"Dem Menschen, der Nahrung zu sich nimmt, kann es nicht gut gehen,
wenn er nicht gleichzeitig seinen Körper durch sportliche Ertüchtigung beansprucht.“
(Hippokrates von Kós, 460-370 v. Chr.)
„Essen ist ständig um uns herum: auf der Straße, im Fernsehen, bei unseren Freizeitaktivitäten – überall ist es ein Thema. Eigentlich kein Problem, solange sich Essen und Bewegung die Waage halten. Da wir uns aber immer weniger bewegen und mehr essen, entsteht ein Ungleichgewicht.“
(Bundesverbraucherministerin Renate Künast, Mai 2004)
Als die Bundesregierung am 09.05.2007 Fit statt fett, den viel beachteten 5-Punkte-Plan gegen Fettleibigkeit, vorlegte, ging es um eine Thematik, die seit Hippokrates - seit 2500 Jahren also - die Fachwelt beschäftigt.
Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass die Regierungskoalition auf eine gesundheitliche Entwicklung reagieren musste, die es vor 20 Jahren noch nicht gab: Rund 2 Drittel der Männer und 53% der Frauen in Deutschland gelten als zu dick. Es sind aber auch schon 15 % der 3 bis 17 Jahre alten Kinder übergewichtig, 6,3 % sogar fettleibig. Im Vergleich mit den Jahren 1985 bis 1999 hat der Anteil der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen laut einer Studie des Robert Koch Instituts aus dem Jahre 2006 um die Hälfte zugenommen. Bei Fettleibigkeit registrierte man sogar eine Verdoppelung. (Vgl. JOURNAL MED, 2007)
Da mit dieser rasanten Entwicklung jährlich viele Milliarden Euro an Kosten verbunden sind, muss nun ein Nationaler Aktionsplan her, mit dem die Bundesregierung bis zum Jahr 2020 das Übergewicht der Deutschen bekämpfen will. Denn man ist vor allem zu der Erkenntnis gelangt, dass „in unserer Gesellschaft zu wenig Bewegung im Alltag stattfindet“ (SZ, 2007b). (Vgl. SZ, 2007b)
Verbraucherminister Seehofer und Gesundheitsministerin Schmidt schlagen vor, neben einem Schulfach Ernährung eine Mindestanzahl von 3 Sportstunden an Schulen festzulegen. Für Ganztagsschulen ist mittelfristiges Ziel sogar die tägliche Sportstunde. Außerdem sollen finanziell schlechter gestellte Familien bei der Deckung von Vereinskosten staatliche Unterstützung erhalten.
Bedauerlicherweise handelt es sich bei diesem Programm nicht um gesetzlich verankerte Maßnahmen, sondern lediglich um Vorschläge. (Vgl. TAGESSCHAU, 2007b)
Auf dem Hintergrund dieser aktuellen politischen Vorgänge dürfte es also lohnenswert sein, sich eingehend mit der Frage zu befassen:
Welche Möglichkeiten und welche Grenzen hat Sport bei Adipositas?
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2. Ausprägungsformen überdurchschnittlich hohen Gewichts
2.1. Methoden zur Bestimmung des Körperfettanteils
2.1.1 Direkte Messmethoden
2.1.2. Indirekte Messmethoden
2.1.2.1 Body-Mass-Index
3 Epidemiologie und Prävalenz von Übergewicht und Adipositas
4. Ätiologie der Adipositas
4.1. Ernährung und Adipositas (Alimentäre Adipositas)
4.1.1 Der Energieverbrauch
4.1.1.1 Grundumsatz
4.1.1.2 Nahrungsbedingte Thermogenese
4.1.1.3 Aktivitätsbedingte Thermogenese
4.1.2 Regulation von Appetit und Sättigung
4.1.3 Verzehrhäufigkeit und -menge einzelner Lebensmittel
4.1.4 Portionsgrößen
4.1.5 Wandel der Mahlzeitentradition und die Folgen
4.2. Psychosoziale Ursachen
4.2.1 Familie
4.2.2 Freizeitgestaltung und Medienkonsum
4.3. Körperliche Aktivität
4.3.1 Bewegungsmangel
5 Persistenz von Adipositas
6. Folgen der Adipositas
6.1. Physische Folgekrankheiten
6.1.1 Metabolisches Syndrom
6.1.2 Diabetes Mellitus Typ 2
6.1.3 Kardiovaskuläre Folgen
6.1.4 Gastrointestinale Erkrankungen
6.1.5 Respiratorische Veränderungen
6.1.6 Orthopädische Folgen
6.1.7 Fettstoffwechselstörungen
6.2 Psychosoziale Folgen und Lebensqualität
6.3 Kosten
7. Therapie der Adipositas
7.1 Therapieziele
7.2. Konventionelle Therapiemöglichkeiten
7.2.1 Verhaltenstherapie
7.2.2 Ernährungstherapie
7.2.2.1 Die optimierte Mischkost
7.2.2.2 Diätetische Maßnahmen
8. Körperliche Aktivität in der Adipositastherapie
8.1 Bewegungstherapie – Sporttherapie
8.2 Begriffsbestimmungen: Sport und Körperliche Aktivität
8.3 Voraussetzungen für bewegungstherapeutische Maßnahmen
8.4. Ziele und Möglichkeiten gesteigerter körperlicher Aktivität bei Adipositas
8.4.1 Physiologische Ziele
8.4.2 Psychosoziale Ziele
8.4.3 Lebensstil
8.5 Motivation zum Beginn einer Bewegungstherapie
8.6 Aufgaben des Bewegungstherapeuten
9. Körperliches Training bei Adipositas
9.1 Komponenten der Trainingsplanung
9.2. Ausgewählte Förderbereiche und Inhalte der Bewegungstherapie
9.2.1 Ausdauer
9.2.2 Kraft
9.2.3 Verbesserung der Koordination und Beweglichkeit
9.2.4 Mannschafts- und Rückschlagspiele, Kampfsportarten
9.2.5 Körperwahrnehmung
10. Körperliche Aktivitäten und ihre Eignung für die Therapie
10.1 Aktivitäten im Alltag
10.2. Sportliche Aktivitäten
10.2.1 Aktivitäten im Wasser
10.2.2 Walking
10.2.3 Radfahren
11. Risiken des Sports und körperlicher Aktivität bei Adipositas
11.1 Bewegungsapparat
11.2 Thermoregulation
11.3 Belastungsasthma
11.4 Kardiovaskuläre Risiken
12. Physische Adaptationen durch körperliche Aktivität bei Adipositas
12.1 Änderung der Körperzusammensetzung und Gewichtserhalt
12.2 Verbesserung des Stoffwechsels
12.3 Verbesserungen des Herz-Kreislaufsystems
12.4 Verbesserung der Leistungsfähigkeit
12.5 Einflüsse auf psychosoziale Faktoren
13 Schulsport und Sportlehrer als Interventionsmöglichkeit?
14. Das Projekt Fit für Pisa: Eine statistische Auswertung
14.2 Teilnehmende Grundschulen und Sportangebot
14.3. Testungen
14.4 Ergebnisse
15 Schlussbetrachtung
16 Literaturverzeichnis
17 Abbildungs- /Tabellenverzeichnis
ANHANG
ANLAGE 1: Direkte Messmethoden
ANLAGE 2: Indirekte Messmethoden
ANLAGE 3: Der SDSLMS-Wert
ANLAGE 4: Genetische Faktoren der Adipositas
ANLAGE 5: Auswahl von Krankheiten, die mit einer sekundären Adipositas einhergehen
ANLAGE 6: Verschiedene Methoden zur Erhebung der Nahrungsaufnahme
ANLAGE 7: Trends beim Verzehr von Fett und Kohlenhydraten bei Kindern und Jugendlichen im Zeitraum 1985-2000 der DONALD-Studie
ANLAGE 8: Beispiel für Lebensmittelmengen und -auswahl in der optimierten Mischkost
ANLAGE 9: Fettreiche Lebensmittel und fettarme Alternativen
ANLAGE 10: Kalorienverbrauch eines Kindes bei ausgewählten Sportarten pro 10min in Abhängigkeit des jeweiligen Körpergewichts
ANLAGE 11: Rohdaten sämtlicher Motoriktests und Schulen mit Mittelwerten, Standardabweichungen und Varianzen
ANLAGE 12: Untersuchung der Rohdaten auf Normalverteilung
ANLAGE 13: Interner Datenvergleich (2003 à 2006) der Projektschulen und der Kontrollschule
ANLAGE 14: Vergleich der Projektschul- mit den Kontrollschuldaten für 2003 und 2006
ANLAGE 15: Standardabweichungen der Differenzen bei Projektschulen und Kontrollschule
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
„Dem Menschen, der Nahrung zu sich nimmt, kann es nicht gut gehen,
wenn er nicht gleichzeitig seinen Körper durch sportliche Ertüchtigung beansprucht.“
(Hippokrates von Kós, 460-370 v. Chr.)
„Essen ist ständig um uns herum: auf der Straße, im Fernsehen, bei unseren Freizeitaktivitäten – überall ist es ein Thema. Eigentlich kein Problem, solange sich Essen und Bewegung die Waage halten. Da wir uns aber immer weniger bewegen und mehr essen, entsteht ein Ungleichgewicht.“
(Bundesverbraucherministerin Renate Künast, Mai 2004)
Als die Bundesregierung am 09.05.2007 Fit statt fett, den viel beachteten 5-Punkte-Plan gegen Fettleibigkeit, vorlegte, ging es um eine Thematik, die seit Hippokrates - seit zweieinhalb Jahrtausenden also - die Fachwelt beschäftigt.
Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass die Regierungskoalition auf eine gesundheitliche Entwicklung reagieren musste, die es vor 2 Jahrzehnten noch nicht gab: Rund 2 Drittel der Männer und 53% der Frauen in Deutschland gelten als zu dick. Es sind aber auch schon 15 % der 3 bis 17 Jahre alten Kinder übergewichtig, 6,3 % sogar fettleibig. Im Vergleich mit den Jahren 1985 bis 1999 hat der Anteil der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen laut einer Studie des Robert Koch Instituts aus dem Jahre 2006 um die Hälfte zugenommen. Bei Fettleibigkeit registrieren die Forscher sogar eine Verdoppelung. (Vgl. Journal Med, 2007)
Da mit dieser rasanten Entwicklung jährlich viele Milliarden Euro an Kosten verbunden sind, muss nun ein Nationaler Aktionsplan her, mit dem die Bundesregierung bis zum Jahr 2020 das Übergewicht der Deutschen bekämpfen will. Denn man ist vor allem zu der Erkenntnis gelangt, dass „in unserer Gesellschaft zu wenig Bewegung im Alltag stattfindet“ (SZ, 2007b). (Vgl. SZ, 2007b)
In erster Linie soll dabei der anhaltende Trend zum Übergewicht bei Kindern gestoppt werden. In diesem Zusammenhang schlagen Verbraucherminister Horst Seehofer und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vor, neben einem Schulfach Ernährung eine Mindestanzahl von 3 Sportstunden an Schulen festzulegen. Für Ganztagsschulen ist mittelfristiges Ziel sogar die Einrichtung einer täglichen Sportstunde. Außerdem sollen finanziell schlechter gestellte Familien bei der Deckung von Vereinskosten staatliche Unterstützung erhalten.
Bedauerlicherweise handelt es sich bei diesem Programm jedoch nicht um gesetzlich verankerte Maßnahmen, sondern lediglich um Vorschläge. (Vgl. Tagesschau, 2007b)
Auf dem Hintergrund dieser aktuellen politischen Vorgänge dürfte es also lohnenswert sein, sich eingehend mit der Frage zu befassen:
Welche Möglichkeiten und welche Grenzen hat Sport bei Adipositas?
Das möchte ich mit dieser Arbeit versuchen, wobei ich mich bei meinen Ausführungen auf die Therapie bei Kindern und Jugendlichen beziehen werde.
Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Nach einer definitorischen Einordnung der Adipositas und einem Überblick von Bestimmungsmöglichkeiten des Körperfettanteils (Kapitel 2) werden in Kapitel 3 Epidemiologie und Prävalenz besprochen. Im Rahmen der sich anschließenden Ursachenfrage (Kapitel 4) wird auf Ernährung, psychosoziale Faktoren und Bewegungsmangel eingegangen und die Persistenz (Kapitel 5) aufgezeigt. Ausgehend von den zahlreichen körperlichen und psychischen Folgen der Adipositas und den damit einhergehenden Kosten (Kapitel 6) sollen Therapiemöglichkeiten erläutert werden (Kapitel 7), bevor in Kapitel 8-10 gesondert auf körperliche Aktivität in der Adipositastherapie eingegangen wird. Danach werden sowohl deren Risiken (Kapitel 11) als auch positive Auswirkungen (Kapitel 12) beleuchtet. Ausführungen zum Schulsport als Interventionsmaßnahme (Kapitel 13) bilden den Übergang zur statistischen Auswertung des Projekts Fit für Pisa, das an Grundschulen in Göttingen und Landkreis stattfand (Kapitel 14).
2. Ausprägungsformen überdurchschnittlich hohen Gewichts
In der deutschen Literatur wurden früher die Begriffe Fettleibigkeit, Übergewicht, Fettsucht oder Adipositas synonym verwendet. Allen ist gemein, dass sie Menschen mit erhöhtem Körpergewicht beschreiben.[1] (Vgl. Wenzel, 1998, 56; Wirth, 20002, 3) Mittlerweile trifft man fast ausschließlich auf die Bezeichnungen Übergewicht und Adipositas. (Vgl. Wenzel, 1998, 56)
Diese beiden Bezeichnungen sind inhaltlich klar voneinander zu unterscheiden und sollen hier erläutert werden:
Der Begriff Übergewicht bezeichnet eine vergrößerte Körpermasse einschließlich aller Gewebe in Relation zur Körperhöhe. (Vgl. Klör, 2000, 11; Kromeyer-Hauschild, 2005, 4; Stolecke, 19973, 480)
Dagegen ist bei Adipositas die erhöhte Körpermasse allein auf einen Überschuss an Fettgewebe zurückzuführen. (Vgl. Kromeyer-Hauschild, 2005, 4; Stolecke, 19973, 480) So kann ein Bodybuilder[2] mit einem stark vergrößerten Muskelquerschnitt zweifellos als übergewichtig bezeichnet werden, nicht jedoch als adipös.[3] Dieses übermäßige Einlagern von Fett in die Körperzellen wird hervorgerufen durch eine den Kalorienbedarf dauerhaft übersteigende Kalorienzufuhr (vgl. Lawrenz, 2005, 10; Hoffmann/Hochapfel, 19955, 289; Schusdziarra, 2000, 20) in Wechselwirkung mit Bewegungsmangel. (Vgl. DeMarées, 20039, 409; Schusdziarra, 2000, 20) Die mitunter extremen Ausprägungen der Adipositas führen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und stellen einen Risikofaktor für Folgeerkrankungen dar. (Vgl. Pschyrembel, 2004260, 24) So geht dieser Zustand des extremen Übergewichts mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einher und führt häufig auch zu psychischen Belastungen. (Vgl. Fromme, 2002, 17)
Im Bezug auf die Einordnung der Adipositas weisen Pudel (2003), Fromme (2002) und Warschburger (2006) darauf hin, dass diese nicht als Essstörung anerkannt ist[4], da ihr keine als krankhaft eingestuften psychischen Ursachen zugeordnet werden können. (Vgl. Pudel, 2003, 3; Fromme, 2002, 20; Warschburger, 2006, 74) Die Adipositas selbst ist im klassischen Sinne auch nicht als Krankheit zu bezeichnen; erst die durch sie bedingten Folgekrankheiten machen sie zu einer solchen. (Vgl. Koinzer/Jüngst, 1999, 489)
Für eine Abgrenzung von Übergewicht und Adipositas ist es weiterhin notwendig, die Fettmasse des Patienten zu bestimmen und festzulegen, ab welchem Grad von einem erhöhten Fettanteil gesprochen wird. (Vgl. Kromeyer-Hauschild, 2005, 4)
Bestimmte Kenngrößen geben darüber Auskunft (s. ab S. 12).
Von Adipositas wird gesprochen, wenn der Fettanteil am Gesamtkörpergewicht bei Männern 20%, bei Frauen 25% übersteigt. (Vgl. Stolecke, 19973, 480)
Zusätzlich unterscheidet man zwei Fettverteilungsformen, die abdominelle und die periphere:
Bei der abdominellen Adipositas ist eine Fettvermehrung überwiegend im Unterleib lokalisiert, was mit einem hohen Risiko an metabolischen[5] Begleiterkrankungen einhergeht (s. ab S. 42). Sie kommt zu etwa 80% bei Männern vor.
Die periphere Adipositas bezeichnet einen Zustand, bei dem das Fettgewebe hauptsächlich an Hüften und Oberschenkeln verteilt ist. Diese ist weniger mit metabolischen Begleiterkrankungen verbunden und findet sich zu etwa 85% bei Frauen. (Vgl. Wirth, 20032, 7f.; Laessle et al., 2001, 3)
Zur Feststellung des Körperfettanteils eignen sich verschiedene Verfahrensweisen.
2.1. Methoden zur Bestimmung des Körperfettanteils
Zur Bestimmung des Körperfettanteils stehen direkte und indirekte Messmethoden zur Verfügung. Erstgenannte messen tatsächlich den Fettanteil, mit letzteren lässt sich die Fettmasse schätzen. (Vgl. Fromme, 2002, 17; Müller, 2003, 31)
Es folgt eine Übersicht der dabei einsetzbaren Messmethoden, wobei nur der Body-Mass-Index als für das Thema ausreichend zuverlässige, praktikable und allgemein angewandte Methode eingehend beschrieben werden soll.
Eine Beschreibung der übrigen, hier nur erwähnten Methoden und die dazugehörigen Literaturangaben finden sich in Anlage 1 und 2.
2.1.1 Direkte Messmethoden
Zu den direkten Messmethoden zählen die Bioimpedanz-Analyse, die Unterwasserdensitometrie, die Dual-X-ray-Absorptiometrie und Stabile Isotope. Allen ist gemein, dass sie zwar genau, aber aufwändig und größtenteils bei Kindern unpraktikabel sind (s. Anlage 1).
Es soll aber erwähnt werden, dass zur Präzisierung von Diagnosen im klinischen Bereich die genannten Methoden hinzugezogen werden. (vgl. Pudel/Westenhöfer, 19982, 124f.).
2.1.2. Indirekte Messmethoden
Mit den indirekten Methoden ist der Arzt zwar nicht in der Lage die tatsächliche Körperfettmasse zu bestimmen, doch er kann mit einer für unsere Thematik ausreichenden Zuverlässigkeit auf ein zu hohes Körpergewicht bzw. Adipositas schließen. Zudem sind diese wesentlich praktikabler und Kosten sparender als die direkten Messmethoden. Zu diesen Methoden zählen der Broca-Index, die Messung der Hautfaltendicke (s. Anlage 2) und der Body-Mass-Index.
2.1.2.1 Body-Mass-Index
Bei der Sichtung von Literatur zum Thema Adipositas fällt auf, dass sich die Autoren nahezu ausschließlich auf den Body-Mass-Index (BMI) stützen.
Der mittlerweile auch international anerkannte BMI wurde eingeführt um in der alltäglichen Praxis den Ernährungszustand einer Person unabhängig von dessen Körpergröße als Näherungswert einschätzen zu können. Hierzu erfolgt eine Bewertung des Körpergewichtes im Verhältnis zur Körpergröße, indem der Quotient aus Körpergewicht in Kilogramm und Körpergröße in Meter zum Quadrat ermittelt wird: BMI = kg/m2. (Vgl. Pudel, 2003, 3; Hauner, 19992, 246)
Ein durchschnittlicher Mann mit einem Körpergewicht von 80kg und einer Körpergröße von 1,85m hätte beispielsweise einen BMI von 23,4.[6]
Bei der Berechnung des BMI erfolgt keine Unterscheidung zwischen Fettmasse und Fett freier Masse. (Vgl. Müller et al., 2003, 30) So kann es zu einer Fehlinterpretation kommen (vgl. Fusch, 2005, 267), wenn beispielsweise der in erwähnte Bodybuilder den gleichen BMI aufweist wie ein u.U. stark adipöser Mensch.
Für Erwachsene hat die WHO BMI-Grenzwerte zur Gewichtsklassifikation herausgegeben, die auch von der Deutschen Gesellschaft für Adipositasforschung festgelegt wurden. Übergewicht und Adipositas werden demnach folgendermaßen definiert:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1.: Klassifizierung (BMI) des Körpergewichts nach WHO. (Tab. übersetzt durch Autor) (WHO, 2007; vgl. Zapf, 20062, 442; Pudel/Westenhöfer, 19982, 125; Wirth, 20032, 3; Wirth, 20002, 8; Schutz, 19992, 15; Hauner, 19992, 249)
Die Bewertung des BMI gibt zugleich Aufschluss über die Notwendigkeit einer Therapie. Wie aus der Tabelle zu ersehen ist, rechtfertigt erst ein BMI ab 25 die Notwendigkeit einer Gewichtsabnahme. (Vgl. Pudel, 2003, 3; WHO, 2007) Bei einem BMI zwischen 25 und 29,9 sollte eine Therapie dann angestrebt werden, wenn bei einem abdominellen Fettverteilungsmuster durch das Übergewicht Gesundheitsstörungen oder Erkrankungen entstehen. Eine grundsätzliche Indikation zur Therapie besteht ab einem BMI von >30. (Vgl. Pudel/Westenhöfer, 19982, 125)
Der BMI ist auch bei Kindern und Jugendlichen ein geeignetes Verfahren zur schnellen Einschätzung von Übergewicht und Adipositas. Doch weil sich in der Wachstumsphase, bedingt durch die pubertäre Entwicklung, Veränderungen der Körperzusammensetzung[7] einstellen, müssen bei Berechnung des BMI diese „typischen alters- und geschlechtsspezifischen Veränderungen“ (Kromeyer-Hauschild, 2005, 4) berücksichtigt werden. Hierzu werden sowohl für Jungen als auch für Mädchen populationsspezifische Perzentile verwendet. Der ermittelte BMI wird mit den alters- und geschlechtsbezogenen Perzentilwerten der jeweiligen Person verglichen. Die in Deutschland verwendeten BMI-Perzentile basieren auf deutschen Untersuchungen und geben einen Überblick über die BMI-Verteilung ab dem Jahre 1985 (Abb. 1 und Abb. 2) (Vgl. Kromeyer-Hauschild, 2005, 4f.; Zwiauer, 20032a, 213f.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Perzentile für den Body-Mass-Index für Mädchen im Alter von 0-18 Jahren. (Reinehr, 2007, 4; vgl. Kromeyer-Hauschild, 2005, 6; Wabitsch, 2002, 101; Zwiauer, 20032a, 216)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Perzentile für den Body-Mass-Index für Jungen im Alter von 0-18 Jahren. (Reinehr, 2007, 4; vgl. Kromeyer-Hauschild, 2005, 6; Wabitsch, 2002, 100; Zwiauer, 20032a, 216)
Die dargestellten Perzentilkurven werden folgendermaßen gelesen: Bei P97 weisen 97% der gleichaltrigen Kinder gleichen Geschlechts einen geringeren BMI auf, bei P3 tun dies 3% der Kinder. Weiterhin können SDSLMS-Werte errechnet werden, was bei Werten im untersten oder obersten BMI-Bereich sinnvoll ist (s. Anlage 3). (Vgl. Kromeyer-Hauschild, 2005, 5)
Beim Vergleich der beiden Abbildungen fällt auf, dass die Altersveränderungen des BMI bei Jungen und Mädchen innerhalb des ersten Lebensjahrzehnts nahezu gleichartig verlaufen. Im Alter zwischen 11 und 16 Jahren übersteigt der BMI der Mädchen den der Jungen. (Vgl. Kromeyer-Hauschild, 2005, 9)
Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) definiert für Deutschland das 90. Perzentil bei Kindern und Jugendlichen als Grenzwert von Normalgewicht zu Übergewicht und das 97. Perzentil als Grenzwert von Übergewicht zu Adipositas. (Vgl. AGA, 2006, 14; Zwiauer, 20032a, 217) Das Übersteigen des 99,5. Perzentils bezeichnet eine extreme Adipositas. (Vgl. AGA, 2006, 14) Demnach wird von einer Adipositas im Kindes- und Jugendalter gesprochen, „wenn das Körpergewicht das Referenzgewicht um 20% überschreitet“ (Fromme, 2002, 19). Bedauerlicherweise existiert (noch) kein internationaler Standard zur Berechnung der Perzentile, weshalb Vergleiche mit anderen Ländern keine präzisen Angaben über die globale Situation zulassen. (Vgl. Mayer, 2006, 38; Wirth, 20002, 308)
3 Epidemiologie und Prävalenz von Übergewicht und Adipositas
Übergewicht und Adipositas zeigen weltweit eine epidemische Entwicklung. Schätzungsweise 250 Millionen Menschen, d.h. 7% aller Erwachsenen (vgl. Schröder, 2001, 33) – anderen Schätzungen zufolge sogar mehr als 500 Millionen – sind betroffen. (Vgl. Ravussin/Bouchard, 2000, 131ff.) 500 bis 750 Millionen Menschen sind übergewichtig. (Vgl. Schröder, 2001, 33)[8]
Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas hat sich in Deutschland nicht nur in den alten, sondern auch in den neuen Bundesländern verstärkt. Hier war nach der Wiedervereinigung ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. (Vgl. Kries, 2005, 17)[9] Während in den Ländern der Dritten Welt ausschließlich Kinder aus Familien der Mittel- und Oberschicht, die einen westlichen Lebensstil für erstrebenswert erachten, betroffen sind (vgl. Kries, 2005, 17), ist Adipositas in Deutschland sowohl bei Erwachsenen[10] als auch bei Kindern und Jugendlichen ein „Unterschichtphänomen“ (Franke, 2003a, 155). So kommt sie dort 6 mal so häufig vor wie in höheren sozialen Schichten. Bei Frauen ist dieser Einflussfaktor besonders gravierend, denn nur 29% der übergewichtigen deutschen Frauen haben einen höheren Schulabschluss (Vgl. Franke, 2003a, 155). Zu ähnlichen Ergebnissen kam Srole (1975) bereits 1974 in seiner Midtown-Manhattan-Studie.[11] (Vgl. Srole, 1975, 356ff.)
In den späten 1980er und 1990er Jahren wurde – im Gegensatz zu den späten 1970er bis frühen 1980er Jahren – bereits eine deutliche Zunahme von Übergewicht und Adipositas bei Kindern im englischsprachigen Raum Europas festgestellt.[12] Auch in Deutschland stieg die Prävalenz der Adipositas unter Kindern und Jugendlichen seit den 1980er Jahren an. (Vgl. Wabitsch et al., 2002, 99)
Neben den USA, Großbritannien, Belgien, Frankreich und den Niederlanden ist Deutschland damit eines der meist betroffenen Länder weltweit. (Vgl. Schröder, 2001, 33) Einer Studie vom April 2007 zufolge nimmt Deutschland im gesamteuropäischen Vergleich sogar eine führende Position ein.[13] (Vgl. SZ, 2007a)
Nicht nur die Zahl der Betroffenen ist gestiegen sondern auch das Ausmaß des Übergewichts bzw. der Adipositas. (Vgl. Kromeyer-Hauschild, 2005, 13; Reinehr et al., 2003, 8) In den westlichen Industrienationen stellt Adipositas die Volkskrankheit überhaupt dar. (Vgl. Reinehr et al., 2003, 8)
Weltweit wird in den letzten Jahren die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas gerade bei Kindern und Jugendlichen zunehmend präsenter. (Vgl. Kries, 2005, 17; Kromeyer-Hauschild, 2005, 12) Hielten viele dieses Problem bis vor kurzer Zeit noch immer für ein rein US-amerikanisches Problem, ist mittlerweile auch das Ausmaß im deutschsprachigen Raum bekannt. Gerade in den letzten Jahren hat die Anzahl übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher in Deutschland deutlich zugenommen. Beispielhaft ist dies in Tab. 2 zu sehen. Hierbei handelt es sich um Daten von Schuleingangsuntersuchungen aus Nordrhein-Westfalen und Leipzig. (Vgl. Kromeyer-Hauschild, 2005, 13)
Nordrhein-Westfalen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 2: Anstieg der Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei Einschülern aus Nordrhein-Westfalen und Leipzig. (Kromeyer-Hauschild, 2005, 13)
Wabitsch et al. (2002) präsentieren Zahlen, aus denen die Prävalenz in Deutschland von Übergewicht und Adipositas in spezifischen Altersgruppen deutlich wird. Die Werte stützen sich auf Studien aus mehreren deutschen Städten. Demnach waren bis 1999 zwischen 8,4 und 13,4% der Kinder im Alter zwischen 5 und 6 Jahren übergewichtig, 0,7 bis 6,7% von ihnen adipös. Unter Kindern im Alter von 9 bis 10 Jahren befanden sich zwischen 9,8 und 17,6% im übergewichtigen Bereich wieder, während 3,2 bis 6,3% hier adipös waren. Bei den 13 bis 15-Jährigen war eine noch stärkere Verbreitung zu erkennen. 13,8 bis 16,8% der Jungen und Mädchen konnten als übergewichtig, 5,1 bis 7,9% als adipös eingestuft werden.
Auch wenn aus den einzelnen Städten, bedingt durch die Anwendung unterschiedlicher Referenzsysteme, unterschiedliche Daten erhoben worden sind, so ist zu erkennen, dass die Prävalenz im Kindes- und Jugendalter zweifellos zugenommen hat. (Vgl. Wabitsch et al., 2002, 99ff.; Müller et al., 2003, 41f.)
In Jena führte man eine Langzeitstudie über 30 Jahre durch, bei der 1002 Kinder im Alter von 7-14 Jahren alle 10 Jahre untersucht wurden. Bei den Mädchen waren die Ergebnisse besonders alarmierend, denn innerhalb von 10 Jahren hatte sich die Zuwachsrate für Adipositas bei ihnen fast verdoppelt und sie lagen 1995 sogar vor den Jungen. Waren 1975 noch 4,7% von ihnen betroffen und 1985 5,3%, so war die Zahl 1995 bereits auf 9,9% angestiegen. Jungen waren 1975 zu 5,3%, 1985 zu 6,1% und 1995 zu 8,2% adipös. (Vgl. Kromeyer-Hauschild et al., 1999, 1143ff.; Franke, 2003a, 154f.; Wirth, 20032, 165; Wabitsch et al., 2002, 101f.) Noch in den Jahren 1982 und 1983 lag die Anzahl von adipösen Kindern und Jugendlichen insgesamt bei 6%. (Vgl. Fromme, 2002, 28)
Anhand ausgewerteter Daten von Schuleingangsuntersuchungen aus Bayern – dort sind sie obligatorisch – ist ein Trend von Übergewicht und Adipositas zwischen 1982 und 1992 gut zu verfolgen. Demnach nahm die Prävalenz von Übergewicht im Mittel pro Jahr um 0,3% zu, die Prävalenz von Adipositas um jährlich 0,1%. (Vgl. Kalies et al., 2002ff.; Koletzko et al., 2004, 231)
Heutzutage sind 10 bis 20% der Kinder und Jugendlichen übergewichtig, Lawrenz (2005) und Mayer (2006) sprechen von 10-18% (vgl. Lawrenz, 2005, 10; Mayer, 2006, 38), 4 bis 8 % von ihnen sogar adipös. (Vgl. Lawrenz, 2005, 10; Mayer, 2006, 38; Kromeyer-Hauschild, 2005, 12f.; Pudel, 2003, 5; Wabitsch, 2006a, 13) Laut Reinehr et al. (2003) muss in Deutschland mittlerweile davon ausgegangen werden, dass jedes sechste Kind übergewichtig ist (vgl. Reinehr et al., 2003, 8), Stolecke (1997)
In einem aktuellen, auf den repräsentativen Ergebnissen des deutschen Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS)[14] basierenden Bericht vom April 2007 sprechen Kromeyer-Hauschild und Wabitsch bei 3- bis 17-Jährigen von einer Übergewichtsprävalenz von 15% (1,9 Millionen Kinder und Jugendliche). Von diesen sind wiederum 6% (800.000 Kinder und Jugendliche) adipös. Beide Angaben entstanden nach den oben genannten Definitionen. Damit ist bei Kindern und Jugendlichen jeder 6.-7. übergewichtig. Bei Kindern im Alter zwischen 3 und 6 Jahren stieg der Anteil der Übergewichtigen bzw. Adipösen auf 9% bzw. 2,9%, bei den 7- bis 10-Jährigen sogar auf 15% bzw. 6,4% und bei den 14- bis 17-Jährigen auf 17% bzw. 8,5% an. Die Prävalenz von Adipositas hat sich im Vergleich zu Daten von 1985-1999 laut KiGGS verdoppelt. Signifikante Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen oder Ost- und Westdeutschland konnten nicht erkannt werden. (Vgl. AGA, 2007c, 2)
Zusammenfassend lässt sich trotz der teilweise variierenden Angaben sagen, dass die dargestellten Zahlen eine hohe Prävalenz und ein weiteres Ansteigen von Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen deutlich machen. Für Gegenmaßnahmen müssen mögliche Ursachen für Entstehung und Ausbreitung der Adipositas berücksichtigt werden.
4. Ätiologie der Adipositas
Die Ursachen, die zu Adipositas im Kindes- und Jugendalter führen, sind multifaktoriell. Bei der Ursachenforschung müssen u.a. genetische, soziale, kulturelle und psychosoziale Einflüsse berücksichtig werden. (Vgl. Reinehr et al., 2003, 8; Hebebrand et al., 2005a, 28)[15]
Abb. 3 zeigt Faktoren, die Einfluss auf die Entstehung und Förderung einer Adipositas haben können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Ätiologie der Adipositas: Beeinflussende Faktoren. (Ehrsam/Melges, 2004, 282)
Der Einfluss genetischer Faktoren auf den BMI und somit auch Adipositas wird allgemein recht hoch angesehen[16] (Vgl. Wirth, 20002, 64; Richter, 2000, 23ff.; Wabitsch, 2004, 832), soll im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht behandelt werden. Zudem kommen genetische Störungen mit einer Adipositas als Folge extrem selten vor. Eine kurze Abhandlung dazu findet sich in Anlage 4.
Auch die sekundäre Adipositas, die durch eine andere Krankheit oder durch bestimmte Medikamente hervorgerufen wird, soll nicht Thema dieser Arbeit sein. In Anlage 5 befindet sich eine kurze Auflistung solcher Krankheiten und Medikamente.
Da die übrigen Variablen Ernährung, psychosoziale Aspekte und körperliche Aktivität jedoch beeinflussbar sind, wird das Hauptaugenmerk im Folgenden darauf gerichtet sein.
4.1. Ernährung und Adipositas (Alimentäre Adipositas)
In der Frühzeit verbrauchte der Mensch bei der Nahrungsbeschaffung ein hohes Maß an Energie, da große Strecken zurückgelegt werden mussten. Diese konnte nach erfolgreicher Jagd dem Körper in Form von Nahrung wieder zugeführt werden. Aber auch bei erfolgloser Nahrungssuche sicherte die Fähigkeit des menschlichen Körpers, Fettdepots anlegen zu können, das Überleben. Diese Zeit der Nahrungsknappheit prägte die genetische Grundausstattung, die heute in den westlichen Ländern auf konträre Lebensbedingungen stößt: Bewegungsmangel bei gleichzeitigem Nahrungsüberfluss. Diese Inkompatibilität führt dazu, dass ein relativ großer Teil der Bevölkerung Übergewicht und Adipositas entwickelt. Aus dem Vorteil, Energie speichern zu können, ist ein Nachteil geworden. (Vgl. Zapf, 20062, 444; Hebebrand et al., 2005a, 28; Kersting, 2005a, 62) Schusdziarra/Erdmann (20032) formulierten dies treffend: „In dieser Situation haben wir das über 5 Millionen Jahre gültige Prinzip `Bewegung garantiert – Essen vielleicht´ konvertiert zu dem Prinzip `Essen garantiert – Bewegung vielleicht´“ (Schusdziarra/Erdmann, 20032, 27).[17]
Entscheidend für die Regulation des Körpergewichtes ist also die Relation von Energieaufnahme und Energieverbrauch.
4.1.1 Der Energieverbrauch
Der Gesamtenergieverbrauch von Frauen liegt unter Alltagsbedingungen durchschnittlich bei etwa 2200 und bei Männern etwa bei 2600 kcal/Tag. (Vgl. Laessle et al., 2001, 13; Wirth, 20002, 98) Er setzt sich aus den Komponenten Grundumsatz, nahrungsbedingte Thermogenese[18] und aktivitätsbedingte Thermogenese zusammen.
4.1.1.1 Grundumsatz
Der Grundumsatz bezeichnet den Energieverbrauch in völliger körperlicher Ruhe nach nächtlichem Fasten. (Vgl. Wirth, 20032, 46) Sein Anteil am Gesamtenergieverbrauch wird in der Fachliteratur mit 50-90% angegeben.[19] „Er ist in hohem Maße von Alter, Geschlecht[20], Körpergröße und Körpergewicht sowie hormonellen Einflüssen abhängig“ (Graf/Dordel, 2007, 67). Also lässt er sich in weiten Teilen nicht beeinflussen, lediglich „z.B. durch die Ab- oder Zunahme der Muskelmasse“ (Graf/Dordel, 2007, 67). Dies trifft auch für Adipöse zu, denn nimmt eine Person 10kg Gewicht zu, so sind davon etwa 3kg Muskelmasse. (Vgl. Jéquier/Schutz, 1988, 538)
Der Grundumsatz ist aber auch genetisch bedingt. Ein niedriger Grundumsatz kann schon innerhalb weniger Jahre Übergewicht und sogar Adipositas zur Folge haben. (Vgl. Wirth, 20032, 49) So zeigten Ravussin et al. (1988) in einer Studie, dass Personen mit niedrigem Grundumsatz in einem Zeitraum von 4 Jahren 8 mal häufiger 10kg Gewicht zunahmen als Menschen mit hohem Grundumsatz. (Vgl. Ravussin et al., 1988, 468f.)
4.1.1.2 Nahrungsbedingte Thermogenese
Die nahrungsbedingte Thermogenese ist kaum von Schwankungen betroffen und geschlechtsunabhängig. (Vgl. Wirth, 20032, 49) Sie beträgt allgemein etwa 10-15% des gesamten Energieverbrauchs (vgl. Graf/Dordel, 2007, 67; Wirth, 20032, 47; Laessle et al., 2001, 14; Hauner/Berg, 2000, 770; Schutz, 20032, 108) und wird wie der Grundumsatz von komplizierten Stoffwechsel- und hormonellen Prozessen gesteuert. (Vgl. Wirth, 20032, 49)
Das Ausmaß der nahrungsbedingten Thermogenese, die nach einer Mahlzeit einsetzt, wird hauptsächlich von „Alter, Geschlecht, Körperzusammensetzung, Ernährungszustand, [dem] autonome[n] Nervensystem, Hormone[n] und genetische[n] Faktoren“ (Schutz, 20032, 108) beeinflusst. (Vgl. Schutz, 20032, 108)
Einigen Forschern zufolge ist sie bei adipösen Menschen vermindert. Verantwortlich dafür ist eine Störung bei der Umwandlung von Glukose[21] in Glykogen[22], der durch körperliche Aktivität begrenzt entgegengewirkt werden kann.[23] (Vgl. Segal, 1985, 1107f.; Ravussin et al., 1983, 893ff.)
Der Ausprägungsgrad dieser Form des Energieumsatzes ist auch abhängig von der Nahrungszusammensetzung. Nach eiweißreicher[24] Nahrung fällt sie um ein Mehrfaches stärker aus als beispielsweise nach einer fettreichen Mahlzeit. (Vgl. Schutz, 20032, 108)
Zusammenfassend scheint es so zu sein, dass eine Adipositas über Grundumsatz und nahrungsbedingte Thermogenese nur begrenzt beeinflussbar ist.
[...]
[1] Der Begriff Fettsucht ist laut Pudel (2003) und Wirth (20032) jedoch unangebracht, da Übergewicht bzw. Adipositas nicht die Kriterien einer Sucht erfüllt. (Vgl. Pudel, 2003, 2; Wirth, 20032, 3)
[2] Aus Gründen besserer Lesbarkeit werden im Folgenden nur die maskulinen Formen verwendet (z.B. Patient, Schüler, etc.). Das weibliche Geschlecht ist hiermit jedoch gleichermaßen gemeint.
[3] Eigenes Beispiel
[4] Daher nicht aufgeführt im Diagnostic and Statistical Manual for Mental Disorders (DSM-IV) sondern in Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision (ICD-10).
[5] Metabolisch: „Veränderlich, im Stoffwechsel entstanden, stoffwechselbedingt.“ (Pschyrembel, 2004260, 965)
[6] Eigenes Beispiel
[7] Weitere Informationen zu Veränderungen der Körperzusammensetzung im Kindes- und Jugendalter finden sich in: Wabitsch, M./Fischer-Posovszky, P. (2005).
[8] Epidemiologie: „Wissenschaftszweig, der sich mit der Verteilung von übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten und deren physikalischen, chemischen, psychischen und sozialen Determinanten und Folgen in der Bevölkerung befasst“ (Pschyrembel, 2004260, 503).
[9] Prävalenz: „Anzahl der Erkrankungsfälle einer bestimmten Erkrankung bzw. Häufigkeit eines bestimmten Merkmals zu einem bestimmten Zeitpunkt (Punktprävalenz) oder innerhalb einer bestimmten Zeitperiode (Periodenprävalenz); epidemiologisches Maß zur Charakterisierung des Krankheitsgeschehens in einer bestimmten Population“ (Pschyrembel, 2004260, 1473).
[10] Von den Erwachsenen im Osten Deutschlands waren im Jahre 2002 45,1% der Männer und 32,4% der Frauen übergewichtig, in Westdeutschland waren es 48,7% der Männer und 31% der Frauen. Davon waren wiederum in Ostdeutschland 21% der Männer und 24% der Frauen adipös, westdeutsche Männer waren es zu 18,3% und Frauen zu 21,1%. (Vgl. Müller et al., 2003, 41f.) Von ähnlichen gesamtdeutschen Ergebnissen berichtet auch Barnstorf (2003). (Vgl. Barnstorf, 2003, 32)
Hochrechnungen zufolge haben in Deutschland insgesamt zwischen 15 und 15,9 Millionen Menschen einen BMI von >30, das heißt sie sind behandlungsbedürftig. (Vgl. Pudel/Westenhöfer, 19982, 131; Pudel, 2003, 5) Andere Autoren sprechen sogar von bis zu 16,4 Millionen Menschen deutschlandweit. Demnach wäre etwa jeder fünfte Erwachsene adipös. (Vgl. Renz, 2006, 2)
[11] 30% der Frauen, die einen niedrigen sozialen Status hatten waren übergewichtig. Bei den Frauen mit dem höchsten Sozialstatus machte der Teil von Übergewichtigen lediglich 5% aus. Bei Männern zeigte sich dieser Zusammenhang in ähnlicher Weise. (Vgl. Srole, 1975, 356ff.)
[12] Laut Daten von Bundred et al. (2001) lässt sich zwischen 1989 und 1998 schon bei Kindern unter vier Jahren ein starker Anstieg der Übergewichtsprävalenz, definiert als Überschreiten des 85. Perzentils, von 14,7% auf 23,6%, und der Adipositasprävalenz, definiert als Überschreiten des 95. Perzentils, von 5,4% auf 9,2% beobachten. (Vgl. Bundred et al. 2001, 326f.)
Auch Chinn/Rona (2001) stellten eine deutliche Zunahme von Übergewicht und Adipositas fest. Bei schottischen und englischen Kindern zwischen dem 4. und 11. Lebensjahr nahm 1984 bis 1994 Übergewicht von ca. 5% auf 16% zu, die Adipositashäufigkeit von ca. 2% auf 3%. Im 10-Jahres-Zeitraum von 1974 bis 1984 zeigten sich noch keine nennenswerten Veränderungen. (Vgl. Chinn/Rona, 2001, 24ff.)
[13] In einem Vergleich der International Association for the Study of Obesity vom April 2007 zeigte sich, dass Deutschland (Männer und Frauen) im gesamteuropäischen Vergleich mittlerweile mit 75,4% die Rangliste der Länder mit den meisten Übergewichtigen und Adipösen anführt. Auf Platz 2 und 3 liegen Tschechien (73,2%) und Griechenland (73%). 52,9% der deutschen Männer und 35,6% der deutschen Frauen gelten als übergewichtig und 22,5% bzw. 23,3% als adipös. Damit zöge Deutschland im globalen Vergleich mit den USA gleich. (Vgl. SZ, 2007a) Nach Meinung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung ist jedoch die Vergleichbarkeit der Daten unter den Ländern wegen unterschiedlicher Erhebungsmethoden fraglich. (Vgl. N24, 2007)
[14] Die KiGGS des Robert Koch Instituts wurde vom Mai 2003 bis Mai 2006 durchgeführt um erstmals ein repräsentatives Bild der Verzehrsgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen aus ganz Deutschland zu erhalten. 8656 Mädchen und 8959 Jungen bis 18 Jahren aus 167 Orten nahmen Teil. (Vgl. RKI, 2006, 7; Kersting, 2007, 22)
[15] Ätiologie: „Die einer Krankheit zugrunde liegende Ursache bzw. Studium der oder Theorie über die Faktoren und Ursachenbündel, die Krankheiten verursachen“ (Pschyrembel, 2004260, 27).
[16] Wirth (20002) spricht von einem Effekt von 30-50%, Richter (2000) beziffert ihn auf 30-70% und laut Wabitsch (2004) wird das Körpergewicht zu etwa 40-70% von genetischen Faktoren bestimmt. (Vgl. Wirth, 20002, 64; Richter, 2000, 23ff.; Wabitsch, 2004, 832)
[17] Alimentär: „Durch Nahrung hervorgerufen“ (Pschyrembel, 2004260, 43).
[18] Thermogenese: Energieverbrauch durch wärmebildende Stimuli. Hierzu zählen die Verdauung, Muskelarbeit, Hormone, Medikamente und psychische Stimuli. (Vgl. Wirth, 20032, 47)
[19] Laut Keys et al. (1987) und Wirth (20032) beträgt der Grundumsatz etwa 55-70% des Gesamtenergieverbrauches. (Vgl. Keys et al. 1987, 5979ff.; Wirth, 20032, 47) Hauner/Berg (2000) verweisen auf 50-70% (vgl. Hauner/Berg, 2000, 770) und Graf/Dordel (2007) sprechen sogar von etwa 90%. (Vgl. Graf/Dordel, 2007, 67)
[20] Ab einem Alter von 10 Jahren treten Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen auf, wobei der Grundumsatz bei Jungen höher ausfällt. Im weiteren Altersverlauf bleibt er aber weitgehend stabil. Der Grundumsatz von Frauen liegt im Durchschnitt etwa um 200 kcal/Tag unter dem der Männer. (Vgl. Wirth, 20002, 98).
[21] Glukose: „Traubenzucker, Dextrose“ (Pschyrembel, 2004260, 672).
[22] Glykogen: „Sog. tierische Stärke, […], zur Kurzzeitspeicherung von Glukose bei Überangebot in osmotisch inaktiver Form […]“ (Pschyrembel, 2004260, 676).
[23] Manche Forschungsgruppen messen der nahrungsbedingten Thermogenese kaum Bedeutung bei und widersprechen dem Ergebnis, denn Adipöse und Normalgewichtige dürften bei solchen Untersuchungen nicht die absolut identische Nahrungsmenge erhalten, da sie über mehr stoffwechselaktive, fettfreie Masse verfügen. (Vgl. Ravussin/Swinburn, 1993, 103)
[24] Eiweiße: „Ausschließlich oder vorwiegend durch Peptidverbindung verbundene L-α-Aminosäuren“ (Pschyrembel, 2004260, 1490).
- Arbeit zitieren
- Nico Scheibelhut (Autor:in), 2007, Möglichkeiten und Grenzen des Sports bei Adipositas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86970
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