Der Titel der vorliegenden Arbeit verweist in leicht abgewandelter Form auf eine Stelle in den Annales seu Cronicae incliti Regni Poloniae des Jan Długosz (1415-1480), in der dieser die politische Mentalität der polnischen Magnaten zum Ausdruck bringt, dieser adeligen Würdenträger, die im königlichen Rat bis ins 16. Jahrhundert hinein entscheidenden Einfluss auf die Staatsgeschäfte ausgeübt haben. Das kurze Zitat ist vielleicht der prägnanteste Ausdruck für das Verständnis von Staat und Herrschaft, das sich in Polen seit der Ablösung des piastischen Fürstenstaates durch eine Ständemonarchie herausbildet hatte. Letztere war geprägt durch den alle Bereiche umfassenden Herrschaftsanspruch des Adels und durch ein Königtum, das nicht nur nach und nach wichtige Bereiche seiner Macht hatte abgeben müssen, sondern in mehreren Verträgen mit der politischen Nation, welche in Polen mit der communitas nobilium gleichzusetzen ist, auf eine zweitrangige Rolle im Staat festgeschrieben worden war. Es war dies die spiegelbildlich verkehrte Entwicklung zum westeuropäischen Weg des absolutistischen »L’état, c’est moi«, nämlich eine Transpersonalisierung des Staatsbegriffs zu einer chose commune des Adels, der sich als eigentlicher Souverän zu verstehen begann und seine Rechte fortwährend auf Kosten des Königtums erweiterte. [...]
Insgesamt geht es nicht darum, den von Polen im Spätmittelalter eingeschlagenen Sonderweg nachzuzeichnen, sondern dessen Entstehungsbedingungen – mit Schwerpunkt auf der Schwächung der Königsmacht – zu beleuchten. Der Endpunkt dieser Betrachtung ist mit der Konstitution »Nihil Novi« (1505) erreicht, welche einen gewissen Abschluss der bisherigen Kodifizierungsprozesse markiert, weil sie die bestehende Machtkonstellation konsolidiert hat. Zugleich beginnt mit ihr eine neue Periode der polnischen Geschichte, die zur Ausbildung des als »Adelsrepublik« bezeichneten politischen Systems geführt hat.
Index
1. Problembeschreibung und Konzeption
2. Kontinuitäten eines Machtinstruments: Entstehung und Geschichte des Königswahlrechts
2.1. Ludwig I. von Anjou und das Privileg von Buda
2.2. Loslösung von Ungarn und Personalunion mit Litauen
2.3. Wladyslaw II. Jagiello und die Begründung einer neuen Dynastie
3. »Dominium regale« oder »dominium politicum«? Politisches Selbstverständnis von Adel und Königtum
3.1. Corona regni Poloniae: Zur Ideologie der Adelsgemeinschaft
3.2. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Die ideellen Bedingungen der monarchischen Macht
4. Finanzverfassung und Heerwesen: Die materiellen Grundlagen des Königtums
4.1. Die fiskalische Situation
4.2. Das Heer als Domäne des Adels
5. Abschließende Überlegungen
6. Literatur
1. Problembeschreibung und Konzeption
Der Titel der vorliegenden Arbeit verweist in leicht abgewandelter Form auf eine Stelle in den Annales seu Cronicae incliti Regni Poloniae des Jan Długosz (1415-1480)[1], in der dieser die politische Mentalität der polnischen Magnaten zum Ausdruck bringt, dieser adeligen Würdenträger, die im königlichen Rat bis ins 16. Jahrhundert hinein entscheidenden Einfluss auf die Staatsgeschäfte ausgeübt haben. Das kurze Zitat ist vielleicht der prägnanteste Ausdruck für das Verständnis von Staat und Herrschaft, das sich in Polen seit der Ablösung des piastischen Fürstenstaates durch eine Ständemonarchie[2] herausbildet hatte. Letztere war geprägt durch den alle Bereiche umfassenden Herrschaftsanspruch des Adels und durch ein Königtum, das nicht nur nach und nach wichtige Bereiche seiner Macht hatte abgeben müssen, sondern in mehreren Verträgen mit der politischen Nation, welche in Polen mit der communitas nobilium gleichzusetzen ist, auf eine zweitrangige Rolle im Staat festgeschrieben worden war. Es war dies die spiegelbildlich verkehrte Entwicklung zum westeuropäischen Weg des absolutistischen » L’état, c’est moi «, nämlich eine Transpersonalisierung des Staatsbegriffs zu einer chose commune des Adels, der sich als eigentlicher Souverän zu verstehen begann und seine Rechte fortwährend auf Kosten des Königtums erweiterte.
Die Ursachen für diese Schwächung der monarchischen Machtstellung sind sicherlich zu kompliziert, als dass sie im Rahmen dieser Arbeit einer detaillierten Betrachtung unterzogen werden könnten. Sie umfassen interagierend nicht nur die Bereiche von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch allgemeine geistesgeschichtliche Entwicklungen. Deshalb werden sich die folgenden Betrachtungen auf einige Hauptaspekte beschränken, die gewissermaßen stellvertretend die genannten Bereiche abdecken. Weil es nicht immer einfach erscheint, zwischen tatsächlichen Ursachen und später hinzukommenden Einflüssen zu unterscheiden, wurde hier der neutraleren Formulierung »Einflussfaktoren« der Vorzug gegeben. Einleitend wird das Königswahlrecht behandelt, das sicherlich als eines der zentralen Machtinstrumente des Adels einzustufen ist. Dabei soll die Ausführlichkeit der Darstellung den späteren Kapiteln, die eine stärkere Abstraktheit aufweisen, gewissermaßen als ereignisgeschichtlicher und chronologischer Hintergrund dienen. Auf eine Darstellung der einzelnen Privilegien, welche den Aufstieg des Adels als Marksteine begleiten, wurde weitgehend verzichtet, sofern sie nicht im gegebenen Kontext von Relevanz sind. Insgesamt geht es nicht darum, den von Polen im Spätmittelalter eingeschlagenen Sonderweg nachzuzeichnen, sondern dessen Entstehungsbedingungen – mit Schwerpunkt auf der Schwächung der Königsmacht – zu beleuchten. Der Endpunkt dieser Betrachtung ist mit der Konstitution » Nihil Novi « (1505) erreicht, welche einen gewissen Abschluss der bisherigen Kodifizierungsprozesse markiert, weil sie die bestehende Machtkonstellation konsolidiert hat. Zugleich beginnt mit ihr eine neue Periode der polnischen Geschichte, die zur Ausbildung des als »Adelsrepublik« bezeichneten politischen Systems geführt hat.
2. Kontinuitäten eines Machtinstruments: Entstehung und Geschichte des Königswahlrechts
2.1. Ludwig I. von Anjou und das Privileg von Buda
Das für die europäische Geschichte beispiellose Machtverhältnis zwischen Adelsgemeinschaft und Monarchie, welches seit dem ausgehenden Mittelalter die polnische Geschichte geprägt hat, findet seinen wohl augenfälligsten Ausdruck in dem Recht der freien Königswahl, das den nobiles im 14. Jahrhundert zugefallen war. In der Tat waren die Berufung eines Fürsten auf den vakant gewordenen Thron, wie im Falle Wladyslaw II., des Begründers der Jagiellonen-Dynastie, oder auch die Bestätigung einer Kandidatur, wie zuerst bei Ludwig von Anjou und später bei den Söhnen Wladyslaws, nicht nur eine Manifestation adeligen Selbst- und Machtbewusstseins, sie wurden darüber hinaus stets an eine Bestätigung und Erweiterung der alten Rechte und Privilegien des Standes geknüpft. Damit war die Königswahl nicht nur Ausdruck, sondern auch Ursache des fortschreitenden monarchischen Machtverlustes. Denn im Grunde musste sich jeder neue Herrscher auf dem polnischen Thron tiefe Einschnitte in die althergebrachten Bereiche der königlichen Macht gefallen lassen, bis nahezu keine seiner legislativen, exekutiven oder sonstigen Kompetenzen ohne Zustimmung des Adels denkbar geworden war: „Der König blieb Gesetzgeber in den Bereichen, die […] außerhalb der ständischen Interessen des Adels lagen.“[3]
Die Beantwortung der Frage, wo diese Entwicklung begann und was ihre Voraussetzungen waren, muss bei dem dynastischen Bruch ansetzen, der mit dem Ableben des ohne männlichen Nachkommen verbliebenen letzten Piasten, Kasimir III. des Großen (1370), eingetreten war. Das Verhältnis der piastischen Herrscher zum Adel hatte auf Recht und Tradition sowie auf ihrer anerkannten Legitimität als »natürliche Herren« (domini naturales) der Polen beruht. Die neue Situation hingegen war für die polnischen Magnaten (die im 14. und 15. Jahrhundert dominierende Gruppe innerhalb des Adels) von einer prinzipiellen Ungewissheit geprägt, weniger in Bezug auf die Person des neuen Monarchen, denn Kasimir hatte noch zu Lebzeiten seinen Neffen, den ungarischen König Ludwig I. von Anjou, als Thronerben eingesetzt, als vielmehr in Bezug auf dessen Verständnis von Herrschaft. Aus der Sicht dieser Gruppe bestand das Problem darin, »dass die rechtlichen Verpflichtungen des Vaters – nach dem allgemeinen Verständnis – automatisch auf seinen Sohn übertragen wurden. Sollte diese Kontinuität gebrochen werden, konnte der neue König einige früher eingeräumte Vorrechte, die oft nur auf mündlichen Verträgen beruhten, in Frage stellen oder gar nicht anerkennen.«[4] Aus Sorge um ihre künftige Rolle im Staat machten die polnischen Herren deshalb die Anerkennung des fremdländischen Herrschers von dessen Verpflichtung auf gewisse Grundsätze abhängig, die zum Teil diese früheren Rechte und Privilegien bestätigten, zum Teil auch über sie hinausgingen. Noch vor seiner Thronbesteigung musste Ludwig I. im Privileg von Buda (1355) auf das Recht verzichten, außerordentliche Steuern zu erheben, desgleichen auf kostenlose Gastung und auf den Kriegsdienst polnischer Adliger außerhalb Polens ohne Entschädigung. Als bedeutend gewichtiger sollte sich jedoch seine Anerkennung einer grundsätzlichen Wahlfreiheit bei der Königskür erweisen, ein Instrument, das der polnische Adel in der Folge geschickt zur Konsolidierung und Erweiterung seiner Machtstellung nutzen konnte.
Schon bei seiner Krönung zum König von Polen verfügte Ludwig I. von Anjou demnach über eine wesentlich schwächere Position als seine Vorgänger. Weil er sich auch in der Folgezeit nicht darum bemühte, die verlorenen Positionen zurückzugewinnen und seinen Herrschaftsanspruch durchzusetzen (er zog sich nach Ungarn zurück und überließ die Regentschaft in Polen seiner Mutter Elisabeth), sahen sich die polnischen Herren in ihrer Politik und dem Glauben an die eigene Stärke bestätigt. Als Ludwig, dessen Ehen keinen männlichen Erben hervorgebracht hatten, sich um die Anerkennung des Thronfolgerechts für eine seiner Töchter bemühte, traten sie selbstbewusst mit weitreichenden Forderungen hervor, die 1374 im Privileg von Kauschau (Erleichterung von Steuer- und Kriegsdienstlast, Verbot der Einsetzung von Ausländern in Verwaltungsämter) ihren Niederschlag fanden.[5] Hier zeichnete sich bereits ein Grundzug der polnischen Politik ab, der die gesamte Formierungsphase der späteren Adelsrepublik prägen sollte: Um sich Zustimmung und Unterstützung des Adels zu sichern, waren die polnischen Monarchen zu verschiedenen Gelegenheiten gezwungen, dessen Vorrechte zu erweitern und dabei die Schwächung ihrer eigenen Position in Kauf zu nehmen.
2.2. Loslösung von Ungarn und Personalunion mit Litauen
Mit dem Antritt eines fremdländischen Herrschers und in Opposition zu diesem war die Ausbildung der polnischen politischen Nation, der adeligen communitas, zu einem ersten Höhepunkt gelangt. Dass sie mit einem transpersonalen Verständnis von Herrschaft einherging, von dem noch zu reden sein wird, dass also die Person des Königs gegenüber seiner Funktion als »Verkörperung […] des bestehenden politischen Systems«[6] zunehmend zweitrangig wurde, nachdem die dynastische Legitimation weggefallen war, sollte sich an der Frage der Thronfolge nach Ludwigs Tod (1382) erweisen. Zwar hatten sich die polnischen Magnaten in Kaschau darauf verpflichtet, Ludwigs Wahl zu akzeptieren, die schließlich auf dessen Tochter Maria gefallen war. Als diese jedoch nach dem Tod des Vaters zur Königin von Ungarn gekrönt wurde und sich damit eine Fortführung der unliebsamen Union anbahnte, zumal unter einem Herrscher aus dem Hause Luxemburg (Maria war seit 1375 Sigismund von Luxemburg versprochen), sahen die polnischen Herren die Souveränität und wohl auch die territoriale Integrität der corona regni bedroht und forderten, dass der künftige König seinen ständigen Sitz in Polen einzunehmen habe. Hierbei haben sicherlich auch die Erfahrungen während der Regentschaft Ludwigs I., dessen ständige Abwesenheit das Reich zahlreichen Gefahren ausgeliefert hatte, eine Rolle gespielt.
Nachdem sich die polnischen Magnaten auf diese Weise dem Anspruch Marias verweigert hatten, konnte als Thronfolgerin, sollten die Zusagen von Kaschau gewahrt bleiben, nur deren jüngere Schwester Hedwig in Frage kommen. Die ungarischen Thronwirren nach dem Tod Ludwigs I. verzögerten jedoch die Entscheidung, zumal keiner der dortigen Prätendenten auf den polnischen Thron verzichten wollte.[7] In dieser Situation beriefen sich die Herren in Krakau explizit auf ihr Recht der freien Königswahl und drohten mit dessen Anwendung, um den unverzüglichen Herrschaftsantritt Hedwigs zu erzwingen. Zum ersten Mal zeigte sich hier das implizite Druckpotential des in Buda verbrieften Rechts, dessen Tragweite sich erst jetzt zu erkennen gab. Nachdem er Hedwigs Thronbesteigung durchgesetzt hatte (1384), war es erneut der aus Magnaten und hohen geistlichen Würdenträgern bestehende königliche Rat, der sich (gewissermaßen als eigentlicher Souverän) nach einem geeigneten Ehekandidaten umsah – wiederum unter Berufung auf das Recht der Königswahl.
[...]
[1] Zitat nach Russocki, Stanislaw, Zwischen Monarchie, Oligarchie und Adelsdemokratie: das polnische Königtum im 15. Jahrhundert, in: Schneider, Reinhard (Hrsg.), Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, Sigmaringen 1987, S. 391
[2] Zu den Begriffskategorien vgl. Russocki, Stanislaw, Probleme frühmoderner Staatlichkeit in Polen und in den deutschen Ländern, in: Jacobmeyer, Wolfgang (Red.), Polen und Deutschland im europäischen Staatensystem vom späten Mittelalter bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Braunschweig 1992, S. 51-59
[3] Hoensch, Jörg K., Geschichte Polens, Stuttgart 1990, S. 98
[4] Ziątkowski, Leszek, Die Adelsrepublik – zur Entstehung einer spezifischen politischen Kultur in Polen, Online-Ressource <http://www.politiklehrerverband.org/Kultur/pkszla.htm>, Abruf 20.04.2006
[5] Näheres bei Meyer, Enno, Grundzüge der Geschichte Polens, Darmstadt 1990, S. 19. Vgl. auch Hoensch, Geschichte Polens, S. 56
[6] Russocki, Zwischen Monarchie, Oligarchie und Adelsdemokratie, S. 390
[7] Dazu u.a. Hoensch, Jörg K., Kaiser Sigismund. Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit 1368-1437, München 1996, S. 457-464.
- Quote paper
- Eduard Luft (Author), 2006, »Regimen et libertas Regni non in Regis consistunt« - Einflussfaktoren auf die Machtstellung des Königtums in Polen (1370-1505), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85871
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