Unser heutiges Verständnis von Religion ist so komplex und verschiedenartig, dass es schwer wäre, ihre Substanz zu bestimmen. Schon mittelalterliche scholastische Denker wie Thomas von Aquin und Bonaventura bezeichneten die 10 Gebote der Bibel als Naturgesetze. Doch kann man wirklich davon sprechen? Naturgesetze beanspruchen, allgegenwärtig und für jeden geltend zu sein. In Anbetracht der vielen verschiedenen Religionen aber, mit all ihren unterschiedlichen Weltbildern und Riten, die heute existieren, kann man diese These jedoch verwerfen. Die Bibel predigt, dass man nur einen Gott anbeten darf: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir“. Im Buddhismus dagegen verhält es sich ganz anders. Obwohl er die Existenz der Götter nicht leugnet, so räumt er ihnen doch keine besondere Bedeutung ein. Sie sind nicht Schöpfer des Universums und haben auch keine Macht über das menschliche Schicksal. Wichtig ist allein, den richtigen Weg zu erkennen. Auch die alten Griechen kannten nicht den einen Gott, sie hatten eine größere Anzahl von Göttern und anderen Wesen, welche die Naturkräfte beherrschten, auch enthält die griechische Mythologie keine Offenbarungen oder spirituellen Lehren im Gegensatz zum Judentum oder dem Hinduismus. Dies alles also kann kein Kriterium einer Religion sein, es muss ein anderes existieren.
Einen wichtigen Beitrag dazu leistet der französische Soziologe Emile Durkheim. Er versucht, dem Wesen den Religionen ein Stück näher zu kommen, indem er die Gründe für die wesentlichen Formen religiösen Denkens und Handelns bestimmen will. Er stellt dabei fest, dass alle Religionen in gewisser Hinsicht ähnlich sind, trotz ihrer verschiedenen Formen, weil sie alle von ein und derselben Gattung abstammen. Es muss notwendigerweise wichtige Elemente geben, die alle gemeinsam haben, und diese bilden den objektiven Gehalt von Religionen.
Religionen variieren und verändern sich, sie existieren nur im Kollektiv und kommen nur in diesem zu Stande, sind demnach gesellschaftlich konstituiert. Doch Durkheim stellt fest, dass sie auch die Wirklichkeit ausdrücken, nämlich insofern, als sich hinter den Symbolen immer wirkliche menschliche Bedürfnisse verbergen. Im christlichen Ritual der Taufe beispielsweise soll der Gläubige durch Wasser in die Gemeinde aufgenommen werden und (nach katholischer Lehre) auch von der Erbsünde befreit werden. Obwohl diese beiden Symbole, Wasser und Erbsünde, in keinem konkreten Zusammenhang stehen, wird so ein Gemeinschaftsgefühl ausgedrückt, welches dem Menschen erlaubt, sich zu identifizieren und von anderen abzugrenzen, ein wichtiger Aspekt im gesellschaftlichen Leben.
Zwei der großen Weltreligionen will ich in dieser Arbeit betrachten und ihre verschiedenen Lehren unter Anwendung der Durkheims Theorie erläutern: wo genau findet man den gemeinsamen Ausgangspunkt der Religionen. Verbirgt sich hinter all den Riten, Lehren und Glaubenvorstellungen eine gemeinsame Wirklichkeit, das heißt wirkliche und allen Menschen gemeinsame Bedürfnisse? Welche menschlichen Gefühle, Sehnsüchte und Grundvorstellungen verbergen sich dahinter? Wie wird folglich der „objektive Gehalt“ bei bestimmten Religionen heute sichtbar? Dies soll das Thema meiner Arbeit sein.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Einführende Fragestellung
1.2. Argumentationsaufbau
1.3. Emile Durkheims Werk
2. Hauptteil
2.1. Die elementaren Formen des religiösen Lebens
2.2. Die Wirklichkeit hinter den Religionen
2.3. Die Weltreligionen
2.4. Das Christentum, ein monotheistisches Weltbild
2.5. Der Buddhismus, Leben ist Leiden
2.6. Religion zur Strukturierung und Rechtfertigung moralischer Forderungen und Aspekte ..
2.7. Trennung zwischen Heilig und Profan
2.8. Die Riten der Christen und Buddhisten zur Stabilisation, Identifikation und Abgrenzung
3. Schluss
3.1. Zusammenfassung
3.2. Ausblick: Äquivalente der Religion im Zuge der Säkularisierung
Bibliographie
1. Einleitung
„...dies gilt für die Kunst wie es für die Erkenntnis gilt; für den Mythos wie für die Religion. Sie alle leben in eigentümlichen Bildwelten, in denen sich nicht ein empirisch Gegebenes einfach widerspiegelt, sondern die sie vielmehr nach einem selbstständigen Prinzip hervorbringen. Und so schafft auch jede von Ihnen sich eigene symbolische Gestaltungen (...), jede von Ihnen bezeichnet eine bestimmte geistige Auffassungsweise und konstituiert in ihr und durch sie zugleich seine eigene Seite des „Wirklichen“. Sie sind somit nicht verschiedenen Weisen, in denen sich ein an sich Wirkliches dem Geiste offenbart, sondern sie sind die Wege, die der Geist in seiner Objektivierung, d.h. in seiner Selbstoffenbarung verfolgt.“ (Ernst Cassirer 1973: 9).
1.1. Einführende Fragestellung
Unser heutiges Verständnis von Religion ist so komplex und verschiedenartig, dass es schwer wäre, ihre Substanz zu bestimmen. Schon mittelalterliche scholastische Denker wie Thomas von Aquin und Bonaventura bezeichneten die 10 Gebote der Bibel als Naturgesetze. Doch kann man wirklich davon sprechen? Naturgesetze beanspruchen, allgegenwärtig und für jeden geltend zu sein. In Anbetracht der vielen verschiedenen Religionen aber, mit all ihren unterschiedlichen Weltbildern und Riten, die heute existieren, kann man diese These jedoch verwerfen. Die Bibel predigt, dass man nur einen Gott anbeten darf: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir“. Im Buddhismus dagegen verhält es sich ganz anders. Obwohl er die Existenz der Götter nicht leugnet, so räumt er ihnen doch keine besondere Bedeutung ein. Sie sind nicht Schöpfer des Universums und haben auch keine Macht über das menschliche Schicksal. Wichtig ist allein, den richtigen Weg zu erkennen. Auch die alten Griechen kannten nicht den einen Gott, sie hatten eine größere Anzahl von Göttern und anderen Wesen, welche die Naturkräfte beherrschten, auch enthält die griechische Mythologie keine Offenbarungen oder spirituellen Lehren im Gegensatz zum Judentum oder dem Hinduismus. Dies alles also kann kein Kriterium einer Religion sein, es muss ein anderes existieren.
Einen wichtigen Beitrag dazu leistet der französische Soziologe Emile Durkheim. Er versucht, dem Wesen den Religionen ein Stück näher zu kommen, indem er die Gründe für die wesentlichen Formen religiösen Denkens und Handelns bestimmen will. Er stellt dabei fest, dass alle Religionen in gewisser Hinsicht ähnlich sind, trotz ihrer verschiedenen Formen, weil sie alle von ein und derselben Gattung abstammen. Es muss notwendigerweise wichtige Elemente geben, die alle gemeinsam haben, und diese bilden den objektiven Gehalt von Religionen.
Religionen variieren und verändern sich, sie existieren nur im Kollektiv und kommen nur in diesem zu Stande, sind demnach gesellschaftlich konstituiert. Doch Durkheim stellt fest, dass sie auch die Wirklichkeit ausdrücken, nämlich insofern, als sich hinter den Symbolen immer wirkliche menschliche Bedürfnisse verbergen. Im christlichen Ritual der Taufe beispielsweise soll der Gläubige durch Wasser in die Gemeinde aufgenommen werden und (nach katholischer Lehre) auch von der Erbsünde befreit werden. Obwohl diese beiden Symbole, Wasser und Erbsünde, in keinem konkreten Zusammenhang stehen, wird so ein Gemeinschaftsgefühl ausgedrückt, welches dem Menschen erlaubt, sich zu identifizieren und von anderen abzugrenzen, ein wichtiger Aspekt im gesellschaftlichen Leben.
Zwei der großen Weltreligionen will ich in dieser Arbeit betrachten und ihre verschiedenen Lehren unter Anwendung der Durkheims Theorie erläutern: wo genau findet man den gemeinsamen Ausgangspunkt der Religionen. Verbirgt sich hinter all den Riten, Lehren und Glaubenvorstellungen eine gemeinsame Wirklichkeit, das heißt wirkliche und allen Menschen gemeinsame Bedürfnisse? Welche menschlichen Gefühle, Sehnsüchte und Grundvorstellungen verbergen sich dahinter? Wie wird folglich der „objektive Gehalt“ bei bestimmten Religionen heute sichtbar? Dies soll das Thema meiner Arbeit sein.
1.2. Argumentationsaufbau
Um sich mit Durkheim in diesem Zusammenhang auseinander zu setzen, muss seine Theorie in ihren Grundzügen erläutert werden, seine Erkenntnisabsicht und seine Methode. Danach gehe ich auf die Wirklichkeit der Religionen ein („Wirklichkeit“ im oben erläuterten Sinne), warum Durkheim sie dahinter entdeckt und inwiefern. Anschließend werde ich das Christentum und den Buddhismus, zwei grundverschiedene Religionen, mit ihren Lehren, Riten und Glaubensüberzeugungen beschreiben, damit ich im Anschluss daran das bestimmen kann, was Durkheim den objektiven Gehalt nennt. Außerdem wird an dieser Stelle der soziologische Aspekt von Religion erklärt, also was sich hinter all dem religiösen Handeln und Denken verbirgt.
Der Ausblick beinhaltet einen Punkt, der in unserer heutigen Zeit, in der die Identitätsfindung immer wichtiger wird, zu diskutieren wäre. Beziehen wir unser Gemeinschaftsgefühl heute über andere Faktoren als über Religionen? Bzw. ist Religion heute noch als Ordnungsfaktor nötig? Hierbei werden Äquivalente am Beispiel von Vilfredo Paretos Religionssoziologie anzuführen sein.
1.3. Emile Durkheims Werk
Emile Durkheim beschäftigte sich in seinen Werken vor allem mit Kollektivzuständen, er zeigte, dass Gruppen von Menschen Eigenschaften haben, die anders sind als die Eigenschaften von Individuen. Durch eine Masse vereint, können sich Menschen zu Dingen hinreißen lassen, welche ein von ihren individuellen Äußerungen unabhängiges Eigenleben führen. Außerdem übernehmen wir verschiedene Rollen, die schon vor uns existierten, sie scheinen außerhalb unseres Einflusses zu stehen und üben einen gewissen Zwang aus. Das Soziale und die Gesellschaft müssen demnach als eigenständige Wesen betrachtet werden. Die Basis der Gesellschaft war, nach Durkheim, gemeinsam akzeptierte Wertvorstellungen oder "kollektive Repräsentationen", wie z.B. die Religion und die Moral. Ohne diese könne keine Gesellschaft bestehen, es würde zur Desintegration kommen, die Gesellschaft und Individuen erfahren folglich Angst und Desorientierung.
In seinem Werk „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ widmet er sich den ersten Denksystemen, die sich der Mensch von der Welt und von sich gemacht hat. Diese Denksysteme sind religiösen Ursprungs.
2. Hauptteil
2.1. Die elementaren Formen des religiösen Lebens
In seinem 1912 erschienenen Werk „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ vereint Durkheim zwei Untersuchungsobjekte, wobei das erstere für diese Arbeit ausschlaggebend sein wird. Hauptanliegen seines Buches ist, das gesellschaftliche Phänomen Religion zu erklären (die religiöse Natur des Menschen verständlich zu machen) und zu untersuchen, wo sich ihr Ursprung befindet und was die Religion im Allgemeinen ist. Zum Zweiten widmet er sich dem Entstehen der Grundbegriffe des Denkens. Der Religion verdanken wir (nach Durkheim) die Form, nach der sich die Kenntnisse gebildet haben, es haben sich Kategorien des Urteilvermögens herausgebildet: Zeit, Ort, Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Tätigkeit, Leiden, Verhalten, Befinden entsprechen den allgemeinsten Eigenschaften der Dinge, unsere Gedanken können sich nicht von diesen Kategorien lösen. Doch zurück zum Ersteren. Durkheim konstatiert, dass alle Religionen vergleichbar sind, sie alle sind entstanden aus einer bestimmten Gattung, demzufolge muss es wesentliche Elemente geben, die ihnen allen gemeinsam sind. „Diese Elemente bilden das, was in einer Religion ewig und menschlich ist, sie bilden den objektiven Inhalt der Idee der Religion“ (Durkheim 1981: 22), denn hinter all den verschiedenen rituellen Handlungen und Grundvorstellungen verkörpern sie überall den gleichen objektiven Gehalt und erfüllen überall die gleiche Funktion. Um die Wesensmerkmale des sozialen Phänomens Religion erschließen zu können, geht Durkheim zu den Ursprüngen zurück. Denn "die Geschichte ist die einzige Methode einer erklärenden Analyse (...). Nur sie erlaubt uns, eine Institution in ihre Bauelemente zu zerlegen.“ (Durkheim 1981: 20). Die Quelle einer solchen Analyse will er in niedrigen Gesellschaften finden. Dort ist die Religion noch sehr urtümlich, die Gruppe stellt eine intellektuelle und moralische Gleichförmigkeit dar, die Ergebnisse können dementsprechend gut verallgemeinert werden. Sie stehen den Ursachen ihrer Handlungen näher gegenüber, weil sie noch nicht durch gelehrte Überlegungen überformt und entstellt sind (vgl. Durkheim 1981: 25), und auch Fakten und Beziehungen sind leichter wahrnehmbar, da die Religion noch die Zeichen ihrer Herkunft trägt. In seinen Untersuchungen bezieht sich Durkheim auf Forschungen von Ethnologen hauptsächlich in Australien, aber auch in Amerika.
Um also über Religion nachzudenken und zu bestimmen, wann und warum sie entstanden ist, muss etwas Allgemeines festgemacht werden. Da dies sehr schwierig ist, verwirft Durkheim einige Ansichten, die ihm nicht wesenhaft für Religionen erscheinen. Das gesellschaftliche Phänomen muss von allem Dazugekommenen befreit werden. Eine der verbreiteten Bestimmungen ist das Mysterium, das Übernatürliche, also alles das, was unser Verständnis übersteigt. Aber die Vorstellung des Übernatürlichen taucht erst sehr spät in der Geschichte der Religionen auf und dies auch nur schwankend. Das Übernatürliche setzt den Begriff des Natürlichen voraus, also den einer natürlichen Ordnung und von Naturgesetzen. Das sind aber keine primitiven Vorstellungen, sondern Errungenschaften der „positiven Wissenschaften“, meint Durkheim. Es war den sogenannten primitiven Völkern fremd und auch denjenigen, die nicht einen gewissen Grad von intellektueller Kultur erreicht haben. Denn um den Begriff des Übernatürlichen zu gebrauchen, muss ein Gegenbegriff existieren, und dieser war zu dieser Zeit noch nicht bekannt. Der Primitive erklärt die Welt für uns vielleicht überraschend, für ihn selber aber handelt es sich um die einfachsten Dinge der Welt, wenn er meint, der Regen alle durch bloßen Willen eines Übermächtigen. Eine weitere oft genannte Bestimmung für Religion ist die Idee der Göttlichkeit oder noch allgemeiner die geistigen Wesen. Sie kann sofort verworfen werden, wenn man an den Buddhismus denkt. Im Mittelpunkt des Buddhismus stehen die vier heiligen Wahrheiten, an deren Ende sich das Nirvâna befindet: die erstere sieht „die Existenz des Leidens als Teil des ewigen Flusses der Dinge; die zweite den Grund des Leidens im Wunsch; die dritte hält die Unterdrückung des Wunsches für das einzige Mittel zur Überwindung des Leidens und die vierte benennt die drei Etappen, die zur Überwindung des Leidens führen: die Rechtschaffenheit, die Meditation und schließlich die Weisheit, der völlige Besitz der Doktrin“ (Durkheim 1981: 54). Es kommt allein darauf an, den guten Weg zu erkennen, und diesen muss der Buddhist allein beschreiten, ohne die Hilfe eines Gottes, er glaubt ihm überlegen zu sein. Selbst der Begründer der Lehre, Buddha, wird nicht als Gott angesehen, er ist ein Heiliger, aber trotzdem ein Mensch und er ist kein notwendiger Faktor mehr im religiösen Leben.
Nun kommt Durkheim zu den religiösen Phänomenen, die allgemeingültig sind. Religionen zeichnen sich durch zwei Dinge aus: durch Glaubensübzeugungen und Riten. Erstere sind Meinungen, sie bestehen aus Vorstellungen im Denken, während Riten bestimmte Handlungsweisen sind und sich im Tun äußern. Doch das Kriterium schlechthin ist die Trennung von Heilig und Profan, die Klassifizierung nach realen und idealen Dingen. Heilig und Profan charakterisiert Durkheim durch ihre Andersartigkeit; dies genügt, denn die Kategorien sind absolut, sie beziehen sich nicht auf eine gemeinsame Ordnung, so wie Gut und Böse nur zwei entgegengesetzte Pole der Moral sind. „Heilige Dinge sind, was die Verbote schützen und isolieren. Profane Dinge sind, worauf sich diese Verbote beziehen und die von den heiligen Dingen Abstand halten müssen“ (Durkheim 1981: 67). Neben den schon erwähnten gemeinsamen Riten und der Trennung von heilig und profan, stützt sich die Religion auf ein universales Ideensystem, auf ein Welterklärungsmodell, welches versucht, eine umfassende Darstellung der Welt zu geben und die Universalität der Dinge zu erfassen: „Wenn die Philosophie und die Wissenschaften aus der Religion entstanden sind, so darum, weil die Religion selbst zuerst Wissenschaft und Philosophie gewesen ist“ (Durkheim 1981: 27).
Durkheim kommt also zu folgender Definition: „Eine Religion ist ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, d.h. auf abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in einer und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereinen, die ihr angehören“ (Durkheim 1981: 75). Und diese Elemente sind es, die in einer Religion ewig und menschlich sind. Sie bilden nach Durkheim den objektiven Inhalt des gesellschaftlichen Phänomens Religion, das, was sich folglich hinter einer jeden verbirgt. Durkheim stößt hierbei auf den Totemismus, die erste Organisationsform aller Gesellschaften. Er erklärt sehr überzeugend das Entstehen von Religionen. Nur soll an dieser Stelle nicht genauer darauf eingegangen werden, stattdessen sollen die vorher beschriebenen Elementarphänomene an zwei Beispielen von heute existierenden Religionen besprochen werden, dem Buddhismus und dem Christentum.
2.2. Die Wirklichkeit hinter den Religionen
Durkheim entdeckt hinter all den verschiedenen Erscheinungsformen der Religionen die Wirklichkeit. Damit wiederspricht er dem (radikalen) Sozialkonstruktivismus, welcher die Erkenntnis einer Wirklichkeit hinter den Dingen leugnet. Man kann keine Wirklichkeit erkennen, solange man sich innerhalb der Gesellschaft befindet, nur von außerhalb wäre dies möglich. In der Religion gibt es also laut Durkheim etwas Ewiges und Beständiges. Etwas, was allen Veränderungen standhält. Es handelt sich um menschliche Bedürfnisse, die in der Natur des sozialen Wesen Mensch zu liegen scheinen, „Das Geheimnis, das sie zu umgeben scheint, ist ganz oberflächlich und verschwindet bei tieferer Beobachtung: Man braucht nur den Schleier zu lüften, mit dem eine mythologische Phantasie sie zugedeckt hatte, und schon erscheinen sie, wie sie wirklich sind“ (Durkheim 1981: 574). Die Religion ähnelt sogar der Wissenschaft. Denn auch sie versucht, die Wirklichkeit in eine verständliche Sprache zu übersetzen, die sich ihrer Natur nach nicht besonders von der der Wissenschaft unterscheidet. Sie ist nur mit einem mythologischen Schleier überdeckt, klassifiziert, ordnet und verknüpft die Dinge aber ebenso. Durkheim stellt aber fest, dass die Funktion einer Religion nicht darin bestehen kann, unser Wissen zu bereichern in dem Sinne, wie es das Objekt der Wissenschaft ist, vielmehr besteht sie darin, uns zum Handeln zu bringen, auch soll sie uns helfen zu leben. Indem der Gläubige mit Gott kommuniziert, fühlt er mehr Kraft, seine Leiden zu überwinden oder zu ertragen. Durch den Glauben erhofft sich der Gläubige, Heil zu empfangen, und dieses Gefühl kann nicht mit Ideen begründet werden, sondern nur durch Handeln, ob nun geistiges oder materielles. Ideen können nur Empfindungen hervorrufen, sie aber nicht steigern oder neu erschaffen. Handeln ist es, welches die Freude, den Frieden, die Ruhe oder die Begeisterung erregt. „Wir müssen handeln; wir müssen die Taten wiederholen, die hierfür nötig sind, und zwar jedes Mal, wenn es nützlich, ist diese Wirkungen zu erneuern“ (Durkheim 1981: 558). Nur mit Handeln wird Geschichte geschrieben. Religiöse Überzeugungen beruhen nach Durkheim auf spezifischen Erfahrungen und diese Erfahrung ist die Gesellschaft, die ewige Ursache dieser Empfindungen. Sie entwickelt moralische Kräfte und Gefühle der Anlehnung, des Schutzes und der schützenden Abhängigkeit (vgl. Durkheim 1981: 560), die den Gläubigen an seinen Kult binden. Die Religion ist das Abbild der Gesellschaft, mit all ihrem Übel, ihren negativen Seiten, Leiden, Hass, Gewalt usw. Nur ist die Sicht auf die Dinge idealisiert, vereinfacht und verwandelt. Sie gibt ihr sozusagen den „moralischen Anstrich“. Denn das ist auch die Hauptaufgabe der Religion: auf das moralische Leben einzuwirken, welches durch Riten gestärkt und diszipliniert wird.
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- Arbeit zitieren
- Uta Beckhäuser (Autor:in), 2005, Buddhismus und Christentum - Grundverschiedene Lehren, aber dennoch Ausdruck der Wirklichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85701