Ziel dieser Arbeit ist es, die Gender-Regime-Forschung von den Anfängen nachzuzeichnen und einen, sich aus dem Wandel der Wohlfahrtsstaaten ergebenden, neueren Typologisierungs-Ansatz und die Problematik des Regime-Ansatzes allgemein vorzustellen. Dabei lautet eine der zentralen Fragen der Gender-Regime-Forschung und dieser Arbeit: Mit welchen Dimensionen und Kriterien lassen sich Wohlfahrtsstaaten systematisch erfassen und Typologien erstellen, wenn das zentrale Kriterium Geschlechtergleichheit ist?
Zur Beantwortung dieser Frage wird zunächst (2.1) auf die Anfänge der, maßgeblich von Espings-Andersen beeinflussten, Wohlfahrtsregime-Forschung eingegangen und die feministische Kritik an seiner Typologie verdeutlicht. Als Reaktion auf die Kritik hat sich eine gender-orientierte Regime-Forschung herausgebildet, die erste Typologien von Wohlfahrtsstaaten bildete (2.2) und die Unterschiede zur „Male-Stream“-Typologien verdeutlichte (2.2.3). Im darauf folgenden Teil (2.3), sollen einige Entwick-lungen des sozialstrukturellen Wandels und das von EU und OECD propagierte „Adult Worker Model“ kurz vorgestellt werden. Hieran entzündete sich wiederum die feministische Kritik, woraufhin nun andere Kriterien für die Typologisierung von Wohlfahrtsstaaten benutzt werden (2.4). Warum der Regime-Ansatz für die Erklärung der Varianz von wohlfahrtsstaatlichen Arrangements problematisch sein könnte stelle ich im dritten Teil der Arbeit dar. Zum Ende ziehe ich einige Schlussfolgerungen für die Gender-Regime-Forschung und gebe einen kurzer Ausblick über weiter (notwendige) Analysen in diesem Bereich der vergleichenden feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Von Wohlfahrts-Regimen zu Gender-Regimen
2.1. Wohlfahrts-Regime
2.2. Gender-Regime
2.2.1. Das Ernährermodell
2.2.2. Erweiterungen des Ernährermodells
2.2.3. Genderzentrierte und konventionelle Typologien
2.3. Wandel und Neuausrichtung am „Adult Worker Model“
2.4. Fokus auf unbezahlter Arbeit: „Care-Regime“
3. Typologisierung, und dann?
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die feministische Linie der Wohlfahrtsstaatsforschung[1] ist eine der neueren Entwicklungen der vergleichenden Forschung (Komparatistik)[2]. Im Zentrum des Interesses stehen dabei Geschlechterverhältnisse (gender relations), die Ursache und Resultat von verschiedenen sozialen, politischen, ökonomischen, kulturellen Prozessen und Institutionen sein können (Orloff 1996: 2). Unter Geschlechterverhältnissen, nach Orloff, können dabei sich wechselseitig verstärkende Strukturen und Praktiken verstanden werden, die Geschlechterdifferenzen, Geschlechterungleichheiten und Geschlechterhierarchien in der Gesellschaft reproduzieren (1996: 3). Aus dieser Perspektive sind drei Mechanismen als zentrale Ursachen für Geschlechterungleichheiten zu erkennen: Erstens, die geschlechtliche Arbeitsteilung; zweitens, die auf den männlichen Ernährer ausgerichteten Lohn- und Steuersysteme und; drittens, die traditionelle Ehe. Nach diesen drei Dimensionen lassen sich Wohlfahrtsstaaten in so genannte Gender-Regime (s. Kapitel 2.2) einordnen. Typologien fassen Länder in Regime (Cluster) zusammen, um Variationen systematisch zu erfassen; dabei geht es (noch) nicht um die Erklärung der Unterschiede zwischen verschieden Wohlfahrtsarrangements.
Ziel dieser Arbeit soll es sein die Gender-Regime-Forschung von den Anfängen nachzuzeichnen und einen, sich aus dem Wandel der Wohlfahrtsstaaten ergebenden, neueren Typologisierungs-Ansatz und die Problematik des Regime-Ansatzes allgemein vorzustellen. Dabei lautet eine der zentralen Fragen der Gender-Regime-Forschung (vgl. Kulawik 2005: 7) und dieser Arbeit: Mit welchen Dimensionen und Kriterien lassen sich Wohlfahrtsstaaten systematisch erfassen und Typologien erstellen, wenn das zentrale Kriterium Geschlechtergleichheit ist?
Zur Beantwortung dieser Frage wird zunächst (2.1) auf die Anfänge der, maßgeblich von Espings-Andersen beeinflussten, Wohlfahrtsregime-Forschung eingegangen und die feministische Kritik an seiner Typologie verdeutlicht. Als Reaktion auf die Kritik hat sich eine gender-orientierte Regime-Forschung[3] herausgebildet, die erste Typologien von Wohlfahrtsstaaten bildete (2.2) und die Unterschiede zur „Male-Stream“-Typologien verdeutlichte (2.2.3). Im darauf folgenden Teil (2.3), sollen einige Entwicklungen des sozialstrukturellen Wandels und das von EU und OECD (OECD 2001) propagierte „Adult Worker Model“ kurz vorgestellt werden. Hieran entzündete sich wiederum die feministische Kritik, woraufhin nun andere Kriterien für die Typologisierung von Wohlfahrtsstaaten benutzt werden (2.4). Warum der Regime-Ansatz für die Erklärung der Varianz von wohlfahrtsstaatlichen Arrangements problematisch sein könnte stelle ich im dritten Teil der Arbeit dar. Zum Ende ziehe ich einige Schlussfolgerungen für die Gender-Regime-Forschung und gebe einen kurzer Ausblick über weiter (notwendige) Analysen in diesem Bereich der vergleichenden feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung.
2. Von Wohlfahrts-Regimen zu Gender-Regimen
2.1. Wohlfahrts-Regime
In der international vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung werden Forschungstraditionen nach ihrem theoretisch-methodischen Ansatz unterschieden (Veil 2003: 2). Gosta Esping-Andersen, Korpi und andere gelten als die Begründer der Regime-Forschung, die in dem Buch, „Three Worlds of Welfare Capitalism“ (1990), das mittlerweile ein Klassiker der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung ist,dargestellt wurde. Der Regime-Ansatz stellt eine Erweiterung des Wohlfahrtsstaatskonzepts dar, denn es werden nicht mehr nur die Sozialsysteme betrachtet, sondern vielmehr auch der Zusammenhang zwischen institutionellen Ordnungen und die politisch-ideologischen Leitvorstellungen der kollektiven Akteure, die nach Parteiinteresse handeln. Nach der nationalen politischen Ideologie unterscheidet die Regimeforschung unterschiedliche Muster von Wohlfahrtsstaaten, so genannte Regimetypen. Diese werden anhand verschiedener Merkmale differenziert. Eines dieser Merkmale ist der Grad der „entkommodifizierenden“ Wirkung von Leistungen des Wohlfahrtsstaats, das bedeutet, dass es wohlfahrtsstaatliche Regelungen und Leistungen gibt, die es den Erwerbstätigen gestatten, für eine gewisse Zeit aus der „warenförmigen“ Erwerbsarbeit (commodity) auszuscheiden (z.B. durch Arbeitslosengeld, Mutterschaftsurlaub etc.). Der zentrale Begriff des Ansatzes, „De-Kommodifizierung“, ist danach das bedeutendste soziale Bürgerrecht und zentrales Gütekriterium bei der Analyse von Wohlfahrtsstaaten (Veil 2003: 2). Ein zusätzliches Kriterium stellt der Einfluss wohlfahrtsstaatlicher Regulierung auf die soziale Schichtung (Ungleichheit) dar, die so genannte Stratifikation, und der jeweilige Anteil von Arbeitsmarkt, Staat und privaten Haushalten an der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Anhand dieser Merkmale werden Idealtypen von Wohlfahrtsstaaten unterschieden: Erstens, der von Esping-Andersen bevorzugte sozial-demokratische Typ (vor allem in Skandinavien vorzufinden) mit universalistischer, egalisierender Ausrichtung (stärkste entkommodifizierenden Wirkung, kaum sozialer Ungleichheit), zweitens, der liberale Typ (vor allem in angelsächsischen Staaten) in dem Leistungen bedarfsgeprüft, nach dem Fürsorgeprinzip gewährt werden (geringe entkommodifizierende Wirkung, große soziale Ungleichheit) und drittens, der konservativ-korporatistische Typ (typische Staaten: Deutschland und Frankreich), der auf Vollbeschäftigung des männlichen Familienernährers und auf einem Familienlohn basiert (mittlere entkommodifizierende Wirkung, etwas niedrigere soziale Ungleichheit).
Der Beitrag des Regime-Ansatzes ist wichtig für die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung, da er die Staaten nicht nur nach quantitativen (z.B. Messung der Höhe der Sozialausgaben), sondern auch nach qualitativen Merkmalen (z.B. politische Leitlinien) verortet. Des Weiteren geht die Regime-Forschung über einen Institutionenvergleich hinaus und zieht die sozialen Akteure mit ihren unterschiedlichen Machtressourcen in die Betrachtung mit ein (Veil 2003: 2).
Jedoch wurde bald Kritik[4] aus der feministischen Perspektive an der Methode Esping-Andersens, das Kriterium der De-Kommodifizierung zum Gütekriterium für Wohlfahrtsstaaten zu machen, laut (vgl. u.a. Langan/ Ostner 1991; Lessenich/Ostner 1998, Kulawik 2005). Kritisiert wurde, dass das Kriterium der De-Kommodifizierung für die Genderforschung nicht geeignet sei, da es nicht die Unterschiede von Männern und Frauen bei der Arbeitsmarkt- und Familienintegration beachte. Die Kritiker wiesen darauf hin, dass Frauen erst einmal Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen müssten, bevor sie aus diesem wieder ausscheiden könnten (vgl. u. a. Hobson 1996, in: Kulawik 2005: 2). Durch den zentralen Begriff der De-Kommodifizierung findet der Gender-Aspekt bei der lohnförmigen Erwerbsarbeit keine Beachtung, da der Prozess, wie er für die männliche Erwerbsbevölkerung abgelaufen ist, mit der Gesamtentwicklung gleichgesetzt wird. Wird die Vollzeiterwerbstätigkeit auch zur Norm der Frauen, dann wird jede zeitliche Freistellung (mit Lohnersatzleistungen) zur sozialpolitischen Errungenschaft, die die Norm bestätigt. Falls dies jedoch nicht eintritt, dann haben Freistellungsregelungen, in verschiedenen gesellschaftlichen Umfeldern, unterschiedliche Wirkungen. So können Freistellungsregelungen sowohl Anreize für eine größere, als auch für eine geringere Arbeitmarktnähe schaffen. Beispielsweise können Elternurlaubsregelungen mit Lohnersatzleistungen einen Weg in Beschäftigung sein, da sie an Erwerbsarbeit orientiert sind (vgl. Opielka 2000, in: ebd.: 2). Dagegen fördert die derzeit in Deutschland diskutierte Erziehungsprämie eher einen Ausstieg aus der Erwerbsarbeit (zur aktuellen Debatte, SPIEGEL ONLINE (2007)).
Ann Shola Orloff fasst die geschlechterzentrierte Kritik am Ansatz Esping-Andersens pointiert zusammen (1996: 27): „… his citizens are implicitly male workers; his dimensions tap into states' impact on class relations and the relationship between states and markets without considering gender differences within classes or the relations between families; he leaves invisible women's work on behalf of societal welfare (i.e. unpaid caring/domestic labour); and his framework fails to consider states' effects on gender relations, inequalities and power.”
2.2. Gender-Regime
Der Regime-Ansatz von Esping-Andersen hat der feministischen Analyse von Wohlfahrtsstaatstypen seit Anfang der 1990er Jahre einen enormen Vortrieb gegeben. In der vergleichenden Geschlechterforschung ist der Regime-Ansatz mittlerweile eine bedeutende Forschungsrichtung (Kulawik 2005: 7). Sie beäugt kritisch die Forschungsansätze, die die Männer als Norm darstellen (z.B. die Regime nach ihren de-kommodifizierenden Leistungen zu unterscheiden) und zielt darauf ab Kriterien zu entwickeln, anhand derer geschlechtsspezifische Arrangements des Wohlfahrtsstaats nach so genannten Gender-Regimen geordnet werden können. Die Gender-Regime-Forschung basiert auf der Annahme, dass Wohlfahrtsarrangements sich qualitativ unterscheiden, d.h. sie variieren je nach dem ob sie Geschlechterungleichheit verfestigen, verstärken oder verringern (vgl. u.a. Langan/Ostner 1991; Ostner 1995; Orloff 1996). Dabei werden wohlfahrtsstaatliche Regelungen als verstetigende und verändernde Teile gesellschaftlicher Zusammenhänge betrachtet. Dabei verweist der Gender-Regime-Ansatz auf drei Dimensionen (Kulawik 2005: 8): Erstens, die Ausgestaltung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen und der darin enthalten Leitbilder der Stellung von Frau und Mann; zweitens, die Auswirkungen wohlfahrtsstaatlicher Regelungen auf die Lebensgestaltung von Frauen und Männern und; drittens, die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in relevanten politischen Entscheidungsprozessen.
Danach schließt ein Gender-Regime das institutionelle Arrangement wohlfahrtsstaatlicher Leistungen im Zusammenwirken von Markt, Familie und Staat, die damit zusammenhängende symbolisch-normative Zuschreibung von Geschlechterrollen und die verschiedenen politischen Machtkonstellationen, die das Arrangement produziert haben, mit ein (Kulawik 2005: 8).
2.2.1. Das Ernährermodell
Eine erste Typologie die das Kriterium Geschlecht berücksichtigte stellt die, von Ilona Ostner (u.a. 1995) in Zusammenarbeit mit Jane Lewis, erstellte Einteilung nach Intensität der Ausprägung des „männlichen (Allein-)Ernährermodells“ dar. Das männliche Ernährermodell wird als eine Sozialordnung gesehen, in der die Männer, als Erwerbstätige, Sozialleistungen erhalten, die auch den Unterhalt der von ihnen abhängigen Frauen sicherstellen. Die nicht erwerbstätigen Frauen erbringen in diesem Modell die unbezahlte Erziehungs-, Pflege- und Hausarbeit. In der Realität der Wohlfahrtstaaten besteht das idealtypische männliche Ernährermodell nie zu ganz; es soll einen Idealtypus darstellen. Vielmehr nutzen es Ostner und Lewis zur Verortung verschiedener Wohlfahrtsstaaten nach Entfernung bzw. Nähe zum männlichen Modell. Die Kriterien zur Verortung sind: die Höhe der Erwerbstätigkeit von Frauen (mit/ohne Kindern), die Bereitstellung von öffentlicher Betreuung (z.B. Kindertagesstätten, Pflegeheime) und ob die soziale Absicherung von Frauen hauptsächlich individuell oder vom Mann abgeleitet gestaltet ist (vgl. Lewis 1992; Ostner 1995). In dieser Typologie werden somit wohlfahrtsstaatliche Regelungen mit der Sozialstruktur verbunden. Dabei machen Lewis und Ostner drei Varianten des männlichen Ernährermodells aus: ein starkes, ein modifiziertes und ein schwaches.
[...]
[1] Wohlfahrtsstaat ist die Kurzbezeichnung für einen Staat, der eine Anzahl unterschiedlicher (Fürsorge-) Maßnahmen, Programme und Politiken anwendet, die der sozialen, materiellen und kulturellen Wohlfahrt der Bevölkerung dienen. Die Bezeichnung stammt aus der anglo-amerikanischen Politikwissenschaft (welfare state) und wird häufig gleichlautend für den Begriff Sozialstaat verwendet, ist aber umfassender zu verstehen und wird (aus der neo-liberalen Kritik heraus) in jüngster Zeit eher mit einer individuellen Bevormundung, mit Einschränkung von Eigenintiative und Verantwortung in Verbindung gebracht als mit den (im Deutschen üblichen) Begriffen Wohlfahrt und Wohlergehen (Schubert, Klaus; Klein, Martina (2006): Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl., Dietz, Bonn.)
[2] Für einen Überblick über frühere, nicht vergleichende, sondern auf die Patriachats-Analyse stützende feministische Forschungsansätze vgl. u.a. Kulawik (2005: 8).
[3] Für einen Überblick über die Anfänge feminististische Wohlfahrtsstaatsanalyse, besonders das Konzept des Patriachats, und deren Schwächen (vgl. Kulawik 2005: 3-4).
[4] Neben der feministischen wurde auch Kritik aus der allgemeinen Wohlfahrtsstaatsforschung an der Methode Esping-Andersens laut. So wurde eine Erweiterung der Typologie um südeuropäische Länder als viertes Regime vorgeschlagen. Vor allem aber wurde das analytische Instrumentarium kritisiert und dabei insbesondere die Verknüpfung zwischen Regulationstypen und Entwicklungspfaden, die kaum geeignet erscheinen die politisch-historische Entwicklung zu erfassen (für eine Zusammenfassung der Kritik, s. Kulawik 2005: 6).
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