Vorwort
Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen Friedrich Nietzsches Kulturkritik, die davon beeinflußte lebensreformerische Bewegung bis hin zu den Folgen für die noch junge Reformpädagogik am Beispiel der Landerziehungsheime im frühen
20. Jahrhundert. Im Rahmen des Seminars „Lebensreform, Kulturkritik und Reformpädagogik“ wurden die Grundzusammenhänge zwischen Kulturkritik, Lebensreform und Reformpädagogik dargestellt; aufgrund der enormen Fülle von verschiedenen pädagogischen Erneuerungsbewegungen liegt der Schwerpunkt in dieser Hausarbeit auf den frühen Landerziehungsheimen und ihrern Gründern Hermann Lietz, Gustav Wyneken und Paul Geheeb. Stellvertretend für die kulturphilosophische Kritik des 19. Jahrhunderts steht
Friedrich Nietzsche. Obwohl sicherlich auch andere Philosophen (wie z.B. Schopenhauer) in dieser Hinsicht bemerkenswertes geleistet haben, hatte Nietzsche jedoch eine überragende Bedeutung für die sich anschließende Lebensreform bzw. die Reformpädagogik; da weiterhin der Fokus im Seminar auf Nietzsche lag, war die Entscheidung für den Schwerpunkt auf seiner philosophischen Kritik naheliegend.
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I Friedrich Nietzsche
I.1 Nietzsches Kritik des Bildungssystems I: Unzeitgemäße Betrachtungen (1873-1876)
I.2 Nietzsches Kritik des Bildungssystems II: Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten (1872)
I.3 Nietzsches Kritik des Bildungssytems III: Also sprach Zarathustra (1883-1885)
I.4 Mögliche Impulse
II Zeit des Umdenkens
II.1 Kulturwandel
II.2 Kritik an der alten Schule
III Landerziehungsheime
III.1 Hermann Lietz
III.2 Gustav Wyneken
III.3 Paul Geheeb
IV Natur und Leben
V Literatur
Vorwort
Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen Friedrich Nietzsches Kulturkritik, die davon beeinflußte lebensreformerische Bewegung bis hin zu den Folgen für die noch junge Reformpädagogik am Beispiel der Landerziehungsheime im frühen 20. Jahrhundert. Im Rahmen des Seminars „Lebensreform, Kulturkritik und Reformpädagogik“ wurden die Grundzusammenhänge zwischen Kulturkritik, Lebensreform und Reformpädagogik dargestellt; aufgrund der enormen Fülle von verschiedenen pädagogischen Erneuerungsbewegungen liegt der Schwerpunkt in dieser Hausarbeit auf den frühen Landerziehungsheimen und ihrern Gründern Hermann Lietz, Gustav Wyneken und Paul Geheeb. Stellvertretend für die kulturphilosophische Kritik des 19. Jahrhunderts steht Friedrich Nietzsche. Obwohl sicherlich auch andere Philosophen (wie z.B. Schopenhauer) in dieser Hinsicht bemerkenswertes geleistet haben, hatte Nietzsche jedoch eine überragende Bedeutung für die sich anschließende Lebensreform bzw. die Reformpädagogik; da weiterhin der Fokus im Seminar auf Nietzsche lag, war die Entscheidung für den Schwerpunkt auf seiner philosophischen Kritik naheliegend.
I Friedrich Nietzsche
I.1 Nietzsches Kritik des Bildungssystems I: Unzeitgemäße Betrachtungen (1873-1876)
In den Unzeitgemäßen Betrachtungen kritisiert Nietzsche die gängige Kulturphilosophie (und damit auch die Bildung) seiner Zeit stark. Die erste Betrachtung trägt den Namen David Strauß, den Bekenner und den Schriftsteller (1873) und ist eine Abrechnung mit dem gleichnamigen Bibelkritiker, den Nietzsche als Bildungsphilister bezeichnet. David Strauß steht nach Nietzsches Meinung für die bürgerliche Bildungs- und Erziehungsidee, in der kein Fortschritt möglich ist, da das Alte bewahrt wird. Auch das übliche Kulturbild seiner Zeit kritisiert Nietzsche scharf; es ist nichts weiter als Barbarei, Abfall, Stillstand und Nihilismus, in dem der Schein mehr zählt als das Sein: „Man lebt jedenfalls in dem Glauben, eine echte Kultur zu haben: der ungeheure Kontrast dieses zufriedenen, ja triumphierenden Glaubens und eines offenkundigen Defekts scheint nur noch den Wenigsten und den Seltensten überhaupt bemerkbar zu sein.“[1]
Merkmal dieser Kultur, die Ende des 19. Jahrhunderts in allen öffentlichen Institutionen zum Kulturtypus stilisiert wurde, ist beispielsweise der „ ... Mangel jeder Selbsterkenntnis, Stillosigkeit ... und Identifikation und Selbstzufriedenheit mit der Konvention.“[2] Für Nietzsche ist diese Kultur des Bürgertums keine echte Kultur, sondern ein System der Nichtkultur.
Eine Möglichkeit, dieses Bildungs- und Kultursystem zu verändern, liegt in der Neubewertung der Geschichte. In seinen zweiten Stück der Unzeitgemäßen Betrachtungen (Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben) analysiert Nietzsche systematisch die Prinzipien der Geschichtswissenschaft und verdeutlicht die Bedeutung der Geschichte für Leben und Bildung. Nietzsche unterscheidet drei Arten der Geschichtsbetrachtung: die antiquarische, monumentalische und kritische. Während die antiquarische und die monumentalische Geschichtsschreibung nur den Blick zurück wagt, ist die kritische Geschichtsschreibung durchaus in der Lage, Antworten für die Zukunft zu geben. Die kritische Geschichtsschreibung „ ... muß die Kraft haben und von Zeit zu Zeit anwenden, eine Vergangenheit zu zerbrechen und aufzulösen, um leben zu können.“[3] Nietzsche fordert eine kritische Geschichtsschreibung, um die Übersättigung mit Geschichte zu minimieren, unter der das geistige Leben seiner Zeit leidet, da man unter historischer Bildung im traditionellen Sinne die nicht hinterfragte Vermittlung von Daten und Fakten verstand. Für Nietzsche ist diese Art der Bildung „ ... gar keine wirkliche Bildung, sondern nur eine Art Wissen um die Bildung, es bleibt in ihr bei dem Bildungs-Gedanken, bei dem Bildungs-Gefühl, es wird kein Bildung-Entschluß daraus.“[4]
Dem Bildungsphilistertum setzt Nietzsche in der dritten Unzeitgemäßen Betrachtung (Schopenhauer als Erzieher) Schopenhauer als positives Beispiel entgegen. Nietzsche bewundert vor allem dessen Streben nach Unabhängigkeit von Staat und Gesellschaft. Bezogen auf die Bildungskultur ist Schopenhauer somit ein Vorbild für Nietzsche, für den Bildung von Innen hervorgehen , Aufgaben lösen muß und nicht fremdgesteuert sein darf: „Nicht die Vermittlung irgendwelcher Privilegien oder Berechtigungen ist (für Nietzsche, M.S.) das Ziel der Bildung, sondern die Hilfe zu Selbsthilfe und Selbständigkeit.“[5]
I.2 Nietzsches Kritik des Bildungssystems II: Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten (1872)
Nach Nietzsche sind zwei unterschiedliche Tendenzen für das Bildungssystem seiner Zeit charakteristisch: Einerseits gibt es den Trend zur Erweiterung bzw. Verbreitung der Bildung, andererseits gibt es aber auch den Trend zur Verringerung bzw. Abschwächung.
Mit der Tendenz zur zunehmenden Verringerung bzw. der Abschwächung der Bildung meint Nietzsche den Trend zur Fachspezialisierung. „So ein exklusiver Fachgelehrter ist dann dem Fabrikarbeiter ähnlich, der sein Leben lang nichts anderes macht als eine bestimmte Schraube oder Handhabe zu einem bestimmten Werkzeug oder zu einer Maschine, worin er dann freilich eine unglaubliche Virtuosität erlangt.“[6]
Unter ökonomischem Aspekt wird Bildung auf möglichst viele Menschen ausgeweitet und die Inhalte der Bildung erweitert, da die Menschen befähigt werden sollen, Glück und Gewinn zu erzielen: „Möglichst viel Erkenntnis und Bildung - daher möglichst viel Produktion und Bedürfnis - daher möglichst viel Glück.“[7] Die so erzeugten Menschen bezeichnet Nietzsche als „courante Menschen“, das sind gängige, gewöhnliche und angepaßte Menschen, vergleichbar mit Herdentieren. Durch diese Normierung verkennt das Bildungssystem, daß jeder Mensch die Welt nur auf seine ganz spezielle Weise erkennt und produziert deshalb Unbildung.
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[1] Nietzsche, Friedrich: Unzeitgemäße Betrachtungen. Erstes Stück: David Strauß, der Bekenner und Schriftsteller. Hier zitiert nach: Röhrs, Hermann: Die Reformpädagogik: Ursprung und Verlauf unter internationalem Aspekt. 3., durchges. Aufl. Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1991,
[2] Elar, Hans-Michael: Begriffe und Personen aus der Geschichte der Pädagogik. Frankfurt am Main: Verlag Peter Lang 1985,
[3] Nietzsche, Friedrich: Unzeitgemäße Betrachtungen: Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für da Leben. Hier zitiert nach: Scheibe, Wolfgang: Die reformpädagogische Bewegung: 1900-1932. Eine einführende Darstellung. 10., erw. und neuausgestattete Aufl. Weinheim: Beltz 1994,
[4] Nietzsche, Friedrich: Unzeitgemäße Betrachtungen: Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für da Leben. Hier zitiert nach: Röhrs, Hermann: A. a. O.,
[5] Röhrs, Hermann: A. a. O.,
[6] Löwisch, Dieter-Jürgen: Friedrich Nietzsche. In: Fischer / Löwisch (Hrsg.): Pädagogisches Denken von den Anfängen bis zur Gegenwart. Darmstadt: Wiss. Buchges. 1989,
[7] Nietzsche, Friedrich: Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten. 1.Vortrag. Hier zitiert nach: O`Callaghan, Patricia: Reformpädagogische Praxis: 1900-1914. Beispiele aus der deutschen Grundschule. Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1997,
- Arbeit zitieren
- Michael Schönfelder (Autor:in), 1999, Nietzsche und die Auswirkungen auf die deutschen Landerziehungsheime im frühen 20. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/858