Das Ende der kommunistischen Herrschaft in Ostmitteleuropa hat tief greifende Umwälzungen mit sich gebracht. Die ehemals kommunistischen Staaten sehen sich seitdem mit neuen Aufgaben, die sich zu einem Großteil unter den Begriffen ökonomische, politische und soziale Transformation subsumieren lassen, konfrontiert. Dazu müssen die betroffenen Gesellschaften eine gewisse Distanz zu ihrer kommunistischen Vergangenheit aufbauen und sie aufarbeiten, um sie schlussendlich zu bewältigen und ein neues, den veränderten Verhältnissen entsprechendes Selbstverständnis zu entwickeln. Dabei wird ein gewisser Grundkonsens in der Bewertung und Einordnung der Vergangenheit benötigt, damit sich eine nationale Erinnerung bzw. Erzählweise der Vergangenheit aufbauen kann. Die Länder des ehemaligen „Ostblocks“ gehen dabei unterschiedliche Wege und dementsprechend befinden sie sich auch in unterschiedlichen Stadien der Vergangenheitsbewältigung. Die vorliegende Arbeit untersucht den Fall der Slowakischen Republik und ihrer Vergangenheitsbewältigung.
Für die Slowaken leitete das Ende der kommunistischen Herrschaft gleich einen zweifachen Umbruch ein. Zunächst wurde im Herbst 1989 dem herrschenden politischen System durch die sog. „Samtene Revolution“ ein Ende gesetzt, worauf am 1. Januar 1993 das Auseinanderbrechen der gemeinsamen Republik mit den Tschechen folgte, die sog. „Samtene Scheidung“. Beide Vorgänge bilden zentrale Erfahrungen im Umgang mit der Vergangenheit. Das Ende des politischen Systems entzog den alten Machthabern nicht nur ihre Legitimität, sondern brachte ebenso eine kollektive Identitätskrise mit sich, die in der Transformationsphase eine Suche nach neuen Fixpunkten für die nationale Identität erfordert.
Gliederung
1. Einleitung
2. Die kommunistische Zeit
2.1. Der Weg in den Kommunismus
2.2. Die Anfänge der kommunistischen Herrschaft
2.3. Vor dem Prager Frühling
2.4. Nach dem Prager Frühling
3. Die Slowakei nach 1989 / 93
4. Geschichte, Vergangenheit und Erinnerung
5. Die Erinnerung an die kommunistische Herrschaft in der Slowakei
5.1. Das Lustrationsgesetz
5.2. Das Gesetz über den unmoralischen und rechtswidrigen Charakter des kommunistischen Systems
5.3. Die mit der Aufarbeitung der kommunistischen Herrschaft betrauten Institutionen
5.4. Von neuen Mythen und neuen Symbolen
5.4.1. Der Mythos Alexander Dubček
5.5. Die Umgestaltung des öffentlichen Raumes
5.6. Die slowakische Historiographie seit 1989
6. Abschließende Bemerkungen
7. Anhang
7.1. Literaturverzeichnis
7.2. Abbildungsnachweis
1. Einleitung
„Naspä cesta nemožná, napred sa ís musí!“[1]
Das Ende der kommunistischen Herrschaft in Ostmitteleuropa hat tief greifende Umwälzungen mit sich gebracht. Die ehemals kommunistischen Staaten sehen sich seitdem mit neuen Aufgaben, die sich zu einem Großteil unter den Begriffen ökonomische, politische und soziale Transformation subsumieren lassen, konfrontiert. Dazu müssen die betroffenen Gesellschaften eine gewisse Distanz zu ihrer kommunistischen Vergangenheit aufbauen und sie aufarbeiten, um sie schlussendlich zu bewältigen und ein neues, den veränderten Verhältnissen entsprechendes Selbstverständnis zu entwickeln. Dabei wird ein gewisser Grundkonsens in der Bewertung und Einordnung der Vergangenheit benötigt, damit sich eine nationale Erinnerung bzw. Erzählweise der Vergangenheit aufbauen kann. Die Länder des ehemaligen „Ostblocks“ gehen dabei unterschiedliche Wege und dementsprechend befinden sie sich auch in unterschiedlichen Stadien der Vergangenheitsbewältigung. Die vorliegende
Arbeit untersucht den Fall der Slowakischen Republik und ihrer Vergangenheitsbewältigung.
Für die Slowaken leitete das Ende der kommunistischen Herrschaft gleich einen zweifachen Umbruch ein. Zunächst wurde im Herbst 1989 dem herrschenden politischen System durch die sog. „Samtene Revolution“ ein Ende gesetzt, worauf am 1. Januar 1993 das Auseinanderbrechen der gemeinsamen Republik mit den Tschechen folgte, die sog. „Samtene Scheidung“. Beide Vorgänge bilden zentrale Erfahrungen im Umgang mit der Vergangenheit. Das Ende des politischen Systems entzog den alten Machthabern nicht nur ihre Legitimität, sondern brachte ebenso eine kollektive Identitätskrise mit sich, die in der Transformationsphase eine Suche nach neuen Fixpunkten für die nationale Identität erfordert.[2]
Die Erfahrung des politischen Umbruchs ist für die Slowaken nicht neu: Wer 1993 mindestens 80 Jahre alt war, hat acht Verfassungen in sieben Staaten erlebt, wovon jedoch nur zwei als demokratisch angesehen werden können – und all das ohne auch nur einmal umzuziehen![3] Während einer Generation hat dementsprechend bspw. der heute Friedensplatz heißende Platz in Trenčín auch die Namen Szalavsky-, Masaryk-, Hlinka- und Stalinplatz getragen.[4] Diese wechselhafte Geschichte des Landes wird auch in der Entwicklung, die es seit 1989 genommen hat, reflektiert.
Die verwendete Literatur zum vorliegenden Thema basiert nicht nur auf zahlreichen Disziplinen der Geschichtswissenschaft, sondern umfasst auch die Sozialwissenschaften. Da sich die nationale Erinnerung an die kommunistische Herrschaft und die Politik wechselseitig beeinflussen[5] und es in den Verantwortungsbereich der politischen Führung fällt, einen Rahmen zur juristischen Aufarbeitung zu kreieren, sind hier besonders Politologie und Jurisprudenz von Bedeutung. Eine Schnittstelle von gegenwärtiger Politik und Vergangenheit bildet bspw. die sog. Vergangenheitspolitik als offiziell organisiertes Erinnern und Vergessen. Beides kann seinen Ausdruck in immaterieller Form wie als Etablierung oder Abschaffung eines Feiertags sowie in materieller Form wie als Errichtung oder Demontage eines Denkmals finden. Auch die Historiographie als professionelle Beschäftigung mit der Vergangenheit unterliegt den Einflüssen der gegenwärtigen Politik und kann zur Vergangenheitsbewältigung beitragen.
Um den Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit zu beleuchten, ist aber auch eine Betrachtung derselbigen vorzunehmen. Zwar handelt es sich hierbei um den Kommunismus der Tschechoslowakei – also des gemeinsamen Staates mit den Tschechen – doch wird hierbei besonders die slowakische Sicht betont. Dem geschichtlichen Abriss folgt eine Betrachtung der politischen Entwicklung, die die Slowakei nach der Samtenen Revolution genommen hat. Diese hat den Bereich der Vergangenheitsbewältigung nämlich entscheidend beeinflusst. Danach werden neben den o. g. Formen des öffentlichen Gedenkens noch weitere Maßnahmen zur Umgestaltung des öffentlichen Raumes sowie die Schaffung neuer Symbole und Mythen und das Beispiel Alexander Dubčeks untersucht. An letzter Stelle folgen einige abschließende Bemerkungen.
2. Die kommunistische Zeit
2.1. Der Weg in den Kommunismus
Nach dem Zweiten Weltkrieg verfügte die Linke aus Kommunisten und Sozialdemokraten zunächst über einen ähnlich starken Rückhalt in der slowakischen Bevölkerung wie die bürgerlichen Parteien. Aber kurz bevor 1946 die letzten halbwegs freien Wahlen abgehalten wurden, dehnten die bürgerlichen Parteien ihren Einfluss aus und konnten bei den Wahlen im slowakischen Landesteil 62% der Wählerstimmen auf sich vereinen. Insgesamt wurde sogar zu 70% nicht kommunistisch gewählt.[6] Durch die Wahlergebnisse geschwächt, glitt die zuvor formal unabhängige slowakische Kommunistische Partei (KP) in eine Abhängigkeit vom Prager Machtzentrum.[7]
Im Ringen um die politische Ausgestaltung der Tschechoslowakei wurde der slowakische Landesteil zum Schlachtfeld um die Machtverhältnisse im ganzen Land. Die Kommunisten machten sich die Schlüsselpositionen, die sie innehatten, sowie wachsende Spannungen im Land zunutze, so dass alle anderen Parteien ihren Einfluss einbüßten. Dieses Muster wurde im Februar 1948 auch bei der landesweiten Machtergreifung der Kommunisten angewendet.[8]
2.2. Die Anfänge der kommunistischen Herrschaft
Um ihre Herrschaft zu konsolidieren, begannen die Kommunisten nun mit dem Staatsumbau in ihrem Sinne. Dabei erwies sich besonders die Kollektivierung der Landwirtschaft als langwierig und musste unter erheblichem Druck durchgeführt werden. Ebenfalls wurde der kirchliche Einfluss brutal eingedämmt. Nach und nach konnte die Staatsführung jeglichen Widerstand bis auf den kirchlichen, der bis zur Wende bestehen blieb, lähmen.[9]
Im Sommer 1948 wurden die slowakische und die tschechische KP zusammengelegt, was die Autonomie der slowakischen Kommunisten weiter beschnitt. Unter ihnen gewannen besonders nationalkommunistische Strömungen an Boden. Dagegen setzte das Prager Machtzentrum die Verfolgung aller politischen und nationalen Autonomiebestrebungen, so dass herausragende Vertreter des slowakischen Nationalkommunismus wie Gustav Husák als „Bourgeoise Nationalisten“ verhaftet, Schauprozessen unterzogen und in einigen Fällen sogar zum Tode oder lebenslänglichen Strafen verurteilt wurden. Das harte Vorgehen Prags forcierte unter den Slowaken die Tendenz, den Kommunismus nicht nur als tschechisch, sondern auch als neue Spielart der nationalen Unterdrückung zu sehen.[10]
2.3. Vor dem Prager Frühling
Ab Ende der Fünfzigerjahre kamen die Slowaken durch die forcierte Modernisierung des Landes in den Genuss eines Aufschwungs, der eine neue geistige Elite entstehen ließ. Im tschechischen Landesteil wurden die bereits vorhandenen Wirtschaftszweige ausgebaut, während im bis dato wirtschaftlich zurückgebliebenen slowakischen Teil u. a. die Rüstungsindustrie ganz neu angesiedelt wurde. Diese Verfahrensweise ermöglichte eine rasche Modernisierung und zog den größten Urbanisierungs- und Industrialisierungssprung in der slowakischen Geschichte nach sich. Die Steigerung des Lebensstandards wurde von der Gesellschaft honoriert und konnte ihrer Frustration bis in die Sechzigerjahre entgegenwirken.
1960 trat eine neue Verfassung in der Tschechoslowakei in Kraft, die das Land zentralisierte und die slowakischen Nationalorgane zur Bedeutungslosigkeit verdammte. Außerdem erklärte man die Tschechoslowakische Republik zu einer sozialistischen Republik, der ČSSR.[11] Besonders die Verneinung ihrer nationalen Frage enttäuschte die Slowaken, wozu eine landesweite ökonomische Krise trat. Daraus entwickelte sich nach und nach eine Grundsatzdebatte, die die Ideen des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ gebar. Eine aufgeregte Stimmung erfasste die tschechoslowakische Gesellschaft, in der sich die geführte Debatte für den slowakischen Teil klar mit der nationalen Frage, der Föderalisierung des Landes und der gleichberechtigten Partizipation auf allen politischen Ebenen verband. Auch sollte die Rehabilitierung der Anfang der Fünfzigerjahre als bourgeoise Nationalisten verurteilen Slowaken erfolgen. Diese Forderungen formten den slowakischen Standpunkt im Prager Frühling.[12]
Im Herbst 1967 wurde der reformorientierte Slowake Alexander Dubček zum neuen Staatschef und tatsächlich schlug die Tschechoslowakei nun einen Reformkurs ein. Die ökonomische und politische Liberalisierung folgte, außerdem wurden einige der in den Fünfzigerjahren Verurteilen rehabilitiert. Auch die Zensur wurde abgeschafft und der Druck auf die Kirche verringert sowie Vorbereitungen zu der für die Slowaken besonders bedeutenden Föderalisierung getroffen.
Die während des Prager Frühlings angestoßenen Entwicklungen waren den sowjetischen Machthabern jedoch ein Dorn im Auge und so erfolgte am 21. August 1968 die Okkupation des Landes durch Truppen des Warschauer Pakts. Dem Experiment eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz wurde somit ein Riegel vorgeschoben und der Entwicklung oppositioneller Strömungen nachhaltig entgegengewirkt.[13]
2.4. Nach dem Prager Frühling
Auf den Prager Frühling folgte die Zeit der Normalisierung, die unter restaurativen Vorzeichen stand, so dass die Reformen in der Folgezeit rückgängig gemacht wurden. Lediglich die geplante Föderalisierung der Tschechoslowakei erfolgte am 1. Januar 1969 und die Slowakei wurde als Teilrepublik anerkannt. Die Normalisierung leitete ebenfalls eine abermalige Verschärfung des politischen Klimas mit Repressalien für die einstigen Reformer ein. Insgesamt fielen die politischen Repressionen im slowakischen Landesteil aber schwächer als im tschechischen aus, so dass einige der slowakischen Reformer in den Siebziger- und Achtzigerjahren zumindest ansatzweise integriert wurden.[14] Doch büßten die Maßnahmen ihre einschüchternde Wirkung nicht ein. Auch die slowakische Frage blieb problematisch, denn die Föderalisierung wurde nach und nach immer mehr eingeschränkt.[15]
Der Kirche gelang es, im Geheimen gut ausgebaute Kirchenstrukturen zu etablieren, die auch politisch in Erscheinung traten. So waren es kirchliche Vertreter, die den größten politischen Widerstand nach 1969 organisierten, die Kerzendemonstration in Bratislava am 25. März 1988.
Nach außen hatte sich die Bevölkerung mit der Staatsführung nämlich engagiert und distanzierte sich eher innerlich vom Regime, so dass unter den Slowaken vor 1989 außer in katholischen und ökologisch orientierten Kreisen kaum oppositionelle Gruppen entstanden. Auch an der Menschen- und Bürgerrechtserklärung Charta 77 beteiligten sich weniger Slowaken als Tschechen.[16]
Ihre Unzufriedenheit mit dem kommunistischen Regime brachten zuerst Studenten zum Ausdruck. Im Herbst 1989 kam es unter dem Eindruck der Vorgänge in den anderen kommunistischen Ländern dann zu Massendemonstrationen in Bratislava und Prag, die schließlich das Ende des Kommunismus einleiteten. Das plötzliche Ende des Regimes traf die Slowaken jedoch unvorbereitet, reif wären sie eher für eine langsame Reformierung des Landes gewesen.[17]
[...]
[1] „Zurückgehen ist unmöglich, vorwärts gehen ist der einzige Weg!“ L’udovít Štúr (1815-1856), führende Persönlichkeit der slowakischen Nationalbewegung. (Vgl. Miháliková, S.: The Politics of Memory in Post-Communist Slovakia, in: Central European Political Science Review, 3 (2002), Nr. 7, S. 147)
[2] Pauer, J.: Zur Herausbildung kollektiver Identitäten in der Tschechischen und Slowakischen Republik nach 1989, in: Höhmann, H.-H. (Hrsg.): Kultur als Bestimmungsfaktor der Transformation im Osten Europas, Bremen 2001, S. 254.
[3] Miháliková, S.: Political Symbolism of Slovakia: Between the Cross and European Star, in: Sociológia, 37 (2005), Nr. 6, S. 531.
[4] Lipták, L’.: Politische Veränderungen der Denkmäler und Denkmäler der politischen Veränderungen in der Slowakei, in: Unfried, B. (Hrsg.): Spuren des „Realsozialismus“ in Böhmen und der Slowakei. Monumente – Museen – Gedenktage, Wien 1996, S. 154.
[5] Csáky, M.: Geschichte und Gedächtnis. Erinnerung und Erinnerungsstrategien im narrativen historischen Verfahren. Das Beispiel Zentraleuropas, in: Klio ohne Fesseln? Historiographie im östlichen Europa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, Wien 2002, S. 62.[= Sonderheft ÖOH, 44 (2002), Nr. 1/2]
[6] Lipták, L’.: Slovakia in the 20th Century, in: Mannová, E. (Hrsg.): A Concise History of Slovakia, Bratislava 2000, S. 274 f.
[7] Pauer, J.: Geschichtsdiskurse und Vergangenheitspolitik in der Tschechischen und Slowakischen Republik nach 1989, in: Corbea-Hoisie, A. / Jaworski, R. / Sommer, M. (Hrsgg.): Umbruch im östlichen Europa. Die nationale Wende und das kollektive Gedächtnis, Innsbruck 2004, S. 93.
[8] Lipták: Slovakia, S. 276.
[9] Ebd., S. 282 ff.
[10] Pauer: Geschichtsdiskurse, S. 93.
[11] Lipták: Slovakia, S. 285 f.
[12] Pauer: Geschichtsdiskurse, S. 94.
[13] Lipták: Slovakia, S. 287 ff.
[14] Pauer: Geschichtsdiskurse, S. 98.
[15] Lipták: Slovakia, S. 291 f.
[16] Pauer: Kollektive Identitäten, S. 94 f.
[17] Kubín, L’.: L’utilisation du passé à des fins politiques après 1989 en Slovaquie, in: Mémoires du communisme en Europe centrale, Cahiers du CEFRES, 26 (2001), S. 96.
- Arbeit zitieren
- BA of Arts Susanne Makarewicz (Autor:in), 2007, Die kommunistische Herrschaft in der nationalen Erinnerung der Slowakei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86112
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