzufolge ist der flexible Strategiegebrauch das Ergebnis größerer kognitiver Fähigkeiten. Führt man diesen Gedankengang weiter, werden anpassungsfähige Lerner/innen schlussendlich immer im Vorteil sein, weil sie ihr Strategierepertoire ständig erweitern. Einseitige Lerner/innen indessen verharren infolge fehlender anpassungsfördernder Fähigkeiten in ihrer Einseitigkeit (vgl. Schulz-Wendler 2001:15).
An dieser Stelle zeigt sich erneut, dass Lernstile nicht isoliert von anderen lernrelevanten Faktoren betrachtet werden können, sondern deren Einflüsse stets berücksichtigt werden müssen. Schließlich sei jedoch noch einmal erwähnt, dass sich das primäre Interesse der Lernstilforschung (und somit dieser Arbeit) um die verschiedenen Wege des Lernens dreht und nicht um die Einteilung derer in gut und schlecht.
3 Stand der Lernstilforschung und ausgewählte Vertreter einflussreicher Konzepte sowie deren Relevanz für die Fremdsprachenforschung
Der vorangegangene Abschnitt diente einem ersten Einblick in zentrale Begriffe der Lernstilforschung sowie deren Interdependenzen. Dabei wurde weitgehend darauf verzichtet, spezifische Lernstilmodelle und deren Vertreter zu benennen, um zunächst ein Basisverständnis für konzeptübergreifende Grundgedanken zu ermöglichen. Vereinzelt wurde schon auf divergierende Schwerpunkte innerhalb der Lernstilforschung eingegangen, zudem wurden ausgewählte Stildimensionen beispielhaft erwähnt, um bestimmte Sachverhalte anschaulicher darstellen zu können.
Ausgehend von diesem allgemeinen Begriffsverständnis wird das folgende Kapitel nun einer Systematisierung von Lernstilkonzepten verschiedenster Richtungen dienen, eine Maßnahme, die vor dem Hintergrund einer Vielzahl der mit dem Lernstilbegriff beschäftigten Publikationen unumgänglich ist:
„Learning style is a complex construct involving the interaction of numerous elements; thus, at the outset, the experimenter is faced with the difficult task of having to decide which dimensions of learning style to elucidate and which interactions might be meaningful, in a practical sense, in understanding their contribution to achievement.“ (Corbett & Smith 1984:212)
Es wird sich herausstellen, dass die unterschiedlichen Ansätze zu Konzeptfamilien zusammengefasst werden können, deren Mitglieder einen jeweils ähnlichen inhaltlichen Brennpunkt aufweisen. Entsprechend werden exemplarisch Repräsentanten der jeweiligen Gruppe im Detail dargestellt, die bezüglich ihrer konzeptuellen Adaption für die Fremdsprachenforschung wichtige Grundlagen geschaffen haben.
Zum Zwecke einer möglichst einheitlichen Darstellung werden alle Modelle in Bezug auf ihr inhaltliches Interesse, die fokussierten Stildimensionen sowie deren Instrumentalisierung und ihre wissenschaftliche Fundiertheit betrachtet. Der allgemeinen Darstellung folgend werden die das Modell konstituierenden Stilvariablen daraufhin überprüft, inwieweit sie im Zusammenhang mit stilbezogener Fremdsprachenforschung aufgegriffen wurden und ob deren inhaltliche Übertragung auf das spezifische Feld des Fremdsprachenlernens ggf. durch empirische Studien verifiziert werden konnte.
Es soll schon an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Fremdsprachenforschung bisher keinen konzeptuell neuartigen Beitrag zur Lernstilforschung geleistet hat, sondern sich darauf beschränkt, vorzugsweise der Lernpsychologie entlehnte Konzepte auf fremd- und zweitsprachenspezifische[10] Lernsituationen anzuwenden, insbesondere hinsichtlich der Entwicklung von Erhebungsinstrumentarien. In einem weiteren Schritt wird das Sortiment beispielhafter Stildimensionen noch einmal hinsichtlich inhaltlicher Überschneidungen geprüft, um abschließend einen für die Betrachtung unterrichtspraktischer Konsequenzen geeigneten Katalog fremdsprachenrelevanter Stilkategorien formulieren zu können.
3.1 Lernstile – Versuch einer Kategorisierung
Das seit seinen Ursprüngen Anfang der 1970er[11] Jahre zunehmend unübersichtlicher werdende Forschungsgebiet der Lernstile hat v. a. im letzten Jahrzehnt zahlreiche Autor/innen[12] dazu veranlasst, die verschiedenartigen Konzepte mit ihren jeweiligen Kernpunkten zu erfassen, um sie einer systematischen Übersicht zuzuführen. Kein leichtes Unterfangen, bedenkt man die Komplexität vieler Modelle, die bis zu 32 Stildimensionen thematisieren (vgl. Keefe 1987). Die verschiedenen Teilbereiche der Lernstilforschung, die gleichzeitig das Augenmerk einzelner Konzepte charakterisieren, lassen sich zum Zwecke eines groben Überblicks am anschaulichsten mit Hilfe eines auf Curry (1983, 1987) zurück gehenden Modells darstellen: Er benutzt die Metapher einer Zwiebel, um die schichtenähnliche Anordnung vierer Bereiche abzubilden, die der Erfassung von Lernverhalten zugrunde gelegt werden können:
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Abb.3: Currys Zwiebelmodell (eigene Darstellung nach Curry 1987)
Betrachtet man Currys Modell von innen nach außen, so erkennt man zunächst den Kern, der kognitive Persönlichkeitsmerkmale repräsentiert. Er wird als relativ stabil und entsprechend wenig beeinflussbar angesehen. Das Modell sieht eine Abnahme der Stabilität sowie eine damit einhergehende Zunahme der Einwirkung äußerer Faktoren von innen nach außen vor. Die zweite Schicht erfasst Vorlieben bezüglich informationsverarbeitender Prozesse und kennzeichnet damit jenen Teilbereich, dem sich die meisten Lernstilkonzepte widmen. Eine dritte Schicht berücksichtigt das soziale Interaktionsverhalten von Lernern, sie wurde dem Modell erst nachträglich hinzugefügt. Schließlich bildet die Außenschicht Unterrichtspräferenzen i. S. bevorzugter Lehrmethoden, Lernumgebungen etc. ab (vgl. Cassidy 2004:4ff).
Auch wenn dieses Modell zumindest andeutungsweise die Interessensbereiche der für die Erhebung von Lerngewohnheiten bedeutsamen Faktoren einbezieht, lässt insbesondere der Kern für Coffield et al. (2004:9) einige Fragen offen:
„Yet, however attractive the onion metaphor may be, it is far from clear what lies at the centre. Conceptions of cognitive style relate to particular sets of theoretical assumptions, some of them psychoanalytic in origin. Ideas about stability are influenced more by theoretical concerns than by empirical evidence.”
Die Frage nach der Stabilität lernstilprägender Merkmale bildet den Ausgangspunkt einer von Coffield et al. (2004) angestrengten Überblicksarbeit, die die untersuchten Stildimensionen gängiger Lernstilkonzepte bezüglich ihrer konstitutionellen, relativ starren Fundierung einerseits bzw. ihrer Flexibilität und Veränderbarkeit andererseits einzuordnen versucht. Dabei greifen die Autor/innen auf frühere Klassifizierungsversuche[13] zurück und erweitern diese unter o. g. Gesichtspunkten zu einem Kontinuum, das sich über fünf sog. Familien erstreckt:
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Abb.3: Lernstilfamilien[14] (Coffield et al. 2004:10)
Auch dieses Modell kann selbstverständlich nicht das weite Feld der Lernstile in seiner Gesamtheit erfassen, die Einteilung in Konzeptfamilien verleitet mitunter zu der Annahme, dass die jeweiligen Lernstilkonstrukte deutlich voneinander abzugrenzen seien, obwohl sie sich tatsächlich nur in Nuancen unterscheiden. Der übergreifende Ansatz, über fünfzig einflussreiche Konzepte hinsichtlich der (vermuteten) Stilstabilität einzuordnen, ist jedoch m. E. das vorläufig umfassendste und gelungenste Unternehmen einer Systematisierung und soll im weiteren Verlauf dieses Abschnitts als klassifikatorischer Referenzpunkt dienen.
3.2 Ausgewählte Vertreter einflussreicher Lernstilkonzepte
Im Folgenden werden einflussreiche Konzepte jeder Familie umfassender beleuchtet. Die Auswahl der jeweiligen Vertreter erfolgt dabei insbesondere vor dem Hintergrund ihrer Relevanz für den Fremdsprachenunterricht. Eine kurze Darstellung der zentralen Merkmale entsprechender Konzeptfamilien wird der Besprechung betreffender Stildimensionen voran gestellt.
3.2.1 Lernstile sind weitestgehend genetisch bedingte, schwer beeinflussbare Persönlichkeitsmerkmale
Die Befürworter dieser Position gründen ihre Argumentation meist auf der Annahme, dass die Persönlichkeit eines Individuums größtenteils biologisch bestimmt ist. Im Zusammenhang mit Lernsituationen werden dabei v. a. eine angeborene und somit unveränderbare Dominanz bestimmter Wahrnehmungsarten und die Bevorzugung einer der beiden Gehirnhälften thematisiert: „It appears that dispositions for interacting with the world in specific ways are inborn.“ (Gregorc 1984:52)
3.2.1.1 Gregorc
Die Arbeiten Gregorcs drehen sich um zwei Stildimensionen, die die Wahrnehmung neuer Informationen einerseits sowie die Verarbeitung derer andererseits erfassen sollen. Erstere wird dabei mittels eines Kontinuums dargestellt, dessen Begrenzungen die Abstraktheit (abstractness) bzw. die hierzu gegensätzliche Konkretheit (concreteness) bei der Informationsaufnahme bilden. Z. B. wiesen Lerner/innen, die Dinge vorwiegend dichotom wahrnehmen (z. B. richtig/falsch, gut/schlecht), einen hohen Grad an Konkretheit auf. Je variierender Lerner/innen einen Sachverhalt bewerteten (z. B. bedingt richtig), desto abstrakter sei ihr Wahrnehmungsverhalten.
Die Art und Weise, in der ein Individuum Informationen ordnet und für den späteren Rückgriff systematisiert, beschreibt Gregorc mit dem Begriffspaar sequenziell (sequential) und zufällig (random). Entsprechend werden sequenzielle Lerner/innen im Zusammenhang mit einer Vokabelkartei beispielsweise einem alphabetischen Ordnungsprinzip folgen oder aber vielleicht die Wörter nach Wortarten sortieren. Demgegenüber würde ein zufälliges Lernverhalten eine willkürliche Organisation der Vokabeln nahe legen, vermutlich beeinflusst von situativ bestimmten Assoziationen o. ä.
Lokalisiert man nun die Positionen innerhalb der beiden Kontinua, so ergibt sich hieraus einer von vier zweidimensionalen Lernstilen:
1. Konkret-Sequenziell (CS)
Sachverhalte werden der Reihe nach, geordnet betrachtet. Dieser Lernertyp arbeitet naturgemäß strukturiert und aufgabenorientiert. Er ist in der Lage, (Unter-) Kategorien zu bilden. Infolgedessen werden Probleme vorzugsweise vollständig gelöst, bevor weitere Aufgaben in Angriff genommen werden.
2. Abstrakt-Sequenziell (AS)
Diese Lernergruppe vertraut auf die Logik ihrer Denkprozesse. Sachverhalte werden rational und logisch angegangen. Darüber hinaus bevorzugen Lerner/innen dieses Stils eine geordnete und mental stimulierende Umgebung.
3. Abstrakt-Zufällig (AR)
Die Denkprozesse von Vertretern dieses Lernstils sind emotional geprägt. Routine und Ordnung empfinden sie als langweilig. Sie erfreuen sich an einer farbenfrohen, abwechslungsreichen Umgebung.
4. Konkret-Zufällig (CR)
Lerner/innen dieser Gruppe vertrauen auf ihren Instinkt und ihre Intuition. Sie tendieren zu Erfindungsreichtum, Konkurrenzverhalten und Risikofreude. Manchmal neigen sie dazu, voreilige Schlüsse zu ziehen (vgl. Myers & Dyer 2004:380f).
Zur Ermittlung dieser vier Lernstilvarianten liefert Gregorc den Style Delineator, ein schriftliches, 40 Items umfassendes Selbsteinschätzungsinventar, das die Einteilung von Begriffsreihen in eine Rangfolge vorsieht (z. B. „objective, evaluative, sensitive, intuitive“, vgl. Schulz-Wendler 2001:126). Die von den Lerner/innen bestimmten Rangfolgen wiederum werden Punktwerten zugeordnet, welche schließlich einem der vier Stile entsprechen.
Schulz-Wendler (2001:128) berichtet mit Bezug auf O’Brian (1991) sowie Seidel & England (1999) von Untersuchungen mit Studierenden, die eine weitgehende Übereinstimmung mit Gregorcs Lernertypen hervorbrachten. Jonassen und Grabowski (1993) bezweifelten jedoch die Konstruktvalidität des Style Delineator. Zu einem ähnlichen Schluss kommen Coffield et al. (2004:19):
„However, in view of the serious doubts which exist concerning the reliability and validity of the Gregorc Style Delineator and the unsubstantiated claims made about what it reveals for individuals, its use cannot be recommended.”
Diesem Einwand folgend bedienen sich Oxford (1995) und Ehrman (1996) schließlich auch nur des theoretischen Konstrukts und fügen die hier thematisierten Stildimensionen in einen fremdsprachlichen Kontext ein.
Oxford unterscheidet jedoch nicht in Anlehnung an Gregorc zwischen insgesamt vier möglichen Stilkombinationen, sondern legt sich auf zwei Lernertypen fest. Demzufolge sei zwischen intuitiv-zufälligen (intuitive-random) sowie konkret-sequenziellen (concrete-sequential) Fremdsprachenlerner/innen zu differenzieren; sie verzichtet also auf eine Verwendung des Begriffes abstrakt. Schulz-Wendler (vgl. 2001:132f) arbeitet jedoch einen inhaltlichen Bezug zum Persönlichkeitsmodell Myers’ und Briggs’ (vgl. Kap. 3.2.3) heraus, deren Lesart einer intuitiven Stilausprägung ein abstraktes Wahrnehmungsverhalten einschließe, womit wiederum die Nähe zu Gregorcs Begriffsverständnis gegeben sei. Intuition meine in diesem Zusammenhang in erster Linie die Neigung, den Wert neu erworbener Informationen für die persönliche Lebenswelt erkennen und einordnen zu können.
Intuitiv-zufällige Lerner/innen versuchten, ein mentales Modell aus den fremdsprachlichen Informationen zu konstruieren. Sie wählten vornehmlich einen abstrakten, willkürlichen und ganzheitlichen Zugang, infolgedessen sie ständig nach übergreifenden Prinzipien der zu erlernenden Sprache suchten. Sie hätten kein Problem mit vom eigentlichen Unterrichtsthema abweichenden Diskussionen, sofern diese ihr Interesse weckten. Wenn man einen intuitiv-zufälligen Lernertyp nach drei Handlungsalternativen frage, sei es wahrscheinlich, dass dieser aufgrund seiner Kreativität und Zukunftsorientiertheit fünfzehn nennen könne. Weiterhin fühlten sich Lerner/innen dieses Stils wohl dabei, fehlende Informationen mittels Raten, Vorhersagen und anderer Kompensationsstrategien zu ersetzen.
Demgegenüber bevorzugten konkret-sequenzielle Lerner/innen Sprachlernmaterialien und -techniken, die eine Kombination aus Hören, Sehen, Bewegung und Fühlen berücksichtigten und in geordneter, linearer Weise bearbeitet werden könnten. Abweichende Diskussionen empfänden sie eher als störend i. S. der Kontinuität des Unterrichts. Konkret-sequenzielle Lernertypen handelten mehr im „Hier und Jetzt“ und hielten sich strikt an die Vorgaben der Lehrkraft. Sie vermieden lieber das Kompensieren fehlender Informationen (vgl. Oxford et al. 1992:443).
Die hier beschriebenen Präferenzen werden als Teilbereich How I Handle Possibilities des von Oxford entwickelten Style Analysis Survey (SAS), einem selbstevaluativen Fragebogen, erhoben. Im Gegensatz zu Gregorc, dessen ursprüngliches Konstrukt auf die Erfassung kognitiver Verhaltensmuster beschränkt sei, vermische Oxford diese mit persönlichkeitsbezogenen Merkmalen und schließe hinsichtlich der verwendeten Items des SAS von fremdsprachenspezifischen auf generelle Lernvorlieben (vgl. Schulz-Wendler 2001:132).
Ehrman setzt sich ebenfalls mit den Dimensionen abstrakt/konkret und sequenziell/zufällig auseinander. Sie verzichtet dabei zwar auf eine Einengung der möglichen Lernstilkombinationen indem sie beide Kontinua unabhängig voneinander betrachtet, stellt jedoch ebenfalls eine konzeptuelle Verbindung zum Myers-Briggs-Typenindikator her.
Konkret orientierte Fremdsprachenlerner/innen seien daran interessiert, die Sprache in authentischen Situationen zu gebrauchen. Sie hätten jedoch mitunter Schwierigkeiten Regeln zu lernen, abstrakte Inhalte zu diskutieren oder ein grundlegendes System hinter der jeweiligen Sprache zu erkennen. Diese Attribute seien jedoch förderlich und trügen wesentlich zur Fehlervermeidung in natürlichen Sprechsituationen bei.
Abstraktes Lernverhalten umfasse beispielsweise eine Vorliebe für grammatische Regeln, Strukturen und abstrakte Themen. Im Extremfall könnten sich abstrakte Lerner/innen gänzlich in der Theorie verlieren und auf diese Weise nie zu wirklichem Sprachgebrauch gelangen (vgl. Ehrman 1996:69).
Für sequenzielles Sprachenlernen gelte, dass beispielsweise ein Lehrbuch systematisch von vorne nach hinten durchgearbeitet werde. Weitere Unterrichtshandlungen seien das Auswendiglernen von Dialogen, lautes Vorlesen eines Textes in der Fremdsprache durch die Lerner/innen, nachdem die Lehrkraft das neue Sprachmaterial initial vorgelesen hat oder die Sicherstellung des Verständnisses auf Seiten der Lerner/innen, bevor neue Unterrichtsinhalte behandelt werden.
Dagegen seien mögliche Inhalte für zufällige Lernertypen ein Interview mit Muttersprachler/innen und dessen spätere Darstellung, das Lesen unbekannter Texte und die gleichzeitige Erschließung des neuen Vokabulars aus dem Kontext oder Diskussionen mit dem Schwerpunkt des Meinungsaustausches (vgl. Ehrman 1996:306ff; zit. n. Schulz-Wendler 2001:135f).
Hinsichtlich der Auffassung Ehrmans über einen zufälligen Lernstil sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sie diesem durchaus eine systematische Arbeitsweise attestiert. Diese sei aber so eigen, dass sie auf Außenstehende zufällig wirke (vgl. Ehrman & Leaver 2003).
Beide Stildimensionen werden im Rahmen des Motivation and Strategies Questionnaire (MSQ) bzw. dem Ehrman and Leaver Style Questionnaire erhoben. Dabei orientieren sich insbesondere die Aussagen bezüglich der Dimension sequenziell/zufällig an fremdsprachenspezifischen Strategien, was zumindest tendenziell Aussagen über einen Sprachlernstil zulässt. Schulz-Wendler (vgl. 2001:135f) merkt jedoch im Zusammenhang mit dem MSQ kritisch an, dass viele der Items doppelt belegt seien, also als Indiz für eine Ausprägung unterschiedlicher Stildimensionen gewertet würden. Dies stelle, zusätzlich zum ohnehin weit gefassten, d. h. auf die Erfassung vieler Variablen abzielenden MSQ, eine unzulässige Verquickung voneinander unabhängig zu betrachtender Faktoren dar. Zudem ergäben sich Widersprüche v. a. bei der Auslegung der Begriffe abstrakt und konkret: Aufgrund der inhaltlichen Anpassung an das Persönlichkeitsmodell von Myers und Briggs entstünden mitunter konträre Interpretationen bezüglich der Ursprungstheorie Gregorcs. Dessen Verständnis eines abstrakten Lerners würde beispielsweise die logisch begründete Stilkombination abstrakt-sequenziell einschließen, nicht - wie von Oxford postuliert – nur die Verbindung abstrakt-zufällig.
Die Validität der von Oxford und Ehrman im Rahmen ihrer jeweiligen Erhebungsinstrumente erfassten Stildimensionen abstrakt/konkret sowie sequenziell/zufällig ist vor dem Hintergrund der o. g. Kritik anzuzweifeln. Während Oxford eher allgemeine Präferenzen untersucht, vermischt Ehrman trotz der Konzentration auf einen sprachspezifischen Stil ungleiche Variablen. Infolgedessen müssen die postulierten Charakterisierungen als lediglich theoretisch herbeigeführt angesehen werden. Diesbezüglich können sie m. E. jedoch nützliche Ansätze für die Beschreibung von Arbeitsweisen im Fremdsprachenunterricht liefern.
3.2.1.2 Dunn & Dunn
Rita und Kenneth Dunn sind Begründer eines Lernstilkonzepts, das seit der Erstpublikation 1972 regelmäßige Erweiterungen sowohl hinsichtlich der zu erfassenden Stildimensionen als auch des entsprechenden Messinstrumentariums erfahren hat. Coffield et al. (2004:21) berichten von 879 wissenschaftlichen Publikationen, die sich im engeren Sinne mit dem Modell befassen. Damit gehört es zu den meist beachteten Konzepten des Forschungsgebiets und hat auch bezüglich seiner praktischen Anwendung in verschiedensten Bildungsbereichen regen Anklang gefunden. Eine intensive Vermarktung der für jegliche Altersgruppen angebotenen Erhebungsinstrumente sowie Unterrichtsmaterialien und Lernhilfen zur Effektivierung des persönlichen Lernstils wird auf der offiziellen Internetseite des von Dunn und Dunn gegründeten International Learning Styles Network (Dunn 2007) betrieben.
Das Modell[15] ist den weiten Lernstilkonzepten zuzuordnen, da es in der aktuellsten, von Rundle und Dunn (2005) entwickelten Version bis zu 26 Stildimensionen in sechs lernrelevanten Bereichen beschreibt. Diese Bereiche sind die Wahrnehmung (perceptual domain), psychologische/kognitive Aspekte (psychological domain), die Lernumgebung (environmental domain), physiologische Faktoren (physiological domain), Emotionalität (emotional domain) sowie bevorzugte Sozialformen (sociological domain).
Aufgrund der Vielzahl erfasster Variablen, deren vollständige Beschreibung den Rahmen dieses Abschnitts sprengen würde, soll im Folgenden eine tabellarische Darstellung einem Gesamtüberblick dienen, bevor vereinzelt auf fremdsprachenrelevante Dimensionen eingegangen wird:
Tab. 1: Lernstildimensionen nach Dunn & Dunn (vgl. Andrew et al. 2002)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
An dieser Stelle soll zunächst auf die Annahme eingegangen werden, Lernstile seien zumindest in Teilen von einer Präferenz für eine der beiden Gehirnhälften eines Individuums geprägt:
„The idea that the two hemispheres are characterised by different ways of dealing with information has led to speculation that individuals may favour one hemisphere over the other, and that this favouring will be reflected in differing preferred learning styles among individuals.“ (Strong Cincotta 1998:11)
Eng verbunden mit dieser Hypothese ist die Stildimension global/analytisch (global/anaylytic), die in Form verschiedener Begrifflichkeiten[16] in zahlreichen Lernstilkonzepten thematisiert wird. Dabei geht es grundsätzlich um die Frage, ob Lerner/innen an einen bestimmten Lerngegenstand eher ganzheitlich heran gehen oder sich den Gesamtzusammenhang vorzugsweise über den Weg einzelner Details erarbeiten. Da letztere Option mit analytischen Denkprozessen verbunden ist, wird davon ausgegangen, dass analytisch vorgehende Lerner/innen eine verstärkte Aktivität der linken Gehirnhälfte aufweisen, wohingegen global agierende Lernertypen die rechte Hälfte stärker beanspruchten. Hintergrund dieser Überlegungen sind meist die Arbeiten von Springer und Deutsch (1989), die der linken Gehirnhälfte u. a. sprachliche, lineare bzw. analytische Verarbeitungsprozesse zuschreiben, wobei der rechte Teil des Gehirns z. B. für visuell-räumliche, holistische Abläufe und Emotionen verantwortlich zeichne. Während der Nachweis bestimmter Zentren (z. B. für Sprache, vgl. Genesee 2000) über die Messung der Gehirnaktivität bei verschiedenen Tätigkeiten das Postulat dieser Zuständigkeiten z. T. stützt, ist man sich mehr als uneinig, inwiefern die jeweiligen Hälften tatsächlich im Zusammenhang mit Lernvorlieben intensiver gebraucht bzw. vernachlässigt werden. Diesbezügliche Mutmaßungen bleiben im Übrigen auch meist sehr oberflächlich und stützen sich vorwiegend auf den o. g. Bezug zur Stildimension global/analytisch. Ein komplexes Zusammenspiel beider Gehirnhälften bei jeglichen Tätigkeiten erscheint vielen Forscher/innen plausibler, zudem gibt es keine gesicherten Erkenntnisse hinsichtlich der Rolle der Hirnhälften bei der Bestimmung persönlichkeitsbezogener Unterschiede im Lernverhalten (vgl. Coffield et al. 2004:15). So kommen auch Lyons und Languis (1985:127) zu dem Schluss: „Applying brain behavior relationships to education is not a simple or clear-cut procedure […].”
Ebenfalls der Erfassung kognitiver Prozesse zuzurechnen ist die Dimension reflexiv/impulsiv (reflective/impulsive). Dunn und Dunn beziehen sich hierbei auf Kagan (1966), der dieses Eigenschaftskontinuum mit dem Begriff conceptual tempo zu erfassen sucht. Impulsive Lerner/innen wiesen eine schnelle und unkritische Akzeptanz von Hypothesen auf, da sie eine schnelle und oft ungenaue Arbeitsweise bevorzugten. Sie neigten daher auch mehr zu Fehlern. Demgegenüber arbeiteten reflexive Lernertypen langsam und sorgfältig. Sie bevorzugten ein systematisches, analytisches Vorgehen. Dies seien die am häufigsten beobachteten Ausprägungen, die zudem Parallelen zum Kriterium global (impulsiv) bzw. analytisch (reflexiv) zeigten. Mitunter stoße man neben diesen beiden Lernertypen auch auf Varianten, die entweder schnelles aber dennoch sorgfältiges Arbeiten vereinten (fast-accurate, dieser Typ entspricht dem Ideal i. S. der Effizienz einer Lernsituation) oder aber eine langsame Arbeitsweise mit fehlerbehafteten Ergebnissen kombinierten (slow-inaccurate, der unter der Maßgabe des Lernerfolgs schlechteste Fall, vgl. Oxford et al. 1992:442).
Hinsichtlich der Bedeutung für die Lernstilforschung sollte an dieser Stelle schließlich noch der Bereich perzeptueller Präferenzen Eingang finden, ein für Dunn und Dunn wesentlicher Faktor bezüglich des Arrangements von Lernsituationen. Sie bilden zusammen mit den kognitiven Strukturen als biologisch verhältnismäßig feste Größe die Grundlage für die Einstufung des Konzepts als konstitutionell gebunden (constitutionally based). Es handelt sich hierbei insofern nicht um ein Stilkontinuum i. o. g. S., da sich die jeweilige Ausprägung nicht auf einer Achse zwischen zwei gegensätzlichen Polen lokalisieren lässt. Vielmehr wird zwischen vier vorzugsweise visuellen, auditiven, taktilen oder kinästhetischen Lernertypen unterschieden, wobei naturgemäß alle Kanäle von allen Lerner/innen benutzt würden. Dabei werde insbesondere zwischen einem primär visuellen oder auditiven Lernstil unterschieden, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Lehrmethoden traditionellerweise wenig bis gar nicht taktil (Tasten) bzw. kinästhetisch (Bewegung) ausgerichtet seien und somit auf diese Formen der Wahrnehmung zurück greifende Lernstrategien oft kategorisch ausschieden. Visuellen Lerner/innen werde eine Affinität zu (Tafel-) Bildern, Visualisierungen jeglicher Art sowie Leseaufgaben zugeschrieben, wohingegen auditives Lernen auf Vermittlungsformen in Form von Vorträgen, Diskussionen, Aufgaben zum Hörverstehen etc. basiere.
Die von Dunn und Dunn entwickelten Instrumentarien wurden bereits aufgelistet; es handelt sich hierbei wiederum um Selbstevaluierungen, die sowohl in Papierform als auch elektronisch im Rahmen der internetbasierten Kommerzialisierung des Konzepts durchgeführt werden können.
Cassidy (vgl. 2004:436) berichtet mit Bezug auf Curry (1987) von überdurchschnittlichen Ergebnissen in Validitäts- und Reliabilitätsprüfungen. Darüber hinaus zitiert er Keefe (1982), der bemerkt, dass Modell sei besonders praxisorientiert. Coffield et al. (vgl. 2004:29ff) hingegen nennen zahlreiche Autoren (u. a. Knapp 1994; Shwery 1994), die die wissenschaftliche Fundiertheit in Frage stellen. Weiterhin halten sie zusammenfassend fest, das Konzept konzentriere sich aufgrund der angenommenen Unveränderbarkeit lernrelevanter Variablen auf die Notwendigkeit des matching, d. h. der Anpassung des Lerngegenstands und seiner Vermittlung an die Vorlieben der Lerner/innen, was der Entwicklung von Strategien außerhalb des eigenen Repertoires hinderlich sei. Positiv bemerken sie, dass das Modell die Stärken der Lerner/innen hervor hebe und den generellen Grundsatz vertrete, dass verschiedene Arten des Lernens nicht qualitativ unterschiedlich bewertet, sondern als Grundlage für individuelle, zielgerichtete Lehrformen verstanden werden sollten.
Auch für den Bezug zum Fremdsprachenlernen gilt die oben geäußerte Warnung, „that left- and right-brain differences tend to draw more attention than the research warrants at the present time.“ (Scovel 1982: zit. n. Brown 1987:89). Dennoch haben einige Forscher/innen den Versuch unternommen, einen Zusammenhang zwischen links-/rechtshemisphärischer Verarbeitung und Fremdsprachenlernen herzustellen. Krashen et al. (1974) sehen beispielsweise ihre Hypothese bestätigt, dass linkshemisphärisch dominierte Fremdsprachenlerner einen deduktiven Lehrstil bevorzugten (z. B. eine grammatische Regel auf spezifische Äußerungen anwenden), wohingegen rechtshemisphärisch dominierte Lerner/innen einen induktiven[17] Unterrichtsaufbau befürworteten (z. B. aus fremdsprachlichem Input übergreifende Prinzipien abstrahieren, ggf. auch unbewusst). Stevick (1982) arbeitet nochmals die angeführte inhaltliche Verwandtschaft zur Stildimension global/analytisch heraus (vgl. Brown 1987:89), welche wiederum durchgängig im Zusammenhang mit der Feldabhängigkeit/-unabhängigkeit abgehandelt wird. Entsprechend wird an dieser Stelle auf die Besprechung letztgenannte, von der stilbezogenen Fremdsprachenforschung in umfangreicher Weise aufgegriffene Dimension in Kap. 3.2.2.1 verwiesen.
Bezieht man das Konstrukt des reflexiven bzw. impulsiven Lernertyps auf das Erlernen fremder Sprachen, so neigen extrem reflexive Lerner/innen dazu, (schrift-) sprachliche Äußerungen im Vorfeld eingehend zu prüfen. Dagegen macht sich Impulsivität in spontanen und weniger durchdachten Beiträgen bemerkbar (vgl. Grotjahn 1998:13). Grotjahn (ebd.) fährt fort: „Bei Verstehensaufgaben bevorzugen reflexive Lerner eine Strategie des kontrollierten Hypothesenbildens, impulsive Lerner dagegen eher eine Strategie des ’wilden Ratens’“. Für einen ggf. benoteten Unterricht hat diese Beobachtung m. E. weit reichende Folgen: Es liegt nahe, dass reflexive Schüler/innen z. B. in offenen Klassengesprächen aufgrund der längeren Reaktionszeit benachteiligt sind, da sie durch schnelle Äußerungen impulsiver Lerner/innen „ausgebremst“ werden. Dem entspricht auch der Hinweis von Oxford und Ehrman, dass ein ausgebildetes Streben nach Korrektheit sprachlichen Outputs zu Sprachverwendungsangst führen könne (vgl. ebd.). Bezüglich dieser Stildimension fokussieren Oxford & Cohen (2001) im Übrigen das Fremdsprachenlernen[18], ohne dabei auf allgemeinere Vorlieben zu schließen. Unter der Überschrift How I Deal With Response Time werden die Proband/innen aufgefordert, Aussagen wie I react quickly in language situations oder I go with my instincts in the target language (impulsiv) bzw. I need to think things through before speaking or writing oder I attempt to find supporting material in my mind before I set about producing language (reflexiv) zu bewerten.
Brown (1987:91) weist darauf hin, dass Studien zur Reflexivität/Impulsivität im Zusammenhang mit Fremdsprachenlernen rar seien, verweist jedoch auf die Ergebnisse Dorons (1973), die eine langsamere, aber gleichzeitig weniger fehlerbehaftete Performanz bezüglich des Lesens unter erwachsenen Englischlerner/innen beobachten konnte. Er betont weiterhin die besondere Relevanz der Erforschung einer reflexiven/impulsiven Stilvariable für den Fremdsprachenunterricht.
Reid (1987:91) stellt fest: „There is no published research that describes the perceptual learning style preferences of NNSs [nonnative speakers; d. Verf.]“. Sie nimmt dieses Defizit zum Anlass, eine umfassende Studie mit 1388 in den USA lebenden Englischlerner/innen durchzuführen, mit dem Ziel, repräsentative Aussagen über die für das Lernen als bedeutsam erachteten perzeptuellen Modi (visuell, auditiv, kinästhetisch, taktil) treffen zu können. Darüber hinaus erhebt sie Vorlieben für die Arbeitsformen des Individual- bzw. Gruppenlernens, auf deren Darstellung jedoch an dieser Stelle verzichtet wird. Die interessantesten Ergebnisse werden im Folgenden vorgestellt:
Reid (1987:92ff) berichtet von der generellen Beobachtung, dass die untersuchten Personen eine starke Präferenz für kinästhetische und taktile Lernstile aufwiesen. Dies wirkt geradezu verblüffend, rekapituliert man die von Dunn und Dunn als dominant vermuteten visuellen bzw. auditiven Wahrnehmungsvorlieben, denen im Unterricht gemeinhin auch in stärkerem Maße entsprochen werde.
Gleichermaßen bemerkenswert sind Erkenntnisse hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen bevorzugtem Modus und der zum Zeitpunkt der Untersuchung verbrachten Zeit in den Vereinigten Staaten: Je länger die Lerner/innen in den USA lebten, desto auditiver sei ihr Lernstil. Diejenigen, die schon länger als drei Jahre dort gelebt hätten, seien sogar signifikant auditiver als deren Kommiliton/innen, die erst seit kürzerer Zeit in den USA lebten. Reid wartet mit zwei Interpretationsversuchen auf: Zum einen bestehe die Möglichkeit, dass Lerner/innen sich mit auditivem Sprachmaterial wohler fühlten, sobald sie von einer fremdsprachlichen in eine zweitsprachliche Umgebung wechselten, obwohl sie tatsächlich weiterhin andere Modi bevorzugten. Eine alternative Erklärung sei, dass sich der Lernstil eben jener Lerner/innen mit zunehmender Dauer des Aufenthaltes verändere, sie also einen auditiven Stil erst entwickelten. Eine solche Deutung hätte grundlegende Folgen für das Dimensionsverständnis von Dunn und Dunn, da sie v. a. die Präferenz für Wahrnehmungsmodi als vornehmlich genetisch fixiert und somit unveränderbar betrachten.
Auch Oxford berücksichtigt vor dem Hintergrund Reids Studie perzeptuelle Lernstile und eröffnet ihr SAS mit dem Teilbereich How I Use My Physical Senses. Sie fasst jedoch taktile und kinästhetische Lerner/innen unter dem Sammelbegriff hands-on students zusammen (vgl. Oxford & Anderson 1995:209).
Abschließend ist festzuhalten, dass das verhältnismäßig breit angelegte und aus diesem Grund kritisch bewertete Lernstilkonzept von Dunn und Dunn für die Fremdsprachenforschung nur bedingt interessant ist. In Bezug auf Vorlieben im Bereich Lernumgebung beispielsweise hält Schulz-Wendler (2001:23) zu Recht fest:
„Ob jemand beim Lernen gerne Musik hört, gedämpftes Licht bzw. niedrige Raumtemperaturen bevorzugt und eine Tafel Schokolade in Reichweite benötigt, dürfte zweifellos keine Frage des Lernstils im Sinne einer Disposition mehr sein.“
Wertvolle Ansätze für das Sprachenlernen hingegen bieten theoretisch begründete Einflüsse der Reflexivität/Impulsivität sowie in begrenztem Maße die Frage nach unterschiedlichen Zuständigkeiten der beiden Gehirnhälften. Diesbezüglich besteht jedoch ein erhöhter Bedarf an empirischer Forschungsarbeit.
Auch die Beschreibung von Präferenzen bezüglich der Sinneswahrnehmung beim Lernen wurde von der Fremdsprachenforschung aufgegriffen, eine Unterscheidung in visuelle, auditive und taktil-kinästhetische Lerner/innen wird jedoch zunehmend zugunsten der bipolaren – und somit den Konstruktanforderungen einer Lernstildimension eher entsprechenden – Differenzierung verbal/visuell[19] aufgegeben.
3.2.2 Lernstile beruhen auf den kognitiven Strukturen eines Individuums
Stilkonzepte dieser Gruppe rücken die eingangs besprochene kognitive Komponente menschlicher Lernprozesse in den Mittelpunkt. Dabei werden diese übersituativ wirksamen Denkstrukturen als tief in der Persönlichkeit verwurzelt betrachtet, was die Position dieser Konzeptfamilie innerhalb des auf die konjizierte Stabilität der betrachteten Variablen bezogenen Kontinuums begründet.
Konstrukte dieses Interessenbereichs stehen häufig im Verdacht, nicht kognitive (Lern-) Stile, sondern Fähigkeiten zu erfassen, was nicht zuletzt mit den gewählten Instrumentarien zusammen hängt. Folgendes Zitat von Guilford (1980:716) greift noch einmal das wesentliche Unterscheidungskriterium zwischen Stil und Fähigkeit auf, bevor das für die lernstilbezogene Fremdsprachenforschung durchaus bedeutsame Konzept von Witkin näher vorgestellt wird:
„Abilities are unipolar traits while styles are bipolar. Abilities are narrower in scope. Abilities are measured in terms of level of performance, where styles are measured by degree of some manner of performance.“
3.2.2.1 Witkin
Das von Herman Witkin entwickelte Stilkonstrukt der Feldabhängigkeit/-unabhängigkeit (field-dependency/-independency, i. F. FU/A) unterscheidet sich von anderen hier besprochenen Lernstilkonzepten in vielerlei Hinsicht: Zunächst ist es – wie in Abschnitt 2.1 bereits angedeutet – bezüglich seines ursprünglichen Interesses nicht in der Lernstil-, sondern in der Kognitionsforschung verwurzelt. Es ist somit Repräsentant der eingangs skizzierten Erforschung kognitiver Stile und gewann hinsichtlich des konkreten Bezugs auf Lernprozesse erst im Rahmen seiner Adaption für verschiedene Bildungsbereiche an Bedeutung. Potenzielle Implikationen der FU/A für das Lernen wurden zudem von Witkin, Moore, Goodenough und Cox (1977) thematisiert, rund 30 Jahre nach Beginn der Forschungsarbeit. Der vergleichsweise frühe Ursprung dieser Stildimension Ende der vierziger Jahre stellt somit eine weitere Besonderheit dar.
Darüber hinaus basiert die Operationalisierung mittels des Group-Embedded-Figures Test (GEFT) nicht auf selbstevaluativen Fragebögen, wie es bezüglich der meisten anderen Konzepte der Fall ist, sondern testet die Fähigkeit, schlichte geometrische Formen innerhalb unübersichtlicherer Muster zu erkennen[20]. Diese Tatsache beschert dem Konzept bis heute die Kritik, es beschränke sich auf die Messung kognitiver Fähigkeiten und leiste somit keinen Beitrag zur Stilforschung. Während manche Forscher/innen dies zum Anlass nehmen, die FU/A als stilprägendes Kriterium gänzlich abzulehnen, versuchen andere, den mit dem GEFT verbundenen Schwächen mit Alernativinstrumentarien beizukommen. So auch Vertreter der Fremdsprachenforschung, für welche die FU/A mitunter wertvolle konzeptuelle Ideen bereithält.
Im Wesentlichen beschreibt die FU/A die Neigung eines Individuums, sich bei der Wahrnehmung von äußeren Faktoren beeinflussen zu lassen. Bezogen auf die Stilforschung wird sie mit einer generellen Vorliebe für das Lernen in Isolation (FUA) einerseits, bzw. in einer Gemeinschaft (FA) andererseits in Verbindung gebracht. Feldunabhängige Lerner/innen werden als intrinsisch motiviert, selbstgesteuert und strukturiert charakterisiert. Zudem seien sie dazu in der Lage, sich bewusst für eine passende Lernstrategie zu entscheiden. Demgegenüber seien feldabhängige Lernertypen extrinsisch motiviert und bevorzugten klare Anweisungen der Lehrkraft. Sie hätten weiterhin das Bedürfnis, sich mit anderen Lerner/innen auszutauschen (vgl. Cassidy 2004:425f).
Hieraus ergeben sich hinsichtlich der FUA Stärken im Bereich der kognitiven Prozesse und damit einhergehend Lernvorteile einerseits sowie Schwächen im sozialen Umgang mit Mitmenschen andererseits. FA weist entsprechend konträre Ausprägungen auf, ein Umstand, dem Schulz-Wendler (2001:45) essentielle Bedeutsamkeit beimisst:
„Erst durch eine solche Zusammenstellung positiver kognitiver und negativer sozialer Eigenschaften (FUA) bzw. nachteiliger kognitiver und wünschenswerter sozialer Eigenschaften (FA) wird eine Wertneutralität beider Pole erreicht.“
Für die Betrachtung des FU/A-Konstrukts im Zusammenhang mit dem Fremdsprachenlernen sollte an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen werden, dass es sich bei der Beschäftigung mit dieser Dimension nicht um eine reine Einordnung von Lerner/innen als feldabhängig bzw. -unabhängig handelt, sondern abermals verschiedene Ausprägungsgrade innerhalb eines Kontinuums angenommen werden. Hierbei entspricht eine mittige, d. h. polferne Position für die von Witkin formulierte mobility, also die Möglichkeit, situationsadäquate Lernstrategien zu wählen. Auch Little und Singleton (1990:12) warnen vor einem ausschließlich dichotomen Gebrauch des Konstrukts:
„[...] it is unwise to assume that learners are (for example) either field dependent or field independent, and that the cognitive style which is thus characterized is innate, unchanging and unchangeable.“
Dennoch sieht sich das Konzept mitunter deutlicher Kritik ausgesetzt, hinsichtlich derer die Validität des GEFT angezweifelt wird, mit dem Hinweis, dieser messe ausschließlich die FUA. Ein Testwert von 11 und weniger spreche also nicht für FA, sondern vielmehr für geringe FUA, was nicht gleichzusetzen sei (vgl. Chapelle & Green 1992).
Die mit der FU/A assoziierten kognitiven Stile wurden von der Fremdsprachenforschung in umfangreicher Weise aufgegriffen, wobei den jeweiligen Ausprägungen wiederholt die folgenden bereichsspezifischen Neigungen zugeordnet wurden: Feldabhängige Lerner/innen tendierten aufgrund ihrer zwischenmenschlichen Orientierung zu Kontaktfreudigkeit und ließen sich infolgedessen vergleichsweise gern auf fremdsprachliche Kommunikationsanlässe ein. Dies führe zu größerer kommunikativer Kompetenz, Gesprächsfindigkeit sowie Verhandlungsgeschick. Aus Feldunabhängigkeit hingegen resultierten vor dem Hintergrund der implizierten Analyse- und Restrukturierungsfähigkeit eine höhere Erfolgsrate hinsichtlich formalsprachlicher Aspekte sowie eine gesteigerte Resistenz gegenüber Fossilisation (vgl. Skehan 1989:111f). Schon Brown (1987:86) bemerkt, dass „[w]hile no one seems to deny the plausibility of this [...] hypothesis, little evidence has been gathered to support it.“. In ihrer Auswertung zahlreicher Studien, die sich mit vorstehender Hypothese befassen, findet auch Schulz-Wendler (2001:50f) nur eine Arbeit (Abraham & Vann 1987), die eine Überlegenheit feldabhängiger Lerner/innen bezüglich kommunikativer Fertigkeiten bestätigt. Generell liefere der Großteil der Studien jedoch lediglich Belege für ein besseres Abschneiden feldunabhängiger Fremdsprachenlerner/innen bezüglich formalsprachlicher Strukturen wie z. B. grammatische Regelkenntnisse. Zudem gebe es vereinzelt auch Hinweise darauf, dass diese Lernertypen darüber hinaus auch auf kommunikativer Ebene überlegen seien.
Oxford und Anderson (1995:205) berichten mit Bezug auf Abraham (1985) von einer Neigung feldunabhängiger Lerner/innen zu regelorientierten Lehrmethoden, wohingegen diese von Feldabhängigen gemieden würden. Sie kommen zu dem sich schon oben andeutenden Schluss, dass vor dem Hintergrund der Arbeiten von Day (1984), Chapelle und Roberts (1986) und Hansen und Stansfield (1981, 1982) festzuhalten sei, dass es klare Hinweise auf größere grammatische Korrektheit bei feldunabhängigen Menschen gebe, dass jedoch die Erwartung, feldabhängige Lerner/innen schnitten im Zusammenhang mit kommunikativen Aufgaben durchgängig besser ab, nicht bestätigt werden könne (ebd.).
Dem Ausgangskonstrukt von Witkin haftet der o. g. Mangel an, dass der GEFT nur eine Hälfte des vermuteten Kontinuums erfasst, nämlich die FU. Die mit der FA verbundenen Qualitäten bezüglich des Lernens hingegen werden nur hypothetisiert. Ehrman begegnet dieser Schwäche mit der Konstruktion einer zusätzlichen Dimension: Sie unterscheidet neben der FU, deren Gegenpol bei ihr die Abwesenheit von FU (weiterhin unter der Bezeichnung FA) darstellt, zusätzlich zwischen Feldempfänglichkeit (field sensitivity) und der ihr gegensätzlichen Feldunempfänglichkeit (field insensitivity). Feldunabhängigkeit versteht sie als Präferenz, einzelne Informationen aus ihrem Kontext herauszulösen. Sie benutzt in diesem Zusammenhang das Bild eines Scheinwerfers (spotlight), der lediglich ein kleines Detail einer Sache beleuchtet. Dagegen sei eine feldempfängliche Arbeitsweise mit einem Flutlicht (floodlight) zu vergleichen, das einen bestimmten Lerngegenstand als Ganzes erhelle und ihn infolgedessen auch in einen Kontext einordnen könne. Alle Ausprägungen seien miteinander kombinierbar, allerdings vereinten die besten Fremdsprachenlerner meist Feldunabhängigkeit und Feldempfänglichkeit (vgl. Ehrman 1999:52).
Schon die Verwendung des Ausdrucks the best language learners deutet jedoch auf die Unbrauchbarkeit Ehrmans Begriffsverständnisses hinsichtlich der stilbezogenen Fremdsprachenforschung hin. Wurde schon beim Bezug auf Witkins Auffassung der FU/A eine Wertneutralität stark bezweifelt, so zeigt sich hier deutlich, dass Ehrman Fähigkeiten beschreibt:
„Weder Feldunabhängigkeit noch Feldempfänglichkeit haben einen adäquaten Gegenpol, da sich Feldabhängigkeit und Feldunempfänglichkeit ausschließlich durch Defizite auszeichnen. Ehrman hat die Feldunabhängigkeit/Feldabhängigkeit damit endgültig von einem Präferenz- in ein Kompetenzmodell überführt.“ (Schulz-Wendler 2001:53)
Schließlich soll noch der Ansatz Oxfords Erwähnung finden, die die in Kap. 3.2.1.2 angedeutete Korrelation zwischen FU/A und der von Dunn und Dunn postulierten Stildimension global/analytisch in einen fremdsprachenspezifischen Zusammenhang bringt. Sie umgeht die konstruktinhärente Schwäche, dass sich FU/A nicht gleichwertig in Form eines Kontinuums darstellen lassen, indem sie deren ursprünglichen inhaltlichen Schwerpunkt, die Fähigkeit, einzelne Teile aus einem Gesamtzusammenhang herauslösen zu können (FU), dem analytischen Lernertyp zuordnet, gleichzeitig jedoch die Tendenz zu holistischem Lernen wertschätzt, die dem globalen Lernertyp entspreche (vgl. Oxford & Anderson 1995:204). Die den jeweiligen Ausprägungen zugeschriebenen Merkmale decken sich weitestgehend mit der einleitend mit Bezug auf Skehan vorgestellten Hypothese, können allerdings aufgrund des kontextübergreifend angelegten SAS-Teilbereichs How I Receive Information auch nicht nennenswert belegt werden, d. h. spezifische Sprachlernstile beschreiben.
Diesbezüglich muss auch hier abschließend bemerkt werden, dass es an validen Instrumentarien zur Erfassung fremdsprachenspezifischer Lernstile fehlt. Die theoriegeleitete Übertragung der stilrelevanten Stärken des FU/A-Konstrukts auf die umfassendere Dimension global/analytisch scheint jedoch insbesondere vor dem Hintergrund einer Forderung nach inhaltlicher Verdichtung sinnvoll.
3.2.2.2 Riding
Neben der bedeutsamen Stildimension FU/A birgt ein weiteres Modell dieser Konzeptfamilie inhaltliche Substanz für stilbezogene Fremdsprachenforschung. Dabei handelt es sich um ein von Riding und Rayner (1998) publiziertes zweidimensionales Schema, das die Organisationsform neuer Informationen mit dem Stilkontinuum holistisch/analytisch sowie die Repräsentationsform als verbal/visuell beschreibt. Erstere Dimension gründet dabei auf der Idee einer schon o. g. vorzugsweise ganzheitlichen bzw. in seine einzelnen Bestandteile zergliedernden Organisierung zu verarbeitender Sachverhalte. Riding (Riding & Buckle 1990) selbst nennt Witkins FU/A-Konzeption als primäre Quelle der Dimension holistisch/analytisch. Entsprechend soll das Augenmerk hier auf Ridings Unterscheidung hinsichtlich der perzeptuellen Repräsentation neuer Informationen gerichtet werden. Ausgangspunkt der Überlegung, diese würden auf zwei verschiedene Arten, nämlich verbal und/oder visuell chiffriert, ist Paivios Dual Coding Theory (1990). Danach werden eingehende Informationen über zwei voneinander unabhängige Kanäle sprachlich bzw. bildlich codiert und somit in Wissen umgewandelt, das daraufhin für den späteren Gebrauch im Gedächtnis gespeichert wird. Riding geht also davon aus, Lerner/innen codierten Informationen vorwiegend auf die eine oder die andere Weise, wobei Mischtypen wiederum keine besondere Präferenz aufwiesen.
Ähnlich dem zweidimensionalen Modell Gregorcs (siehe Kap. 3.2.1.1.) ergeben sich durch die unterschiedlichen Kombinationen der vier Achsenendpunkte vier Lernstile, welche wiederum auf einer eigenen Achse dargestellt werden können, da Zusammenhänge zwischen den Ausprägungen holistisch/visuell bzw. analytisch/verbal unterstellt werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.4: Die Analyse-Holismus Achse nach Riding (Schulz-Wendler 2001:64)
Die Abbildung veranschaulicht, dass die zur Mitte tendierenden Lernstile jeweils sich ergänzende Ausprägungen vereinen, d. h. situativ flexible Strategieausrichtungen zulassen.
Riding hat ein computerbasiertes Testverfahren mit dem Titel Cognitive Style Analysis (CSA) entwickelt. Bezüglich der Variable holistisch/analytisch verwendet Riding ein dem GEFT ähnliches Verfahren, wobei er dessen Defizite durch die Hinzunahme einer auf Holismus (Feldabhängigkeit) abzielenden Aufgabe auszugleichen versucht. Ob Lerner/innen Informationen vorzugsweise visuell oder verbal verschlüsseln, wird anhand der Zuordnung abstrakter (Verbalismus) bzw. konkreter (Visualismus) Begriffe bestimmt. Hinsichtlich beider Dimensionen ist die Reaktionszeit der entscheidende Faktor bei der Zuordnung einer starken oder mäßigen Ausprägung. Auf eine detaillierte Darstellung des CSA wird an dieser Stelle verzichtet, Schulz-Wendlers (2001:66) Bewertung, dass „angesichts der schriftlich-verbalen Itemrepräsentation [...] jedoch eine grundsätzliche Benachteiligung der visuell orientierten Versuchspersonen anzunehmen“ sei, offenbart allerdings eine Schwäche, die Ridings Lernstilkonzept in ein ähnlich zwiespältiges Licht rückt wie Witkins FU/A-Konstrukt: Als theoretischer Beitrag zur Stilforschung stößt das Modell auf Akzeptanz. Bezüglich seiner Operationalisierung hingegen besteht Nachholbedarf. So verwundert es auch nicht, dass Coffield et al. (2004:41f) mit Bezug auf Peterson et al. (2003) und Redmond et al. (2002) von negativen Reliabilitätsprüfungen berichten, welche eine genauere Evaluation zahlreicher Untersuchungen zur Validität unmöglich machten.
Nichtsdestotrotz findet insbesondere die Unterscheidung in visuelle und verbale Repräsentationsmuster neben der schon besprochenen Komponente holistischer und analytischer Verarbeitungsprozesse Beachtung in der mit fremdsprachenrelevanten Stilfaktoren befassten Forschungsliteratur.
Dabei gilt diese Dimension oft als die für das Fremdsprachenlernen bedeutungsvollere Alternative zur unter 3.2.1.2 besprochenen Fächerung in visuelle, auditive sowie taktil-kinästhetische Lernertypen. Felder (1995:23) äußert die Vermutung, dass die Gruppe der taktilen, gustatorischen und olfaktorischen Einflüsse im Zusammenhang mit Fremdsprachenunterricht bestenfalls eine marginale Rolle spiele und bemängelt die ohnehin unzulängliche Einordnung eines kinästhetischen Lernzugangs in eine auf den bevorzugten Gebrauch der menschlichen Sinne fokussierten Stilkategorie, mit dem Hinweis, eine Präferenz für wie auch immer geartete körperliche Aktivität müsse korrekterweise entweder im Rahmen der Stildimension aktiv/reflektiv (vgl. 3.2.4) oder extravertiert/introvertiert (vgl. 3.2.3.) untersucht werden.
Nach Ausschluss einer erwähnenswerten Relevanz des taktil-kinästhetischen Zugangs zu fremdsprachlichem Material sollte noch die Bevorzugung der dieser Dimension zugrunde liegenden Auslegung der Begriffe visuell und verbal gegenüber der Differenzierung in visuell und auditiv näher bestimmt werden: Diese „has to do with whether reading prose is more closely related to seeing pictures (which leads to the visual-auditory contrast) or to hearing speech (visual-verbal).“ (ebd.). Neben dem offensichtlich perspektivisch ungleichen Ansatz der Betrachtung der sensorischen Informations aufnahme einerseits sowie der Informations repräsentation andererseits, bezieht sich verbal also sowohl auf geschriebene als auch auf gesprochene Sprache, während der Ausdruck visuell tatsächlich nur Bilder i. S. der Erfassung von Formen, Farben, Mustern etc. einschließt.
Hieraus ergibt sich eine für den stilorientierten Fremdsprachenunterricht u. U. entscheidende Konsequenz: Schenkt man Dales viel beachtetem Cone of Learning (1969) Glauben, so entnehmen und speichern Menschen mehr Informationen bei visueller Präsentation, als im Zusammenhang mit sprachlichen Darbietungsarten (Hören und Lesen). Eine weiter führende Implikation Dales Theorie ist die unbedingte Verbesserung der Informationsaufnahme bei kombinierter visuell-verbaler Stoffvermittlung[21]. Wenn man nun dem unter 3.2.1.2, u. a. von Reid, Oxford und Ehrman vertretenen Ansatz folgt, der die Schriftsprache einem visuellen Lernzugang zuordnet, so wäre der Forderung nach sowohl sprachlich als auch bildlich präsentiertem Unterrichtsmaterial nachgekommen, wenn die Lehrkraft beispielsweise eine listening comprehension mit einer reading comprehension verknüpfte. Interpretiert man allerdings Schriftsprache als verbales Medium, so verbliebe die Unterrichtsstunde im vorstehenden Beispiel auf rein verbaler Ebene[22]. Demzufolge könnte Fremdsprachenunterricht nur dann beide Repräsentationsarten bedienen, wenn die visuelle Darstellung z. B. in Form einer Bildergeschichte oder die Einführung neuer Vokabeln ergänzend mit Skizzen erfolgt.
Der zuvor referierten un bedingten verbesserten Informationsbearbeitung ist jedoch der im Zusammenhang mit Lernstilen von Leutner und Plass (1998) aufgegriffene cognitive load effect entgegenzuhalten, hinsichtlich dessen eine Verbesserung infolge verbal-visuell gekoppelter Informationen nur bedingt stattfinden wird, nämlich dann, wenn Lerner/innen bei Überbelastung – d. h. sowohl situativ i. S. von Stress als auch hinsichtlich der Informationsmenge – auf die ihnen ggf. immanente Präferenz für deutlich visuell- oder verbal-dominierte Verarbeitung ausweichen können (vgl. Schulz-Wendler 2001:71ff). Leutner und Plass sind auch die einzigen, die sich unter der oben ausdifferenzierten Maßgabe einer verbal/visuell-definierten Stildimension empirisch mit dem Fremdsprachenlernen auseinandersetzen. Ihre Studie, die eine Existenz verbaler und visueller Repräsentationsmuster i. S. eines übersituativen Stils durchaus stützt, beschränkt sich jedoch auf den spezifischen Bereich des computergestützten Fremdsprachenunterrichts, infolgedessen die Bedeutung der Erkenntnisse für klassische Unterrichtsumgebungen nur vermutet werden kann.
Darüber hinaus ist der Versuch Kinsellas (1995) erwähnenswert, den oben deutlich gewordenen konzeptuellen Verwirrungen bezüglich der Begriffe verbal und visuell Herr zu werden, indem sie, zusätzlich zur Beibehaltung der auditiven Ebene, visuelle Lerner/innen in visuell-verbal und visuell-nonverbal unterteilt. Erstere tendierten dabei eher zur Informationsaufnahme über Schriftsprache, wohingegen der Terminus visuell-nonverbal die Bevorzugung von Bildersprache beschreibe (vgl. Lee 2000:49).
Ridings Deutung der Stilvariable holistisch/analytisch weist große Parallelen zur oben besprochenen Dimension global/analytisch bzw. feldabhängig/feldunabhängig auf. Insofern bietet sie für den Fremdsprachenunterricht das genannte, theoretisch einleuchtend erscheinende Differenzierungspotenzial in kommunikationsorientierte Lerner/innen einerseits (holistisch) sowie logisch agierende, regelorientierte Lernertypen andererseits (analytisch).
Die Übertragung der kognitionstheoretisch verwurzelten Unterscheidung mentaler Repräsentationsformen in verbal und visuell auf die Lernstilforschung hält darüber hinaus einen brauchbaren Gegenentwurf zur lückenhaften, u. a. nicht bipolar konstruierten Einteilung in sinnbezogene Wahrnehmungsmodi bereit. Insbesondere vor dem Hintergrund des dem Fremdsprachenunterricht naturgemäß immanenten Schwerpunkts verbal dominierter Inhalte birgt diese, m. E. präziser bestimmte Einflussgröße wertvolles Vokabular zur Beschreibung fremdsprachenspezifischer Lernvorlieben.
3.2.3 Lernstile sind Teil eines relativ stabilen Persönlichkeitstypus – Der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI)
Die dritte und bezüglich ihrer Position innerhalb des Stabilitätskontinuums neutralste Konzeptfamilie betrachtet Lernstile im Rahmen grundlegender Persönlichkeitsmerkmale von Individuen. Das primäre Interesse der Forscher/innen dieser Gruppe liegt nicht vorwiegend auf der Beschreibung lernrelevanter Faktoren, sondern der Zusammenstellung komplexer Persönlichkeitsprofile. Insbesondere das im Zusammenhang mit dieser Kategorie einflussreichste Modell von Briggs und Myers-Briggs bietet der Lernstilforschung[23] allerdings ein sowohl theoretisch reizvolles als auch praktikables Ideenkonstrukt.
Die inhaltliche Grundlage für den von Katherine Briggs und ihrer Tochter Isabel Myers-Briggs 1962 veröffentlichten Typenindikator lieferte der Begründer der analytischen Psychologie, Carl Gustav Jung. Er beschrieb dichotom angelegte, von der Persönlichkeit eines Menschen bestimmte Attribute und Funktionen, welche, miteinander kombiniert, Psychologische Typen erkennen ließen. Diesen Ansatz aufgreifend, ergänzen Briggs und Myers-Briggs das Typenmodell um eine weitere Variable und unterscheiden auf der Grundlage von vier Dimensionen zwischen 16 verschiedenen Persönlichkeitstypen. Im Folgenden soll eine knappe Darstellung der vier typprägenden Begriffspaare ein für die spätere Übertragung des Konzepts auf den Fremdsprachenunterricht grundlegendes Verständnis ermöglichen.
1. Extraversion/Introversion (Extraversion/Introversion)
Hinsichtlich der Grundhaltung eines Individuums werden extravertierte[24] und introvertierte Persönlichkeiten unterschieden. Dabei beziehen sich diese Begriffe weniger auf alltagssprachliche Assoziationen wie Schüchternheit, Schweigsamkeit etc. (introvertiert) bzw. Geselligkeit, Impulsivität etc. (extrovertiert), sondern auf den „Schwerpunkt der Aufmerksamkeit“ (Vollmer 1999:131): Dieser liege bei extravertierten eher „außen, auf Menschen und Gegenstände[n; d. Verf.], bei introvertierten eher innen, auf Ideen und Gedanken [...].“ (ebd.).
[...]
[1] Mit Bezug auf Schulz-Wendler (2001) wird der Begriff Fremdsprachenforschung in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an Grotjahn (1999) als Sammelbegriff für Sprachlehr-/Sprachlernforschung, Fremd-/Zweitsprachenerwerbsforschung sowie Fremdsprachendidaktik verwendet.
[2] Der Begriff distaler Reiz wurde von dem Natur-Philosophen Gustav Theodor Fechner geprägt und „beschreibt in der Psychologie ein Objekt, von dem eine physikalisch messbare Größe (Gewicht, Licht, Wärme, Geruch, etc.) ausgeht, welche mit Hilfe der Sinne aufgenommen und in der Wahrnehmung verarbeitet werden kann.“ (Def. nach Life Science Lexicon, Knecht 2007).
[3] Das ATI-Konzept (Aptitude-Treatment Interaction) postuliert einen direkten Zusammenhang zwischen Lehrmethode (Treatment) und Neigung bzw. Befähigung (Aptitude) eines Lerners. Entsprechend seien optimale Lernergebnisse nur mittels einer auf die spezifischen Voraussetzungen des Lerners ausgerichteten Methode zu erreichen. (vgl. Cronbach & Snow, 1977).
[4] vgl. z. B. Pask (1976) oder Oxford & Ehrman (1990).
[5] eine ausführliche Diskussion hierzu ist Inhalt des Kap. 2.4.
[6] die Strategie ist also für einen sehr kleinen Einsatzbereich besonders effizient, kann aber ggf. zu Vereinseitigung und im weiteren Verlauf zu Unflexibilität im Strategiegebrauch führen.
[7] Beispielhafte Stildimension nach Myers-Briggs (1962).
[8] Im Zusammenhang mit Kolbs LSI wird diesbezüglich der Begriff Learning Style Type verwendet (Cromwell & Manfredo; zit. nach Schulz-Wendler 2001:111).
[9] Beispielhafte Lernstile nach Gregorc (1982).
[10] Zur terminologischen Abgrenzung zwischen Fremd- und Zweitsprache vgl. z. B. Brown (1987).
[11] vgl. hierzu Kap. 2.1.
[12] vgl. exemplarisch Riding & Rayner 1997; Cassidy 2004.
[13] Coffield et al. beziehen sich u. a. auf Curry (1991), Entwistle (2002) Claxton & Ralston (1978), De Bello (1990) und Riding & Cheema (1991).
[14] Das Akronym VAKT bezieht sich auf die Wahrnehmungsmodi V isuell, A uditiv, K inästhetisch und T aktil.
[15] An dieser Stelle wird auf das Building Exellence -Instrumentarium (BE) Bezug genommen, welches für die Lernstilerhebung von Erwachsenen entwickelt wurde. Weitere, ebenso wie das BE auf dem ursprünglichen Learning Styles Inventory (LSI, Dunn,Dunn & Price 1992) basierende Instrumentarien sind verschiedenen Altersgruppen angepasst: LIVES (14-18 Jahre), LSCY (10-13), ELSA (7-9), OPALS (3-6).
[16] Pask & Scott (1972) verwenden z. B. die Begriffe wholist/serialist, Allinson & Hayes (1996) unterscheiden zwischen intuitive und analytic. Witkins (1954) field-dependence/field-independence widmet sich ebenfalls dieser Stidimension. Eine Übersicht zur Dimension holistisch/analytisch sowie verwandter Konstrukte findet sich bei Riding & Rayner (1998).
[17] Zur Stildimension deduktiv/induktiv vgl. auch Kap. 3.2.6.2.
[18] Oxford & Cohen (2001) veröffentlichten das Learning Style Survey for Young Learners, das zu großen Teilen auf Oxfords SAS basiert.
[19] Zur Stildimension verbal/visuell vgl. auch Kap. 3.2.2.2.
[20] Dabei wird die Reaktionszeit einer Punkteskala von 0-18 zugeordnet. 11 Punkte und weniger werden als Indiz für FA gewertet. 12 Punkte und mehr legen ein feldunabhängiges Lernverhalten nahe (vgl. Garton et al. 2000:517).
[21] Dieser Zusammenhang ist auch bekannt unter dem Ausdruck contiguity effect. Vgl. hierzu Mayer 1997.
[22] Ungeachtet der Tatsache, dass die als visuell repräsentiert angenommene reading comprehension ohnehin die nach Dale wirkungsschwächste Informationsaufnahme des Lesens verkörpert.
[23] Obwohl das Hauptaugenmerk auf der allgemeineren Beschreibung von Persönlichkeitstypen liegt, äußert Meyers-Briggs ausdrücklich, dass der MBTI gleichermaßen ein Hilfsmittel für Lerner/innen sein soll (Di Tiberio 1996; zit. n. Coffield et al. 2004:48).
[24] Die Begriffe Extraversion und Extroversion werden in der mit dem MBTI befasstenLiteratur teilweise synonym verwendet. Der Autor dieser Arbeit verwendet Extraversion, um auf das wissenschaftliche Konstrukt Bezug zu nehmen sowie Extroversion bezüglich des alltagssprachlichen Gebrauchs.
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