Kerr definiert den Begriff Satire in seinem Werk „Die Diktatur des Hausknechts“ gleich selbst: „Die Satire soll, [...] scharf treffen; belichten; vergegenwärtigen; − und Menschen beglücken: durch Wahrheitskraft; durch Abbildung der Unanständigkeit; durch verschärfte Wiedergabe des Seienden. Durch Überlegenheit über den Dreck.“ (Kerr 1934, S. 41f.)
Kerrs eigene Gedichte an seinem Anspruch an die Satire zu messen, ist somit ein logisches und interessantes Ziel. Kerr lässt Satire allerdings nicht nur in seinen Gedichten auf den Leser wirken, sondern arbeitet auch im Prosateil mit diesem „gattungsübergreifenden Verfahren“ (Reallexikon 2003, Bd. 3, S. 355). Dieser Prosateil kann hier grundsätzlich nicht berücksichtigt werden und fliesst nur dort in die Gedichtsanalysen ein, wo ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Ebenso wenig können alle Gedichte ausführlich analysiert und die historischen Zusammenhänge erschlossen werden. Trotzdem sollen neben den ‚Hauptgedichten’ „Sie rüsten.“, „Diese Zeit.“ und „Hitler 1934. Der Anführer spricht.“ auch andere Gedichte in die Analyse und vor allem ins Fazit mit einbezogen werden, wobei die Gedichte vor 1930 ganz ausser Acht gelassen werden.
Nebst dieser quantitativen Einschränkung sollen noch einige Erklärungen zum methodischen Vorgehen und zu der thematischen Gliederung gegeben werden. Grundsätzlich ist hierfür festzuhalten, dass sich Kerrs Satire auf eine vorhandene Realität beziehen muss, vor allem, wenn er nicht gegen seine eigene Bedingung, die „Wahrheitskraft“, verstossen möchte. Somit ist Kerrs Satire stets Reaktion. Bevor man Kerrs Satire mit seiner Definition vergleichen kann, muss Klarheit über diese Aktion bestehen. Dieser Bezug zur Aktion wird als ordnendes Prinzip verwendet. Die Gliederung dieser Arbeit stützt sich deswegen auf die Satire-Definition aus dem Brockhaus: „Die Literaturgattung, die durch Spott, Ironie, Übertreibung bestimmte Personen, Anschauungen, Ereignisse oder Zustände kritisieren oder lächerlich machen will.“ (Brockhaus 2000, „Satire“). Aus diesen Zielobjekten der Satire habe ich die Bereiche „Personen“ und „Zustände“ ausgewählt, da sich Kerr in seinen Gedichten sehr oft mit den Themen „Hitler“ und „Weimarer Republik“ auseinandersetzt. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zustände in der Weimarer Republik
2.1. Die Warnung vor den Nationalsozialisten
2.2. Schlafendes Deutschland
3. Die Person des Nationalsozialismus: Hitler
4. Fazit eines verzweifelt witzigen Kampfes
4.1. Anmerkungen zu Kerrs Realisation der Satire
4.2. Kerrs Satire und ihr Ziel
I. Literaturverzeichnis
I.a. Primärliteratur
I.b. Sekundärliteratur
I.c. Elektronische Quellen
„Überlegenheit über den Dreck“.
Kerrs Satire in „Die Diktatur des Hausknechts“.
1. Einleitung
Kerr definiert den Begriff Satire in seinem Werk „Die Diktatur des Hausknechts“ gleich selbst: „Die Satire soll, [...] scharf treffen; belichten; vergegenwärtigen; - und Menschen beglücken: durch Wahrheitskraft; durch Abbildung der Unanständigkeit; durch verschärfte Wiedergabe des Seienden. Durch Überlegenheit über den Dreck.“ (Kerr 1934, S. 41f.)
Kerrs eigene Gedichte an seinem Anspruch an die Satire zu messen, ist somit ein logisches und interessantes Ziel. Kerr lässt Satire allerdings nicht nur in seinen Gedichten auf den Leser wirken, sondern arbeitet auch im Prosateil mit diesem „gattungsübergreifenden Verfahren“ (Reallexikon 2003, Bd. 3, S. 355). Dieser Prosateil kann hier grundsätzlich nicht berücksichtigt werden und fliesst nur dort in die Gedichtsanalysen ein, wo ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Ebenso wenig können alle Gedichte ausführlich analysiert und die historischen Zusammenhänge erschlossen werden. Trotzdem sollen neben den ‚Hauptgedichten’ - „Sie rüsten.“, „Diese Zeit.“ und „Hitler 1934. Der Anführer spricht.“ - auch andere Gedichte in die Analyse und vor allem ins Fazit mit einbezogen werden, wobei die Gedichte vor 1930 ganz ausser Acht gelassen werden.
Nebst dieser quantitativen Einschränkung sollen noch einige Erklärungen zum methodischen Vorgehen und zu der thematischen Gliederung gegeben werden. Grundsätzlich ist hierfür festzuhalten, dass sich Kerrs Satire auf eine vorhandene Realität beziehen muss, vor allem, wenn er nicht gegen seine eigene Bedingung, die „Wahrheitskraft“, verstossen möchte. Somit ist Kerrs Satire stets Reaktion. Bevor man Kerrs Satire mit seiner Definition vergleichen kann, muss Klarheit über diese Aktion bestehen. Dieser Bezug zur Aktion wird als ordnendes Prinzip verwendet. Die Gliederung dieser Arbeit stützt sich deswegen auf die Satire-Definition aus dem Brockhaus: „Die Literaturgattung, die durch Spott, Ironie, Übertreibung bestimmte Personen, Anschauungen, Ereignisse oder Zustände kritisieren oder lächerlich machen will.“ (Brockhaus 2000, „Satire“). Aus diesen Zielobjekten der Satire habe ich die Bereiche „Personen“ und „Zustände“ ausgewählt, da sich Kerr in seinen Gedichten sehr oft mit den Themen „Hitler“ und „Weimarer Republik“ auseinandersetzt.
Es versteht sich von selbst, dass Kerr mit seiner Satire auch auf die beiden anderen Bereiche zielt und oft mehrere Ziele in einem Gedicht ‚aufs Korn’ nimmt. Ein gutes Beispiel hierfür ist „Der Biolog.“ - ein Gedicht, das sich hauptsächlich auf die Anschauung der Nationalsozialisten bezieht. Nebenbei zielt Kerr mit seiner Satire aber auf Personen, wie den geistigen Schöpfer der nationalsozialistischen Anschauung Hans Friedrich Karl Günther, Hitlers Reichspropagandaleiter Goebbels (Brockhaus 2000, „Goebbels“) und den Stabchef der SA, Ernst Röhm (Brockhaus 2000, „Röhm“). Für die weitere Analyse der Satire hat die Definition von Brockhaus keine Bedeutung.
Der Einfachheit halber werden die Ursprünge von Fachbegriffen nur angegeben, wenn sie nicht aus der Schrift „Einübung in die Literaturwissenschaft“ stammen (Fricke 2000).
Letztlich muss noch einem ganz anderen Umstand Rechnung getragen werden. Kerr schreibt die hier analysierten Gedichte im Zeitraum von Hitlers Machtübernahme von 1930-1934 und somit noch vor den besonders grausamen Geschehnissen und Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur. Seine satirischen Übertreibungen dürften nach unserem heutigen Wissensstand die übertreibende, satirische Wirkung teils verloren haben, da sie aus heutiger Sicht schlicht den Tatbestand wiedergeben.
2. Zustände in der Weimarer Republik
Immer wieder äussert sich der Kritiker warnend zur Weimarer Republik (Riss 2000, S. 308). „Die Diktatur des Hausknechts“ enthält etliche Gedichte, welche auf Versäumnisse und Chancen der Weimarer Republik eingehen. Die wichtigsten darunter sind: „Schlapp“, „Sie rüsten.“, „Spandau.“, „Menschheit.“, „Wer hat...“, „Diese Zeit.“, „Das neue Wappen“ und „Verworrene Welt...“.
2.1. Die Warnung vor den Nationalsozialisten
Das Gedicht „Sie rüsten.“ (Kerr 1934, S. 128) beginnt im freien Knittelvers (Metzler 1990, S. 241f.), meist mit Auftakt, wobei der jambische Rhythmus auch mal von einem Anapäst ergänzt wird. So kommt bei der Skansion des zweiten Verses tatsächlich das Gefühl auf, dass eine Dampflok langsam und unaufhaltsam die Fahrt aufnimmt. Dies ist auf den Stabreim der beiden Artikel und dem Wort „dampft“, sowie auf die der Zäsur folgenden Anapäst und Jambus zurückzuführen. Der „Tornister“ ist eine Bezeichnung für einen rucksackähnlichen, militärischen Tragbehälter und steht sinnbildlich für die Marschbereitschaft einer Truppe. Der Ausdruck ist in den 30er Jahren wohl als verblasste Metapher anzusehen. In gleichem Sinne kann der Begriff „Feldküche“ verstanden werden, durch den nochmals die abstrakte Bereitschaft konkretisiert wird. Infolge der noch immer nahen Kriegserlebnisse des ersten Weltkrieges ist auch dieser Begriff als Metapher eher verblasst. Bereits im ersten Vers konkretisiert Kerr das abstrakte heimliche „Rüsten“ für einen Putsch in den feinen Wassertröpfchen des „Nebels“ und vergleicht die damit verbundene Heimtücke mit der „Dämmerung“. Diese erste Strophe ist, wie das ganze Gedicht, vom Kreuzreim dominiert. Die ersten zwei Verse werden von den Reimen der Verse drei und vier abgeschlossen und inhaltlich entscheidend ergänzt. So werden untätige, naive wie gutgläubige hohe Persönlichkeiten der Weimarer Republik mit „Lämmern“ und „Tauben“ verglichen. Diese Entpersonifikation ist von starker historischer „Wahrheitskraft“: Nach dem Putsch von 1923 erhielt Hitler zwar eine fünfjährige Gefängnisstrafe und die NSDAP wurde verboten. Doch bereits nach einem Jahr entliess man ihn wieder. Der zukünftige Despot konnte die Zeit im Gefängnis sogar zum Schreiben seines Buches „Mein Kampf“ nutzen. Darin beschrieb er schon sehr früh - und für die Öffentlichkeit zugänglich - seine zukünftigen Pläne. Immer wieder hätten also die Repräsentanten der Weimarer Republik Grund und Gelegenheit gehabt, Hitler der staatsfeindlichen Gesinnung zu überführen, so auch 1931 nach der Enthüllung des Boxheimer-Dokuments (Beckers 2007) oder bereits 1925 nach der Neugründung der NSDAP (Brockhaus 2000, „NSDAP“).
Das Schema des Kreuzreimes wird in der zweiten Strophe beibehalten. Jedoch ist die Perspektive für die ganze Strophe das „wir“; in welchem der Autor alle Gegner des Verbrechertums vereinigt, denn er setzt dem „wir“ unmittelbar „die Knoten“ gegenüber. Der Begriff „Knoten“ ist archaisierend zu verstehen und bezeichnet einen „besonders sittlich rohen, plumpen kerl“ (GDW 2003, Bd. 11, Sp. 1507). Im Zusammenhang mit „schürzen“, was „einen Knoten schlingen“ (GDW 2003, Bd. 15, Sp. 2063) bedeutet, kommt nun der Henker zum Vorschein, der für sein Opfer die Henkersschlinge knüpft. Kerr kreiert dieses Bild mit Hilfe der Metonymie, indem er die „Henkerschlinge“ begrifflich mit dem Hauptbestandteil der Schlinge – dem Knoten – vertauscht. Der Wahrheitsgehalt steht für einmal nicht im Vordergrund. Die gedankliche Überlegenheit ist die Kraft und das Ziel dieses Verses und darin liegt auch die Unanständigkeit der ganzen Strophe, welche die begonnene Verspottung auf das Wort „wir“ projektiert. Der zweite Vers ist inhaltlich offenkundig, jedoch unterstützt er die Pointe der zweiten Strophe, welche zugleich auch die Pointe des ganzen Gedichtes ist. Während die künftigen Opfer zusehen, wie ihr Strick geknotet wird und merken müssten, dass sie bald angegriffen werden, verhalten sie sich passiv. Kerr lässt es nicht bei dieser Passivität bewenden, sondern beschuldigt das „wir“, zumindest alle hohe Vertretern der Weimarer Republik, der Feigheit gegenüber dem Feinde und des Verrates am Vaterland. Dieser Vorwurf ist so ungeheuerlich, dass es jeden Führungsverantwortlichen in seiner Ehre treffen müsste und die gleich gesinnte Leserschaft dürfte dies treffend und witzig gefunden haben. Kerr erreicht diese Wirkung, in dem er das vorhin geschilderte Bild durch einen wiederkehrenden, refrainartigen Vers metaphorisch ersetzt:
„Immer langsam voran.“ Der Vers ist der erste Teil des Refrains im „Immer langsam voran [...] / dass die Krähwinkler Landwehr nachkommen kann.“ In diesem bekannten Volkslied werden die Vorgesetzten als feige besungen und wo’s ernst wird, ist die Truppe lieber zu spät als zu früh am Ort (Kommersbuch 2007). Erwähnenswert ist weiter, dass dieser Vers, wie auch der letzte in der dritten Strophe und die drei letzten Versen der vierten Strophe, auftaktlos sind. Kerr unterstreicht letztlich das Fehlen von Mut und Kampfeswille mit einer Katalexe, die immer dann vorkommt, wenn es „voran“ –gehen sollte.
In der dritten Strophe wird diesem übergeordneten Zusammenhang zwar nichts mehr hinzugefügt, aber Kerr verdeutlicht nochmals in einem vulgären und archaisierenden Stil die unmittelbare barbarische wie animalische Gefahr. Er drückt dies im parallelen Aufbau zur ersten Strophe mit „Sie haben“ und „Uns sind“ aus. Dieses Bild ergänzt der Dichter im nächsten Vers mit einem weiteren: Die noch nicht herausgerissenen Eingeweide – „Kaldaunen“ – verdeutlichen die animalische und unmittelbare Gefahr sowie das untätige Individuum. Der abschliessende Refrain-Vers wird so vorweggenommen.
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- Arbeit zitieren
- Sebastian Kessler (Autor:in), 2007, "Überlegenheit über den Dreck" - Kerrs Satire in "Die Diktatur des Hausknechts", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86552
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