Wissenschaftliche Untersuchungen über Poetry Slam sind noch an zehn Fingern abzuzählen, doch auf vorhergehende Abschlussarbeiten konnte hier Bezug genommen werden. In der Arbeit wird sich aus diesem Grund nicht in erster Linie mit einer Definition des Phänomens Poetry Slam befasst und auch nicht mit der Geschichte des Slam; das haben Boris Preckwitz und Stefanie Westermayr schon ausführlich getan. Es wird sich dem Poetry Slam als `Performance Poesie` angenähert und dabei die kommunikative Wechselwirkung zwischen Autor und Zuschauer oder umgekehrt und zwischen Zuschauer und Zuschauer untersucht. Zudem werden Bild-Assoziationen, die durch die performativen Einflüsse auf Dichter und Publikum wirken, dargestellt.
Beim Dichter (beim Verfassen seines Textes) und beim Rezipienten (wenn er den vorgetragenen Text aufnimmt) wird durch Assoziation ein Bild im inneren Gedankenraum projiziert. Dieser Gedankenraum wird nach Gaston Bachelard `poetischer Raum` genannt. Durch den Vortrag auf der Bühne eröffnet sich ein poetischer Raum in den Köpfen des Publikums. Der Autor kann versuchen diesen Raum durch seinen Vortrag zu steuern und anhand des `Publikumsfeedbacks` erfährt er, ob ihm dies geglückt ist.
Um der Thematik der Bild-Assoziation im Poetry Slam gerecht zu werden, wird sich mit Wahrnehmungs- und Imaginationsprozessen auseinandergesetzt sowie mit Performanz-Theorien. Zum einen ist Wahrnehmung subjektiv, es gibt aber auch Assoziationen, die Kollektivbilder hervorrufen und sich durch die Idee eines `kollektiven Bewusstseins` erklären lassen.
Das Kollektive spiegelt sich auch in der gemeinsamen Identifikation der Akteure während einer Poetry Slam-Veranstaltung wieder, die durch die soziale Interaktion ausgelöst wird und dem Slam die gemeinschaftliche Struktur eines kulturellen Feldes verleiht. Die Vorstellung von einem kollektiven Feld wird mit Hilfe der `Habitus-Feld-Theorie` von Pierre Bourdieu veranschaulicht. Zur Performanz im Poetry Slam wird auf Ideen von Judith Butler und Erika Fischer-Lichte Bezug genommen. Aus diesen Grundgedanken entstanden weitere wichtige Aspekte zum Thema Poetry Slam, so dass die hier vorliegende Magisterarbeit in zwei Blöcke unterteilt wird.
Inhalt
Vorwort
Einleitung
1. `Slam Poetry`
1.1 Literaturästhetischer Ansatz
1.2 Poetry Slam als orale Aufführungsform
1.3 Die `Slamily` als `Community`
2. Das Performative im Poetry Slam
2.1 Wahrnehmungstheoretischer Ansatz zur Performanz
2.2 Performanz der Bild-Assoziation
2.3 Ansätze zu einer intermedialen Poetik
3. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Materialien
Anmerkung der Autorin
Die hier vorliegende Veröffentlichung beinhaltet die im Januar 2006 an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz verfasste Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister Artium des Fachbereich 05-Philosophie und Philologie für Neuere deutsche Literaturgeschichte.
Vorwort
Welcome to the slam family and enjoy that adventure.
It just might change your life. Slam on!
(Marc Kelly Smith)
(so what!)
Als ich im Sommer 2003 nach Berlin zog, um dort für ein halbes Jahr das kulturelle und universitäre Leben der Metropole kennen zu lernen, machte ich zum ersten Mal die Bekanntschaft mit dem Phänomen Poetry Slam. Ironischer Weise wurde ich durch das „Literarische Colloquium“ – ein etabliertes Literaturinstitut – auf `Slam Poetry` aufmerksam. Ich folgte der Einladung eines Lyrikabends „besonderer Art“. Das Publikum hatte ein etwas reiferes Durchschnittsalter, obwohl es natürlich sehr unterschiedliche Slams gibt und die Interaktionshaltung war im Vergleich zu anderen Slam-Veranstaltungen reservierter. Applaudiert wurde natürlich, aber Verständigungsarten wie Zwischenrufe oder Pfiffe, gab es kaum. Die Poeten wurden durch den MC (engl.: master of ceremony) angekündigt und traten nacheinander an. Mittels Klatschlautstärke des Publikums wurde hierbei versucht, den Sieger zu ermitteln. Nachdem dieser gewählt wurde gab es eine Ehrung mit Siegerkranz. Anschließend ging man nach Hause, anstatt wie bei einem Slam oft üblich im Anschluss zu feiern und zu tanzen.
Poetry Slam bringt dem Rezipienten Dichtung im Ausdruck mittelbar und thematisch oftmals aus dem Leben entnommen nahe und besteht nicht auf eine Distanz zwischen Autor und Publikum. Das „stille“ Lesen eines Gedichts in einem zurückgezogenen und auf sich selbst bezogenen Zustand fällt somit natürlich weg, da der Slam auf der „Bühne“ stattfindet und im Idealfall von der Interaktion zwischen Poet und Zuschauer lebt.
Ich sah mir in diesem Sommer weitere Slams an, wie den von Sebastian Krämer veranstalteten „Scheinbar-slam“. Krämer tritt nicht nur als Poet auf, sondern ist auch ein bekannter Kabarettist. Er untermalt seinen Slam gerne mit Klaviereinlagen auf einer Kleintheaterbühne. Durch Wolfgang (Wolf) Hogekamp, einen der Initiatoren des Poetry Slam in Deutschland (ca. 1993/94) und Veranstalter des Slam im „Bastard“, erhielt ich Einblicke in die Poetry Slam-Szene. Er zeigte mir auch seine eigens produzierten `Poetry Clips`[1]. Bastian (Bas) Böttcher und Xóchil Andrea Schütz konnte ich ebenfalls interviewen. Schütz´ „SÜD*SLAM“ pausierte allerdings in diesem Sommer.
Als Vergleich zum Poetry Slam besuchte ich noch andere Lesungen in Berlin, wie Lesebühnen: „Surfpoeten“, „LSD“, „Reformbühne Heim und Welt“, „Mittwochsfazit“, „Radio Hochsee“ und „Chaussee der Enthusiasten“ sowie Literaturkeller und Literatursalons. Beim Verbrecher Verlag absolvierte ich ein Praktikum und ging zur Lesung im „Kaffee Burger“. Für die „literaturWERKstatt“ bei einer mehrtägigen Lyrik-Veranstaltung mit Lesungen und Diskussionsrunden zu Dichtung betreute ich die eingeladenen Autoren. Somit erhielt ich einen Einblick in die literarischen Strukturen der Stadt Berlin.
Mein Fazit war schnell klar: Ich fühlte mich als Publikumsmitglied beim Poetry Slam besonders angesprochen. Ich durfte auch mal „yeah“ oder „uäh“ rufen und konnte mich ohne Schüchternheit, auch alleine dort sitzend, mitteilen und manchmal bekam ich Reaktionen zurück. Die Gedichte bannten mich in ihrem eigentümlichen Rhythmus und wirkten auf mich als befreite Kunst: befreit von dem Anspruch `hohe Kunst` zu sein. Da ich mich zuvor in Berlin nicht auskannte und die Stadt auch sehr hektisch sein kann, fühlte ich mich auf den Slam-Abenden wie in Watte gepackt, da sie mir Geborgenheit und Inspiration gaben. Ich konnte meiner Phantasie und den inneren Bildern, die ich durch die Geschichten erhielt, freien Lauf lassen.
Nach Berlin besuchte ich auch an anderen Orten in Deutschland Poetry Slam-Veranstaltungen und konnte beim „8. International Poetry Slam“ im Oktober 2004 in Stuttgart ein Filmprojekt starten. Mit einigen Mitgliedern der `Slamily[2] ` planen wir eine Slam-Zeitung herauszugeben.
Im Oktober 2005 begleitete ich Nora Gomringer nach San Francisco und Chicago, wo wir Marc Kelly Smith, den Begründer des Poetry Slam, besuchten. Er veranstaltet seine Slam-Abende in der bekannten Chicagoer Jazz Bar „Green Mill“, wo einst Al Capone seine Drinks bestellte. Nora performte auch dort und ich erhielt die Möglichkeit Marc persönlich kennen zu lernen und für die hier vorliegende Arbeit zu befragen.
Letztendlich aber war die Zeit in Berlin ausschlaggebend dafür, dass ich Poetry Slam zu meinem Magisterarbeitsthema machte, da dort mein Interesse für dieses spezielle literarische Veranstaltungsformat geweckt wurde.
Dankende Worte möchte ich an dieser Stelle gerne einfügen. Bedanken möchte ich mich bei Herrn Dr. Matthias Bauer, der mir bei meiner Arbeit große Unterstützung zukommen ließ, indem er mich zur Konzentration meiner Gedanken anregte und mein Interesse für die Thematik teilte, dem Zweitkorrektor Herrn Professor Dr. Andreas Solbach und dem Dekanat des Fachbereichs Germanistik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Professor Dr. Stephan Füssel. Ich danke dem Verbrecher Verlag in Berlin: Jörg Sundermeier und Werner Labisch für die persönliche Fürsorge. Dr. Johannes Ullmaier hat mir als Dozent an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz den Weg zu zeitgenössischen und neueren Literaturbewegungen erschlossen.
Besten Dank auch allen Menschen, die mich zu dieser Arbeit inspiriert haben: Marc Kelly Smith und Steve Muray, die sich in Chicago mehrere Stunden interviewen ließen, Wolfgang Hogekamp für seine Offenheit, mich mit anderen Poeten bekannt zu machen und für sein Interview. Dank an Xóchil A. Schütz, die mir über Frauen im Slam Rede und Antwort stand, Boris Preckwitz für sein Buch „Slam Poetry – Nachhut der Moderne“ und seine Antworten, den Interview-Partnern: Sebastian Krämer, Felix Römer, Bastian Böttcher und Hellwig Brunner. Letzteren habe ich beim Poesiefestival der „literaturWERKstatt" kennen gelernt. Außerdem bedanke ich mich bei Tom de Toys, Dirk Hülstrunk, Alex Dreppec, Rüdiger Andriz und bei Angelika und Timo Brunke, die mich beim „8. International Poetry Slam“ 2004 filmen ließen.
Dank an alle Poeten, die mir meine unprofessionellen Interviews verziehen und mir trotzdem geantwortet haben!
Für die Unterstützung durch unsere nicht öffentliche `Yahoo Group` `MetaSlam` möchte ich mich ebenfalls bei allen Mitgliedern bedanken, darunter besonders Andrea Römer, die momentan an der Marburger Universität eine Dissertation über Poetry Slam schreibt und Petra Anders, die sich mit einem Schulbuch über Poetry Slam einen Namen gemacht hat und nun eine Dissertation zum „U20-Slam“[3] begonnen hat. Dem Goethe Institut in San Francisco danke ich für die Einladung und freundliche Fürsorge vor Ort. Monika Rinck, die vom Goethe Institut San Francisco zum „4. Poetry Festival“ eingeladen wurde, möchte ich ebenfalls meinen Dank ausdrücken und Lars Keffer und Dunya Mikhail für ihre anregenden Gedankengänge sowie dem Deutschen Fachbereich der „University of Berkeley“, weil mich die Studenten durch ihre Fragen an Nora Gomringer und Monika Rink auf gute Ideen brachten. Dank auch an Nina und Steve Rotenberg, da sie bei den Poetry-Treffen in San Francisco dabei waren und ich dadurch nicht die einzige `Nicht-Poetin` war. `Last but not least` danke ich Nora Gomringer sehr, dass sie sich nicht davor gescheut hat mich und meine Kamera nach Amerika mitzunehmen und mir durch ihre Kontakte zum Ursprungsland des Poetry Slam zu wichtigen Interviews verhalf.
Einleitung
Im berühmten Chicagoer „Get Me High Jazz Club“ wurde der Poetry Slam 1984 von Marc K. Smith ins Leben gerufen. Smith gilt seitdem unter den Anhängern der Slam-Bewegung als geistiger Mentor, der sich bemüht die Gemeinschaft - oder wie er sich ausdrückt: Die `community` - zusammenzuhalten; sie nennen ihn deshalb liebevoll „slampapi“.
Die Idee für den Poetry Slam ist Smith immer wichtig geblieben. Zum einen entwickelte sie sich aus einer großen Resignation gegenüber dem etablierten Literaturmarkt:
In my infancy as a slam poet and organizer, I failed as much as I succeeded [...] I´ve been spurned by the intellectually elite, criticized by peers, and humiliated by the stupidity and arrogance of my choices. [...] The [writing] poet gets more respect and that´s why they get the money. I think the publishing world gets the great respect in that world. When you are not good to the marked – so?[4]
Er verachtet die Arroganz des `elfenbeinturmartigen` Literaturbetriebs in Amerika, zu dessen Kreisen er bis heute keinen Zutritt findet.
Smith kritisierte zum anderen die Darbietungsform von Poesie: „Wieso geht es bei Jazz-Konzerten so lebendig zu, und warum starren die Menschen bei literarischen Lesungen so oft in die Ecken? So fragte sich 1986 der Baustellen-Vorarbeiter Marc Smith.“[5] Auf die Art, wie er seine Gedichte vortrug und andere dazu animierte, gab er Autoren, die außerhalb des etablierten Literaturbetriebs standen, die Chance ihre Gedanken oder sinnlichen Erfahrungen vor Publikum auszudrücken. Er versuchte, sozial benachteiligten Menschen durch die `Slam Poetry` eine Stimme zu geben, die sie bis dato noch nicht hatten. Die Idee, von Gleichgesinnten bestätigt zu werden, ähnelt dem `respect-code`[6] -Gedanken des HipHop.
Da sich Poetry Slam im weiteren Rap-Kontext in Amerika etablierte[7], werden an einigen Stellen dieser Arbeit Querverweise zur HipHop-Szene eingefügt.
Smith verinnerlichte seine selbst auferlegte Aufgabe und hat damit nicht nur eine Veränderung des Formats Dichtung und der Rezeption bewirkt - auf die in der Arbeit für den deutschsprachigen Raum Bezug genommen wird - sondern auch eine `kreative` Bereicherung für den Menschen erzielt: „I can´t tell you how many people I´ve met whose lives were changed by the poetry slam.”[8]
Leider wird Smith in Amerika von der literarischen Öffentlichkeit nicht gebührend gewürdigt; einen Anflug von Resignation ließ er in unseren Gesprächen in Chicago durchblicken:
I have never ever concidered myself to be in the running for being the remember of the great poem. [...] I knew probably because I was outside of the literarly circles. I was a total outsider. I knew absolutely no one. I could say that I built my career with absolutely no connections to anybody. I built my performance career just as my ability at all.[9]
Smith hätte jedoch nie gedacht, dass sich der Poetry Slam zu einem postmodernen, beziehungsweise spätmodernen Kunstphänomen entwickeln wird. Ab 1990 verbreitete sich der Poetry Slam über Amerika: Chicago, San Francisco, Boston, New York - in die ganze Welt. Bob Holman machte den Slam im New Yorker „Nuyorican Café“ weltberühmt und etwa 1993 kam der Dichterwettkampf nach Deutschland, wo die Pioniere Rick Maverick, Tracy Splinter und Wolfgang Hogekamp den Poetry Slam ins „Ex`n`Pop“ nach Berlin holten. Hogekamp stand allerdings nicht erst durch den Poetry Slam auf der Bühne, doch rückblickend schien dieses Format vielleicht am erfolgreichsten gewesen zu sein, da er auch jetzt noch – über zehn Jahre später - im „Bastard“ seinen Poetry Slam veranstaltet. Weitere Veranstalter und Poeten folgten und heute umfasst die deutschsprachige Szene rund 50 bis 60 Slams, die in regelmäßigen Abständen stattfinden und etwa 400 bis 450 Mitglieder zählen zur `Slamily`.
Poetry Slam ist `Live-Literatur`. Ein Rezeptionsformat, bei dem Autoren ihre Texte mit Performancecharakter innerhalb eines Wettbewerbformats aufführen. Sie treten als Konkurrenten mit ihren Gedichten gegeneinander an und das Publikum oder die Jury erhält die Aufgabe den Sieger zu bestimmen. Ein `Master of Ceremony` moderiert die Veranstaltung und regt zur Interaktion zwischen den Akteuren an.
`Slam` heißt – allein schon vom Begriff her: die Tür zuschlagen. Und das, worüber sich Poetry Slam definiert, ist die Reflexion einer Gegenwart, meint Wolfgang Hogekamp.[10] Für Nora Gomringer beinhaltet Slam einen `Schlag-ins-Gesicht-Effekt`, fast eine Leichtigkeit, eine überraschende Leichtigkeit, oder eben umgekehrt, wenn man einen leichten Text performt und auf einmal kommt so etwas Schweres dazu.[11]
Poetry Slam trägt seinen Teil zur `Spoken Word-Kultur` bei, ist jedoch in diesen Kontext einzufassen, da `Spoken Word`[12] schon vor dem Slam existierte. In den Neunzigern wurde der Poetry Slam in Deutschland zum `Social Beat`[13] gezählt, hebt sich aber aus dieser Bewegung durch seinen Wettbewerbcharakter mit der Publikumsabstimmung und der besonderen Interaktionshaltung der Akteure hervor. Die Autoren bewegten sich zur Zeit des `Social Beat` auf mehreren Bühnen subkultureller Literaturszenen, es gab also personelle Schnittmengen, so dass letztlich alle von der Presse, aber auch innerhalb der Szene, unter diesen einen Kunstbegriff zusammengefasst wurden. Die Presse scheint heute nur bedingt schlauer geworden zu sein, wenn man Bastian Böttcher glauben kann:
Als Slammer wirst du dann auch in einen Topf geworfen mit allen anderen, die da auftreten. […] Ich glaub, das ist was, dass die schreibende Zunft auch als Mangel an Überblick über die `Spoken Word-Szene` macht. Das sind ja zwei parallel existierende Literaturszenen, kann man sagen, die sich einfach noch nicht verstanden haben. Wenn ein Gedichtband erscheint, oder eine Anthologie von mehreren Beiträgen, genauso muss jeder einzelne Autor wahrgenommen werden.[14]
Die Slam-Szene ist ständigen Wandlungen unterworfen. Dies manifestiert sich zum Teil inhaltlich: Themen, Stil, etc. und auch jeder Poet hat seinen eigenen Stil und seinen eigenen Ruf, sowie äußerlich: `Alte` Poeten gehen, `neue` folgen. Zudem änderte sich die Publikumszusammensetzung: In der Anfangszeit waren es Hausfrauen, Alkoholiker und Prostituierte, heute sind es vorwiegend Jugendliche und Studenten. Die Szene bietet einen bunten Mix aus verschiedenen Slammern, die durch gegenseitige Sympathie, zumindest einer kollegialen Haltung, zusammengehalten wird. Wegen ihrer Offenheit und dem demokratischen Charakter[15] definiert sich die Szene immer neu. Das Format ist allerdings gleich geblieben und auch die Regeln, die einen Poetry Slam ausmachen. Allerdings unterscheiden sich der Ablaufcharakter und die Abstimmungsmethode von Stadt zu Stadt beziehungsweise von Slam zu Slam.
Wissenschaftliche Untersuchungen über Poetry Slam sind noch an zehn Fingern abzuzählen, doch auf vorhergehende Abschlussarbeiten konnte hier Bezug genommen werden. In der Arbeit wird sich aus diesem Grund nicht in erster Linie mit einer Definition des Phänomens Poetry Slam befasst und auch nicht mit der Geschichte des Slam; das haben Boris Preckwitz und Stefanie Westermayr schon ausführlich getan. Es wird sich dem Poetry Slam als `Performance Poesie` angenähert und dabei die kommunikative Wechselwirkung zwischen Autor und Zuschauer oder umgekehrt und zwischen Zuschauer und Zuschauer untersucht. Zudem werden Bild-Assoziationen, die durch die performativen Einflüsse auf Dichter und Publikum wirken, dargestellt. Beim Dichter (beim Verfassen seines Textes) und beim Rezipienten (wenn er den vorgetragenen Text aufnimmt) wird durch Assoziation ein Bild im inneren Gedankenraum projiziert. Dieser Gedankenraum wird nach Gaston Bachelard `poetischer Raum` genannt. Durch den Vortrag auf der Bühne eröffnet sich ein poetischer Raum in den Köpfen des Publikums. Der Autor kann versuchen diesen Raum durch seinen Vortrag zu steuern und anhand des `Publikumsfeedbacks` erfährt er, ob ihm dies geglückt ist.
Um der Thematik der Bild-Assoziation im Poetry Slam gerecht zu werden, wird sich mit Wahrnehmungs- und Imaginationsprozessen auseinandergesetzt sowie mit Performanz-Theorien. Zum einen ist Wahrnehmung subjektiv, es gibt aber auch Assoziationen, die Kollektivbilder hervorrufen und sich durch die Idee eines `kollektiven Bewusstseins` erklären lassen. Das Kollektive spiegelt sich auch in der gemeinsamen Identifikation der Akteure während einer Poetry Slam-Veranstaltung wieder, die durch die soziale Interaktion ausgelöst wird und dem Slam die gemeinschaftliche Struktur eines kulturellen Feldes verleiht. Die Vorstellung von einem kollektiven Feld wird mit Hilfe der `Habitus-Feld-Theorie` von Pierre Bourdieu veranschaulicht. Zur Performanz im Poetry Slam wird auf Ideen von Judith Butler und Erika Fischer-Lichte Bezug genommen.
Aus diesen Grundgedanken entstanden weitere wichtige Aspekte zum Thema Poetry Slam, so dass die hier vorliegende Magisterarbeit in zwei Blöcke unterteilt wird. Im ersten Block wird die `Slam Poetry` als ein eigenständiges Kunstformat untersucht.
Der zweite, wesentlich theoretischer angelegte Block untersucht `das Performative im Poetry Slam`.
Im ersten Teil der Arbeit wird `Slam Poetry` als literarisches Format im mündlichen Kontext untersucht. Die Interaktionshandlungen zwischen den Akteuren und innerhalb der `Community` stellen die Kommunikationsstrukturen im Poetry Slam dar und mit Bezug zu Niklas Luhmanns `Face-to-face-Kommunikation`[16] soll versucht werden, diese auf den Poetry Slam zu übertragen.
Im zweiten Block stehen die Untersuchungen des Performativen im Poetry Slam und die dadurch beeinflussten Bild-Assoziation im Vordergrund und münden in den Ansatz einer intermedialen Poetik. Es wird versucht den (inter-)medialen Charakter des Poetry Slam aufzuzeigen und wie der Poetry Slam zukünftig aussehen kann.
Um die Thesen zu untermauern werden an passender Stelle die Antworten aus den Interviews hinzugefügt. Dadurch erhält die Magisterarbeit den Charakter einer Feld-Forschung, der durchaus angestrebt wird.
1. `Slam Poetry`
Was ist Slam? Slam ist 5-Minuten-Mimerei und du bist Dichter, Direktor und Darsteller in einer Person.
(Wehwalt Koslovsky)
Das auffälligste Merkmal der `Slam Poetry` stellt ihre Vielfalt dar. Aus diesem Grund ist es schwierig klar abzugrenzen, welche Literaturart `Slam Poetry` ist: „Was `slam-tauglich` ist, mag sich nicht ohne weiteres in eine griffige Definition packen lassen.“[17] In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff generalisiert, was der `Slam Poetry` allerdings nicht gerecht wird, aber den Forschungsüberblick und die Untersuchungen vereinfacht.
Zum anderen ist der Begriff `Slam` im deutschsprachigen Kulturraum nicht eindeutig definiert:
Der Begriff `Slam` findet im Sprachgebrauch der deutschen Subkultur-Szene verschiedene Verwendungen, die nicht immer klar voneinander getrennt werden und nicht selten auch im übertragenen Sinn von anderen aktuellen Strömungen wie `Pop-Literatur`, `Trash` oder `Social Beat` in Anspruch genommen werden.[18]
Im Vergleich zu den Lesebühnen, auf denen fast ausschließlich narrative Texte dargeboten werden, findet man bei einem Poetry Slam zusätzlich Lyrik, Wort-Kunst, Lautpoesie, Dada, Comedy, HipHop, `Beatbox`, `Freestyle` und Avantgardistisches; alles davon kann `Slam Poetry` sein. Marc Smith erkennt zudem so etwas wie einen eigenen Stil: “Slam slang. Every discipline has its own shorthand and jargon, and slam poetry is no different.”[19]
Ein eigener Stil lässt sich beispielsweise an einer `freien Sprachrhythmik` ohne vorgegebenem Versmaß oder Metrik festmachen. Dazu soll hier ein Auszug aus „Parole Slam“ von Timo Brunke als Beispiel dienen. Ko Bylanzky und Rayl Patzak geben eine Anweisung für das Lesen aus einer Poetry Slam-Anthologie anhand, die auch hier verfolgt werden kann: „Dieses (Gedicht) liest sich am besten laut!“[20]
Parole Slam
[…]
Wenn auf den Modeschaulaufstegen Models Mikrophone
schwingen
und ihren Fotografen ungeschminkte Reden barsch zum
Besten bringen
Wenn auf dem Hundesportvereinsparkplatz fünf
Hundeherrchen unverbissen
Lockren Herzens um die Wette Herzen in den Kies
reinpissen
Wenn auf der Bühne Oberstudienräte ihren Schülern
unterliegen
wenn hoch dotierte Literaten Speichel in die Lefzen kriegen
Ja, dann ist Slam!
[…]
Laden wir euch ein zum Essen, wenn ich meine Losung
stemm`
Ich mich nicht hemm`
Mich nicht verklemm`
Euch überschwemm`
Es nicht eindämm`
Macht diese Jam
Mich auch plemplem
ahäm –
Was sag ich denn –
Ja, dann ist Slam![21]
Boris Preckwitz geht davon aus, dass „jeder gute Slam die volle Bandbreite an zeitgenössischer `Spoken Word-Literatur` [zu bieten hat].“[22] Phasenweise ist auch ein bestimmtes Genre besonders häufig vertreten. „Es gab mal `ne Zeit, da war Prosa sehr stark verbreitet. Da waren auf den Slams ca. 30% davon zu hören und Kurzgeschichten.“[23]
Eines jedoch steht fest: Die Regeln, die für jede Slam-Veranstaltung gelten, zwingen die Texte in ein lockeres Korsett. Doch erst durch sie wird ein Text zum Poetry Slam-Format. Smith stellt drei Regeln auf, die die `Slam Poetry` ausmachen:
Three Basic Rules[24]:
1. Poem can be any subject and in any style.
2. Each poet must perform work that s/he has created.
3. No props[25].
Zusätzlich darf beim deutschsprachigen Slam kein Text zweimal innerhalb des Wettbewerbs an einem Abend gelesen werden und die vorgegebenen Zeiten (je nach Slam-Veranstalter zwischen fünf und zehn Minuten) müssen eingehalten werden.
Zweites Merkmal ist die Mündlichkeit. Denn man könnte anstatt der vorgetragenen Gedichte auch geschriebene Texte (zum Beispiel mit einem Beamer oder Overhead-Projektor) auf die Bühne projizieren. Ulf Geyersbach glaubt, ein Hörbuch wäre ein angemessenes Medium für die `Slam Poetry`.[26] Somit legt er den Schwerpunkt auf die Oralität, was sicherlich seine Berechtigung findet, er lässt dabei allerdings den Performance-Charakter des Slam außer Acht, der sich nicht nur im Veranstaltungsformat des Poetry Slam widerspiegelt, sondern auch in der `Slam Poetry`:
Slam poetry is performance poetry, the marriage of text and the artful presentation of spoken words on stage to an audience that has permission to talk back and let the poet performer know whether he or she is communicating effectively.”[27] “Performance is an art [...] that slammers take very seriously. It has its own brush strokes and shading and color – its own technique.[28]
Ein Slam Text erhält seine `wahre Natur` erst durch den Vortrag; also durch die Performance. Wenn er nur auf dem Papier steht, ist er nur halb vorhanden. Es gibt ihn folglich erst dann, wenn man ihn tatsächlich zu Gehör bringt; wenn er in irgendeiner Weise aufgeführt wird, wenn er also ein konkretes Erleben, auch einer Gemeinschaft von Leuten mit sich bringt. Durch die Performance wird der Text dann zu einem einmaligen Ereignis und erhält erst durch sie seine Präsenz. An einem anderen Tag kann dieser zum Beispiel in einem anderen Club vorgetragen werden, doch dann differieren Zeit, Ort, Publikum und der Autor ist in einer veränderten Gemütsverfassung. Der Text kann nicht ein zweites Mal auf dieselbe Art und Weise vorgetragen werden, da auch die Betonung und die Atmung des Performers anders sind und ebenso seine Bühnenpräsenz.
Steve Murays `Slam Poetries` werden in Hinsicht auf den Vortrag verfasst: „The poetry is written with the attention to read on stage.”[29]
Nora Gomringer trägt `Slam Poetry` sowie auch Lyrik vor und macht auch zwischen beiden einen Unterschied in der Performance: „Meine Lyrik ist gut bestückt, die funktioniert auch, aber so ein Slam Text, der [ist] viel lauter und [muss] viel mehr `Momentum` haben, meiner Meinung nach, für den Moment.“[30]
Texte von Slam-Autoren finden sich auch in Büchern und Anthologien, doch bewirkt der geschriebene Text ein anderes Rezeptionsverhalten als durch einen Poetry Slam ausgelöst und wirkt in gedruckter Form etwas `dilettantisch` und unvollkommen gegenüber seiner Performance.
In Buchform verliert das Gedicht an Spontaneität und „es gibt keinen Filter, wie bei jedem Buch zum Beispiel das Lektorat.“[31]
Ein weiteres Merkmal der `Slam Poetry` ist der Wettstreitcharakter:
Auseinander zu halten sind der `Poetry Slam` als literarisches Veranstaltungsformat (`competitive performance`), der `Slam` als literarische Bewegung (`slam family`) und die `Slam Poetry` als publikumsbezogene, wettkampfgerechte Form der `Performance Poetry`.[32]
Das Wettbewerbformat, das heute bezeichnend für den Poetry Slam ist, wurde von Marc Smith eher zufällig für seine „Green Mill-Show“ (in Chicago seit 1986) entwickelt:
But the slam did not start as a competition it did start as a marriage of poems with the art of performing them.
Frage: So how did the element of competition enter?
Antwort: Well, it was my fold, after the original show at the “Green Mill” – the original show was called the slam, it was a show that precedet the show at the “Green Mill”, it was really the roof of performance poetry. That show began two years before the “Green Mil Show”. [The “Green Mill Show” is a three hour show] and we did get the last 50 minutes and one night we thought fill this with let´s doing a competition. So it was actually an afterthought to do the competition. What was great at the competition was that it did work. Poeple came to see who will win. [...] What does happen now is that the competition makes poeple try harder and the cream does come to the top.[33]
Im deutschen Slam wird der Wettbewerb viel ernster genommen, als zum Beispiel in Amerika, wo sich der Autor stärker `vermarktet`. Poetry Slam erhält dort viel eher den Charakter eines abendfüllenden Events, das den Zuschauer unterhält.
Durch den Wettkampf stellt der Poetry Slam eine neue Präsentationsform von Dichtung dar, die von `etablierter` Dichtung abgegrenzt werden kann. Die Autoren sind folglich nicht nur `Dichter-Kollegen`, sondern auch Konkurrenten. Ein Slam-Autor versucht beim Publikum, das die Texte bewertet, zu punkten. Er verfasst seinen Text deshalb massentauglich. Durch die Performance und den performativen Akt[34] entwickelt sich der mündliche Vortrag zum Ausgangspunkt für die soziale Interaktion zwischen den Akteuren. Der Verlauf eines Slam ist nicht vorhersehbar und birgt so etwas wie einen Überraschungseffekt.
Die Texte werden aber nicht nur in Hinsicht auf die Performance verfasst, sondern sind auch darauf ausgerichtet, sich gegenüber der „Konkurrenz“ behaupten zu können. Viele Autoren, vor allem die erfahrenen, haben auch ein großes Repertoire, auf das sie strategisch zugreifen können. Wenn der Vorgänger mit einer Kurzgeschichte auf der Bühne glänzen konnte, wäre es zum Beispiel unsinnig, danach nochmals mit einer Kurzgeschichte aufzutreten, auch wenn man diesen Text eigentlich geplant hat.
Smith ermahnt aber, dass das Wettbewerbformat nur das Format ist, also es nicht wichtig ist, wer gewinnt, sondern die Poesie im Vordergrund stehen soll: „Competing in a poetry slam is not about getting the highest score, walking away with a pocketful of cash, or trying to fill a trophy case. […] The points are not the point ... the point is poetry.”[35]
Form und Inhalt der dargebotenen Slam Texte sind frei. Durch Jugendsprache, bewusstes Verzichten auf `Political Correctness` und einer Wortwahl, die manchmal anstößig und sexistisch ist – „deshalb wurde der Poetry Slam auch häufig als „Poetischer Faustkampf” bezeichnet“[36] - wird versucht, den Texten `alltagsprachlichen` Charakter zu verleihen, beziehungsweise dadurch den Alltag in die Texte zu integrieren. „Inhaltlich reflektiert die `Slam Poetry` modernes Leben: soziale Verwerfungen, Multikulturalität, Medien, Mode, Politik, Sex, Nachtleben.“[37]
In Abgrenzung zu den `intellektuellen` Literaturstrukturen steuert die Gemeinschaft der Slam Poeten in eine gegenläufige Richtung:
Einige Literaten wollten sich [im Gegensatz zum offiziellen Literaturbetrieb eine eigene Plattform schaffen]. Weil sie das nicht geschafft haben oder auch nicht wollten, weil sie eine andere Ästhetik verfolgt haben und sich eine eigene Definition des Lyrikers gegeben haben und ein eigenes Format und eine eigene `Community`. Dann trifft es auch den Nerv der Zeit, dass sich das Publikum interessantere Lesungen wünscht, im Happening-Stil.[38]
Xóchil A. Schütz betont die Lebensnähe des Slam:
Ich glaube es gibt nicht so sehr ein Zielbewusstsein von dem, was Slam ist, sondern eher einen Gefühlszustand, den Leute einfach erreichen möchten, nämlich Literatur zu leben! Zwischen Literatur und Leben zu schwimmen und mit dem Publikum zu verschmelzen.[39]
Die Gründungsidee von Marc Smith, mit Hilfe der Kunst soziale Ungleichheiten aufzuzeigen, zielte ebenfalls auf Volksnähe und Alltagsnähe ab:
The slam is anything but intellectually. It´s about everyday-people. [...] Mine came out of people who really put their lifes on a line for social changes, people who did not become celebraties. You know and they were really out there in the front of social change.[40]
Insofern ist es bemerkenswert, dass sich der Poetry Slam weltweit ausbreitete, zumal er als Kunst für soziale und literarische Außenseiter begonnen hat. “Slam has traveled around the world to become an internatinal movement.”[41] Auch in Deutschland „[…] hätte wohl kaum jemand vermutet, dass sich dieses `Phänomen` lange halten würde.“[42]
Der Poetry Slam hat sich von seiner ursprünglichen Motivation weiterentwickelt.
Die Slam Szene Deutschlands wird sich ohnehin in den nächsten Jahren wandeln. Einige der besten Slammer (…) werden den Einstieg in den Literaturbetrieb schaffen (…) ob diese Einladungen aus Überzeugung kommen oder nur, um diesen derzeit äußerst populären Aspekt auch abzudecken (…) da fast so viele Zuschauer kommen, wie bei Günther Grass, die Veranstaltung allerdings nur einen Bruchteil davon kostet. […] Nur leben Slams auch von der Atmosphäre eines engen Clubs und sollten nach Möglichkeit dort stattfinden, wo sich junge Menschen naturgemäß hinbegeben. Wenn dann Slams, die eigentlich als Gegenbewegung zu den öden Veranstaltungen des Literaturbetriebs gedacht waren, wieder in die Mausoleen der Literatur stattfinden, wird vom ursprünglichen Charakter des ganzen wenig übrig bleiben.[43]
Einige Slam-Autoren versuchen heute von ihrer Kunst zu leben und bezeichnen sich als Berufsdichter. Das können natürlich nur wenige und von denen auch nur diejenigen, die im Wettbewerb weiterkommen und in der Beliebtheitsskala des Publikums nicht nachlassen. Marc Smith, der selbst sehen muss, wie er sich als Veranstalter und Slam-Poet finanziert, ist eher bestürzt darüber, dass ein Autor versucht mit `Slam Poetry` Geld zu verdienen. Smith nimmt die Veränderung hin, doch einverstanden ist er damit nicht. Sein tiefes Bedürfnis `Dichtkunst` in den Alltag sozialer Außenseiter zu bringen und den Menschen eine künstlerische Plattform zu bieten, wo der Frustration über das gesellschaftliche und politische System eine `Stimme` gegeben werden konnte, und er wollte sich gerade damit von der Sparte der Berufsdichter distanzieren, die im Dichten eine Art `Kunst-um-der-Kunst-Willen` sehen.
Die Lager der Slam-Poeten spalten sich bei der Frage, ob sie die Slam-Szene verlassen würden, wenn sie die Möglichkeit bekämen, in den Kreis `etablierter` Dichtkunst einzutreten und dadurch in den Feuilletons Erwähnung fänden und zu gut bezahlten Lesungen und Lyrik-Veranstaltungen eingeladen und für Literatur-Preise nominiert würden. Oder ob sie der `Slam Poetry` treu bleiben, dabei aber in Kauf nehmen, für die literarische Öffentlichkeit unbekannt zu bleiben. Die meisten Poeten würden weiterhin für den Slam schreiben, so versichern sie es zumindest, wenn man danach fragt.
Dennoch: Nur eine Hand voll Poeten variieren in Deutschland zwischen `etablierter` Dichtkunst und `Performance Poesie`. Autoren wie Nora Gomringer, Bastian Böttcher und Michael Lenz, deren Gedichte zwischen der nach außen hin subkulturell `vermarkteten` `Slam Poetry` und etablierter Lyrik anzusiedeln sind. Sie fungieren in diesem Kontext als eine Art Nahtstelle.
1.1 Literaturästhetischer Ansatz
Die `Slam-Bewegung` entstand nach Angaben von Marc Smith aus dem `folk-movement` der 50er und 60er Jahre in Amerika und nicht aus der Beat-Bewegung[44], wie hin und wieder behauptet wird. „It´s a big mistake that they make that slam comes out of the beat-movement. It comes out of the folk-movement of the 50th and 60th century.”[45] Für Boris Preckwitz stellen die Traditionen der verschiedenen Nationen in den USA auch eine formale und inhaltliche Bereicherung für den Poetry Slam dar:
Es gibt in den USA ganz andere Stimmen, wie asiatische, spanische, puertoricanische oder afroamerikanische Traditionen, die hast du in Deutschland überhaupt nicht. Dieses Repertoire, was sie mitbringen, auch dieses kulturelle Erbe, was sie mit reintragen in den amerikanischen `Spoken Word`, das gibt es in Deutschland nicht. Insofern ist Deutschland eine Monokultur, obwohl wir hier sehr individuelle Schreibweisen haben und unterschiedliche Vortragsweisen, die sich nicht über einen Kamm scheren lassen.“[46]
Wenn man nun untersuchen würde, dass der Poetry Slam den Ansatz einer Sozialästhetik beinhaltet, die aus dieser `Volks-Bewegung` entstand, dann könnte man dies folglich nur auf Amerika beziehen und nicht auf Deutschland. Denn inhaltlich setzt man sich im amerikanischen Poetry Slam viel stärker mit sozialen Ungleichheiten auseinander, als bei uns. Das poetische Ich wird oftmals in eine `Opferrolle` versetzt, das dem Publikum `die Augen für die ungerechte Welt um sich erschließt`.
In Deutschland wird der Slam im Vergleich zu Amerika viel stärker mit dem Begriff einer `Kust-um-der-Kunst-Willen` assoziiert:
[...]
[1] `Poetry Clips` sind `Slam Poetries`, die in einem kurzen Video-Beitrag (ca. fünf Minuten) von ihren Autoren performt werden. Die `Poetry Clips` ähneln Musik-Clips, da ihnen Hintergrundgeräusche und Musik unterlegt sind.
[2] Die `Slamily` ist ein Internet-Zusammenschluss (eine nichtöffentliche `Yahoo Group`) von Slam-Poeten, Slam-Veranstaltern und MC`s. Sie sehen sich als „Slam-Familie“, bei der organisatorische Fragen besprochen, zukünftige Treffen vereinbart werden und interne Probleme der Gruppe diskutiert werden.
[3] “U20-Slam” ist ein Veranstaltungsformat des Poetry-Slam für junge Autoren, die unter 20-jährig sind.
[4] Smith, Marc Kelly; Kraynak, Joe. Slam Poetry. The Complete Idiot´s Guide to. Alpha. New York, 2004, Innenseite des Buchumschlags.
[5] Brunke, Angelika und Timo (Hg.). Pressematerial des Stuttgarter German International Poetry Slam 2004.
[6] Der `respect-code` bedeutet, Achtung vor der künstlerischen Leistung eines `Kollegen` zu haben und vor seiner Persönlichkeit, ihm auch gegebenenfalls durch Nachahmung zu zeigen, dass man ihn respektiert.
[7] Vgl.: Ullmaier, Johannes. Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur. Ventil. Mainz, 2001, 145.
[8] Smith, Marc Kelly, a.a.O., XI.
[9] Interview mit Marc Smith (12.10.2005, Northwest Suburb of Chicago).
[10] Vgl.: Interview mit Wolfgang Hogekamp (3. August 2003, Berlin).
[11] Vgl.: Interview mit Nora Gomringer (18.10.2003, Frankfurter Flughafen).
[12] `Spoken Word` ist wie die `Slam Poetry` mündliche `Live-Literatur`, die von der `Beat-Bewegung` und von ethnischen Minderheitengruppen Amerikas und oraler Traditionen afrikanisch-amerikanischer Volksgruppen beeinflusst wurde. In den Neunzigern entstanden literarische Plattformen, die bis in die `HipHop-Szene` hineinreichen.
[13] `Social Beat` ist eine literarische `Untergrund-Bewegung` mit einem (underground-) Netzwerk, das sich in den Achtzigern und Neunzigern um die Szene am Brenzlauer Berg in Berlin versammelte. Die Alltagssprache sollte zur Kunst erhoben werden, bzw. sollte die Kunst wiederum in den Alltag integrieren. `Trash` zum Beispiel ist ein Schreibstil innerhalb der Bewegung.
[14] Interview mit Bastian Böttcher (5. August 2003, Berlin).
[15] Demokratischer Charakter, weil die Akteure gleichberechtigte Mitbestimmungsrechte haben und jeder, der sich traut, seine Texte als Slam-Poet vortragen kann.
[16] `Face-to-face-Situation`: die Kommunikationspartner kommen zur gleichen Zeit am gleichen Ort zusammen (Kohärenz). Sie tauschen wechselseitig verbale (zum Beispeil Sprache) oder nonverbale (zum Beispiel Mimik und Gestik) Botschaften aus. Mit allen Sinnesorganen! Synchron: Kommunikationspartner sind zur gleichen Zeit aktiv; unmittelbare Rückkopplung. Mit face-to-face; Wahrnehmung; Anwesenheit! Beim Slam; Anonymität; eine Kultur; Interaktion auf Dauer. Anwesenheit und gegenseitige Wahrnehmung: 4 Ebenen: Körper: Anwesenheit; persönliche Erscheinung; Mimik; Sprache.
[17] Neumeister, Andreas; Hartges, Marcel (Hg.). Poetry Slam. Texte der Pop-Fraktion. Rowohlt. Reinbek, 1996, 4.
[18] Preckwitz, Boris. Slam Poetry – Nachhut der Moderne. Eine literarische Bewegung als Anti-Avantgarde. Magisterarbeit 1997. Books on Demand. 1997, 19f.
[19] Smith, Marc Kelly, a.a.O., XXV.
[20] Bylanzky, Ko; Patzak, Rayl. Poetry Slam. Was die Mikrophone halten. Ariel, 2000, 8.
[21] Parole Slam; In: Brunke, Timo: Prospiech, Hartmut; Uebel, Tina. Potery Slam. 2003/2004. Rotbuch. Hamburg, 2003, 195ff.
[22] Interview mit Boris Preckwitz (8. August 2003, Berlin).
[23] Interview mit Boris Preckwitz (8. August 2003, Berlin).
[24] Smith, Marc Kelly, a.a.O., 293.
[25] Die `No-probs-Regel` bedeutet, dass der Auftretende sich ohne Hilfsmaterialien, wie Tisch oder Stuhl und ohne Kostümierung auf der Bühne zurechtzufinden hat.
[26] Vgl.: Geyersbach, Ulf. Höranthologie Berliner Club-Literatur. ulfgey@gmx.de. Berlin, 2003, 6.
[27] Smith, Marc Kelly, a.a.O., 8f.
[28] Smith, Marc Kelly, a.a.O., 76.
[29] Interview mit Steve Muray (12.10.2005, Northwest Suburb of Chicago).
[30] Interview mit Nora Gomringer (18.10.2003, Frankfurter Flughafen).
[31] Interview mit Bastian Böttcher (5. August 2003, Berlin).
[32] Preckwitz, Boris, a.a.O., 22.
[33] Interview mit Marc Smith (12.10.2005, Northwest Suburb of Chicago).
[34] Der performative Akt wird im Kapitel `Das Performative im Poetry Slam` untersucht.
[35] Smith, Marc Kelly, a.a.O., 20.
[36] Enayatmehr, Nadja; In: Performance; In: Microsoft ® Encarta ® Enzyklopädie 2005.
[37] Preckwitz, Boris, a.a.O., 26.
[38] Interview mit Boris Preckwitz (8. August 2003, Berlin).
[39] Interview mit Xóchil A. Schütz (6. August 2003, Berlin).
[40] Interview mit Marc Smith (12.10.2005, Northwest Suburb of Chicago).
[41] Smith, Marc Kelly, a.a.O., 326.
[42] Bylanzky, Ko; Patzak, Rayl (Hg.). Planet Slam. Das Universum Poetry Slam. Yedermann. München, 2002, 152.
[43] Bylanzky, Ko; Patzak, Rayl., a.a.O., 2000, 79.
[44] `Beat-Autoren` haben gegenüber der Vielfalt der `Slam Poetry`-Bandbreite vorwiegend narrative Züge in ihren Texten.
[45] Interview mit Marc Smith (12.10.2005, Northwest Suburb of Chicago).
[46] Interview mit Boris Preckwitz (8. August 2003, Berlin).
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.