In Zeiten von nahezu vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland, stellt sich generell die Frage, auf welchem Wege man mit minimalen Suchkosten zurück in den Arbeitsmarkt findet. Gerade die Ergebnisse der Arbeiten von GRANOVETTER (1973, 1995) und seinem neu aufgestellten Forschungsparadigma zur Erklärung von Mobilitätsprozessen auf dem Arbeitsmarkt, verursachten seither ein Umdenken in der Forschung. Anhand seiner Studien weist er nach, dass soziales Kapital beim Zugang zu Vakanzen einen entscheidenden Stellenwert einnimmt und mitunter zu attraktiveren Arbeitsplätzen führt, als mithilfe formeller Suchstrategien. Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch an, einen Überblick darüber zu geben, inwieweit sich die Thesen GRANOVETTER´S (1973, 1995) durch aktuelle empirische Untersuchungen aus dem deutschsprachigen Raum verifizieren bzw. falsifizieren lassen. Für die Erstellung dieser Arbeit wurden Studien aus Deutschland sowie der Schweiz herangezogen, welche sich dem Thema ‚Sozialkapital und Arbeitsmarkt’ widmen. Diese Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit sondern versucht einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu geben. Zum besseren Verständnis werden eingangs die wichtigsten Begriffe, Theorieansätze sowie wesentliche Probleme des Forschungsfeldes zusammengefasst wiedergegeben, um sich im Anschluss daran gezielt auf die Hypothesen und Evidenzen konzentrieren zu können.
Inhaltsverzeichnis
1. Soziales Kapital und Arbeitsmarkt
2. Begriffsdefinitionen
2.1. Der Markt
2.2. Der Arbeitsmarkt
2.3. Soziales Kapital
3. Allgemeine und spezielle Theorieansätze
3.1. Neoklassische Arbeitsmarkttheorie
3.2. Statuszuweisungsansatz
3.3. Ansatz der Arbeitsmarktsegmentation
3.4. Job-Search-Modelle
3.5. Kontaktnetztheorie
4. Probleme des Forschungsfeldes
4.1. Soziale Ressourcen
4.2. Wechselwirkungseffekte
4.3. Kontrollvariablen und die Lebensverlaufsperspektive
4.4. Kontakt- und Wechselwahrscheinlichkeit
4.5. Prestige oder Status?
5. Hypothesen
5.1. These der reduzierten Suchkosten
5.2. These der profitableren Platzierung über soziale Kontakte
5.3. These der profitableren Platzierung über ‚Weak-Ties’
5.4. Karrierezyklus-These
5.5. Qualifikationsniveau-These
5.6. These der sozialen Schließung
6. Empirische Evidenzen
6.1. Zur These der reduzierten Suchkosten
6.2. Zur These der profitableren Platzierung über soziale Kontakte
6.3. Zur These der profitableren Platzierung über ‚Weak-Ties’
6.4. Zur Karrierezyklus-These
6.5. Zur Qualifikationsniveau-These
6.6. Zur These der sozialen Schließung
7. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Soziales Kapital und Arbeitsmarkt
In Zeiten von nahezu vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland stellt sich generell die Frage, auf welchem Wege man mit minimalen Suchkosten zurück in den Arbeitsmarkt findet. Gerade die Ergebnisse der Arbeiten von Granovetter (1973, 1995) und seinem neu aufgestellten Forschungsparadigma zur Erklärung von Mobilitätsprozessen auf dem Arbeitsmarkt verursachten seither ein Umdenken in der Forschung. Anhand seiner Studie weist er nach, dass soziales Kapital beim Zugang zu Vakanzen einen entscheidenden Stellenwert einnimmt und mitunter zu attraktiveren Arbeitsplätzen führt als mithilfe formeller Suchstrategien. Auf der einen Seite findet sich eine Vielzahl an empirischen Befunden, welche Granovetter´s Hypothesen verifizieren und das häufig im Alltag verwendete Sprichwort des sogenannten Vitamin B bekräftigen. „It´s Not Just What You Know, But Who You Know“ (Lin 2003: 41).
Auf der anderen Seite zeigen sich jedoch auch gegensätzliche Evidenzen, welche die bisherigen Forschungsresultate in Frage stellen. “I believe the weight of anecdotal evidence and intuition suggests that being ‘well connected’ is an advantage in the labor market […] At the moment, intuition and anecdote aside, we have little empirical evidence that contacts matter” (Mouw 2003: 891). Auch bezüglich der Vorteilhaftigkeit von sozialen Kontakten gegenüber formellen Suchkanälen findet man konträre Aussagen. „It´s clear by now that use of informal channels itself offers no advantage over other channels, especially formal channels, in attained status“ (Lin 1999: 481).
Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch an, einen Überblick darüber zu geben, inwieweit sich die Thesen Granovetter´s (1973, 1995) durch aktuelle empirische Untersuchungen aus dem deutschsprachigen Raum verifizieren bzw. falsifizieren lassen. Für die Erstellung dieser Arbeit wurden Studien aus Deutschland (Beer et al. 2002; Blaschke 1987; Brandt 2005, 2006; Brüderl 1991; Habich 1984 ; Haug & Kropp 2002; Noll 1985; Preisendörfer & Voss 1988; Runia 2002; Wegener 1987, 1989; Windolf & Hohn 1984, 1985) sowie der Schweiz (Diekmann et al. 1999; Franzen & Hangartner 2005; Freitag 2000) herangezogen, welche sich dem Thema ‚Sozialkapital und Arbeitsmarkt’ widmen. Diese Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit sondern versucht einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu geben. Zum besseren Verständnis werden eingangs die wichtigsten Begriffe, Theorieansätze sowie wesentliche Probleme des Forschungsfeldes zusammengefasst wiedergegeben, um sich im Anschluss daran gezielt auf die Hypothesen und Evidenzen konzentrieren zu können.
2. Begriffsdefinitionen
Begriffe wie ‚der Markt’, ‚Arbeitsmarkt’ und insbesondere ‚soziales Kapital’ stellen die essentiellen und zentralen Grundbegriffe dieser Arbeit dar. Daher werden diese im folgenden in aggregierter Form vorgetragen.
2.1. Der Markt
In der ökonomischen Theorie stellt der Markt, nach allgemeiner Definition, eine Institution dar, welche aus zwei Gruppen besteht. Auf der einen Seite die Gruppe potenzieller Käufer, welche die Nachfrage bestimmt und auf der anderen Seite die Gruppe potenzieller Verkäufer, welche das Güterangebot definiert. Zwischen beiden Gruppen findet ein Austausch von beliebigen Waren und/ oder Dienstleistungen nach den existierenden Marktgesetzen statt (vgl. Mankiw 1999: 70). Weiterhin wird unterschieden ob es sich um einen vollkommenen oder unvollkommenen Markt handelt. Ein vollkommener Markt ist dadurch gekennzeichnet, dass das angebotene und nachgefragte Gut auf diesem Markt homogen ist; des weiteren herrscht auf diesem Markt eine vollkommene Markttransparenz. Sollte eine dieser beiden Charakteristika nicht erfüllt sein, so handelt es sich um einen unvollständigen Markt (vgl. Paraskewopoulos & Legutke 2004: 143).
2.2. Der Arbeitsmarkt
Nach den Vertretern der Neoklassik wird der Arbeitsmarkt als ein allgemeiner Markt angesehen. Auf der Seite der Verkäufer stehen die Arbeitnehmer, welche ihre Arbeitskraft anbieten und auf der Seite der Käufer stehen die Arbeitgeber, welche diese Arbeitskraft nachfragen bzw. vize versa bieten die Arbeitgeber zu besetzende Stellen an und diese werden von den Arbeitnehmern nachgefragt. Die Preise regulieren sich über die Mengen der angebotenen Güter Arbeitskraft/ Arbeitsstellen und inwieweit diese nachgefragt werden. Ein Kritikpunkt an der ökonomischen Theorie ist die Erkenntnis, dass der Arbeitsmarkt in der Realität keinen vollkommenen Markt darstellt, da keine absolute Markttransparenz existiert und die nachgefragten/ angebotenen Güter Arbeitskraft/ Arbeitsstellen in hohem Maße heterogen sind (vgl. Noll 1985: 276f.). Der Arbeitsmarkt besitzt eine weitaus kompliziertere Struktur als übliche Gütermärkte der Ökonomie. Es handelt sich um einen sogenannten Matching-Markt, da die getauschte Menge der Güter nicht beliebig variabel und teilbar ist. Es findet entweder ein eineindeutiger Matching-Prozeß statt oder nicht (vgl. Preisendörfer & Voss 1988: 104).
2.3. Soziales Kapital
In der Literatur der vergangenen zwei Dekaden findet sich eine Vielzahl an Definitionen zu diesem Terminus, wodurch dessen mehrdimensionaler Charakter ausgesprochen deutlich wird; dazu im Folgenden eine Auswahl. Bourdieu (1983) versteht unter sozialem Kapital „[...] die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes oder Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, handelt es sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen“ (ebd.: 190).
Coleman (1988) meint dazu: „Unlike other forms of capital, social capital inheres in the structure of relations between actors and among actors“ (ebd.: 98). Oder etwas expliziter: “Social capital is defined by its function. It is not a single entity, but a variety of different entities having two characteristics in common: They all consist of some aspect of social structure, and they faciliate certain actions of individuals who are within the structure. Like other forms of capital, social capital is productive, making possible the achievement of certain ends that would not be attainable in its absence” (Coleman 1990: 302).
Nach Burt (1992) bezieht sich soziales Kapital „[…] to friends, colleagues, and more general contacts through whom you receive opportunities to use your financial and human capital” (ebd.:9). Putnam (1995) versteht darunter “[…] features of social life, networks, norms, and trust, that enable participants to act together more effectively to pursue shared objectives“ (ebd.: 664f.). Ungeachtet dieses definitorischen Spektrums identifiziert Portes (1998) eine Analogie innerhalb der Begriffsbestimmungen: “[…] [S]ocial capital stands for the ability of actors to secure benefits by virtue of membership in social networks or other social structures” (ebd.: 6).
3. Allgemeine und spezielle Theorieansätze
Um einen Überblick über die existierenden Theorieansätze innerhalb der Arbeitsmarktforschung zu erhalten und den Stellenwert sozialer Kontakte in diesem Zusammenhang einordnen zu können, werden zunächst sukzessiv drei allgemeine und anschließend zwei speziellere Herangehensweisen vorgestellt.
3.1. Neoklassische Arbeitsmarkttheorie
Der zentrale Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die Annahme, dass sich die Akteure auf dem Arbeitsmarkt rational verhalten. Entsprechend nutzen Arbeitgeber auf der einen Seite Such- und Selektionsverfahren, welche die Kosten der Personalrekrutierung niedrig halten. Auf der anderen Seite versuchen Arbeitnehmer nach diesem Theorieansatz einen neuen Arbeitsplatz mit möglichst geringem Aufwand zu erlangen. Beide Akteure versuchen das zentrale Informationsproblem durch Abwägen von Kosten und Nutzen bestimmter Handlungen zu lösen. Die Kernfrage für die Analyse sozialer Kontakte lautet somit, unter welchen Grundvoraussetzungen die Nutzung sozialer Kontakte bei der Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. bei der Einstellung neuer Arbeitnehmer, eine rationale Suchstrategie symbolisiert (vgl. Preisendörfer & Voss 1988: 105).
3.2. Statuszuweisungsansatz
Entscheidend bei diesem Ansatz ist „[...] die Gegenüberstellung von universalistischen versus partikularistischen und von erworbenen versus zugeschriebenen Bestimmungsfaktoren des sozialen Status“ (ebd.: 105). Diese Ausrichtung erscheint auch für die Untersuchung von Prozessen bei der Stellensuche auf dem Arbeitsmarkt von nicht geringer Bedeutung. Die Chancen einen neuen Arbeitsplatz zu finden sind von vielen Faktoren abhängig, neben der sozialen Herkunft und den angeeigneten Qualifikationen darf der Einfluss der Assimilation eines Individuums in bestimmte soziale Netzwerke nicht unterschätzt werden (vgl. ebd.: 106). Die Grundannahme der Vertreter dieses Theorieansatzes lautet, „[...] daß in fortgeschrittenen Industriegesellschaften zugeschriebene und partikularistische „Achievement“-Kriterien immer weniger eine Rolle spielen [...]“ (ebd.: 106). Dies würde besagen, dass man theoretisch mit einer Abnahme der Bedeutung von sozialen Kontakten als Selektionskriterium rechnen muss, da dieses als partikularistisch einzuordnen ist (vgl. ebd.: 106).
3.3. Ansatz der Arbeitsmarktsegmentation
Im Gegensatz zu den vorangegangenen beiden Theorieansätzen, welche von einem offenen Arbeitsmarkt ausgehen, betont der Ansatz der Arbeitsmarktsegmentation das Vorhandensein von Zutrittsbarrieren und Trennungslinien zwischen unterschiedlichen Teilarbeitsmärkten. Beim Konzept des internen Arbeitsmarktes wird davon ausgegangen, dass eine Vielzahl von Vakanzen mittels interner Rekrutierung annektiert werden (vgl. ebd.: 106). Vertreter dieses Theorieansatzes wie z.B. Windolf & Hohn (1984, 1985) nehmen an, dass es eine innige Kohärenz zwischen der allgemeinen ökonomischen Lage und des Typs der Selektionskriterien gibt. Sie vermuten, dass sich in einem Konjunkturzyklus mit knappen Arbeitsplätzen die Affinität zur sozialen Schließung verstärkt und Vakanzen intern oder über Kontaktnetze besetzt werden (vgl. Windolf & Hohn 1985: 310ff.). „In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit erfolgt die betriebliche Rekrutierung zunehmend über geschlossene Rekrutierungskanäle“ (Windolf & Hohn 1985: 312).
3.4. Job-Search-Modelle
Für die Suche nach Vakanzen auf dem Arbeitsmarkt, finden sich in der Ökonomie sogenannte Job-Search-Modelle, welche neoklassisch ausgerichtet sind. Ihre Grundannahme lautet, „[...] daß sich Länge und Intensität des Job-Suchprozesses über Grenzertrag und Grenzkosten der Suche bestimmen“ (Preisendörfer & Voss 1988: 106). Unter der Annahme, dass unterschiedliche Suchstrategien mit unterschiedlichen Kosten und Erträgen verbunden sind, scheint die Frage nach der Bedeutung sozialer Kontakte sinnvoll. Dies wurde in den genannten Modellen meist vernachlässigt. Zusätzlich wurde die Suche nach Arbeitsplätzen, gemäß der neoklassischen Sichtweise, als Vollzeitbeschäftigung betrachtet, mit der Behauptung eine Suche „off-the-job“ sei effektiver als eine Such „on-the-job“ (vgl. ebd.: 106). Das Finden einer Stelle wurde des weiteren als ein Ergebnis verstanden, welchem ein aktiver Suchprozess vorausging. Beim Rückgriff auf soziale Kontakte scheint diese Annahme jedoch wenig angemessen, da Stellenfindungsprozesse über soziale Kontakte oftmals ohne eine Phase der Arbeitslosigkeit verlaufen und sich der Zugang zu kontaktvermittelten Stellen meist ohne aktive Suche ergibt (vgl. Preisendörfer & Voss 1988: 106).
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- Quote paper
- Maurice Vlaeminck (Author), 2007, Soziales Kapital und Arbeitsmarkt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85782
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