Der Text bietet eine konzentrierte Zusammenfassung des sogenannten "labeling approach", der in der Soziologie des abweichenden Verhaltens als alternatives Paradigma zu normorientierten Entwürfen virulent geworden ist.
Inhaltsverzeichnis
1 Der Etikettierungsansatz als devianzsoziologischerGegenentwurf
1.1 Theoriegeschichtliche Aspekte
1.2 Der Etikettierungsansatz als devianzsoziologisches Paradigma
1.3 Begriffliche Kennzeichnungen der devianzsoziologischen Paradigmakonkurrenz
1.4 Zur allgemein-soziologischen Qualität derParadigmakonkurrenz
1.5 Erkenntnistheoretische Implikationen des normativen und des interpretativen Paradigmas
1.6 Zur Kritik des Etikettierungsansatzes am Devianzbegriff der traditionellen Soziologie des abweichenden Verhaltens
1.7 Zur Kritik des Etikettierungsansatzes an der Wertposition der traditionellen Devianzsoziologie
1.8 Zur Kritik des Etikettierungsansatzes am impliziten Korrekturinteresse der traditionellen Devianzsoziologie
1.9 Zur Kritik des Etikettierungsansatzes an der Aktorfixierung und ätiologischen Ausrichtung der traditionellen Devianzsoziologie
2 Theoriekonstituenten des Etikettierungsansatzes
2.1 Die Forschungsdimension der Normsetzung
2.1.1 Etikettierungsprozesse und die Kategorie der "Macht"
2.1.2 Etikettierungsprozesse und die Kategorie des "Interesses"
2.1.3 Bedingungen für den "Erfolg" von Etikettierungsprozessen
2.2 Die Forschungsdimension der "Normanwendung"
2.2.1 Agenten der Sozialkontrolle und die professionelle Konstruktion von Devianz
2.2.1.1 Kontrollagenten und die Rekonstruktion von Abweichungs- phänomenen
2.2.1.2 Zum Legitimationsproblem von Kontrollagenten
2.2.2 Die funktionale Bedeutung von Normanwendungen
2.3 Sozialpsychologische Konsequenzen kollektiver Devianzdefinitionen
2.3.1 Die Veränderung der Beziehungsstruktur zwischen einer als abweichend etikettierten Person und deren Interaktionspartnern
2.3.2 Die Auswirkung einer kollektiven Devianzdefinition auf das Selbstbild des stig matisierten Individuums
Anmerkungen
1 Der Etikettierungsansatz als devianzsoziologischer Gegenentwurf
1.1 Theoriegeschichtliche Aspekte
Mit der üblichen zeitlichen Verzögerung von etwa einem Jahrzehnt wurde für die bundesrepublikanische Devianzsoziologie "jene tiefgreifende und grundsätzliche Kontroverse zwischen einer normativ-objektivistischen und einer interaktions- bzw. definitionsorientierten"[i] Konzeptualisierung abweichenden Verhaltens aktuell, die in den USA bereits um 1960 virulent geworden war.[ii] Nach in die endsechziger Jahre zu datierenden Anfängen einer "interaktionistischen Phase"[iii] konnte die neue Devianzsoziologie in Deutschland unter Bezeichnungen wie "Reaktionsansatz"[iv], "Prozessualer Ansatz"[v], Konstitutionsansatz"[vi], "Definitionsansatz"[vii], "Stigmatisierungs-ansatz"[viii], meistens aber als "Etikettierungsansatz" oder - aus dem Englischen übernommen - "Labeling Approach" ab der ersten Hälfte der 70er Jahre Breitenwirkung entfalten[ix].
Der seither fortgeschrittene Stand der Theorieentwicklung wurde inzwischen mit dem Begriff der "Nach-Labeling-Phase"[x] belegt, ohne daβ weder mit der damit teilweise verbundenen Hinwendung zu konflikttheoretischen und marxistischen Fragestellungen[xi] noch durch Vermittlungsversuche zwischen traditionellen Erklärungsbemühungen abweichenden Verhaltens und neueren interaktionistischphänomenologischen Ansätzen[xii] die vom Labeling Approach aufgeworfenen devianzsoziologischen Probleme obsolet geworden wären.
1.2 Der Etikettierungsansatz als devianzsoziologisches Paradigma
Die eigentliche Leistung des Etikettierungsansatzes gegenüber der zeitlich vorgelagerten und bis zu seiner Etablierung herrschenden Theorieströmung innerhalb der Soziologie des abweichenden Verhaltens besteht darin, einen "Wandel in den Forschungsschwerpunkten"[xiii], eine grundlegende Neubestimmung des devianzsoziologischen Terrains[xiv] herbeigeführt, bzw. eine gegenüber dem "alten" Ansatz neue "Orientierung"[xv], eine neue "Perspektive"[xvi], ein neues "Konzept"[xvii] oder - um einen bereits weiter oben definierten und an dieser Stelle inhaltsgleich gebrauchten Begriff erneut ins Spiel zu bringen - ein neues Paradigma eröffnet zu haben[xviii].
Aus der Wortwahl ergibt sich, daβ der Etikettierungsansatz keine Theorie im formalen Sinne repräsentiert[xix], sondern eine "school of thought"[xx], die einzelne Devianz-soziologen in einer gemeinsamen Sicht in bezug auf Abweichungsphänomene zusammenführt, ohne punktuelle Meinungsverschiedenheiten bzw. Ausrichtungen auf spezifische Detailfragen zu unterdrücken[xxi].
1.3 Begriffliche Kennzeichnungen der devianzsoziologischen Paradigmakonkurrenz
Der zwischen dem Etikettierungsansatz und dem herkömmlichen Erklärungsmodell abweichenden Verhaltens bestehende konzeptuelle Gegensatz hat in diversen begrifflichen Paarungen schlagwortartig Ausdruck angenommen. Terminologische Gegenüberstellungen wie "täter- versus normorientierter Ansatz"[xxii], "ätiologischer versus definitionsorientierter Ansatz"[xxiii], "factor versus labeling approach"[xxiv] oder "ätiologisches versus Kontrollparadigma"[xxv] deuten auf divergente Zugänge zum relevanten Objektbereich und betonen unter verschiedenen Blickwinkeln deren identitätsverleihende Merkmale.
1.4 Zur allgemein-soziologischen Qualität der Paradigmakonkurrenz
Folgt man Hondrich und seiner idealtypischen Gliederung verschiedener sozialwissenschaftlicher Theoriestufen[xxvi], dann gilt, daβ Theorien des abweichenden Verhaltens - genau wie alle anderen auf ausgesuchte soziale Phänomene bezogenen Objekttheorien - Konzepten mit gröβerer Reichweite und abstrakteren soziologischen Problemstellungen untergeordnet werden müssen. Aus einem solchen Blickwinkel erscheinen spezielle Soziologien, wie etwa die Devianzsoziologie, als auf einzelne Objektbereiche bezogene Konkretisierungen allgemein-soziologischer Entwürfe.
Die im Sinne dieser Verhältnisbestimmung gestellte Frage nach dem "paradigmatischen Hintergrund"[xxvii] oder nach dem jeweiligen "Basis- Paradigma"[xxviii] der konkurrierenden devianzsoziologischen Ansätze führt zu der Schluβfolgerung, daβ die Alternative: ätiologisches versus definitionsorientiertes Erklärungsmodell abweichenden Verhaltens - um eine der gängigen dichotomen Kennzeichnungen herauszugreifen - in eine allgemein-soziologische Diskussion eingebettet ist. Letztere ist durch einen Streit um die adäquate Rekonstruktion des "Sozialen" schlechthin[xxix] charakterisiert und wird gewöhnlich mit dem von Wilson geprägten Schlagwort von der Auseinandersetzung zwischen einem "normativen" und einem "interpretativen" Paradigma belegt[xxx].
1.5 Erkenntnistheoretische Implikationen des normativen und des interpretativen Paradigmas
In seinen Ausführungen zu dieser allgemeinsoziologischen Paradigmakonkurrenz hat Wilson - selber ein Vertreter des interpretativen Paradigmas - vor allem die erkenntnistheoretischen Implikationen der beiden Positionen in das Zentrum der Betrachtung gerückt[xxxi].
Kleidet man die von ihm zum Ausdruck gebrachte Kritik am normativen Paradigma in eine von Schütz übernommene Terminologie, dann ist aus der Sicht des interpretativen Paradigmas die sogenannte "natürliche Einstellung" zu überwinden, mit der eine normativ-paradigmatische Soziologie betrieben wird. Schütz hatte sich intensiv der Strukturanalyse jener Wirklichkeit gewidmet, "die dem Verstand des gesellschaftlichen Normalverbrauchers zugänglich ist."[xxxii] Dabei bezeichnet der in diesem Zusammenhang von ihm geprägte Begriff der "alltäglichen Lebenswelt" jene Realitätszone, die "der wache und normale Erwachsene in der Einstellung des gesunden Menschenverstandes als schlicht gegeben vorfindet."[xxxiii]
Die auf Schütz zurückgehende Phänomenologische Soziologie konstatiert, daβ der sprichwörtliche "Mann auf der Straβe" in der für ihn typischen "natürlichen Einstellung" die Gegebenheiten der alltäglichen Lebenswelt als `dinghafte', menschlicher Willkür entkleidete Entitäten erlebt. Sie kommt zu dem Ergebnis: "Die Wirklichkeit der Alltagswelt wird als Wirklichkeit hingenommen. Über ihre einfache Präsenz hinaus bedarf sie keiner zusätzlichen Verifizierung. Sie ist einfach da - als selbstverständliche, zwingende Faktizität."[xxxiv]
Das von Vertretern des normativen Paradigmas favorisierte deduktive Erklärungsmodell bleibt in seinen Grundstrukturen der natürlichen Einstellung verhaftet. Es unterstellt, daβ gesellschaftliche Wirklichkeit "objektiv, sachhaft und äuβerlich vorgegeben"[xxxv] ist, eine Beschreibung sozialer Phänomene auf rein materiellen Sinnesdaten beruht und der Soziologe dabei auf gesicherte, von den jeweiligen Interpretationen des Beobachters unabhängige Bedeutungen zurückgreifen kann.
Dem interpretativen Paradigma verpflichtete Forscher sehen in einer solchen Auffassung die Gefahr, daβ aufgrund ihres Evidenzcharakters anscheinend ausreichend begründete Alltäglichkeiten unreflektiert zu sozialwissenschaftlichen Kategorien erhoben werden[xxxvi]. In einer wesentliche Voraussetzungen der natürlichen Einstellung nicht mitvollziehenden "theoretischen Einstellung"[xxxvii] - die dem interpretativ-paradigmatische Soziologe als Ideal vor Augen steht - erweist sich die soziale Realität, obwohl deren Faktizität dem Alltagsbewuβtsein Gegenteiliges suggeriert, als ein Konstrukt ohne eigenständigen ontologischen Status.
Gesellschaft - so betonen Repräsentanten des interpretativen Paradigmas insbesondere in Anlehnung an das gemeinsame Werk von Berger und Luckmann - wird im wechselseitigen Bezug interagierender Individuen erzeugt, tradiert und modifiziert, und muβ theoretisch immer rückführbar auf subjektiv sinnvolle Tätigkeiten miteinander kommunizierender Menschen bleiben.
Die damit ebenfalls angesprochene Tatsache, daβ soziale Phänomene nicht an sich real sind, sondern immer nur für Gesellschaftsmitglieder Wirklichkeit angenommen haben, hat auch methodologische Konsequenzen. Eine soziologische Rekonstruktion der vom Wissenschaftler immer schon vorgefundenen Strukturen ist nach interpretativ-paradigmatischem Verständnis nämlich umso erfolgreicher, je besser es dem Forscher gelingt, seine in der eigenen alltäglichen Lebenswelt verwurzelten Deutungsmuster "einzuklammern", sich in den subjektiven Sinnhorizont der zu untersuchenden Individuen einzuschalten und verstehend - gewissermaβen mit ihren Augen - die für sie relevanten Sachverhalte nachzuvollziehen.
1.6 Zur Kritik des Etikettierungsansatzes am Devianzbegriff der traditionellen Soziologie des abweichenden Verhaltens
Die Kritik des Labeling Approach an der von herkömmlichen Devianzsoziologen geteilten Auffassung von Abweichung "als eine[ ] Klasse von Verhaltensweisen, die als physisch-objektive Verhaltenswirklichkeit auβerhalb historischer Kultur- und Gesellschaftsformen besteht"[xxxviii], spezifiziert den erkenntnistheoretischen Widerspruch, den interpretativ-paradigmatische Soziologen gegenüber Vertretern des normativen Paradigmas formulieren[xxxix].
Ein Wesensmerkmal der traditionellen Soziologie des abweichenden Verhaltens besteht darin, daβ sie Devianz als eine fraglose, an konkreten Lebensäuβerungen einfach ablesbare Qualität, bzw. als eine dem Verhalten innewohnende Eigenschaft begreift. Nach diesem Verständnis ist Abweichung unmittelbar und ungeachtet des jeweiligen lebensweltlichen Hintergrunds des Beobachters der Erkenntnis zugänglich[xl]. Devianz wird so zu einem individuellen "Entweder- Oder-Merkmal"[xli], das zur Basis einer Dichotomisierung von Gesellschaftsmitgliedern in "Abweichende" und "Konforme" erhoben werden kann[xlii].
Vertreter des Labeling Approach leugnen die Selbständigkeit, die traditionelle Devianzsoziologen Abweichungsphänomenen unterstellen. Für sie ist das soziale Phänomen der Devianz insofern eine abhängige Variable, als das Urteil darüber, ob es sich bei einem bestimmten Handlungsmuster um abweichendes Verhalten handelt oder nicht, an Bedeutungsschemata gebunden ist[xliii], die ihrerseits auf einem historisch gewachsenen und kollektiv wirksam gewordenen Akt der Wirklichkeitsbestimmung beruhen. Gleichzeitig weisen Etikettierungstheoretiker darauf hin, daβ die der Identifikation eines Verhaltens zugrundeliegenden Klassifikationen in einer gegebenen Situation nicht automatisch greifen, sondern interpretierend an beobachtete Lebensäuβerungen eines Mitmenschen herangetragen werden müssen. Folglich sind eine für sich bestehende Handlung und die von auβen vorgenommene Deutung dieser Handlung als zwar dialektisch verschränkte aber theoretisch zu diskriminierende Konstitutiva eines Erkenntnisaktes auseinanderzuhalten.
Im Sinne dieser theoretischen Prämissen erscheint ein gesellschaftlich wahrge-nommenes Devianzphänomen als Ergebnis von Zuschreibungsprozessen, in deren Verlauf einzelnen Handlungen, ganzen Handlungsabläufen, Individuen oder sozialen Gruppen das Etikett "abweichend" verliehen wurde. Eine innerhalb des Labeling Approach geläufige Begriffsbestimmung lautet entsprechend: "Der Mensch mit abweichendem Verhalten ist ein Mensch, auf den diese Bezeichnung erfolgreich angewandt worden ist; abweichendes Verhalten ist Verhalten, das Menschen so bezeichnen."[xliv]
1.7 Zur Kritik des Etikettierungsansatzes an der Wertposition der traditionellen Devianzsoziologie
Ein zusätzliches Moment der Abgrenzung, das von Etikettierungstheoretikern gegenüber konventionellen Devianzsoziologen vorgebracht wird, knüpft an die bereits als interpretativ-paradigmatische Eigenheit ausgewiesene Verpflichtung an, sich einem gesellschaftlichen Phänomen verstehend zu nähern und den analytisch gewonnenen Sachverhalt so authentisch wie möglich "innenperspektivisch", d.h. in der Art und Weise, wie ihn die forschungsrelevanten Subjekte selber erleben, zur Darstellung zu bringen.
Für den Etikettierungsansatz ist die Wahrnehmung eines als abweichend identifizierten Tatbestandes immer unter zwei ideal- typischen Blickwinkeln denkbar. Einmal kann die Sicht derer angenommen werden, die sich als "Normalbürger" von abweichenden Handlungen und Individuen distanzieren wollen und letzteren deshalb den Rand der Gesellschaft als Lebensraum zuweisen. Zum anderen kann aber auch der Standpunkt jener bezogen werden, die von dieser Ausgrenzung direkt betroffen sind, aber auf der Grundlage einer autonomen, gegen das etablierte Fremdbild gerichtete Gruppenplausibilität die eigene Existenzform legitimieren und ihrerseits die gesellschaftliche Mehrheit als Auβenseiter begreifen.[xlv] Dabei sind sich die Vertreter des Labeling Approach bewuβt, daβ die Wahl einer entsprechenden Perspektive immer auch eine Wertentscheidung ist.[xlvi]
Der in diesem Zusammenhang an das "alte" Devianzkonzept gerichtete Vorwurf[xlvii] lautet nun, daβ traditionelle Fachvertreter in ihrem naiven Rückbezug auf ein in der alltäglichen Lebenswelt verwurzelten Vorverständnis von Abweichung notwendigerweise die kognitiven und ethischen Maβstäbe der Bevölkerungsmehrheit übernehmen und damit gesellschaftlich eingespielte Devianzdefinitionen und den daraus abgeleiteten Umgang mit als deviant apostrophierten Personen wissenschaftlich legitimieren. Herkömmliche Beiträge zur Soziologie des abweichenden Verhaltens - so der Einwand von Etikettierungstheoretikern - enthielten immer wieder "Kategorien, die sich unschwer als moralische Entrüstung über Devianz entschlüsseln lassen" und beschrieben "Devianz und ihre Entstehungsbedingungen [...] als Übel [...], dessen Beseitigung aus der Perspektive des Durchschnittsbürgers ebenso eine Selbstverständlichkeit ist, wie sie es für den Sozialwissenschaftler ist."[xlviii] Diese in bezug auf vorgegebene Deutungsmuster affirmative Grundhaltung vergröβere die gegen die ohnehin schon marginalisierten Individuen gerichtete definitorische Übermacht und führe dazu, daβ die Subjektivität der Betroffenen vollends aus dem Blick gerate.
Um diesem Miβstand kompensatorisch zu begegnen, wendet sich der Etikettierungsansatz verstärkt der Lebenswelt der als deviant Etikettierten zu. Inmitten der Selbstverständlichkeit, mit der sich sowohl Gesellschaftsmitglieder im Alltag als auch deduktiv verfahrende Sozialwissenschaftler unreflektiert auf praxiswirksame Devianzdefinitionen beziehen, will der Labeling Approach die "Perspektive des abweichenden Subjekts wahren"[xlix] und dem selbstgenügsamen `Common-sense' eine gegenläufige Situationsinterpretation entgegenhalten[l]..
Damit verwerfen Vertreter des neuen devianzsoziologischen Paradigmas die in einer Gesellschaft etablierte, an Sozialpositionen gebundene "Hierarchie der Glaubwürdigkeit"[li] und räumen den als deviant definierten Individuen das gleiche Recht ein, Gehör zu finden, wie denjenigen, die sich als Sprecher der Bevölkerungsmehrheit gegen die Abweichler hervortun. Diese implizite Sypmpathie für die Rechtlosen und Benachteiligten und die Bereitschaft, die Auβenseiter in ihrem Milieu aufzusuchen und zu verstehen, hat dem Labeling Approach den Ruf eingebracht, ein "Sachverwalter unterpriviligierter Randgruppen" und "Anwalt der Stigmatisierten" zu sein[lii].
1.8 Zur Kritik des Etikettierungsansatzes am impliziten Korrekturinteresse der traditionellen Devianzsoziologie
Eine Nuance weiter als die eben beschriebenen Inhalte, aber diese in sich aufnehmend, führt die von Etikettierungstheoretikern vorgenommene Thematisierung der Austauschbeziehungen zwischen der "alten" Devianzsoziologie und der Tätigkeit von Agenturen der sozialen Kontrolle[liii].
Vertreter des Labeling Approach halten dem konkurrierenden Erklärungsmodell abweichenden Verhaltens vor, es sei an Verwertungsauflagen seitens der Praxis gebunden und treibe Bedarfsforschung gemäβ den Interessen offizieller mit Devianz befaβter Stellen. Hinter herkömmlichen Devianzstudien stehe vorrangig die Absicht, den Einrichtungen der Sozialkontrolle Handlungsrezepte zuzuführen. Auf diese Weise reduziere sich eine Soziologie des abweichenden Verhaltens traditionellen Zuschnitts selber zu einem pragmatischen, an den Problemen der Öffentlichkeit mit devianten Individuen orientierten Unternehmen[liv]. Gleichzeitig dominiere im Rahmen herkömmlicher Devianzstudien ein Korrektur- bzw. Präventionsinteresse, also das Bestreben, "zu den Wurzeln des Übels vorzudringen, um sie und ihr Produkt zu beseitigen."[lv]
Vertreter des Labeling Approach verwahren sich gegen eine solche Ausrichtung und legen Wert auf ihre disziplinäre Autonomie als notwendige Bedingung für eine möglichst ungefilterte Wahrnehmung sowohl der Deutungsmuster der als deviant identifizierten Individuen als auch all jener Faktoren, die einem auf Abweichungsphänomene gerichteten gesellschaftlichen Konsens zugrundeliegen. Mit Blick auf eine verstehende Aufarbeitung der Lebenswelt der Betroffenen betont der Etikettierungsansatz das "Prinzip der radikalen Nicht-Intervention"[lvi]und meint damit, daβ das aus Sicht der offiziellen Instanzen korrekturbedürftige Verhalten bzw. die dahinterliegende Perspektive der Handelnden nur dann in seiner bzw. ihrer eigentlichen Qualität erfaβt werden kann, wenn das forschende Bemühen primär motiviert, also direkt und ungebrochen auf die fraglichen Phänomene gerichtet ist.
Bezogen auf die gesellschaftlichen Kräfte und Vorgänge, die zu der Übereinkunft darüber führen, was in einem sozialen Umfeld als deviant zu gelten hat, hebt der Labeling Approach hervor, daβ es in vielen Fällen gerade die ausschlieβlich zum Zwecke der Ausgrenzung, Betreuung, Behandlung und Rehabilitation von Abweichenden eingesetzten Instanzen sind, denen ein maβgeblicher Anteil bei der Verleihung des Etiketts "abweichend" zugeschrieben werden muβ. "Die Wirkmechanismen sozialer Kontrolle" sind also "konstituierende Bestandteile der theoretisch zu bewältigenden Phänomene"[lvii] und vom Labeling Approach als solche unbeeinfluβt von den Deutungsmustern der in diesem Sinne tätigen Agenturen zu analysieren.
1.9 Zur Kritik des Etikettierungsansatzes an der Aktorfixierung und ätiologischen Ausrichtung der traditionellen Devianzsoziologie
Ein abschlieβend zu behandelnder Kritikpunkt des Labeling Approach gegenüber der "alten" Soziologie des abweichenden Verhaltens besteht in dem Vorwurf, traditionelle Devianzstudien konzentrierten sich ausschlieβlich auf die persönlichkeitsinhärenten und sozialisationsbedingten Faktoren, die einen Menschen zu Regelverletzern werden lassen, und die als verursachende Momente seiner Andersartigkeit verantwortlich zu machen sind.
Dem Etikettierungsansatz greift diese Aktorfixierung und ätiologische Ausrichtung zu kurz, und er erinnert im Rückbezug auf seine interaktionistisch-phänomenologischen Grundlagentheorien mit Blick auf die gesellschaftliche Konstruktion von Abweichung an die Bedeutung des dem "Täter" gegenüberstehenden "Publikums"[lviii]. Entsprechend richtet sich sein Augenmerk primär auf all diejenigen Einzelindividuen und Instanzen, die als signifikante Interaktionspartner einer der Abweichung verdächtigten oder - doppeldeutig formuliert - überführten Person an deren Karriere zum Abweichenden bzw. als Abweichender mitwirken bzw. mitgewirkt haben. Solche Interaktionspartner wirken nicht ätiologisch im klassischen Sinn, sondern "erzeugen" Devianz dadurch, daβ sie fragliche Personen aufgrund ihres Verhaltens oder spezifischer Merkmale als deviant identifizieren, ein entsprechendes Fremdbild von ihnen aufbauen und die so Definierten im gesellschaftlichen Alltag als Abweichende behandeln[lix].
[...]
[i] Ferchhoff, W.; Peters, F.: Die Produktion abweichenden Verhaltens. Zur Rekonstruktion und Kritik des Labeling Approach, Bielefeld 1981, S.11.
[ii] Die devianzsoziologische Kontroverse ist eingebettet in eine Verschiebung der allgemein-sozio-logischen Theoriebildung und spiegelt den ab etwa 1960 allmählich offenkundig werdenden Einfluβ-verlust des Strukturfunktionalismus und die zunehmend stärker werdende Position einer symbolisch- interaktionistisch bzw. phänomenologisch orientierten Soziologie. Vgl. Rubington, E.; Weinberg, M.S. (Eds.): A.a.O., S.165. In diese Zeit fallen die dem Labeling Approach Profil verleihende und eine wahre Flut in die gleiche Richtung gehender Beiträge auslösende Arbeiten insbesondere von Becker (Becker, H.S.: Outsiders. Studies in the Sociology of Deviance, New York 1963; Vgl. die deutsche Ausgabe: Auβenseiter. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens, Frankfurt 1973), aber auch von Erikson (Erikson, K.T.: Notes on the Sociology of Deviance, in Social Problems: 9 (1969), S.307 ff.) und Kituse (Kituse, J.I.: Societal Reactions to Deviant Behavior, in Social Problems: 9 (1962), S.247 ff.). Obwohl selber bereits auf theoriegeschichtliche Vorläufer zurückverweisend (neben Becker wird vor allem immer wieder Lemert (Lemert,E.M.: Social Pathology, New York 1951) als "Vater" des Labeling Approach genannt; noch früher hat sich Tannebaum durch einige Thesen in dem Werk: Tannebaum, F.: Crime and Community, New York 1938 als Vorreiter des Etikettierungsansatzes hervorgetan), gelten ihre Formulierungen als "klassische Statements" des Labeling Approach (vgl. Gove, W.R.: The Labeling Perspective: An Overview, in: Ders. (Ed.): The Labeling of Deviance. Evaluating a Perspective, New York 1975, S.4).
[iii] Vgl. den theoriegeschichtlichen Abriβ in: Haferkamp, H.: Kriminelle Karrieren. Handlungstheorie, teilnehmende Beobachtung und Soziologie krimineller Prozesse, Reinbek bei Hamburg 1975, insbesondere S.22 ff.
[iv] Vgl. Trojan, A.: Psychisch krank durch Etikettierung? Die Bedeutung des Labeling-Ansatzes für die Sozialpsychiatrie, München; usw. 1978, S.IX.
[v] Vgl. Ballusek, H.v.: Abweichendes Verhalten und abweichendes Handeln. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Frankfurt; New York 1978, S.45.
[vi] Vgl. Keckeisen, W.: A.a.O., S.41.
[vii] Vgl. z.B. Lamnek, S.: Theorien abweichenden Verhaltens. Eine Einführung für Soziologen, Psychologen, Pädagogen, Juristen, Politologen, Kommunikationswissenschaftler und Sozialarbeiter, München 1979, S.217.
[viii] Vgl. z.B. Thiersch, H.: Abweichendes Verhalten - Definitionen und Stigmatisierungsprozesse, in: Roth, H.; Friedrichs, D. (Hrsg.): Bildungsforschung, Teil 2, Stuttgart 1975, S.352.
[ix] Der Prozeβ der Übernahme aus den USA und Fortführung des Labeling Approach wurde in der westdeutschen Soziologie 1968 von Sack eingeleitet. Vgl. Stallberg, F.W.: Bemerkungen zur Rezeption des Labeling-Ansatzes in der westdeutschen Kriminalsoziologie, in: Kriminologisches Journal: 7 (1975), S.162, sowie ergänzend Rüther, W.: A.a.O., S.19 ff.
[x] Vgl. Sack, F.: Probleme der Kriminalsoziologie, a.a.O., S.270, ebenso Ferchhoff, W.; Peters, F.: A.a.O., S.77.
[xi] Die insbesondere von Sack vertetene "marxistisch-interaktionistische Theorie der Kriminalität und des abweichenden Verhaltens" (zu dieser Bezeichnung vgl. Sack,F.: Definition von Kriminalität als poli-tisches Handeln: der labeling approach, in: Kriminologisches Journal: 4 (1972), S.11) nimmt zentrale theoretische Postulate des Etikettierungsansatzes in sich auf und besteht unter Rückbezug auf wissenschaftstheoretische bzw. allgemein-soziologische Kriterien weiterhin auf eine Dichotomisierung zwischen einem traditionellen täterzentrierten und einem innovativen normorientierten Ansatz (vgl. Sack, F.: Probleme der Kriminalsoziologie, a.a.O., S.309 ff.). Der "Gedanke der Historizität bzw. der Machbarkeit gesellschaftlicher Institutionen und Befindlichkeiten" (Sack, F.: Abweichendes Verhalten aus soziologischer Sicht - Folgen für die Sozialarbeit, in: Otto, H.-U.; Schneider, S. (Hrsg.): Gesellschaftliche Perspektiven der Sozialarbeit, Bd.1, Neuwied; Berlin 1973, S.132), den sowohl der Labeling Approach als auch eine historisch-materialistische Devianzperspektive nahelegt, ist dabei der wichtigste Berührungspunkt zwischen den zwei Theorietraditionen. Die Berücksichtigung politischer Implikationen von devianzkonstituierenden Etikettierungsprozessen durch die marxistisch-interaktionistische Theorie hat vor allem das vom Labeling Approach nicht mit letzter Konsequenz verfolgte Problem des Machtverhältnisses miteinander konkurrierender Gesellschaftsgruppen in den Vordergrund gerückt. Die von Sack schon frühzeitig verfolgte Programmatik findet sich u.a. auch bei Keckeisen, W.: A.a.O., sowie bei Ferchhoff, W.; Peters, F.: A.a.O.
[xii] Beiträge wie die von Rüther, Wiswede oder Lamnek stehen für wissenschaftstheoretisch fragwürdige Versuche, ätiologische und interaktionistische Theoreme in einem Ansatz zusammenzufassen. Die genannten Autoren werfen dem Labeling Approach Einseitigkeit vor und beklagen, Etikettierungstheo-retiker verabsolutierten die Frage nach den in einer Gesellschaft wirksam werdenden und letztendlich die soziale Gröβe "Devianz" erzeugenden Definitions-, Selektions- und Zuschreibungsprozessen. Stattdessen sei im Rahmen von Devianzstudien auch der Verhaltensaspekt zu berücksichtigen und in Erfahrung zu bringen, welche personeninhärenten Bedingungen und soziokulturelle Faktoren einen Täter dazu veranlaβt haben, abweichend zu handeln. Vgl. Rüther, W.: A.a.O., S.56 ff; Wiswede, G.: Soziologie abweichenden Verhaltens, Stuttgart; usw. 1979, S.11 ff; Lamnek, S.: Kriminalitätstheorien - kritisch..., a.a.O., S.115 ff.
[xiii] Schur, E.M.: Abweichendes Verhalten und soziale Kontrolle..., a.a.O., S.12.
[xiv] Wie bereits angemerkt (vgl. Anm.4) ist für den Etikettierungsansatz insbesondere die von Merton vorgelegte Variante des Anomiekonzepts zu einem "Ort der theoretischen Gegenidentifikation" (Sack, F.: Probleme der Kriminalsoziologie, a.a.O., S.349) geworden. Die Bezeichnung "Devianzsoziologie" gilt für die Anomietheorie nur eingeschränkt. Sie ist zwar für eine entsprechende Auslegung offen, zielt aber primär auf die Erklärung von Kriminalität und damit auf die Erhellung eines spezifischen Aus-schnitts des in sich äuβerst facettenreichen Gebiets der Devianz. (Vgl.: Wiswede, G.: A.a.O.,S.43; Stallberg, F.W.: Kommentar des Herausgebers, in: Ders. (Hrsg.): Abweichung und Kriminalität...,a.a.O., S.95). Demgegenüber hat der Labeling Approach die ausschlieβliche Konzentration auf kriminelles Verhaltens überwunden und sich vielfältigsten Abweichungsphänomenen zugewandt. Überhaupt "scheinen Grenzformen der Abweichung sich besonders gut für die Labeling- Analyse zu eignen und solche Abweichungen, über die weitgehender Konsens besteht (Mord, Inzest usw.) weniger in Frage zu kommen." (Schur, E.M.: Abweichendes Verhalten und Soziale Kontrolle..., a.a.O., S.28). Zu den diversen Abweichungsphänomenen, mit denen sich Vertreter des Etikettierungsansatzes beschäftigt haben, vgl. Aufsatzsammlungen wie z.B.: Becker, H.S. (Ed.): The Other Side: Perspectives on Deviance, Chicago 1968; Douglas, J.D. (Ed.): Deviance and Respectability. The Social Construction of Moral Meaning, New York 1970; Rubington, E.; Weinberg, M.S. (Eds.): A.a.O. Die Reichweite des vom Labeling Approach als relevant erachteten Untersuchungsfeldes spiegelt sich auch in Unterschei-dungen verschiedener Devianzarten. Vgl. dazu z.B. Scott, R.A.: A Proposed Framework for Analysing Deviance as a Property of Social Order, in: Scott, R.A.; Douglas, J.D. (Eds.): Theoretical Perspectives on Deviance, New York 1972, S.12 f.; Wiswede. G.: A.a.O., S.21 f., S.42; Keupp, H.: Abweichung und Alltagsroutine. Die Labeling Perspektive in Theorie und Praxis, Hamburg 1976, S.13; Gibbons, D.; Jones, J.: A.a.O.; S.2 f.; Sack, F.: Abweichendes Verhalten, in: Bernsdorf, W. (Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1969, S.4.; Simmons, J.L.: Gesellschaftliche Stereotype des Abweichlers, in: Stallberg, F.W. (Hrsg.): Abweichung und Kriminalität. Konzeptionen - Kritik - Analysen, Hamburg 1975, S.181 ff.
[xv] Schur, E.M.: A.a.O., S.35.
[xvi] Vgl. z.B. Plummer, K.: Misunderstanding Labeling Perspectives, in: Downes, D.; Rock, P. (Eds.): Deviant Interpretations, Oxford 1979, S.85 ff.
[xvii] Trojan, A.: A.a.O., S.1.
[xviii] Paradigma wird hier verstanden als ein kognitiver Orientierungskomplex, dem sich eine wissen-schaftliche Gemeinschaft verpflichtet weiβ, und der als erfahrungsstrukturierendes Prinzip die Wahrnehmung der betreffenden Forscher determiniert, bzw. als vortheoretische Gröβe den Theorie- und Begriffsbildungsprozeβ bestimmt." (Vgl;. Weingart, P..: Wissensproduktion und soziale Strultur, Frankfurt a.M. 1976, AS.45 ff. Meine Position bezüglich des wissenschaftstheoretischen Status' des Labeling Approach sehe ich am deutlichsten repräsentiert bei Kunz, K.-L.: Der "labeling approach" - Ein Paradigmawechsel in der modernen Kriminalsoziologie, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie: 61 (1975), S.413 ff., sowie bei Ericson, R.V.: Criminal Reactions. The Labeling Perspective, New York 1975, und Keckeisen, W.: A.a.O. Einige der kontrovers diskutierten Aspekte bezüglich der Frage nach dem wissenschaftstheoretischen Status des Labeling Approach beruhen im übrigen auf einem naiven Gebrauch des von Kuhn unscharf belassenen Paradigmabegriffs und sind mit einer Präzisierung im Sinne der von Weingart erstellten Hierarchie kognitiver Orientierungskomplexe auszuräumen.
[xix] Vgl. z.B. Lilli, W.: Zur gesellschaftlichen Konstruktion abweichenden Verhaltens: Möglichkeiten und Grenzen der Labeling-Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie, 8 (1979), S.158; Prus, R.C.: Labeling Theory: A Reconceptualisation and Propositional Statement on Typing, in: Sociological Focus: 8, (1975), S.79 f.; Simmons, J.L.: A.a.O., S.181. Zur methodologischen Heterogenität innerhalb des Labeling Approach vgl. Ward, R.H.: The Labeling Theory: A Critical Analysis, in: Criminology: 9 (1971), S.271 ff.
[xx] Scott, R.A.: A Proposed Framework..., a.a.O., S.10.
[xxi] Vgl. Trojan, A.: A.a.O., S.X.
[xxii] Sack, F.: Probleme der Kriminalsoziologie, a.a.O., S.273.
[xxiii] Lautmann, R.: Kriminologie und labeling approach, in: Kriminologisches Journal: 4 (1972), S.73 ff, hier S.75.
[xxiv] Endruweit, G.: Kriminologie und labeling approach, in: Kriminologisches Journal: 4 (1972), S.64 ff, hier S.64.
[xxv] Keckeisen, W.: A.a.O., S.23, sowie Bohle, H.H.: A.a.O., S.2.
[xxvi] Vgl. Hondrich, K.O.: Zum Theorievergleich in der Soziologie, in: Lepsius, R. (Hrsg.): Zwischenbilanz der Soziologie. Verhandlungen des 17. Deutschen Soziologentages, Stuttgart 1976, S.14 ff., ergänzend auch: Buβ, E.; Schöps, M.: Kompendium für das wissenschaftliche Arbeiten in der Soziologie, Heidelberg 1979, S.18.
[xxvii] Ferchhoff, W.; Peters, F.: A.a.O., S.16.
[xxviii] Schur, E.M.: Abweichendes Verhalten und Soziale Kontrolle..., a.a.O., S.40.
[xxix] Zur Formulierung vgl. Ferchhoff, W.; Peters, F.: A.a.O., S.6.
[xxx] Vgl. Wilson, Th.P.: Theorien der Interaktion und Modelle soziologischer Erklärung, in: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd.1: Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie, Reinbek bei Hamburg 1973, S.54 ff.
[xxxi] Wilsons Kritik am normativen Paradigma ist - wenn auch nicht ausschlieβlich, so doch vorrangig - als Kritik am Strukturfunktionalismus Parsonscher Prägung ausgelegt und entfaltet sich primär in der Auseinandersetzung mit dem 1951 erschienen Werk Parsons, T.: "The Social System", Glencoe 1951. Vgl. Sack, F.: Probleme der Kriminalsoziologie, a.a.O., S.320. Weiterhin sind auch Verhaltens- und Systemtheorie, sowie im gewissen Sinne auch der historische Materialismus dem normativen Para-digma zuzurechnen. Vgl. Matthes, J.: Einführung in das Studium der Soziologie, Reinbek 1973, S.201, oder auch Kraimer, K.: Abweichendes Verhalten als Gegenstand Alltags- und Interaktionstheoretischer Erziehungswissenschaft, Frankfurt; usw. 1985, S.18 f., zusätzlich Haupt, B.: Situation - Situationsdefinition - Soziale Situation. Zum Wandel des Verständnisses einer sozialwissenschaftlichen Kategorie und ihrer erziehungswissenschaftlichen Bedeutung, Frankfurt; usw. 1984, S. 76. Der Terminus: "Interpre-tatives Paradigma" fungiert als Sammelbegriff für: a) den von Blumer vertretenen Symbolischen Inter-aktionismus,; b) die auf Schütz zurückgehende Phänomenologische Soziologie, c) die von Garfinkel begründete Ethnomethodologie, und d) die von Berger und Luckmann entworfene Wissenssoziologie. (Vgl. u.a. Kraimer, K.: A.a.O., S.19 f.)
[xxxii] Berger, P.L.; Luckmann, Th.: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt 1980, S.21.
[xxxiii] Schütz, A.; Luckmann, Th.: Strukturen der Lebenswelt, Darmstadt; Neuwied 1975, S.23.
[xxxiv] Berger, P.L.; Luckmann, Th.: A.a.O., S.26. Hervorhebung im Original.
[xxxv] Matthes, J.: A.a.O., S.202.
[xxxvi] Vgl. z.B. Meudt, V.: Stigmatisierung sozialer Abweichler als Identitätsstrategie, in: Soziale Welt: 26 (1975), S.46; Beek, A.v.d.; Keckeisen, W.: Phänomenologie der sozialen Kontrolle, in: Zeitschrift für Pädagogik: 18 (1972), S.258. Einen allgemeinen Überblick über die Thematik geben verschiedene Beiträge des Sammelbandes: Filmer, P.; Phillipson, M.; Silverman, D.; Walsh, D.: Neue Richtungen in der soziologischen Theorie, Wien; usw. 1975.
[xxxvii] Berger, P.L.: Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft, Frankfurt 1980, S.51. Obwohl auch "Wissenschaft" ein primär soziales Unternehmen ist, liegen hier die Verhältnisse anders. Die alltägliche Wirklichkeit besitzt deshalb die stärkste Plausibilitätsstruktur, weil sie auf dem Hintergrund einer "natürlichen Einstellung", oder "Einstellung des gesunden Menschenverstandes" erfahren wird. Diese Umgangsform mit immer schon vorgefunder sozialer Realität schlieβt nach Schütz den "suspendierten Zweifel" ein, d.h. die Alltagswirklichkeit wird - zumindest solange sie durch Routineverhalten bewältigt werden kann - vom erlebenden Subjekt als fraglos und bis auf weiteres unproblematisch akzeptiert. Dagegen ist die kognitive Grundhaltung des Wissenschaftlers - die sogenannte "theoretische Einstellung" - idealerweise gerade dadurch gekennzeichnet, daβ "keine Voraussetzung und Vorgegebenheit als schlicht vorhanden und nicht weiter erklärungsbedürftig hingenommen" (Schütz, A.: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie, Frankfurt 1974, S.315), sondern dem methodischen Zweifel, der permanenten Reflexion unterzogen wird. Auch wenn dieses Ideal in der Praxis niemals erreicht werden kann, ist Wirklichkeit im wissenschaftlichen Sinne keineswegs "selbstverständlich" sondern muβ im Diskurs immer wieder neu ausgehandelt werden. Prinzipiell ist die Plausibilitätsstruktur einer wissenschaftlichen Gemeinschaft also weit weniger "dicht" als diejenige, die Gesellschaftsmitglieder in ihrem Alltag errichten. Kuhn hat mit seinem Konzept der "normalwissenschaftlichen Forschung" (vgl. Kuhn, Th.S.: Die Struktur wissen-schaftlicher Revolutionen, Frankfurt 1976) allerdings deutlich machen können, daβ ein Vertrauensvorschuβ hinsichtlich bereits erarbeiteter Erkenntnisse im Rahmen von Theorietraditionen, bzw. im wissen-schaftlichen "Alltag" die Regel ist. Um so nachdrücklicher ist der "methodische Zweifel" immer dann zur Leitmaxime zu erheben, wenn die eigenen Forschungsinteressen auβerhalb bestehender Theorietra-ditionen anzusiedeln sind, vorgegebene Wirklichkeitsinterpretationen also nicht ohne weiteres in den Dienst genommen werden können.
[xxxviii] Pilgram, A.; Steinert, H.: Die Labeling-Theorie aus der Perspektive kriminalpolitischer Pragmatik, in: Kriminologisches Journal, 7 (1975), S.173.
[xxxix] Stellvertretend für die in diesem Zusammenhang zahlreichen Meinungsäuβerungen vgl. Pollner, M.: Sociological and Common-sense Models of the Labeling Process, in: Turner, R. (Ed.): Ethnomethodology, Harmondsworth 1974, S.27 ff.
[xl] Vgl. u.a. Abele, A.; Mitzlaff, S.; Nowack, W.: Zur Definition abweichenden Verhaltens in Abhängigkeit vom Kontext, in: Walter, H. (Hrsg.): Sozialisationsforschung, Bd.III, Stuttgart 1975, S.197 ff.
[xli] Schur, E.M.: Abweichendes Verhalten und Soziale Kontrolle, a.a.O., S.35.
[xlii] Vgl. Sack, F.: Probleme der Kriminalsoziologie, a.a.O., S.285.
[xliii] Vgl. Plummer, K.: a.a.O., S.96 f.; Turk, A.T.: Prospects for Theories of Criminal Behavior, in: Journal of Criminal Law, 55 (1964), S.456.
[xliv] Becker, H.S.: Auβenseiter. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens, Frankfurt 1973, S.8. Nach dieser Definition wären Handlungen, die den in einer Gesellschaft wirksamen Kategorien zur Bestim-mung von Devianz entsprechen, aber als solche bisher nicht entdeckt wurden, als "heimliche Ab-weichung" zu deklarieren. (vgl. ebd., S.17). "Heimliche Abweichung" hat keinen Einfluβ auf die Interak-tionsstruktur, die zwischen dem betreffenden Akteur und seiner sozialen Umwelt besteht und ist deshalb für eine "Interaktionstheorie abweichenden Verhaltens" - wie sie der Labeling Approach darstellt (vgl. ebd., S.163) - nicht relevant. Diese Sichtweise hat dem Etikettierungsansatz die Kritik eingebracht, den Verhaltensaspekt zugunsten des Aspekts der öffentlichen Reaktion auf Verhalten systematisch zu vernachlässigen. Als Vorreiter dieser Kritik gilt Gibbs. Vgl. Gibbs, J.P.: Conceptions of Deviant Behavior: The Old and the New, in: Pacific Sociological Review: 9 (1966), S.9 ff. Zur Erwiderung auf die von Gibbs formulierten Vorwürfe vgl. Schur, E.M.: Reactions to Deviance: A Critical Assesment, in: American Journal of Sociology, 75 (1969), S.315 ff.
[xlv] Vgl. z.B. Matza, D.: Abweichendes Verhalten. Untersuchungen zur Genese abweichender Identität, Heidelberg 1973, S.46; Ericson, R.V.: A.a.O., S.52; Schur, E.M.: Abweichendes Verhalten und Soziale Kontrolle..., a.a.O., S.151.
[xlvi] Vgl. z.B. Abele, A.; Mitzlaff, S.; Nowack, W.: A.a.O., S.197.
[xlvii] Die im folgenden angesprochenen Aspekte hat Becker bereits 1964 zum Thema erhoben. Vgl. die Einführung von Becker, H.S. in den von ihm herausgegebenen Sammelband: The Other Side, a.a.O., S.1 ff.
[xlviii] Keupp, H.: Abweichung und Alltagsroutine...,a.a.O., S.25.
[xlix] Matza, D.: A.a.O., S.47.
[l] Vgl. z.B. Keupp, H.: Psychische Krankheit als hergestellte Wirklichkeit - eine Grenzbestimmung des Etikettierungsparadigmas, in: Ders. (Hrsg.): Normalität und Abweichung, München; usw. 1979, S.202.
[li] Vgl. Becker, H.S.: Whose Side Are We On?, in: Social Problems, 14 (1967), S.241, oder auch: Davis, N.J.: Sociological Constructions of Deviance. Perspectives and Issues in the Field, Dubuque 1975, S.165.
[lii] Keupp, H.: Abweichung und Alltagsroutine..., a.a.O., S.55 bzw. S.67. Vgl. weiterhin: Schumann, K.T.: Abweichendes Verhalten: Kritische Kriminalitätstheorien, in: Eyferth, H.; Otto, H.-U.; Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Darmstadt; Neuwied 1984, S.15; Gibbons, D.; Jones, J.: A.a.O., S.5 ff. Zu den theoriegeschichtlichen Voraussetzungen dieses Perspektivenwechsels vgl. Lofland, J.: Deviance and Identity, New York 1966, S.1 ff. Kritik an der für den Etikettierungsansatz typischen Position wurden von Autoren unterschiedlichen politischen Standpunkts geäuβert. (Vgl. Plummer, K.: A.a.O., S.99) Auf der einen Seite steht insbesondere der von Gouldner erhobene Vorwurf, die vom Labeling Approach für die Praxis ausgehenden Impulse seien von der Ideologie des Wohlfahrtsstaates getragen und zielten lediglich auf die Entwicklung eines alternativen Berufsethos von sozialen Kontrollagenten ohne die Veränderung der Strukturen der sozialen Kontrolle von der ihnen eigenen materiellen Basis aus anzustreben. Vgl. Gouldner, A.W.: The Sociologist as Partisan: Sociology and the Walfare State, in: The American Sociologist, 3 (May 1968), S.103 ff.; Weiterhin Thio, A.: Class Bias in the Sociology of Deviance, in: American Sociologist 8 (1973), S. 1 ff.; Ders.: The Phenomenological Perspective of Deviance: Another Case of Class Bias, in: The American Sociologist, 9 (1974), S.146 ff. Zur Kritik aus konservativer Sicht an der relativistischen Grundhaltung des Labeling Approach vgl. Wiswede, G.: A.a.O., S. 38 ff.
[liii] Ich beziehe mich dabei - auch in einigen Formulierungen - auf Sack. Dieser hat zwar mit der Kriminalsoziologie ein Spezialgebiet der allgemeinenen Devianzsoziologie im Auge, seine Aus-führungen sind aber generalisierbar. Vgl. Sack, F.: Probleme der Kriminalsoziologie, a.a.O., S.227 ff.
[liv] Vgl., die Einführung von Becker in: Becker, H.S. (Hrsg.): The Other Side, a.a.O., S.1.
[lv] Matza, D.: A.a.O., S.24.
[lvi] Vgl. Keupp, H.: Abweichung und Alltagsroutine..., a.a.O., S.25.
[lvii] Ebd.
[lviii] Zum Begriff und den damit verbundenen theoretischen Implikationen vgl.: Hepburn, J.R.: The Role of the Audience in Deviant Behavior and Deviant Identity, in: Sociology and Social Research: 59 (1975), S. 387 ff.
[lix] Vgl. z.B. Quensel, S.: Soziale Fehlanpassung und Stigmatisierung. Ein Test zum Messen der delinquenten Entwicklung, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie: 3 (1972), S.448.
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